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8

Am nächsten Morgen besuchte Mark seinen kranken Gast und fuhr, als er dessen Zustand bemerkte, erschrocken zurück. Der Arzt hatte eben das Krankenzimmer verlassen und auch die Pflegerin schickte sich an, die fehlende Nachtruhe nachzuholen:

»Der Arzt hegt keine Befürchtungen mehr«, vertraute sie dem Eintretenden an. »Eine Gehirnerschütterung liegt nicht vor. Er ist nur noch sehr schwach und scheint Angst vor Besuchern zu haben. Er will immer die Zimmertür verschlossen haben.«

Mark setzte sich am Bett des Kranken nieder, nachdem er auf dessen Wunsch die Zimmertür nach seinem Eintritt verschlossen hatte:

»Bitte, sprechen Sie nicht zu viel«, bat er den Patienten. »Der Schlag, den man Ihnen versetzt hat, war ziemlich derb und hätte schlimme Folgen haben können.«

»Wissen Sie, wie ich heiße?« fragte der Kranke plötzlich.

»Keine Ahnung, doch glaube ich, es wird gut sein, wenn Sie mir Ihren Namen sagen. Es ist ja möglich, daß sich irgend jemand nach Ihnen erkundigt.«

»Ich heiße Max Brennan. Welcher Nation mag ich wohl angehören?«

»Ich würde Sie für einen Kolonialengländer halten«, entgegnete der Hausherr.

»Der liebe Gott selbst würde meine Staatsangehörigkeit nicht erraten können«, erklärte der andere lachend. »Hören Sie zu: Meine Mutter war Russin, der Großvater Armenier; in meinen Adern fließt slawisches, germanisches und degeneriertes asiatisches Blut.«

»Dann ist Ihr perfektes Englisch um so bewundernswerter«, lobte Mark. »Sie haben nicht den geringsten fremdländischen Akzent.«

»Früher einmal war das anders«, meinte Brennan. »Aber ich mußte ihn mir abgewöhnen. Ich gehöre zu jenen, die vor dem Krieg England als ihre Heimat betrachtet hatten. Ich war Spion. Das ist aber lange vorbei, meine Tätigkeit bewegt sich jetzt in anderer Richtung. Vor einigen Jahren hatte ich mir selbst eine schwierige Aufgabe gestellt und – sie erfolgreich gelöst. Zu erfolgreich jedenfalls für Mr. Felix Dukane.« Er lachte verbissen.

»Sind Sie nicht auch der Ansicht, daß Geheimdienstarbeit gegenwärtig eine schlecht bezahlte Tätigkeit ist?« fragte Mark.

Der Kranke starrte seinen Gastgeber an:

»Wer und was sind Sie?« erkundigte er sich. »Ihrem Dialekt nach sind Sie Amerikaner, nicht wahr?«

»Ich heiße van Stratton und bin, wie Sie richtig errieten, Amerikaner.«

»Wenn man bedenkt, wie weltfremd ihr Amerikaner seid«, philosophierte Brennan, »dann kommt einem der Atlantische Ozean wie eine unübersteigbare Barriere vor, die sich zwischen Europa und Ihrem Vaterland aufgerichtet hat. Könnt ihr denn nicht begreifen, daß es außer den mit Waffen ausgefochtenen Kriegen auch noch andere nicht weniger zerstörende Kämpfe gibt? Kämpfe, die sich unter der Oberfläche abspielen und nur mit feineren Waffen ausgefochten werden? Propaganda statt der Geschütze, Bestechung an Stelle giftiger Kampfgase! Verstehen Sie, was ich meine?«

»Ich halte zwar das, was Sie ausführen, für eine Übertreibung, glaube aber zu verstehen, worauf Sie sich beziehen.«

»Bei allen diesen unterirdischen Kämpfen«, fuhr der andere fort, »war ich mein Leben lang beteiligt. Ich kann Ihnen davon Geschichten erzählen; man erachtete mich als zu wertvoll, um mich im letzten Kriege den Gewehren und Granaten der Feinde auszusetzen; ich durfte am Weltkrieg nicht als Soldat teilnehmen. Man nannte mich ›das Frettchen‹, weil ich es besser als alle anderen verstand, herauszubekommen, was sich hinter den Kulissen der Kriegsführung abspielte.«

»Bitte, überanstrengen Sie sich nicht mit Sprechen«, warnte ihn van Stratton.

»Ich werde mich kurz fassen«, erklärte der Patient. »Was wissen Sie von Dukane? Wie lange kennen Sie ihn schon?«

»Vierundzwanzig Stunden.«

Der andere schien von dieser Mitteilung überrascht: »Sprechen Sie die Wahrheit?«

»Warum sollte ich lügen?« entgegnete Mark. »Mr. und Miß Dukane wurden mir gestern im Ritz während des Lunches vorgestellt. Eine Stunde später traf ich Miß Estelle auf der Mall; sie nahm mich in die Norfolk Street mit, erwähnte mir die Schwierigkeit, in der sich ihr Vater befand und verlangte meine Hilfe.«

»Das interessiert mich«, erklärte der Kranke. »Bitte, erzählen Sie weiter.«

»Dukane glaubte Sie getötet zu haben und bat mich, Ihren Leichnam beiseite zu schaffen. Der Nebel sollte die Arbeit verbergen.«

»Und weiter wissen Sie nichts über Dukane?« Erstaunt fragte es der Patient.

»Weiter nichts!« Die Antwort klang zu offen, um Mißtrauen zu wecken.

»Warum haben Sie dann Mr. Dukane eine so gefährliche Gefälligkeit erwiesen?«

Mark zögerte mit der Antwort. Dieser Brennan begann ihm Interesse einzuflößen. Offensichtlich wollte er seinen Gastgeber auf eine Enthüllung vorbereiten. Mark entschloß sich, seinem Gast die Wahrheit zu gestehen:

»Ich glaube«, sagte er, »daß Miß Dukane bemerkt hatte, wie sehr ich sie bewunderte. Dadurch mag sie den Eindruck gewonnen haben, daß ich ihr jede Gefälligkeit erweisen würde.«

Der Kranke schien diese Antwort auf ihre Bedeutung hin zu prüfen:

»Ja, das kann ich verstehen«, meinte er dann nachdenklich. »Ich weiß, daß Miß Dukane schon vielen Männern den Kopf verdreht hat. Hoffentlich sind Sie nicht zu sehr verliebt in sie, um nicht zurück zu können.«

»Warum hoffen Sie das?« fragte Mark.

Als wolle er jedes nun gesprochene Wort unterstreichen, klopfte der Kranke beim Sprechen auf die Bettdecke:

»Ich habe mein ganzes Leben lang die Menschen studiert. Das war mein Beruf. In jeder Frau habe ich gute und schlechte Eigenschaften entdeckt. Niemals jedoch ist mir bisher ein Weib vorgekommen, das an Stelle des Herzens einen Stein in der Brust getragen hätte. Eine einzige Ausnahme machte Miß Dukane. Ihr Äußeres ist das eines Engels: sie ähnelt ihrer Mutter, der schönsten Griechin, die sich in Paris aufhielt. Im Charakter aber gleicht sie ihrem Vater. Sie haben mich mit Güte behandelt, Mr. van Stratton; nun machen Sie Ihre Güte voll, indem Sie meinen Worten Glauben schenken: Miß Dukanes Augen verheißen Glück, ihre Lippen verraten Güte und Aufrichtigkeit, aber – nie hat ihr Herz eines Mannes wegen schneller geschlagen, nie hat sie Liebe gefühlt, noch wird sie je dazu imstande sein. Sie ist eine Intrigantin. Auch darin gleicht sie ihrem Vater.«

Daran, daß Brennan aufrichtig sprach, konnte kein Zweifel bestehen. Er lehnte sich, als er nun schwieg, erschöpft in die Kissen zurück und schloß die Augen.

»Wir wollen dieses Thema beenden«, sagte Mark. »Kann ich etwas für Sie tun, Mr. Brennan?«

»Natürlich können Sie das«, erwiderte der Gefragte voller Ungeduld. »Ich habe ja nach Ihnen geschickt, denn Sie sind der einzige, dem ich ein wenig Vertrauen schenke. In meinem Kampf gegen Dukane habe ich ein einsames Spiel getrieben und nun, da ich hier krank liege, muß ich mich einem anvertrauen. Ich habe Sie auserwählt.«

»Ich habe wenig Zeit, Mr. Brennan«, bemerkte Mark. »Wollen Sie mir deshalb sagen, was ich für Sie tun kann?«

»Der Arzt meint zwar, daß alles gut gehen würde, aber ich verstehe auch ein wenig von Wunden und kann die Befürchtung nicht los werden, daß ich vielleicht mein Gedächtnis verlieren könnte. Ehe mir das zustößt, möchte ich Ihnen etwas anvertrauen. Hören Sie mir zu?«

»Ja, ich höre«, versicherte Mark.

»Ich bereitete gestern Dukane die größte Überraschung, die er je in seinem Leben erfahren hat; ich schilderte ihm seine Pläne, erzählte ihm, welche Entdeckung ich gemacht hätte, und daß ich in der Lage wäre, ganz Europa, ja die ganze Welt, über seine Absichten aufzuklären. Der Frieden auf Erden hängt in den nächsten zwanzig Jahren nicht vom Völkerbund, nicht von Amerika, sondern von – mir, Max Brennan, ab.«

»Bilden Sie sich da nicht ein bißchen zu viel ein?« entgegnete Mark, und betrachtete den Sprecher zweifelnd.

»Nein, Mr. van Stratton. Jedes Wort ist lautere Wahrheit. Ein Wort von mir, unterstützt von den Beweisen, die ich in Händen halte, würde alle Kriegsfurien von neuem über Europa rasen lassen oder – Felix Dukane wäre ein Bettler! Er weiß das auch und zweifelte an meinem Wort nicht einen Augenblick. Als ich ihn aufsuchte, tat ich es mit der Absicht, ihm meine Beweise, meine schriftlichen Beweise, zu verkaufen. Ich verlangte zweihundertundfünfzigtausend Pfund Sterling. Ich weiß, er hätte meine Forderung bewilligt, aber er verlor die Fassung. Ich ließ ein Wort fallen, dessen Klang er haßt wie der Teufel eine arme Seele. Er glich, als ich es ausgesprochen hatte, einem Wahnsinnigen und versetzte mir mit einem Totschläger den Schlag, der mich ins Jenseits befördern sollte.«

»Nun, Sie leben ja noch und haben die Anwartschaft auf ein großes Vermögen«, bemerkte Mark, um den Kranken nicht noch mehr zu erregen.

»Ich sagte Ihnen schon, daß mein Preis eine Viertel Million war. Meine Beweise sind aber in Wirklichkeit Millionen wert, denn von ihnen hängt das Wohl und Wehe eines großen Landes ab. Nicht ein einziger Staatsmann in der ganzen Welt – mit Ausnahme jener, die von Dukane bezahlt werden – ahnt etwas von dem entsetzlichen Vorhaben des Finanziers. Sollte ich sterben oder mein Gedächtnis verlieren, dann werden Sie mein Erbe sein. Werde ich wieder gesund, dann werde ich Besitzer des Geheimnisses bleiben, dann will ich das Geheimnis zu Geld machen.«

Mark blickte besorgt auf seinen Patienten, der bleicher und bleicher geworden war. Die letzten Worte des Kranken waren kaum mehr verständlich gewesen, so leise hatte er gesprochen:

»Sie müssen jetzt ruhen, Mr. Brennan«, gebot er. »Ich werde Sie später noch einmal aufsuchen.«

Brennan schob statt einer Antwort den Ärmel seines Schlafanzuges in die Höhe und deutete auf ein kleines Armband:

»Öffnen Sie diese Kapsel«, brachte er mit Mühe hervor. »Dieser Schlüssel hier« – er überreichte ihn seinem Gastgeber – »öffnet das Stahlfach 323 der Chancery Lane Bank. Nehmen Sie ihn. Sterbe ich oder verliere ich mein Gedächtnis, so gehen Sie zur Bank, holen die Papiere und lesen Sie sie. Tun Sie dann damit, was Sie wollen.«

Es klopfte an die Tür. Mark schloß auf. Die Krankenpflegerin trat ein.

»Der Patient hat nun genug gesprochen«, sagte sie. »Er muß jetzt ruhen.«

Nachdenklich verließ Mark das Krankenzimmer.

Die Schwester beugte sich über den Kranken und prüfte seinen Puls.

»Ich bin nur ein bißchen müde«, murmelte Brennan schon halb im Schlaf. »Aber, Gott sei Dank, ich brauche mich nicht mehr zu fürchten.«


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