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31

Es war Mark nicht ganz wohl zumute, als er eine knappe Viertelstunde später in Raouls Arbeitszimmer seinen Freund beim Mixen einiger Cocktails beobachtete. Das Duell, das sie vor kurzer Zeit ausgefochten hatten, machte ihn unruhig. Er war de Fontenays Einladung, ihm zu einem Cocktail Gesellschaft zu leisten, nur widerstrebend gefolgt. Jetzt sank der Freund erschöpft in seinen Schreibtischsessel.

»Willst du mir eine einzige Frage beantworten, Mark? Hast du die Papiere für dich oder für Dukane gekauft?«

»Ich hörte von ihnen natürlich zuerst von ihm«, erwiderte van Stratton. »Nur, weil er sie so hoch einschätzte, legte ich den Betrag an.«

»Du hast also, wie man zu sagen pflegt, die Katze im Sack gekauft, wie?«

»Ja, so könnte man es wohl bezeichnen«, gab Mark zu. »Anfangs trat ich allerdings als Dukanes Agent auf; nun aber, da ich es versprochen habe, werde ich nur in eigenem Interesse handeln. Fünfviertel Millionen Dollar machen mich nicht arm, aber ich habe dann wenigstens mein Wort gehalten.«

»Meiner Ansicht nach müßte es eine besondere Hölle für Leute geben, die zuviel Geld haben und es zu Zwecken, wie du es getan hast, verwenden!« urteilte Raoul bitter.

»Ich möchte dir nicht zu nahe treten, mein lieber Raoul, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, als wären deine Landsleute seit einigen Jahren mehr als hysterisch. Ihr beurteilt die Welt nur vom französischen Standpunkt aus. Keiner trägt sich mit der Absicht, deinem Vaterland etwas zuleid zu tun, Raoul; nicht einmal sein bitterster Feind wünscht Frankreich zerstört zu sehen. Größtenteils ist es selbst schuld, wenn seine finanzielle Lage ungemütlich wird. Warum hat es seinen Reichtum nicht besser angewendet? Ihr braucht eure Leute nur richtig zu besteuern und sie zu zwingen, auch einmal etwas auf dem Altar des Vaterlandes von ihren Reichtümern zu opfern, dann wird alles wieder in schönster Ordnung sein. Bei euch wirkt die Kriegspsychose noch nach. Ja, ich weiß, ihr habt Schweres durchgemacht, aber einmal müßt ihr doch darüber hinwegkommen.«

Die Worte, die de Fontenay erwiderte, klangen beinahe drohend:

»Du bist wie ein Papagei, Mark. Du plapperst das nach, was du gehört hast. Du hast dein Vermögen dazu benützt, um meiner Regierung die Dokumente zu entziehen, die ihr zustehen. Du kannst sagen, was du willst: Deine Beweggründe sind egoistischer Natur. Wir sind Freunde, haben gemeinsam hunderte Male dem Tod ins Auge geblickt, Mark. Aber die Erinnerung daran hast du selbst verblassen gemacht. Ich sehe in dir heute nur den Feind meines Vaterlandes!!«

Marks Hand schlich sich nach der Rocktasche; ihm wurde plötzlich bewußt, daß er mit Raoul nicht länger allein war. Aufmerksam blickte er sich um. Fenster und Tür waren geschlossen, aber der Vorhang vor der Tür zum Vorzimmer bewegte sich leise.

»Soll das eine Drohung bedeuten, Raoul?« fragte er.

»Ich muß jenen Schlüssel haben, Mark. Nicht ich brauche ihn; es handelt sich dabei um Frankreichs Wohl.«

»Und wenn ich ihn dir verweigere, was ich hiermit tue?«

»Überlege es dir gut, Mark. Ich glaubte an dich, an deine Freundschaft und wurde enttäuscht. Muß ich nicht andere Mittel anwenden, um zu meinem Ziel zu gelangen? Du wirst dieses Zimmer nur verlassen dürfen, wenn du mir den Schlüssel einhändigst!«

»Habe ich es nur mit dir zu tun?« erkundigte sich Mark.

»Nein. Mir wäre es lieber gewesen, aber die Interessen meines Landes gehen vor.«

Die Stimme des Franzosen schlug merkwürdig dumpf an van Strattons Ohr. Die Augen fielen ihm zu. Er versuchte, sich zu erheben und fiel wieder auf seinen Sitz zurück. Nachdenklich beobachtete ihn Raoul.

»Der Teufel soll dich holen, Raoul«, stotterte Mark. »Warum hast du dieses feige Mittel gewählt?«

»Ich mußte ein Mittel anwenden, das mir die meiste Aussicht auf Erfolg bot«, entgegnete der Franzose und beobachtete, wie seinem Freund das Bewußtsein schwand.

*

Langsam kehrte Mark ins Leben zurück; nur das merkwürdige Gefühl körperlicher Schwäche wollte nicht von ihm weichen. Er richtete sich auf und warf einen Blick auf seine Umgebung. Man hatte ihm Kragen und Binder abgenommen, die mit seinen anderen persönlichen Habseligkeiten auf dem Schreibtisch ein kleines Häufchen bildeten. Außer Raoul waren noch zwei andere Personen im Zimmer anwesend. Die eine, das wußte Mark, war der Gehilfe des Obersten; die andere hatte er noch nie gesehen. Oberst de Fayenne, Raouls Kollege, schien diesem ein Verfahren vorzuschlagen, gegen das sich de Fontenay mit allen Kräften wehrte:

»Wir haben also alles umsonst getan?« rief de Fayenne aufgeregt. »Ein Kerlchen wie dieser Amerikaner soll den ganzen französischen Geheimdienst auslachen? Wo kann er den Schlüssel haben? Er muß es sagen, wenn nicht freiwillig, dann unter Zwang! Und schnell, ehe er seine vollen Kräfte wiedergewonnen hat.«

Raoul schüttelte den Kopf.

»Ihr werdet ihn niemals zwingen können. Er ist ein tapferer Mann und außerdem mein Freund. Wir haben die Sache weit genug getrieben.«

Sie unterhielten sich weiter in aufgeregtem Flüsterton, während Mark sich langsam Kragen und Krawatte umband. Als de Fontenay die Bewegungen des Freundes bemerkte, trat er zu ihm heran:

»Nun?«

Mark antwortete nicht.

»Fühlst du dich unwohl?«

»Als wenn ich einen furchtbaren Kater hätte. Darf ich nun gehen?«

»Noch nicht«, bemerkte de Fayenne. »Wir müssen den Schlüssel haben.«

»Welchen Schlüssel?«

»Den Sie von Brennan kauften.«

»Ich dachte mir schon, daß Sie etwas Derartiges verlangen würden«, erwiderte van Stratton trocken. »Ich habe ihn nicht mehr.«

»Sagen Sie uns, wo Sie ihn haben!«

»Sie können sich doch selbst an den Fingern abzählen, daß ich den Schlüssel mitgebracht hätte, wenn ich ihn an Sie hätte aushändigen wollen, nicht wahr?«

»Um Himmels willen, wo hast du ihn hingetan, Mark!« mischte sich Raoul ins Gespräch. »Du bist mit mir zusammen hierhergekommen und hast unterwegs mit keinem Menschen gesprochen.«

»Ja, ja. Die meisten Menschen halten mich für ebenso dumm wie ich lang bin«, klärte Mark seine Gegner auf. »Ich habe zwar nicht daran geglaubt, daß du so weit gehen würdest, um deinen Kopf durchzusetzen, aber daß es keine Gastfreundschaft war, die dich veranlaßte, mich einzuladen, das wußte ich. Ebenso wie es mir bewußt war, daß ich mich mit meinem Gang hierher in die Höhle des Löwen begeben würde.«

»Bitte, sagen Sie Ihrem Freund, Herr Oberst«, wandte de Fayenne sich an Raoul, »daß wir nicht gesonnen sind, noch länger Zeit zu verlieren. Wir müssen den Schlüssel haben!«

Noch einmal versuchte der Oberst Mark zu bereden: »Ich werde dafür sorgen, daß du früher oder später die dreihunderttausend Pfund, die du für den Schlüssel bezahltest, zurückerhältst. De Fayenne besteht auf der Aushändigung des Schlüssels; gib ihn heraus.«

»Ihr wollt wohl die Folter versuchen, wenn ich mich weigere? Du mußtest wissen, Raoul, daß du damit nichts erreichen kannst!«

»Die anderen kennen dich nicht so gut wie ich, Mark. Bedenke das. De Fayenne gibt nicht nach!«

Mark warf ihm einen Blick zu. Seine Knie wollten ihn immer noch nicht tragen, und sein rechter Arm war schwer wie Blei.

»Von mir erfahrt ihr niemals, hört ihr, niemals, wo sich der Schlüssel befindet!! Macht, was ihr wollt!«

De Fontenay wandte sich mit einem Stöhnen ab. Plötzlich schreckten die Herren zusammen und blickten sich erstaunt an. Die Türklingel hatte angeschlagen; Stimmengewirr drang vom Korridor herein. Schwere Schritte näherten sich der Tür. Es klopfte. Der dritte Mann im Zimmer, der Unbekannte, eilte ans Fenster und blickte hinunter.

»Die Polizei ist unten!« meldete er erstaunt.

De Fayenne näherte sich Mark, einen blitzenden Revolver auf ihn gerichtet:

»Keinen Laut, mein Herr, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!« drohte er dem Gefangenen.

Raoul hatte die Tür zum Gang geöffnet. Ein Polizist stand dort.

»Gehört der Wagen, der unten vor der Tür steht, Ihnen?« erkundigte sich der Beamte.

Mark erhob sich:

»Ich glaube, es wird meiner sein, Herr Wachtmeister. Bitte, kommen Sie doch näher. Ich möchte etwas fragen.«

Die Atmosphäre war mit entsetzlicher Spannung geladen. Man konnte hören, wie de Fayenne erregt atmete, als er nun mit einer schnellen Handbewegung den gezückten Revolver in seine Tasche schob. Der Polizeibeamte betrat das Zimmer.

»Ich muß Ihren Namen und Ihre Adresse feststellen, Sir«, verkündete er. »Ihr Wagen steht schon seit zwei Stunden unten. Das ist verboten.«

»Das tut mir leid«, erwiderte Mark. »Die Zeit verstrich mir so schnell, daß ich meinen Wagen ganz vergaß.«

»Ein Dieb scheint sein Glück damit versucht zu haben, Sir, denn die Kissen sind aufgeschnitten und alles ist durchwühlt worden. Es ist besser, Sie kommen gleich mit herunter, Sir.«

»Ich komme mit, denn ich wollte gerade aufbrechen. Gute Nacht, Raoul! Gute Nacht, meine Herren!«

Keiner der Begrüßten antwortete. Der Schutzmann hielt höflich die Tür offen. Endlich raffte sich de Fontenay auf:

»Gute Nacht, Mark. Willst du, ehe du gehst, nicht noch ein Gläschen trinken?«

»Heute nicht mehr. Ich glaube, deine Cocktails bekommen mir nicht!«

Auf der Treppe wandte sich der Schutzmann an Mark:

»Da stimmte wohl etwas nicht, dort oben, Sir?«

»Das gerade nicht«, erwiderte der Gefragte. »Manchmal werden derartige Zusammenkünfte langweilig.«

»Die beiden Herren, die in der Ecke standen«, meinte der Beamte, »machten mir den Eindruck, als hätten sie nichts Gutes im Sinn.«

»Sie ärgerten sich, weil ich so früh fort wollte!«


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