Friedrich von Oppeln-Bronikowski
Der Rebell
Friedrich von Oppeln-Bronikowski

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8.

Am ersten September flanierte der frühere Leutnant von Carsten, den kleinen Adolf an der Hand, durch eine jener häßlichen Straßen von Berlin C, zwischen deren schmutzigen, grauen Häuserwänden sich die verbrauchte, stickige Asphaltluft staute. An den spärlichen Bäumchen eines kleinen Platzes hingen noch ein paar verdorrte und verdurstete Blätter, und alles sah erschlafft und verstaubt aus von der sommerlichen Dürre. Das arme Volk, das sich vorübertrieb, hatte keine erfrischende Sommerreise hinter sich und in den blassen Zügen, den unterlaufenen Augen, las man Elend oder Verworfenheit. Auch Herr von Carsten hatte eine gelbe, runzelige Hautfarbe, obgleich er sich der glühenden Steinwüste der Großstadt durch eine vierwöchentliche Badereise entzogen hatte. Er war wie gewöhnlich als »Major a. D.« aufgetreten; denn wenn seine Militärlaufbahn auch mit dem schlichten Abschied als Leutnant geendet war, so hatte er doch nach dem Vorbild Riccauts de la Marlinière sein Schicksal verbessert und sich aus eigener Machtvollkommenheit allmählich zum Rittmeister, und jetzt, da er älter wurde, zum Major befördert, so daß ihm mit zunehmenden Jahren noch die höchsten militärischen Würden zufallen konnten. Als Major a. D. hatte er auch seine letzte Wochenrechnung in Heringsdorf nicht bezahlt, mit der Begründung, daß er seine Pension erst am 1. September abheben könnte, und war dann nach Berlin zurückgereist, nicht ohne vorher dem Wirt eine falsche Wohnungsadresse angegeben zu haben, welches ihn allen Weiterungen enthob...

Augenblicklich begab er sich mit seinem Söhnchen zum Rendezvous mit einem jener dunklen Ehrenmänner, mit denen er gelegentlich Geschäfte machte.

Seine äußere Erscheinung hatte, ebenso wie seine Charge, einer Aufhöhung bedurft; der mißgestaltige kleine Mann, an dem nichts groß war als Hände und Füße, trug sehr hohe Absätze, die seine Statur etwas ansehnlicher machen sollten. Der kleine Adolf war im Gang und in der Körperbildung die leibhaftige Miniatur seines Erzeugers; nur im träumerischen Ausdruck der Augen gemahnte er etwas an seine schöne Mutter. Sein Vater hatte ihn sofort nach dieser ausspioniert und ihm Zuckerblüten versprochen, wenn er alles sagte, was er wüsste; und das Früchtchen hatte in Ansehung dieser Verheißung lieber zu viel als zu wenig erzählt und lutschte jetzt seinen Lohn gierig auf, indem er mit der freien Hand alle paar Minuten in die Tasche griff. Diese Art von Erziehung war im Grunde nur das Widerspiel dessen, was sich schon in der vorhergehenden Generation zwischen dem Kommerzienrat von Carsten und seiner Gattin zugetragen hatte, nur mit dem Unterschied, daß dort alles vornehmer und geistreicher gewesen war. Der alte Kommerzienrat war viel feiner in der Wahl seiner Mittel gewesen und hatte seine äußere Existenz zeitweise auf eine Höhe heraufgeschraubt, die seiner groben und doch so empfindlichen Parvenueitelkeit durchaus entsprach. Er hatte in den Gründerjahren Millionen erworben und vergeudet und eine zwar arme, aber hochadlige Frau heimgeführt, die den Protzen haßte und mit ihrer Eifersucht nicht grundlos verfolgte, Auch er haßte und verachtete sie wegen ihres aristokratischen Bettelstolzes; er fühlte sich durch ihre stille Mißachtung gedemütigt und aus Rache dafür rieb er ihr alles unter die Nase, was er schon für sie zum Fenster hinausgeschmissen hätte, und so kam es, daß oft wochenlang kein Wort zwischen ihnen fiel, das nicht eine Schmähung war, und daß die gegenseitige Kälte nur von Zank unterbrochen wurde. Das Kind, das in dieser Hölle des Hasses geboren wurde, empfing also den Haß schon im Mutterleibe und die eigene Mutter verspürte schon frühzeitig einen Widerwillen gegen die mißgeschaffene Frucht ihres Schoßes, wogegen der Vater seit dem Tod eines halb blödsinnigen älteren Kindes mit wahrer Affenliebe an seinem Sprößling hing. Nicht selten kam es bei ihren ewigen häuslichen Zwistigkeiten vor, daß Frau von Carsten den bösartigen Bengel einsperrte, denn er wagte es sogar, die Hand gegen seine eigne Mutter zu erheben, – und daß der Vater ihn dann wieder freiließ und mit ihm spazieren ging, während die Mutter bitter hinter ihnen herrief: »Geht nur, ihr beiden Pflänzchen!« An solchen Tagen liebte er natürlich den Vater und horchte schadenfroh durch die Türspalte, wenn dieser seine Frau in seiner rüden Art beschimpfte, wenn nicht gar diese häßlichen Szenen sich in Gegenwart des Kindes abspielten. Aber ebenso gern lauschte er den Verdächtigungen der Mutter, wenn diese ihn in ihrer verbitterten Eifersucht anhielt, des Vaters Tun und Lassen auszuspionieren, oder gar die Dienstboten dazu aufstachelte. Und wie sich in seinem Blute aristokratischer Hochmut und plebejische Gemeinheit mischten, so wurde auch sein Charakter ein Gemisch davon, schon in seinem äußeren Wesen trat dies zutage. Die feinen aristokratischen Lippen mit dem dunklen Bärtchen standen in widrigem Gegensatz zu der vorspringenden Plebejerstirn, der dicken, gemeinen Nase und den fladenhaften Ohrmuscheln. Und innerlich war es das Gleiche. Die nervöse Verfeinerung des Aristokraten prägten sich bei ihm durch ein höhnisches Zucken der Lippen und die Gabe bestechender Liebenswürdigkeit aus; aber ebenso standen ihm die groben Finanzcoups und die aufschäumende Roheit des Emporkömmlings zu Gebote. Nur des Vaters Genie fehlte ihm, und was ihm dadurch entging, suchte er durch größere Schamlosigkeit zu ersetzen, um sein Leben wenigstens behaglich zu fristen, zumal ihn sein Vater ganz im Stich gelassen hatte.

Der Kommerzienrat hatte sich verspekuliert, seine Pläne hatten weiter gereicht als sein Geldbeutel, was in Jahrzehnten Millionen abwerfen konnte, hatte ihm den Ruin gebracht. Er haderte mit Gott und der Welt, prozessierte um Schenkungen, die er früher gemacht hatte und an denen er jetzt seinen Anteil verlangte. So ging der Rest seines Geldes in Prozessen verloren. Und seit er selbst verkracht war, hatte er seinen Sohn ebenso fallen lassen, wie ihn seine Freunde, über deren Gemeinheit er doch so schimpfte. So sah sich sein einst so verwöhnter Sprößling im Elend. Immerhin stand ihm einmal ein nettes Sümmchen zu, wenn seines Vaters Bäume Frucht trugen, und seinen Geschäftsfreunden und Gläubigern gegenüber rechnete er auch schon mit Bestimmtheit auf das Zufallen ganzer Millionen, ja, er erkor diese bereits zur Operationsbasis unlauterer Finanzgeschäfte. Wie alle Degenerierten log er teils unbewußt und glaubte seinen eigenen Flunkereien von Glück und Reichtum, nach denen er so lechzte.

Inzwischen lebte er, zu faul, sich Geld zu verdienen, auf sehr sinnreiche Weise fast gratis. Kleider und Stiefel bezahlte er nicht, er war dann entweder verreist oder insolvent. Seine paar Sachen hatte er bei einer früheren Maitresse untergebracht und »rückte« dorthin mit dem Rest seiner Habseligkeiten, sobald er anderswo seine Zimmermiete nicht bezahlen konnte. Diese Person hatte er ganz auf seine Seite gebracht; sie glaubte an die Millionenerbschaft ebenso fest wie an sein Versprechen, sie später zu heiraten. So war er zu einem Mittelpunkt des Bösen geworden, von dem immer weitere Kreise ausgingen, und den Selbstmord eines früheren Hauptmanns, dem er sein bißchen Geld abgeschwindelt hatte, trug er bereits auf dem Gewissen.

Sein Leben war trotzdem – abgesehen von der Furcht vor der Polizei – ein leidlich gemächliches; aber es genügte seinen Ansprüchen von Jahr zu Jahr weniger, zumal er älter und bequemer wurde und die paar Jahre, wo er noch genießen konnte, ohne zu arbeiten, bald vorüber waren, ohne daß sein Vater ihm den Gefallen tat, zu sterben. Er haderte also mit seinem Schicksal und wälzte gegenwärtig einen satanischen Plan in seinem Busen, zu dem ihm die Erzählungen des kleinen Adolf den Anstoß gegeben hatten. Er plante nichts weniger als einen großen Coup, der ihm mit einem Schlag seine Frau wiedergab, seinen Vater aussöhnte, ihm eine fürstliche Rente verschaffte und die Erbschaft diverser Millionen sicherte. Er war es satt, sich mit Pferdetäuschertricks durchzuschlagen, bald als Reitlehrer in einem Tattersall oder als Starter beim Rennen, wo er wegen Wettschwindeleien schon einmal »geschwenkt« war, oder als Agent und Pferdehändler, wo er auch manches auf dem Kerbholz hatte. Wie durch ein Wunder war er immer dem Strafrichter entwischt, sei es, daß er sich geschickt herauslog oder überhaupt nicht angezeigt wurde, da die dunklen Ehrenmänner, die seine Kunden waren, selbst nicht gern mit den Gerichten zu tun hatten oder bei seiner völligen Insolvenz eine Privatklage für aussichtslos hielten, Aber dies alles kam ihm mehr und mehr vulgär und plebejisch vor, und demgemäß behandelte er auch den »Agenten« Lampe, seinen früheren »Geschäftsfreund«, als er sich mit ihm in der Hinterstube der verabredeten Kneipe traf, heute sehr von oben herab, zumal dieser gedrückt und mit rot umränderten Augen dasaß, ohne etwas Trinkbares vor sich zu haben.

»Sie sehen ja aus wie drei Tage Regenwetter, Aujust,« begann er in dem Berliner Dialekt, den er sich im Umgang mit derartigen Leuten angewöhnt hatte. »Fehlt Ihnen was?«

In seinem Ton lag etwas frech Vertrauliches, ein Gemisch von Überhebung und Kordialität.

»Ach, Herr Baron,« erwiderte dieser, ein gescheiterter Infanterieleutnant, mit unterwürfiger Miene, »nichts als das nötige Kleingeld.«

»So, darum haben Sie wohl ooch noch nischt zu trinken?«

»Ach, Herr Baron, lieber wäre mir was zu essen.«

»Kellner!« rief Carsten und bestellte bei dem schmutzigen Aufwärter, der in einer Morgenjacke herumschlumpte, »eine Flasche Rotspohn und was Warmes zu essen.«

»Ach, Herr Baron,« fuhr Lampe fort, als der dienende Geist hinausgeeilt war, »ich bin Ihnen zu dankbar... Von 'nem alten Kameraden kann man's ja auch annehmen... Ich war zwar nur schäbiger Infanterist und Sie nobler Kavallerist...«

»Jetzt sind wir beide Zivilisten,« lachte Carsten.

»Zu gütig, Herr Baron,« lamentierte Lampe weiter. »Ich habe nämlich seit zwei Tagen nischt im Magen. Habe letzthin für drei Mark täglich bei der Tante Voß geschrieben und wollte nu 'n bessres Geschäft anfangen... Ist mir aber erst recht alles futsch gegangen...«

»So schlecht geht's Ihnen?« gähnte Carsten, der erst vor einer halben Stunde aus den Federn gekrochen war.

»Ach, Herr Baron,« jammerte der zurückgekommene Mensch, »wenn man so im Kadettenkorps groß dressiert ist, nichts ausgebildet als das Sitzfleisch und die andern Muskeln – wohin soll man's da bringen?... Habe auch noch Pech mit meiner Familie gehabt. Die Eltern sind tot und haben mir nichts hinterlassen als zwei putzsüchtige Gänse von Schwestern... Solang ich Offizier war, haben sie Handarbeiten verkauft und Klavierstunden gegeben, damit ich meine Zulage kriegte, aber seit ich um die Ecke bin und die Eltern gestorben sind, wollten sie auch was vom Leben haben. Ans Theater sind sie gegangen, und wissen Sie, wie das so geht, vorgestern abend sah ich die eine mit einem Offizier, einem »Kameraden«, in der Droschke nach Hause fahren... passieren doch komische Geschichten auf der Welt! Prost, Herr Kamerad!«

Damit stürzte er das erste Glas der eben entkorkten Flasche Rotwein gierig herunter. Inzwischen war das »Warme« gekommen, ein Gulasch von Rindfleisch, das in einer rotbraunen, fettigen Brühe schwamm, mit Petersilienkartoffeln. Lampe stürzte sich sofort darauf, ohne die Speise auf den vorgesetzten Teller zu legen, und wartete nicht einmal, bis der Kellner eine weiße Serviette als Tischtuch quer über das rotgemusterte, baumwollene Tuch legte, »Hm!« schnalzte er, »da merkt man doch den Kavalier, wo der Vater Kommerzienrat ist.«

»Den alten Esel soll der Teufel holen, damit ich endlich Millionär werde!« schrie Carsten rüde.

Der kleine Adolf, der bisher an einem Nebentisch sich damit beschäftigt hatte, einige dreißig Phosphorhölzer anzuzünden, horchte bei diesen Worten seines Vaters auf und kam herbei, um von dem eingeschänkten Glas einen kräftigen Schluck zu nehmen. »Prost Blume!« sagte er.

»Schon ganz der Herr Papa,« schmeichelte Lampe; aber Herr von Carsten wies seinen Sprößling zurecht, daß man nur bei Bier von Blume spräche, und schickte ihn wieder an den Nebentisch, um weiter zu kokeln. Als Herr Lampe seinen Hunger an Fleisch und Kartoffeln gestillt hatte, tunkte er die fettige Sauce, die in der Schüssel gerann, mit großen Brotstücken auf. Dann rückte er mit seinem »Geschäft« heraus. »Wissen sie, Herr Baron, weshalb ich Sie um dieses Stelldichein bat?« fragte er näher rückend und tippte dem Gefragten mit der Hand auf den Arm. »Ich habe wieder was. Es fehlt nischt als der Name und die Kavallerieallüren, wie Sie sie haben. Sehen sie hier, Herr Baron: das sind die Schriftstücke, famose Handschrift, was? Auch das einzige, was ich kann...« Carsten begann die Schriftstücke mit hochgezogenen Augenbrauen zu durchlesen, während Lampe noch einen Rest Fett auftupfte und sich dann den fettigen Schnurrbart leckte, ehe er ihn abwischte.

»Aber mein Verehrtester,« begann Carsten, »wo haben Sie denn den Auftrag auf die Lieferung?«

»Wenn's weiter nichts ist, Herr Baron, das machen wir schon,« schmunzelte Lampe. »Die Hauptsache ist, daß wir den Auftrag vermitteln und unsre Provision einstreichen. Denken Sie mal, bei der Riesenlieferung ... Die Leute sind ohnehin vertrauensduselig, und wenn sie dann noch kommen, Baron von Carsten, Rittmeister a. D. ...«

»Major,« verbesserte Carsten.

»Um so besser, Herr Baron ... Das macht noch mehr Eindruck. Sie sind Edelmann und brauchen nicht erst 'n falschen Namen anzunehmen, wie ich das mal mußte, als Herr von Bredow ...«

»Ne,« wies Carsten stolz ab, »solche Schweinehundgeschäfte mach' ich nicht ...«

»Aber, Herr Baron, wir haben doch damals...«

Er wollte ihn an eine Heulieferung erinnern, für welche die beiden eine hohe Provision eingesackt hatten, ohne daß das bestellte Heu überhaupt existierte.

»Schon gut,« unterbrach Carsten, »aber ich will nicht mehr, verstehen Sie mich, das ist unvornehm! Sie sind zu heruntergekommen, Freundchen ...«

»Aber, Herr Baron, was heißt heruntergekommen? Kann einem doch ganz egal sein, was die Leute denken!«

»Mir ist's nicht egal!« rief Carsten, mit der Faust auf den Tisch hauend, daß sein Partner entsetzt auffuhr. »Es wurmt mich, wenn die Herren Kameraden mich auf der Straße nicht ansehen, als wär' ich Luft, oder mir ausweichen, wie 'nem räudigen Köter, und keiner grüßt. Ob ich durch eigne Schuld auf den Hund gekommen bin, ist mir ganz piepe; ich will wieder hoch und 'n Gentleman sein ... Und ich will meine Frau wieder haben, verstehen sie mich – ohne sie bin ich ja doch das elendeste Vieh von der Welt ...«

»Aber werden Sie doch nicht sentimental, Herr Baron; man erkennt sie ja gar nicht wieder,« fiel Lampe ein.

»Himmeldonnerwetter,« fuhr Carsten auf, »ich weiß es besser. Kellner, noch 'ne Flasche Rotspohn! Meine Frau ist ein Engel!«

»Herr Baron, was haben Sie denn eigentlich?« erkundigte sich Lampe und blickte besorgt nach seiner geschwollenen Stirnader. »Trinken sie lieber nicht so schnell!«

»Himmeldonnerwetter!« wiederholte Herr von Carsten. »Kerl, wenn ich Sie nicht mitsamt Ihrem Fraß vor die Tür setzen soll, dann sagen sie nichts über meine Frau. Wer die mal gehabt hat, der kann sie nicht vergessen! Ach, ich war ja damals schon so'n Vieh! Meine Mutter, die hat mich immer geknufft und gepufft oder gegen den Alten gehetzt und gesagt, er scharmutzierte mit Menschern herum und ich sollte ihn ausspionieren. Und später als Offizier hab' ich auch nichts dazugelernt als Saufen und Spielen und Frauenzimmergeschichten. Und da lernte ich die Frau kennen und nahm mir vor, mich zu bessern. Und bei Gott, ein Jahr lang war ich verlobt und kein böses Wort ist über meine Lippen gekommen – bis nach der Hochzeit ... Aber wissen Sie, es war so'n junges und zartes und verwöhntes Ding, das seine mutwilligen Launen hatte ... Und wenn sie so'n schiefen, verächtlichen Flunsch zog, das reizte mich bis zum Wahnsinn ... Und da hab' ich Vieh sie geschlagen ... Um nichts geschlagen ... In die Zähnchen geschlagen, daß eines herausbrach ... Es reizte mich überhaupt alles so, dies gezwungene Soldatenleben, nie ausschlafen, wenn man wollte, immer Maul halten und Hacken zusammennehmen ... Wenn ich dann aus'm Dienst kam, hab' ich meine Wut an ihr ausgelassen, sie gequält und gepeinigt ... Aber mir tat das alles noch mehr weh als ihr ... Auf die Kniee hab' ich mich vor ihr geschmissen und um Verzeihung geflennt und sie wieder gequält und gepeinigt, daß sie mir vergeben sollte ... Und das wurde immer ärger und schließlich hat sie sich scheiden lassen, weil sie's nicht mehr ertragen wollte ... Himmeldonnerwetter, ich könnt' einen umbringen, wenn ich dran denke! ... Mich vor die Tür gesetzt, mich, ihren Herrn und Ernährer! Mein Vater ist Millionär, ich bin preußischer Edelmann, meine Mutter ist 'ne geborene Gräfin ... Und da laß ich mir von so 'nem schäbigen Zivilgericht Frau und Glück rauben!«

Herr Lampe sah ein, daß er gegen diesen Redestrom nicht ankonnte. »Ist denn da gar nichts gegen zu machen?« lenkte er ein.

»Ach, ich habe alles versucht!« stöhnte Carsten, zum ersten Male ohne Faustschlag, »Angefleht hab' ich sie, mich wiederzunehmen. Sie ist ja selbst im Unglück. Wenn sie wieder zu mir käme, werd' ich ja doch wieder eins mit meinem Alten und kriege Geld, und könnte mir Wagen und Pferde halten und zum Rennen fahren und Diners geben und bis Mittag im Bett liegen und alles ... Aber sie antwortet nicht mal. Dann hab' ich versucht, sie aufzukaufen. Als sie ihre Pension anfing, hab' ich ihr Geld angeboten, zweitausend Mark, die ich mir vom Alten für'n gutes Geschäft erdrohbettelt hatte. Aber nicht rühran. Und es hätte so schön geklappt, wenn sie's nahm, kündigte ich ihr nach sechs Monaten das Darlehen und ließ ihr alles pfänden oder sie mußte zu mir zurück ... Schließlich hab' ich versucht, ihr die Kinder wegzunehmen« ... Der kleine Adolf, der am Nebentisch mit halbem Ohr zugehört hatte, spitzte bei dem Wort Kinder seine abstehenden Lauscher und kam wieder herbeigehüpft, ohne daß sein weinseliger Vater, der soeben die dritte »Pulle« bestellte, es diesmal wehrte.

»Na und?« fragte Lampe.

»Bis jetzt hab' ich kein Glück damit gehabt,« erwiderte Carsten. »Die Polizei in ihrem Nest da hab' ich um Beistand reklamiert. Abgeschlagen! Es läge kein Grund vor, die Kinder der Mutter fortzunehmen. Mit Beschwerde beim Ministerium gedroht. Abgeschlagen. Ich sollte mich ans Gericht wenden« ...

»Aber so schaffen sie doch einen Grund,« unterbrach Lampe.

»Das ist's ja!« schrie Carsten und schlug seinem Partner mit der Hand auf den Arm. »Aber das ist leichter gesagt als getan ... Ebenso leicht wie Ihr Vorschlag, ich sollte Ihre Schwindellieferung da besorgen.«

»Wenn Sie das übernehmen, Herr Baron,« entgegnete dieser sich aufrichtend, »dann schaff' ich Ihnen 'nen Grund! Das versprech' ich Ihnen auf Kavalierparole! Eingeschlagen?« ...

»Bei Gott schwört der Jude, wenn er lügt,« hohnlachte der andere.

»Na, dann zeigen Sie mich doch wegen Schwindeleien an. Sie haben mich mit den Papieren ja in der Hand« ... Damit schob er ihm die Schriftstücke hin und Carsten steckte sie in sein Portefeuille, das er hervorzog und aufklappte.

»Also abgemacht,« begann er geschäftsmäßig, indem er ein beschriebenes Blatt herauszog. »Die Sache liegt wie folgt. Man hat ja neuerdings von oben genug Diebskniffe gelernt. Anonyme Briefe à la Kotze-Skandal können unter den Verhältnissen Wunder wirken. Sie hat mir bisher nur zu leid dazu getan – wird doch 'ne rechte Pferdekur sein.«

»Hm, wie denken Sie sich denn das?« forschte Lampe.

»Sehr einfach. Sie brauchen nur zu schreiben, was ich diktiere. Ihre Klaue ist ja das einzig Gute an Ihnen. Wissen Sie,« räusperte er sich, »'ne geschiedene Frau, dazu arm, hübsch, elegant, alleinstehend – das Geklatsch kennen Sie ja in so 'nem Offiziers- und Beamtennest. Der Ruf einer Frau ist so zerbrechlich wie 'n rohes Ei. Sie kann ein Engel sein und kommt schließlich doch in Mißkredit. Besonders die; arglos wie 'n Kind, frei in ihrem Benehmen – das hassen die Leute da am meisten ... Na, und wirtschaften hat sie auch nie gelernt, hat Schulden die Fülle, das weiß ich, – und Geld kriegt sie von niemand geborgt! Also hören Sie: wir schreiben jetzt Briefe an die Gläubiger, sie stände vorm Zusammenbruch; sie sollten ihre Ausstände nur schnell einklagen. Die Adressen kriegen wir leicht. Ich hab' da nämlich 'n Freund, einen Kolonialwarenhändler, bei dem sie kauft, der weiß alles ... Ad zwei weiß ich haarklein durch diesen Biedermann,« fuhr er fort, auf sein Söhnchen weisend, »daß so 'n paar dumme Säbelrassler von Leutnants im Hause verkehren, ihr Blumen bringen und so weiter ... Wir schreiben also an alle ihre Verwandten und Bekannten kompromittierende Briefe, daß der Skandal über sie zu groß würde ... so daß sie schließlich ganz mutterseelenallein steht. Das wird nicht schwer sein, verstehen Sie: in so 'ne Schmutzgeschichte steckt niemand gern seine reinlichen Finger, und wenn auch nicht alles geglaubt wird, etwas bleibt doch hängen. Calumniare audacter et aliquid haeret ... Das ist das einzige Latein, was ich so von der Schulbank her behalten habe – genügt übrigens auch ...« lachte er mit einem grausamen Zucken um die Mundwinkel. »Und dann fahre ich nach ihrem Nest und nehme ihr die beiden Mädels fort; nach den Briefen hab' ich doch wohl das Recht dazu ... Dann ist's erreicht, wie beim Hoffriseur Haby,« sagte er, sich die Schnurrbartspitzen nach oben drehend, und blickte Herrn Lampe stolz an.

In diesem Augenblick brach der kleine Adolf in ein Jubelgeheul aus. Er malte sich bereits aus, wie er mit Anna aus Zuckerdüten lutschte und Agathe ungestraft ihre Püffe vergalt.

»Halt's Maul, Bengel,« fuhr Carsten dazwischen, »oder ich brech' dir die Knochen.« Dann setzte er sein Gespräch fort. »Die Kinder läßt sie nämlich nicht bei mir. So 'n Weibsbild läßt sich ja eher totschlagen, als von seiner Brut zu lassen,« erklärte er mit dem gleichen krankhaften Zucken um die Mundwinkel. »Das weiß ich, da kommt sie lieber zu mir zurück ... Ja, nach diesen Briefen muß sie mir überhaupt dankbar sein, daß ich sie noch wiedernehme, so 'ne gefallene Dirne. Denken Sie mal, was ich dann für 'n Druck auf sie ausüben kann und ihr alles vergelten, ihren Eigensinn und ihre freche Scheidung, die mir mein ganzes Unglück eingebrockt hat.«

»Das ist aber doch alles viel zu durchsichtig,« wandte Lampe ein. »Sie wird sofort sagen, daß Sie der Urheber der Briefe sind. Glauben Sie, die Frau fällt darauf rein? Sie wird sich ans Gericht wenden und Ihre Kinder Ihnen wieder abjagen.«

»Immer jemütlich, Aujust,« lachte Carsten. »Erstens mal bin ich nicht so leicht aufzutreiben in der Weltstadt und kann einen Decknamen benutzen oder 'n falschen Namen annehmen, bis ich sie kirre habe. Oder ich gehe mit den Kindern ins Ausland. Dann sieht sie sie nie wieder. Und zweitens schreib' ich doch natürlich auch einen Brief an mich selbst und an meine Eltern, und dann wird der Alte in seiner Eitelkeit schon auf meine Seite treten und die Kinder eventuell zu sich nehmen, bis sie klein beigegeben hat. Ne, der Schein ist auf meiner Seite und die Leute vom grünen Tisch gehen immer dem Schein nach. Und wenn jemand kommt und sagt, ich hätte die Briefe geschrieben – den Schuft fordr' ich vor die Pistole! Himmeldonnerwetter, so 'n Aas, so 'n Verleumder, so 'n Ehrabschneider! Das ist mir gerade recht. Da komm' ich durch ein Duell wieder zu Ehren bei meinen Herren Kameraden. Mit der Pistole in der Hand kommt man durchs ganze Land! Und wenn ich draufgehe, ist's auch piepe, dann hat die liebe Seele Ruh! Jedenfalls will ich dies Sauleben nicht weiterführen!«

Herr Lampe hatte, während Carsten perorierte, unbemerkt die Hand auf das Portefeuille gelegt. Dann zog er es mit raschem Griff an sich und ließ es in der Brusttasche seines schäbigen Kittels verschwinden.

»So, Herr Baron,« sagte er, »und dafür, daß ich Ihnen zu alledem die Hand biete, daß Sie Ihr Weibchen wiederkriegen und wieder 'ne Revenue vom Alten, daß Sie wie 'n Fürst leben können, dafür wollen Sie mir hundert oder hundertfünfzig Mark Agenturgebühren verschaffen. Wirklich sehr nobel! Sie werden mir gefälligst zehn Prozent von Ihrem Einkommen geben, verstehen Sie mich, so ist's unter anständigen Geschäftsleuten Sitte. Manche Geschäfte geben sogar bis dreißig Prozent Provision und mehr.«

»Ja, das könnt' Ihnen so passen,« schmunzelte Carsten. »Möchten sich auch nobel anziehen und Geld verjuxen und mit hübschen Mädels Droschke fahren, wie Ihre Fräulein Schwestern und so ... Sie glauben wohl, ich sei besoffen und ließ' mir 'n Bären uffbinden ... Nee, mein Jungchen, so haben wir nicht gewettet.«

»Dann werd' ich Sie wegen anonymer Schwindeleien anzeigen, Herr Baron.«

»Und ich sie wegen Betrug.«

»Bitte! Die Papiere stecken in meiner Brusttasche, ebenso Ihre anonymen Konzepte,« sagte Lampe aufstehend. »Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts.« Mit diesen Worten eilte er zur Tür.

Carsten war aufgesprungen und wollte ihn zurückhalten, aber er riß sich los. Da packte der Trunkenbold die halbleere Rotweinflasche und holte zum Schlag aus. »Ein Schuft sind Sie!« brüllte er, den Schlag führend; aber Lampe parierte ihn mit dem Arm. Die Flasche zersplitterte klirrend und fiel zu Boden.

Der kleine Adolf stieß einen Angstschrei aus und der schmutzige Kellner stürzte entsetzt herbei, während die Gruppe noch stand.

»Das werden Sie noch zu bereuen haben, Herr Baron,« schrie Lampe, sobald der Kellner da war. »Sie haben mir den Arm zerschlagen, der Kellner ist Zeuge. Wir wollen doch sehen, ob's im Deutschen Reich keine Gefängnisse mehr für verkommene Raubritter gibt ...«

»Donnerwetter, Lampe, bleiben Sie hier und machen Sie keinen Teps!« rief Carsten plötzlich ernüchtert und hielt den Durchgänger am Rockzipfel fest, während der Kellner schimpfend die Scherben aufsammelte und die Rotweinlache aufwischte. »Verzeihen Sie, mir ist der Wein zu Kopf gestiegen ... Kommen Sie, wir wollen uns wieder vertragen ...«

»Und die zehn Prozent?«

»Na, meinethalben. Ich bin ja kein Unmensch. Vorausgesetzt freilich, daß Sie reinen Mund halten, Bürschchen!«

»Bitte, geben Sie mir das schriftlich!« verlangte Lampe frech.

»Schön, schön,« lallte Carsten. »Kommen Sie mit mir nach Hause. Da können wir alles in Ruhe abmachen. Hier können wir doch nichts schreiben ... Na, also prost! Gute Verrichtung! Werden mich doch nicht sitzen lassen?«

Dann griff er nach seinem Weinrest und stieß mit ihm an.

»Soll pünktlich besorgt werden, Herr Kamerad! Prost auf die Verlobung! Nehmen mich hoffentlich später zum Hausfreund!«

»Ne, danke, so'n Schuft wie Sie ...«

»Gott, Herr Baron,« seufzte Lampe, sich den Hut aufstülpend, »die Zeiten sind zu schlecht!«

Damit schoben beide zur Tür hinaus, von dem kleinen Adolf gefolgt, und turkelten der nächsten Droschke zu.

»Ich bezahle das nächste Mal, wenn ich mehr Moneten habe,« rief Carsten dem verdutzten Kellner nach. Dann fuhren sie nach seiner »Privatwohnung«, wie Carsten mit Betonung sagte, zum Unterschied von der »offiziellen«, in der ihm nichts gehörte als Wäsche und Kleider. Noch am Abend steckte Carsten selbsteigen einen Packen Briefe in den blauen Kasten. »Ein kleiner Sedanscherz,« murmelte er schadenfroh.


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