Balder Olden
Das Herz mit einem Traum genährt
Balder Olden

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Achtzehntes Kapitel

Cilli trug Crêpe, einen wehenden, langen Witwenschleier im Nacken, und auch Aennchen von Tharau war schwarz gekleidet. Diese Witwe mit ihrem zwanzigjährigen Gesicht, das Waislein an der Hand, sah herzbewegend aus, so traurig und schön, daß jeder fremde Mann das Gefühl hatte, er, gerade er, müsse sie aufrichten.

Die Elektrische vom Innsbrucker Bahnhof stampfte und wackelte mühsam durch die Stadt, die breite Allee hinunter, die zum Kabinett des Dr. Caligari führte. Cilli dachte an ein Auto, das ihr nie schnell genug gewesen, an den funkensprühenden Trab ihrer Feldberg-Füchse und an Bäcker-Carls gespenstische Schnelligkeit.

Sie trafen Onkel Clemens allein in seiner Klause, er sah die Trauerkleider und fragte nicht, kondolierte nicht. Was zwischen den Braunsburg-Basen und ihren Männern gespielt hatte, wußte er, man wußte es im ganzen Land Tirol. 283

Aennchen von Tharau war müde von der Fahrt und bedrückt; zum erstenmal in ihrem Lebensläuflein Eisenbahn, zum erstenmal fort vom Toblacher See. Sie war froh, einen Winkel auf dem klassischen Diwan zu bekommen, streckte sich und machte die Augen zu. Ihr Apfelgesicht hatte der Schlaf schon rot übermalt, als Cilli Tee auf dem marokkanischen Bänkchen servierte, ein bißchen mitgebrachten Kuchen und alles: Zitrone, Rum, Zigaretten so aufbaute, wie Onkel Clemens es gewöhnt war. Dann mußte er sich neben Aennchen von Tharau legen, Cilli saß im tiefsten Sessel, und über das Teebänkchen hinüber ging ihr müdes Gespräch.

»Ernst ist tot«, erzählte sie. »Felicitas hat ihn umgebracht, ich weiß auch, wie, erst hier und dann in Südamerika. Aus Dankbarkeit hat er uns zu ihren Gunsten enterbt. Aber ein Pflichtteil bekommen wir doch, Camillo bringt die Kinder hinüber, und sie bleiben drüben, wo das Geld ist. Dann läßt sie uns wahrscheinlich den Feldberg, er ist gut im Stand und schuldenfrei, man kann ihn verkaufen.«

»Das Testament könntest du anfechten, glaube ich.«

»Nein. Ich war Ernst keine Frau, und Aennchen ist wirklich ›von Tharau‹, ist nicht sein Kind. Wenn wir überhaupt etwas bekommen, ist es unverdient genug. Was macht dein Harem, Onkel Clemens?«

»Stark im Abbau, danke der Nachfrage, Cilli.«

»Mit vierzig Jahren Abbau! Du bist viel zu jung!« 284

»Die Jahre sind's nicht, Cillikind, aber meine Neugier hört auf. Wenn eine neue Frau sich in Aussicht stellt, weiß ich alles voraus, und selbst die Enttäuschung enttäuscht mich. Seit du fort bist, fehlt auch das Echo, – wem soll ich erzählen, wenn es süß und bitter war und vorbei ist? Zu jeder Liebsten braucht man eine Vertraute, der man beim ersten Kuß schon beichten möchte, wie er geküßt wird. Aber in meinem Alter findet man die kluge Freundin nicht mehr, nur noch Geliebte . . . Ich bin in die Jahre gekommen, in denen ein Mensch sich nach seinem Beruf umsieht. Ich lese die Bibliotheken leer, die ich in zwanzig Jahren zusammengeerbt hab, manchmal leih ich mir sogar auf der Universität ein Buch aus.«

»Hast du ein Fach?«

»Ich sammle Material über das erotische Leben der Männer, die wirklich im Leben etwas bedeutet haben. Architekten, Feldherren, Schmetterlingssammler und Großbäcker – alles außer den Künstlern, denen ich ihre Glasur abkratzen will. Die haben die ganze Welt mit einem Trick hereingelegt, um ihre Produkte an den Mann zu bringen. In zwanzig Jahren hoffe ich, das Material beisammen zu haben, um zu beweisen, daß . . .«

». . . daß die Liebe gar keine Rolle spielt, nicht wahr, Onkel Clemens?«

»In dem Sinne nicht, als sie die Welt regieren 285 soll. Sie ist eine für bestimmte Jahre typische Krankheit, biologisch nicht wichtiger als Zahnfieber.«

»Ist es nicht seltsam, Onkel Clemens, daß ich selbst dies Zahnfieber nicht kenne – und zu ewiger Jungfräulichkeit verurteilt bin?«

»Du?«

»Ich hab ein vierjähriges Kind, ich war verheiratet und hatte Liebhaber. Aber an der Stelle, wo man Frau wird, bin ich unberührt geblieben und weiß jetzt auch, daß ich es bleiben werde. Als die Nachricht von Ernsts Tod kam, hab ich geweint und bereut. Aber auf einmal hab ich gewußt, daß ich mir etwas vorbereue und vorweine, und daß es immer so war, wenn ich Erlebnisse hatte. Ich stehe dann vor einem Publikum, das Cilli heißt, spiele die tragischen Rollen, bin das kluge Mädchen, das rührend gute Mädchen, die fanatisch Liebende, die Bestie in Unterröcken, die ungeheuer tüchtige Gutsherrin. Im Wochenbett und in der Narkose sogar hab ich dem Professor nur ein paar Zeilen ins Tagebuch diktiert und war blitzstolz, weil er's wirklich hineingeschrieben hat. Ohne das hätte ich Schauspielerin werden können, aber auf der Bühne muß man wirklich sein, was man darstellt.«

»Als Nichte, glaub ich, warst du ein bißchen echt? Mindestens war's deine beste Rolle.«

»Ich will dir auch sagen, warum, Onkel Clemens. Mit dir kann man sprechen, alle anderen Menschen, 286 die mir begegnet sind, haben nicht sprechen können. Sie hatten's nicht gelernt, sie hatten keine Zeit, sie töten das einzige Glück, das der Mensch hat, mit ihrem Beruf ab.«

»Da ist was dran, Cilli. Gut Reden ist eine seltene Kunst.«

»Eigentlich bin ich schon müd, Onkel Clemens, aber ich muß im Leben noch schrecklich viel Theater spielen, tragische und derbe Rollen, bis ich eine ganz alte Jungfer bin. Wenn du in deinem Buch auch über die leidenschaftlichen Frauen schreibst, dann vergiß mich nicht. Auch in ihrem Leben spielt die Liebe selbst keine Rolle.«

Es war dunkel geworden, das Licht im Weihwasserkessel wurde angeknipst, Cilli verbrannte einen Kiefernzweig und schnoberte den harzigen Duft ein.

»Ich bin so unsagbar vergeßlich! Selbst diesen Geruch hatte ich nicht mehr in der Nase. Plötzlich fällt mir alles wieder ein.«

»Du hast zuviel gerochen in dieser Zeit.«

»Ja, Schminke, Weihrauch, Schweiß, Lysol, Kuhstall, Rennpferd, Mann und Pulverrauch. Von der Schießerei auf Feldberg hab ich dir noch gar nichts erzählt, das wird eine schöne Abendstunde. Da hab ich mir in einer einzigen Nacht drei große Rollen vorgespielt, das war eine Nacht! . .«

»Aber der arme Praxmarer, Cilli! Der hätte es 287 besser verdient, als nur Statist auf deiner Bühne zu sein.«

»Er war auch das nicht, Onkel Clemens. Er hat nie mitgespielt, sondern geträumt. Sobald er aufgewacht ist, hat er Morphium verlangt. Nachtwandler und Komödiantin, wir waren ein seltsames Paar. – Aber jetzt gehn wir schlafen, du nimmst das Aennchen von Tharau mit in dein großes Bett, dann schließt die Geschichte deines Harems mit einer ganz jungen, aber sehr zuverlässigen Aquisition ab. Ich möchte um alles kein Mann sein. Schade, daß du mich übersprungen hast.«

»Ihr müßt ins Hotel, Cilli, ich telephonier ein Auto her.«

»Wir denken nicht dran. In zehn Minuten liege ich in deinem seidensten, buntesten Pyjama auf diesem Diwan und schlafe zum erstenmal wieder gut, seit du mich verjagt hast. Widersprich nicht, sonst leg ich mich zu dir ins Bett, und wir reden die ganze Nacht davon, daß das Leben eine mißliche Sache ist.«

»Aber das Aennchen wird Hunger bekommen, und wir haben auch nichts zu Nacht gegessen.«

»Du bist so klug, Onkel Clemens, du bist mein Leib- und Taschenphilosoph. Essen ist herrlich, man wird warm, schon beim Drandenken, und es bringt so viel Wirklichkeit.«

Als eine Stunde später Clemens neben Aennchen von Tharau im Bett lag, mit einem Buch, in 288 dem er vorsichtig blättern mußte, um seine Schlafgenossin nicht zu stören, erschien Cilli noch einmal in der Tür.

»Jetzt spiel ich mir drin eine schöne Rolle vor, Onkel Clemens: ein Kind, das sich verlaufen hat, im Wald herumgeirrt ist, aber endlich nach Hause findet. Schad, daß es nur eine neue Rolle ist.«

 

Ende

 


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