Balder Olden
Das Herz mit einem Traum genährt
Balder Olden

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Siebzehntes Kapitel

Genua wurde in guter Zeit erreicht, im Hafen lag, wie ein Dom zwischen alten Fachwerkhäusern, der »Giulio Cesare« und dampfte leise, blaue Wölkchen zum Himmel. Dort stand die schöne, von poliertem Holz glänzende Wohnung bereit, zwei Zimmer mit Messingbetten und vielen elektrischen Lampen, zwischen ihnen das eigene Bad, eine behagliche Wohnung, Praxmarer und seine Pflegerin von den Küsten der Armut zum Gestade des Reichtums zu tragen.

Aber ein ganz programmwidriger, von den Aerzten nicht vorausgesagter Fieberanfall stemmte sich zwischen Praxmarer und sein Ziel, so tückisch vom Schicksal erdacht, daß Felicitas' Hände zum erstenmal schwach wurden.

Man kann wohl krank sein an Bord eines so prachtvollen Schiffes, das mit einem Stab von Aerzten und Pflegern, mit Hospital und Apotheke auf jeden Zwischenfall gerüstet ist. Vielleicht wird man dort 269 schneller gesund als an Land, denn das Stampfen der Maschine ist gute Musik. Jeder Ruck, den die Kolben tun, bringt einen dem Ziel und der Rettung näher, das würde Praxmarer ein gewichtiger Heilfaktor sein. Aber man wird nicht krank an Bord genommen, Argentinien gestattet nur gesunden Menschen, seinen goldenen Boden zu betreten. Um das amtsärztliche Gesundheitsattest, das zum Visum gehörte, hatte Felicitas schwer gekämpft. Vom Fenster des Hotels sah sie den stolzen »Cesare« am Abend im Glanz seiner Lichter den Hafen verlassen . . .

Ein Arzt hätte vielleicht gemeint, dieser nach einer schweren Operation wieder Fiebernde sei nicht transportabel. Falls von den bösen Mikroben, die ihn an den Rand des Grabes gebracht, ein kleiner Stamm noch viril sei, müßten sie beobachtet und neu bekämpft werden, Bakteriologe, Internist und Chirurg hätten als geschlossene Garde an sein Lager zu treten. Ein Arzt hätte die Reise rundweg verbieten können, ein Arzt durfte nicht an Praxmarers Bett. Felicitas wußte allein, wie man Fieber mit nassen Tüchern und kleinen Medizinen bekämpft, mit Morphium einen tiefen Schlaf erzwingt, mit Champagner den sinkenden Mut eines Kranken von Praxmarers seelischer Konstitution wieder aufrichtet. »Kein Arzt!« hatte er selbst, fast drohend, befohlen.

Bald fuhr ein kleines Schiff derselben Linie, auf 270 dem ihre Karten Gültigkeit hatten, es hieß »Speranza« und nahm Praxmarer, obgleich er vor Schwäche taumelte, gastlich an Bord. Er tat eine Bemerkung zum Arzt, daß er malariakrank gewesen, vor Jahrzehnten, und diese Rückfälle längst gewöhnt sei. Zwei oder drei Tage, länger hielt das nicht an. Nun lag er in einer bescheidenen Kabine und zerbiß sein Taschentuch, bebend vor Angst, man könnte kommen, um ihn auszubooten. Dann war der Feldberg verloren, ein Reichtum in den Cordilleren galt dann nichts. Ihm war, als ob der Tod Verdammnis sei, ehe Caspari die Geierfänge von seiner Beute gelöst, ehe das Gut frei war, das ihm aus zahllosen Fenstern Abschiedssignale geblitzt.

Die »Speranza« war ein langsames Schiff, auch ihre Kolben stampften »Hoffnung, Hoffnung«, aber tröstlich nur für Reisende, denen nicht Tod und Caspari zugleich im Nacken sitzen. Deshalb war die Kajüte erster Klasse fast unbewohnt, so gemächliche Fahrt ist nicht Sache der Zahlungskräftigen. Die »Speranza« legte in Neapel an, während der »Giulio Cesare« seine stolze Fahrt schnurstracks auf die Straße von Gibraltar genommen, während der Geier den Feldberg umkreiste, während ein siebenunddreißig Schreibmaschinenseiten langes Pfändungsprotokoll noch in Kraft war und der Hammer des Auktionators schlimmer drohte als Gottes Blitz und Erdbeben. 271

Lange Briefe wurden an Miranda gefunkt, und er gab beruhigende Antwort. Die Hunderttausend waren bereit, wurden ausgezahlt, sobald Praxmarer den Fuß in Mirandas Eskritorio setzte, wurden zunächst gegen Wechsel ausgeschüttet, um keine Zeit zu verlieren, später dann in Ruhe hypothekarisch eingetragen. Auf die Stunde pünktlich würde alles erledigt sein, auf die Stunde sollte Praxmarer seine Ankunft melden.

Rechnen und raten, mit Stunden kalkulieren bei einem Schiffchen wie der »Speranza«! Wenn sie ihren Fahrplan einhielt, wenn alles sich vollzog, wie Miranda versprach, blieb ein Spielraum von vierundzwanzig Stunden der Caspari abgerungenen Gnadenfrist. Vierundzwanzig Stunden ehe der Auktionator sich den weißen Kragen umschnallte und den Hammer zückte, konnte ihn die Bank für Tirol und Vorarlberg an die Kette legen.

Aber eine »Speranza«, fast ohne Passagiere, mit wenig Fracht! Vielleicht blieb sie in Rio ein bißchen länger, um Kaffee für Argentinien zu laden, vielleicht hielt ein Sturm sie auf oder ein Hebel der alten Maschine wurde locker, mußte repariert werden? Aus dem Schlaf fuhr man schreiend auf, weil der Kahn plötzlich nicht mehr zu stampfen schien, jedes Wölkchen am Himmel war schreckliche Drohung.

Dann errechneten Schiffsarzt und Zahlmeister, daß 272 man bei guter Fahrt noch vor der »Cap Polonia«, die von Hamburg kam, in den Hafen von Rio einlaufen würde. Es ging um Stunden, aber wahrscheinlich glückte es. In diesem Fall könnten die Herrschaften von Rio bis Buenos Aires den schnellsten Dampfer im Süd-Amerika-Dienst fangen und gewannen ihre vierundzwanzig guten Stunden.

Das war Trost, ein bitterer »Wenn-Trost«.

Neue Telegramme – auf der »Cap Polonia« waren zwei Kammern frei, aber teuere Kammern. Felicitas führte die Kasse, mit gerunzelter Stirn schrieb sie Zahl auf Zahl und subtrahierte, versuchte angstvoll, den Bleistift an trockenen Lippen zu feuchten. Es reichte nicht . . .

Wieder Miranda! Aber der schien verstimmt, gnadelos. Viele Stunden rannen, er gab keine Antwort. Flehentlich wurde er zum zweitenmal angefunkt: noch tausend Peso nach Rio! Gegen jede Bedingung, jedes Opfer.

Miranda war ein Mensch, gutherzig und fleißig, aber ein Mensch, kein Gott, kein Schreibtisch. Er hatte ein bißchen Urlaub genommen. Nach drei Tagen, die zähes Gift waren, kam endlich Bescheid. Er zahlte die Tausend sofort an die Agentur der »Cap Polonia«, Praxmarers Plätze wurden telegraphisch gebucht. Als man das schwarz auf weiß in Händen hielt, war eine Hölle durchwandert. 273

Jetzt wurde es leicht. Der Kapitän bat die Erster-Klasse-Passagiere, an seiner Offizierstafel Gast zu sein. Felicitas war die einzige Dame an Bord, die einzige Dame unter sieben italienischen Hochseekavalieren, die ihr zart und respektvoll huldigten; drei Offiziere, zwei Ingenieure, zwei Aerzte.

Auch Praxmarer, der plötzlich wieder Don Ernesto hieß, dem die Gesellschaft von berufstätigen Männern wohltat, wurde gesellig. Wie lang hatte er nicht mehr Spanisch gesprochen! Ihm schien, Don Ernesto sei ein anderer Mann als der wunde Praxmarer, ein jüngerer, besserer Mann, der sich nicht gegrämt hatte, bis er alt, krank und lasterhaft geworden. Die Seeluft tat gut, Kräfte kehrten wieder, er erzählte den Kollegen vom Maschinenfach, was er durch fünfundzwanzig Arbeitsjahre seines Lebens in Ostasien und Argentinien geschafft hatte. Die beneideten ihn:

»Wir haben nur Kilometer gefahren, Sie haben Kilometer gebaut, Don Ernesto! Was Sie geleistet haben, bleibt!«

Ohne Hilfe, nur auf den Stock gestützt, ging Ernesto mit Felicitas und den dienstfreien Herren in die zweite Klasse hinunter, wo im Speisesaal Kinovorstellung war. Da reisten brave, junge Männer, die etwas gelernt hatten und drüben ihr Leben bauen wollten, ein paar tüchtige Mädchen, denen Europa zu wenig Hoffnung bot. Soviel Kraft und 274 Zuversicht war dort unten beisammen. Alle wollten Rat und Auskunft von ihm, dem alten Herrn von siebenundvierzig Jahren, der seinen Weg in Argentinien gemacht. Wenn diese Jugend ihren Charlie Chaplin bejauchzt und ihre ernsten Gespräche geführt hatte, kam das Grammophon, kam der Tanz, das Werben um die schönen, tüchtigen Mädchen. Gute Luft war in dieser Gesellschaft, die ihren Tag zu nützen wußte. Seit er Student gewesen, hatte Praxmarer nicht so viel von anderen Menschen bekommen und genossen wie in diesen Wochen zwischen dem Tor von Gibraltar und den Zackenfelsen im Märchenhafen von Rio.

In letzter Stunde, schon in der Hafeneinfahrt, verwickelte ihn der Kapitän, um seine neu auftobenden Nerven zu beruhigen, in eine Schachpartie. Praxmarer spielte heftig und genial, wie hellsichtig, denn eigentlich tobte durch sein Herz die Angst: erreichen wir die »Cap Polonia«?

Felicitas ging und kam: spiel nur ruhig, wir haben noch Zeit.

Der Kapitän wollte sich nicht besiegen lassen. Er überlegte jeden Zug viertelstundenlang, nahm ihn zurück, ging in der Rauchkabine auf und ab. Ernesto überkam der Morphiumhunger, er schleppte sich in seine Kammer. Als er leichter und frischer zurückkam, hatte der Kapitän endlich gezogen. Ernesto übersah das Spiel, die trüben Augen flammten 275 auf, helles Glück überschien ihn, Triumph war nah, Zweifel drängte sich ein, dann leuchtete sein Gesicht, wie es im Leben selten geleuchtet hatte.

Ein Zug nur: »Matt, Capitano!«

»Speranza!« rief der Kapitän. »Sie brauchen in Amerika nichts zu fürchten, Don Ernesto!« Er umarmte ihn. »Auf Wiedersehn in Buenos Aires!«

Die »Speranza« lag schon fest am Quai. Riesenhaft über die Wasser ragend, wurde die »Cap Polonia« in ihrem Kielwasser eingeschleppt.

 

Zum Haus Dr. Mirandas führte das Auto und zu seinem Eskritorio ein Lift. Trotzdem kam Praxmarer ganz entkräftet an und selbst Felicitas mit fliegendem Atem.

Ein Sechzehnjähriger mit abstehenden Ohren und ein schönes spanisches Mädchen saßen beisammen, mit Butterbrot und Kreuzworträtsel beschäftigt.

»Der Doktor ist nicht da«, rief der Junge und ließ die Ohren flattern; dann rätselte er weiter: »Ein Fuß mit sieben Buchstaben?«

Praxmarer fiel in einen Stuhl.

»Wann pflegt er zu kommen?«

»Verschieden – ein Vaterlandsbefreier mit acht Buchstaben?«

»Wahrscheinlich gar nicht«, bemerkte freundlich das Mädchen und wickelte ein neues Butterbrot aus der »Critica«. »Seit drei Tagen war er nicht da.« 276

»Krank? . .«, hauchte Felicitas.

»Vielleicht tot«, erklärte der Junge. »Bei unserem Doktor weiß man das nie.«

»Können Sie nicht telephonisch . . ?«

»General Belgrano!« rief das Mädchen glücklich. »Acht Buchstaben und Vaterlandsbefreier.«

»Rufen Sie doch in seiner Wohnung an«, drängte Felicitas.

»Die Señora Miranda weiß auch nicht, wo der Doktor ist.«

»In seinem Klub?«

»Nicht dort.«

»Ich heiße Praxmarer, haben Sie keine Mitteilung für mich?«

Die beiden unterbrachen Spiel und Speisen, um nachzudenken.

»Da war doch ein Telegramm?«

»Nein, das war nicht Pratzemare.«

»Doch, Emilio Pratzemare.«

»Ernesto!«

»Ja, Señor Ernesto! Aber das ist im Registrator.«

»Seht doch nach.«

»Der ist im Safe. Der Doktor hat den Schlüssel. Also: eine europäische Hauptstadt mit . . .«

»Bin ich pünktlich?« fragte ein kleiner Herr mit grauen Schläfen und dem Kopf eines römischen Dichters, der die Genüsse des Leibes besingt. »Sie sind Ernesto Praxmarer, wollen Sie mich der 277 Señora vorstellen? Kommen Sie näher, meine Herrschaften, der Wucherer erscheint in fünf Minuten.«

Miranda führte seine Klienten in ein feierliches Arbeitsgemach mit tiefen Klubsesseln. Er sah elegisch fröhlich aus, als träumte er von gedämpften Nachtigallenzungen und dem Tanz nur mit Weinlaub geschmückter Campagnatöchter.

»Ihre Angestellten wußten nicht, ob Sie leben«, sagte Felicitas und wies auf den erschütterten Praxmarer. »Sie seien unerreichbar.«

»Oh, ich habe meine Winkel, Señora. Ein Advokat muß nicht immer erreichbar sein.«

»Auch Señora Miranda wüßte nicht . . .«

»Señora Miranda ist eine Heilige«, gab der Doktor verklärt zur Antwort und dachte an seine heimlichen Winkel.

Gleich darauf erschien ein Riese englischer Abstammung und stellte sich als Bevollmächtigter eines Wucherers vor.

»Sie sind gut für jeden Betrag, Don Ernesto«, erklärten beide Herren. »Aber unsere Banken arbeiten nicht rasch, eine einfache Sicherheit genügt ihnen nicht. Rasche Operationen macht nur ein Wucherer.«

Dann wurden die Bedingungen vorgelegt – Praxmarer war zehnmal Schlimmeres gewöhnt. Was 278 sich hier selbst Wucher nannte, wäre in Oesterreich unglaubhafter Altruismus gewesen.

Er legte seinen Paß vor, schrieb seinen Namen quer auf ein Wechselformular, bekam einen Scheck, und eine Stunde später zuckte der Radio pfeilgerade Wellen nach Tirol und Berlin, befreite sein Haus und machte sein Herz frei. Ein dicker Schlußstrich war unter Praxmarers Konten gezogen.

»Schon vor Monaten hätten wir diese Operation machen können«, erklärte Miranda seinen Gästen abends im Jockeiklub. »Ihr Besitz war schon damals das Dreifache wert. Durch Generationen sind in Argentinien die Eisenbahnunternehmer reich geworden, weil sie ihre Pläne geheim halten. Nur vor den Herren Ingenieuren gibt es kein Geheimnis. Ich gratuliere und trinke auf Ihre Gesundheit, gnädige Frau, Ihre Gesundheit, Don Ernesto! Jetzt aber bitte nichts mehr von Geschäften.«

 

Doña Dolores de Schneiderli umarmte Ernesto unter strömenden Tränen, er schien ihr aus dem Grab zu kommen.

»Ein bißchen weiß, aber ganz wie damals!« log sie, und wenn das Schluchzen sie würgte, sprach sie von Niëves.

»Wie sehr caballero, daß du uns noch einmal besuchst, Ernesto!«

Dann fiel ihr ein, daß dies »noch« nur bedeuten 279 konnte »noch einmal vor dem Ende«, und streichelte mit Mutterhänden sein schon gezeichnetes Gesicht.

Die Estanzia war größer und stattlicher geworden, auch Professor Schneiderli hatte in Eisenbahn-Terrenos brav spekuliert. Neue Kinder hatte Dolores brav und gehorsam zur Welt gebracht, sie stand kurz vor dem vierzehnten. Das balgte sich wie einst mit Füllen, Kälbern und Ferkeln auf der Koppel herum, war eine Wolke voll Elektrizität oder ein Wald voll Leben, Arme, Beine und Stimmen in einziger Wirrnis.

»Deine Bahn hat uns allen Segen gebracht, Ernesto!« lachte und weinte Doña Dolores und trug ihren schweren Leib als eine gewohnte Last. »Wir sprechen oft von dir, niemand hat dich vergessen. Du bist zur Inauguration von Praxmarer gekommen?«

Ernesto wußte nicht, was sie meinte.

»In acht Tagen wird doch eine neue Station im Gebirge nach dir benannt! O schmerzreiche Mutter, er weiß es nicht! Wie naiv, wie sympathisch! ›Praxmarer, alles aussteigen!‹ wird man dort jeden Tag rufen, in fünf Jahren wird Praxmarer eine Stadt sein, Ernesto!«

Aber sie dachte nicht mehr daran, Ernesto eine ihrer heranwachsenden Töchter als Braut zu verloben. Auch dann nicht, als sie erfuhr, daß die düstere Begleiterin nicht seine Frau war. 280

Zum Abschied sagte sie und schlug das Kreuz über ihn:

»Wie ich dich liebe, Ernesto, wie caballero du immer warst! Ich habe bald vierzehn Kinder, aber keins wird ein besseres Los finden, als Niëves es fand.«

Im Hotel zu Tucuman loderte das Fieber neu auf, gegen das ein morphiumverseuchter Körper keine Abwehr hat. Praxmarers Augenlicht erlosch, sensationslos, als ginge wie jeden Tag die Sonne unter. Lähmung um Lähmung kam, aber er verbat sich Krankenhaus und Aerzte. Kampfer würden sie ihm geben, die Peitsche seinem Herzen, statt der Ruhe. Nein, keinen Arzt, nur Morphium ohne Kampfer!

 

Es kamen die Tage der Angst. Jede Katze, die Praxmarer, als Knabe vielleicht, beleidigt hatte, zückte aus der Vergangenheit hervor drohend die Krallen wider ihn. Caspari saß auf seinem Leib, mit gelben Augen, sein Raubvogelschnabel hackte sich Därme zutag. Der Gutsverwalter, sein Fräulein Braut und Cilli selbst umstanden mörderisch Praxmarers Bett, sangen hell im Chorus das Sterbelied: »Wann i zruck denk an mei junges Leben, wo i scho bin mit die Buama glegen« –. Jetzt mußte Felicitas auch nachts bei ihm sein, das Lied nahm kein Ende: »Erst am Heuboden, dann im Kuhstall, weiß der Teixel, wo noch überall«. 281

Wie ein Soldat im Glied streckte sie sich neben ihn, Beine geschlossen, Kinn angezogen, Lippen aufeinander gepreßt. Sie bettete seinen weißen Kopf an ihre Brust und hörte seine Delirien an. Aus Verfolgungsqual erwachend, klammerte er sich an sie, streichelte ihr Gesicht und fragte im Dialekt seiner Kinderheimat: »Gell, du bleibsch bei mir?«

»Bis zur letzten Stunde«, sagte sie und fühlte ihr böses Herz voll Zärtlichkeit.

Leise atmend, die Brauen gerunzelt, daß sich unverwischbare Linien der Verruchtheit um die Nasenwurzel gruben, lag sie stundenlang unbeweglich, bis trotz der schweren Last seines Kopfes auch ihr der Schlaf gnädig war.

Sie ging Zukunftsbildern entgegen, heller als das Vergangene, dachte an Praxmarers Testament, von ihr diktiert, schon längst in ihrer Verwahrung, das mit den Worten begann: »Als kleines Zeichen meiner Dankbarkeit und Verehrung setze ich Frau Felicitas del Ayala, geb. Baronin Braunsburg, zu meiner Universalerbin ein«, und grausig mit den Worten schloß: »Ich rufe den Segen des Himmels auf meine Lieben herab.« 282

 


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