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Johannes Evangelist.

( Der Eremit im Walde.)

Was mag im Walde läuten?
Es tönt die Abendglocke hell vom weiten;
So sehnsuchts- und so wehmuthsvoll sie schallet;
Der Ton weit in der Ferne wiederhallet.
Tief in des Waldes Mitte
Lockt dieser Klang allmählich meine Schritte.
Hier muß ich ihn wohl suchen
Am Bache, unter diesen alten Buchen.

In abendrothem Scheine
Steht die Kapell' gar einsam und alleine,
Wie himmlischer Gesang
Steigt hoch in's reine Blau der reine Klang,
Von Lilien und von Rosen
Sich an den Wänden Blumenkränze kosen,
Und blau der Bach sich windet,
Und singt sein Lied beim Altar und verschwindet.

Am Altar aufgestellet
Ein schönes Bild, bedeutungsvoll, erhellet,
Steht in der Wüste Christus, ernst und weise,
Und predigt groß und hehr im weiten Kreise.
Nun rasselt's in der Laube,
Die Glocke schweigt, es girrt die Turteltaube.
Den Klausner seh' ich treten,
Langen Gewandes, vor dem Bild zu beten.

Ist er gebeugt, erblasset
Ein kahler Greis, der lang die Welt gehasset?
Den Sorge kränkt? In Andacht nun befangen,
Zu büßen, was vorher er frech begangen?
O nein! Die Locken wehen,
Den schönsten Jüngling seh' ich vor mir stehen,
Ein Bild der reinsten Tugend,
Ein Bild der blüthevollsten besten Jugend.

Gewölbt die Stirn, erhaben,
Mit Runzeln nicht das Laster eingegraben.
Die Wange wie die Jungfraurose blühet,
Von Leidenschaft nie blaß, nie durchgeglühet;
Sein Blick voll Ernst, gewogen,
Um jedes Aug' den schönsten, braunen Bogen.
Die Haare goldig wallen,
Gescheitelt, reich sie auf die Schultern fallen.

Ich seh' ihn voller Milde
Andächtig knieen vor dem heil'gen Bilde.
Jetzt hör' ich ihn allein inbrünstig beten:
O lehre mich in deine Spur zu treten.
Tödte die wilden Lüste,
Damit ich stark, gewaltig in der Wüste,
Mit treuem Eifer und mit ruh'ger Klarheit,
Verkündige die Schönheit und die Wahrheit.

O, edler Herr und Meister!
Wie toben doch so wild die Menschengeister!
Die Meisten leben nur dem Augenblicke,
Und wer voraus sieht, und wer sieht zurücke,
Ihn blendet Hitze, Zweifel,
Und Eitelkeit und Neid, der Menschen Teufel.
Das kurze Licht, das Himmel will erblicken,
Muß bald in Nebel, bald in Rauch ersticken.

Es ist so weit gekommen,
Daß, wie ein frommes Wort nur wird vernommen,
Da spotten sie und lachen,
Und nennen Frömmigkeit verworrne Sachen.
Es fehlt so ganz im Stillen
An einem wahren, starken, guten Willen,
Daß deine reine, heil'ge Lehre Viele
Selbst brauchen nur zum eitlen Gaukelspiele.

O lehre mich, daß ich den Willen stärke!
Viel kann geschehn durch eines Menschen Werke.
Wer weise spricht, mit unbestochner Güte,
Sein Wort geht tief in's menschliche Gemüthe.
Er ist ein Seelen-Zwinger,
Durch seine Sanftmuth, Milde, macht er Jünger;
Er streut des Guten Samen,
Er geht zu Gott, die Welt liebt seinen Namen.

*


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