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Die heimliche Stimme.

Romanze.

Schön Inger wandelt einst alleine
Dem Schlosse nach im kühlen Haine.
Da hört sie einer Stimme Laut
     Aus dem verwitterten Gesteine,
     Daß ihr dabei die Seele graut.

Dann, leise wie des Zephyrs Wallen,
Hört sie es oft mit Wohlgefallen;
Doch läßt das Kind sich nimmer sehn.
     Es flötet mit den Nachtigallen,
     Theilt ihre Sorg', ihr Wohlergehn.

Es gießt ihr Frieden in's Gemüthe,
Besingt die holde Lieb', die Güte,
Und freut sich, wenn die Sonne scheint.
     Die Frucht im Herbst, des Frühlings Blüthe,
     Theilt sie mit ihrem kleinen Freund.

Es lispelt in den Pappelweiden,
Es singt des Sommerabends Freuden,
Erzählt manch wunderbar Gedicht.
     Kömmt Jemand, muß es plötzlich scheiden,
     Denn es verträgt das Lärmen nicht.

Einst sagt sie: Deine Töne klingen,
Und süß mir in die Seele dringen;
Doch, schmückt dich eine ird'sche Tracht,
     Bist du ein kleiner Geist mit Schwingen,
     So zeige dich in deiner Pracht.

Da hört sie fern ein leises Stöhnen:
Ach, deinem Willen muß ich fröhnen,
Doch – wird mir so ein harter Lohn?
     Es seufzt in Nachtigallentönen
     Und schnell verhallt der Zauberton.

Es schwinden Wochen, schwinden Tage;
Die Einsamkeit wird ihr zur Plage,
Sie schleicht sich in den dunkeln Wald.
     Kaum äußert sie der Sehnsucht Klage,
     So tönt das Stimmlein wieder bald.

Dann hört sie's täglich tief im Thale,
Am grünen Rain, am moos'gen Male,
Am Felsensteg, am klaren Bach.
     Es klingt im alten Rittersaale
     Und aus der Rüstungen Gemach.

Wacht Inger spät im stillen Zimmer,
Erlischt der Lampe letzter Schimmer,
Dann säuselt es wie West im Hain.
     Dann hämmert's an den Klöpfel immer.
     Und schwebt wie Geisterhauch herein.

Und ist nun Alles still und graulich,
So redet freundlich und vertraulich
Mit ihr der unbekannte Freund,
     Und gibt ihr Rath und spricht erbaulich
     Und tröstet sie, so oft sie weint.

Doch welch ein thörichtes Verlangen!
Vermessenheit! dem nachzuhangen,
Was Stimmleins Wunsche widerspricht.
     Rührt sie denn nicht des Geistes Bangen?
     Sein vor'ges, leises Flehen nicht?

Es schwinden wieder ein'ge Tage;
Die Neugier treibt, daß sie es wage.
»Du willst es? Nein, es soll so seyn.
     Steig' mit der Glocke zwölftem Schlage
     Hinunter in den Felsenstein.

Wo in des Bannes tiefsten Schlünden
Sich fest des Schlosses Pfeiler gründen
In alten Klippen, stark und dicht,
     Wo sich die Wölbungen verbinden,
     Erblickst du bald ein weißes Licht.

Was da sich zeigt, ist meine Hülle.
Kein Laut belebt die öde Stille.
Ach, Inger! wenn du so mich siehst,
     Ich weiß es, daß dein Eigenwille
     Dich – aber ach! zu spät – verdrießt!»

Die Neugier kann sie nicht besiegen.
Ihr ahnt ein höheres Vergnügen.
Ihr Herz pocht stärker als zuvor.
     Der zwölfte Schlag hat kaum geschwiegen,
     So öffnet sie das Kellerthor.

Wie strahlt die Leuchte wunderhelle
An dieser tiefen, öden Stelle.
Sie schleicht, doch wankend, bleich und stumm.
     Es rieselt eine Felsenquelle.
     »Kehr' um, o Mägdelein, kehr' um!«

Sie ist zu schwach, sie kann nicht siegen,
Der Wunsch, die Lockungen betrügen –
Sie naht – entdeckt – o grause Lust! –
     Ein Kind im kleinen Sarge liegen
     Mit blut'gem Messer in der Brust.

's war eine süße kleine Dirne,
Hält in der Hand noch eine Birne.
Starr Inger blickt den Leichnam an.
     Mit Blute steht auf seiner Stirne:
     »Das hat dein Vorwitz mir gethan.«

Noch lächelt es, ein kleiner Engel,
Hält in dem Arm den Lilienstengel;
Doch Inger springt entsetzt empor,
     Enteilt der Wölbungen Geschlängel,
     Und krachend schließt das Eisenthor.

Jetzt lebt im Zimmer sie, bei'm Mahle,
Und wenn der Mond mit blassem Strahle
Durch Tannen lächelt kalt und hehr.
     Sie welkte wie die Blum' im Thale.
     Sie hörte nie die Stimme mehr.

Natur! du Heilige, du Hehre!
Aus deinen Schöpfungen gewähre
Mir Ahnung jener ew'gen Lust.
     Erstrebt' ich mehr – gestoßen wäre
     Das Messer in der Unschuld Brust!

*


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