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Des Dichters Heimath.

Ihr Freunde! wünscht ihr zu erfahren
Des Dichters Heimath, sein Gebiet;
Dann will ich kühn es offenbaren:
Es streckt sich hin von Norden bis nach Süd.
Es reicht von Spitzbergs kaltem Eise,
Da wo der Urwelt große Mumie ruht.
Bis wo die letzte Insel leise
Unmerklich sich verliert in Südens Fluth.
Gen Osten grenzt es zu dem rothen Morgen,
Zu Edens jugendlicher Pracht;
Gen Westen, wo das falbe Licht verborgen
Unmerklich sich getaucht in Meeresnacht.
Dort klares Eis, hier blaue Wellen wieder.
Und rund um das erhabne Vaterland
Schlägt sich die Sonne Mittags wieder
Als diamantnes Ordensband.

Fragt ihr, wie lang, zu welchen Zeiten
Dies hohe Schauspiel ihn erfreut,
Dann klingen meine Harfensaiten:
So lang' er will, zu jeder Zeit.
Er wohnte mit den ält'sten Hirten;
Die Höhl' am rothen Meer war sein.
Er trug in Äthiopiens Syrten
Zum Obelisk den Felsenstein.
Er folgte Cecrops auf der Flotte,
Mit Bacchus zog er nach des Ganges Fluß;
Er war auf Pindus bei dem Dichtergotte
Und da bekam er seinen Pegasus.
Das schöne Pferd hat dunkelbraune Flügel,
Und heil'ge Kraft in jedem Gliede wohnt,
Und herrlich über Thal und Hügel
Er mit dem Königsadler thront.

So hat den Tag der Griechen er gesehen;
Und klar nachher die helle Ritternacht,
Als er, wie Faust, mit Sturmeswehen,
Von Mephistophiles umhergebracht.
Ja selbst des Daseyns enge Schranken
Zerbricht er ohne Mühe leicht,
Wenn auf der Leiter der Gedanken
Er forschend mit dem Grübler steigt.
Er zieht das Schwert, er folgt den Bomben,
Weint mit den Weibern in der Stadt,
Geht von Eleusis nach den Katakomben,
Wenn er aus Mimers Born getrunken hat.
Wer wagt es kühn, ihn zu begleiten?
Auf seinem Rosse silbergrau
Schwingt er im Raum sich durch die Zeiten,
Wie 'n Vogel durch das heil'ge Blau.

Er kann in kühlen Grotten gehen,
Bewegt sich nur der Zauberstab;
Im Alabasterschloß der Fee'n,
In alter Heiden Königsgrab,
Er sitzt auf weichem Blumenhalme,
Im Walde, bei der Quell' allein;
In Wüsten bei der schlanken Palme,
Auf einer Felsenburg am Rhein.
Er kämpft mit Hrolf die letzten Stunden,
Wenn Hochverrath den Edlen droht;
Mit Roland hat er treu gefunden
Bei Ronziswal den Christentod.
Mit Kokles steht er auf der Brücke,
Mit Kolon er nach Westen zieht,
Entlarvt mit Luthern Pfaffentücke,
Und stürzt in Speere sich mit Winkelried.

Er steht in dem italischen Gefilde,
Singt Miserere mit, und weint.
Mit Robinson bekämpft er Wilde,
Und macht sich einen schwarzen Freund.
Er schaudert vor des Tigers Zahne
Und flieht der Klapperschlange Blick,
Er freut sich in der Drurylane
Und in der opera comique.
Spricht in der Werkstatt mit den Meistern;
Policinell verschmäht er nicht!
Und zittert auf dem Kirchhof vor den Geistern
Um Mitternacht im Mondenlicht.

Mit Werthern schwärmt er auf den Blumenmatten
Und liebt, unglücklich, mehr wie je!
Er dichtet in den Sommerschatten
Froh mit Homer die Odyssee.
Im Herbste – heult der Sturm im Thale
Und rasselt's in dem Eichenbaum –
Dann steht mit Shakespeare er im Rittersaale
Und denkt an einen großen Traum.
Und kömmt der Winter, fallen alle Blätter,
Entfernen sich die Farben ganz,
Dann funkelt er, wie Walhals Götter,
Hoch in dem lichten Sternenkranz.
Da läßt er Bragis Harfe klingen.
Da singt er Odin, As und Alf;
Und herrlich auf den breiten Schwingen
Trägt ihn der Schnee nach Walaskialf.

Doch dort – wohin die ganze Kraft sich richtet.
Was irrend noch kein Pilger fand,
Wovon kein Sänger uns gedichtet,
Das eigentliche Vaterland!
Wo Nebel nicht des Morgens Purpur trüben,
Wo keine Blumen untergehn.
Wo Jesus, Baldur, Sokrates sich lieben,
Und brüderlich vor Gottes Throne stehn;
Wo die azurne Ehrensäule
Durch die Unendlichkeit sich streckt,
Wo Engel mit der schweren Herkulskeule
Hinschweben, die mit Blumen überdeckt – –
Dort strebt er hin! ist Alles auch verloren:
Das ahnt sein Herz! danach sein Wunsch begehrt.
Der ist ein Wurm, und für den Tod geboren,
Der diesen Flug nicht liebt und ehrt!

*


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