Adam Oehlenschläger
Die Fischerstochter
Adam Oehlenschläger

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfter Aufzug.

Der Garten.

Floristane.
        Der schöne Sultan ist schon hier;
        Nie schlug das Herz so zärtlich mir.
        Die Sehnsucht macht mich fast betrübt,
        Denn sterblich hab' ich mich verliebt.
        Und er ist auch kein kalter Stein,
        Wie Agib, gegen Schönheit; nein,
        Grad' umgekehrt! Ich merkt' es gleich,
        Als ich ihm spielte jenen Streich:
        Das Wunder wundert' ihn zwar sehr,
        Doch meine Reize zehnmal mehr.
        Jetzt wollt' er mit dem Fischer gehn,
        Um eigentlich nur mich zu sehn.
        Ganz ist der Agib mir zuwider!
        Er sitzt mit hängendem Gefieder,
        Ein armer Vogel ohne Kraft,
        Die Blüten sind hinweggerafft.
        Toll ist er, und sein Weib ist toll;
        Weiß nicht, was ich hier länger soll!
        Zwar ist es auch gefährlich ja;
        Denn mein Gemahl ist wieder da,
        Endlich aus seinem Loch befreit;
        Das thut mir freilich innig leid.
        Doch – ein geschied'nes Ehepaar
        Sind wir einmal. Dreihundert Jahr'
        Haben meine Sehnsucht nicht erregt;
        Der macht mir nie das Blut bewegt.
        Zwei Schätze such' ich: einen Mann,
        Der liebt mich – und den Talisman!
        Lolo ist aus dem Meer gekommen,
        Hat von der Schwester Brust genommen
        Den Blutrubin, der mich bezwingt,
        Wenn meines Gatten Wunsch gelingt.
        Doch, hab' ich Selim erst gewonnen,
        Dann handelt er nicht mehr besonnen;
        Der Kleine liebt ihn; Selim muß,
        Mir zu entfernen den Verdruß,
        Vom Knaben gleich das Kleinod rauben;
        Dann reifen ihm die süß'sten Trauben.
        Wenn ich nur Lolo's Gegenwart
        Entgehen kann! Das wäre hart,
        Wenn solch ein Kind mich könnte zwingen.
        Doch, ach – wozu? zu welchen Dingen?
        Und bin ich hundert Schritte nur
        Von ihm entfernt, kann die Natur
        Des Zauberschmucks nicht länger wirken,
        Wie in den engeren Bezirken.
        Was will er denn? Er gibt mir Frist! –
        Ich hoffe, meine feine List
        Wird leicht des Kindes Einfalt trügen;
        Es wird sich bald so glücklich fügen,
        Daß ich gelange nach dem Ziel'.
        Und poltert der Gemahl auch viel,
        Werd' ich zum Ziele doch gelangen –
        Denn Bären können nicht Mücken fangen! (Ab.)


Ein anderer Ort im Garten.

Selim (mit einer Sonnenwende in der Hand). Amgiad, der Geist.

Selim. Hier hofft' ich eine wunderschöne Frau zu sehn,
Und gräßlich offenbart sich mir ein Riesengeist.

Der Geist. Ich bin des wunderschönen Weibes Eh'gemahl.

Selim. Ja so! So bitt' ich vielmals um Verzeihung dich.

Geist. Recht gern verziehn! denn wiss': ich liebe nicht das Weib;
Du sollst sie aber auch nicht lieben.

Selim.                                                         Hätt' ich doch
Es kaum geglaubt, du kleiner Kobold Eifersucht,
Daß du auch starker Riesengeister Herrscher seist.

Geist. Aus Eifersucht nicht handl' ich, aus Barmherzigkeit.
Du bist ein kühner Degen, starker Junggesell,
Du schauderst nicht vor der Erscheinung, die dir droht,
Und solche Leute lieb' ich. Darum gab ich dir
Die Sonnenwend' in linker Hand, damit das Weib
Dich nicht entdecke, bis ich dich als Freund gewarnt.

Selim. Ach, warne nicht! Liebst du nicht selbst das schöne Weib,
So lasse mich sie lieben!

Geist.                                       Nein! – Als Fliege sollst
Du deine Flügel nicht verbrennen. Freilich ist
Die Liebe selbst nur Schwachheit einer niedern Art;
Doch kann sie wol unschuldig sein, gutmüthiger
Naturen. So nicht Frechheit; und die böse Fee
Kennt selbst die seichte Liebe nicht, die wie ein Kind
Mit bunten Blumen, leichten Seifenblasen spielt.
Und wär's noch kräft'ge Sinnlichkeit! Die Sinne sind
Nicht zu verachten: mit den Sinnen klammert sich
Der Geist nur fest an die Natur, vermählt sich ihr,
Und wird nicht blos ein körperloses Traumgebild;
Doch so verhält sich's mit dem eiteln Weibe nicht:
Ihr einz'ger Sinn – ist Flattersinn! Und was sie liebt,
Haßt und verschmäht sie bald im nächsten Augenblick,
Sobald der Wunsch befriedigt ist – die Eitelkeit!
Nicht, wie der Löwe, sucht sie einen edeln Raub,
Den Hunger dran zu stillen: wie der Marder schleicht
Sie sich beim Mondschein in das offne Hühnerhaus,
Und beißt und würgt – und freuet sich des Seelenmords!
Bist du ein solches blindes Huhn, das willig sich
Will würgen lassen – sag' es mir! Ich lasse dich,
Verschwend' an deine Rettung mehr kein einz'ges Wort.
Doch bist du Held und König, sehnst du wieder dich
Nach deinem Volk und nach dem leeren Richterstuhl:
So bring' ich dich im Augenblick hoch durch die Luft
Nach deinem Land, und schenke wieder dich der Welt.

Selim. Die Arzenei ist bitter, die den Kranken heilt,
Und süß ist oft im goldnen Kelch das falsche Gift.
Ich danke dir! Und deinen Wink befolg' ich, Geist!
Wenn erst ich meinen Freunden Lebewohl gesagt.

(Beide ab.)


Voriger Ort im Garten.

Lolo (der Zauberschrein steht mit geöffnetem Deckel halb verborgen hinter einer Blumenstaude).
        Nun darf ich nicht vergessen,
        Was mich der Geist gelehrt;
        Kommt her die Fee vermessen,
        Und wieder weg begehrt,
        Darf ich es nicht erlauben;
        Und was sie auch verspricht,
        Will ich ihr gar nicht glauben,
        Denn ehrlich ist sie nicht.

        Sie hat mich woll'n ertränken,
        Der Fürst ist Marmelstein,
        Die Schwester kann nicht denken.
        Fee, du sollst in den Schrein!
        Sonst konnt' ich Vögel fangen
        Jetzt fang' ich eine Fee.
        Ist sie hineingegangen,
        Freu' ich mich mehr wie je.

        Die große Sonnenwende
        Gab mir der Geist so klug,
        Daß ich ihr Auge blende,
        Bis sie mir nah' genug.
        Denn nur auf hundert Schritte
        Wirkt der Rubinenstein.
        Ich höre ihre Tritte,
        Sie nähert sich dem Schrein.
                (Verbirgt sich.)

Floristane (kommt).
        Wo bleibt der schöne König?
        Er macht mir lang die Frist.

Lolo (tritt hervor).
        O warte noch ein wenig,
        Wenn's dir genehmig ist.

Floristane (erschrickt).
        Was seh' ich? Holder Knabe,
        Bist du mir wieder nah'.

Lolo (zeigt ihr den Talisman).
        Ja, mit der besten Gabe
        In meinen Händen da!

Floristane (schmeichelnd).
        Was willst du? Soll ich suchen
        Die Purpurblumen dir?
        Wünschst du wol Früchte, Kuchen?
        Verlange nur von mir!

Lolo.
        Du schlüpfst auf diesem Stege
        Nicht wieder weg. O nein!
        Ich bitte dich: komm, lege
        Dich hübsch in diesen Schrein.

Floristane (entdeckt entsetzt den Zauberschrein).
        In diesen Schrein, mein Lieber?
                (Beiseit.)
        Ich kenne – Gott – den Schrein,
        Und ich bekomm' ein Fieber.
                (Laut.)
        Der Kasten ist zu klein,
        Da kann ich gar nicht liegen.

Lolo.
        Das Meer war auch zu groß,
        Doch wolltest du mich wiegen
        In seinem Todesschoos.

Floristane (in einen schönen Vogel verwandelt).
        Du kleiner milder Knabe,
        Halt' mich nicht länger fest!
        Ich meine Jungen habe
        Dort in des Baumes Nest.
        Sie hungern. Ach, ich bitte,
        Laß mich ein wenig los;
        Ich fliege hundert Schritte
        Nach jener Ceder blos!

Lolo.
        Du bleibst!

Floristane (als kleiner Hund).
                            Aus deinem Mündchen
        Hör' ich ein strenges Wort.
        Ich bin dein liebes Hündchen,
        Ach, laß mich laufen fort;
        Aus jener Quelle trinken!
        Dann kehr' ich treu zurück.
        Ich folge deinen Winken,
        Das ist mein höchstes Glück.

Lolo.
        Ich kenne deine Treue,
        Ich kenne deinen Trug.
        Betrügst mich nicht auf's neue,
        Der Worte jetzt genug.

Floristane.
        Ach, sei nicht ungeduldig!

Lolo.
        Du bist 'ne böse Fee.

Floristane (als Lamm).
        Ein Lämmchen, ganz unschuldig,
        Ich laufe nach dem Klee.

Lolo (beiseit).
        Ach, welche hübschen Thiere,
        Nie schöner noch gesehn.
        Bald ich den Zorn verliere
        Und lass' das Lämmchen gehn.
        Doch nein – um Gottes willen!
        Ich thu's um keinen Preis.
                (Laut.)
        Darf deinen Wunsch erfüllen
        Nicht, schönes Lämmchen weiß!
        Denn wärst du, was du scheinest –
        Das bist du aber nicht.
        Es hilft nicht, daß du weinest,
        Du kennst doch keine Pflicht.
        Du willst mich nur betrügen,
        Doch das soll gar nicht sein.
        Ich kenne deine Lügen;
        Hinunter in den Schrein!

Floristane (als Brillenschlange).
        Du böser, garst'ger Bube,
        Gleich laufe weit von mir!
        Ich komm' aus meiner Grube,
        Den Tod jetzt bring' ich dir.

Lolo (ängstlich).
        O Salomon, zum Siege!
                (Auf den Schrein zeigend.)
        Fort, Hexe! die du bist.

Floristane.
        O weh! Ich unterliege
        Ganz meiner eignen List.

(Sie schlüpft als Schlange in den Schrein hinein; Lolo macht den Deckel zu.)

Amgiad, der Geist, kommt mit Agib, Sandib und Amine.

Amgiad (betrachtet höhnisch den zugemachten Schrein).
Auf tiefstem Meersgrund soll sie künftig wohnen,
Wo selbst nicht Leviathan, wo kein Sturm
Sie an das ferne Ufer schleudern kann.
Von einem Ungeheu'r befrei' ich so
Die arme Welt. Was ist das Krokodill
Wol gegen eine solche Zauberin,
Die nur die hohe Gabe der Natur,
Die Schönheit, misbraucht, um das Häßliche,
Um das Gehässige der That zu üben?

Sandib (beiseit).
Ich hab' dem guten Geist Unrecht gethan
Denn er ist weit vernünft'ger, als ich dachte.

Agib (froh).
O segenreicher Tag! Ich rufe Land
Entzückt, wie der verzweiflungsvolle Schiffer
Vom Mastkorb; eben wie die magern Hände
Der Mannschaft um des Hungers Opfer würfeln.

Amgiad (nimmt aus seinem Busen acht Kohlen und wirft sie hin ins Graf: zwei Mohammedaner, zwei Indianer, zwei Christen und zwei Juden stehen auf, schütteln sich und gehen ihres Weges).
Der Zauber ist gelöst. Es wimmelt wieder
Geschäft'ges Volk in der verlassnen Wüste;
Doch Wüst' ist mehr nicht ein bebautes Land.
Der See verhärtet sich zu fester Erde;
Der kleine Fisch wird größer: aus den Schuppen
Wird Menschenhaut, die Gräten werden Knochen,
Die Lungen füllen sich mit frischer Luft,
Und warmes Blut fließt in den Adern wieder.
In kalten Wellen lauert kalter Tod,
Wo sonst verzaubert sich das Leben regte.
Alles erwacht, wie aus dem Winterschlaf:
Der bärt'ge Löwe streckt sich in der Höhle;
Durch Waldeszweige rasselt Hirschgeweih;
Des schwarzen Ebers weißen Hauzahn färbt
Schon neu vergossnes Blut. Im Cederwald,
Wo sich die Schlangen regen, grüßet laut
Unzähl'ger Vögel Sang das Morgenroth,
Das bunt dem eiteln Pfau den Schweif bemalt.
Der Bauer – neulich noch ein Silberhäring,
Spannt seinen Ochs – im Berge sonst versteinert –
Vor seinen alten Pflug. Der geiz'ge Filz
Befühlt sein Gold mit magern Fingern wieder.
Der Schreiber greift das Rohr, das er bei seiner
Verwandlung fallen ließ – noch ist die Tusche
Nicht d'ran getrocknet. Der Verbrecher nagt
Verzweiflungsvoll wie vormals seine Kette,
Der Arme, Kranke seufzt auf faulem Stroh;
Auf leichten Sohlen schleicht der glückliche
Liebhaber sich zu seiner holden Schönen;
Die alte Liebe wie der alte Haß
Sind in den nassen Fluten nicht gerostet.
In ihre Rechte tritt, so gut, so böse,
Wie sie vorher gewesen, die Natur –
Und wie ein leichter Nebel weicht der Zauber!

(Er nimmt den Schrein und verschwindet damit in die Luft.)

Sandib (umarmt seine Kinder).
So kann ich mich denn wahrlich, liebe Kinder!
Heut' einen höchstglücksel'gen Fischer nennen;
Und wünsche Jedem – denn wir Menschen sind
Doch alle Fischer an dem Strand der Hoffnung –
Daß er, eh' ihn die Noth am höchsten drückt,
Wie ich das Glück in seine Netze fange!

 


 


 << zurück