Friedrich Wilhelm Nietzsche
Fragmente Anfang 1880 bis Sommer 1882, Band 3
Friedrich Wilhelm Nietzsche

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[Exzerpte aus Emersons "Essays". Anfang 1882]

[Dokument: Emerson Essays]

17 [1]

In jeder Handlung ist die abgekürzte Geschichte alles Werdens. ego.

17 [2]

Ich höre wohl die Lobpreisungen der Welt, aber sie sind nicht für mich: ich höre in ihnen nur das meinem Ohre viel lieblicher tönende Lob des Charakters, dem ich nachstrebe, und das ich in jedem Wort, in jedem Faktum vernehme – im dahineilenden Flusse und im wogenden Korne.

17 [3]

Das, was ich heute thue, hat eine so tiefe Bedeutung als irgend etwas Vergangenes.

17 [4]

Ich will die ganze Geschichte in eigner Person durchleben und alle Macht und Gewalt mir zu eigen machen, mich weder vor Königen noch irgend einer Größe beugen.

17 [5]

Der schaffende Instinkt der Seele zeigt sich in dem Nutzen, den wir aus der Geschichte zu ziehn wissen: es giebt nur Biographie. Jeder Mensch muß seine ganze Aufgabe erkennen. – Dieses planlose rohe widersinnige Dort und Damals soll verschwinden und an seine Stelle das Jetzt und Hier treten.

17 [6]

Aus den Resten unserer Thierheit sich seinen kostbarsten Schmuck machen: wie der Isis nichts als die mondförmigen Hörner von ihrer Verwandlung geblieben sind.

17 [7]

Wer kann einen Baum zeichnen, ohne Baum zu werden!

17 [8]

Der Künstler hat die Macht, die in anderen Seelen schlummernde Thatkraft zu erwecken.

17 [9]

Das wahre Gedicht ist des Dichters Seele: da liegt der genügende Beweisgrund für die letzte Verzierung selbst. St. Peter ist eine lahme Copie.

17 [10]

Die Genien im Walde warten, bis der Wanderer vorüber ist.

17 [11]

Wenn das Auge durch die Natur schon an ungeheure Dimensionen gewöhnt ist, kann die Kunst keinen kleineren Maßstab anlegen, ohne sich selber zu degradiren. (Höhlen – )

17 [12]

Bei einem durch einen Fichtenwald gehauenen Weg der Dome gedenken: der Wald hat einen überwältigenden Einfluß auf den Erbauer geübt.

17 [13]

Das geistige Nomadenthum ist die Gabe der Objektivität oder die Gabe überall Augenweide zu finden. Jeder Mensch, jedes Ding ist mein Fund, mein Eigenthum: die Liebe, die ihn für Alles beseelt, glättet seine Stirn.

17 [14]

Es muß meinem Auge unmöglich sein, mit schielenden Blicken hin und dahin zu sehen: sondern immer muß ich den ganzen Kopf mit drehen – so ist es vornehm.

17 [15]

Weder der Dichter noch der Held können auf das Wort oder die Gebärde eines Kindes von oben herab sehen. Ein kindliches Wesen neben angeborener Energie. Ein Wesen, das so wenig seine Drangsaale achtet, ganz versunken, ein hoher Almosen-Empfänger, im Namen Gottes bittend.

17 [16]

Zur Verehrung verpflichtet sein ist ihm drückend, er möchte dem Schöpfer das Licht stehlen und getrennt von ihm leben.

17 [17]

Wenn ein Gott zu den Menschen kommt, so kennen sie ihn nicht.

17 [18]

Es ist viel, zu antworten, wenn ein solches Räthsel aufgegeben wird: und es ist viel, zu glauben, solch ein Räthsel gelöst zu haben. Schon bei dem Muthe der Antwort auf das Räthsel des Lebens stürzt sich die Sphinx hinab (ego).

17 [19]

Er soll ein Tempel des Ruhms sein, er soll einhergehen, in einem Gewande, das ganz und gar mit Malereien wunderbarer Begebenheiten und Erfahrungen bedeckt.

17 [20]

Deinem eignen Gedanken Glauben schenken – glauben, daß was für dich in deinem innersten Herzen wahr ist, auch für alle Menschen wahr sei: das ist Genie.

17 [21]

In jedem Werke des Genies erkennen wir unsere eignen verstoßenen Gedanken wieder: sie kommen zurück zu uns mit einer gewissen entfremdenden Majestät.

17 [22]

Es giebt eine Zeit in der Entwicklung jedes Menschen, wo er zur Überzeugung gelangt, daß Neid nur Unwissenheit, Nachahmung Meuchelmord ist: daß obgleich das weite All voll des Guten ist, ihm auch kein Samenkörnchen zukommen kann, als durch seine Mühe, die er auf das Stück Land verwendet.

17 [23]

Wir drücken uns meist nur halb aus und schämen uns des göttlichen Gedankens, der durch uns repräsentirt wird. – Man muß sein ganzes Herz der Arbeit hingegeben haben: im bloßen Versuch verläßt uns unser Genie; keine Muse, keine Hoffnung steht uns bei.

17 [24]

Den uneinigen, mißtrauischen Geist, die hohe Kunstfertigkeit, auszurechnen, was der Festigkeit und den Mitteln zu unserem Vorhaben entgegen stehen könnte: den haben die Kinder nicht; sieht man in ein Kinderangesicht, so wird man verlegen. Sie kehren sich an nichts, alles richtet sich nach ihnen; ihnen machen die Folgen oder die Interessen Anderer niemals Kummer: sie geben ein eigenmächtiges unverfälschtes Verdikt. Sie suchen nicht dir zu gefallen: du mußt ihnen den Hof machen.

17 [25]

Immer wieder von Neuem aus demselben unbestechlichen, unerschrockenen Standpunkte der Unschuld aus seine Wahrnehmungen machen – das ist furchterregend: die Macht solcher unsterblichen Jugend wird gefühlt.

17 [26]

Kein Gesetz kann mir geheiligt sein als das meiner Natur. Einzig recht ist das, was mir naturgemäß ist, und allein unrecht, was gegen meine Natur ist.

17 [27]

Daß ich allein an das denke, was mir als mein Rechtes erscheint, aber nicht an das, was die Leute dazu denken – bezeichnet den Unterschied zwischen Erhabenheit und Niedrigkeit. Dies ist um so härter, weil du solche, die deine Pflicht besser zu kennen glauben als du selbst, überall finden wirst.

Groß ist der, der mitten im Gewühl der Welt mit vollkommener Klarheit die Freiheit, die uns die Einsamkeit gewährt, festhält.

17 [28]

Wenn die Armen und die Unwissenden mit erregt werden, wenn die unverständige thierische Masse knurrt und das Gesicht verzerrt – da bedarf es großer Seele, um dies auf göttliche Weise und als Kleinigkeit bei Seite zu schieben. NB.

17 [29]

Der Mensch kann seiner Natur nicht Gewalt anthun: der Charakter, vorwärts, rückwärts, kreuzweise gelesen, sagt mir dasselbe. Was sind die höchsten Gebirge gemessen an der gesammten Erdkugel!

17 [30]

Charakterstärke tritt von selber ein: die vergangenen Tage voll Tugend übertragen ihr geistiges Wohlsein auf dich. Durch das Bewußtsein einer großen Reihe von Siegen kommt das majestätische Wesen des Helden.

17 [31]

Ehre ist deswegen etwas so Achtungswerthes, weil es nichts von heute ist: es ist immer eine alte Tugend.

17 [32]

Der rechte Mann ist der Mittelpunkt der Dinge: er nimmt von der ganzen Schöpfung Besitz, er erinnert an keinen Anderen, alle Umstände werden von ihm in Schatten gestellt, er bedarf unendlichen Raum, Zahlen und Zeit, um seine Gedanken auszuführen: – die Nachwelt folgt wie eine Prozession seinen Schritten.

17 [33]

Die Handlungen der Könige haben die Welt unterrichtet: sie handeln aus einem weiten Gesichtspunkt: sie lehren durch kolossale Symbolik, welche Achtung ein Mensch dem Menschen schuldet. Es gab immer freudige Anhänglichkeit an den, der sich nach selbstgeschaffenen Gesetzen bewegte, sich seine Werthtafel von Menschen und Dingen machte und die vorhandene umstieß und das Gesetz in seiner Person darstellte.

17 [34]

Die Geschichte ist eine Ungereimtheit und Injurie, wenn sie mehr sein will als eine erheiternde Erzählung und Parabel meines Seins und Werdens. – Mit rückgewandtem Auge bejammert er die Vergangenheit oder steht auf den Spitzen der Zehen, etwas von der Zukunft zu erspähen. Aber er sollte mit der Natur in der Gegenwart leben, erhaben über die Zeit.

17 [35]

Tugend ist innere Stärke: ein Mensch, der zur schöpferischen Urkraft durchdringt, überwältigt nach dem Gesetz der Natur alle Städte Völker Könige, die Reichen und die Dichter.

17 [36]

Was wir lieben, das ist unser: aber durch das Verlangen darnach berauben wir uns desselben.

17 [37]

Die Macht, die die Menschen besitzen, mir Verdruß zu machen gebe ich ihnen selber. Laß dich nicht so tief hinab, behaupte deine Würde; laß dich nicht einen Augenblick auf ihre Zustände auf ihr Geschrei ein: laß das Licht deines inwendigen Gesetzes in die Verwirrung dringen.

17 [38]

Es verlangt ein gottähnliches Wesen von dem, der sich von den gewöhnlichen Motiven der Humanität los gemacht hat. Hochherzigkeit Willenstreue und ein klarer Verstand: das müssen seine Eigenschaften sein, wenn er sich selber Lehre Gesellschaft und Gesetz sein will: so daß ein einfacher Vorsatz bei ihm ebenso viel ist wie bei Anderen die eiserne Nothwendigkeit. p. 57.

17 [39]

Unser Haushalt ist bettelarm; unsre Kunst, unsre Beschäftigungen, unsre Heirathen – wir haben sie nicht gewählt, sondern die Gesellschaft hat für uns gewählt. Den stürmischen Kampf mit dem Schicksal, wo unsre innere Kraft geboren wird, den scheuen wir.


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