Richard Muther
Geschichte der Malerei. IV
Richard Muther

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14. Rembrandt

Ein Bild von Rembrandt in der Dresdener Galerie stellt Simson dar, wie er den Philistern Rätsel aufgiebt, und Rembrandts ganzes Schaffen, den Philistern seiner Zeit ein Rätsel, ist rätselhaft bis zum heutigen Tag geblieben. Man hat ihn den Meister des Helldunkels genannt, was nichtssagend ist, da viele andere, schon Correggio sich äußerlich die gleichen Probleme stellten. Man hat ihn als Schöpfer der religiösen Kunst des Germanentums gepriesen, was ebenso nichtssagend ist, da Dürer auf diesen Ruhm das nämliche Anrecht hat. Alle Hilfsmittel der Wissenschaft sind in Bewegung gesetzt, er läßt sich nicht packen, nicht deuten. Wie kein anderer Mensch den Vornamen Rembrandt trug, ist er auch als Künstler etwas Einziges, spottet jeder geschichtlichen Analyse, bleibt, der er war, eine rätselhafte, unfaßbare Hamletnatur – Rembrandt. Der Klarheit und dem Ebenmaß hellenischen Geistes, der die Renaissance beherrschte, tritt mit Rembrandt das Dunkel der Empfindung gegenüber. Er verhält sich zu den Renaissancemeistern wie Ossian zu Homer, steht neben den Olympiern als Nibelunge, als Held aus dem Nebelland.

Vielleicht ist es überhaupt nur möglich, Rembrandt näher zu kommen, wenn man sich entschließt, seine Bilder gar nicht als Bilder, sondern nur als seelische Dokumente aufzufassen. Denn das ist das Eigenartige an ihm. So bedeutend die Anatomie, die Nachtwache und die Staalmeesters sind – die paar Bestellungen, die ihm zugingen, haben ihn nicht zum Rembrandt gemacht. Rembrandt ist er nur, wo er außerhalb des Publikums steht. Und das gilt für die Mehrzahl seiner Werke. Er als erster war Künstler in modernem Sinn, erledigte keine Aufträge, sondern schuf seine eigenen Gedanken. Nur was sein Innerstes bewegte, brachte er gestaltend vors Auge. Er scheint gar nicht daran zu denken, daß man ihm zuhört, er spricht nur mit sich selbst. Es liegt ihm nicht daran, von anderen verstanden zu werden, er giebt seine Empfindungen und Stimmungen wieder. Kein Maler redet, sondern ein Mensch. Man kann, was er schuf und wie er es schuf, nur verstehen, wenn man seine Werke als Kommentar seines Lebens betrachtet.

In der alten Universitätsstadt Leyden, wo Bogermann gerade sein großes Werk der Bibelübersetzung begann, ist er 1607 geboren. Sein Vater ist Müller, seine Mutter eine Bäckerstochter. Er ist das fünfte von 6 Kindern. In ernster, religiös gläubiger Atmosphäre wächst er auf. Seine Mutter namentlich muß eine biedere fromme Frau, eine Art biblischer Patriarchin gewesen sein. In zahlreichen Bildern, die ihr Sohn von ihr malte, hat sie die Bibel, ihr Lieblingsbuch, auf dem Schoß. Man stellt sich gern vor, wie der Knabe, zu Füßen der Mutter sitzend, den alten Legenden lauscht. Man stellt ihn sich vor, wie er einsam im freien Felde umherschweift. Denn sein väterliches Haus lag am Ende der Stadt, gerade an der Stelle, wo sich die beiden Arme des Rheines vereinen, und noch weiter draußen lag die Windmühle. Stundenlang mag er hinausgewandert sein, den Rhein entlang; sah die Schiffe mit ihren farbigen Segeln, die Dünen in ihrem melancholischen Braun, die fetten grünen Weideplätze, wo in philosophischer Ruhe die Rinder lagern; betrachtete das graue Meer mit seinem unermeßlichen Horizont, den Himmel mit dem ewig wechselnden Zug der Wolken. Eine Ahnung der Unendlichkeit des Alls ging ihm auf.

Erst weiß er nicht, was er werden soll, und läßt sich als Student an der Universität einschreiben. Dann geht er zu Swanenburch, hierauf nach Amsterdam zu Lastmann. Doch schon nach 6 Monaten ist er im Elternhaus zurück und beginnt mit der Malerei ganz von vorn. Seine ersten Bilder sind nur deshalb anziehend, weil sie die technischen Fortschritte eines großen Meisters verfolgen lassen. Sorgsam stellt er sich Modell. Rings ordnet er den Besitzstand seines Ateliers, schweinslederne Folianten und damascierte Messer, Rüstungsstücke und Schwerter zu ganzen Stillleben an. In der Beleuchtung verfolgt er die Probleme, die seit Honthorst in der holländischen Malerei beliebt waren. Sowohl in dem Stuttgarter wie in dem Nürnberger Bild, das einen alten Apostel, wohl Paulus, im Gefängnis darstellt, fällt das Sonnenlicht auf einen Greisenkopf. In dem Geldwechsler der Berliner Galerie versucht er ein Nachtstück. Ein alter jüdischer Banquier prüft, wie auf den Wechslerbildern des Quentin Massys, bei Kerzenlicht eine Münze. Der Gedanke von der Vergänglichkeit des Irdischen und der Freude am Irdischen liegt wohl den Bildern zu Grunde. Wenn die Berufsmodelle fehlten, mußten seine Angehörigen aushelfen, die er auch mit den Versatzstücken seines Ateliers drapiert. Sein Vater, der brave Müller, trägt auf dem Amsterdamer Bild einen eisernen Harnisch, dazu ein Barett mit hoher Feder, und hat den Schnurrbart martialisch in die Höhe gedreht. Es war die Zeit, als ganz Holland im Zeichen des Kriegshandwerks stand. So erklärt sich diese Vorliebe für militärische Allüren.

Gleichzeitig macht er sich mit der Technik der Radierung vertraut. Gerade damals, zur Zeit des großen Krieges, trieben Bettler aus ganz Europa sich in den holländischen Straßen umher. Rembrandt zeichnete, was er sah: Bucklige, Lahme, Blinde, Betrunkene. Und er zeichnete namentlich sich selbst. Nicht nur im verschiedensten Kostüm steht er da. Auch der Ausdruck ist immer ein anderer. Da ist er nachdenklich, dort rollt er die Augen, da fährt er entsetzt zurück, da lacht er breit, dort sind seine Lippen von Schmerz verzerrt. Es ist, als hätte er seine eigene Persönlichkeit gesucht, die ihm selber ein Rätsel war. Und so verschieden er in seinen Selbstporträts ist, so verschieden ist er als Künstler.

Mit einer heiligen Familie und einer Darstellung im Tempel schließt er 1631 seine Leydener Thätigkeit ab. In dem Münchener Bild hat er zum erstenmal sich an lebensgroße Figuren gewagt. Ein Vorgang aus der heiligen Geschichte ist im Sinne Honthorsts in ein holländisches Bürgerhaus verlegt. Schreinergerät hängt an der Wand. Mann und Frau tragen die Werktagskleidung von 1630. Auf dem Haager Bild dehnt eine weite, große Kirche sich aus. Nachdem er vorher Menschen in enger Zelle gemalt, ist es jetzt, als sei das Vaterhaus ihm zu eng geworden und als thue sich das Universum vor ihm auf. Zugleich kämpft zum erstenmal das Licht mit dem Schatten, als hätte er eine Vorahnung gehabt, daß auch sein Leben zu einem Kampf von Licht und Schatten sich gestalten werde. Die Hand in die Seite gestemmt, kühn wie ein Eroberer, steht er auf dem Selbstporträt von 1631 da. Die Radierung mit dem Schiff (B. 111) könnte, obwohl sie ein Buchtitel war, die Abrechnung zwischen Vergangenheit und Zukunft bedeuten. Einen Januskopf sieht man; ein nacktes Weib bildet den Mast. So segelt er, von lockenden Phantomen umgaukelt, in das Meer des Lebens hinaus.

Das Weib steht für ihn, als er nach Amsterdam gekommen, zunächst im Mittelpunkt aller Gedanken. Mit der Freude des Studenten, der aus der Gebundenheit des Vaterhauses in eine fremde Universitätsstadt kommt, giebt er den neuen Eindrücken sich hin. Eine ganze Reihe weiblicher Aktstudien entstehen, zum Teil Blätter von so hanebügener Sinnlichkeit, daß sie in den Kupferstichkabinetten als »Secreta« bewahrt werden. Aber bald auch die Blätter: wie »le lit français«, aus denen solcher Dégout am Geschlechtlichen spricht. Immer bekämpfen sich in Rembrandt diese beiden Naturen: die Begierde des Sinnenmenschen, der in die Welt sich stürzt, und der Ekel des Träumers, der das, was er sucht, draußen doch nicht findet.

Sonst bemüht er sich, die Porträtaufträge, die ihm zugehen, sachlich und ernst zu erledigen. Hatte er früher seine Angehörigen in Harnisch, Helm und exotische Stoffe gekleidet, so hält er sich jetzt streng an das holländische Kostüm. Wie bei de Keyser ist es in seinem monotonen Ernst, seinen dunklen Farben, seinem symmetrischen Schnitt mit nüchterner Genauigkeit wiedergegeben. Höchstens dadurch, daß er Handlung in die Bildnisse bringt, weicht er – wie in dem Porträt des Schiffsbaumeisters, dem seine Frau einen Brief überbringt – zuweilen vom Herkömmlichen ab. Dadurch allein unterscheidet sich auch sein erstes Gruppenbild, die Anatomie des Dr. Tulp, von den älteren Werken. Noch Mierevelt und de Keyser hatten in ihren Chirurgenbildern nicht daran gedacht, die Scene einheitlich zu beleben, sondern fügten sich dem Wunsche der Besteller, die das Hauptgewicht auf die Aehnlichkeit des Einzelporträts legten. Keiner sieht auf den Professor oder auf den Leichnam, sondern alle sind mit sich und dem Betrachter beschäftigt. Für Rembrandt ist der Einzelne nur der Teil eines Kunstwerks. Alle sind bei der Sache. Der hell beleuchtete Kadaver bildet den Mittelpunkt. Tulp demonstriert, und die anderen Chirurgen folgen aufmerksam dem Vortrag des Professors.

Seiner Vorliebe für bunte Phantasiekostüme konnte er nur noch in Selbstbildnissen nachgeben. Da trägt er eine federgarnierte Sturmhaube, dort schwarzes Sammetbarett und kühn emporgestrichenen Schnurrbart, dort roten Sammetmantel mit Harnisch und goldener Kette. Als Dürer das Madrider Selbstbildnis mit dem bunten Wams und dem Federbarett malte, war er Brautwerber. Rembrandt war es 1632 gleichfalls. Auf einem Porträt der Sammlung Haro begegnet zum erstenmal ein jugendlicher Frauenkopf mit feinem, zarten Teint, blauen Augen und hellblondem Haar. Saskia van Uylenburgh hält in Rembrandts oeuvre ihren Einzug. Ihr Vetter, der Kunsthändler Hendrik van Uylenburgh, hatte bei Rembrandt das Porträt seiner Cousine bestellt. Sie sahen und liebten sich. Auch nach der Erledigung des Porträtauftrags kam sie ins Atelier, und die nächsten Bildnisse, in Stockholm und der Galerie Liechtenstein, sind keine Aufträge mehr. An die Stelle der holländischen Tracht ist ein prunkvolles Phantasiekostüm getreten. Auf dem einen Bild trägt sie den roten, goldgestickten Sammetmantel, den Rembrandt aus Leyden mitgebracht. Auf dem anderen malt er sie, wie ihre Gardedame ihr das lange, goldblonde Haar frisiert. Auf dem Brustbild der Dresdener Galerie lacht sie unter rotsammtenem Hut hervor. Das der Kasseler Galerie zeigt die feinen Linien des Profils. Auf einem der Petersburger Ermitage ist sie als Judenbraut kostümiert, den Schäferstab in der Hand, mit Perlen und Blumen geschmückt.

Ueberhaupt stehen alle Bilder jener Jahre im Zusammenhang mit Rembrandts Verlobung. Das plötzliche, scheinbar unlogische Auftauchen ganz entlegener Stoffe erklärt sich nur daraus, daß Rembrandts sämtliche Werke persönliche Stimmungen symbolisieren. Es war so seltsam, daß er, der Müllerssohn aus Leyden, diese vornehme Patriziertochter fast gegen den Willen ihrer Verwandten gewann. Warum malt er sich als Fürsten der Unterwelt, der die Proserpina entführt. Es war so seltsam, daß dieses zarte Püppchen ihn, den plumpen, vierschrötigen Riesen liebte. Darum taucht die Gestalt Simsons in seinem Geiste auf. Als der Vormund Saskias gegen das Verlöbnis ist, erinnert sich Rembrandt der Scene der Bibel, wie Simson zu seinem Weibe gehen will und das Haus verschlossen findet. »Ich glaubte, du wärest ihr gram geworden, und habe sie einem anderen gegeben,« ruft der Alte herunter. Rembrandt, als Simson, droht mit geballter Faust. Als endlich im Juni 1634 die Hochzeit gefeiert ist, entsteht das Bild »Simsons Hochzeit«: Saskia, fein und still wie eine Prinzessin im Kreise ihrer Verwandten sitzend; er selbst ein derber Prolet, der durch seine tollen Spässe die vornehme Gesellschaft mehr erschreckt als erheitert.

Nachdem er so lange dem Geschmack des Publikums gefolgt, macht es jetzt ihm Spaß, den Bourgeois zu brüskieren. Der ganzen Welt gegenüber fühlt er sich als Simson, der den Tempel der Philister zertrümmert. In Saus und Braus verlaufen die ersten Jahre seiner Ehe. Umgeben von berechnenden Geschäftsleuten, die sich so fest an den Geldkasten klammern, posiert er den Künstler, der mit vollen Händen das Geld hinauswirft. Umgeben von korrekten Spießbürgern, kehrt er den forschen Landsknecht heraus, der durch seine Kavaliersmanieren erschreckt. Orientalische Waffen, alte Stoffe, blitzende Geschmeide kauft er zusammen. Sein Haus wird eine Sehenswürdigkeit Amsterdams. Wie eine Märchenfürstin, mit Gold und Diamanten bedeckt, geht Saskia einher, so daß die Verwandten bedächtig den Kopf schütteln. Auf einem Bilde des Buckingham Palace hat er sie gemalt, wie sie vor dem Spiegel funkelnde Ohrringe prüft, während er das Collier ihr umlegt. Auf dem Bild der Dresdener Galerie sitzt er als Kavalier an der Tafel, den Degen an der Seite, ein Sammetbarett mit wallenden Straußenfedern auf dem Kopf. Wie ein Riese, der mit einem Püppchen spielt, hat er Saskia auf dem Schoß und erhebt grinsend das Sektglas. Unbefangene Lustigkeit ist das nicht. Es ist Simson, der den Philistern den Fehdehandschuh hinwirft, ein Kraftmensch, der seine gewaltigen Glieder reckt, bereit zum Kampf mit allen bestehenden Anschauungen.

Er hat sich am Schlusse seines Lebens einmal dargestellt, wie er eine antike Büste angrinst. Eine ähnliche Empfindung mag er gehabt haben, als er Ganymed malte, jene lustige Farce, die die gebildeten Holländer ebenso entsetzt haben mag, wie die gebildeten Deutschen Böcklins Bad der Susanna. Rembrandt macht damals seine künstlerischen Flegeljahre durch. Man braucht gar nicht anzunehmen, daß er Rubens hätte nachahmen wollen. Die ersten Jahre nach seiner Verheiratung bedeuten die Zeit, wo er als Mensch wie als Künstler sich austobt. So erklärt sich die derbe Kraftmeierei, das wilde Ungestüm seiner Werke. Der Cyklus der Passion Christi, den er 1633 für den Statthalter Friedrich Heinrich begann – also ein Auftrag, der als psychologisches Dokument nicht gelten darf – ist das hauptsächlichste Dokument dieses Rembrandtstils. Arme gestikulieren, Gesichter verzerren sich, in barockem Schwung bauschen sich die Gewänder. Selbst als Kolorist spricht er fortissimo. Nicht blendend genug kann er den Glanz des Himmels, nicht wild genug das Toben der Elemente schildern.

Erst allmählich wurde er stiller, ernster. Die Welt, die er hatte brüskieren wollen, wird ihm gleichgültig. Nicht nur Sonnenschein, auch Trübes hatte seine Ehe gebracht. 1635, als Saskia sich Mutter fühlte, hatte er die jubelnde, lichtdurchflutete Radierung der Verkündigung an die Hirten gezeichnet. Nun, da sein erstes Kind starb, begann er das Bild des Abraham, der den Isaak opfern muß. Sein Heim, in der Breestraat, mitten im Judenviertel gelegen, ist seine Welt geworden. Der phantastische Orient, die große alte Kultur, die die Juden aus dem maurischen Mittelalter in das prosaische Holland herübergetragen, zog ihn an. Unter seinen Fenstern bewegten sich die malerischen Gestalten des Ghetto: graubärtige Männer mit hohem Turban, verschleierte Frauen, in schillernde Gewebe gehüllt. Mit vielen von ihnen, mit Ephraim Bonus und dem Rabbiner Menasseh ben Israel, ist er befreundet. Der Sohn des jungen Holland, das noch keine Tradition, noch keine künstlerischen Lebensformen hat, fühlt sich hingezogen zu diesen Trägern einer vieltausendjährigen Kultur. Unter seinen Landsleuten steht er vereinsamt: ein Ausländer gleichsam, dessen Sprache man nicht versteht, ein Redner, der tauben Ohren predigt wie der Christus der Bergpredigt, ein Sehender unter Blinden wie Tobias, dem die Gnade des Himmels das Auge öffnete. Unter den Menschen des Ghetto findet er Verständnis für seine einsame Kunst. Auch sein Haus war ein Stück Orient auf abendländischer Erde. Smyrnateppiche und arabische Rüstungen, Burnusse und Kaftans, Architekturstücke mit polychromen maurischen Säulen füllten das Atelier. Durch Portieren und bunte Glasfenster schuf er sich schummerige Winkel, die ein träumerisches Licht mit geheimnisvollen Harmonien durchtönte. War er vorher ein breiter Bravourmaler, der leidenschaftliche Bewegung, großes Format und grelle Farbenkontraste liebte, so weidet sich jetzt sein Auge an dem milden Glanz von Sammet, an der heißen Pracht von Seide, an dem blitzenden Funkeln von Gold und Edelstein. Aus tropisch üppigen Landschaften, aus Kostümen und Menschen baut er Feenarchitekturen von exotischer Märchenpracht auf. Inmitten einer prosaischen Welt schafft er sich seine eigene. Romantiker, träumt er aus dem Grau des Alltags sich in eine ferne Wunderwelt zurück.

Auch die Schönheit des Frauenkörpers erschließt sich ihm in strahlender Herrlichkeit. Hatte er anfangs nur plumpe Modelle zur Verfügung gehabt, so konnte er jetzt das feine Körperchen Saskias feiern. Danae steht unter dem zarten Frauenkörper der Ermitage, der sich auf weißem Lager so graziös, so wollustatmend ausstreckt. Oder er zeigt sie als Susanna in dem Bilde des Haager Museums. Das Licht umleuchtet mit weichem Glanz das Gesichtchen, kost auf den Schultern, spielt auf dem Körper in weißen, goldig flimmernden Reflexen. So wenig wie dort an die Antike hat Rembrandt hier an die Bibel gedacht. Nüchterne Porträtaufträge zu erledigen, hat er keine Lust mehr, seitdem er die strahlende Wunderwelt des Lichtes entdeckt. Mit einem Perlhuhn in der Hand, hat er auf einem Dresdener Bilde sich gemalt. Indem das Licht voll auf das Gefieder fällt, ergiebt sich ein Farbenbouquet grauer, brauner, gelber und roter Töne, in dem es gleißt und sprüht und glitzert und funkelt. Solche Beleuchtungsstudien, ein Spielplatz für Lichtstrahlen, sind ihm fortan auch die Köpfe der anderen. Von zartem goldigem Licht ist die Dame des Buckingham Palace umflossen, die Toilette in ihrer ausgesuchten Eleganz nicht von der Dame, sondern vom Maler bestimmt. Das Porträt des Predigers Ansloo hätte er kaum gemalt, wenn der Kontrast der dunkelroten Tischdecke mit dem hellgrauen Hintergrund und der schwarzen Kleidung nicht so vornehme Farbenharmonien ergeben hätte. Und die berühmte »Nachtwache« von 1642, der Auszug des Fähnleins des Franz Banning-Cock, ist auch mehr ein Märchenbild als ein Schützenstück. Aus einem dunkeln Hofraum treten die Schützen in blendendes Sonnenlicht hinaus. Wie dieses verschiedene Licht gemalt ist, das da sonnig, dort schummerig die Figuren umfließt, mit welcher Meisterschaft Rembrandt die ganze Skala seiner Farben durchläuft, von lichtestem Gelb durch alle Stufen rotflimmernden Helldunkels bis zu düsterem Schwarz – das ist oft hervorgehoben und gerühmt worden.

Doch man versteht zugleich, daß die Schützen, die ihm den Auftrag erteilt hatten, für das Zunfthaus ihre Porträts zu malen, mit der Art, wie er die Bestellung auffaßte, wenig zufrieden waren. Nicht nur die Anordnung, die er aus malerischen Gründen wählte, ist das Gegenteil von Diciplin. Positiv, nüchtern und klar, wußten die Holländer auch mit »Helldunkel« nichts anzufangen. An die trockene Sachlichkeit de Keysers gewöhnt, vermißten sie die Aehnlichkeit dieser aus dem Nebel auftauchenden Köpfe. Keine Schützengilde dachte mehr daran, sich an Rembrandt zu wenden. Denn andere Künstler kamen dienstfertiger den Wünschen der Besteller entgegen. Die Allegorie B. 110 bringt vielleicht zum Ausdruck, was Rembrandt selbst über diesen Verlust der Publikumsschätzung dachte. Der Modemaler ist gestürzt. Aber der Künstler Rembrandt steigt auf, kann aller Fesseln ledig das Evangelium einer neuen Kunst künden.

Freilich, nicht nur die Gunst des Publikums verlor er in diesem Jahr, er verlor auch Saskia. Noch kurz vorher hatte sie ihm einen Knaben geschenkt, und Rembrandt hatte in jener Zeit des Hoffens die Begegnung der Maria mit Elisabeth und das Opfer Manoahs gemalt: Manoah und sein Weib, wie sie dankbar vor dem Opferfeuer knieen, während der Engel, der ihnen die Geburt Simons kündete, sich in die Luft erhebt. Nun war er allein in seinem Haus in der Breestraat, wo alles ihn an die Jahre seines Glückes erinnerte, allein mit dem Kinde, das die Kränkelnde kurz vor ihrem Tode geboren. Auf einer Zeichnung verspottet er sich selbst als Witwer, wie er mit der Milchflasche ein kleines Kind aufpäppelt. Hatten sich schon vorher seine Beziehungen zur Außenwelt gelöst, so wird jetzt seine Kunst ganz die eines einsamen Menschen, der nur noch zum Pinsel greift, um seelisch sich auszusprechen.

Bisher hatte ihm die holländische Natur nichts sagen können. Denn zu den prunkvollen Orientbildern paßte auch als Hintergrund nur jene tropische Märchenpracht, die er auf der Haager Susanna oder auf der Magdalena des Buckingham Palace malte. Selbst der »Sturm« des Braunschweiger Museums, seine erste Landschaft, führt in ein Traumland. Schwarze Wolken überziehen den Himmel, blendendes Licht fällt auf die Mauern einer Stadt und auf Bäume, die im Schauder des Gewitters zittern. Gießbäche rauschen, zerklüftete Felsen ragen empor. Die Verlassenheit, in der er seit dem Tode Saskias lebte, führte ihn in die holländische Natur hinaus, in jenes einsame Gelände, wo die Wäscherinnen arbeiten und die Windmühlen klappern. Und klopfenden Herzens, staunend wie damals, als er in Leyden die Ufer des Rheins entlang wanderte, steht er der großen Allmutter gegenüber, lernt ihren Odem, auch wo er nur leise weht, fühlen. Die einfachsten, ärmlichsten Dinge hält er in seinem Skizzenbuch fest. Bei seinen Spaziergängen durch die Straßen Amsterdams sind es die Kanäle mit ihren Brücken und angrenzenden Häusern. Geht er weiter, so sieht er verfallene Hütten, Heuschober und ländliche Gehöfte. Da fesselt ihn die Silhouette eines Baumes, dort eine Windmühle, die sich auf einsamem Hügel erhebt. Ein Stück Wiese, ein Weg, der sich im Felde verliert, genügt, um ihn anzuziehen. Nicht weit hat er seine Wanderungen ausgedehnt. Die ruhige Umgebung Amsterdams, Sloten, Kronenburg, Zaandam, waren seine weitesten Ausflüge. Er hatte nicht nötig, nach Motiven zu suchen, brauchte keine majestätischen Linien. Denn etwas viel Feineres, die Poesie der Ebene, hat sich ihm erschlossen. Man hat vor seinen Radierungen die Empfindung, als ob man einsam und in sich gekehrt über eine große Ebene wandere. So klein die Blätter sind, sie scheinen von der Endlosigkeit des Raumes umflutet. Durch diese Zeichnungen ist Rembrandt, den Jahrhunderten vorauseilend, der Vater der intimen Landschaftsmalerei geworden. In ihnen ist er der größte Raumkünstler aller Zeiten, denn eine einfache suggestive Linie genügt, das Auge die Unendlichkeit durchmessen zu lassen.

In seinen übrigen Werken klingt zunächst die Erinnerung an Saskia aus. Noch lange lebt er mit ihr im Geiste zusammen, und wie er in dem Berliner Porträt sie ein Jahr nach ihrem Tode gemalt hat, sind seine anderen Bilder Blätter der Erinnerung, die er dem jung verstorbenen Weibe weiht. Es ist kein Zufall, daß er gerade damals den Tod Marias radierte; kein Zufall, daß er gerade jetzt, wo er selbst kein häusliches Glück mehr hatte, immer wieder die heilige Familie oder Maria mit dem Kinde malte, der die Hirten in scheuer Verehrung nahen. Beim guten Samariter gedachte er der Stunden, als er selbst am Sterbelager Saskias saß. Aber namentlich das Hereinragen des Ueberirdischen in die irdische Welt beschäftigt sein Denken: das Traumleben mit seinen Ahnungen und Visionen, Augen, die sich wieder öffnen, nachdem sie den Tod gesehen, die Geheimnisse aus dem Reich der Schatten, die der wiedererweckte Lazarus, der auferstandene Christus offenbaren können. Er stellt ihn dar, wie er als Geist den Jüngern in Emaus erscheint, zeigt ihn, wie er den Lazarus aus dem Grabe ruft. Doch nicht nur der große Wunderthäter, auch der liebevolle Tröster ist er ihm. Einst hatte er die Bergpredigt gemalt: um den Heiland feilschendes Volk, das nichts von seinen Worten vernimmt; vorn ein Hund, der die Gedanken der Menge symbolisiert. Jetzt drängen sich alle, die mühselig und beladen sind, an ihn, den Gütigen, heran, und er lindert ihre Pein, tröstet sie, belehrt sie, weist auf ein besseres Jenseits sie hin. Kein Heros ist er, sondern der schlichte Zimmermannssohn aus Nazareth, der einfach zu den Einfachen spricht. Gerade weil es sich bei Rembrandt nie um kirchliche Aufträge, nur um »Herzensergießungen« handelte, hat er mehr als alle Kirchenmaler gezeigt, welcher Schatz von Poesie, von Zärtlichkeit, von Innigkeit und Liebe in den alten Legenden schlummert. Der Zweck der katholischen Kirchenmalerei ist das Repräsentierende. Gott muß wie ein König die Gläubigen mit höfischem Prunk, mit blendender Dekoration in seinem Hause empfangen. Dieses pomphaft Agitatorische, wie es bei Rubens herrscht, liegt ihm so fern wie möglich. Er spricht seine Empfindungen aus, erzählt die biblischen Geschichten, wie wir als Kinder sie uns vorstellten, wenn wir zur Weihnachtszeit der Großmutter lauschten. Statt der Bewegung des Rubens herrscht bei ihm die Verhaltenheit, statt der schwülen Ekstase der Spanier die seelenvolle Innigkeit, etwas Trübes, Gedämpftes. Keine Gesten, keine drastische Mimik braucht er und drückt gleichwohl die feinsten Seelenregungen aus. Ist des Rubens Kunst ein Haus mit prunkvoller, farbenglühender Façade, doch ohne Wohnungen, in die der Menschheit Leid sich flüchtet, so sind Rembrandts Werke der »Trésor des simples«. Diesem diskreten Zug seiner Kunst, die nur noch den Flüsterton, nur leise Andeutungen kennt, entspricht die koloristische Haltung. In den älteren Werken, als er der kampflustige Simson war, liebte er scharfe Kontraste von dunkeln Schatten und grellem Licht. In den späteren, die zur Zeit seines kurzen Liebesglückes entstanden, glänzt und strahlt auch die Luft, wie von vergoldetem Staub geschwängert. Jetzt herrschen melancholische, grüngelbe Töne vor, ein weiches Abendlicht, dessen milder Schimmer fein und leise das Dunkel durchzittert.

Freilich, ein Geist wie der Rembrandts ist zu kompliziert, als daß er nach einer einzigen Seite sich hätte äußern können. Verschiedene andere Scenen, die er aus Bibel und Legende herausgreift, zeigen, daß auch das Weib noch, das sinnliche Parfüm des Weibes sein Denken beherrscht. Er malt Vertumnus, der die Pomona bethört, malt die Ehebrecherin, der Christus verzeiht, malt ein neues Susannenbild: Susanna nicht mehr allein, sondern im Hintergrund die beiden Alten, die in zitternder Begehrlichkeit das junge Weib belauschen. Wie einst als junger Mensch, arbeitet er nach dem weiblichen Modell. Oft sind es grauenerregende Weiber, und Rembrandt giebt alles Deformierte im Sinne strengen modernen Aktstudiums wieder. Wie damals, als er das französische Bett gezeichnet, ist es jetzt manchmal, als hätte er die Leidenschaft zum Weibe besiegen wollen, indem er die Wirklichkeit in ihrer degoutanten Häßlichkeit darstellte. Hendrickje Stoffels, damals 23 Jahre alt, die er als Haushälterin zu sich genommen, brachte seinem Empfinden wieder Ruhe. Auf dem Bilde des Louvre von 1652 hat er sie erstmals gemalt, wie Saskia mit Perlen und Geschmeiden geschmückt. Auf dem Bilde der Londoner Nationalgalerie setzt sie, nur mit dem Hemd bekleidet, den Fuß ins Wasser. Die Abendsonne wirft ihre Strahlen auf die Beine, das Hemd und das blonde Haar. Auf dem nächsten Bild ist aus dem Modell die Geliebte geworden. Rembrandt malt sie als moderne Bathseba, wie sie den Brief von Rembrandt-David erhält.

Etwas Beruhigtes geht seitdem durch Rembrandts Werke. Die Melancholie sowohl wie die Begierde nach dem Weib ist geschwunden. Er war glücklich, hatte seine Häuslichkeit wieder. Eine einfache Frau, voll Güte und Hingebung, war die Gefährtin seines Lebens, führte die Wirtschaft, beschäftigte sich mit Titus, der ein schmucker Junge geworden war. Einem kleinen Prinzen des Nordens, einem träumerischen Hamlet gleicht er auf dem Bilde der Sammlung Kann. Auch ihre Mutter und eine andere Verwandte, einen wilden Gamin vom Lande hatte Hendrickje ins Haus genommen.

Diese Jahre sind die fruchtbarsten in Rembrandts Leben. Nachdem er selbst wieder ein Heim gefunden, radiert er jene »intimen« Bildnisse wie das des Jan Six, in denen Mensch und Heim, Figur und Umgebung sich verweben. Namentlich der Seelenfriede, die schweigsame Beschaulichkeit alter Leute zieht ihn an, jene große Gelassenheit, die so still scheint und doch einen Strom von Erinnerungen umschließt. Das Porträt der ehrwürdigen Mutter Hendrickjes mit dem milden sinnenden Blick kommt in Erinnerung. In ihr hat er die abgeklärte, leidenschaftlose Ruhe gemalt, die allmählich der Grundzug seines Wesens geworden. In keinem Phantasiekostüm, sondern im gewöhnlichen Rock, den Hut auf dem Kopf, hat er auf der Radierung von 1650 sich dargestellt, am Fenster, in die Arbeit vertieft. Das ist der Rembrandt, dem Hendrickje einen neuen Sommer bereitet hat, und der einen ruhigen, schönen Herbst erwartet. Immer mehr hatte er Gefallen daran gefunden, außerhalb der Gesellschaft zu sein, verließ selten sein Haus, jenes Paradies, das er sich geschaffen und wo er fern von der Banalität des Alltags als einsamer Geistesaristokrat dahinlebte.

Die Obrigkeit fand indessen, daß ein solches Leben gegen das Gesetz verstoße. Am 23. Juli 1654 erhielt Hendrickje ein Schreiben des Kirchenrates, der sie vor das Konsistorium entbot, weil sie mit Rembrandt, dem Maler, unzüchtigen Lebenswandel führe. Dreimal wurde sie citiert und kam nicht. Erst auf die vierte Mahnung »bekannte sie ihre Schuld und ist darüber ernstlich gestraft, zur Bußfertigkeit ermahnt und zum Tisch des Herrn nicht zugelassen«. Auch diese Scene, wie Hendrickje von den Nachbarn bei der Obrigkeit verklagt wird, verwandelte sich in Rembrandts Kopf wieder in ein biblisches Bild: wie Joseph bei Potiphar von dessen Frau verklagt wird. Frau Potiphar die Fama, die in scheinheiliger Entrüstung ihre Anschuldigung vorbringt; Potiphar, der sie mit strenger Amtsmiene anhört, das reformierte Konsistorium, der arme Joseph, der schüchtern und errötend wie ein Mädchen die Augen senkt, die gute Hendrickje. Das war das Vorspiel des Dramas, das nun folgte. Rembrandt, dem Millionen durch die Hände geflossen, ist plötzlich ohne einen Pfennig, mit Schulden überladen. All sein verdientes und ererbtes Vermögen ist fort. Das Vermögen seines Sohnes Titus, das er als Vormund zu verwalten hatte, ist verschwunden. Dem Titus ein guter Vater zu sein, hatte er der sterbenden Saskia gelobt, und in der Erinnerung an diese Stunde sich als Esau gemalt, wie er den jungen Jakob zärtlich im Arm hält. Jetzt hat er das Recht seines Erstgeborenen vergessen. Die kleine Cornelia, das Töchterchen Hendrickjes, mit ihrem rosigen blonden Kinderkopf hat neuen Sonnenschein in sein Haus gebracht. So malt er sich als Jakob, wie er Ephraim, den Jüngsten, segnet, und Manasseh, den Aelteren, vergißt. – Rembrandt grübelt. Ein alter Mann mit weißem, schon gelichteten Haar sitzt auf dem Kasseler Geometerbild an seinem mit Papieren bedeckten Tisch, in tiefes Nachdenken versunken. – Er bemüht sich, neue Summen zu erhalten. Doch die Darlehen, die er aufnehmen will, werden ihm verweigert. Er ist selbst für sein Geschick verantwortlich. Das Amsterdamer Publikum, das ihn hat fallen lassen, kann seine Hände in Unschuld waschen. So entsteht das Bild des Pilatus, der in gleichgültiger Gemütsruhe sich die Hände wäscht.

Auf das Drängen seiner Gläubiger wurde am 26. Juli 1656 der Bankerott eröffnet. Er, der Abscheu vor allen geschäftlichen Dingen hatte, mußte mit Gerichtsvollziehern verhandeln. Aeußerlich scheint ihm alles gleichgültig. Er hat die Ruhe gehabt, die Bildnisse der beiden Männer, die mit der Durchführung des Konkurses beauftragt waren, des Hauswartes der Schuldenkammer, Haaring, und seines Sohnes, des Auktionators, zu radieren. Aber ins gleiche Jahr gehört auch die Radierung der Ausstellung Christi. Als an den Straßenecken die gerichtlichen Affichen hingen, daß die Sammlungen des Malers van Ryn zur Versteigerung kämen, als Schneider und Handschuhmacher in dem stillen Hause der Breestraat erschienen, um die Ausstellung seiner Kunstsammlungen zu besichtigen, wird in Rembrandt das Bild des an den Pranger gestellten Christus lebendig, an den höhnend eine plebejische Menge sich herandrängt. Zur selben Zeit radiert er, wie Stephanus, der Protomartyr, gesteinigt wird: er selbst der erste von all den Großen, die das Bürgertum seitdem steinigte. Rembrandt, der eine neue Religion hatte bringen wollen, ward, während er im Reich seiner Gedanken weilte, von seinem Volke verleugnet. So malt er die Verleugnung des Petrus, malt Moses, der in wildem Zorn die Gesetzestafeln zertrümmert.

Ein reicher Schuhmachermeister kaufte sein Haus. Er selbst führte ein Nomadenleben, dann begann Hendrickje mit Titus einen Kunsthandel, um durch den Verkauf der Radierungen den Lebensunterhalt der Familie zu bestreiten. Auf der Rosengracht, am Ausgang des Judenviertels, wo Rembrandt früher so viel in den Antiquitätenhandlungen geweilt, lag die kleine Wohnung, die sie bezogen und wo er die letzten Werke schuf. Denn obwohl er seiner Habe beraubt ist, obwohl er in einem ärmlichen, kahlen Dachzimmer sitzt und seine Mahlzeit aus Pökelhering, Käse und Brot besteht – Rembrandt ringt weiter. »Ich lasse dich nicht, du segnetest mich denn,« lauten die Worte der Bibel, die Jakob spricht, als er mit dem Engel ringt. Mit diesem Bilde der Berliner Galerie hebt die letzte Schaffensperiode Rembrandts an.

Seine Kraft ist ungebrochen. Nur die Stimmung und die Farbe der Bilder ist anders. Nicht mehr die magischen Harmonien malt er, die sein Haus der Breestraat durchfluteten, sondern das kalte, nüchterne Tageslicht, das in kleine Dachzimmer fällt. Nicht mehr Prachtgewänder malt er, sondern Lumpen. Auf düster braune und schwarzgraue Töne ist alles gestimmt. Seine Kunst ist die eines armen Mannes, der das Salomonische »Alles ist eitel« an sich selbst erfahren. In ordinärem braunem Rock, eine weiße Mütze auf dem Kopf, steht er auf dem Louvrebild von 1660 an der Staffelei, das Gesicht unrasiert, die Haut welk, die Haare grau, aber noch immer Pinsel und Palette in der Hand, malend. Wie ein Franziskaner mag er in seiner braunwollenen Kutte sich vorgekommen sein, und es ist daher kein Zufall, daß eine seiner letzten Radierungen dem heiligen Franziskus, dem Poverello, der auch nichts Eigenes hatte, gewidmet ist. Mit diesem braunwollenen Mantel, den er selber trägt, drapiert er seine Modelle. Er zieht ihn der Mutter Hendrickjes an, der armen Alten, die auch viel gelitten hat, noch runzlicher, noch vergrämter geworden ist und die Zeit damit totschlägt, daß sie die Nägel sich schneidet. Er zieht ihn dem Alten an, den er als Matthäus malt, wie er atemlos den Worten des Engels lauscht, und dem müden Pilger, den die Galerie Weber besitzt. Dort ist die Inspiration, die vom Himmel einer Menschenseele zu teil wird, hier die Inbrunst eines Gebetes, das aus der Tiefe der Seele kommt, das Thema. Doch Christus namentlich, der große Dulder, der Gott der »Erniedrigten und Beleidigten«, tritt für ihn, den vom Schicksal Niedergeworfenen, wieder in den Mittelpunkt des Denkens. Er malt das Bild der Sammlung Demidoff, den leidenden geschlagenen Menschen mit den milden, gütigen Augen, und das Eccehomo in Aschaffenburg, jenes phantomartige Bild mit dem Ausdruck übernatürlicher Ruhe.

Auch noch eine Bestellung, obwohl als »charité«, ging ihm zu. Ein früherer Schüler, der Marinemaler Jan van de Capelle, der als Besitzer einer Färberei mit den Mitgliedern der Tuchmacherzunft bekannt war, verschaffte ihm den Auftrag, die »Staalmeester« zu malen. Und Rembrandt, der 1642 aus einem trockenen Schützenstück ein Märchenbild gemacht hatte, erledigte diese Aufgabe, ohne an Experimente zu denken, so wie sie gegeben war und wie die Früheren es thaten. Aber bei Aufträgen scheint ihn ein Verhängnis zu verfolgen. Wie 1642 nach der Vollendung der »Nachtwache« Saskia starb, stirbt 1664 nach der Vollendung der Staalmeesters Hendrickje. Als hätte er eine Ahnung gehabt, daß er ganz allein bleiben solle, hatte er schon 1659 die Radierung gezeichnet »die Jugend durch den Tod überrascht«: eine junge Frau und ein junger Mann, Hendrickje und Titus, denen ein Gerippe mit der Sanduhr in den Weg tritt. Nun als Hendrickje tot war, ging es auch mit ihm zu Ende. Seine letzten Bildnisse zeigen in entsetzlicher Weise, welche Veränderungen an ihm vorgingen. Das Gesicht ist aufgeschwämmt, marklos, die Backen schwammig, der Ausdruck schmerzverzerrt. Die Stirnbinde, die er unter der Mütze trägt, deutet auf chronischen Kopfschmerz. Die Augen, trüb vom Fusel, scheinen halb erblindet, Weyermann schildert ihn, wie er am Tag schläft und nachts sich in den Schnapskneipen betrinkt. Mit einer Eule, die im Dunkeln haust, vergleicht ihn Cats, und der vornehme Chevalier von Sandrart sieht ihn, wie er stieren Blickes, wankend, im Armenviertel zwischen Trödlerläden herumtrottelt.

Radieren kann er nicht mehr. Dazu reicht sein Auge nicht aus. Aber den Pinsel, wenigstens den Malstock, legt er nicht aus der Hand. Mit dem Messer trägt er die Farben auf, malt Reliefe. So entsteht das Familienbild der Braunschweiger Galerie – wen mag es darstellen? – und das seltsame Werk des Amsterdamer Museums, in dem er, der Einsame, des Boas gedenkt, der noch als Greis ein junges Mädchen heimführte. Das letzte Datum – 1668 – steht auf der Kreuzigung Christi der Darmstädter Galerie. Ein Kriegsknecht legt dem Heiland die Fußschellen an, ein anderer zieht ihn am Seile empor. Es ist vollbracht! – Am 8. Oktober 1669 starb er, nachdem auch Titus vorangegangen. Ein Inventar stellte fest, daß er außer seinem Arbeitsgerät und den wollenen Kleidern nichts hinterlassen hatte. Sein Leben war eine Schicksalstragödie. Man hat sie die Tragödie des ersten modernen Menschen genannt.


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