Richard Muther
Geschichte der Malerei. IV
Richard Muther

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3. Das Sittenbild

Die Italiener des 16, Jahrhunderts hatten die sittenbildlichen Elemente, die in den Werken des Quattrocento gegeben waren, nicht weiter ausgebildet. Scenen aus dem täglichen Leben zu malen, oder religiösen Bildern durch lustiges Beiwerk einen genrehaften Zug zu geben, lag nicht im Sinne dieser Zeit, für die nur das Edle, das Bedeutende Wert hatte.

Allein in den Niederlanden, dem Land der Kirmessen, war die Lust an solchen Dingen so groß, daß selbst in dieser monumental denkenden Epoche Einige auf den Bahnen weitergingen, die Quentin Massys mit seinen Wechslerbildern betrat. All die burlesken Scenen, die Lucas van Leyden und die deutschen Kleinmeister in ihren Kupferstichen behandelten, hielten in der Malerei ihren Einzug. Da man in Kirchenbildern so ernst und gemessen erscheinen mußte, freute es, in solchen kleinen Werkchen recht derbe unflätige Dinge zu erzählen.

Die Bildchen des Jan van Hemessen sind also sehr drastisch. Er führt in öffentliche Häuser, wo Männer mit schlampigen Weibern zechen, und saldiert sein Gewissen, indem er als Moral die Unterschrift »der verlorene Sohn« hinzugefügt. Cornelis Massys, der Sohn Quentins, erzählt Schwänke, wie sie in unserer Zeit Schroedter und Hasenclever malten: von einem Fuhrmann etwa, der Weiber auf seinen Wagen hat steigen lassen, und während er der einen den Hof macht, von der anderen bestohlen wird.

Pieter Aertsen kam von einer anderen Seite zum Sittenbild. Gerade weil die Kirchenmalerei des 16. Jahrhunderts aus ihren Werken alle Stilllebenelemente ausschloß, mußte frühzeitig ein Rückschlag folgen. Denn es gab auch Maler, die an diesem bunten Beiwerk viel mehr Freude hatten, als an den Gestalten der Bibel. Aertsens Werke zeigen, wie das Stillleben allmählich sich freimacht. Früchte malt er, Gemüse und Vögel, Fische und Wildbret, ganze Küchen mit blanken Messingmörsern und gelb glänzendem Kupfergeschirr, mit Tellern und Biergläsern, Kannen und Strohkörben. Und in diese Scenerie setzt er die dazu gehörigen Figuren: Hökerinnen, Köchinnen, Küchenbuben. Keine Episode wird erzählt. Seine Bilder sind Riesenstillleben mit Menschenstaffage, ohne Humor und witzige Pointen in schlichter Sachlichkeit und kräftiger Farbe gegeben. In diesem Sinn – weil er den Nachdruck nicht auf die Anekdote, sondern auf das Malerische legte – bezeichnet er eine wichtige Stufe in der Geschichte des Sittenbildes, verhält sich zu seinen Vorgängern ebenso wie in unserer Zeit Ribot oder Leibl zu den Novellisten Knaus und Vautier.

Aehnliche Küchen- und Marktstücke giebt es von seinem Schüler Joachim Beuckelaer. Namentlich das lustige Treiben auf dem Amsterdamer Fischmarkt machte ihm Spaß. Selbst die »Ausstellung Christi« dachte er sich als Marktstück mit Hökerinnen, Gemüse und Eierkuchen, mit Mägden und Bauern, die für Aepfel und Kohlköpfe größeres Interesse als für den Gemarterten haben.

Pieter Brueghel zog diese Fäden in seiner Hand zusammen, hat die Chronik seiner Zeit geschrieben. Wie alle Niederländer des späteren 16. Jahrhunderts hatte er die Reise nach Italien gemacht. Aber nicht vor den Bildern der großen Meister verweilte er. In der Natur, unter den Menschen trieb er sich umher. Wie Dürer einst auf seiner Wanderschaft, macht er überall Halt, wo ein hübsches landschaftliches Motiv ihn reizt, zeichnet die Felsen der Alpen mit derselben Einfachheit wie den Hafen von Messina, freut sich am bunten Treiben des italienischen Volkes. In die Heimat zurückgekehrt, findet er im Alltagsleben des Nordens ebenso Malerisches, wie er im Süden gesehen. Namentlich Zeichnungen von ihm muten seltsam modern an. Die allereinfachsten Dinge stellen sie dar: einen Bauer, der auf dem Weg zum Markt auf einem Baumstumpf ausruht; Gäule, die einen schweren Karren über staubige Landstraßen ziehen; einen Holzhacker, der müde mit der Axt unterm Arm nach Hause geht. Auch Studienköpfe giebt es, die in ihrem unbefangen großen Realismus statt vor 300 Jahren heute gemalt sein könnten.

In den Bildern war solche Einfachheit nicht möglich. Da konnte es nicht abgehen ohne großen Apparat und humoristische Episoden. Brueghel benutzt also seine frischen Studien nur, um sie zu großen Erzählungen zusammenzusetzen.

Zunächst muß die Bibel die Stoffe liefern. Er malt ein vlämisches Dorf zur Winterzeit. Eine Abteilung Kavallerie – genau nach den Regeln des Exerzierreglements in Haupttrupp und Nachhut gegliedert – ist von der Landstraße angekommen. Die Ersten sind abgesessen und schicken sich zur Haussuchung an. Männer und Frauen stürzen auf die Straße und rufen ihre Kinder herbei. Andere verrammeln die Thüren der Häuser. Denn die Kavalleristen haben den Befehl, den bethlehemitischen Kindermord vorzunehmen. Oder ein bunter Menschenschwarm, zu Fuß, zu Wagen, zu Pferd wälzt sich über die Landstraße einem Berge zu. Handwerker und Krämer, Geistliche und Soldaten, Weiber und Kinder, die ganze Stadt ist auf den Beinen, denn eine Hinrichtung giebt es nicht jeden Tag zu sehen. Wie dieses Bild die Kreuzigung Christi, soll ein anderes mit einem Steueramt und vlämischen Kleinbürgern, die ihre Steuern zahlen, die Scene darstellen, wie Joseph und Maria zur Schätzung nach Nazareth kommen.

Anderen Bildern giebt er eine allegorische Maske, malt einen Sonntagvormittaggottesdienst und schreibt darunter »der Glaube«, oder eine Gruppe armer Leute, die aus vollen Backen kauen, und schreibt darunter »die Wohlthätigkeit«, oder eine Gerichtssitzung mit Advokat, Richter und Publikum, dazu die Unterschrift »die Gerechtigkeit«. Oder er erweitert, wie später Hogarth, seine Bilder zu Moralpredigten, führt ganze »Lebensläufe auf schiefer Ebene« vor. Der Alchemist, der alles in seine Erfindungen steckt, endet mit Frau und Kindern im Armenhaus. Der Quacksalber, der die Leute betrügt, kommt in den Kerker. Den Blinden, die auf dem Bilde des Neapeler Museums sich durch die Landschaft tasten, liegt der Bibelspruch zu Grunde: »Wenn ein Blinder den anderen führt, fallen beide in die Grube.«

Sieht er ausnahmsweise von biblischen und allegorischen Titeln ab, so muß die massenhafte Anhäufung komischer Züge für die mangelnde Moral entschädigen. Kirchweihfeste mit zahllosen Figuren, Eisvergnügungen und ähnliche Dinge, die sich breit und ausführlich erzählen ließen, bilden den Inhalt der Werke. Sein Wiener Bild »der Kampf des Faschings mit den Fasten« ist ein Traktat über allen Blödsinn, der sich zur Karnevalszeit ersinnen laßt; seine Bauernhochzeit ein Traktat über Völlerei. Bei den Eisvergnügungen werden alle lächerlichen Episoden aufgezählt, die beim Schlittschuhlaufen vorkommen können. Oder er steigert die Komik dadurch, daß er aus den Bauern wahre Bestien von Scheußlichkeit macht.

Brueghel ist darin ein echter Sohn des 16. Jahrhunderts. Eine Zeit, die nur Götter und Heroen zu sehen gewohnt war, vermochte nicht die Poesie der Wirklichkeit zu fühlen. Das Alltägliche mußte in humoristischen Gegensatz zum Edlen gebracht werden. Denn die Anschauung war, daß die Natur nicht dargestellt werden könne, weil sie häßlich sei. Für diese Lehre schafft Brueghel die Dokumente herbei, indem er der Schönheitsgalerie der Idealisten seine Galerie der Häßlichkeiten zur Seite stellt.

In andere Bahnen konnte das Sittenbild erst einlenken, als die Kunst des 17. Jahrhunderts mit der Lehre von der Häßlichkeit der Natur gebrochen und an die Stelle der »edlen« Heiligen Menschen von Fleisch und Blut gesetzt hatte. Die Wesen, die gut genug schienen, das Gewand von Heiligen anzuziehen, waren auch schön genug, in ihren eigenen Gewändern gemalt zu werden: nicht mehr als karikierte Tölpel und Helden lächerlicher Anekdoten, sondern ernst und sachlich. So wurde Caravaggio, der erste große Naturalist, auch der erste Volksmaler. Und indem er, wie in unseren Tagen Courbet, lebensgroßen Maßstab für seine Darstellungen wählte, beseitigte er das letzte Hindernis, das der Behandlung solcher Stoffe im Wege stand. Das Sittenbild trat der Kirchenmalerei als gleichberechtigter Kunstzweig zur Seite.

Noch in Caravaggios frühe Zeit gehört das liebliche blonde Mädchen der Liechtensteingalerie, das so träumerisch den Tönen ihrer Laute lauscht. Später tritt an die Stelle goldig leuchtender Farbe auch in solchen Bildern düsteres Kellerlicht, und die Gestalten werden urwüchsiger, wilder. Mit Landsknechten, Zigeunern und Dirnen trieb er in den Winkelkneipen sich herum, und diese Leute, in deren Gesellschaft er am liebsten war, sind auch die Helden seiner Bilder. Für den Kardinal del Monte malte er die wahrsagende Zigeunerin (heute in der Galerie des Kapitols); für ihn die Falschspieler der Galerie Sciarra, die in anderer Redaktion auch in Dresden vorkommen. Eine Gesellschaft musizierender junger Leute war auf einem weiteren Bilde dargestellt. Damit war den Folgenden ein neues großes Gebiet erschlossen.

Von Franzosen folgte ihm der jung nach Rom gekommene Jean de Boulogne, genannt le Valentin. Landsknechte, die beim Würfelspiel in Streit geraten oder in der Kneipe mit ihren Dirnen musizieren, sind seine gewöhnlichen Stoffe. Selbst wenn er ausnahmsweise biblische Bilder, wie die Unschuld der Susanne oder das Urteil Salomos, malt, behandelt er sie im derben naturalistischen Stil des Volksstücks. Von Vlaamen gehört in diese Gruppe Theodor Rombouts, der Sängergesellschaften und Kartenspieler in lebensgroßen Figuren malte, von Holländern Gerhard Honthorst, der den »Kellerlukenstil« Caravaggios durch Kerzenbeleuchtung noch mehr motivierte, Michelangelo Cerquozzi und Antonio Tempesta gingen von Volksstücken zu Jagdbildern und zur Schlachtenmalerei über, die im Jahrhundert des großen Krieges dankbares Publikum fand. Benedetto Castiglione brachte Hirtenstücke mit Ziegen, Schafen, Pferden und Hunden. Hatte das majestätische 16. Jahrhundert nur eine Art der Malerei, die große Geschichtsmalerei gelten lassen, so erfolgt nun die Ausbildung aller anderen Kunstzweige.


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