Richard Muther
Geschichte der Malerei. IV
Richard Muther

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7. Murillo

Als Velasquez 1660 starb, wurde sein Leichenbegängnis wie das eines Granden gefeiert. Der ganze Hof, die Ritter aller Orden wohnten den Feierlichkeiten bei. Man begrub mit ihm die Madrider Kunst.

Nach dem Tode des Meisters arbeitete in Madrid noch Battista del Mazo, der oft die Wiederholungen der Bildnisse seines Schwiegervaters ausführte und außerdem durch eine Ansicht von Saragossa bekannt ist, das einzige Landschaftsbild, das in Spanien gemalt wurde. Hofmaler, der Erbe von Velasquez' Aemtern und Titeln wurde Juan Carrenno de Miranda. Kein sehr glückliches Los. Denn den Todeskampf, die letzten Zuckungen der spanischen Habsburger hatte er zu malen. Marianne von Oesterreich, die Regentin, die auf Velasquez' ersten Bildern noch einen Anflug ihrer Wiener Feschigkeit bewahrte, ist nun ganz bigotte Betschwester geworden. Ein schwarzgebundenes Breviarium hält sie; aller Kleiderprunk ist gefallen, der Juwelenschmuck abgelegt, das Haar unter dunkelm Witwenschleier begraben. Dann ward für Carrenno Carl II., was für Velasquez Philipp gewesen. Dieselben bleichen Wangen, denselben Unterkiefer, dasselbe weiche blonde Haar, das Velasquez so oft gemalt, hatte er zu malen. Nur die blauen melancholischen Augen sind nicht mehr die gleichen. Sie blicken ausdruckslos, blöd und leer wie die des Ninno de Vallecas, jenes Wasserkopfs, der die Reihe der Narrenbildnisse des Velasquez abschließt. Die Habsburgische Familientragödie ist zu Ende.

Nur in Sevilla lebten um diese Zeit noch große Meister. Die spanische Kirchenmalerei sprach ihr letztes Wort.

Wenn bei irgend einem, ist bei Alonso Cano zu bedauern, daß die spanische Kunstgeschichte noch so wenig erschlossen ist. Er muß eine interessante Persönlichkeit gewesen sein, dieser »junge Mensch mit den funkelnden Augen, dem auffahrenden Wesen und den Kavaliersmanieren, dessen Degen allezeit aus der Scheide flog«. Zusammen mit Melzi, Savoldo und Boltraffio gehört er in die Gruppe derer, die man die »Aristokraten der Kunstgeschichte« nennen möchte. Rechnet man hinzu, daß er aus der südlichsten Stadt des Landes, aus Granada, stammte, so ergiebt sich die Mischung von südlichem Brio und stolzer Ritterlichkeit, die so bestrickend aus seinen Werken spricht. Man denkt vor seinen Bildern an Kavaliere, die sich duellieren, an Kartellträger und Sekundanten, an Rapiere, Florette und Säbel. Und die Frau, um die gekämpft wird, heißt Maria oder Therese oder Agnes. Die spanische Heiligenmalerei ist unter Canos Händen ritterlicher Minnedienst geworden. Jeder Besucher der Berliner Galerie kennt sein wunderbares Bild der heiligen Agnes, der Patronin der Keuschheit, der Gottesbraut, die mit großen braunen andalusischen Augen staunend ins Unendliche starrt. Jeder Besucher der Münchener Pinakothek kennt die »Vision des Antonius«, jene Maria, die stolz wie eine Venus victrix und zart wie ein Tanagrafigürchen herniederblickt auf den blassen Mönch, der, das Jesuskind im Arm, in schwärmerischer Verzückung zu ihr aufschaut. Das ist keine Kirchenmalerei. Es sind Liebeslieder, wie sie die ritterlichen Sänger des Mittelalters an ihre liebe Frouwe richteten. Wie apart sitzt das Krönchen auf dem winzigen herben Kopf der Madonna; mit welch exquisitem Geschmack hat er den Schleier, den Perlenschmuck, die Palmen und Lilien geordnet! Oder er zeigt Maria, wie sie, das Kind auf dem Schoß, in nächtlicher Landschaft träumt. Keinen Nimbus hat sie, sondern die Sterne des Himmels fügen hinter ihr sich zu strahlendem Kranz zusammen. Oder die Grablegung ist gemalt. Nicht die irdischen Freunde des Herrn haben, wie auf früheren Bildern, um die Gruft sich geschart; Engel mit leuchtenden Fittigen sind herniedergeschwebt, den bleichen Körper zu stützen.

Von Juan Parejas ist für den spanischen Naturalismus besonders das Bild des Madrider Museums bezeichnend, das die Berufung des Matthäus zum Apostelamt darstellt. Uhde und Jean Béraud sind in der Verquickung des Modernen mit dem Biblischen nicht weiter gegangen. Hatte das Cinquecento alle Porträtfiguren aus kirchlichen Bildern verbannt, so läßt die Zeit der Gegenreformation das Ueberirdische unvermittelt in die irdische Welt hereinragen. Das Zimmer eines Zollamtes ist gemalt, wo spanische Herren im Kostüm des 17. Jahrhunderts sitzen. Und in dieses Zimmer tritt ein fremder Herr in schlichtem Gewand, Christus, herein. Auch Claudio Coellos Bild des heiligen Ludwig zeigt, wie das 17. Jahrhundert unter gänzlicher Nichtbeachtung des 16. auf die fromme Zeit des Quattrocento zurückgreift. Vorn ein Fürst in der ritterlichen Tracht der Epoche. Dahinter die heilige Familie, in der Luft jubilierende Engel. Daß Matteo Cerezo in seinem Hauptwerk nicht das Abendmahl, sondern die Jünger in Emaus darstellte, kennzeichnet gleichfalls die veränderten Anschauungen. Mehr als die Darstellung eines geschichtlichen Vorganges entsprach dem mystischen Sinne dieser Zeit das Thema, wie Christus als Geist unter die Jünger tritt. Oder er malt in einem Werk, das seltsam an das Bild eines großen Idealisten unserer Tage, an Watts' »Liebe und Leben« anklingt, den Schutzengel, der das Kind durchs Leben geleitet, also die Tobiaslegende der Savonarolazeit in neuer Prägung.

Murillo zieht alle diese Fäden in seiner Hand zusammen, hat das Erbe des spanischen Kunstbesitzes angetreten.

Lebensgroße Volksstücke, wie sie seit Riberas Tagen die spanischen Maler beschäftigten, bilden auch zu seinem Oeuvre die Einleitung. Ja, an die Betteljungen der Münchener Pinakothek denkt man in Deutschland besonders, wenn der Name Murillo genannt wird. Da kauern ein paar Buben würfelnd an der Straßenecke, dort zählen kleine Obstverkäuferinnen ihre Barschaft oder braune Rangen halten in schmutzigem Gewinkel ihre aus Melonen und Brotrinden bestehende Mahlzeit. Und wie Ribera ist Murillo in solchen Bildern ein Stilllebenmaler sondergleichen. Den Sammet der Pfirsiche, den blauen Reif der Weintraube, das Fell der Melone, die gelbe Schale der Orange, die saftigen Sprünge mürben Obstes, die irdenen Krüge und geflochtenen Körbe malt er mit einer Stofflichkeit und koloristischen Noblesse, wie sie von späteren Stilllebenmalern kaum Chardin hatte. Eines dieser Volksstücke, die Gallegas, verrät sogar, daß es Courtisanen im kirchlich strengen Spanien gab.

Im Ton solcher Volksstücke sind auch seine Bilder aus der Jugendgeschichte Christi und der Maria gehalten. Bei der Anbetung der Hirten malt er wie Ribera sonnenverbranntes armes Volk, das sich neugierig um die Wiege schart, und fügt wie dieser ein ganzes Stillleben von Töpfen, Strohbündeln und Tieren hinzu. Ist die heilige Familie dargestellt, so führt er in die schlichte Werkstatt eines Zimmermanns, wo Maria an der Garnwinde sitzt und Joseph von der Arbeit ausruhend dem Kinde zusieht, das mit einem Vögelchen und einem Hündchen spielt. Auf dem Bilde der Erziehung der Maria trägt Elisabeth das Kostüm des 17. Jahrhunderts, und Maria sieht aus, wie eine Prinzessin des Velasquez.

Ein ganzer Cyklus solcher Volksstücke war in dem Hospital von Sevilla vereinigt. Wie Rafael im Vatikan die Philosophie der Renaissance gemalt hatte, schilderte Murillo die Ethik der Gegenreformation: die Werke der christlichen Nächstenliebe und die Segnungen des Almosens. Die Speisung der Hungrigen interpretiert er durch das biblische Wunder der Vermehrung der Brote, die Tränkung der Durstigen durch Moses, der in der Wüste den Wasserquell aus dem Felsen schlägt, die Heilung der Kranken durch die Geschichte vom Gichtbrüchigen am Teich Bethesda, den Samariterdienst durch den heiligen Juan de Dios, der einen auf der Straße niedergefallenen Armen dem Hospitale zuschleppt, die Gastfreundschaft durch die Geschichte vom verlorenen Sohn, der wieder Aufnahme im Vaterhaus findet, die Krankenpflege durch die heilige Elisabeth. Das Bild des Prado, wie der heilige Thomas von Villanueva Almosen spendet, und das der Münchener Pinakothek, wie der heilige Johannes de Dio einen Lahmen heilt, sind weitere Beispiele dieses philanthropischen Naturalismus.

Irdisches und Ueberirdisches klingen in anderen Werken durcheinander. Manches in dem Bild der Geburt der heiligen Jungfrau – das Wochenbett mit der Wöchnerin, den Arzt, die Hebamme und die Gevatterinnen, die zum Besuche kommen – könnte ein Realist wie Ghirlandajo gemalt haben. Aber unter die Mägde, die das Bad der Neugeborenen bereiten, mischen sich geschäftig die Englein des Himmels. Bei der Verkündigung glaubt man in die Dachluke einer Näherin zu blicken. Ein Korb Wäsche steht vor Maria. Oben aber hat der Himmel sich aufgethan; Gottvater, von einem Engelreigen umgeben, schaut hernieder.

Die Wandlung, die die Typen damals durchmachten, zeigt sich in diesem Bild besonders deutlich. In der Renaissance war Maria die machtvolle Königin, hier ist sie ein einfaches andalusisches Mädchen. Und namentlich, sie ist jünger als auf Bildern der früheren Zeit. Indem man sie so kindlich darstellt, so nonnenhaft blöd und scheu, betont man desto mehr das Dogma der unbefleckten Empfängnis. Nicht als Mutter soll sie erscheinen, sondern als himmlisches Medium, als jungfräuliche Trägerin des Gottessohnes. Mit dieser dogmatischen Anschauung, die nicht gern das Verhältnis der Mutter zum Kind berührt, hängt auch zusammen, daß zuweilen – was früher nie geschah – Joseph an die Stelle Marias tritt. Eine Lilie hält er als Zeichen seiner Unschuld im Arm, und das Christkind steht mit der Bewegung des Noli me tangere auf seinem Schoß. Selbst in Marienbildern sind die beiden Gestalten selten in Beziehungen zu einander gesetzt. Sie blicken ernst aus großen, tiefen Augen herab. Hatte die Renaissance das Madonnenbild zu einer Familienidylle gemacht, so greift die Gegenreformation auf das mittelalterliche Mosaik zurück. Nur aus den dunkeln ahnungsvollen Augen, die auf den Betrachter sich richten, soll sich die Stimmung der Bilder entwickeln.

Auch wenn Christus allein erscheint, bleibt er fast immer das Kind. Er wandelt gedankenvoll durch einsame Steppen, rastet – das Lamm zur Seite – auf den Trümmern der Heidenwelt, führt, den Hirtenstab in der Hand, als guter Hirte die Lämmer durch den dunkeln Wald, trifft in der Wüste mit dem kleinen Johannes zusammen. Nicht als Mann darf er erscheinen, der aus eigener Kraft zum Propheten geworden. Das Mysterium ist um so größer, wenn in einem Kind, das noch nicht denken kann, der heilige Geist sich offenbart.

Nun folgen die vielen Werke, mit denen er sein eigenstes Gebiet, das der Wundererscheinungen, der Ahnungen und Träume betritt. Der heilige Franciscus hat vor dem Crucifixus gebetet. Da löst sich der Arm Jesu vom Kreuzesstamm und legt sich dem Verzückten auf die Schulter. Oder ein kinderloses Ehepaar will eine fromme Stiftung machen. Doch sie wissen nicht, wie und wo. Da erscheint ihnen nachts in schneeweißem Gewande Maria und weist auf die Schneefläche des Esquilin. Im nächsten Bild knieen sie vor dem Papst und erzählen die Vision. Rechts zieht eine Prozession nach dem neuen Gotteshaus hin. Einem andalusischen Bettelmönch, dem heiligen Diego, ist die Engelküche des Louvre gewidmet. Der war ein so frommer Mann und sehnte sich so nach dem Himmel, daß er während des Gebetes sich in die Luft erhob. Das geschah auch eines Tages, als das Kloster hohen Besuch erwartete und Diego Küchenmeister war. Als ein Ordensbruder und zwei Kavaliere in der Thür erscheinen, um nach dem Koch zu schauen, hängt er wie festgenagelt in der Luft. Als gute Heinzelmännchen sind die Engel vom Himmel gekommen und haben die Arbeit des frommen Bruders gethan.

Doch nicht nur die Engelein helfen den Guten. Auch Maria steigt zu ihren Verehrern herab und bringt ein feines odeur de femme in die Zellen der Cölibatäre. Dem Sankt Bernhard namentlich erscheint sie gern, wie sie schon ehedem zur Zeit Savonarolas gethan. Und wenn sie nicht selber kommt, schickt sie das Kindlein. Der alte Sankt Felix macht einen Bettelgang, da kommt es hernieder vom Himmel und giebt sich ihm zum Kuß in den Arm. Noch lieber als diesen verwitterten grauen Bettelmönch besucht es den feinen jungen Antonius. In dessen Zelle hörte man oft Stimmen flüstern, und wenn gefragt wurde, wer da sei, antwortete der Mönch: das kleine Christkind ist zu Besuch. Das hat Murillo in vier Bildern behandelt. Erst wie Antonius, ganz ins Gebet versunken, gar nicht merkt, daß das Christkind auf dem Buche sitzt. Dann wie er aufblickt, und zitternd vor Begierde den warmen rosigen kleinen Körper umarmt.

Die Concepcionen bilden den Abschluß von Murillos Werken. Gerade in Spanien war das Dogma der Ueberschattung Mariä durch den heiligen Geist in den Mittelpunkt des Kultus getreten. Alle Maler Sevillas hatten das christliche Mysterium gefeiert. Keiner that es häufiger als Murillo. Nicht auf Wolken, wie auf italienischen Assunten, wird Maria emporgetragen. Ruhig schwebt sie im Aether, der von leuchtendem Gold wie von befruchtendem Sonnenstaub gefüllt ist. Auch nicht begeisterungsvoll sehnsüchtig wie auf italienischen Bildern blicken ihre Augen. Sie schauen staunend wie die eines Kindes, das in den Lichterglanz der Christnacht blickt.

An künstlerischen Qualitäten sind alle diese Werke sehr ungleich, und die Schwärmerei für Murillo ist überhaupt nicht mehr so groß wie früher. Im Beginn des Jahrhunderts, als durch die napoleonischen Kriege ein Teil seiner besten Bilder ins Ausland kam, bedeutete der Name Murillo alles: Andacht, Schönheit, Liebe, Verzückung. Er war der erste Spanier, den man kennen lernte, und sein Erscheinen war daher die Entdeckung einer neuen Welt. Später, als seine Vorgänger bekannt wurden, büßte er manchen seiner Ruhmestitel ein. Seine Kunst erscheint vielfach als eine Verweichlichung und Entnervung der alten spanischen Mannhaftigkeit, als eine Uebersetzung des spanischen Idioms in eine allgemeine Weltsprache. Weder hat er die Ritterlichkeit Canos, noch die Gewalt Zurbarans, noch die wilde Kraft Riberas. Er hat das Mittelmaß, das allgemein Verständliche, eine weichliche, schmeichelnde Süßigkeit, verhält sich zu seinen Vorgängern ebenso wie in Rom Rafael zu Michelangelo und Leonardo.

Teils erklärt sich diese milde Freundlichkeit daraus, daß Murillo einem jüngeren Geschlechte angehört. Durch die Werke der ersten geht Kampfstimmung. Sie leben in den Stoffen, die sie schildern. In glühender Leidenschaft verkünden sie die Lehren des Christentums, kämpfen in fieberhafter Erregung gegen den Paganismus der Kirche, führen Martyrien und Visionen unter Finsternis und Blitzen vor. Murillo vollendete das Zeitalter. Der wild sprudelnde Quell ist zum sanften Strome geworden. Was die anderen erregt hatte, ist ihm nur Stoff für elegante Bilder. Nie rauh und rücksichtslos, herb und puritanisch ist er, sondern pikant, gefällig und reizvoll. Der Chic hat sich des Kirchlichen bemächtigt und aus den Heiligen, die anfangs so drohend waren, zierliche Nippfiguren gemacht. Seine weiche, träumerisch zarte Malerei gleicht einem schönen Sommerabend, wenn ein Gewittersturm vorübergegangen und eine ruhige Sonne am Horizont die Erde in rosige Strahlen hüllt.

Andernteils berührt er auch deshalb weniger schroff, weniger »spanisch« als seine Vorgänger, weil die Welt, für die er arbeitete, nicht durch so enge Mauern begrenzt war. Velasquez war der Maler des Hofes, Zurbaran der Maler der Mönche. Die Welt des einen war der Alcazar, die des andern das Kloster. Murillo arbeitete für die gebildeten Kreise der Großstadt. Gemalte Wohlthätigkeitskonzerte könnte man die Bilder des Hospitals von Sevilla nennen, in denen er den Begüterten die Mühseligen und Beladenen ans Herz legt. Wie ein Vorgang aus der gutbürgerlichen Gesellschaft wird die Rückkehr des verlorenen Sohnes gegeben. Diese Rücksicht auf den Geschmack der Bourgeoisie, die keine Dinge zu sehen wünscht, die andere als angenehme Empfindungen hervorrufen, hat ihn nie verlassen. Könnte man Zurbaran und Ribera in ihrer rauhen Wahrheit mit Flaubert und Zola vergleichen, so berührt Murillo in seiner Wohlerzogenheit sich mit Ohnet oder der Marlitt. Wohl schleppen auf einem seiner Hospitalbilder Kranke auf Krücken sich heran. Einem Knaben werden die Kopfgeschwüre gewaschen. Ein Mann hat sein Knie entblößt und zeigt den Knochenfraß seines Schienbeins. Doch dieses Düstere ist nur da, damit die Schönheit und Güte der zarten Samariterinnen desto heller strahlt. Den schönsten Mädchen Sevillas, jenen braunen schwarzäugigen Kindern, die Mérimée in Carmen beschreibt, weist er die Rolle der Madonna zu. Selbst seine Betteljungen ähneln nicht dem rauhen schmutzigen Gesindel Riberas. Er beschneidet und glättet ihnen die Nägel, macht sie so salonfähig, daß auch der gern die gemalten betrachtet, der die Berührung der lebendigen meidet. So erklärt sich, daß die Bilder schon zu einer Zeit als Meisterwerke galten, als sonst solche Stoffe noch ästhetisch verpönt waren. So erklärt sich, daß gerade Murillo zu Beginn des Jahrhunderts in so weite Kreise den Geschmack für spanische Malerei trug. Alle anderen waren so herb, so aristokratisch, so zugeknöpft. Murillo, der Maler der altspanischen Bourgeoisie, sprach auch zu der des 19. Jahrhunderts die verständlichste Sprache, gewann die Herzen durch die nämlichen Qualitäten, die vorher Palma vecchio, später Angelika Kaufmann, Fritz August Kaulbach und Nathanael Sichel zu den Lieblingen ihrer Epoche machten.

Nach ihm kam nur noch José Antolinez, ein weicher, ein wenig süßlicher und koketter Maler, dessen Lieblingsdarstellungen blonde Magdalenen und heilige Jungfrauen in der Himmelsglorie waren. Beim jüngeren Herrera ist die spanische Religiosität zur reinen Theaterempfindung geworden. Ein Weltkind, schaltet er mit den Gestalten des Kultus ebenso operettenhaft, wie einst in Italien Filippino Lippi. In Rosenduft und Veilchenblau ist alles aufgelöst. Mit der Miene des Don Juan schwebt Hermengild empor. Der letzte Spanier, Juan de Valdes Leal, der dämonisch düstere Meister, ist kaum mehr in diese Zeit zu rechnen. Das Bild von ihm mit den Särgen und verwesten Leichen, über die eine Hand aus dem Gewölbe eine Wage hält, kündigt schon die grausigen Radierungen an, die im nächsten Jahrhundert Goya schuf.


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