Richard Muther
Geschichte der Malerei. IV
Richard Muther

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13. Hals' Zeitgenossen

Für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts bedeutet Hals ein Centrum. Da er Bildnisse und Volksfiguren malte und in seinen Regentenstücken auch ganze Stillleben anhäufte, hat er nach allen diesen Seiten gewirkt: Porträtisten, Genre- und Stilllebenmaler folgten ihm.

Jan Verspronck und Jan de Bray malten Schützenstücke, die in ihrem feinen, grauen Ton und ihrer frischen Lebendigkeit denen des Meisters ähneln. Sonst waren Soldatenbilder unter den Nachfolgern des Hals beliebt. Die holländischen Bürger erinnerten sich, wenn sie in ihren behäbigen Stuben saßen, stolz ihrer Militärzeit, all der Strapazen und Gefahren, die sie durchgemacht, und von denen sie ihren Kindern erzählten. In den Zeitungen lasen sie von den Dingen, die sich drüben im armen Deutschland abspielten. In Holland selbst trieben noch versprengte Söldner sich umher. Der Bürger, der sein Bildnis hatte anfertigen lassen, dehnte daher sein Maecenat darauf aus, daß er Erinnerungen an sein Kriegsleben malen ließ. Biwakscenen, Einquartierungen und Plünderungen machten den Anfang. Dann wurden die außerdienstlichen Beschäftigungen flotter Offiziere geschildert: wie sie mit galanten Mädchen bei Wein, Spiel und Liebe sich für die Entbehrungen des Felddienstes entschädigen. Dirk Hals, Fransens jüngerer Bruder, Pieter Codde, Jan Olis, Jacob Duck und Antony Palamedes sind die Vertreter der Gruppe. »Man sitzt am Fenster, trinkt sein Gläschen aus und segnet Fried' und Friedenszeiten.«

Andere gingen von Soldatenbildern zu Scenen aus dem Volksleben über. Der »dritte Stand«, der nun der herrschende geworden, weist stolz darauf hin, daß es unter ihm noch einen »vierten Stand« giebt. Während in dem höfischen Frankreich die plebejischen Manieren der Bourgeois Monsieur Dimanche und Monsieur Jourdain den Aristokraten Stoff zum Gelächter geben, lacht in Holland der Bürger über das ungehobelte Benehmen des Volkes. Namentlich das Kneipenleben und der Tabak spielen in den Bildern eine Rolle. Denn die Tabakspfeife war um 1600 so neu, wie vor 10 Jahren das Velociped. Und in Holland zuerst waren Bierwirtschaften errichtet worden. Von Jan Molenaer sieht man in den Galerien solche Figuren zechender und rauchender Burschen. Selbst die Frauenemancipation nimmt im bürgerlichen Holland schon ihren Anfang. Eine Frau tritt auf, die nicht als noble Passion die Malerei betreibt, sondern sie zum Lebensberuf macht. Judith Leister malte Zechbrüder und musizierende Pärchen, hübsche, frauenhaft gefällige Bilder, in denen sie den weichen Glanz des Kerzenlichtes zart interpretierte. Adriaen Brouwer, der abenteuerliche Gesell, gehört, obwohl Vlaame von Geburt, gleichfalls in diesen Kreis. Bei den Holländern hatte er Dienste genommen, nachdem er aus dem Vaterhaus entflohen. Mit den Holländern verteidigte er Breda gegen die Spanier. Mit einer holländischen Schauspielertruppe trat er in Amsterdam und Harlem auf. Und noch im spanischen Antwerpen spielte er so sehr den Holländer, daß er auf die Festung gesetzt wurde. Auch seine Bilder in ihrer hanebügenen Derbheit fügen sich dem Rahmen der holländischen Kunst besser als dem der vlämischen ein. Im Qualm der Winkelkneipen, bei Bier und Schnaps, unter betrunkenen Proleten treibt er sich herum. Tölpel, die würfeln und Karten spielen, sich raufen, mit dem Messer stechen und am nächsten Morgen ihren dicken Kopf vom Dorfbader verbinden lassen – das ist der Inhalt seiner Werke. Gewiß ein einseitiges, fast widerliches Thema. Aber die koloristische Noblesse ist so groß, daß man den Inhalt ganz vergißt, nur die Bravour der Mache bewundert. Brouwer ist ein geborenes Maleringenium. Nichts Reflektiertes, nichts Mühsames giebt es. Jeder Strich sitzt auf Anhieb. Es wird erzählt, daß er in der Kneipe, wenn er die Zeche nicht zahlen konnte, rasch eine Skizze aufs Papier warf und sie dem Kunsthändler schickte. So scheinen seine meisten Bilder entstanden. Nie denkt er an handwerkliches Fertigmachen. Jedes wahrt die Unmittelbarkeit der Skizze, und schon deshalb sind seine Werke ein Entzücken für jedes Malerauge.

Innerhalb der Landschaftsmalerei stehen zu Beginn des 17. Jahrhunderts zwei Richtungen sich gegenüber. Cornelis Poelenburg, Dirk van der Lisse, Bartholomäus Breenberg und Moses van Uytenbrock erzählen den holländischen Bürgern, wie es im schönen Italien aussieht, malen kleine Landschaften aus der Umgebung Roms und Tivolis, die sie mit Hirten und Satyrn, mit Göttinnen und badenden Nymphen staffieren. Alles ist von kalligraphischer Eleganz, einer gefälligen, aber oberflächlichen Anmut. Noch während in diesen Bildchen jene »arkadische« Landschaftsmalerei ausklingt, die ihren Hauptvertreter in Albani hatte, beginnen andere vom Boden der Heimat Besitz zu nehmen, die man zu schätzen wußte, da sie mit Blut erkauft war. An die Stelle der italienischen Scenerien treten schlichte holländische Gegenden: flaches Gelände mit hohen Dünen und weitem Fernblick. Die Nymphen und Göttinnen verwandeln sich in Bauern, Fischer, Fuhrleute, Holzhacker, Jäger und Schiffer. Die älteren Landschafter – Hans Bol, Hendrik Averkamp, Adriaen van de Venne und Esaias van de Velde – kommen noch nicht ohne breite Erzählung aus. Denn es mußte sich in den Bildern etwas Interessantes ereignen, wenn sie den Beifall der bürgerlichen Kunstfreunde finden sollten. Volksbelustigungen auf dem Eise – der Sport war damals neu – Schlittenscenen, Jahrmärkte, Jagden bilden also den Inhalt der Werke. Dann tritt die figürliche Staffage mehr zurück. Der Künstler emancipiert sich von den Anforderungen der Besteller. Ein Weg, der zwischen Feldern zum Walde führt, der Abhang einer Düne, ein Dorf zwischen Bäumen und Sträuchern, belebt von Bauern und Wagen, von einem Reitertrupp oder Marodeuren, flache Gegenden mit Kirchtürmen und Windmühlen kehren bei Pieter de Molyn und Hercules Seghers wieder. Jan Porcellis nahm an der Küste sein Standquartier, beobachtete die See in ihrer grauen Farbe und ihrem eintönigen Wellenschlag mit ruhiger, echt holländischer Sachlichkeit. Der Boden für die großen Landschafter und Marinemaler der folgenden Epoche ist bereitet.

In die Speisezimmer werden Stillleben gehängt – auch sie eine Verherrlichung des Luxus, den der reich gewordene Bürger mit dankbarer Freude genießt. Früher, so lange Holland Provinz war, mußte man mit Hering, mit Bier und Brot sich begnügen. Jetzt kann man sich Rheinwein und Austern leisten.

Namentlich Pieter Claesz, Heda und der jüngere Frans Hals stimmten silberne Pokale, silbernes Tafelbesteck und glitzernde Kannen mit Schinken, Austern und Pfirsichen zu sehr vornehmen Harmonien zusammen. Es spricht aus ihren Werken die frohe Genugthuung des Bürgers, einen guten Weinkeller und feines Tafelbesteck zu besitzen.

Nur die Stillleben, die in der alten Universitätsstadt Leyden gemalt wurden, tragen einen anderen Charakter. In einer Zeit, die so weltlich war, so aufging in frohem Genuß, gedenken diese Meister der irdischen Vergänglichkeit. Nicht die Freuden der Tafel malt Pieter Potter, der Vater des berühmten Paul. Totenköpfe, Gebetbücher, Stundengläser, Krucifixe, zerbrechliche Gläser und Thonpfeifen, Kerzen, die langsam herniederglimmen, die Dinge also, auf die ehemals der heilige Hieronymus blickte, wenn er nachgrübelte über die Vergänglichkeit des Irdischen, stellt er zusammen und schreibt »vanitas« darunter. Die Bilder erinnern daran, daß die Holländer des 17. Jahrhunderts nicht nur ein Volk von Kaufleuten, auch ein solches von Theologen waren.

Für ihren Glauben hatten sie gelitten in jener Zeit, als Alba in den Niederlanden wütete. Mit der Bibel in der Hand lassen sie gern in ihren Bildnissen sich darstellen. Stolz auf die politische Freiheit, die sie sich erkämpft haben, sind sie noch stolzer auf die reformierte Kirche, die 1572 aus Feuer und Blut emporstieg. Nach dem Vorbild der Genfer Republik hatte man das Staatswesen eingerichtet. Leyden namentlich war die Stadt der Theologen. Die ersten Gelehrten des Landes kamen hier zusammen und thaten für Holland, was ein Jahrhundert vorher Luther und Melanchthon für Deutschland gethan. Die »Staatenbibel«, in neunjähriger Arbeit vollendet, wurde das Palladium der neuen Kirche und war bald in Millionen Exemplaren verbreitet. In diesem Buch, das die junge holländische Sprache begründete, begeisterte man sich von neuem an dem Zauber der heiligen Legenden, vertiefte sich in die Poesie des alt- und neutestamentlichen Epos. Besonders das Alte Testament gewann eine Bedeutung, die es nie vorher in der christlichen Kirche gehabt. Denn die Holländer glaubten in den Geschicken des Volkes Israel eine Ähnlichkeit mit ihren eigenen zu finden, betrachteten die göttlichen Aussprüche des Alten Testamentes als wunderbare, ihnen persönlich gemachte Verheißungen. Palästina und die babylonische Gefangenschaft – das ist Holland und die spanische Knechtschaft.

Aus diesem Verwandtschaftsgefühl, das man den Israeliten entgegenbrachte, erklärt sich der philosemitische Zug, der damals durch Holland ging, hier zuerst fanden die Juden ein Heim. Schon im Beginne des 17. Jahrhunderts gab es in Amsterdam über 400 jüdische Familien, die meisten aus Portugal gekommen. Bald darauf kam es zu einer völligen Emancipation. Einige, wie Ephraim Bonus, wurden hervorragende Aerzte. Andere standen an der Spitze der großen überseeischen Unternehmungen.

Auch die holländische Poesie hat einen biblisch-israelitischen Zug. Nicht nur Marnix, der Sänger der Freiheitskriege, wirkt wie ein Psalmist. Camphuysens »erbauliche Lieder« gleichen einem israelitischen Gesangbuch. Vondel und Daniel Heinsius bringen alttestamentliche Dramen auf die Bühne. Huygens setzt die Gesänge Davids in Musik und hofft »die Unsterblichkeit nur dann zu erringen, wenn er in seinen Werken etwas von der Lieblichkeit und Kraft des israelitischen Königs offenbare«. Die Prediger auf der Kanzel bedienen sich, um auf Zeitverhältnisse anzuspielen, alttestamentlicher Gleichnisse.

Dadurch war auch der Kunst ein neues weites Gebiet eröffnet. Man hatte keine Heiligen, die man feiern konnte; keine Kirchen, die Altarbilder duldeten. Aber man hatte die Bibel, in die man sich mit ganzer Seele vertiefte. Da sich die Holländer als Nachkommen der Israeliten fühlten, erschienen die alten Legenden plötzlich in neuem Licht. Pieter Lastmann konnte den Schatz noch nicht heben. Seine Werke sind derb und trocken, vulgär und schwer. Aber Lastmann ist der Lehrmeister Rembrandts.


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