Richard Muther
Geschichte der Malerei. IV
Richard Muther

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IV. Holland.

11. Die ersten Porträtisten

Inmitten der aristokratischen Welt des 17. Jahrhunderts erhebt sich Holland als eine bürgerliche Insel. Was in England, als van Dyck dort malte, leise sich ankündigte, war hier schon erreicht. Nach langem Kampfe war Holland Republik geworden. Und unmittelbar nach dem Kriege hatte der glänzende Aufschwung der holländischen Städte begonnen. Zur Zeit, als anderwärts die Bürger noch arme, geknechtete, hungernde Menschen waren, löste in Holland, fast verfrüht, eine bürgerliche Kultur die aristokratische ab. Geniale Kaufleute siedelten nach Amsterdam über und lenkten den gesamten Handel in neue Bahn. Der Ueberschuß an Volkskraft strebte in die Ferne. Noch 1572 hätte niemand denken können, daß das spanische Niederland einst Eigentümer eines Landes wie Java werden, das Kap der guten Hoffnung besitzen und den asiatischen Handel beherrschen würde. Jetzt war Holland die erste Handels- und Seemacht der Welt.

War bisher die Kunst immer nur da gediehen, wo ein prächtiger Hof, eine glanzliebende Kirche oder eine vornehme Aristokratie ihr Schutz und Stütze gewährte, so tritt also in dem reichen republikanischen Holland zum erstenmale das Bürgertum – die Bourgeoisie mit all ihren guten und schlechten Seiten – als Macht in die Kunstpflege ein: eine ähnliche Wandlung, wie die Litteratur sie im späten Mittelalter durchmachte, als auf den Minnegesang der Meistergesang folgte. Es fehlt die dekorative Palastkunst. Es fehlt die kirchliche Malerei, der durch den Calvinismus der Boden entzogen war. Aber der Sinn für das Home ist erwacht. Jede Familie bewohnt ihr eigenes Haus und huldigt, da die Mittel vorhanden sind, dem Grundsatz »Schmücke dein Heim«. Aus einer Kunst der Kirche, der Königshöfe und Adelssitze ward die Malerei eine Kunst fürs Haus.

Daraus ergaben sich weitere Konsequenzen sowohl für die Farbenanschauung wie für die Stoffe. Die flandrischen Werke, für weiträumig helle Kirchen und prunkvolle Paläste bestimmt, sind festlich und farbig. Die holländischen kamen in enge, halbdunkle Stuben, »wo selbst das liebe Himmelslicht trüb durch gemalte Scheiben bricht«. Diesem Bestimmungsort, den dämmerigen, braungetäfelten Räumen mit den kleinen Butzenscheiben entspricht das schummerige tonige Helldunkel der Bilder. Dort Monumentalität, dekorativer Schwung und rauschende Farbenlust; hier schon im koloristischen Teil etwas Stimmungsvolles, Häusliches. Für den Inhalt aber boten Scenen des Alltagslebens und Schilderungen der Landschaft um so mehr sich dar, als gerade für die Holländer die Wirklichkeit von poetischem Licht verklärt war. Lange Jahre hatten sie kämpfen müssen. Nun genießen sie dankbar die Freuden des Lebens. Ihr eigener Herd ist ihnen die Welt. Ja, der Boden der Heimat war eine Schöpfung der Bewohner, die ihn durch Dämme gegen den Ocean geschirmt, in blutigem Kampf dem Feinde entrissen hatten. Diese Errungenschaften werden durch die Kunst gefeiert. Man denkt nicht daran, sich in ferne Schönheitswelten zu versetzen, denn was man um sich sieht, ist schön genug. Man weiß nichts von den Mythen und Legenden, an denen anderwärts die vornehmen Leute sich freuen. Das eigene Leben und all den Luxus, mit dem man im stande ist, sich zu umgeben, will man gemalt sehen, schätzt die Kunst als eine Verherrlichung häuslichen Glückes. Der hat Interesse für die Viehzucht, der für Tulpen und Geflügel, jener für die Schiffe, die seine Waren herbeiführen. Der hört gern einen lustigen Schwank, jener findet, daß der Blick sehr schön ist, den er von seinem Fenster auf die Landschaft hat. All die Stoffe, die die bürgerliche Kunst der Gegenwart beherrschen, erhielten so im bürgerlichen Holland des 17. Jahrhunderts ihre erste Prägung.

Mit Bildnissen setzt die Bewegung ein. Denn es ist natürlich, daß ein reicher Bürger sein Maecenat damit beginnt, daß er sich selber verewigen läßt. Durch das Porträt findet er den Weg zur Kunst. Er wünscht das Konterfei seiner Persönlichkeit, und da die Photographie noch nicht erfunden ist, läßt er sich malen. Eine unglaubliche Zahl von Bildnissen wurde in dem Vierteljahrhundert von 1600–1630 gemalt. Jeder Beruf ist unter den Werken des Amsterdamer Museums vertreten, der Admiral wie der Kaufmann, der Pastor und Professor, der Ratsherr wie der Rheder. Die Bildnisse der Frauen bilden das Gegenstück zu denen der Männer. Zuweilen ist sogar die ganze Familie samt den Dienstboten vereint, die älteren Töchter mit ihren Männern, die jüngeren Kinder mit ihrem Spielzeug beschäftigt. Und schon diese Werke zeigen, daß ein neuer Menschenschlag auf den Schauplatz tritt. Rubens und van Dyck stiegen selten tiefer als bis zum Grafen herab. Selbst wenn ausnahmsweise ein Bürgerlicher gemalt ist, geht durch die Darstellung ein edelmännischer, höfisch feierlicher Zug, da in dem monarchischen Flandern die ganze Welt aristokratisch empfindet. Man liebt schwungvolle Eleganz der Toilette und schöne, runde Gebärden. Weiß und fein ist die Hand. Der Mann ist auf dem Parkett zu Hause, die Frau nicht Hausmutter, sondern Dame von Welt. Nur die Hunde, nicht die Dienstboten werden zur Familie gerechnet. Die Säulenarchitektur mit dem Vorhang ergänzt noch den Eindruck festlich repräsentierender Pracht. Ueber den Boden Hollands weht eine demokratische Luft. Der »dritte Stand« erscheint – Menschen mit rauhem, plebejischem Atem – und er ist stolz genug, nichts Höheres scheinen zu wollen. »Ehrt den König seine Würde, ehret sie der Hände Fleiß.« Alles ist einfach, schlicht, bürgerlich sittenstreng. Eckig, knorrig, selbstbewußt stehen die Männer da. Bieder und ehrbar sind die Frauen. Nichts haben sie von dem weltmännischen Schliff, der gesellschaftlichen Routine der vlämischen Edeldamen, sind nicht vom Glanze eleganten Lebens umstrahlt. Eingezwängt in ein reizloses Kostüm, das Haar unter dicker Haube, den Hals unter starrer Krause verborgen, sitzen sie da. Sie sind gewohnt, mit dem Korb am Arm ihre Kücheneinkäufe selbst zu besorgen, gewohnt, selbst ihre blaue Schürze, ihre steife Halskrause zu waschen. Die Hand, bei den Vläminnen lang, schlank, aristokratisch, ist hier eine Arbeitshand, die den Besen führt. Versuchen sie, elegant zu erscheinen, so ist die Toilette rührend geschmacklos. Da und dort wird, mit dem Geschmack der Köchin, die sich sonntäglich aufputzt, eine Schleife, eine Rüsche, ein Bündchen angebracht. Den Fächer halten sie, als ob es ein Küchengerät wäre. Die Kinder, bei van Dyck alles Prinzen, sind so unbeholfen, daß sie nur Modell stehen können, wenn der Maler ihnen einen Apfel oder eine Weintraube giebt.

Zu den Familienbildnissen kommen die Gruppenbilder der Korporationen. Was anderwärts der Palast, war in Holland das Gildenhaus und das Rathaus. Das Vereinswesen kam auf, gleichfalls für den bürgerlichen Zug der Zeit bezeichnend. An die Stelle des Elitemenschen tritt der Herdenmensch, die Massenherrschaft an die Stelle der Oligarchie. Zunächst spielten die Schützengilden eine ähnliche Rolle wie die Kriegervereine heute. Nachdem sie während der Feldzüge dem Vaterland tapfere Landwehrleute gestellt, ergingen sie sich jetzt in frohem Kriegsspiel. Jeder Verein hatte sein Kasino und seinen Exerzierplatz, wo alljährlich ein feierliches Preisschießen stattfand. Unter Kanonenschüssen wurde der Sieger ausgerufen. Darauf folgte ein Liebesmahl, wobei dem Schützenkönig der von der Stadt ausgesetzte Preis, ein goldener Becher, überreicht wurde. Die Charge des Hauptmanns, der Offiziere und des Fähnrichs wurde von reichen jungen Leuten bekleidet, denen es Spaß machte, Uniform zu tragen. Und da sie gern in dieser Uniform sich gemalt sahen, bildeten Schützenstücke einen wichtigen Teil der holländischen Malerei. Jeder Schütze zahlte seinen Beitrag und wurde dafür von Meisterhand verewigt.

Doch auch Gilden mit ernsteren Zwecken bestanden. Der Sinn für Wohlthätigkeit, für Armen- und Krankenpflege war während der Kriegsjahre lebendig geworden, und als diese vorüber waren, lebte er fort. In allen Städten des Landes wurden Waisen- und Krankenhäuser, Asyle für alte Männer und Frauen geschaffen. Der Stolz des Bürgers war, im Verwaltungsausschuß dieser Wohlthätigkeitsanstalten zu sitzen und in dieser Eigenschaft auf die Nachwelt zu kommen.

Auch das Zunftwesen erlebte eine neue Blüte. Namentlich das Gewerbe der Tuchmacher war eine wichtige Industrie, die viel beigetragen hatte zur Blüte des Handels. Und wie die militärischen Korporationen, ließen diese Handelskammern für ihr Gildenhaus die Gruppenbilder ihrer Zunftmeister malen. Die Rechenschaftsablegung ist der Moment, der hier fast immer gewählt wird. An einem Tisch sitzen Männer, nehmen Rechnungen durch, kontrollieren den Kassenbestand und geben kund, daß in ihrer Geschäftsführung alles vorschriftsmäßig verlaufen.

Selbst die gelehrten Korporationen, namentlich die Mediziner, gaben den Malern Beschäftigung. Gerade damals, im Jahrhundert des großen Krieges, war die Chirurgie eine wichtige Wissenschaft. Sowohl in Leyden wie in Delft und Amsterdam wurden die Sektionen öffentlich vorgenommen in einem großen Saal, der Theatrum anatomicum hieß. Die ersten Bänke waren für die Kollegen des Professors und für geladene Gäste, die mittleren für die Studenten, die Hinteren fürs Publikum bestimmt. In der Mitte des Amphitheaters war der Tisch mit dem Kadaver, wo der Professor im Kreise seiner Assistenten die Sektion vornahm. Und da in Holland alle Welt sich malen ließ, wurden auch für diese anatomischen Hörsäle Gruppenbilder gestiftet, die den an der Leiche oder am Skelett demonstrierenden Professor inmitten seiner Assistenten darstellen.

Die ältesten Schützenstücke reichen bis 1530 zurück und sind im Stil der Soldatenreservebilder gehalten. Nicht künstlerische Wirkung, nur Aehnlichkeit wird verlangt. Jeder fordert, da er den gleichen Beitrag zahlt, die gleiche Berücksichtigung, will ganz en face gesehen sein, will, daß seine beiden Hände ins Bild kommen. Die Werke sind also noch keine Gruppenbilder, sondern zusammengestellte Einzelporträts, Ist die Zahl der Abzukonterfeienden zu groß für eine Reihe, so werden sie in mehreren Reihen übereinander angeordnet, so daß die oberen Gesichter durch die Lücken zwischen und über den unteren hervorblicken. Diese Stilphase vertreten im Amsterdamer Museum die Werke des Dirk Jacobs, Cornelis Teunissen und Dirk Barents. Die nächste Generation, deren Vereinskasse im stande war, höhere Preise zu zahlen, wollte mit so einfachen Bildern sich nicht mehr begnügen. Statt der Brustbilder verlangte man Kniestücke oder ganze Figuren. Damit trat die Notwendigkeit ein, die Gestalten in Aktion zu setzen, den Bildern, die vorher bloße Zusammenstellungen von Köpfen gewesen waren, ein einheitliches Motiv zu Grunde zu legen. Dieses fanden die Maler zunächst darin, daß sie die Schützen beim Ausmarsch, später darin, daß sie sie bei gemeinsamer Mahlzeit darstellten. Das Schützenstück des Cornelis Ketel von 1588 steht am Ausgang dieser neuen Entwickelung, und das 17. Jahrhundert vollendete dann, was im 16. begonnen war.

Cornelis van der Voort malte 1618 das Bild der Regenten des Amsterdamer Altmännerhauses und schon vorher das große Schützenstück mit den Lanzen: jene eisernen unbeugsamen Männer, die bei Breda dem Spanier gegenüberstanden. Werner van Valckert schuf 1624 seine beiden Hauptwerke, die vier Regenten und Regentinnen des Spitals für Leprakranke. Nicolas Elias Pickenoy, weicher und zahmer, verstand, farbige Kostüme sehr salonfähig zu behandeln und war deshalb namentlich als Damenmaler geschätzt. Aert Pietersen, der Sohn des Stilllebenmalers Pieter Aertsen, malte 1603 das erste Chirurgenbild: die Anatomiestunde des Dr. Sebastian Egberts. Demselben Dr. Egberts ist das früheste Werk des Thomas de Keyser gewidmet, der dann 45 Jahre in Amsterdam arbeitete.

Aber nicht nur in der Hauptstadt, auch in allen kleineren Orten hatten die Porträtmaler Arbeit in Fülle. Im Haag malte der knorrig kraftvolle Jan van Ravestyn alte Haudegen in Panzer und Schärpe, die noch mit draußen im Felde gewesen und zeitlebens kriegerischen Sinn bewahrten. In Delft entfaltete der Maler der Oranier, Michel Mierevelt, eine ausgedehnte Thätigkeit, hat alle Statthalter, Wilhelm I. wie Moritz und Friedrich Heinrich, aber auch die Gelehrten des Landes ein wenig nüchtern und fabrikmäßig heruntergemalt. In Dordrecht war der Stammvater der Familie Cuyp, Jacob Gerrits Cuyp, ein vielbeschäftigter Maler, während in Utrecht Paulus Moreelse und Willem van Honthorst die zahlreichen Aufträge erledigten. Noch mehr als alle diese Städte hatte Harlem im Kriege mit Spanien zu leiden gehabt. 1573 ganz verödet in den Besitz des Feindes übergegangen, später durch eine Feuersbrunst zerstört, war es nun die lustigste aller holländischen Städte. Der Maler der Harlemer ist daher recht eigentlich der Maler des jungen Holland. Nicht nur an knorriges Bürgertum und demokratisches Selbstgefühl, auch an herausfordernde Kühnheit und forsche Lebendigkeit denkt man, wenn der Name des Frans Hals genannt wird.


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