Richard Muther
Geschichte der Malerei. IV
Richard Muther

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12. Frans Hals

Man stelle sich ein Volk vor, das jahrzehntelang geknechtet und geknebelt war, das hatte zusehen müssen, wie in seinem Land katholische Klöster wieder errichtet, Gesetze von mittelalterlicher Strenge gegeben wurden. Und dieses Volk hat in blutigem Kampf das Joch der Fremdherrschaft abgeworfen, die politische, die Glaubensfreiheit errungen. Eine kühne, feurige Jugend ist aufgewachsen, empfangen von ihren Müttern während des Kanonendonners der Schlachten, groß geworden in der Zeit der Siege und des Ruhmes. Für eine solche Generation wird die Luft, die sie atmet, etwas Berauschendes haben. Sie wird nicht Hölle, nicht Teufel fürchten. Säbelklirrend, mit herausfordernden Blicken gehen sie daher. In Saus und Braus, in ritterlichem Kriegsspiel, bei Schmaus und Gläserklingen verläuft ihr Leben. Bajonette blitzen, Trommelwirbel ertönen.. Sollte der Spaniel wiederkommen, werden sie wie ihre Väter zur Stelle sein.

Frans Hals war ein echter Sohn dieses säbelrasselnden, toll ausgelassenen Holland. Noch in hohen Semestern fühlte er sich wie Corpsstudent, lustig und leichtsinnig, burschikos und forsch, ein Antiphilister, der das Wort Bourgeois als Beleidigung empfand. Man kann ihn sich denken, wie er stark angeheitert nachts durch die Straßen streift und Fenster einwirft oder Nachtwächter prügelt. In Ermangelung eines Nachtwächters prügelt er seine Frau. Als dieses arme Geschöpf in ein besseres Jenseits eingegangen, verheiratet er sich, ohne das Trauerjahr einzuhalten, mit Lisbeth Rehmers, die ihn auch schon nach neun Tagen zum Vater machte. Mit Lisbeth sitzt er zusammen auf dem berühmten Bild des Louvre. Beide sind nicht mehr jung, haben manche Stürme erlebt. Hals mag während der Arbeit manchen Witz gemacht, sein Ehegespons oft alte Schachtel genannt haben. Jovial und wurschtig, als ob er selbst die Komik seines Ehelebens fühle, blickt er drein. Trotzdem kann er die gute Lisbeth nicht lassen. Denn sie ist keine Spielverderberin, hält keine Gardinenpredigten, sondern schwingt selber den Humpen. Es ist, als wäre der Refrain des alten Trinkliedes »Altes Herz, was glühest du so« halb ironisch unter das Bild gesetzt.

Mit diesem Selbstporträt kennt man die übrigen Werke des Frans Hals. Wie er selbst zeitlebens ein flotter Bursche blieb, machte er seine Harlemer zu flotten Burschen, die so kecke Blicke werfen, sich so forsch gerieren, als seien sie immer im Begriff, einen Philister anzurempeln. Ihr Dasein bewegt sich zwischen Mensur und Kommers. »O selig, o selig, ein Fuchs noch zu sein!«

Schützenmahlzeiten enthalten die drei frühesten Werke, die man im Harlemer Museum sieht, und es ist kein Zufall, daß gerade Hals, das lustige Kneipgenie, den Typus dieser Schmausereien erfand. Frische Genußfreudigkeit und kernige Gesundheit lacht aus allen Köpfen. Es sind die Männer, die noch selber die Verteidigung von Harlem erlebt und nun froh des Erreichten sich freuen: Männer, die Pulver gerochen, Blut fließen gesehen und im Feld übernachtet hatten. Auf einem späteren Werk sind die Schützen der Adriaensdoele unter den Laubkronen ihres Gartens vereint, in vollem Waffenschmuck, zum Aufbruch gerüstet. In dem Bilde von 1639, das den Ausmarsch der Georgsdoele darstellt, hat ihm das Treppenmotiv dazu gedient, in die früher übliche reihenweise Anordnung Leben zu bringen. Keck, frisch und jauchzend sind die Farben: die roten Schärpen und hellblauen Fahnen, die üppigen Stillleben von Früchten und Hummern, die er auf der Tafel aufbaut, die schmucken Uniformen und das silberne Licht, das durch die Kronen der Bäume strömt.

Schneidigkeit und Lebensfreude, selbstbewußte Forschheit strahlt auch in seinen kleineren Bildnissen allen Personen aus den Augen. Malt er Kinder, dann weinen sie nicht und schauen nicht ernst drein, sind auch nicht schüchtern und befangen. So klein sie sind, fürchten sie die Erwachsenen nicht, sondern blicken ihnen keck, übermütig lachend ins Auge. Selbst die Amme ist von dem Bewußtsein durchdrungen, daß das Baby ein Generalfeldmarschall oder eine Jungfrau von Orleans werden würde. Und diese Männertypen! Da fühlt sich ein kleiner, buckliger Kerl so forsch, als hatte er den Riesen Goliath erschlagen. Dort schwingt ein Pfarrer so kriegerisch seinen Codex, als wollte er ihn einem Katholiken um den Kopf schlagen. Dort fuchtelt einer, die Beine übereinandergeschlagen, herausfordernd mit der Reitpeitsche. Dort steht ein junger Herr – er heißt van Huythuysen – den Hut schief gerückt, die eine Hand in die Seite gestemmt, die andere mit dem Säbelgriff spielend – so unbeschreiblich bramarbasierend da, als habe er eine Kriegserklärung an die vereinigten Staaten von Europa erlassen. Das ist eines jener Bildnisse, die den Geist eines Zeitalters spiegeln. Kein Gelehrter, sondern ein Maler, Frans Hals ist der Geschichtschreiber der niederländischen Freiheit. Und gedenkt man der Bildnisse des Velasquez, so fühlt man, wie hier zwei Welten aneinanderprallen. Dort die zugeknöpfte Vornehmheit spanischen Uradels, Menschen, die gänzlich apathisch dastehen, da jeder andere für sie Luft ist. Hier das trotzige Sichbreitmachen des Plebejers, die fast lächerliche Eitelkeit dieser Holländer, die sich als das erste Volk, die Spitze der civilisierten Welt fühlten, sicher des morgigen Tages, stolz auf sich selbst, auf ihre Intelligenz und ihre Thatkraft, ihre Fechtkünste und ihre Reserveuniform säbelklirrend dahinschritten. Die Menschen des Velasquez sind hohe Herren, die den Degen führen können, aber nie in die Lage kommen, die Klinge zu ziehen, da jeder andere für sie ein Paria ist. Die des Frans Hals ruhen nicht, bis sie Renommierschmisse haben. Im Herrn van Huhthuysen hat er die Seele der Epoche gemalt, die Seele, die er in sich selbst trug, dieser prächtige Corpsbursch der Kunst.

Was die Bildnisse nicht sagen, erzählen die Volksstücke. Lachen, Singen, Musizieren und Trinken, urwüchsige Derbheit und forsches Sichgehenlassen – hier ist alles vereint, was ihm selber Spaß machte. Die Flitterwochen des jungen Holland werden in Sauf und Sinnlichkeit gefeiert. Da hat ein derber, bärtiger Kerl, das Barett schief auf dem kahlen Schädel, schäkernd eine Dirne im Schoß. Dort hebt Junker Ramp grinsend seinen Römer empor. Es folgen jene köstlichen Improvisationen leichter und treffsicherer Porträtmalerei: der junge Musikus in Amsterdam, die musizierenden Knaben in Kassel, der trinkende und flötenspielende Knabe in Schwerin. Dann Gestalten von der Kneipe und Straße: lustige Zechbrüder und lachende Dirnen, halbbetrunkene Fiedler und alte Matrosenmütter; die Hille Bobbe, die Hexe von Harlem, mit der Eule auf der Schulter und dem Zinnkrug in der Hand.

In Werken der Art hat Hals in der Wiedergabe des Momentanen sein Höchstes erzielt. Ein plötzliches, das Gesicht verzerrendes Lachen, einen kühnen Blick, eine forsche Gebärde, alles hält er im Fluge fest. Alle Stufen des Lachens, vom behäbigen Schmunzeln bis zum heiseren Krächzen, sind mit der Unmittelbarkeit der Momentphotographie erhascht. Im Telegrammstil spricht er, hat, um Blitzartiges festzuhalten, auch eine Technik sich geschaffen, in der jede Linie pulsierendes Leben ist. Als ob es ein Degen wäre, führt er den Pinsel, behandelt die Leinwand, als stünde er einem Feind gegenüber, den er mit Säbelhieben traktiert, 200 Jahre vor Manet hat er den Impressionismus begründet.

Freilich – er hat 80 Jahre, über 80 Jahre gelebt. Das war zu lange. Er blieb derselbe, die Welt blieb es nicht. Mit der lustigen Zeit, dem Saus und Braus war es allmählich vorbei. Holland hatte, was es wollte, erreicht. Die Freiheitskämpfer von einst in ihrer ritterlich dreisten Tracht sind alt und bedächtig geworden. Sie versammeln sich, gebeugt von der Last der Jahre, nicht mehr zu feschem Gelage, zu keckem Auszug, nur zu stillem Beraten. Selbst ihre Kleidung ist anders. Keine roten Schärpen, keine Rüstungen tragen sie mehr, sondern ernste, schwarze Gewänder. Nicht mehr Schützen, keine lebenslustigen Schlemmer sind sie, sondern würdige Patrizier von starrem calvinistischem Geist.

Diese veränderten Zustände spiegeln in Hals' späteren Werken sich wieder. An die Stelle der heiteren Buntheit, die er früher liebte, ist in dem Porträt der Vorsteher des Elisabethhospitals von 1641 eine fast monochrome Skala getreten. Eine tiefgrüne Tischdecke, eine graue Wand, an dieser Wand der weiße Farbenfleck einer Landkarte in schwarz profiliertem Rahmen, vorn alte Leute in schwarzer Tracht – das ist der Inhalt des Bildes, das in seiner ernsten Charakteristik und vornehmen Tonschönheit den lustigen Kumpan von früher als ruhigen, abgeklärten Meister zeigt.

Doch es scheint nicht, daß seine Art noch dem Geschmack der Zeit entsprach. Auch sein freies burschikoses Wesen paßte nicht mehr zu den gesitteten Anschauungen. Er wurde vor Gericht verwarnt, sich »der Trunkenheit und ähnlicher Ausschweifungen zu enthalten«. Die Aufträge blieben aus, und der Exekutor erschien in seinem Hause. 1661 wurde er, da er nichts mehr hatte, steuerfrei erklärt. Später rafften sich die Väter der Stadt zu dem Entschlusse auf, ihm lebenslänglich – er hatte die 80 überschritten – eine jährliche Unterstützung von 200 Gulden zu geben.

In diesem denkwürdigen Jahr 1664, als das freie Holland so königlich für einen seiner größten Künstler sorgte, sind Hals' letzte Werke entstanden. Der Mann, der als schneidiger Kavalier mit Schützenschmausereien begann, malt, nachdem er ein alter Spitaler geworden, die Vorsteher und Vorsteherinnen des Altmännerhauses. Und wie sehen sie aus! Das Bewußtsein, einen Husarensäbel zu führen, hat er nicht mehr. Verächtlich schleudert er die gewaltigen Farbenkleckse auf die Leinwand. Aengstlich und erschrocken blicken die alten Jungfern und die ehrbaren Herren drein, geärgert und erbost über das schmutzige, hingefetzte Gewand und die braune Wäsche, in die der greise Meister sie kleidet. Bartholomäus van der Helst, der Sammet und Seide schillern und Mäntel flattern ließ, die Herren elegant und die Damen schön machte; Abraham van den Tempel, der ihnen die aristokratische Würde der Vlaamen lieh, sie in schwarzer Seide und weißem Atlas auf Parkterrassen und in prunkvollen Säulenkolonnaden lustwandeln ließ, waren damals schon die Ideale dieser Bourgeois, die den Baron spielen wollten, geworden.

Den alten Meister Hals nahm 1666 ein Armengrab auf. Neun Jahre später wird sein Name nochmals erwähnt: als der lustigen Lisbeth, seiner Witwe, zu ihrem gewöhnlichen Armengeld eine wöchentliche Unterstützung von 14 Sous gewährt wird. So ist im Leben des Frans Hals die Geschichte der holländischen Malerei enthalten. Sie beginnt stolz und kühn, aber sie endet trüb. Ein einziger Künstler, dessen Leben 80 Jahre währte, sah mit an, wie auf das Demokratentum der behäbige Philistergeist, auf diesen die Nachäffung des höfischen folgte.


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