Richard Muther
Geschichte der Malerei. IV
Richard Muther

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II. Spanien.

5. Ribera und Zurbaran

Auch Ribera, der die Geschichte der spanischen Kunst des 17. Jahrhunderts eröffnet, hatte in Italien seinen Wohnsitz. Als er seine Thätigkeit begann, wurde er durch seinen Meister Ribalta auf die lombardische Schule gewiesen, wandte sich nach Parma und vertiefte sich so in Correggio, daß Bilder einer Kapelle, die er dort malte, lange als Arbeiten Correggios galten. Doch so licht und farbenfreudig er anfangs war, so dunkel und düster ist er später. Es scheint nicht, daß er Caravaggio persönlich kennen gelernt. Gewiß aber verehrte er in ihm seinen Meister. Und als er berufen war, in dem spanischen Vicekönigreich Neapel die Schule Caravaggios fortzusetzen, befand er sich auf seinem wahren Boden.

Ribera war ein energischer, kühner Geist. Allen Gefahren, dem Elend, dem Hunger hatte er in seiner Jugend getrotzt, hatte ohne zu erröten in Rom Bedientenlivree getragen, um nicht auf der Straße zu betteln. Diese Willenskraft, diese unbeugsame Energie spricht auch aus seinen Werken. Von allen Meistern des 17. Jahrhunderts ist er der gewaltigste Naturalist, ein Maître-peintre, der wegen der Wucht und Kraft seiner Werke noch auf viele des 19. Jahrhunderts, besonders Bonnat und Ribot, tiefgehenden Einfluß übte. Hatte das Cinquecento die Darstellung des Alters vermieden, so fühlt sich Ribera am wohlsten, wenn er alte, von den Unbilden des Lebens durchfurchte Gesichter, greises Haar, geschwollene Adern und Sehnen zu malen hat. Ein schwarzer Hintergrund, in den die dunklen Gewandstücke seiner Figuren unmerklich übergehen, ein Stück runzliche alte Haut und faltige alte Hände, die irgendwo auftauchen, man weiß nicht woher – das ist der gewöhnliche Inhalt seiner Bilder. Aber nicht nur die ausgearbeiteten zerklüfteten Formen des Alters, auch das Verkrüppelte, das die Kunst des 16. Jahrhunderts nie malte, hat er geliebt und in seinem klumpfüßigen Bettler des Louvre ein Wunderwerk unerschrockenen Realismus geschaffen.

Solche Gestalten bevölkern auch seine größeren Werke. Wie Caravaggio dicke Trasteverinerinnen und knorrige Packträger als Madonnen und Apostel darstellte, malt Ribera Hökerinnen und alte Bauern mit ehernen Knochen und verwetterten Gesichtern. Die Anbetung der Hirten spielt unter einem rauhen Hirtenstamm der Abruzzen. Braune starkknochige Gesellen in Röcken von Schaffell drängen an Maria sich heran. Das Stillleben – der Brotkorb, die Strohbündel, die Hühner, das Lämmchen – ist zu einem ganzen Küchenstück aufgebaut. Bei der Grablegung Christi wird der Körper eines vierschrötigen neapolitanischen Bauern gegeben.

Der düster inquisitorische Geist der spanischen Hierarchie kommt in seinen Märtyrerbildern zum Ausdruck. Da wird Bartholomäus gehäutet, dort Laurentius auf dem Rost gebraten. Oder Andreas hängt am Kreuz und ein Kriegsknecht will den Leichnam fortschleppen, noch bevor die Fessel des Handgelenks gelöst ist. Selbst wenn er ausnahmsweise das Gebiet der Antike betritt, greift er Märtyrerscenen heraus, setzt den christlichen die heidnischen Geschundenen – Marsyas, Ixion, Prometheus – zur Seite.

Doch derselbe Mann, der hier so einseitig als Maler von Folterbildern und runzlichen Bettelphilosophen erscheint, hat in anderen Fällen auch selige Verzückung wunderbar gegeben und überrascht zuweilen durch einen schwermütigen Mädchentypus mit großen dunkeln, träumerischen Augen. Zeugnis ist sein Bild der heiligen Agnes in Dresden und seine Concepcion in Salamanca, deren seelische Feinheit und strahlende Lichtmalerei von keinem Italiener erreicht ward.

Auf diesem Wege Riberas gingen auch die folgenden weiter, die nicht mehr in Italien, sondern in der Heimat wirkten. Der Boden war bereitet und eine Reihe großer Geister verkündete mit naturalistischer Kraft, was Ribalta und Roélas in der Formensprache der Renaissance gesagt hatten. Das 17. Jahrhundert wurde die Zeit der großen Kulturblüte Spaniens: die Zeit, als Calderon seine sinnlich rauschenden, mystisch romantischen Dichtungen schuf und die Plastik all jene Meisterwerke farbenglühender Polychromie erstehen ließ, vor denen man staunend in den spanischen Kirchen weilt. Auch den Malern gaben die Klostergründungen unter Philipp III. und Lerma Arbeit in Fülle. Und im Vollbesitz der mächtigsten Technik sind sie nun in jedem Blutstropfen Spanier.

In der spanischen Kunst lebt die spanische Religiosität. Leidenschaft und fanatische Askese, düster schwärmerische Sinnlichkeit und hysterische Inbrunst verbinden sich in den Kirchenbildern mit einer naturalistischen Kraft sondergleichen. Doch auch die Porträtmalerei fand in einem Feudalstaat wie dem spanischen mit seinen Granden und Kirchenfürsten einen Boden wie nirgends. Es entstanden jene Bildnisse, in denen feierliche Grandezza und welke Müdigkeit, Majestät und Wahnsinn zu so unbeschreiblichem Ganzen sich einen.

Francisco Zurbaran ist der Maler der Klerisei und des Mönchtums. Man hat vor seinen Bildern das Gefühl, in einer düsteren Klosterzelle zu stehen. Ein hölzernes Kruzifix hängt an der schmucklosen weißgetünchten Wand. Auf dem Strohstuhl liegt die Bibel, in riesigen Lettern schwarz und rot gedruckt. Da ist der Betstuhl und darauf ein Totenkopf, an die Vergänglichkeit des Irdischen mahnend. Dort die Bücherei, lauter riesengroße, schweinsledergebundene Folianten Und inmitten dieses ernsten Raumes bewegen sich ernste Gestalten in faltigen weißwollenen Kutten, das Ordenskreuz auf der Brust, Menschen, die in der Einsamkeit das Reden verlernt, nur mit den Heiligen des Himmels verkehren. Manchmal sind sie ekstatisch und wild, durchschüttelt von der Fülle überirdischer Gesichte, glühende Oefen gleichsam, die von innen leuchten. Noch oft malt er sie auch in ihrem gewöhnlichen Klosterleben, wie sie lesen, schreiben, meditieren. Statt der Wildheit Riberas herrscht bei ihm unsägliche Einfachheit, eine ruhige, beinahe nüchterne Schlichtheit. Ueberall sind die Tassen, die Früchte, das Brot, das Gewebe der Kutten, die Folianten und Strohstühle mit der Sachlichkeit des Stilllebenmalers gegeben. Ueberall sind die Köpfe unveränderte Porträts. Wenn seine Werke trotzdem den Stil der Erhabenheit haben, jenes Terribile, das bei Castagno und Michelangelo erschreckt, so ergiebt sich diese Wirkung nur aus der Größe der Liniensprache. Lapidar sind die Falten der mächtigen weißen Kutten, groß und mächtig die Silhouetten. Einem mystischen Banditen, einem Hünen der Urzeit gleicht der betende Mönch, den die Londoner Galerie besitzt. Grandios ist das Bildnis des Peter von Alcantara mit dem funkelnden Blick und der drohend ernsten Gebärde. Auch von den großen Bildern, in denen er als Epiker des Mönchtums die Legenden heiliger Klosterbrüder erzählt, sind vier – Scenen aus dem Leben des heiligen Bonaventura, die er 1629 für die Kirche dieses Heiligen in Sevilla malte – in außerspanische Galerien, nach Paris, Berlin und Dresden gelangt. Doch selbst diese Werke sind nur arme Paradigmen seiner Kunst. Erst wenn veröffentlicht ist, was in den Kirchen Sevillas und den Felsennestern Estremaduras sich birgt, wird Zurbaran für die Kunstgeschichte entdeckt sein.


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