Richard Muther
Geschichte der Malerei. III
Richard Muther

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

15. Die Spanier

Als mächtige Bundesgenossen traten den Venetianern die Spanier zur Seite. Es ist kein Zufall, daß die Senatorenbilder des Tintoretto an Valesquez erinnern; kein Zufall, daß der letzte große Meister Venedigs, Tiepolo, in Madrid starb. Denn es besteht eine geistige Verbindung zwischen der Stadt der schwarzen Gondeln und dem Lande der schwarzen Priester. Wenn die Kunstgeschichte nur mit geistigen Faktoren rechnete, wäre den Spaniern überhaupt der Platz vor den Venetianern einzuräumen. Denn von hier ging die Bewegung aus. Legat in Spanien war Caraffa gewesen, bevor er 1527 nach Venedig ging. Von hier brachte er jene starren, gregorianischen Principien mit, die in der Vernichtung der Ketzer, der schonungslosen Reinigung der Kirche durch die Rückkehr zur Zucht des Mittelalters gipfelten. Schwarze, düstere Gestalten sitzen auf dem Throne des Landes, Könige, die nicht mit den Insignien ihrer irdischen Macht, sondern in der braunen Dominikanerkutte sich begraben lassen.

Der Glaubenskampf war bei den Spaniern Tradition. So kämpften sie im 16. Jahrhundert gegen den Paganismus der römischen Kirche ebenso wie im Mittelalter gegen die Mauren. Ignatius von Loyola war der große Rufer im Streit. Durch ihn und durch seine Schöpfung, den Jesuitenorden, wurde der mächtigste Anstoß zu der großen Bewegung gegeben, die seitdem über die Länder ging. War die Religiosität der römischen Kirche ein verschleiertes Heidentum, so war Spanien das Land der aufgerüttelten Mystik, die nirgends in so abenteuerlichen Formen wie hier sich äußerte. In Italien, zur Zeit der Katharina von Siena rein contemplativ, ist sie in Spanien ein System der Selbstbetäubung, eine Technik, sich durch äußere und innere Kunstgriffe in einen Zustand zu versetzen, in dem man der Gottheit, dem Übersinnlichen nahe kommt bis zur sinnlichen Vereinigung. In diesem Sinne schrieb 1521 Ossunna sein »Abecedario espiritual«, eine Unterweisung, wie man zu völliger Gemeinschaft mit Gott gelangen könne. Ihren klassischen Ausdruck fand die religiöse Hysterie in den Schriften der heiligen Theresa. Solange hat nach ihrer Lehre der Mensch sich in die geistige Anschauung der Gottheit zu versenken, bis der Moment der Ekstase, der Verzückung kommt, das »unmittelbare Eintreten der Gottheit in die Seele«. Besonderen Wert legt sie darauf, daß in der Ekstase vollständige Willenlosigkeit den Körper ergreift. Erst wenn er in der Entzückung wie verstorben ist, kommt der »Sabbat der Seele«, der Vorgeschmack der Seligkeit. Die Empfindungen, die man dabei genießt, die »Wonnen des Gottesgenusses, an denen der Körper in so merklicher Weise teilnimmt«, werden mit raffinierter Genauigkeit beschrieben. Aehnliche Bahnen gingen Michael Molinos und San Pedro de Alcantara, der Bettelmönch, der nur noch aus Knochen und dunkelgebräunter Haut bestand und das Wenige von Schlaf, das er nicht sich abgewöhnen konnte, in seiner engen Zelle, sitzend verrichtete. Am Ende des Weges kamen diejenigen an, bei denen die Uebersinnlichkeit überhaupt in Sinnlichkeit umschlug.

Daß in der Malerei das specifisch spanische Element im 16. Jahrhundert noch nicht rein sich äußert, erklärt sich daraus, daß die Kunst mit schwereren handwerklichen Vorbedingungen als die Litteratur zu rechnen hat. Bis zum 15. Jahrhundert hatte die Malerei keine Heimstätte in Spanien gehabt. Erst der glänzende Empfang, den Jan van Eyck da gefunden, veranlaßte unternehmende Niederländer nach der pyrenäischen Halbinsel zu gehen. Und von diesen Fremden angeregt, begannen Einheimische der Malerei sich zuzuwenden. Juan Nuñez, Antonio del Rincon, Velasco da Coimbria, Frey Carlos, die während des 15. Jahrhunderts in Spanien und Portugal arbeiteten, sind strenge, gotische Meister, Anhänger jenes Stils, den in den Niederlanden Roger, in Deutschland Wohlgemuth vertritt. Noch im 16. Jahrhundert war in Sevilla ein Niederländer, Peter de Kempeneer, thätig, von dem auch in deutschen Sammlungen Madonnenbilder von düsterem Ernste vorkommen. Parallel mit ihm ging von Spaniern Luis Morales, der sich in seinem Stil mit Massys berührt. Ein schmerzlich leidenschaftlicher, herb asketischer Zug geht durch seine Werke. In den meisten zeigt er den Schmerzensmann, wie er unter der Last des Kreuzes zusammenbricht, an der Säule gegeißelt wird, oder unter der Dornenkrone sein Blut verströmt, in anderen die Schmerzensmutter, bald mit dem Leichnam des Sohnes im Schoße, bald in wilder Klage zum Kreuz emporblickend. Halbfigurenbilder wie bei Massys überwiegen. Archaisch eckig ist die Zeichnung der hageren, langgestreckten Gestalten. Man fühlt, daß der Meister sich absichtlich des alten Stils bedient, weil er ihm »frömmer« als der Renaissancestil scheint.

Die Porträtmalerei ist durch Alonso Coello und Juan Pantoja de la Cruz vertreten, Repräsentanten jenes Stils, der mit dem Namen Bronzino sich deckt. Wie bei dem Italiener ist die Zeichnung spitz und fein, die Behandlung des Schmuckes, der Kostüme sehr eingehend, die Farbe von einem feinen, blassen Grau. Nur haben dort die Herren den Degen, die Damen den Fächer. Am Hofe Philipps II. läßt niemand ohne Rosenkranz sich malen. Selbst die Bildnisse mahnen daran, daß man nicht im heidnischen Italien, sondern im Lande der Glaubenskämpfe sich befindet.

Spanien hat eine eigentliche Renaissance nie gehabt, den Göttern Griechenlands niemals geopfert. Wohl hielten mythologische Bilder Tizians im strengen Escorial ihren Einzug. Wohl pilgerten die Maler nach Italien, um dort ihre technische Ausbildung zu vollenden. Aber keiner hat einen antiken Stoff gemalt. Während die Schüler Rafaels und Michelangelos Heiden sind, halten die Spanier, obwohl formell Schüler der Italiener, ihren Glauben rein und malen mittelst der Renaissanceformen religiöse Werke: das tragische Pathos der Leidensgeschichte und die asketische Weltflucht verwitterter Eremiten, verzückende Visionen und gedankenschwere dogmatische Traktate. Bezeichnend ist sogar, daß sie fast nur nach Venedig gingen, das ein Bollwerk der Kirche geblieben war und die Ideen der Gegenreformation zuerst verkündete.

Juan Fernandes Navarete und Vincente Carducho, die an der Spitze der Madrider Schule stehen, bedienen sich in ihren Bildern italienischer Formen. Aber hinter Navarete stand, als er seinen »Christus in der Vorhölle« malte, kein Renaissancemeister, sondern der große Maler der Gegenreformation, Tintoretto. Carducho schuf in seinen Darstellungen zur Geschichte des Karthäuserordens schon eines jener Mönchsepen, wie sie später Zurbaran dichtete.

Der Hauptmeister von Toledo, Domenico Theodocopuli von Kreta, verdiente trotz Justis Untersuchungen einen neuen Biographen. Denn die »pathologische Entartung« des Greco scheint ein wichtiges Symptom der großen religiösen Gärung, die die Geister ergriffen hatte. Bilder von ihm, wie die Tempelreinigung, in denen er als Venetianer sich giebt, können wenig sagen, obwohl das Thema gewiß in Zusammenhang steht mit der »Tempelreinigung«, die damals von Caraffa und Loyola ausging. Doch in dem Werk, mit dem er in Spanien sich vorstellte, der Entkleidung Christi auf dem Calvarienberg, hat er von Tizian sich befreit und erscheint nun wie ein Wilder, der mit der ungestümen Kraft des Naturmenschen in die Kunstwelt eintritt. Eine Sammlung herkulischer Kraftgestalten giebt er, die wirklich aus Fleisch und Blut, aus barbarischem Mark und Bein bestehen. Das giebt auch seinem Bild der heiligen Dreifaltigkeit eine urwüchsige, brutale Größe. Und jenes Werk der Kirche San Toms in Toledo, auf dem ein Verein von Ordensrittern gravitätisch der Bestattung des Grafen Orgaz beiwohnt, dessen Leiche von zwei Heiligen in die Gruft gesenkt wird, während in der Luft Christus, Maria, Märtyrer und Engel schweben, ist in seiner schroffen Vereinigung von Wirklichem und Transcendentalem schon ein Vorbote jener Visionsmalerei, die das 17. Jahrhundert brachte. Unheimlich gespenstische Bilder von übertriebenen Linien und grausamer Färbung, Bilder, die in Wachsfarbe und Leichengrün ausgeführt scheinen, gingen später noch aus seinen Händen hervor. In allen erscheint er als ein urkräftiger, seltsamer Meister, der erst, wenn näheres über sein Leben bekannt ist, sich auch als Künstler erschließen wird. Als sein Schüler wird Luis Tristan genannt, der Nachtstücke mit geheimnisvollen Einsiedlern und büßenden Asketen malte. Ein grelles Oberlicht durchzuckt wie bei Tintoretto einzelne Partien der Bilder, während anderes schwarz in den dunkeln Hintergrund übergeht.

Von den Meistern, die in Valencia arbeiteten, soll Vicente Juanes, der Ueberlieferung nach, seine Ausbildung in der Rafaelschule erhalten haben. Doch obwohl man ihn den spanischen Rafael nannte, ist in seinen Bildern zum Martyrium des heiligen Stephanus wenig Rafaelisches enthalten. Hart und eckig sind die Bewegungen, bunt und brüsk die Farben. Köpfe von scharf jüdischem Gepräge malt er, ohne an ein Schönheitsideal sich zu kehren. Francisco de Ribalta, der nicht nach Rom, nur nach Oberitalien kam, fand im dortigen Kolorismus wahlverwandte Züge. Correggios Helldunkel zog ihn an, aber mit der Technik des lächelnden Italieners malt er düster spanische Stoffe: klösterliche Gestalten in weißer Kutte, Maria und Johannes, wie sie vom Grabe des Herrn heimwandeln, Lukas und Markus, die in einsamer nächtlicher Landschaft ihren Gedanken nachsinnen, die Grablegung Christi, ebenfalls als Nachtstück, mit flimmernden Sternen und mächtigen Engelsgestalten, die den bleichen Körper des Heilandes halten.

In Sevilla, wo Pedro Campaña, der Niederländer, gearbeitet hatte, lenkte Luis de Vargas als erster in die Bahnen des Cinquecento ein. Doch ein Renaissancemeister ist er ebenfalls nicht. Es ist nicht cinquecentistisch, daß in seine Anbetung der Hirten eine himmlische Erscheinung hereinragt, nicht cinquecentistisch, daß er den Ziegenbock und das Stroh mit der naturalistischen Freude Riberas malt. In seinem Hauptwerk, der »These von der Menschwerdung Christi« in der Kathedrale von Sevilla, sollen die Gestalten Rafael, Correggio und Vasari entnommen sein. Desto seltsamer ist, wie er diese Meister ins Spanische übersetzt und mit den entlehnten Formen ein streng dogmatisches, nie von einem Italiener gemaltes Thema bearbeitet. Juan de las Roélas, in Venedig bei Tintoretto gebildet und in seinem Beruf Kleriker, gab den Lieblingsstoffen der spanischen Devotion als erster die klassische Form. Die der Erde entrückte, auf dem Halbmond schwebende Gottesmutter, zu der ein Jesuit in schwärmerischer Verzückung aufblickt, ist sein hauptsächlichstes Thema. Auch in seinem Hauptwerk, dem Tod des heiligen Isidor, steht Irdisches und Ueberirdisches unvermittelt nebeneinander. Unten ein Mönchsstück, mit der Genauigkeit Zurbarans gegeben, oben Engel, die mit Palmen, Notenbüchern und Blumen durch den lichtgebadeten Aether flattern. Francisco Herrera ist außerhalb Spaniens durch das große Bild des Louvre bekannt, wie der heilige Basilius seine Lehre diktiert, und sie sind mächtig wie Könige der Urwelt, diese Heiligen mit dem funkelnden Blick und der majestätischen Gebärde.

Die Spanier des 16. Jahrhunderts nehmen eine seltsame Doppelstellung ein. Als Techniker sind sie Schüler der Italiener. Sie grübeln viel – Pacheco und Cespedes namentlich – über die Ziele der »wahren Kunst«, bemühen sich – wie alle damals – um die Schönheitslinie und um edle Komposition. Aber der Geist, der in ihren Werken waltet, ist der des Jesuitismus. Man fühlt, daß eine Geistesrichtung sich ankündigt, der wieder die Zukunft gehörte. Venedig und Spanien, die Stadt der Byzantiner und das Land der Glaubenskämpfe, – diese beiden Mächte haben gegen den Willen der Päpste die Gegenreformation gemacht. Sie erinnerten Rom daran, daß es nicht nur die Stadt der Antike, auch die Stadt des heiligen Petrus sei. Und die Bewegung, die sich nun vollzog, ist eine »Hispanisierung der katholischen Kirche« genannt worden.


 << zurück