Richard Muther
Geschichte der Malerei. III
Richard Muther

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3. Giorgione

Sogar Venedig, das byzantinische Venedig war eine heidnische Stadt geworden. Mit Aldus Manutius, dem feinen Gelehrten, der hier seine Officin errichtete, hatte die humanistische Bewegung begonnen. Die berühmte Academia graeca, zu der er die Beamten seiner Anstalt vereinte, fühlte sich als platonische Akademie. Bei den Zusammenkünften sprach man griechisch, erhob eine Strafe von jedem, der ein italienisches Wort gebrauchte, benutzte die Strafgelder zur Veranstaltung von Banketten, die an die Soupers à la grecques des 18. Jahrhunderts mahnen. Die Hypnerotomachia Poliphili, jener träumerische Roman mit den zarten Holzschnitten, ist das erste Denkmal dieser Zeit, als ein Hauch aus Hellas' schönheitdurchglänzten Tagen über den orientalischen Boden Venedigs wehte.

Auch die Malerei, bisher so kirchlich streng, wird ein trunkener Hymnus auf Erdenschönheit und hellenische Sinnenfreude. Wohl malt man wie zu Bellinis Tagen noch Madonnen und Heilige. Aber der Geist der Bilder ist nicht mehr der gleiche. Keine christliche Weltentsagung, sondern heidnische Sinnlichkeit strahlt den Gestalten aus den Augen. Der Körper, bisher geächtet, wird frei. Schwellende Formen sprengen das zarte Gefäß der Seele. Und namentlich, neben Maria wird auch Venus verehrt. Die griechische Götterwelt hält ihren jubelnden Einzug.

Zunächst freilich ist von dieser Wandlung wenig zu merken. Denn das Werk, das an der Schwelle des venetianischen Cinquecento steht, ist die Madonna von Castelfranco, und dieses Madonnenbild ist so zart, so weltverloren verträumt, daß es äußerlich kaum von Bellinis Heiligen-Konversationen sich trennt. Ganz mit dem gleichen Ton, in dem das alte Jahrhundert ausklang, setzt das neue ein. Zwei Männer, ein junger Ritter und ein Mönch halten vor dem Throne Marias Wacht. Kein Lüftchen regt sich. Alles atmet die tiefe schweigende Ruhe, in die auch die Heiligen so träumerisch versunken sind. Aber eine leise Nuance kündigt doch ein neues Gefühlsleben an. So sehr das ovale Köpfchen der Madonna mit den melancholischen Augen und dem schlicht gescheitelten braunen Haar den Madonnen Bellinis ähnelt – die Empfindungen dieses Weibes sind nicht mehr die gleichen. Kein Schmerz, kein ahnungsvolles Weh umflort ihre Augen. Sie träumt still vor sich hin, wehmütig und zärtlich, als ob sie eines fernen Geliebten denke. So keusch die Gestalt ist, es strömt eine feine Sinnlichkeit von ihr aus. Man fühlt, daß diesem Künstler Maria nicht mehr die Madonna war, daß er diesen Mund küßte, nach diesem Weib sich gesehnt, wenn sie fern war. »Liebe Cecilie, komm, eil dich, es wartet dein Giorgio.« Ob diese Verse, die auf der Rückseite der Tafel standen, vom Maler selber, der während der Arbeit seiner Geliebten harrte, oder später von einem Andern geschrieben wurden, ist gleichgültig. Auch dieser andere fühlte eben den zarten sinnlichen Duft, der aus dem Bilde strömt.

Der Bahnbrecher dieser neuen Kunst zu werden war Giorgione durch sein ganzes Wesen berufen. Er stammte aus dem Ort, dessen Kirche sein Altarbild noch heute als herrlichstes Kleinod ziert, aus Castelfranco in der Marca Trevisana, der die Dichter so gern das Beiwort »amorosa« geben. Lyrisch weich ist dort die Natur, sinnlich schwül die Luft, die man atmet. Alles verwebt sich zu einer großen ruhig träumerischen Eintönigkeit von geheimnisvoll schwermütigem Charakter. Menschen, die in solcher Umgebung aufwachsen, werden in all ihren Empfindungen reizbarer als solche, die zwischen Bergen und rauhen Felsklippen wohnen. Der Duft und Klang dieser seltsam weichen Natur macht die Nerven vibrierender, zarter. Die Legende erzählt, Giorgione sei ein illegitimer Sprosse der altadeligen Familie Barbarella gewesen. Und er hat in der That etwas Adliges in der komplicierten Verfeinerung seines Nervensystems, etwas von den shakespeareschen Bastarden in der wilden Art, wie er das Leben durchstürmt.

Als er nach Venedig gekommen war, befand er sich auf seinem wahren Boden. Vasari schildert ihn als genußfreudiges Kind der Welt, das sich voll Leidenschaft in den Strudel stürzt, von einem Liebesabenteuer zum anderen geht, schaudernd das üppig sinnenfrohe Leben genießt. Er zeigt ihn als Galantuomo, der mit der Laute abends durch die Straßen zieht und schönen Damen verzückte Liebeslieder darbringt. Dann greift Cecilia, die Madonna von Castelfranco, in sein Leben ein. Sie wird die Muse, die ihn zu seinen zartesten Werken begeistert, und an ihrer Untreue geht er zu Grunde.

Als er mit 33 Jahren zusammenbrach, war die Zahl seiner Werke nicht groß, noch geringer ist die Zahl derer, die auf uns kamen. In den frühesten, den beiden kleinen Bildchen der Uffizien, die das Urteil Salomos und die Kindheit des Moses darstellen, erscheint er noch als Schüler Bellinis. Im Sinne der Primitiven sind die Figürchen gezeichnet. Doch man erkennt schon, daß dieser Künstler ein großer Landschafter werden wird. Nicht in festen Umrissen, sondern weich und zart lösen die graziösen Kronen der Bäume vom weichen Firmamente sich los. Bildchen wie Bellinis »Allegorie«, jene Frauengestalt im Nachen, der so still über die Fluten gleitet, haben wohl den tiefsten Eindruck auf den Träumer gemacht.

Doch zur Bewunderung für Bellini trat bald die für einen anderen Meister. Als er im Auftrage des Tuzio Costanzo, des Condottiere von Castelfranco sein erstes Hauptwerk schuf, hatte er den kennen gelernt, der seine Strahlen damals über ganz Italien sendete. Leonardo hatte von 1503-1504 in Venedig geweilt. Hatte er nicht gemalt, so hatte er doch gezeichnet. Frauenköpfe Leonardos kamen Giorgione sicher zu Augen. Denn der Geist, der aus den Augen seiner Maria strahlt, diese Liebe, die nicht wehmütig entsagungsvoll, sondern zitternd sehnsüchtig ist – das ist nicht mehr der Geist Bellinis, es ist der Geist Leonardo da Vincis. Hatte er in Bellini sein Ideal als Landschafter gefunden, so erschloß ihm Leonardo den Weg ins frohe irdische Reich der Sinne.

Einige »idyllische Bilder« vermitteln den Uebergang von den christlichen Werken zu den hellenischen. Es lag damals über der Welt eine ähnliche Stimmung wie zu Watteaus Tagen. Wie man im 18. Jahrhundert aus dem Heroischen, Pomphaften herausstrebte in das Arkadische, Elysische, so verlangte man im Cinquecento, nach all der Ekstase Savonarolas, in eine saturnische Zeit zurück, wo es noch kein Christentum, keine Mönche, keine Choräle gab, wo die majestätischen Baumhallen der Wälder noch die Stelle der Kathedralen vertraten, wo man nicht auf die himmlische Seligkeit wartete, sondern sie auf Erden genoß. Von allen Werken der antiken Litteratur war am meisten die pastorale Dichtung – Theokrit, Kallimachos, Longos und Nonnos – beliebt. Wie vorher Polizians Schäferspiel Orpheus, war jetzt die Arcadia das Sannazaro, die Aldus Manutius verlegte, die gelesenste Dichtung der Zeit. Das bukolische, das glückliche Hirtenleben der Urzeit war das Ideal der Geister. Das »ländliche Concert« des Louvre taucht in der Erinnerung auf.

Man ersieht aus diesem Bild von neuem Giorgiones Bedeutung als Landschafter. Der Stimmungsmensch, der so von Stimmungen abhängig war, daß er ohne seine Cecilia nicht sein konnte und an ihrer Untreue starb, wurde der Schöpfer des Stimmungsbildes. Alles ist bei ihm Stimmung, so entdeckt er zuerst die Seelensprache der Natur, das Licht. Wie Watteau giebt er nirgends eine Kopie der Natur. Sie scheint nur dazusein, daß glückliche Menschen in ihr leben. Selbst in den Bäumen zittert es wie von Zärtlichkeit und Sehnsucht. Eine weiche, wollüstig träumerische Atmosphäre hüllt die Dinge ein. Auch in den Wesen, die er in diese Landschaften setzt, klingt diese sehnsüchtige, weich melancholische Stimmung aus. Er malt Hirten, die wie in einem goldenen Zeitalter traumverloren neben ihren Herden sitzen. Er liebt Ritter, da auch sie ihm als Vertreter einer verklungenen Zeit erscheinen: keine wilden Eroberer, die auf Kriegszügen das Land durchziehen, sondern stille Schwärmer, die sich selbst als die »letzten Ritter« fühlen, Jünglinge von weiblich weichen Formen, deren Dasein in holdem Minnedienst verläuft. Er giebt antike Ruinen, weil auch sie elegische Erinnerungen wachrufen an jene ferne Zeit, da noch kein Mönch die Entsagung predigte, als der Cult der Sinne eine Religion bedeutete.

Was er mit dem berühmtesten Werke, der »Familie«, sagen wollte, hat noch kein Mensch enträtselt. Man sieht zwei Wesen, die zu einander zu gehören scheinen und doch fremd sich gegenüberstehen. Aus Cecilia, die Madonna von Castelfranco ist eine junge Frau geworden mit dem Kind an der Brust. In nichts ähnelt sie mehr jener stillen Maria, nichts hat sie mehr von der ätherischen Keuschheit des Quattrocento.

So bereitet dieses Bild auf das letzte vor, mit dem Giorgione sein Lebenswert abschloß. Was in der Madonna von Castelfranco noch Sehnsucht war, ist hier Erfüllung. Cecilia ruht in nackter Schönheit auf dem Lager. Aus dem kleinen Figürchen der »Familie« ist ein lebensgroßer Frauenkörper, aus der Madonna von Castelfranco ist Aphrodite geworden. Während über den Venusbildern Botticellis noch die weltsüchtige Askese des Mittelalters lag, steigt jetzt »le cri de la chair« jubelnd zum Himmel. Weiche, schwellende Glieder strecken müde sich aus. Nur Giorgione, der Sinnenmensch, der kein Bild, sondern ein Erlebnis malte, konnte die Pforten dieses neuen Zeitalters öffnen.

Das Werk war unvollendet, als er begraben wurde, und es wirkt symbolisch, daß Tizian durch die Hinzufügung des landschaftlichen Hintergrundes es vollendete. Ja, in dem zweiten Bild, das auch noch unvollendet in seiner Werkstatt hing, möchte man eine Allegorie auf Giorgiones eigenes Schaffen sehen. Drei Philosophen sind dargestellt, von denen nur der jüngste der aufgehenden Sonne sich zuwendet, während die älteren noch achtlos beiseite stehen. So hatte Giorgione, der junge Giorgione, am frühesten die Morgenröte der neuen Zeit gewahrt. Doch erst Aeltere, seinem Signale folgen, führten das Lebenswerk des Frühverstorbenen weiter.


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