Richard Muther
Geschichte der Malerei. III
Richard Muther

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12. Roma caput mundi.

So groß war der Zug der Centralisation, der durch das Jahrhundert ging, daß auch die anderen Länder sich in die Botmäßigkeit der ewigen Stadt begaben. Italien marschierte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an der Spitze der Civilisation. Italienische Generäle gewannen Schlachten für den Kaiser, den König von Frankreich, den König von Spanien. Italienische Aerzte wurden bis nach Schottland und in die Türkei berufen. Italienische Gelehrte unterrichteten an allen Universitäten Frankreichs, Deutschlands und Englands. Die italienische Sprache, noch im 15. Jahrhundert wenig verbreitet, war die Umgangssprache der vornehmen Welt geworden. Aretino, der venetianische Pamphletist, erhob seinen Tribut bei den gekrönten Häuptern von ganz Europa. Auch künstlerisch wurde Italien für alle Länder maßgebend. Wie an den verschiedensten Höfen italienische Meister beschäftigt sind, glauben die nordischen Maler, nur im Süden Erleuchtung zu finden. Ein Heimweh nach Italien, wie zu Goethes und Carstens' Tagen, erfaßte die Besten und ließ sie nicht ruhen, bis sie das Land ihrer Träume erreichten. Unter Entbehrungen und Mühen, unterwegs um ihr Brot arbeitend, pilgerten sie nach Rom wie nach einem heiligen Quell und wollten es nicht mehr verlassen, wenn sie einmal dort waren. Dürers Worte: »O wie wird mich nach der Sonnen frieren, hier bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer«, waren allen aus der Seele gesprochen. Denn nicht nur die Kunst Italiens bewunderten sie. Sie beneideten die Künstler selbst, diesen Rafael, dessen ganzes Leben ein Triumphzug war, Michelangelo, der Päpste als seinesgleichen behandelte, Tizian, dem Kaiser Karl den Pinsel aufhob. Sie sehnten sich hinweg aus kleinbürgerlicher Enge, aus der philisterhaften Beschränktheit des Nordens, wollten teil haben an einem großen, freien, würdigen Menschentum.

In den Niederlanden, wo überhaupt eine Art lateinischer Renaissance das ganze Geistesleben überflutete, begannen die Romfahrten am frühesten, und ein Künstler namentlich, der ritterliche Romantiker Jan Scorel, ist ein echter Typus dieses kosmopolitischen Geschlechts. Viel Sinn für Grazie und ein feines landschaftliches Empfinden war ihm in die Wiege gelegt. Alte knorrige Bäume, Eichen und Tannen kommen auf allen seinen Werken vor. Schon bevor er südlichen Boden betreten, träumt er von majestätischen Bergzügen, von Cypressen und Pinien. Dann ergreift er den Wanderstab. Lange verweilt er in Deutschland, noch länger in Kärnten, wo er das Altarbild von Obervillach malt und sich in das Töchterlein des Schloßherrn verliebt. Mit einer Gesellschaft niederländischer Pilger geht er von Venedig nach Palästina – eine Reise, die für die Landschaftsmalerei eine Entdeckungsfahrt wurde. Denn noch Patinier setzte, um seinen Landschaften biblischen Charakter zu geben, phantastische Scenerien zusammen. Scorel als erster malte das heilige Land. Seine Taufe Christi in Harlem muß wie eine Offenbarung auf Menschen gewirkt haben, für die der Orient noch eine unerschlossene ferne Märchenwelt war. Nach Italien zurückgekehrt, ist er berufen, eine merkwürdige Rolle im Kunstleben zu spielen. Scorels Landsmann Hadrian von Utrecht, der Erzieher Karls V., hatte den Päpstlichen Stuhl bestiegen und ernannte Scorel zum Direktor des Belvedere. Drei Jahre verlebt er im Vatikan, in jenen Stätten, in denen unsichtbar noch der Geist Rafaels schwebte. Was er später, als Domherr in Utrecht, schuf, ist wie ein wehmütiger Nachklang dieser römischen Eindrücke.

Ueberaus fein sind die landschaftlichen Hintergründe seiner Madonnen. Die römischen Villen fesseln ihn in ihrer melancholischen Mischung von Alter und Jugend, von Pracht und Verfall. Aquädukte sieht man, überwuchert von Schlinggewächsen, deren Zweige müde an verwittertem Gemäuer herabhängen; Ruinen und stehende Gewässer, in denen braunes Farnkraut und epheuumwundenes, welkes Strauchwerk sich spiegelt. Aber auch als Frauenmaler ist er einer der feinsten des Nordens. Nur wenig schöne Frauen hatte bisher die nordische Malerei geschaffen. Bei den alten Niederländern giebt es nur verkümmerte Matronen. Es ist, als hatte erst das Alter, der Verfall, das Faltige, Runzlige die Maler gereizt. Auch die paar Nürnbergerinnen, die in Dürers Handzeichnungen vorkommen, sind so grobknochig und herb, die aufgeputzten Dirnen Cranachs so reizlos, daß man meint, schöne Mädchen habe es damals im Norden gar nicht gegeben. Was die Künstler freut, ist, harte Physiognomien scharf und schneidig zu zeichnen. Die Freude am Weichen, Duftigen, Backfischhaften kennen sie nicht. Scorel, der geistliche Herr, der ohne Agathe von Schönhoven nicht sein konnte, hatte einen feinen Sinn für das Weibliche. Mag er Maria oder Magdalena malen, seine Frauen sind schlanke, elegante Erscheinungen von klassischem Linienschnitt. Mit zärtlicher Verliebtheit zeichnet er die harmonischen Linien eines jungen Halses, duftiges Haar, das über die Stirn sich kräuselt. Mit Kennerschaft ordnet er den zarten Schleier, die Puffärmel, das Collier. Er brachte den Niederländern, die bisher nur nonnenhafte Frauen kannten, ein neues Ideal von bestrickender weltlicher Grazie.

Welcher Zusammenhang ist zwischen ihm und dem liebenswürdigen Unbekannten, den man den »Meister der weiblichen Halbfiguren« nennt? Er hat viel Ähnlichkeit mit Scorel, nur ist er noch stiller, noch zaghafter: der Luini des Nordens, ein milder Träumer, der nur ganz zarte minnigliche Worte sagt. Das Leben verläuft bei ihm wie ein schöner Tag, unter Begleitung sanfter Musik. Junge Mädchen malt er, die am Spinett musizieren, einen Pokal halten, bei ihren Noten träumen. Es liegt etwas jung Harmloses und doch Thränenschimmerndes über seinen graziösen delikaten Werken. Man möchte sagen, er habe das Weib mit den Augen des Gymnasiasten gesehen, der zum erstenmal liebt. Denn sie sind engelrein, von blumengleicher Grazie, diese sanften, stillen Kinder mit ihren leisen Bewegungen, ihren lilienweißen Händen und reinen Stirnen, über die sich so keusch die schlicht gescheitelten braunen Haare legen. Bilder wie diese lassen sich nicht beschreiben, nur empfinden. Man bewundert sie still. Das ist wohl auch die höchste Wirkung, die der Künstler selbst erstrebte, der vielleicht gar kein Berufsmaler war, so still, so unbemerkt durchs Leben ging, daß alles, was wir von ihm wissen, einzig in seinen Werken beschlossen liegt.

Jan Gossart genannt Mabuse, der schon vorher die Wanderung nach Italien antrat, hat namentlich als Maler des Nackten wichtige Dienste geleistet. In seinen Jugendwerken, wie dem Reisealtärchen in Palermo, war er noch zierlicher Miniaturmaler im Sinne des Gerard David. Dann verrät sich in dem »Christus am Oelberg«, wie die ausgelebte Gotik in barocke Verwilderung übergeht. Das italienische Frauenideal beginnt auf ihn zu wirken, und er malt die allerliebste Goldwägerin der Berliner Galerie, die an den Meister der weiblichen Halbfiguren anklingt. Auch in seinen größeren Altarwerken, wie dem »Christus bei Simon« im Brüsseler Museum, beginnt die Renaissance sich mit der Gotik zu mischen. Manche Figuren weisen in ihrem strengen Naturalismus, in ihrer steifen Eckigkeit auf alte Zeiten zurück. Doch daneben stehen andere, die in ihrer weichen Formenglätte aus Rafaelschen Bildern geschnitten scheinen. Selbst die Architektur des Hintergrundes, in ihrer Vereinigung von Gotik und Renaissance, kennzeichnet den Uebergang. Und in den folgenden Werken, mehreren Madonnen, der Münchens Danae, dem Prager Dombild, hat er sich ganz auf den Boden des Cinquecento gestellt, obwohl ihn ein kleinlicher Zug noch immer von den Romanen unterscheidet. In den lebensgroßen nackten Figuren, die er am Schlusse seines Lebens schuf, ist auch dieser Rest gotischer Verzwicktheit beseitigt. Mächtig wie eine antike Marmorgruppe heben die Gestalten Neptuns und Amphitrites von der Cella eines antiken Tempels sich ab. Gewiß sind sie kalt, akademisch, empfindungsleer. Aber das liegt im Wesen des späteren Cinquecento. Hätte Mabuse im Stil seiner Jugendzeit weiter gearbeitet, so wäre er ein gotischer Nachzügler. Indem er die Probleme angriff, die das Cinquecento stellte, hat er eine geschichtliche Mission erfüllt. Ohne Mabuses Amphitrite wäre Rubens' Andromeda kaum gemalt worden.

Auch in den Werken Barend van Orleys ist ein Schwung, ein flüssiger eleganter Wurf, der ihm eine wichtige Stelle unter den niederländischen Renaissancemeistern sichert. Es ist nicht richtig, bei diesen Malern von »Verleugnung des nationalen Stils« zu reden. Denn ein Stil gehört nie einem Volk, sondern nur einer Zeit. Sie folgten, indem sie aus Gotikern Cinquecentisten wurden, lediglich dem Geschmack der Epoche, sind auch nicht schlechter als die gleichzeitigen Italiener. Nur bieten sie für persönliche Charakteristik keine Handhabe. Denn da es im Wesen des Idealismus liegt, das Individuelle auszulöschen, das Persönliche dem Absoluten unterzuordnen, ist auch bei ihnen die Folge, daß die Eigenart des Einzelnen immer mehr zurücktritt und ein allgemeines gleichförmiges Schema bleibt. Es wiederholt sich in den Niederlanden dieselbe Entwicklung, wie in Italien.

Noch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstehen sehr energische Bildnisse. Denn der Porträtmaler kann sich nicht darauf beschränken, den »Menschen an sich« zu malen. Nur aus der Wiedergabe persönlicher Züge ergiebt sich die »Ähnlichkeit«. Joost van Cleve, Antonis Mor, Frans Pourbus und Nicolas Neufchatel gehen im Stil mit Broncino parallel. Sie sind gesunde, kraftvolle Realisten, die wie ihr Vorgänger Massys keine Verallgemeinerung, keine Retouchen kennen. Nur in dem freieren Hauch, der ruhigen Würde ihrer Bildnisse zeigt sich die italienische Schulung.

Den Erzeugnissen der großen Malerei fehlt jedes persönliche Gepräge. Michael Cuxie wurde der vlämische Rafael, Frans Floris der vlämische Michelangelo genannt. Schon durch diese Beinamen ist angedeutet, daß sie nichts sagten, was nicht von Rafael und Michelangelo schon besser gesagt war. Marten de Vos, Dionysio Fiamingho, Georg Hoefnagel, Barthel Spranger, Marten Heemskerk, Cornelis Cornelissen – es gilt von ihnen allen das gleiche. Sie bedeckten gewaltige Flächen mit ihren schönen, aber kalten Figuren, dienten nicht der Kunst, sondern bedienten sich fertiger Clichés, um alle Aufträge, die ihnen zugingen, ebenso tadellos wie schablonenhaft zu erledigen. Und geht man von den Niederlanden in die anderen Länder, so wechseln wohl die Namen der Schauspieler. Aber das Stück, das aufgeführt wird, ist immer dasselbe.

Die Stille des Grabes liegt über Deutschland. Hier hatten schon die Wirren, die der Reformation gefolgt waren, der Kunst den Boden entzogen. Die wenigen süddeutschen Fürsten, die noch in der Lage waren, den Mäcen zu spielen, riefen entweder Ausländer herbei oder sie kauften alte Meister. Es entstanden die Kunstkammern, die den Grundstock der Münchener und Wiener Galerien bilden. Die wenigen Maler, die es überhaupt noch in Deutschland giebt, machen den Weg, wie die Niederländer. Bartel Bruyn, der letzte Ausläufer der Kölnischen Schule, übernimmt die Rolle Mabuses. Seine Bildnisse gehören neben Holbeins und Ambergers Werken zu den besten Erzeugnissen deutscher Porträtkunst. In seinen religiösen Bildern setzt er anfangs den Meister des Marientodes fort, um sich später in die Nachfolge Rafaels zu stellen. Christoph Schwarz von München machte in Venedig seine Schule durch. Sein Familienbildnis der Münchener Pinakothek hat noch die Schlichtheit, die stramme Ehrlichkeit altdeutscher Kunst, aber zugleich eine koloristische Harmonie, eine breite Mache, die er Tizian dankt. Auch in seinen Altarwerken erklingen die vollen sonoren Accorde der venetianischen Meister. Johann Rottenhammer ist kleinlicher, niedlicher, von gefällig oberflächlicher Anmut. Der Bedarf an dekorativen Arbeiten wurde durch Joseph Heinz und Hans von Aachen gedeckt, Pinselvirtuosen, deren Kunst auch niederländisch oder italienisch sein könnte.

Die französische Malerei hatte im 15. Jahrhundert mit Jean Foucquet sehr originell begonnen. Denn obwohl er in Italien war, läßt sein Hauptwerk der Berliner Galerie, wie Etienne Chevalier, der Günstling Karls VII. und der Agnes Sorel, von Stephan, seinem Namensheiligen, dem Schutze der Madonna empfohlen wird, eher an Goes als an italienische Meister denken. Und das dazu gehörige Antwerpener Bild hat eine specifisch französische Note. Maria ist unter den Zügen Agnes Sorels dargestellt, in knappem Modekleid und fürstlichem Hermelin, dem Kinde die Brust reichend. Ein pikantes Pariser Parfüm ist über das Werk gebreitet.

Im 16. Jahrhundert arbeiteten noch die beiden Clouet, Jean und François, in diesem älteren Stil. Jean Clouet, bis 1540 Hofmaler Franz' I., geht etwa mit Holbein parallel in der photographischen Treue, mit der er die Physiognomien spiegelt. François Clouet, der 1540 seinem Vater als Hofmaler folgte, hat dieselbe strenge, feste Art, nur daß er weltmännischer, vornehmer ist, mehr an Broncino als an Holbein anklingend. In der großen Malerei hatte sich unterdessen derselbe Scenenwechsel wie allerwärts vollzogen. Schon durch die italienischen Feldzüge der französischen Könige am Schlusse des 15. Jahrhunderts wurde die künstlerische Verbindung mit Italien hergestellt. Karl VIII. und Ludwig XII., die wegen des mailändischen Herzogtums Krieg führten, nahmen nicht nur ihre eigenen Maler, wie Jean Perréal, nach Italien mit, sondern veranlaßten auch italienische Künstler, nach Frankreich überzusiedeln. Es genügt, den einen großen Namen Leonardo zu nennen. Mit Franz I. begann die eigentliche italienische Renaissance. Ein ganzes Heer italienischer Künstler wurde nach Frankreich berufen, um die neuerbauten Schlösser zu dekorieren. Fontainebleau namentlich – derselbe Ort, wo im 19. Jahrhundert Millet und Rousseau, Corot und Diaz malten – wurde der französische Vatikan. Rosso, Primaticcio und Riccolo dell'Abate leiteten die Arbeiten, Maler, an deren Werken man in Italien gleichgültig vorübergeht, und die dadurch, daß man sie in Frankreich sieht, nicht besser werden. Von Franzosen folgte ihnen Jean Cousin, ein schnell schaffender Künstler von großem Wissen, dessen »Jüngstes Gericht« manch brillanten Theatereffekt enthält. Und lehrreich ist, die späteren Dekorationen des Fontainebleauer Schlosses mit den früheren zu vergleichen. Die Meister, die für diese neuen Arbeiten berufen wurden, waren keine Italiener, sondern Niederländer. Aber Hieronymus Francken, der Chef der niederländischen Kolonie, war Schüler des Michelangeloschülers Frans Floris. Man bemerkt daher beim Durchschreiten der Säle gar keinen Unterschied zwischen den italienischen und den niederländischen Werken.

Das Centralisationssystem des Cinquecento hat zu einer vollständigen Uniformierung der Kunst geführt. Alles ist elastisch, abgeschliffen und weltgewandt. Aber wie auf ihren Selbstbildnissen die Künstler der verschiedensten Länder sich ähnlich sehen – alle haben dasselbe Phantasiekostüm und die nämliche deklamatorische Attitüde –, fehlt ihrer Malerei das individuelle Gepräge. Nur die Inschriften sagen, daß dieses Werk von einem Deutschen, jenes von einem Niederländer, jenes von einem Franzosen herrührt. Was man sieht, ist immer das gleiche: allgemeine ideale Formen, typische Gesichter, zeitlose Gewandung, regelrecht abgewogene Komposition, gleichmäßig kaltes Ceremoniell im Ausdruck der Gefühle. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts bedeutet trotz aller Fruchtbarkeit eine Zeit der Abspannung, der Müdigkeit, der Erschöpfung. Die Renaissanceideale waren entgeistigt und neue noch nicht gegeben. Obwohl die großen Meister tot waren, arbeitete man mit ihren Gedanken, führte, was bei ihnen Ausdruck der Persönlichkeit war, auf wissenschaftliche Regeln zurück. Noch im Beginne des Jahrhunderts hatte jedes Land, jede Landschaft ihre Kunst gehabt. Jetzt ist eine Weltsprache, ein Kunstvolapük an die Stelle der Dialekte getreten. Eine neue Entwicklung konnte für die Malerei erst kommen, wenn eine große Kulturbewegung ihr neuen Inhalt gab, andere Aufgaben, andere Ziele ihr zeigte. Diese neuen Ideale wurden durch die Gegenreformation gegeben.


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