Richard Muther
Geschichte der Malerei. III
Richard Muther

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6. Tizian

Tizian, der große König des venetianischen Cinquecento verhält sich zu Giorgione wie das abgeklärte ruhige Mannesalter zu der Leidenschaft und Schwärmerei der Jugend. Bei Giorgione denkt man an die Verse, die Mogens vor sich hinsummt:

»In Sehnen leb' ich,
In Sehnen;«

bei Tizian an die Worte des Faust:

»Entschlafen sind nun wilde Triebe
Mit jedem ungestümen Thun.«

Nicht in Venedig selbst, auch nicht in der benachbarten Ebene, sondern im fernen Hochgebirge kam er zur Welt. Inmitten ernster Tannenwälder und mächtiger Alpenmauern wuchs er auf. Schon das giebt seiner Persönlichkeit einen anderen Charakter. Als er – ein Herkules an Wuchs, breitbrüstig, denn er hatte nur die scharfe Gebirgsluft geatmet, die sonnegebräunten Züge wie in Erz gegossen, das Auge fest und klar, von jenem kühnen Adlerblick, den man Welteroberern zuschreibt – aus seinen rauhen Bergen in die schimmernde Wunderstadt, die schwüle Atmosphäre Venedigs kam, ließ er sich nicht von dem, was ihn umgaukelte, blenden. Er stand an der Staffelei mit dem Bewußtsein: Ich werde ein großer Mann, der Malerfürst Venedigs sein, denn ich will es. Diese Willenskraft, diese Sophrosyne, des Lebens ernstes Führen hat ihn nie verlassen.

Auch Tizian hatte, wie fast jeder Künstler, eine Zeit, in der er nicht er selbst war. Als er die Wiener Zigeunermadonna malte, wandelte er in Bellinis, als er den Zinsgroschen malte, in Leonardos Spuren. So giebt es auch Bilder von ihm, die wie Geisteskinder Giorgiones anmuten: die drei Lebensalter, die himmlische und irdische Liebe. Aber gerade sie zeigen, daß Tizian eigentliche »Stimmungsbilder« nie gemalt hat. Granitgehalt bekommen die weichen venetianischen Stoffe unter seiner festen Hand. Selbst Werke wie die himmlische und irdische Liebe sind bei hinreißender Schönheit doch weniger zaghaft und schmelzend. Tizian ist kein Träumer, hat das Thränenschimmernde, Elegische, arkadisch Bukolische Giorgiones nicht. Wo er ganz echt, der wirkliche Tizian ist, da ist er erhaben und gewaltig, steinern und fest wie die Berge seiner Heimat. Die Luft, die seine Gestalten umfließt, ist nicht schwül und sinnlich, sondern kalt und klar. Man gebraucht nicht Worte wie lieblich, anmutig, hold, träumerisch, so wenig man sie anwendet in Tizians Heimat, inmitten der ehrfurchtgebietenden Düsterkeit der Berge von Cadore. Man sagt nur: machtvoll, majestätisch. Das Erhabene, entsprechend der Natur, auf die der erste staunende Blick des Knaben fiel, aber auch die urwüchsige Kraft des Gebirgsbewohners tritt an die Stelle der Weichheit und Träumerei, die das Schaffen Giorgiones, des Sohnes der Ebene bestimmte. Er hat etwas von den uralten Bäumen seiner Heimat, die auf steinigem abschüssigem Boden erwachsen, sich früh gestählt haben, allen Elementen zu trotzen, weil ihre Wurzeln so zäh, ihre Aeste so fest sind. Er hat sogar viel von dem grausamen Egoismus solcher Riesen. Wie diese allem kleineren Buschwerk, das rings gedeihen möchte, Sonne und Boden rauben, um ihre eigene Krone nach allen Seiten zu entfalten, stößt Tizian, dem Recht des Stärkeren gemäß, mit seinen kräftigen Ellbogen alle zur Seite, die neben ihm leben, neben ihm schaffen möchten.

Noch eine andere Seite von Tizians Kunst ist aus seiner Herkunft vom Gebirge zu erklären. Das Haus, wo er geboren ward, liegt am äußersten Ende des Ortes, da wo die Berge beginnen und die Piave aus sturmumtoster Höhe herabbraust. Er hörte den Wind durch mächtige Wipfel fegen und an den Fugen der Häuser rütteln, sah losgerissene Steine am Ufer zerschellen und den Regen aus schwarzen Wetterwolken herniederklatschen. So hat er als erster der stillen Ruhe, der beschaulichen Lyrik der venetianischen Malerei das dramatisch pathetische Element gesellt.

Die beiden Hauptwerke, die in diesen Kreis gehören, die Schlacht von Cadore und der Petrus Martyr sind durch Brand zu Grunde gegangen: als ob die Elemente sich hätten rächen wollen, daß er so wild ihre verheerende Macht geschildert. Aber alte Stiche überliefern den Inhalt. In enger Thalschlucht, wo kein Entrinnen möglich, kämpfen auf dem Schlachtenbild Menschen und Pferde; brennende Orte rauchen; Regen und Blitz strömt und zuckt aus finsterer Wolke herab. Ein wilder Sturmaccord durchklingt das Martyrium des Petrus. Athletisch machtvoll ist die Gestalt des Heiligen, wild und hünenhaft der Mörder, der sich über sein Opfer beugt. Im Winde bauschen sich die Gewänder und beugen sich die Kronen der Bäume.

Wenn seine Assunta, als sie erschien, nur kaltes Staunen hervorrief, so liegt der Grund darin, daß in der konservativen Stadt, inmitten dieser ruhigen, hieratisch feierlichen Kunst das Bild als unvenetianisch empfunden wurde. Als würde sie von einem überirdischen Magnet gezogen, schwebt Maria, die mächtigen Arme ausbreitend, gen Himmel. Im Winde flutet ihr dunkles Haar, grandios bauschen sich die Falten des Gewandes, ein Rauschen, wie wenn die Fittige der Erzengel sich bewegten, geht durch die Luft. Staunend strecken sich die Arme der Apostel empor. In der Frarikirche vor der Madonna Pesaro erkennt man erst recht, welche Bewegung Tizian in die Kunst Venedigs brachte. Eine mächtige Säule, wuchtig wie die Säulen der Peterskirche, an deren Erbauung noch niemand dachte, wächst in die Höhe. Auf dem Sockel sitzt Maria. Nicht in der Mitte des Bildes, auch nicht frontal, wie es die byzantinische Ueberlieferung forderte. Denn die Säule ist seitwärts errichtet und hat ihr Gegengewicht nur in dem flatternden Banner, das einer der Betenden entrollt. Damit ist das Kompositionsprincip der Vergangenheit verlassen. Nicht in regelrechter Architektonik bauen sich die Linien auf. Eine Komposition, die nur mit farbigen Massen rechnet, tritt an die Stelle gleichmäßiger Metrik.

Freilich, dieser eine Zug ist nicht der bestimmende in Tizians Kunst. Mag seine Herkunft vom Gebirge manches erklären, wodurch er von den eingesessenen Venetianern sich trennt, – er kam doch als junger Mensch nach Venedig. Darum mahnt auch seine Kunst nicht immer an die Kuppen der Dolomiten. Sie mahnt öfter an den ruhigen Spiegel der Lagunen.

Daß Tizian kein stürmischer Dramatiker wurde, ergab sich – von den Zeitverhältnissen abgesehen – schon aus der Gestaltung seines Lebens. Nie ist eine Künstlerlaufbahn ruhiger gewesen. Nie hat einer mehr verstanden, das Leben zum Kunstwerk zu gestalten. Sein ganzes Dasein ist eine einzige große Harmonie, ohne Entbehrungen und gewaltsame Kämpfe, ohne Erschütterungen. Schon 1516 ist er der offizielle Maler Venedigs, der die Erbschaft seines Lehrers Bellini übernimmt, und es beginnt jener Siegeslauf, der einem lebenslänglichen Triumphzug gleicht. 1520 erscheint er im Zenith seines Ruhmes. Kein Meteor, ein ruhig schimmernder Stern, der allmählich, doch stetig heraufgestiegen und in langsamem Gang, ohne Abnahme der Leuchtkraft, den Aether erhellt. Die mächtigsten Fürsten Europas überhäufen ihn mit Aufträgen und Ehren: Karl V., der ihn an sein Hoflager in Bologna und Augsburg beruft, Papst Paul III. und Franz von Frankreich, die sich in schmeichelnden Briefen um seine Gunst bemühen. Zwei Söhne und ein Mädchen von strahlender Schönheit erfüllen mit ihrem Frohsinn sein Haus, jenes Patrizierheim, das er fern vom Marktgewühl sich erbaut, und wo er unabhängig der Kunst und den Freunden lebt. Hier empfängt er Heinrich III. mit fürstlichem Glanz. Hier ist der Schauplatz jener Geselligkeiten, die an Feuerbachs »Dante in Ravenna« mahnen. Stolze Senatoren und edle Frauen wandeln durch die schattigen Lauben des Gartens. Wenn die Sonne gesunken und die fernen Inseln im Abendschimmer leuchten, klingt das Lachen der Gondolieri, Gesang und Lautenschlag herüber. »Alle Fürsten, Gelehrten und vorzüglichen Personen, die nach Venedig kamen, besuchten Tizian,« wie Vasari erzählt. Denn »nicht nur in seiner Kunst war er groß, auch ein Edelmann in seinem Wesen.«

Diese Vornehmheit prägt auch seiner Kunst ihren Stempel auf. Was man den Idealismus Tizians nennt, ist nicht das Ergebnis ästhetischer Reflexion, sondern die natürliche Anschauung eines Mannes, der auf den Höhen des Lebens wandelt, niemals kleinliche Sorge, selbst die Krankheit nie kannte und deshalb auch die Welt nur gesund und schön, in leuchtendem, hoheitverklärtem Glanze sah. Unbefangen tritt er an Dinge heran, die ein Idealist vermeiden würde: wenn er in seiner Danae dem Königlichen das Plebejische in Gestalt der häßlichen Alten gesellt oder den Tempelgang Marias im Sinne Gentile Bellinis wie eine große Volksscene schildert, der Senatoren und geputzte Patrizierinnen, Hökerinnen und Betteljungen beiwohnen. Doch selbst das Gewöhnlichste ist geadelt. Selbst der Bauer, der auf dem Esel zu Markte reitet, hat den großen Stil der Metopen des Parthenon. Es strömt in seine Werke die große Ruhe, die königliche Gelassenheit seines eigenen Wesens.

Bei seinen Bildnissen tritt das besonders hervor. Jede Verschönerung, jedes lakaienhafte Schmeicheln liegt ihm fern. Mit fürchterlichem Realismus malt er den alten, ausgemergelten Körper Pauls III. mit den zitterigen Spinnenfingern, den dünnen halbverwesten Lippen und den kleinen Triefaugen, deren fuchsartig verschlagenes Blitzen allein noch an dieser Mumie lebt. Gleichwohl wußte Karl V., weshalb er Tizian seinen Apelles nannte. Andere Maler hatten nur seine blasse, skrophulose, eisige Maske gesehen. Tizian legte etwas von seiner eigenen Majestät hinein. Jener schwarze Ritter in stählerner Rüstung, der mit eingelegter Lanze beim Morgengrauen über das Schlachtfeld reitet – das ist nicht der Zauderer, mit dem Deutschlands Kurfürsten spielten, der unklare, schwankende Kopf, der von Granvella, seinem Kanzler, sich die politischen Instruktionen erteilen ließ. Das ist die Kaltblütigkeit des Feldherrn in der Schlacht, das Verhängnis, das ruhig, unabwendbar daherkommt. Und jener abgezehrte, verschlossene Herr, der auf dem Münchener Bilde fröstelnd, trotz des blühenden Sommers in dicken Pelz gehüllt, auf der Veranda seines Schlosses sitzt – das ist nicht nur der Melancholiker mit gebrochenem Körper und gebrochenem Willen, der, angeekelt von der Welt und von sich selbst, ein Jahr später als Einsiedler im Kloster von St. Yuste hauste, von tickenden Uhren umgeben und von schwarzen Särgen, in denen er sein eigenes Leichenbegängnis feierte. Tizian giebt ihm noch das, dessen Karl in seinen besten Jahren sich rühmte: den durchdringenden Verstand des größten Staatsmannes seiner Zeit, die olympische Apathie des Herrschers zweier Welten. Als Maler der Könige wird er in den Handbüchern gefeiert, weil ihm die Könige des Cinquecento saßen. In umgekehrtem Sinn ist der Titel berechtigter. Der Mann, der selbst ein Fürst unter seinen Genossen war, adelte wie ein König von Gottes Gnaden jeden, der ihn um den Adelsbrief bat. Der Künstler, der, als die Pest ihn hinraffte, nicht wie Perugino und Ghirlandajo auf offenem Felde eingescharrt, sondern in der Frarikirche wie ein König bestattet wurde, machte alle Menschen zu Fürsten. Aretino, der gallige Litterat, sieht aus wie Zeus, der durch das Runzeln seiner Augenbrauen die Großen der Erde erbeben macht. Die kleine Strozzi wird ein Königskind, und Lavinia, seine Tochter, verwandelt sich in eine griechische Göttin, die das Prunkgewand der Renaissance um ihre mächtigen Glieder gehüllt, um eine Stunde unter Sterblichen zu weilen.

Seine Landschaften sind Ergebnisse des gleichen Stilgefühls. Alle Stimmungen der Natur hat er gemalt, und nie fehlt die überzeugende Wahrheit. Alles Einzelne zeigt einen Künstler, der in der Natur groß geworden, nie die Verbindung mit der Natur verlor. Trotzdem bemühten sich seine Biographen vergeblich, bestimmte Oertlichkeiten festzustellen. Denn Tizians Landschaften, wahr im einzelnen und angeregt durch Scenerien seiner Heimat, sind als Ganzes nie Kopien der Wirklichkeit. Zu tief ist der bläuliche Ton der Ferne, zu warm das Braun der Blätter, zu leuchtend das Sonnenlicht. Eine erhabene, der irdischen an Adel überlegene Welt erschafft er, da er auch als Landschafter nicht die Natur, sondern sich selber malt. Durch diese feierliche Art ist er der Begründer der »heroischen Landschaft«, der Vorläufer Poussins und Claudes geworden. Sein Ruf als solcher war so fest begründet, daß noch die Zeit des Klassicismus, die Epoche Winckelmanns ihn den »Homer der Landschaft« nannte.

Dieses Epitheton führt wieder auf einen anderen Zug. Es weist hin auf das Gefühl des Vorweltlichen, Patriarchalischen, das wir mit dem Namen Tizian verbinden. Man kann sich ihn nur vorstellen nach jenem Bildnis der Berliner Galerie, auf dem er dasteht, mächtig wie ein Patriarch der Urzeit. Achtzig Jahre ist er alt, und doch liegt unverwüstliche Kraft in diesem Kopf mit dem feurig blitzenden Auge und der hohen, mächtig gebauten Stirn. Ein schwerer Pelzmantel umhüllt den Leib. Die Kette des goldenen Vließes schmückt – nicht aufdringlich, sondern selbstverständlich – die Brust. In diesem Bild sind alle Vorstellungen von Tizian enthalten: der vornehme Mann, der stahlfeste Sohn der Alpen und namentlich: der homerische Patriarch. Obwohl es außer dem Berliner Bild zahlreiche andere Selbstporträts giebt, zeigt ihn keines als verfallenen Greis, keines als Jüngling. Er ist immer der alte Mann, mit dem man den Begriff Jugend so schwer verbindet wie mit Jehova, dem »Alten der Tage«. Und diesem reifen Lebensalter, als Giorgione längst unter der Erde ruhte, gehören überhaupt seine bedeutendsten Bilder an. Sie sind Jugendwerke eines alten Mannes, voll ausgereifte Schöpfungen eines Greises, der ewig jung blieb. Das ist auch zu ihrem künstlerischen Verständnis nicht unwichtig.

Nie hat Tizian den Frühling gemalt, nie den Winter, wenn Todesstarre die Erde deckt. Die schönen sonnigen Oktobertage, wenn dicke blaue Weintrauben aus dunkelm Laube hervorleuchten, wenn die Blätter in warmem, bräunlichem Tone schimmern und saftiges Obst von den Bäumen blinkt, – sie sind Tizians Jahreszeit. Es ist kein Zufall, daß er so gern einen Korb mit reifen Aepfeln in seinen Madonnenbildern aufstellt oder seiner Tochter eine Fruchtschale giebt. Diese Pfirsiche, Trauben, Melonen und Orangen in ihrer tiefleuchtenden goldtönigen Pracht sind für Tizian dasselbe, was für Botticelli, den Meister des »Frühlings«, die Lilie bedeutet. Selbst wenn Blumen vorkommen, sind es nie Frühlingsblumen, keine Schneeglöckchen und kein Crocus, keine Anemonen und kein Enzian. Es sind die vollentfalteten Blumen des Herbstes, vielleicht auch Stiefmütterchen oder Veilchen, die durch ihre Farbe sonorer, weniger jugendlich wirken. Wie den Herbst des Jahres, hat er den des Tages bevorzugt. Die Abendstunde, wenn tiefe Farbenharmonie die Dinge durchsättigt, wenn nach einem langen schönen Tag die Erde beruhigt daliegt, bevor der Schleier der Nacht sich über sie senkt – das ist besonders Tizians Stunde.

Dem entspricht sein Frauenideal, mit dem Unterschied, daß die Frau zehn Jahre jünger als der Mann zu sein pflegt. Denn herbstlich sind sie nicht, diese mächtigen Weiber, die nie zu welken, in ewiger machtvoller Schönheit zu strahlen scheinen. Aber ist es nicht Herbst, ist es auch nicht Frühling. Es ist der Hochsommer in seiner reichen vollentfalteten Pracht. Keine taufrische Jugend, keine schalkhafte Anmut malt er. Er malt nur die stolze Pracht der gereiften Frau.

Und er malt sie mit der ernsten, beruhigten Stimmung des gesetzten Mannesalters, das kein Träumen, kein Sehnen mehr kennt. Der Stern, der über seinem Schaffen leuchtet, heißt nicht Venus, sondern Abendstern. Schon daß nichts über die Modelle Tizians überliefert ist, deutet den Unterschied zu Giorgione an. Wohl wird von einem Venusbild, dem der Uffizien erzählt, daß es Eleonore, die Herzogin von Urbino, darstelle. Zu anderen mögen blonde Lombardinnen ihm gesessen sein, germanische Mädchen, die aus den Alpen nach der Lagunenstadt kamen. Denn der mächtige stolze Frauenschlag seiner Bilder hat nichts gemein mit den kleinen, braunen, schwarzäugigen Venetianerinnen, die in Holzpantoffelchen hurtig wie Eidechsen über den Markusplatz schlüpfen. Die Venetianer des Cinquecento mögen Tizians Weiber mit ähnlichen Augen betrachtet haben wie die Römer der Kaiserzeit die germanische Thusnelda, als sie im Triumphzug des Germanicus machtvoll und königlich daherschritt.

Die Hauptsache bleibt doch, daß Tizian nach Vasaris Bericht meist aus dem Kopfe malte, das weibliche Modell nur als Notbehelf kannte. Giorgione, der als erster nach der Insel der Cythere pilgerte, brach als Jüngling zusammen. Tizian, der Alte der Tage, kannte keine Leidenschaften, kein Begehren mehr. Ein Frauenkörper bedeutet ihm nicht das Weib, sondern eine Harmonie von Formen, Linien und Farben. Alfonso von Este, der seiner Geliebten die gepanzerte Eisenfaust auf den Busen legt – das ist das Weibempfinden des Tizian.

In dieser olympischen Lebensruhe, dieser erhabenen, homerisch patriarchalischen Gelassenheit ist er der hellenischste aller christlichen Maler. Noch Correggio vermochte nicht, Nacktes rein artistisch zu empfinden, trug das ungriechischste, was es giebt, das Element der Lüsternheit in den Schönheitskult der Hellenen hinein. Tizians Gestalten kennen nichts Schmachtendes, nichts Verführerisches. Kein wollüstiges Lächeln umspielt ihre Züge. Selbst wenn Jupiter als Satyr die Nymphe Antiope belauscht, oder Danae den Regen des Zeus empfängt, liegt über den Werken die Unbefangenheit antiker Plastik, eine majestätische Feierlichkeit, die sie fast zu Sakralbildern macht. Ruhig, Wunsch- und leidenschaftlos blicken die großen dunkeln Augen dieser Weiber, und weil sie so unnahbar, so frei von allem irdischen Sehnen sind, kennen sie auch nichts Prüdes, nichts Kleinliches. Ihre Nacktheit ist ehrfurchtgebietend wie die hoheitvolle Ruhe der Aphrodite von Melos.

Dieser hellenische Geist spricht auch aus seinen kirchlichen Bildern. »Griechheit, was war sie? Maß, Adel, Klarheit.« Diese Definition, die Schiller vom Hellenentum giebt, paßt auf keinen christlichen Meister so wie auf Tizian. Wohl klingen zuweilen in sein Schaffen christliche Töne herein. Wenn er Martyrien wie das des Laurentius malt, oder für Philipp II. Magdalena als zerknirschte Büßerin darstellt, Bibel und Totenkopf zur Seite, so sind das Vorboten jener aufgerüttelten, ekstatisch erregten Kunst, die den Schluß des 16. Jahrhunderts beherrschte. Doch selbst in solchen Werken bleibt er feierlich gemessen. Hellenisch festlicher Schwung, klassische Klarheit hat in seinen Madonnenbildern den christlichen Spiritualismus verdrängt. Breit und majestätisch ist der Faltenwurf, rund und voll die Gebärde. Und nicht Maria nur ist eine erhabene Königin. Auch in die Heiligen ist griechischer Herrengeist gekommen. Das Gefühl fürstlicher Macht, nicht das vasallenhafter Demut, das der Kraft, nicht das der Schwäche beseelt sie. Mächtig ist der Körper, gebietende weltliche Hoheit atmen die Züge. Wie Tizian selbst als gleicher unter gleichen mit den Königen Europas verkehrt, verkehren diese Heiligen in stolzer Unabhängigkeit mit ihrem Gott. In allem erscheint er wie ein Sohn jener großen Zeit, als Perikles und Phidias lebten. Nicht an den benebelnden Duft des Weihrauchs, an das Dämmerlicht christlicher Dome denkt man. Man denkt an das Rauschen blauer Meereswogen, an die ernste Erhabenheit der Tempel von Pästum.


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