Richard Muther
Geschichte der Malerei. III
Richard Muther

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9. Der Sieg des Formalen

Von den beiden, die in Florenz die klassische Kunst vertreten, steht Andrea del Sarto modernem Empfinden am nächsten. So sehr ihm als Cinquecentisten der edle Aufbau der Bilder am Herzen liegt, wahrt er sich doch innerhalb dieses Schemas noch Freiheit und nervöse Beweglichkeit. Weich und müde ist die Haltung seiner Figuren, vornehm lässig ihre Bewegung. In dem leise geneigten Kopf seiner Engel liegt noch die zarte Schwärmerei, die Leonardo solchen Wesen gab. Auch seine Frauenköpfe stehen dem Schönheitsideal der Leonardogruppe näher als dem majestätisch hoheitvollen des späteren Cinquecento. Dunkle heiße Augen mit blauen Ringen, die von durchwachten Nächten zeugen, blicken in verzehrendem Glanze uns an. Bleich sind die Wangen. Eine losgelöste dunkle Haarflechte, die widerspenstig sich am Backen herunterringelt, verstärkt noch die Schlafzimmerstimmung der Bilder. Lucrezia del Fede, die schöne Witwe, die er 1517 geheiratet, wird von Vasari als Modell, auch als böser Dämon im Leben Andreas geschildert, und es liegt eine verbrecherische Pikanterie in diesen Köpfen. Auch als Kolorist hat er die Erbschaft Leonardos angetreten und dem zarten Sfumato des großen Mailänders eine sehr aparte Nuance gegeben. Während bei Leonardo eine warme Stimmung vorherrscht, ist bei Andrea alles abgedämpft, auf kühles Grau, auf zarten Silberton gestimmt. In seiner Liniensprache wie in seiner Farbe hat er dieselbe weiche, müde, aristokratische Schönheit. Schwarz und weiß, gelb, rot und perlgrau sind ihm die liebsten Töne, und durch diese seine Skala trennt er sich von allen Malern der Zeit. Bei diesen hört man, soweit sie nicht zu Gunsten des plastischen Eindrucks die Farbe überhaupt zurückdrängen, die voll daherflutenden Accorde der Orgel, bei del Sarto den milden Klang der Geige. Bezeichnend ist sogar, daß er als Freskomaler gern grau in grau gemalt hat. Dieser zarte Grisaillenstil entsprach am besten Andreas vornehmem, farben-neurasthenischem Temperament. Er ist ein Maler für Feinschmecker, höchst wählerisch in seinem Geschmack, bald interessant angekränkelt, bald festlich rauschend, trotz aller Feierlichkeit, die der cinquecentistische Stil verlangt, noch von ganz weltlicher Eleganz, in die aparte Familie der Filippino Lippi, Melzi und Boltrassio gehörig.

Und sind wir uns klar darüber, was zu del Sarto uns zieht, so wissen wir auch, weshalb Fra Bartolommeo so fremd uns anmutet. Bei del Sarto finden wir Menschen, die majestätisch sind und doch noch Seele haben. Bei Fra Bartolommeo zeigt sich, wie schwer die Apotheose des Körpers, die das eigentliche Ziel der Kunst des 16. Jahrhunderts bildet, sich mit seelischer Feinheit verträgt. Es kommt bei ihm das Stadium, wo kein Empfinden mehr die mächtigen Formen beseelt, wo die Majestät in Hohlheit übergeht. Der Körper, im Quattrocento das zarte Gefäß der Seele, ist ein imposanter Topf ohne Inhalt. Eine riesige Wandlung, die sich im Laufe eines Jahrzehnts vollzog! Fra Bartolommeo gehörte mit Botticelli und Perugino noch zu denen, die 1498 sich um Savonarola scharten. Er war Ordensbruder Fra Giovannis und Savonarolas, lebte in demselben Kloster, wo der eine gemalt und der andere gepredigt. Er ist der Leiter der mit dem Markuskloster verbundenen Kunstwerkstatt, hat im Verein mit seinem Freund Albertinelli alle Kirchen Toskanas mit Altarbildern versorgt. Und der Mysticismus des Fiesole ist ebenso vergessen, wie die zarte Innerlichkeit Peruginos. Für diese älteren Meister existierte die schöne Form noch nicht. Die Form ist nur schön, sofern sie durchgeistigt, von Empfindung beseelt ist. Jetzt wird im Kloster von San Marco die Gliederpuppe erfunden. Man denkt, wenn Bartolommeos Name genannt wird, an körperlich gewaltige, geistig unbedeutende Apostel und Propheten, denkt an die Worte, die Goethe über solche Werke schrieb: »Es sind die biblischen Stücke alle durch kalte Veredlung und gesteifte Kirchengeschicklichkeit aus ihrer Einfalt und Wahrheit herausgezogen und dem teilnehmenden Herzen entrissen worden. Durch stattlich gefaltete Schleppmäntel sucht man über den markleeren Adel der überirdischen Wesen hinwegzutäuschen.«

Hüten wir uns trotzdem, Fra Bartolommeo unter falschem Gesichtswinkel zu betrachten. Wenn er nicht malt wie Perugino und Botticelli, so ist der Grund nur, daß seine Ideale andere sind. Das 15. Jahrhundert steht uns in seiner seelischen Feinheit zur Zeit näher als das 16. Gleichwohl bleibt der Frate einer der repräsentierenden Männer jenes großen Zeitalters, dem der Kult der Formen, die Noblesse der Bewegung, die Majestät des Körpers alles bedeutete. Gleich sein erstes Bild, die Vision des Sankt Bernhard, hat nichts von der stillen Feinheit Peruginos. Dafür kündigt in den wallenden Mänteln schon jener Zug zum Feierlichen sich an, worin die Größe des Meisters liegt. Nur das Bedeutende, die machtvolle Gebärde, die wallende Linie, die majestätische Gewandung will er geben. Darum muß alles zurücktreten, was die Wirkung zerstreuen kann. Keine individuellen Köpfe passen zu diesen Gewändern. Es muß eine »regelmäßige« Schönheit sein. Keine Landschaft kann solchen Gestalten als Hintergrund dienen. Nur in einer ernsten feierlichen Architektur können sie stehen. Dieses Ensemble schafft er mit fester Hand. Mächtige Pilaster, weiträumige Nischen rahmen die Scenen ein. Die Stufen des Thrones verwendet er geschickt, um Abwechslung in die Komposition zu bringen. Oder er setzt die Hauptfigur auf einen Sockel, um bewegte Wellenlinien zu gewinnen. Ein von Engeln gehaltener Baldachin bildet oben oft den kreisförmigen Abschluß. Alle seine Bilder sind volltönend, wie Stanzen des Ariost, von ebenso rhythmischem Fluß wie festem tektonischem Bau. Nachdem er in Rom die Propheten des Michelangelo gesehen und mit seinem Markus einen Schritt ins Hünenhafte gethan, wurde die religiöse Bewegung, die als Reflex der deutschen Reformation um 1520 über den Boden Italiens ging, sogar der Anlaß, daß sein letztes Werk, die Grablegung der Pittigalerie, psychische Qualitäten bekam, die über das Niveau des Cinquecento hinausgehen. Fra Bartolommeos Schicksal war, daß seine Werke, weil die wissenschaftliche Regel in ihnen vorherrscht, später eine willkommene Fundgrube für diejenigen wurden, die nach den Rezepten der Klassiker klassische Kunst zu schaffen versuchten. Die Gestalten sind uns verleidet, weil sie die konventionellen Typen der »großen historischen Darstellung« geworden sind. Sein Verdienst bleibt trotzdem, dem pomphaft großartigen, prunkvoll repräsentierenden Geist des Cinquecento machtvollen Ausdruck gegeben und als erster gewisse Kompositionsgesetze fixiert zu haben, so wie Uccello ein Jahrhundert vorher gewisse perspektivische Gesetze feststellte.


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