Richard Muther
Geschichte der Malerei. III
Richard Muther

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8. Michelangelo

Unter Michelangelos Führung that die Kunst des Cinquecento ihren letzten Schritt. Immer mehr hatte seit dem Beginne des Jahrhunderts dem großen Stil zuliebe alles Intime zurücktreten müssen. Hatte man vorher in den Bildern ein ganzes Stück Welt gegeben, so vollzog sich jetzt die Absonderung einer monumentalen Figurenmalerei. Michelangelo spricht in dieser Hinsicht das letzte, entscheidende Wort. Während in den Bildern der Venetianer die Landschaft als Stimmungsträger noch eine wichtige Rolle spielt, verkündet Michelangelo, daß es neben der menschlichen Form eine andere Schönheit überhaupt nicht giebt. Kein Grashalm kommt in seinen Bildern vor. Ein seltsames Gewächs, eine Art vorweltliches Farnkraut hat auf dem Schöpfungsbild der sixtinischen Kapelle die Entstehung der Vegetation anzudeuten. Ein Stück Mauer stellt symbolisch eine Stadt, ein Baum den Garten des Paradieses dar. Michelangelos einziges Problem ist der nackte menschliche Körper. Nacktes und Kunst waren ihm gleichbedeutend.

Weiter kommt für das Verständnis seiner Bilder in Betracht, daß Michelangelo eigentlich Bildhauer war. Der Ort, wo man am liebsten ihn sich denkt, ist Pietra Santa, der Steinbruch, vor dem er grübelnd sitzt, nachdenkend über all die Wesen, die im Fels sich bergen. Obwohl die Beschäftigung mit der Malerei in seine früheste Jugend zurückgeht, war er in seinem Element doch nur, wenn er Meißel und Hammer in den Händen hielt. Die Malerei hatte für ihn nur indirekt Wert. Er betrachtete sie als notgedrungene Flächendarstellung der plastischen Gedanken, die auszuführen ihm versagt blieb. Während er als Bildhauer wenig vollenden durfte, bot ihm die Malerei das Mittel, eine ganze Welt von Steinwesen heraufzubeschwören. Und furchtbar ist die Einseitigkeit, mit der er von Anfang an diese Bahnen ging. Nie hat ihn die Farbe, nie der psychische Gehalt eines Themas gefesselt. Ausschließlich als Plastiker sieht er die Welt. Nur das Formproblem, selbst wenn es nicht Ausdruck eines gegebenen Inhaltes ist, reizt ihn.

Die heilige Familie der Tribuna ist die erste donnernde Offenbarung seiner schroffen Persönlichkeit. Früher legten die Künstler Liebe und Zärtlichkeit, Mütterlichkeit und Frohsinn in solche Werke hinein. Um die Lösung eines Kompositionsproblems handelt es sich hier. Doch selbst dieses beschäftigte ihn nur, weil gerade Leonardos Karton der heiligen Anna erschien. Hauptsache sind ihm die Wesen, die mit ihren übermenschlichen Gliedmaßen innerhalb der Dreieckskomposition sich umherwälzen. Vorn hockt mit untergeschlagenen Beinen ein gewaltiges Weib, weder die demütige Maria von früher, noch die Himmelskönigin des Cinquecento, sondern eine Heroine mit ehernen Knochen, Arme und Füße nackt, und greift – die Kniee nach rechts, die Arme nach links – über die Schulter hinüber, um von einem graubärtigen Athleten, der hinter ihr sitzt, ein Kind zu nehmen. Die heilige Familie ist eine Titanenfamilie, das alte Thema vom Mutterglück eine Zusammenballung bewegender Kräfte geworden. Von metallischer Härte ist die Farbe, die Landschaft nur angedeutet, soweit sie als Boden notwendig ist. Wo bei anderen Künstlern Bäume sich erheben, wachsen bei Michelangelo nackte Menschen empor, die weder Namen noch Zweck haben, nur da sind.

Der Karton der badenden Soldaten, 1504 entstanden, gab ihm zum erstenmal Gelegenheit, das zur Hauptsache zu machen, was in dem Bilde der Uffizien noch im Hintergrund stand: den nackten Menschenleib. Statt eines Schlachtenbildes mit Waffen und Rüstungen, das die Signoria als Gegenstück zu Leonardos Anghiarischlacht wünschte, giebt er den Moment, wie eine Rotte badender Soldaten zum Kampf alarmiert wird. Da will einer den steilen Uferrand erklimmen. Dort beugt sich einer, einem Kameraden heraufzuhelfen. Da schwingt sich einer, auf die Hand gestützt, zum Ufer empor. Dort liegt einer noch lässig am Boden. Da bemüht sich einer, seine Tricots über den nassen Leib zu zwängen. Dort rennt einer, um seine Sachen zu suchen.

Ueber den Inhalt der Deckenbilder der sixtinischen Kapelle ließe sich sehr ausführlich sprechen. Nachdem im Quattrocento toskanische Meister in den Wandbildern die mosaische und christliche Zeit, die Zeit sub lege und sub gratia in Parallele gebracht, fiel Michelangelo die Aufgabe zu, in den Deckenbildern die Zeit ante legem von der Schöpfungsgeschichte bis zur Sündflut zu erzählen. Dann fügte er die Propheten und Sibyllen, weiter die Vorfahren Christi bei, um auf das Erscheinen des Heilandes vorzubereiten. Doch wenig ist mit solcher Angabe des biblischen Inhaltes gedient. Für Michelangelo gab es nichts Unchristliches, nichts Christliches, weder Sünde noch Verzeihung, weder Schuld noch Gnade. Es gab nur Menschenleiber und bewegende Kraft.

In den drei Noahbildern, mit denen er die Arbeit begann, klingt der florentinische Schlachtkarton aus. Er beansprucht von vornherein das Recht, das Thema in nackten Figuren zu behandeln. Der Scene von der Schande Noahs nimmt er jeden Sinn, indem er nicht nur den betrunkenen Noah, sondern alle nackt giebt. Das Dankopfer Noahs verwendet er dazu, nackte Menschen um einen Altar zu vereinen. In der Sündflut ist das Motiv der badenden Soldaten ins Ungeheure gesteigert. Wie dort der Feind, kommt hier das Wasser. Männer schleppen ihre Weiber, Weiber sitzen mit ihrem Kind dumpfbrütend auf dem Boden. Der sucht seine Habe zu retten, jener einen Baum zu erklimmen. Der klammert sich an einen Kahn, und andere werfen ihn zurück. Jene drängen unter einem Zeltdach sich zusammen. Gewänder giebt es nicht, auch keine Landschaft.

In den folgenden Bildern beschränkt er sich, der Fernwirkung wegen, auf wenige ganz große Figuren. Die Hände erhoben, den Kopf zurückgeworfen, stürmt Gott Vater durch den Weltenraum: es werde Licht. Er reckt die Arme nach den Seiten: Sonne und Mond entstehen. Er reckt sie nach unten: man fühlt, daß Leben auf die Erde kommt, obwohl Michelangelo nur die Kraft, nicht die Wirkung malt. Adam, im Schöpfungsbild, liegt wie ein Lehmkoloß da: der Körper in Vorderansicht, die Hüften gedreht, das Knie emporgezogen. Gott berührt ihn, und elektrisches Zucken geht durch den gigantischen Körper. Der Sündenfall bestand in der älteren Kunst aus einer Landschaft und zwei ruhig stehenden Menschen. Bei Michelangelo bezeichnen Baumblätter das Paradies, und statt der ruhigen Figuren giebt er verschlungene Leiber. Eva, kauernd, wendet sich nach rückwärts, um von der Schlange den Apfel zu nehmen. Adam stehend, greift über das Weib hinweg in das Blattwerk des Baumes. Auch koloristisch wird er immer mehr Plastiker. Während in den Noahbildern noch einige Farben durchklingen, ist in den späteren alles auf stumpfes Grau gedämpft.

Zwölf Einzelstatuen umgeben die Mittelbilder. Um sie kirchlich zu rechtfertigen, schrieb Michelangelo die Namen darunter, die die christliche Mythologie den Propheten und Sibyllen beilegt. Doch wie gleichgültig ist es, ob der eine Joel, der andere Jeremias, der dritte Jonas heißt! Was ist ihm die delphische, die lybische, die cumäische Sibylle! Er malt die Ekstase, die gigantische Leiber durchbebt. Da stützt einer in tiefem Sinnen seinen Kopf in die Hand, dort schaut ein Weib wie eine schöne Medusa starr und staunend ins Ewige. Dort taumelt einer zurück, von einer plötzlichen Offenbarung durchschüttelt. Und ist hier die Bewegung Ausdruck eines seelischen Vorganges, so liegt anderen Gestalten ein rein körperliches Motiv zu Grunde. Eine Sibylle will ein gewaltiges Buch von der Wand herabholen, wobei sie nicht aufsteht, sondern mit beiden Armen nach rückwärts greift. Eine andere hebt mit den Händen einen Riesenfolianten, der ihr zur Seite liegt, aufs Knie, wobei Körper und Beine nach entgegengesetzten Seiten sich drehen.

Bei der architektonischen Umrahmung fühlt er aller biblischen Fesseln sich ledig. Wo Frühere Ornamente gaben, giebt er nackte Leiber. Da sind, in Bronze- oder Holzfarbe gemalt, die Kinder, die inmitten dreieckiger Zwickel sich wälzen. Weiter die Knaben, die, als Karyatiden gedacht, die Gewölbpfeiler und die Bronzetafeln der Propheten tragen. Schließlich, als die Krone des Ganzen, die »Sklaven«. Hoch oben auf den Pfeilern, zwischen den Propheten und Sibyllen, sitzen sie, paarweise sich zugekehrt, Bronzemedaillons mit Guirlanden und Draperien umwindend. Das alte Motiv der Putten mit dem Fruchtkranz! Nur hat Michelangelo aus Kindern Riesen gemacht, das unschuldige Spielen mit dem Fruchtkranz in halsbrecherisches Balancieren verwandelt. Zehnmal war dieselbe Aufgabe zu lösen, und immer neue Bewegungsmotive strömen ihm zu. Noch dreißig Jahre später benutzt er das Thema des Jüngsten Gerichtes dazu, nackte Menschenleiber in allen denkbaren Bewegungen, Verkürzungen und Verschlingungen durch die Luft zu werfen. –

Das ist eine äußerliche Beschreibung der Bilder, doch sie deckt sich nicht mit dem Wesen von Michelangelos Kunst. Wie sein Gott weder der schreckliche Jehova des Alten Testaments noch der liebende Vater des Christentums ist, sondern das Fatum, das gleichgültig über die Erde schreitet, kann man in Wahrheit weder von Menschen noch vom Nackten reden. Denn Menschen sind seine Wesen nicht. Sie haben nichts gemein mit den Geschöpfen, die auf unserer Erde leben. Und wenn er Nacktes bildete, übernahm er wohl die Erbschaft der Quattrocentisten Pollajuolo und Signorelli. Doch weder die animalische Schönheit des Körpers reizt ihn, noch sind die gigantischen riesenhaft gesteigerten Bewegungen Ausdruck eines gegebenen Themas. Nur den Alpdruck seiner eigenen Seele entlädt er. Was er schuf, erzählt nur von den Qualen einer einsamen gemarterten Menschenseele.

»Immer ward's ein Bild vom eignen Gram
Trug meiner eignen Stirne düstres Zeichen.«

War Tizians Leben eine große Harmonie, so ist das Michelangelos eine große Dissonanz. Schon ein Ereignis vor seiner Geburt ist symbolisch. Als seine Mutter ihn sieben Monate unter dem Herzen trug, begleitete sie ihren Mann zu Pferde auf seinen Posten in Chiusi, stürzte mit dem Tiere und wurde fortgeschleift. Es kündigt sich an, daß das Leben dieses Mannes eine Kette von Katastrophen und gewaltsamen Erschütterungen sein werde. Stolz auf das alte Blut der Grafen von Canossa, das, wie er glaubte, in seinen Adern floß, will der Vater nicht, daß sein Sohn Künstler werde. Nur durch unbeugsamen Willen besiegt er den Widerstand der Familie. Kaum ist er bei Ghirlandajo, so wird das Verhältnis zu seinem Lehrer Feindschaft. Nicht lange darauf kommt ein weiterer Zusammenstoß. Torregiani, den Michelangelo gereizt hat, zerschmettert ihm die Nase, und diese Entstellung wirkt weiter auf die Gestaltung seines Charakters. Ein Priester des Schönen soll er sein und ist ein häßlicher, mißgestalteter Mensch. Neben sich sieht er wie einen jungen Gott Leonardo daher schreiten, den Magier, der alle bezaubert. Er selbst ist klein, der Kopf fast abnorm gebildet, die Stirn mächtig, das Auge glanzlos. Die zerschmetterte Nase bringt einen Zug sklavenhafter, malayischer Häßlichkeit hinein.

So lernt er in jungen Jahren nie die Liebe kennen. »Willst du mich besiegen,« redet er als Greis noch die Liebe an, »gieb mir mein Antlitz wieder, dem die Natur alle Schönheit genommen.« So oft er in seinen Sonetten von Leidenschaft spricht, immer redet er nur von Qualen und Thränen, von Trauer über unerwiderte Sehnsucht, nie von der Erfüllung seiner Wünsche. Aber nicht nur Häßlichkeit, auch Unverträglichkeit ist ihm als düsteres Geschenk der Natur gegeben. Herb und ironisch in seinen Urteilen, stolz und aufbrausend, war er nicht gemacht, sich Freunde zu werben. Ueber Perugino urteilt er, daß dieser ihn bei Gericht verklagt. In Bologna überwirft er sich mit dem seelenguten Francia, dessen eigenem Sohn er sagt, die lebenden Gestalten seines Vaters seien besser als die gemalten. Mit Leonardo ist er seit dem ersten Begegnen verfeindet, weil schon ihr äußerer Gegensatz das Gefühl der Erbitterung in ihm nährte. Nie ist er dabei, wo Florentiner Künstler zusammen sind. Empfindlich und argwöhnisch, gereizt und mißmutig, glaubt er sich stets von Intriguen umgeben. Zugleich tritt schon damals – in seiner Flucht aus Florenz – jene Abhängigkeit von dumpfen Ahnungen hervor, die später so oft seine Handlungen bestimmte. Nur durch Arbeit kann er seine Schwermut und Verbitterung betäuben. Stoßweise schafft er, lange Zeit brach liegend, dann mit Gewitterdonner sich entladend. Namentlich am David, heißt es, hätte er so fieberhaft gearbeitet, daß er in den Kleidern schlief, wie er abends von der Arbeit hinfiel. Als er nach Rom kam, mußte sofort eine neue Erschütterung folgen. Denn es platzten hier zwei Welten aneinander. Michelangelo selbst eine Tyrannennatur im höchsten Sinn. Auf dem päpstlichen Thron ein ähnlicher Geist, der jähzornige Condottiere Julius, dem man nachsagte, er prügle bei Tafel seine Kardinäle durch. Wie zwei feindliche Mächte standen die beiden sich gegenüber. Michelangelo spricht mit dem Papst, den Hut auf dem Kopf, behandelt ihn, nach Soderinis Worten, »wie der König von Frankreich nicht gewagt hätte«. Doch der Papst bändigt ihn, führt ihn, als er geflohen, »mit dem Riemen um den Hals« zurück. Und nicht nur mit Julius platzt er zusammen. Nichts, was er thut, verläuft ohne Kampf. In Carrara hat er Streit mit den Arbeitern, die die Blöcke für das Juliusdenkmal schlagen, und mit den Rhedern, denen der Transport übertragen ist, so daß sie schließlich ihn in seinem Hause belagern. Die Deckenbilder der Sixtina zu übernehmen, läßt er nur mit Gewalt sich zwingen. Bramante, der das Gerüst erbaut, wird beschuldigt, ihm nach dem Leben zu trachten. Den Gehilfen, die er aus Florenz hat kommen lassen, geht er plötzlich aus dem Weg. Als sie zur Arbeit kommen, ist die Kapelle verschlossen. Nur weil es ihm unerträglich ist, mit anderen zusammen zu sein, vollendet er ohne fremde Hilfe das Riesenwerk. »Mit Sorgen und körperlicher Arbeit überlastet,« schreibt er nach Hause, »habe ich keinen Freund in Rom, will und brauche auch keinen, finde kaum Zeit, mein Essen zu mir zu nehmen. Deshalb dürft ihr mir nicht noch mehr aufbürden. Kein Lot schwerer vermag ich zu tragen, als mir jetzt schon auf dem Rücken liegt.« Und als die Arbeit gethan, wird in keinem seiner Briefe von Befriedigung gesprochen. Er klagt nur, preist Bugiardini, weil er immer mit seinen Werken zufrieden sei, während er selbst keines nach seinem Willen vollenden durfte.

Gleichwohl blickte er auf die Jahre, die er unter Julius verlebte, später wie auf ein Heldenzeitalter zurück. Als auf den wilden, cholerischen Julius der weiche, sybaritische Leo folgte, wurde der Zwiespalt immer größer zwischen Michelangelo und der Welt, in die das Schicksal ihn stellte. Ein genußfroh epikureischer Geist war in Rom zu Hause. Man liest von lustigen Kardinälen und schönen Frauen, von Chigis Villa und üppigen Banketten, bei denen man die goldenen Schüsseln, von denen der Papst gespeist, in den Tiber geschleudert habe. Inmitten dieser Welt geschmeidiger Kavaliere, neben Rafael, der durch seine Liebenswürdigkeit alle gewinnt, steht der stachlige, verschlossene Michelangelo, unerträglich in seinem Wesen, fest und unbeugsam in seinen Anschauungen, über Rafael mit unbarmherziger Schärfe urteilend. Er sei terribile, jage den Menschen Schrecken ein, sagte Leo zu Sebastiano.

So wird er durch die Uebertragung des Façadenbaues von San Lorenzo vom Hofe entfernt. Nicht Rom, sondern Florenz ist für die nächsten Jahre sein Aufenthalt. Hier erlebt er den Untergang der florentinischen Freiheit, leitet bei der Belagerung die Befestigungswerke, um im entscheidenden Moment zu fliehen – wieder ein Symptom für den Widerstreit des Willens, der diesen gequälten Geist bald hier hin, bald dort hin trieb. Auch von den Werken, die er in Angriff nahm, kam fast nichts zu stande. Gigantisch waren seine Pläne. Schon in seiner Jugend wollte er einen Felsen bei Carrara in einen Koloß verwandeln. Das Juliusgrab sollte ein Wald von Statuen werden. Und so Riesengroßes er plante, so klein und ärmlich erschien ihm, was er vollenden durfte. Immer herrschen Dissonanzen zwischen seinem allmächtigen Schaffensdrang und der Möglichkeit, ihn zu bethätigen. Der Mann, der übermenschliche Kräfte in sich fühlt, geht mit Bleigewichten an den Füßen durchs Leben.

Die Rückkehr nach Rom gestaltete sein Leben nicht anders. Rafael war tot, Leonardo war tot, ein neues, kleines Geschlecht war aufgewachsen. Aufträge werden ihm erteilt, über die er in seinen Briefen sich in grimmer Persiflage ergeht. So zieht er immer mehr sich zurück, eine »unangreifbare Festung«, wie die Zeitgenossen ihn nennen. Nicht mit den Lebenden, nur mit Toten verkehrt er, mit Dante namentlich, den er als großen, unverstandenen Geist verehrt. Um sich duldet er nur Menschen, die seinen eigenen Gedanken nicht lästig werden. Tölpel hatte er im Hause und mit Kindern sprach er gern. Seine Scheu, andere zu sehen war so groß, daß, als er bei der Arbeit am Jüngsten Gericht vom Gerüst herabgestürzt war, der Arzt durchs Fenster eindringen mußte, um zu ihm zu gelangen. Auch seine Familie lastete auf ihm. Ohne eigenes Heim, hatte er doch für den Vater, die Brüder, die Neffen zu sorgen, echte Typen heruntergekommenen Adels, die alle ihre Bedrängnis ihm zutrugen. Und die Art, wie Michelangelo hilft, ist gleichfalls eine seltsame Mischung von rührender Liebe und aufbrausendem Zorn. Der Mann, der Hochgestellten mit so schroffer Härte begegnet und die Nacht am Krankenlager seines Dieners wacht, bricht über die Anforderungen der Seinen in vulkanischen Zorn aus und führt, um für sie zu sparen, das erbärmlichste Leben. Dazu kommt eine weitere Anomalie. So sehr man versucht hat, Michelangelos Sonette in Verbindung mit dem Platonismus zu bringen, Tommaso Cavalieri, Luigi del Riccio, Cecchino Bracci waren keine platonischen Ideen. Wenn er schwärmerische Gedichte an Cavalieri richtet und einen Raub des Ganymed für ihn zeichnet, so äußert sich darin, wie der einsame Mann für fehlende Frauenliebe Trost sucht. Doch auch hierbei kommt er nicht über marternde Gedanken, über Vorwürfe hinaus, die er sich selber macht. Denn zu den peinigenden Dingen, die auf ihm lasteten, kamen noch religiöse Skrupel. Jugenderinnerungen wurden in ihm lebendig aus jenen Tagen, da er zu Füßen Savonarolas saß. Hatte er früher durch die Arbeit sich betäubt, so sehnte er sich nun nach Seelenfrieden, nach der göttlichen Liebe, die »ausgespannt am Kreuz die Hand uns reichet«.

»Ins Göttliche sollt' ich den Geist versenken,
Und all die Jahre, die dahingerauscht,
Hab' ich den Märchen dieser Welt gelauscht
Und folgte gern, wenn sie zur Sünde lenkten.«

Ingrimmig empfindet er zuletzt noch die Dissonanz zwischen der Geisteskraft, die in ihm lebt, und den körperlichen Gebrechen, die ihn quälen. Zur selben Zeit, als er die Kuppel der Peterskirche schuf, zeichnete er in bitterem Hohn sich als uralten Mann, der in einem Kinderrollstühlchen daher geht. Alt und einsam steht er »in einer verräterischen Welt der Trübsal«.

Nur dieses Leben Michelangelos erklärt seine Kunst. Tizian stand im Einklang mit sich und der Welt. Harmonisch lebte er sich aus. Dieses innere Glück, diese große Ruhe strömte aus seinem Wesen in seine Werke über. Michelangelo ist aus Tantalus' Geschlecht. In seinem Leben giebt es nichts Liebenswürdiges, Heiteres. So hat auch seine Kunst nichts Befreiendes, nichts hellenisch Freudiges. Ein ungeheurer Druck, etwas Beängstigendes geht von ihr aus. Nicht zufällig hat er über der »Nacht« als Personifikation ihrer Träume eine Maske angebracht mit leeren Augen und verzerrten Zügen, nicht zufällig ist sein erstes Werk eine Nachzeichnung des Schongauerschen Antonius, den die Dämonen plagen. Auch in ihm kämpften Dämonen, auch seine Träume waren nicht schöne Visionen, sondern düster schreckhaft.

Ein einziges Mal, als er die Leda schuf, hat er den Liebesrausch gemalt. Gerade dieses Werk, das sich inhaltlich mit dem Ideenkreis Leonardos berührt, zeigt den Gegensatz. Nicht von Wonne, wie bei Sodoma ist die Gestalt durchrieselt. Sie ist die Gottheit des Unheils, deren Schwanenbrut Verderben über Troja und Griechenland bringt. Wie er in seinen Sonetten die Ekstase der Liebe einen »Schmerzensschrei« nennt, hat sich in dem Bilde eine erotische Scene in eine Schicksalstragödie verwandelt. Furcht, nicht Liebe flößen seine Frauen ein. Stählern sind die Arme, wie Marmorsäulen geformt die mächtigen Schenkel. Und wenn das Thema es nicht bedingt, vermeidet er den weiblichen Körper gänzlich. Wie in seinem Leben die Frau keine Rolle spielt, ist unter den 20 »Sklaven« der Sixtina kein einziges Weib. Nur die Schönheit des männlichen Körpers hat er geliebt, sie »dermaßen geliebt, daß dies niedrig gesinnten Menschen Ursache gab, Uebles von ihm zu denken.« Dem Ewigweiblichen, das Tizian und die Meister der Leonardogruppe feierten, tritt mit Michelangelo das ewig Männliche gegenüber.

Nicht der lebende Mensch. Denn wie er als der große Einsame dahinlebt, nicht mit Lebenden, nur mit den Genien der Vergangenheit in Verkehr, verwendet er als Künstler selten Lebende zum Modell, gewöhnlich Leichen, die sich machtlos all den Gliederverschränkungen fügen, denen der lebende Körper die Widerstandskraft des Willens entgegensetzt. Und wie er als Mensch der große Verächter ist, dem die Welt nichts bietet, giebt er als Künstler das Irdische nie im Sinne des Naturporträts wieder. Ein übermenschliches Menschentum, ein Geschlecht von Riesen ersinnt er.

Oft betont er dem Papst und seinen Eltern gegenüber, welche Qual es für ihn ist, aus seiner Ideenwelt gerissen zu werden. So sind seine Wesen meist ganz in sich selbst versunken. Sie schlafen, brüten gedankenvoll vor sich hin. Und wenn etwas in ihrer Ruhe, in ihrer Weltabgeschiedenheit sie stört, fahren sie wie geistesabwesend auf, wenden erschreckt den Kopf, bewegen abwehrend den Arm. Die Handbewegung Adams bei der Vertreibung aus dem Paradies und das Sonett auf die Nacht »Erwecke mich nicht, sprich leise« sind für die Anschauung des Einsamen bezeichnend.

Oder wie er selbst sich als Riese inmitten verächtlicher Pygmäen fühlt, sind seine Wesen Kinder des Zornes, die aufspringen möchten und eine Welt zertrümmern. Der Moses namentlich mit den drohend zusammengeballten Brauen und der unbändigen Kraft seiner Muskeln ist der Ausdruck all der gewaltigen Leidenschaften und all des glühenden Zornes, der in Michelangelos Seele wühlte. Aber nicht nur Titane, er ist wie Gottvater, der eine Welt erschaffen möchte, – er ist ein gefesselter Riese: Prometheus, dem eiserne Klammern Hand und Fuß umschließen. Wie sehr er das empfand, zeigen die Louvresklaven. Ja, er schafft überhaupt nur Körper, die, titanenhaft mächtig, doch in einem Gefängnis eingeschlossen, wie durch eine höhere Macht in ihren Bewegungen gehemmt sind. Nie bewegen sich seine Menschen frei und bequem wie bei Tizian. Immer erscheint der Raum zu eng für die volle Entfaltung ihrer Glieder. Da bildet die Umrahmung ein Dreieck, in dem sie nur kauern, nicht stehen können. Dort ist ein Giebel darübergesetzt, den sie, wenn sie sich erheben, zertrümmern würden. Und innerhalb dieses Raumes, der so schwer und lastend auf ihnen drückt, stemmen und strecken sie sich in gewaltiger Anstrengung, verrenken sich die Glieder, drehen und winden die einzelnen Teile ihres Körpers hierhin und dorthin, suchen mit gigantischem Ruck sich aufzurichten und kommen doch nicht in die Höhe. Bei Tizian volle, freudige Lebenskraft, hier etwas Eingezwängtes, Gemartertes, Druck und machtloser Gegendruck, die Zuckungen des gefesselten Prometheus.

Selbst jener Widerstreit des Willens, der für Michelangelos Wesen so bezeichnend ist, kehrt bei den Menschen, die er schuf, wieder. Wie er Florenz befestigt und im letzten Augenblick flicht, wie er als Dichter oft die Wendung braucht: »Was soll ich thun? Es stockt unschlüssig doch mein Wille« scheinen in seinen Menschen stets widerstreitende Kräfte zu ringen, als ob der Geist nicht von einem Mittelpunkt aus den Körper dirigiere. Während sonst die Bewegungen unwillkürlich dem Willen folgen, der Körper eins ist mit sich und seiner Seele, scheint hier die Willenskraft den Körper nicht zu beherrschen. Die einzelnen Glieder gehen getrennte Wege. Da ballen sich die Muskeln der Arme zu gewaltiger Aktion zusammen, und der Körper haftet noch in tiefster Lethargie am Boden. Dort streckt und dehnt sich ein Nacken, und die Glieder wissen nicht warum. Das eine wird mechanisch hierhin, das andere dorthin geworfen. Oder ein plötzlicher Entschluß durchzuckt einen Körper, und die Bewegungsorgane verharren in dumpfer Apathie.

Das Jüngste Gericht von 1541 enthält sein Vermächtnis. Alles, was sich in seiner stolzen Seele an Zorn, an wutschnaubender Verbitterung angehäuft, hier sprach er es aus. Ruhig und feierlich sind auf älteren Bildern die Heiligen um den Heiland geschart. Klagend, doch ergeben, fügen die Verdammten sich in ihr Schicksal. In weihevollem Reigen schweben die Auserwählten empor. Michelangelo kennt nur Zorn und Rache als Eigenschaft des göttlichen Wesens. Nackt wie ein römischer Imperator steht Christus da. Märtyrer drängen sich heran, Engel sausen herbei. Ein Blitzstrahl, von Christi Hand ausgehend, scheint das Universum zu durchzucken. Doch er trifft die Verdammten nicht. Hutten sagte von Julius II., er habe den Himmel mit Gewalt gestürmt, als Petrus oben ihm den Eintritt wehrte. So kann Michelangelo Demut, Furcht, Angst, knechtische Unterwerfung, sanftes Dulden sich nicht denken. So schrecklich sein Gott ist mit seiner gewaltigen Gebärde, die Athleten trotzen ihm. Sie weichen nicht zurück. In immer dichteren Scharen kommen sie. Immer gewaltiger werden ihre Leiber, zu unerhörten Kraftmassen ballen ihre Körper sich zusammen. Keine Sünder sind sie, die den Lohn für ihr Thun empfangen, sondern die rebellischen Giganten, die den Himmel stürmen. Das christliche Strafgericht ist zur Götterdämmerung geworden.

In der Cappella Paolina sprach er das letzte Wort. Schrill und grausam sind die Linien. Da gähnende Leere, dort wilde Bewegung. Petrus, mit dem Kopf zu unterst ans Kreuz genagelt, sucht mit gigantischer Halsbewegung sich umzudrehen. Michelangelo, der gefesselte Prometheus, bäumt sich zum letztenmal auf.

Für die italienische Renaissance wurde er das »Fatum«, das er selbst in der sixtinischen Kapelle malte. Er nahm der Kunst die Freude am Einfachen, Gewöhnlichen, nahm ihr die Freude an der Farbe. Nachdem man diese Welt von Dämonen gesehen, erschien alles Irdische so klein. Auch andere wollten Riesen schaffen, in denen die Kräfte des Alls sich recken und dehnen. Seine Sprache sollte allgemeine Umgangssprache werden. Und je größer die Zahl derer war, die ihm folgten, desto einsamer ward es um den Meister.


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