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Vierzehntes Kapitel

Afrajas Ende und Henrik Stures Rettung

Der Gerichtstag brach an, und es war ein heller, heiterer Tag, an dem Hunderte und Aberhunderte von Menschen aus der Nähe und Ferne nach der Stadt Tromsö gekommen waren. Von den Inseln und Fjorden zogen sie her, Untervögte und Gerichtsschreiber, Handelsherren und Fischer und sonstiges Volk.

Sie lagerten sich auf den Plätzen und in den Hütten am Ufer, kochten und schmausten, und liefen in einen Hof, wo sie einen Haufen Holzscheite betrachteten. Nach und nach aber drängte sich die Masse immer mehr dem Amtshause zu und bildete endlich einen weiten Kreis um den Platz, in dessen Mitte ein Gerüst stand. Da war ein Tisch mit schwarzem Tuch bedeckt und Stühle waren daran gestellt. An der Ecke stand ein anderer Tisch, über dem eine blutrote Hülle lag.

Plötzlich läutete eine Glocke, und da kamen sie aus dem Amt. Der Vogt voran im gestickten Rock mit Untervögten, Gerichtsmännern und Amtsboten, dann sein Gehilfe, der Schreiber, endlich paarweise die sechs Beisitzer. Der Vogt nahm in der Mitte Platz, der Schreiber zu seiner Rechten, die Beisitzer zu beiden Seiten.

Tiefes Schweigen war überall und alle Blicke auf den Vogt gerichtet, der aufstand, mit einem weißen Stab auf den Tisch schlug und mit lauter Stimme sagte: »Das Thing ist eröffnet! Gott, der Allmächtige, steh uns bei, daß wir ein rechtes Gericht halten. Bringt die Gefangenen auf die Thingstätte.«

Nach einigen Minuten wurden sie herausgeführt, und ein dumpfes Gemurmel, das wie die Meeresbrandung anschwoll, begleitete den Zug. Der alte, gebeugte Afraja, bekleidet mit einem reinlichen, braunen Lappenkittel, konnte sich nur schwer auf den Füßen halten, obgleich man ihm die Ketten abgenommen hatte. Sein grauer Kopf war entblößt, sein langes Haar über die Schultern geworfen, und sein Gesicht sah ernst und würdig aus. Als er auf das niedrige Gerüst stieg, war er so schwach und hinfällig, daß ihn sein vornehmer Unglücksgenosse stützen mußte. Sture trug einen blauen, schlichten Rock. Sein großer, schlanker Körper ragte hoch auf, sein schönes, braunes Haar war mit einem Band gebunden. Als er oben stand, schien er geneigt, sofort sprechen zu wollen, allein er setzte sich nieder und erwartete den Zug der armen, gefangenen Lappen, die unter Angst und Zagen herbeigebracht und seitwärts aufgestellt wurden.

Jetzt stand der geschworene Schreiber auf und begann seinen Vortrag. Nach einer Einleitung, in der er erwähnte, daß seit langer Zeit in den Finmarken keine Anklage auf Tod und Leben erhoben wurde, schilderte er die bösen Taten, die seit Jahr und Tag von den Lappen verübt worden seien. Dann sprach er von Afraja, von seinen Ränken und hinterlistigen Tücken, und nachdem er die vielfachen Versuche erwähnt hatte, den Lappen zum Christentum zu bekehren, klagte er ihn des hartnäckigen Heidentums, der Zauberei und verbrecherischer Pläne an, Mord und Brand über die Finmarken zu bringen.

»Was jedoch«, fuhr er dann fort, »den zweiten Angeklagten betrifft, Henrik Sture, Freiherr aus dänischem Adel und ehemals Offizier und Kammerjunker Seiner Majestät des Königs Christian des Sechsten, so liegt der dringendste Verdacht vor, daß er um alle die bösen Taten Afrajas gewußt und sich mit ihm zu deren Ausführung verbunden hat.«

Als der Schreiber Stures Namen nannte, stand dieser auf, und kaum war der Satz vollendet, als er mit fester, lauter Stimme sagte: »Jedes Wort, das über mich gesprochen wurde, ist eine schändliche Lüge!«

»Schweigen Sie!« sagte Paul Petersen, »bis es Zeit ist zum Reden.«

»Diese Zeit ist da«, antwortete der Junker. »Ich erkläre vor diesem Thing, daß ich ein unschuldig verleumdeter Mann bin, dem Bosheit nach Gut und Leben trachtet. Ich schleudere die Anklage auf den zurück, von dem sie ausgeht. Sie Sorenskriver, Sie allein haben dieses ganze Lügengewebe gesponnen. Ich klage Sie an als den schlimmsten und ersten Verbrecher in diesem Land!«

Die Überraschung bewirkte, daß die Stille nicht unterbrochen wurde. Der weite Kreis sah starr auf den Schreiber, der einige Minuten lang verwirrt und unentschlossen zu sein schien. Bald aber hatte er seine ganze Selbstbeherrschung wiedergewonnen. Seine boshaft funkelnden Augen mäßigten ihre Wildheit, und seinen Arm ausstreckend, sprach er:

»Sie können mich nicht schmähen, Herr Sture, denn Sie sind ein dem Gesetz verfallener Mann. – Ruhe im Thing, ihr Männer! Und Sie, Herr, verschlimmern Sie Ihre Sache nicht. Sie werden genug daran zu tragen haben.«

Ein allgemeines beifälliges Gemurmel antwortete ihm. Sture sah überall düstere, wuterfüllte Gesichter, die ihm Unheil verkündigten.

»Ich spreche zum letztenmal«, rief er aus, »um gegen alles, was hier geschieht, feierlich zu protestieren! Ich war nicht allein ein dänischer Edelmann, ein Offizier und Kammerjunker des Königs, ich bin dies alles noch jetzt. Wessen ich auch beschuldigt werde, kein Gesetz darf mich richten, kein Gerichtshof ein Urteil fällen, als der, an dessen Spitze der König selbst steht. Tut gegen mich was ihr wollt, aber seid sicher, es wird nicht ungerächt bleiben. Seiner Majestät Gnade befehle ich mich, dem Reichsrat und dem Gouverneur von Norwegen!«

Diese Ausrufungen blieben nicht ohne Eindruck. Der Volkshaufe antwortete zwar mit einem Gebrüll, aber es gab auch bedenkliche Gesichter, die bei dem Namen und der angedrohten Rache des Königs die Augen niederschlugen.

Der Schreiber wurde jedoch von solchen Gedanken nicht gerührt.

»Auf alle diese Einwendungen ist nichts zu geben«, sagte er. »Hier ist unser Gesetz, hier sind unsre Rechte! – Sie wollen nicht antworten?«

»Nein!«

»Und du, Afraja«, wandte er sich zu dem Lappen,»leugnest du, deinen heidnischen Göttern anzuhängen?«

»Nein«, antwortete der Greis laut und vernehmlich. »Alle meine Väter haben zu Jubinal gebetet, so auch ich.«

»So bist du ein Verächter der christlichen Lehre. – Bekennst du auch, daß du ein Zauberer und Hexenmeister bist?« »Ja, ich bin ein Diener Jubinals. Ich weiß Zaubersprüche. Die Götter hören mich!« sprach Afraja langsam.

Erstaunen fesselte den ganzen Kreis.

»Kennst du dieses Bild?« fragte der Schreiber, indem er vorn Tisch das kleine Metallbild nahm, das der unglückliche Olaf einst empfangen und später Egede Wingeborg übergeben hatte.

»Ich kenne es.«

»Du versprachst, damit guten Wind zu machen, aber du logst. Wildes Wetter kam. Olaf ertrank, mit ihm Helgestads einziger Sohn und dein eigenes Kind.«

Afrajas Kopf geriet in eine zitternde Bewegung, aber als er ihn aufrichtete, leuchteten seine Augen und kraftvoll erwiderte er: »Ich wußte, was kommen würde. Ich sah am Himmel Zeichen, die niemand sieht, und hörte Pekels brüllende Stimme.«

»So hast du dieses Hexenzeichen verkauft, um die Männer zu verderben?«

»Dich wollte ich verderben, der du ärger bist als Wolf und Bär!« schrie Afraja auf.

»So hast du wissentlichen Mord begangen«, fuhr Petersen fort. »Hasse mich, so viel du willst, aber sage mir, warum du unschuldige Menschen töten wolltest?«

»Wer ist unschuldig unter euch?« fragte Afraja. »Seid ihr nicht alle Räuber, die uns genommen haben, was uns gehörte? Haßt ihr uns nicht? Verachtet ihr uns nicht, als wären wir Schlangen und giftiges Gewürm?«

»Und deswegen war es deine Absicht, uns alle aus dem Land zu jagen? Deswegen wolltest du auf dem Lyngenmarkt den Anfang machen, wenn dein Neffe Mortuno dir nicht gefehlt hätte?«

Afraja ließ den Kopf auf die Brust sinken, seine Hände falteten sich. »Jubinals Arme haben meine Kinder aufgenommen«, sagte er, »ich werde bald bei ihnen sein, und fürchte dich nicht. Du aber wirst in Qual und Schande umkommen.«

»Da du so kühn warst«, rief der Schreiber lauernd, »alle deine Verbrechen einzugestehen, so bekenne auch jetzt laut: Welchen Umgang hattest du mit Henrik Sture vom Balsfjord?«

Afraja wandte sich zu diesem, und indem er seine Hände aufhob, sagte er: »Segen über dich, Segen und Frieden! Weil du gut und gerecht warst, war ich dein Freund.«

»Hast du ihm nicht Geld gegeben, um seine Schuld zu bezahlen?«

»Ich tat es, weil du und Helgestad ihn verderben wollten.«

»Und was gab er dir dafür?«

»Ich verlangte nichts, ich war dankbar.«

»Lüge nicht, Verräter!« rief der Schreiber mit wildrollenden Augen. »Er machte mit dir ein Bündnis und verkaufte dir eine Menge Pulver, das ich selbst in deiner Hütte fand. Gesteh, oder ich will dich zum Bekenntnis bringen!«

Ein Gerichtsdiener nahm zugleich auf seinen Wink die rote Decke vom Nebentisch fort, und wie hart und roh das Volk ringsum auch war, faßte doch Schaudern und Grausen es an. Da lagen alle die alten Schrauben und Eisendrähte, die spitzen Keile und Knebel, die der Schrank in der Kanzlei verwahrt hatte.

»Nach dem Gesetze ist es zulässig und nötig«, begann Petersen, »daß wir zur peinlichen Frage schreiten, wenn ein verstockter Bösewicht die Wahrheit nicht eingestehen will. – Gerichtsboten! Greift den Lappen und nehmt die Schrauben zur Hand!«

»Halt!« schrie eine Stimme außerhalb des Kreises. »Haltet ein, im Namen Gottes!«

Paul Petersen ballte die Hände zusammen, seine Augen glühten, und sein Gesicht gewann den Ausdruck wilder Leidenschaft. Er erkannte Klaus Hornemann, den er am wenigsten hier erwartet hatte, und bei dessen Anblick überkamen ihn unbeschreibliche Wut und doch nicht minder große Furcht.

»Vogt von Tromsö!« sprach der Missionar, »ich fordere Sie auf, das Gericht zu vertagen. Ich habe krank gelegen, sonst wäre ich eher gekommen, und dem allmächtigen Gott sei Dank! Es ist noch nicht zu spät.«

»Warum sollte ich den Thing vertagen?« fragte der Vogt hart und gereizt.

»Weil in dieser unglücklichen Sache vieles zu erforschen bleibt.«

»Hier gibt es eines nur noch zu erforschen«, fiel der Schreiber ein, »ob Henrik Sture um die Verbrechen dieses Lappen gewußt hat. Afraja selbst hat bekannt, daß er ein Heide und ein Zauberer ist.«

»Mein Herr und Gott!« rief der alte Priester, »geh nicht mit ihm ins Gericht. Ja, er ist ein Heide, aber öffnet man mit dem Schwert die Augen eines Blinden? Törichter Mann, wie kannst du dich selbst einen Zauberer nennen? Wärst du ein solcher, du würdest hier nicht verlassen sitzen. – Sie aber, Herr Vogt«, fuhr er zu dem hohen Beamten gewendet fort, »wollen Sie wirklich diese grausamen Befehle und Strafen aus einer barbarischen Zeit jetzt noch anwenden? – Sie können und dürfen das nicht.«

»Hier stehen würdige, ehrenhafte Männer genug«, rief der Vogt, »die ich frage, ob wir diesen verbrecherischen Lappen nicht nach gültigem Gesetz richten dürfen?«

»Recht, Vogt Paulsen, recht!« schrien viele Stimmen. Einige sprangen von den Sitzen auf und hoben den Arm. Andere gerieten in Wut und wollten den greisen Priester vom Gerüst ziehen.

»Im Namen Gottes! Im Namen unseres Heilandes!« rief der Greis, »ihr sollt mich nicht hindern!«

»Friedensbruch! Gerichtsbruch!« schrien die Beisitzer.

»Führt ihn fort, Gerichtsboten!« befahl der Vogt.

Der Greis stand demütig, er weinte. In seines Herzens Angst hob er die Hände auf, und es entstand eine Stille, so daß er noch einmal seine Stimme erheben konnte.

»Wenn ich den unseligen Mann nicht retten kann«, sagte er, »so will ich für Henrik Sture Zeugnis ablegen. Häuft nicht Frevel auf Frevel! Über ihn kann nur der Gouverneur richten.«

»Fort mit ihm!« schrie Paul Petersen, »sein Zeugnis ist von Übel!«

Die Gerichtsboten umringten ihn. »Ich selbst – ich selbst«, rief er, »aus dem Thing gestoßen, will vor des Königs Thron um diese Greuel klagen!«

Mitten in dem Gewühl und Geschrei geschah die Beratung. Der Schreiber lag eine Zeitlang erschöpft in seinem Sessel; dann sprang er auf und redete heftig, aber die Beisitzer schienen seine Meinung nicht zu teilen. Jetzt wurden die Stimmen gesammelt, und als die Ruhe hergestellt war, wandte sich Paul Petersen zu Afraja und sprach laut das Urteil:

»Weil du geständig bist, ein Götzendiener und Zauberer zu sein, und weil du Mord und Hochverrat verübt hast, soll heute noch dein sündiger Leib verbrannt und die Asche in den Wind gestreut werden. – Was aber Sie betrifft, Henrik Sture, so sollen Sie Zeuge der Vollziehung dieses Urteils sein, dann aber auf immer aus diesem Land verbannt und zur weiteren Strafe in Ketten nach Trondheim geführt werden. – So spricht das hohe Gericht zu Tromsö im Namen des Königs, nach des Landes Rechten und Gesetzen!« – –

 

Es wollte Abend werden. Die Sonne schien rot auf die hohen Scheitel der Felsen, die jenseits des Tromsösundes aufsteigen. Nebeltau dämmerten unten die Schluchten, und in der Stadt war es unheimlich still.

Plötzlich schallte vom Hügel her ein langer, wilder Schrei von vielen Hunderten, der sich über Land und Meer fortwälzte und dann erstarb. Eine Rauchsäule stieg auf, schwer und finster wirbelte sie empor, unter ihr zuckte loderndes Feuer. Die Menschen wurden von dem schwarzen Rauch eingehüllt, als wollte er sie und ihre Taten verbergen, und oben schien das Sonnenlicht, oben war es noch Tag. Große, weiße Vögel zogen durch die Himmelsbläue – sie nahmen Afrajas Seele und führten sie zu Jubinals Gärten.

Im Amtshaus gab es nur zwei Menschen, die, als sie den Schrei hörten, auf ihre Knie sanken, weinten und beteten. Es waren der alte Priester Klaus Hornemann und Ilda Helgestad.

»Vater und Allerbarmer!« betete der Greis, »nimm, was ewig und unsterblich an ihm, gnädig in deine Hände. O mein Herr und Gott, steh deinem Geschöpf bei in seiner Not. Kühl die Flammen, ruf ihn zu dir, lindere seine Schmerzen, wie du des Gekreuzigten Schmerzen lindertest und sein Haupt neigtest, daß er entschlief.«

In diesem Augenblick wurde ihre Andacht unvermutet durch den Donner eines Kanonenschusses unterbrochen, und sein gewaltiger Schall übertönte das Geschrei der Menschenmassen, die vom Hügel zurückkehrten.

Zwei Fahrzeuge kamen mit vollen Segeln südwärts den Sund herauf. Beide trugen die Regierungsflagge. Der gekreuzte Danebrog flatterte im Abendlicht, und die Verdecke wimmelten von bewaffneter Mannschaft, von Soldaten und Seeleuten.

Die Menschen standen und sahen verwundert die Schiffe an, bis auch der Vogt mit seinem Gefolge nahte. Eine ziemliche Strecke hinter ihm folgte der Sorenskriver Petersen, der sich von Helgestad führen ließ und sich mühsam fortbewegte. Aber all seine Krankheit und seine Leiden bezwang er, und wer ihn mit dem roten fieberhaften Gesicht sah und lachen hörte, ahnte nichts von seiner Pein.

Eben wurde Sture vorübergeführt. Gerichtsboten umringten ihn, eine Kette fesselte seine Hände, aber sein Gang war fest, sein Gesicht sah furchtlos und ruhig aus. Als er seinen beiden Feinden gegenüber war, richtete er seine Augen mit solcher Verachtung auf sie, daß Helgestad sich abwandte und der Schreiber die Zähne zusammenbiß.

Grade jetzt fiel ein zweiter Kanonenschuß, und Petersen rief: »Welcher Narr von Küstenwächter verschießt da sein Pulver?«

Sie hatten die Häuser erreicht, als der Vogt zu ihnen zurückkehrte und ein bedenkliches Gesicht mitbrachte. »Komm geschwind«, sagte er, »wir haben sonderbare Gäste. Zwei Schiffe ankern dicht bei, Kriegsschaluppen! Sie haben Boote ausgesetzt, es wimmelt von roten Röcken.«

»Die kommen zu meiner Hochzeit«, lachte Paul. »Wie, Oheim, Ihr seid selbst Offizier gewesen und fürchtet Euch vor den Soldaten?«

»Gutes bringen sie nicht«, murmelte der hohe Beamte.

»So laßt es Böses sein. Haben wir nicht hier Arme genug zur Vergeltung? Kommt, kommt und haltet den Kopf steif im Nacken, Onkel. Ich will diese Rotröcke Sitte lehren.«

Ein Trommelwirbel schallte ihnen entgegen, und als sie den Hafen erreichten, stand eine Kompanie Soldaten eben gelandet an den Ufertreppen. Mehrere Offiziere ordneten die Aufstellung. Ein weiter, neugieriger Menschenkreis umgab sie. Sogar die Gerichtsdiener waren mit ihrem Gefangenen stehengeblieben, sahen von fern zu und horchten auf, als der Vogt und sein Neffe sich den Befehlshabern näherten.

Der Vogt zog seinen Tressenhut, verbeugte sich und hielt eine höfliche Anrede.

»Meine Herren Offiziere«, sagte er, »ich heiße Sie in Tromsö willkommen. Da ich jedoch keine Nachrichten von Ihrem unverhofften Besuch erhalten habe, so frage ich, woher die Herren kommen und was ihre Absicht ist?«

Der alte grämliche Kapitän schien nicht sonderlich geneigt, Rede zu stehen. Er sah den Vogt über die Achsel an und sagte nachlässig: »Der Kommandeur wird Ihnen über alles Auskunft erteilen.«

»Und wo ist dieser Herr Kommandeur?«

»Dort kommt er«, antwortete ein anderer Offizier. Von dem größeren Schiff stieß ein bewimpeltes Boot ab, in dessen Mitte ein junger, schlanker Kriegsmann stand. Kaum war das Fahrzeug gelandet, so wirbelten die Trommeln und schlugen die Soldaten an ihre Gewehre. Der Offizier war rasch oben. Er sah den grüßenden Beamten, der mit seinem Verwandten dicht zur Treppe getreten war, scharf und finster an.

»Sie sind der Vogt von Tromsö?« fragte er.

»Ja, mein Herr.«

»Und Sie der Schreiber, sein Neffe?«

»Der bin ich«, antwortete Paul. »Wer aber sind Sie?«

Der Offizier lächelte stolz. »Der Adjutant des Gouverneurs von Norwegen und Kommissarius der Regierung, die mich sandte, um Ihr Treiben in diesem Lande zu untersuchen.«

»Heiberg!« schrie eine Stimme aus dem Volkshaufen. Ein Getümmel entstand, eine Kette klirrte. Sture hatte die Amtsdiener zurückgestoßen und sich befreit.

»Was ist das?« rief der Kommissarius. »Ein Offizier, ein Kammerjunker des Königs, ein Edelmann in Ketten? Wer hat es gewagt, dir diese Schmach anzutun?«

»Ich!« erwiderte Paul. »Dieser Mann ist als ein Hochverräter verurteilt, und ich befehle Ihnen, Gesetz und Urteil zu achten!«

»Hochverräter!« sagte Heiberg. »Dahin also, mein armer Freund, haben sie es mit dir gebracht? Die Ketten ab!« fuhr er gebieterisch fort. »Leider bin ich zu spät gekommen, den Greis zu retten, den ihr gemordet habt. Aber zittert vor der Untersuchung und vor dem Zorn des Königs. – Vogt von Tromsö und Ihr, Herr Schreiber, ich verhafte euch im Namen Seiner Majestät!«

»Ihr mich – Ihr verhaftet mich!« rief Paul Petersen. Seine Augen glühten, sein ganzer Körper zitterte. »Mitbürger, Freunde!« schrie er, »wollt ihr eure Rechte von Soldaten beschimpfen lassen?«

Auf einen Wink Heibergs sprang eine Anzahl Grenadiere um Vogt und Schreiber. Die übrige Truppe fällte rechts und links die Bajonette. Die Menschen stoben auseinander. Die angedrohte Rache des Königs donnerte in ihren Ohren, keine Stimme wagte zu widersprechen. Jetzt aber wurde auch die Tür des Amtshauses frei, und der alte Klaus trat Hand in Hand mit Ilda daraus hervor.

»Höll und Verdammnis!« stöhnte Paul Petersen. »Gebt mich frei – laßt mich – ich will!«

Er suchte seine Wächter abzuschütteln, die ihn festhielten. Da stand Ilda neben dem Priester, und Sture kniete vor ihr, öffentlich vor allem Volk. Die Jungfrau hielt seinen Kopf mit beiden Händen, ihre Tränen fielen auf seine Stirn.

»Ilda!« rief er jauchzend, »ich bin frei, ich bin bei dir!«

»Gottes Segen über dich!« sagte sie. »Gottes reicher Segen, du lieber Mann. Ich will dich nimmer lassen!«

Paul Petersen stieß einen entsetzlichen Schrei aus und stürzte besinnungslos nieder.

 

Nach einem Monat war die Untersuchung in Tromsö beendet, bei deren Schluß Vogt Paulsen in ein Regierungsschiff gepackt und nach Trondheim geführt wurde, wo er auf der Klippe von Munkholm gefangen saß und eines Morgens in seiner Zelle tot aufgefunden wurde. Sein Neffe aber starb schon am zweiten Tage nach Stures Befreiung in Raserei. Seine Wunde war brandig geworden und seine letzten Stunden waren die schrecklichsten, die ein Mensch ertragen muß. Niels Helgestads Geist hatte sich jetzt vollends umnachtet. Er wurde an den Lyngenfjord zurückgebracht, um dort aufs Sorgfältigste gepflegt zu werden.

Die Ankunft der Regierungsschiffe war Klaus Hornemanns Werk. In einem Briefe an seinen Freund, den Gouverneur, hatte der würdige Priester auch die Verhältnisse Stures geschildert und die Befürchtung ausgesprochen, daß der Kammerjunker ein Opfer der geheimen Ränke zwischen Vogt und Schreiber und dem habgierigen Helgestad werden würde. In einer Nachschrift war auch Afrajas Geschichte enthalten, so daß der alte General, als er alles gelesen, seinen Adjutanten kommen ließ und ihm sagte:

»Vorwärts, mein junger Freund, reißen Sie Ihren Kameraden aus den Fingern der Spitzbuben, und schaffen Sie überhaupt dort oben Ordnung. In zwei Tagen soll die Expedition fertig sein.«

So kam Heiberg zur rechten Zeit, um wenigstens seinen Freund zu befreien. Dank seiner Expedition wurde schon im nächsten Jahre die Abschaffung der Folter von Kopenhagen aus befohlen, und etliche Jahre später laut eines königlichen Briefes die Gleichstellung der Lappen mit den übrigen Untertanen Seiner Majestät verfügt. –

Lange aber, bevor dies geschah, fuhr an einem schönen Herbsttag, als die Sonne an dem schwarzen Kilgisgipfel glänzte, ein Boot über den Lyngenfjord, und in der alten Kirche legte Klaus Hornemann segnend Ildas Hand in die Hand Henrik Stures. Niels Helgestad saß dabei in seinem Stuhle, wie ein Kind, lächelnd und nickend.

So saß er noch jahrelang auf der Bank vor dem Gaard, sah über den Fjord hinaus und murmelte dann und wann vor sich hin: »Wollte, Gustav wäre hier, wäre doch gut, wenn er käme!«

Stures Geschlecht war zahlreich, und auf Strömmen baute er ein großes Haus. Sein Name war weit bekannt und hochgeschätzt. Ehre, Ansehen und Glück hatte er in Fülle. – Wenn der alte, fromme Priester von seinen Wanderungen aus den Gammen zurückkehrte, ruhte er im Balsfjord bei seiner geliebten Ilda aus und las die Briefe, die der treue Hermann Heiberg aus Trondheim an Sture geschrieben hatte.

Afrajas Schätze hat nie ein Mensch gefunden. Viele Sagen sind geblieben von den Wundern der Silberhöhlen, und oft schon sind kühne Männer ausgezogen, sie zu suchen, doch immer vergebens.


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