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Zehntes Kapitel

Der Zauberer Afraja. Helgestad überlistet

Alle diese Vorstellungen erfüllten Sture, als er endlich leise den Gaard verließ und an den Fjord hinabging, um den letzten Helfer zu finden. Es war Nacht, schwere Wolken hingen über der Bucht. Nur die Gipfel des Gebirges dämmerten in dem matten Schein des Nordlichtes, das sich am jenseitigen Horizont ausbreitete. Doch Stures Augen waren so vortrefflich, daß er alle Hindernisse des Weges leicht überwand und ohne Unfall die Spitze des Steingetrümmers erreichte, auf deren Höhe ein mächtiges Felsenstück verwitterte! Hier atmete er allein, abgetrennt von allem Leben, und so sehr wirkte die wilde Einsamkeit auf sein Gemüt ein, daß er nur mit einer gewissen Scheu, verbunden mit einer tiefen Mutlosigkeit, dreimal den Namen »Afraja« hervorzustoßen vermochte.

»Da bin ich!« antwortete eine Stimme an der anderen Seite des Felsenstücks auf den letzten Ruf. Geröll und Steinbröckel kollerten an der Hügelwand nieder und zugleich schien es, als steige eine Gestalt aus dem Granitblock hervor.

So beherzt Sture war, konnte er doch dem unheimlichen Eindruck dieser Erscheinung nicht widerstehen. Ein Grausen überlief ihn, das seine Zunge lähmte und seine Augen weit und stier öffnete.

»Du hast mich gerufen«, begann die Stimme wieder. »Setz dich her zu mir, gib mir deine Hand.«

Kalte Finger klammerten sich um Stures Rechte. Er hörte das heisere Lachen, das er kannte, dicht an seinem Ohr, und durch das Dunkel glaubte er die kleinen Augen des Zauberers funkeln zu sehen.

»Ich war weit, als ich dich rufen hörte«, sprach Afraja. »Ich kam, weil Jubinal es will.«

»Wenn du solche Macht hast, Afraja«, erwiderte der Mann, »so wirst du auch wissen, weshalb ich hier bin.«

»Du sagst es, Jüngling«, war Afrajas Antwort. »Ich sehe in dieser Finsternis in dein Herz. Ich weiß deine Gedanken, mir ist nichts verborgen. In deiner Gamme schläft ein Wolf; morgen, wenn der Tag graut, will er dich zerreißen.«

»Du versprachst mir deine Hilfe, Afraja«, versetzte Sture. »War es dein Ernst, so leih mir das Geld, damit ich die Gier dieses Mannes befriedigen kann.«

»Wieviel bedarfst du?« fragte Afraja.

»Eine große Summe«, rief der Junker. »Sechzehntausend Species hat Helgestad von mir zu fordern, doch kann ich ihm eine Gegenrechnung machen wegen meiner Fische, die er in Bergen verkauft hat.«

»Es ist viel Geld«, murmelte der alte Mann, »doch du sollst es gegen ein Gelöbnis haben.«

»Und was soll mein Wort dir verbürgen?«

»Wenig, Jüngling. Gelobe mir, daß du kommen willst, wenn ich dich rufe.«

»Wohin?

»Du wirst es erfahren.«

»Gut, ich schwöre es!«

»So höre mich an, Jüngling«, sprach der Zauberer, »höre und vertraue. Kehr zurück in dein Haus und schlaf ruhig bis zum Morgen. Jubinal wird dir beistehen. Wenn Helgestad dein Geld begehrt, gehe mit ihm an deinen Schreibtisch, doch nicht eher öffne ihn, bis der unersättliche Mann bei dir steht. Sprich dann zu ihm: ›Ihr sollt haben, was Ihr begehrt!‹ Greife hinein in Jubinals Namen, und du wirst finden, was du brauchst. Jetzt geh und denke an dein Wort.«

»Wie?« rief Henrik bestürzt und zornig, »das ist deine Hilfe?! – Treib kein Spiel mit mir, alter Mann, keine Gaukelei mit Zauberkünsten. Wo ist das Geld?«

Er streckte die Hände nach dem Platz aus, wo Afraja saß, aber er faßte auf harten Stein. – »Wo bist du?« rief er in Verzweiflung. »Antworte, Betrüger! Oh, daß ich dir glauben konnte!«

»Vertraue!« flüsterte eine hohle Stimme, die hinter ihm aus der Tiefe zu kommen schien. Ein Windstoß fuhr zugleich durch das Dunkel der Tannen, ein Lichterschein zuckte über den öden Hügel hin, und oben auf der Spitze der Trümmer glaubte Sture eine hohe, gewaltige Gestalt im flatternden Mantel zu erkennen.

Entsetzen kam über ihn, er sprang durch Trümmer und Geröll hinab.

Schallendes Gelächter folgte ihm nach. –

Unbemerkt war der verlassene Mann in sein Haus zurückgekehrt. Eine peinvolle, traurige Nacht war es, die er am Tisch sitzend zubrachte, von wo aus er unausgesetzt auf das Schreibpult im Winkel starrte. Er glaubte nicht an Afrajas Zauberkünste, dennoch wagte er nicht, sie zu verachten.

Der Aberglaube regte sich in ihm, von dem selbst unerschrockene Männer und Helden in Gefahren befallen werden.

Alles Heil und Unheil hing davon ab, ob der Schreibtisch wirklich das Geld enthielt, und um diese Frage kämpften alle seine Zweifel und Vorstellungen. Bald schien es ihm Trug und Torheit zu sein, irgendeine Hoffnung zu hegen, bald wieder tauchte dennoch eine Möglichkeit auf, und er überlegte, warum Afraja ihn so schmachvoll verderben sollte.

»Was hält mich denn ab«, sprach er vor sich hin, »den Kasten zu öffnen und mich zu überzeugen, daß ich betrogen bin? Warum soll ich das Hohngelächter des elenden Schreibers abwarten? Liegt das schwere, harte Silber wirklich dort, so wird es nicht verschwinden, ist der Raum so leer, wie ich glaube, so wird bis morgen früh gewiß nichts hineinkommen.«

Aber wie die Verständigkeit sich auch ihr Recht zu schaffen suchte, geheime Furcht und geheime Hoffnung waren doch stärker. Der alte Zauberer hatte mit großer Menschenkenntnis seine Bedingungen und Gebote gestellt.

Endlich kam der Morgen, ohne daß Sture gewagt hätte, sie zu übertreten.

Ermattet von so vieler Sorge und Not war er auf seinem unbequemen Sitz eingeschlafen, als Helgestad, gefolgt von dem Schreiber und Olaf Veigand, aus der Kammer hereintrat. Durch das Fenster fiel der Abglanz der Morgenröte auf das Gesicht des Schläfers und machte es friedlich und schön.

»Er träumt«, sagte Niels leise, »und ich möchte ihn nicht aufwecken, hat sicher eine schwere Nacht gehabt.«

»Dies darf uns nicht abhalten«, rief Petersen laut. »Da kommt schon das Boot mit den Gerichtsdienern aus Tromsö. Ich sehe Lovmann Gerichtsvogt. Gullik am Steuer. Wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn wir bis Mittag fertig werden wollen. Weckt ihn auf!«

»Will's noch einmal in Güte versuchen«, sagte Helgestad, indem er Stures Arm anfaßte.

Dieser, schlug die Augen auf und sah verwirrt umher.

»Kommt aus einer anderen Welt, Herr«, sprach Niels, »sind aber noch hier im Bals-Elf-Gaard. Habt nun Zeit zum Überlegen gehabt«, fuhr er fort, »und seid ein Mann, der eine Sache begreift. Biete Euch heute noch, was ich gestern bot, und denke, wir scheiden als Freunde. Ist's nicht so?« Er streckte seine Hand aus, doch Sture blickte finster vor sich hin, und seine Lippen preßten sich verächtlich zusammen.

Der Gerichtsvogt trat herein im langen Amtsrock, das Wappenschild auf der Brust. Hinter ihm standen seine beiden Amtsboten.

»Seht hin, Herr Sture«, sagte Niels. »Sind die Männer da von Gerichts wegen, um ihre Pflicht zu tun. Biete Euch zum letztenmal die Hand zum Vergleich. Greift zu, habt keinen Ausweg.«

»Meint Ihr?« antwortete Sture aufstehend. »Nun, wir wollen sehen. Haben Sie meinen Schuldschein und den Bürgschaftsschein von Bergen bei der Hand? Legen Sie beide vor.«

Helgestad sah ihn an, wie einen, von dem man glaubt, er habe plötzlich den Verstand verloren. »Nuh!« sprach er dann, »wollt meine Beglaubigung sehen, ist beides hier. Tretet her, Lovmann Gullik. Ist hier der Schein über sechstausend Species bar empfangen. Hier der andere über zweitausend für Waren und Geräte. Steht der Name darunter, werdet ihn nicht ableugnen.«

»Gewiß nicht«, erwiderte der Junker. »Ich erkenne die Schuld an, ebenso die Bürgschaft in Bergen. Da ich aber mit Fandrem in Gegenrechnung stehe, und die gute Hälfte der Schuldsumme durch meine Fische abgetragen ist, so kann ich unmöglich an Niels Helgestad die volle Summe zahlen.«

»Eine Bürgschaft muß gedeckt werden, wenn es gefordert wird«, fiel Petersen ein.

»Mitnichten, Herr«, sagte der Lovmann. »Die Bürgschaft muß nur dann gedeckt werden, wenn der Bürge keine Mittel sieht, zu seinem Schaden zu kommen. Kann Herr Sture nicht zahlen, und wird sein Hof mit Beschlag belegt, so fällt die Bürgschaft zu der gesamten Schuld, sitzt er aber auf seinem Gut, so muß sich erst zeigen, ob er dem eigentlichen Schuldner nicht gerecht zu werden vermag, und was dieser in Anspruch nimmt.«

»Nuh!« rief Helgestad lachend, »ist ein Streit um des Kaisers Bart. Will abstehen von Deckung der Bürgschaft, Hofherr in Bals-Elf-Gaard, habe nur Gutes mit Euch im Sinn gehabt und sollt nicht sagen, daß ich ein harter Mann bin. Biete Euch hier vor dem Gericht nochmals zwanzigtausend Species. Decke Eure Schuld in Bergen und nehme dafür den Fischanteil. Macht alles in allem zwölftausend Species, zahle Euch somit achttausend bar heraus.«

»Greift zu!« sagte Gullik, der es freundlich meinte. »Wort ist Wort.«

»Wort ist Wort! Habt es alle gehört«, rief Helgestad. »Nimm deine Feder, Paul Petersen, schreib es nieder.«

»Halt noch einen Augenblick!« fiel Sture ein. »Und wenn ich Ihnen die schuldige Summe zahle?« –

»Habe nichts dagegen, wenn Ihr zahlen könnt«, grinste Helgestad.

»So sollt Ihr haben, was Ihr begehrt!« sagte Sture, und mit dem Schlüssel in der Hand ging er auf das Schreibpult zu. Sein Herz schlug heftig und seine Glieder zitterten. »Hilf mir, Afraja!« murmelte er in sich hinein und plötzlich verwandelte sich seine Angst in Freude, denn in dem tiefen Kasten erblickte er eine Reihe lederner, oben zugeschnürter Säcke, auf jedem stand die Zahl »Tausend« deutlich geschrieben.

War es Wirklichkeit, oder Trug und Blendwerk? Sture packte den ersten Sack und krampfte seine Hand darum fest, als könnte er verschwinden, dann zog er ihn heraus und warf ihn auf den Tisch, daß das Silber klang. Wie er den Ton hörte und Helgestad und den Schreiber ansah, füllte sich sein Herz mit unbeschreiblicher Wonne, denn diese beiden schlauen Männer standen sprachlos mit stieren Augen vor ihm und staunten das Wunder an.

»Nehmen Sie Ihr Geld, Herr Helgestad«, sagte Sture, so gefaßt er es vermochte. »Hier sind acht Beutel, jeder zu tausend Species.«

»Ein Messer her!« murmelte Niels, an der Schnur zerrend. Sture schnitt den Knoten auf, der Beutel tat sich auf, die hellen Silbertaler lagen da.

Helgestad griff mit der Hand hinein und ließ sie wieder fallen. »Ist richtig«, sagte er, »ist Silber, muß es glauben.«

»In Beutel von feinem Renntierfell«, fügte Petersen hinzu, »die beste Lappenarbeit, die man sehen kann.«

Die Arbeit des Abzählens wurde getan und alles richtig befunden. Helgestad strich Tausend nach Tausend ein, niemand sagte ein Wort mehr, aber die mürrischen, kalten Gesichter der Umstehenden richteten sich mißtrauisch auf den Junker.

»Lovmann Gullik«, wandte sich Sture dem Gerichtsvogt zu, »ich rufe Ihr Zeugnis an, daß ich die Schuld getilgt habe.«

»Die Sache ist abgetan, Herr Sture«, antwortete der Beamte. »Niels Helgestad hat erklärt, keine Forderung weiter an Sie zu haben, so kann ich nach Tromsö zurückkehren.«

»Doch nicht eher, bis Sie an meinem Tisch saßen«, fiel Sture ein. »Mein Haushalt ist freilich dürftig bestellt, künftig werde ich besser dafür sorgen müssen.«

Die Männer waren hungrig, und müde, die Aussicht auf ein Frühstück war daher nicht zu verachten. Der Lovmann blieb, und Sture ging hinaus, um zu sehen, was sich auftreiben ließ. War gestern schon nichts im Haus gewesen, so durfte er heute noch viel weniger etwas Eßbares erwarten, und doch wäre es eine Schande gewesen, hätte er keine Einladung zum Bleiben gemacht. Er besaß jetzt viel Geld in seinem Kasten. Er hatte sechzehn Säcke gezählt, aber mit Freuden würde er einen davon für eine gefüllte Vorratskammer gegeben haben. Sorgenvoll schob er den Riegel zurück, um die leeren Bretter zu betrachten; aber wenn er Afraja je ohne Rückhalt dankbar war, so mußte er es jetzt sein. Da lag eine große, fette Renntierkeule, sorgfältig gebraten und in kühle Blätter gepackt, da lagen mehrere der kleinen, wohlschmeckenden Hasen, die im Winter weißen Pelz bekommen, da lagen Birkhühner, ein ganzer Bund, und drei große Brote auf der anderen Seite.

Der Zauberer hatte seine wohltätige Fürsorge bis hierher erstreckt. Eilig rief Sture die Mägde herbei, überlieferte ihnen die Keule und die Hasen, um sie rasch in den Ofen zu schieben und zu wärmen, damit sie Kaffee bereiteten, Milch herbeischafften und den Tisch deckten.

Und während er alle diese Vorbereitungen traf, Geräte suchte und sich geflissentlich solange wie möglich von seinen Gästen entfernt hielt, unterhielten diese sich lebhaft über den seltsamen Vorgang und suchten ihn zu erklären.

Die Begleiter des Lovmanns pflegten sich vor dem Hause im Sonnenschein, die anderen aber blieben um den Tisch sitzen und hatten mancherlei zu sprechen.

Die Kosten der Gerichtsexpedition von Tromsö waren nicht unbedeutend. Helgestad hatte sie zu bezahlen. »Mag darum sein«, sagte er, »weigere mich nicht, hätte es aber nimmermehr geglaubt.«

»Ihr seid zu schnell gewesen«, antwortete Gullik mit einem leisen Lächeln. Der Kaufmann warf ihm einen mürrischen Seitenblick zu.

»Aber aus welcher Quelle ist der Segen geflossen?« fragte Paul Petersen. »Gestern war nichts hier, ich weiß es gewiß. Wo hat er das Silber her? Wer mischt sich in Niels Helgestads Angelegenheiten? Ein Nordmann, ein Nachbar tat es nicht. Bleibt also niemand anders übrig als Afraja. Dieser dänische Junker und der Priester Hornemann sind lange schon in heimlichem Bündnis mit dem alten Hexenmeister, der verbrannt werden müßte zum abschreckenden Beispiel.«

»Ich kann es noch immer nicht recht glauben«, sagte Gullik kopfschüttelnd. »Ein Lappe läßt sich die Hand abschneiden, ehe er einen Species aus der Tasche holt.

Auch wird ein Mann von gutem Blut sich nicht damit einlassen, von ihm zu borgen.«

»Geld ist Geld«, versetzte der Kaufmann. »Hat aber Paul Petersen Recht, muß ein Verrat dahinterstecken, und ist unser aller Sache, uns vor Verderben zu bewahren.«

Nun traten die Mägde herein mit Kaffee, Geschirr und Gedecken, und gleich darauf folgten Brot und Braten, endlich Sture selbst, der Gläser und Flaschen brachte.

»Faßt zu, ihr Herren«, sagte er, ergötzt von dem allgemeinen Staunen. »Viel ist es nicht, was ich bieten kann, ihr seid Besseres gewohnt. Nehmt vorlieb und gebt mir Frieden.«

Helgestad war ein zu guter Kenner des saftigen Bratens, um nicht starke Gelüste danach zu empfinden. Er nahm sein Messer, schnitt ein paar ungeheure Stücke ab und sagte: »Ist eine Seltenheit, Herr Sture, solch zart und lieblich Fleisch. Habt über Nacht besondere Mittel gefunden, Eure Kisten und Kammern zu füllen.«

»Um solche Gäste tut man, was man kann«, lachte der Gaardherr.

»Greift zu!« schrie Helgestad. »Ist Speise und Trank, wo man es finden mag, überall Gottesgabe. Nehme mein Glas, Herr Sture, trinke auf Euer Wohl.«

Die Unterhaltung nahm nun eine allgemeine Wendung, und die reichliche Bewirtung schien eine günstige Stimmung auf die Gäste zu bewirken. Helgestad versicherte, daß es ihm Freude machen werde, wenn es dem unternehmenden Ansiedler gelingen sollte, sein Werk auszuführen, und daß, wenn er selbst Lust und Meinung dafür verloren habe, damit noch nicht gesagt sei, daß er an keinen Erfolg glaube. Er versuchte eine Entschuldigung seines Verfahrens damit, daß jedermann nach seinem Eigentum sehen und, wo er dies für gefährdet halte, zugreifen müsse, um es zu retten. »Wißt aber«, fügte er dann hinzu, »daß ich vom ersten Tag an, wo Ihr dieses Land betratet, Euch gern zu Diensten war, und hoffe es zu erleben, daß Ihr gerechtes Urteil fällen werdet.«

Mit unfruchtbarem Streit war dem Gaardherrn nicht gedient, er antwortete daher in versöhnlicher Weise, und es kam zuletzt eine Art Friedensschluß heraus, den sich jeder beliebig auslegte.

»Ich glaube, Herr Helgestad«, sagte Sture, »daß ich niemals vergessen werde, was ich an aufrichtiger Dankbarkeit Ihnen schuldig bin. Sie haben einige Ursache gehabt, mit mir unzufrieden zu sein, denn der Gaard ist vernachlässigt. Es hat mir an Kräften und Augen gefehlt, um alles zu können. Nun aber denke ich mit Gottes Hilfe bald mit meinem Holzgeschäft in Ordnung zu sein, und dann soll, ehe der Winter kommt, Haus und Hof in guten Stand gesetzt werden. Meine Besitzung ist groß und hat viele Hilfsquellen, und meine Mittel reichen aus, diese ergiebig zu machen.«

»Habt einen vermögenden Teilhaber gefunden«, fragte ihn Helgestad, indem er sich Kaffee in den Becher goß. »Denke ja. Ist's nicht so?«

»Möglich, daß Sie recht haben«, lachte Sture.

»Verschwiegen kann es nicht bleiben, mit wem Herr Sture in Verbindung getreten ist«, sagte Paul. »Es wäre daher gewiß Ihr eigener Vorteil, wenn Sie uns eine Mitteilung darüber machen wollten. Ihr Helfer ist doch ein guter Christ?« fügte er spottend hinzu.

Sture wurde an einer heftigen Antwort durch Lärm verhindert, der sich draußen vor der Tür erhob.

Alle standen auf, denn die Stimme Egedes ließ sich hören, und als sie draußen waren, sahen sie den Quäner, der den Gerichtsdienern und Arbeitern unter heftigen Verwünschungen etwas erzählte.

Das erste, was Sture vernahm, war Mortunos Name.

»Seht hier«, schrie Egede, »hier hat er gestanden. Seht meinen Hund an, wie er der Spur nachläuft. Mortuno war hier, so wahr ich meines Vaters Sohn bin! Da ist sein ganzer Komager in dem weichen Boden zu sehen.«

»Sind also Lappen hier gewesen, Egede?« fragte Helgestad gewichtig.

»Ja, Herr«, rief der Quäner. »Drei Renntiere standen dort an den Büschen. Rund umher ist das Gras niedergetreten.«

»Wie lange kann es her sein?« fragte Paul.

»Keine acht Stunden.«

»Waren die Tiere leer oder bepackt?« fuhr der Schreiber fort.

»Schwer bepackt«, rief Egede, »sie konnten die Füße sonst nicht so tief eindrücken.«

»Nun«, lachte Paul, »so ist der nächtliche Besuch und der plötzliche Silberreichtum genügend erklärt.«

»Wahren Sie Ihre Zunge in meinem Hause!« sprach Sture mit einem zornigen Blick auf den spöttischen Schreiber.

»Warum verleugnen Sie Ihre Freunde?« entgegnete Paul frech. »Das steht einem ritterlichen Herrn schlecht an. Mortuno hat Ihnen seinen Besuch gemacht. Niels Helgestad ist bezahlt. Was Sie dagegen versprachen, ist Ihre Sache. Guten Morgen, Lovmann Gullik, Glück auf die Fahrt! Führt die Pferde herbei, auch wir wollen fort. Wo ein Bursche wie dieser Mortuno Schutz und Freundschaft findet, kann kein Nordmann mehr am Tisch sitzen.«

»Ist schwer zu glauben«, sagte Helgestad, »und tut mir leid, Herr Sture, davonzugehen mit üblen Gedanken. Ist eine Sache, von der Ihr Euch reinigen müßt, und ist ernsthafter, als Ihr meint. Brüten die Lappen Böses in ihren Bergen, und wird bald ein Gerichtstag abgehalten werden, um alle Beweise zu sammeln. Kein Nordmann aber, und sei er der geringste, wird einem Mann trauen, der mit seinen schlimmsten Feinden Umgang hält; keiner wird ihm glauben, keiner selbst sein Brot essen wollen.«

Er wandte sich ohne ein weiteres Wort ab, ließ sein Geld auf die Pferde packen und verließ dann ohne Gruß mit Olaf und den anderen Gefährten den Gaard. –

Als die Reisenden die Hochebene erreicht hatten, hielt Helgestad auf seinem grauen Rosse still und blickte mit dem Schreiber in die grünen Talschluchten hinab, indes Olaf und Egede vorausritten. Die Miene des harten Mannes war voll Hohn, und wie er Elf und Wald musterte, brach er in ein grimmiges Lachen aus: »Soll mein Mühen nicht umsonst gewesen sein«, sprach er, »muß den Balsfjord haben, was will der Narr damit. Will ein anderes Lied mit ihm singen, daß ihm die Ohren gellen.«

»Es ist merkwürdig, lieber Schwiegervater, wie unsere Gedanken zusammenpassen!« lachte Paul auf.

»So«, sagte Helgestad schmunzelnd, »kennst also meine Gedanken?«

»Genau«, sprach sein Begleiter. »Haltet die Bürgschaft fest, sie wird uns nützlich sein. Ich denke, es soll nicht lange dauern, so haben wir den Junker, den wir beide so zärtlich lieben, an einen schönen Ort gebracht, wo ihm kein Zauberer helfen kann.«

»Willst ihm also hart an den Leib?«

»Nicht doch«, lachte der Schreiber, »ich will seinen Leib vor allem Schaden behüten. Obenein soll er seinen Freunden nahe bleiben, die ich nicht von ihm trennen will.«

»Nuh«, murmelte Helgestad, »sehe wohl, sind auf einem Weg, ist aber doch noch nicht klar in mir, wie das richtige Ende kommt.«

»Das Ende muß kommen, wie wir es machen«, sagte Paul. »Ich habe mit meinem Oheim im voraus allerlei Abrede genommen. Man muß die Vögel fangen, wenn sie flügge sind, und dazu ist es Zeit. Laßt die Lappen jetzt treiben, was sie Lust haben, stört sie nicht, droht nicht weiter, seid freundlich, so viel Ihr könnt. In drei Wochen kommen die großen Märkte, herunter müssen sie dann von ihren Felsen und Wüsten, um Wintervorräte einzukaufen, bei dieser Gelegenheit können wir uns die Böcke aussuchen, die wir haben wollen.

»Fängst den Afraja so leicht nicht«, erwiderte Niels.

»Nein,«, sagte der Schreiber, »den alten Schlaukopf müssen wir uns holen. Soldaten haben wir nicht, aber an tüchtigen Armen und Beinen fehlt es uns deswegen doch niemals. Ich habe ganz in der Stille schon mit einer Anzahl entschlossener Männer gesprochen, die zu aller Hilfe bereit sind, und kann auf mehrere noch rechnen.«

Helgestad grinste beistimmend. »Sieh gut zu, was du tust«, sagte er.

»Gewiß«, sprach Paul. »Ich habe meine Spione unter den Lappen selbst. Kenne einen Burschen, der mir genau Nachricht geben wird, wo das Lager des Wolfes ist, und denke ihm nächstens einen ehrbaren Besuch abzustatten. Eine Jagdpartie!« rief er boshaft, »mit Olaf und Gustav an den Kilgis hinauf, dort steckt er. Wir wollen ihn in seiner Gamme aufspüren, und ich denke, dabei alles so einzuleiten, daß er uns nicht entgehen soll.«

Niels nickte beifällig. »Und dann den Junker«, sagte er, »nimmst sie beide an einem Strick auf den Markt.«

»Das Feuer, das den Zauberer brennt«, lachte Paul, »soll auch ihm wenigstens Haut und Haar versengen.«

Bei diesen Worten wurde Helgestad ernsthaft. »Treib's nicht zu weit«, sagte er. »Ein Lappe ist ein Ding, das man zu Tode peitschen oder mit einem Stein am Hals in den Fjord stürzen kann, wird sein Schrei nicht weit gehört werden. Der Junker aber hat eine Stimme, die weit über das Wasser geht, und Art läßt nicht von Art. Mag er mit Hohnlachen von seinesgleichen aus dem Lande gestoßen sein, werden ihm seine Genossen doch beispringen, wenn ihm Übles von uns geschieht.«

»Sei ohne Sorge, Vater Niels. Mein Oheim und ich wissen, wie man mit Hochverrätern umzugehen hat.«

»Nuh!« rief der Kaufmann erstaunt aufblickend.

»Das ist der Weg«, fuhr der Schreiber leiser fort, »der den Balsfjord sicher in deine Hände bringt und uns von aller Sorge befreit. Als Hochverräter muß der naseweise Junker verurteilt werden. Dann schicken wir ihn in Ketten nach Trondheim samt allen Akten und was dazu gehört. Du trittst mit deiner Bürgschaft auf. Es wird keiner kommen, der dem Schwiegervater von Paul Petersen Land und Recht streitig macht.«

Helgestads Augen funkelten vor grimmigem Spott. »Hast den rechten Blick, Paul«, sagte er. »Greif auch den verwünschten Hexenmeister und presse ihm ein Geständnis ab, sollte es selbst mit der Folter sein. Die Daumenschrauben werden ihn schnell gesprächig machen über die Silberschätze in der Wüste. Hast heute ein Pröbchen gehabt von dem Reichtum des alten Schelms.«

Paul nickte verständnisvoll und reichte Niels die Hand hin. Beide sagten nichts mehr, aber sie wußten sich einig, als sie die Köpfe ihrer Pferde wandten und den vorausgerittenen Gefährten nachzukommen strebten.

Im Gaard, den sie abends erreichten, wurden sie freudig empfangen und nichts störte das gute Einvernehmen, da sie übereingekommen waren, gegen Ilda Stillschweigen über die Vorgänge am Balsfjord zu bewahren. Gustav, dem man freilich das Nötige mitteilte, zeigte sich zu Pauls Freude geradezu außer sich, als er erfuhr, durch wessen Hilfe der dänische Junker den ihm gelegten Schlingen entschlüpft war, und erst dann konnte er sich beruhigen, als ihm der listige Schreiber einige Andeutungen über seine neuen Pläne machte.

Der Gaard war nun voller Regsamkeit des nahen Marktes wegen. Die Warenvorräte wurden untersucht und allerlei kleine Reisen in die Nachbarschaft unternommen, um mit anderen Kaufleuten Tauschgeschäfte zu schließen. Dann wurden die ausgewählten Vorräte in die Boote verladen und nach Lyngen hinübergeschafft, wo man das Kirchenhäuschen des Kaufmanns mit den verschiedensten Dingen vollfüllte, die am sorgfältigsten behandelt und vor Nässe geschützt werden mußten. So vergingen die Wochen voller Arbeit.

Inzwischen reiste der Schreiber nach Tromsö und kehrte von dort zurück. Olaf hatte ihn begleitet, und Helgestad wie alle seine Hausgenossen glaubten, daß er sich entfernt habe, um nicht wiederzukommen; allein Paul Petersen wußte ebensogut Mittel, ihn mit sich zu nehmen, wie ihn wiederzubringen. Olaf war weiches Wachs in seiner Hand geworden, das er knetete und formte, wie es ihm beliebte. Er verstand es, durch wiederholte dringende Bitten den Nordländer zu bestimmen, mit ihm zu reisen. In Tromsö aber stellte er ihm mit vieler Herzlichkeit vor, wie traurig Ilda sein würde, wenn er jetzt den Lyngenfjord verlasse, und daß es nicht schicklich sei, vor der Hochzeit heimzukehren.

»Ich weiß, guter Olaf«, sagte er dann, »welche Wünsche du gehegt hast, und wahrhaftig! Wenn ich es nicht selbst wäre, ich gönnte Ilda dir am liebsten; aber ich kann es nicht ändern. Du kennst Helgestad, weißt, was geschehen ist. Möglich, daß Ilda anders wählen würde, ich mag es nicht leugnen. Die Verhältnisse haben es so bestimmt, und kein Freund soll uns darum verloren gehen.«

So kehrte Olaf zurück, und während der Rückreise wandte Paul jede mögliche Art von Schmeichelei an, um alles Mißtrauen aus dessen ehrlichem Gemüt herauszubringen.

In einem Punkt stimmten sie beide überein, im Haß gegen Sture, und hierauf gestützt baute der Schreiber seinen Plan, Olafs Hilfe für sein nahes Unternehmen zu erhalten. Nachdem er ihn gehörig bearbeitet hatte, sagte er ihm, was er sich ausgedacht. – »Ich will dir mitteilen«, begann er, »wie ich den übermütigen Junker in seinen eigenen Schlingen fangen und züchtigen will. Du weißt, wie es die Lappen jetzt machen, kein Mensch ist mehr seines Lebens sicher, wenn er sein Haus verläßt. Du selbst hast ihre Frechheit kennengelernt.«

»Der Hund Mortuno soll's nicht umsonst getan haben!« rief Olaf, der immer gereizt wurde, wenn man ihn an sein Abenteuer erinnerte.

»Ich denke, du sollst ihn haben«, fuhr Paul fort, »aber mehr als das, du sollst dich auch an seinem Helfershelfer Sture rächen, ohne den der elende Bursche dich nie beleidigt hätte. Sture steckt mit Afraja unter einer Decke, und alle Schandtaten, die der alte Schurke ausheckt, werden von ihm unterstützt. Ich habe ihn sagen hören, daß er sich nicht wundere, wenn die Lappen, von Verzweiflung getrieben, sich selbst Recht zu verschaffen suchten. Diese Zustände müßten ein Ende nehmen, Schutz müsse den Unterdrückten werden.«

»Will er sich etwa an ihre Spitze stellen?« fragte Olaf.

»Bah!« antwortete der verleumderische Schreiber, »so unsinnig dumm ist er nicht. Prinzessin Gula will er nehmen, nach Kopenhagen mit ihr gehen, dort Himmel und Erde in Bewegung setzen, und ich weiß, was man dort mit Geld machen kann. Ich sage dir, laß Afraja sein Schiff mit Silber bepacken, und du sollst sehen, wie die Raubvögel angezogen kommen, um über uns herzufallen.«

Olaf sah ihn ungläubig an. Paul Petersen aber sagte in ernstem Tone: »Afraja besitzt ungeheure Schätze, er besitzt sie wirklich. Teils hat er Reichtümer an gemünztem Geld, das seine Vorväter und er gesammelt haben, teils aber, und das will weit mehr bedeuten, gibt es Silberminen da oben in der Wüste, die niemand kennt als er allein. Was ich dir sage, weiß ich von Männern, denen man Glauben schenken muß. Afrajas eigene Leute erzählen davon die seltsamsten Geschichten.«

Olaf war Nordmann genug, um eine plötzliche Gier nach dem Silber zu empfinden, die sich in seinem Gesicht ausdrückte.

»Du siehst, mein Junge«, rief Paul, ihm auf die Schulter klopfend, »daß wir den alten Burschen haben müssen, um seine Geheimnisse herauszubekommen. Dazu ist das beste Mittel, Gula einzufangen; dann kommt er und liefert sich selbst ans Messer. Zugleich zerstören wir alle Pläne des edlen Junkers und werden auch mit ihm fertig. Darum hinauf in die Kilgisjauren, dort sind sie. Du mußt uns führen, sollst uns das Tal zeigen, wo dich Mortuno fand und sollst einen Hauptspaß erleben.«

Das Übereinkommen wurde bald zum Abschluß gebracht. Olaf sagte seinen Beistand zu. Tapfer und abenteuerlustig, war es ihm recht, den alten Hexenmeister zu jagen, oder Gula zu entführen und in Helgestads Gewalt zurückzuliefern. Paul legte ihm zugleich das tiefste Schweigen auf, um vor allem Verrat sicher zu sein.

So kamen sie an den Lyngenfjord zurück mitten in die Geschäftigkeit des Gaards, und Helgestad war wohl damit zufrieden, denn Olafs starke Arme konnten bei der Arbeit gebraucht werden, und Pauls Kopf und Rechenkunst waren für guten Rat in der Schreibstube von vielem Nutzen.

»Nun«, sagte Paul, als er mit Niels allein war und ihm einen Bericht über seine Reise gemacht hatte, »es steht, wie Ihr seht, alles gut in Tromsö, Schwiegerpapa. Mein Onkel hat mir sein halbes Haus abgetreten, und lange kann es nicht dauern, so wird er mir das ganze überlassen.«

»Meinst also bald sein Nachfolger zu werden?« fragte Helgestad.

Der Schreiber lächelte. »Er fühlt es häufig selbst, daß er alt wird. Wohne ich erst mit meiner jungen Frau bei ihm, so kann ich alle Geschäfte wieder auf meine Schultern nehmen, wie ich es sonst schon getan habe. In Trondheim aber sowohl wie in Kopenhagen weiß man, daß ich die Verwaltung leite, und wenn ich recht unterrichtet bin, wird die neue Organisation, zu der ich nach Aufforderung der Regierung einen Plan eingesandt habe, mich nicht unberücksichtigt lassen.«

»Nuh«, sagte Helgestad, »willst Amtmann werden, ist mir angenehm, das zu denken. Kann es der Hand, die arbeitet, nicht verdenken, wenn sie den Lohn fordert, der ihr zukommt. Wirst für deinen Onkel Sorge tragen.«

»Soviel ich immer vermag«, antwortete Paul. »Im übrigen wißt Ihr ja, daß mein Oheim genug besitzt, um täglich so viel Punsch zu trinken, wie irgend hineingeht.«

Helgestad nickte; lange lachten die beiden Männer, und ihre schlauen Augen begegneten sich. »Und nun«, fuhr Petersen fort, »können wir morgen oder übermorgen auch unsere Jagdpartie nach dem Kilgis beginnen. Ich habe alles wohl vorbereitet. Für Afraja ist gesorgt, er wird uns ins Garn laufen, um das ›Wie?‹ bekümmert Euch vorderhand nicht.«

»Bin zufrieden, wenn du dich seiner annimmst«, grinste Helgestad. »Werde schweigen und warten.«

Der Schreiber strich durch sein rotes Haar und fuhr dann lächelnd fort: »Noch ein anderes Geschäft ist zwischen uns abzumachen. Die Sitte bringt es einmal so mit sich, daß, wenn ein Mann heiratet, er auch nach der Mitgift fragen muß. Daß Niels Helgestad dafür gesorgt hat, ist nicht zu bezweifeln, doch festgestellt ist bis jetzt nichts.«

»Ist recht«, antwortete Niels, »würde es ebenso machen, aber sieh hier.« Er zog einen Kasten auf und zeigte ihm dessen silbernen Inhalt. »Sind zehntausend Speciestaler darin«, sagte er, »nimmst sie mit nach Tromsö in dein Haus, gebe aber, so lange ich lebe, zweitausend jährlich in deine Wirtschaft, und wenn es Gottes Wille ist, mich abzurufen, wird Ilda reichlichen Teil an meinem Erbe finden.«

»Ich hoffe«, sagte Paul, »Ihr habt darüber feste Bestimmungen getroffen, da des Menschen Ende ungewiß ist.«

»Hab's getroffen und kannst einen Blick darauf tun«, erwiderte Helgestad, indem er ein anderes Fach öffnete und eine Schrift herausnahm. Paul sah hinein. Sein Schwiegervater deutete auf mehrere Stellen und sagte dann: »Denke, wirst zufrieden sein?«

»Ich bin zufrieden«, war die Antwort, »nur in einem Punkte möchte ich etwas einwenden. Ihr habt allerlei Grundbesitz an Ilda vererbt, Loppen nicht. Laßt die Insel auf uns übergehen.«

Helgestad schüttelte grämlich den Kopf. »Ist schwer erworbenes Gut«, sagte er, »soll bei meines Namens Erben bleiben.«

»Aber wenn ich Euch bitte, Schwiegervater«, lachte Paul. »Loppen ist eine rauhe Klippe. Vermindern sich die Vögel, ist sie gar nichts wert. Nehmt anderes zurück, gebt mir den Felsen und bedenkt dabei, er wäre nimmer an Euch gekommen, wenn wir nicht geholfen hätten.«

Helgestad wurde unmutig. »Kommst mir vor«, sagte er, »wie ein Wal, der vor einem Heringsschwarm liegt. Je mehr ihm in den offenen Rachen laufen, um so weiter sperrt er ihn auf und scheint doch nimmer satt zu werden. Hast deiner Hilfe bei dem Streit um Loppen überhaupt zu danken, daß Ilda dein ist.«

»Und damit meint Ihr, sei ich hinlänglich belohnt«, rief Paul belustigt. »Ich denke, die Ehre, mich zum Schwiegersohn zu haben, ist wenigstens ebenso groß.«

»Nichts will ich geben!« schrie Helgestad wütend.

»Halt!« sagte Paul, »begeht keine Torheit, wir kommen doch nicht voneinander los. Überlegt und laßt uns friedlich beisammenstehn, mögen wir auch sonst uns fürchten oder, wenn Ihr wollt, hassen. Kluge Leute wissen Freunde zu sein und sich zu hüten. Behaltet Loppen, ich sage nichts mehr. Morgen brechen wir zu unserer Jagd auf. Wir werden sehen, was wir fangen können. Und nun zieht Eure Stirn glatt und laßt mich wissen, was ich vielleicht in Euren Rechenbüchern noch helfen und raten kann.«

Am nächsten Morgen verließ die Jagdpartie den Gaard. Paul Petersen, Olaf und Gustav wohlbewaffnet, der Quäner Egede mit seinem Hund, auch zwei Packpferde, die allerlei Vorräte für mehrere Tage trugen.

Sture hatte inzwischen auf seiner vereinsamten Niederlassung mit mancherlei schweren Sorgen zu kämpfen. Er besaß jetzt Geld genug, allein es fehlte ihm an Vorräten und diese waren selbst durch silberne Mittel nicht leicht herbeizuschaffen. Er selbst konnte den Gaard nicht verlassen, ohne die größten Verwirrungen zu fürchten. Was sich tun ließ, um in Tromsö und an anderen Orten das Mangelnde zu beschaffen, unternahm er mit der größten Anstrengung, doch mit jedem Tage mehr wurde er inne, daß Mißtrauen und Mißachtung sich unter seinen Arbeitern und Hausleuten ausbreitete. Bisher hatte er als Freund und Vertrauter des großen Handelsherrn vom Lyngenfjord gegolten, der im ganzen Land der erste war, jetzt hatte dieser sich mit offenem Hohn und Haß von ihm getrennt.

Bald liefen allerlei Gerüchte umher, daß der greuliche alte Hexenmeister Afraja das Geld zum Bau liefere, der dänische Junker sich ihm dafür zugeschworen habe und von Christus wie von allem Recht und aller Ehre abgefallen sei. Die Folge war, daß der größte Teil, der schon den dänischen Herrn nicht mochte, jetzt diesen als Afrajas abhängigen erkauften Genossen verspottete und verschmähte. Alles Ansehen war verloren. Wo Sture tadelte, erhielt er kecke Antworten, wo er antreiben wollte, fand er Widerstand und Grobheit. Nach zwei Wochen war es damit so weit gekommen, daß die meisten trotzig ihr Geld forderten und unter harten Drohungen davongingen, weil sie nichts mehr mit einem Mann zu tun haben wollten, der mit Lappen Umgang und Gemeinschaft hielt. Es blieben kaum einige, denen der junge Gaardherr in seiner Not Vertrauen schenken konnte. Nur der Abhub, der nicht wußte, wohin er sollte, hielt des Geldes wegen aus, ohne irgend zu nützen.

Übler noch war es, daß die Ansiedler und Kaufleute in den benachbarten Fjorden und Handelsstellen ihm ebenfalls den Rücken kehrten. Er sah bei jedem Versuch, daß er überall Widerwillen statt Hilfe fand. Die sonst freundlich waren, schlossen jetzt ihre Tür vor ihm, und nun erst wurde er inne, was Helgestads wiederholte Warnung zu bedeuten hatte, sich davor zu hüten, daß er nicht zu den Aussätzigen gerechnet werde. In zivilisierten Ländern, in großen Städten findet der Makelvollste doch immer Freunde und Genossen, hier aber wandten die sogenannten ehrlichen Leute sich nicht allein verächtlich von ihm ab, es waren damit auch andere Nachteile verbunden. Niemand kaufte von ihm oder wollte ihm verkaufen. Kein Arbeiter mochte trotz guter Bezahlung sein Mann sein, Hohn und Schande wurden auf ihn geworfen, und die, denen er Gutes erzeigt hatte, waren zumeist bedacht, ihn zu kränken, Schaden zu stiften und zu lästern.

Es war gewiß, daß er seine Arbeiten nicht fortsetzen konnte, und was sollte aus ihm werden, wie sollte er Einsamkeit, Entbehrungen und Ungemach ertragen? Kein Freund würde an seine Tür klopfen, kein menschliches Wesen ihm Teilnahme bezeigen, das öde Haus würde seine einzige Zufluchtsstätte sein. Es war zweifelhaft, ob selbst die wenigen Hausleute bei ihm aushielten, und wenn dies der Fall war, wie sollte er diese und sich ernähren?

Blickte er dann weiter hinaus auf den Februar hin, wo halb Finmarken zum Fischfang auf die Lofoten zog, welchen Trost konnte er daraus schöpfen? Es schien ihm unmöglich, daß er daran teilnehmen könnte, denn wie vieles gehörte zu einer Ausrüstung mit Booten und Jachten voll Geräte der verschiedensten Art und hauptsächlich voll Lebensmittel zum Unterhalt der Mannschaften! Hätte er Kolonisten in seine Täler und Uferstellen gesetzt, hätte er für seinen Gaard gesorgt und den Wald liegen und stehen lassen bis zu Zeiten, wo er sich ohne Gefahr in Spekulationen einlassen durfte, so wäre es anders mit ihm gekommen. Helgestad würde nicht gewagt haben, ihn in so gutem, sicherem Besitz anzugreifen; hätte er es doch getan, so wäre Hilfe leicht gewesen. Mehr als einer der reichen Kaufleute hätte ihm dann Geld vorgestreckt. Nun aber war er im ganzen Land verlacht und als ein dänischer Narr verhöhnt, der ebenso kopflos wie sinnlos gewirtschaftet hatte. Er bedachte das alles, sah und erkannte alles, aber es war zu spät!

Es gehörte der äußerste Mut und eine zähe Energie dazu, um in solcher Lage nicht zu verzweifeln. Der einzige Freund, von dem Sture wahrhaftes Mitgefühl und allen möglichen Beistand erwarten konnte, war Klaus Hornemann. Wo aber befand sich der alte Gottesmann? In welcher Wildnis, vielleicht am äußersten Kap oder an der Tana mochte er sein! Und wenn er wirklich an den Lyngenfjord kam, wenn er die Ehe in Helgestads Hause einsegnete, konnte er leugnen und lügen, daß er von Afraja Geld genommen, konnte der Priester ihn mit dem allgemeinen Haß aussöhnen, konnte er ihm Achtung und Ansehen, die Mittel verschaffen, um seinen mächtigen Feinden zu widerstehen? Diesen nicht zu weichen, sich nicht berauben und aus dem Lande jagen zu lassen, war noch immer Stures fester Entschluß. Die Überzeugung, daß kein Makel seine Ehre belaste und sein Gewissen frei von Vorwurf sei, hielt ihn aufrecht. Er sann hin und her, irgendein Hilfsmittel zu entdecken, aber in seiner Verlassenheit fand er auch nicht eines, das erfolgreich schien. Afrajas Geld nützte ihm nichts, und doch war dieser alte Mann immer wieder der Schlußpunkt seiner Betrachtungen, doch führten alle seine Grübeleien auf ihn zurück, und wenn er schlaflos lag und der Wind die Fenster rüttelte, sprang er freudig auf, weil er den Zauberer vermutete, der sich nicht blicken ließ.

Unter solchen schweren Gedanken ging er eines Tages das Bals-Elf-Tal hinauf und bis jenseits der Wasserfälle, da hörte er plötzlich hinter sich ein leises Rufen, und durch das Felsgetrümmer, in dem die Bäume wurzelten, sah er Mortuno springen, gewandt wie ein Hirsch, seine Mütze mit den Adlerfedern keck auf das schwarze Haar gedrückt.

»Ich habe dich lange nicht gesehen, Mortuno«, sagte Sture, als jener herangekommen war.

»Friede sei mit dir!« antwortete der Lappe freundlich.

»Du ahnst wohl den Zweck meines Kommens?«

»Nicht wahr, Afraja schickt dich?«

»Ja, der Häuptling will dich sehen«, fuhr Mortuno fort.

»Wirst du seiner Aufforderung folgen?«

Sture versprach es sogleich.

»So will ich dich hier erwarten«, sagte Mortuno und setzte sich auf einen Stein. »Sage deinem Gesinde, daß du ein paar Tage fortbleiben willst, und noch eines. Du wirst an deiner Tür zwei Männer mit Renntieren finden, die einiges von dir kaufen wollen. Gib ihnen, was du hast, es sind Afrajas Leute.«

Sture fand bei seiner Rückkunft wirklich vor dem Hause zwei Lappen, die neben verschiedenen anderen Sachen auch ein ganzes Fäßchen Pulver begehrten, und nachdem sie ihren Einkauf besorgt hatten, wieder abzogen.

Nach zwei Stunden war der Gaardherr zu seinem Ausflug bereit. Er vertraute sein Hauswesen einer treuen Magd an und fand an der Elf den wartenden Mortuno, der sogleich aufsprang, als er ihn kommen sah, und ohne auf ihn zu warten, an der Felswand aufstieg.

Erst oben, wo das Fjeld begann, stand er still, und nun führte er Henrik Sture mehrere Stunden lang östlich durch die stille Wüste. Der Kilgis rückte dabei den Wanderern näher, allein er war noch immer entfernt genug, als die Nacht einzubrechen begann. Der dänische Herr, solcher beschwerlichen, ja oft gefährlichen Wege ungewohnt, fühlte sich endlich ermüdet, aber sein Führer versprach baldige Hilfe. Eine weitere Stunde mochte dann vorüber sein, als sie in eine tiefe Senke hinabstiegen. Hier hörte Henrik Hunde bellen und dann das eigentümliche Grunzen, das die Renntiere hören lassen, wenn sie beisammen sind. Als die beiden Männer an dem Wasser standen, das in der Schlucht floß, bat Mortuno seinen Begleiter zu warten, und kaum waren einige Minuten vergangen, als er schon wiederkehrte und ein Renntier am Riemen mit sich führte.

»Hier bringe ich dir die versprochene Hilfe«, sagte er. »Steig auf, das Tier ist stark und wird dich sicher tragen.«

Der Junker ließ sich nicht nötigen. Es lag ein Kissen auf dem Rücken des sonderbaren Reitpferdes, ein Glöckchen hing um dessen Hals, das seine leisen Töne durch die Abendstille klingen ließ. Mortuno gab dem Tier einen sanften Schlag, indem er ihm zugleich ein paar unbekannte, rauhklingende Kehllaute zurief. Das Renntier bahnte sich sofort seinen Weg durch die Büsche nach der Höhe, der junge Lappe sprang voran.

»Ist es noch weit zu dem Ort, wo dein Oheim uns erwartet?« fragte Sture nach einer langen Weile.

»Du bist ihm näher wie dem Balsfjord«, war die karge Antwort des Lappen, der keine Unterhaltung zu wünschen schien.

Sie zogen weiter durch die Nacht. Der Himmel hing darüber mit zahllosen Sternen. Das Renntier plätscherte endlich durch Wasser, das ein weites Becken zu füllen schien. Plötzlich flimmerte ein roter Schein in der Ferne, und das Tier stieg mit seinem Reiter aus dem Wasser auf festen Boden, der sich immer höher und steiler erhob. Hunde bellten laut. Aber Sture fragte nicht mehr, denn er wußte, daß er jetzt in Afrajas Nähe war. Nach einiger Zeit kamen ihnen mehrere Männer mit brennenden Holzspähnen entgegen und leuchteten zu einem spitzen Zelt voran, in das Mortuno seinen Gast einzutreten bat. Der Boden des Zeltes war mit Birkenblättern dicht bestreut, ein Feuerplatz befand sich in der Mitte, auf der rechten Seite ein weiches Mooslager mit Pelzen und Linnentüchern.

»Verweile hier«, sagte Mortuno, »Afraja lädt dich zur Ruhe ein.«

»Und wo ist er?« frage der Junker.

»Wer mag es wissen? Wenn es Zeit ist, wird er bei dir sein. Bist du müde, so schlaf unbesorgt; hast du Hunger oder Durst, so findest du hier auf dem Herd, was wir geben können.« Er verließ dann das Zelt, indem er seine Bitte wiederholte, Sture möge geduldig seinen Oheim erwarten.

Was blieb in dieser Lage auch weiter übrig? Es war tief in der Nacht, und der lange, beschwerliche Weg hatte den Reisenden nicht wenig angestrengt. So warf er sich denn auf das Moos, nachdem er einige Bissen genossen hatte, drückte seinen Kopf in die weichen Felle und schlief bald fest und traumlos.


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