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Siebentes Kapitel

Der Gaardherr vom Balsfjord

An demselben Abend, oder jetzt richtiger gesagt, zu den späten Stunden, welche Abend und Nacht bedeuten, wenn auch die Sonne hell und warm in die Fenster schien, war es zu Ehren von Stures Abschied fröhlich genug im Gaard hergegangen. Man hatte gelacht und gejubelt, gespielt, getanzt, sowie manchen herzhaften Trunk auf das Gedeihen der jungen Ansiedlung am Balsfjord getan. So war der späte Morgen herangekommen, ehe Sture nach allem Abschiednehmen und Händeschütteln auf dem Hinterdeck der Jacht stand, die mit gestrafftem Segel den Fjord hinabschwamm. Unzählige Hurras folgten dem Fahrzeug nach, das sich vor dem frischen Wind rasch entfernte.

Es war ein sonderbares Gefühl, das den plötzlich Vereinsamten ergriff, als er endlich allein in der Kajüte seines Schiffes saß, das ihn seinem ungewissen Schicksal entgegentrug. Eine Zeit lang verbarg er, wie von Sorge übermannt, den heißen Kopf in den Händen, bald aber richtete er die Augen wieder mutig empor und wiederholte sich das Gelübde, unverrückt sein Ziel im Auge zu behalten und durch rastlose Tätigkeit alle sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten zu überwinden. Das Glück hatte ihn ja begünstigt, er hatte Freunde und Unterstützung gefunden. Sein Königsbrief hatte ihm einen ungeheuren Landbesitz verschafft, dies ganze Schiff mit allem, was es enthielt, darunter nicht zu vergessen den schweren Eisenkasten voll Speciestaler dort in der Ecke, war sein, und rüstige Männer standen bereit zu seinen Diensten. Mit Ungeduld beobachtete er den ganzen Tag über den Lauf der Jacht, die an der Küste hinauffuhr und am nächsten Morgen vor Tromsö Anker warf. Der Vogt hatte ihm einige Arbeiter und Holzfäller genannt, die gegen guten Lohn und Versprechungen geneigt sein würden, ihn zu begleiten, und wirklich fand er mehr guten Willen dazu, als er erwartete. Das Gerücht von der neuen Niederlassung am Balsfjord und von dem dänischen Herrn, der dort Mühlen bauen und den Bals-Elf-Wald zu Balken und Brettern zerschneiden lassen wollte, war vor ihm nach Tromsö gelangt, und obwohl die meisten darüber spotteten, denn der Balsfjord war als ein öder, fischarmer Meeresspalt verrufen, so waren sie doch nicht abgeneigt, den Zug mitzumachen, um auch ihren Teil von dem weggeworfenen Geld in Empfang zu nehmen.

Am dritten Tag lief das Schiff in die sich nach und nach zuspitzende Meeresbucht ein, allein der Anblick, der sich damit den Arbeitern bot, war keineswegs ein abschreckender, wie sie gefürchtet hatten. Liebliche Gründe prangten im grünen Sommerkleid und erweiterten sich, je näher man an das zugespitzte Ende der Bucht gelangte. Die nackten Felsen traten mehr und mehr zurück und gaben Raum für kleine bewaldete Täler, aus denen da und dort Bäche wie silberne Schlangen hervorblitzten. Und endlich sah man den neuerbauten Gaard liegen, der auf seinem erhöhten Standpunkt ein stattliches Aussehen hatte. Ein Pfahlwerk war schon zwischen den Ufersteinen begonnen und so weit gediehen, daß die Jacht sich dicht davor festlegen konnte. Sture war der erste, der mit mächtigem Sprung das Land erreichte, wo er von dem herzugeeilten Haufen der Ansiedler mit einem dreifachen Hurra begrüßt wurde. Da stand er, der Fremde, der Däne, der Kammerjunker, auf seinem eigenen Grund und Boden und sollte nun beweisen, ob er noch etwas anderes verstünde, als auf dem glatten Parkett der Königssäle zu lustwandeln.

Die Ausschiffung ging vor sich, und die ersten Tage des neuen wilden Ansiedlerlebens vergingen Sture in Verwirrung und Unruhe, allein bald zeigte er einen solchen Überblick und eine solche Ruhe in seinen Anordnungen, daß die Tätigkeit sich nach und nach regelte, und binnen einer Woche nicht nur das Hauswesen einigermaßen geordnet, sondern auch das Schiff ausgeladen und alles zum Fischfang eingerichtet war.

Mit höchster Anstrengung aller Arbeitskräfte wurde an dem Vorratshaus gebaut, und was an Holzwerk dazu noch nicht zugerichtet war, fällte man im Wald. Hierbei lernte Sture erst so recht die Schwierigkeiten würdigen, mit denen er zu kämpfen hatte, wenn er einen nur einigermaßen brauchbaren Zugang zu dem Felsental der Bals-Elf gewinnen wollte. Über steile Spalten mußten Brücken gebaut, ein Weg mußte angelegt, geebnet und erhöht werden und oftmals erforderte es eine bedeutende Erfindungsgabe und manchen mißlungenen Versuch, ehe man ein schweres Hindernis beseitigte.

Dieser Weg zum Bergwald wurde nach und nach die Hauptaufgabe des unternehmenden Besitzers, der vom Malangerfjord Arbeiter kommen ließ, und dessen Energie mit den sich häufenden Schwierigkeiten zu wachsen schien, obwohl steigende Sorgen nach und nach ihre schwarzen Flügel über seinem Kopfe zusammenschlugen. Von der frühesten Morgenstunde bis in die Nacht hinein war er geschäftig, bald bei den Arbeitern, die das Packhaus vollendeten, bald bei den Mühlenbauern, bald bei denen, die am Wege schafften, oder in den Seitentälern am Fjord, wo seine Holzhauer tätig waren. Kam er ins Haus zurück, so erwartete ihn neue Arbeit und Not. Viele Menschen forderten von ihm Nahrung, Geld und Kleidung. Er mußte hier Streitigkeiten schlichten, dort Mißvergnügte und Ungeduldige beruhigen, und dabei sollte er auch noch Kaufmann sein, der seinen Nutzen wahrnahm und seine Rechnungsbücher in Ordnung hielt. Die Berge der Halbinseln am nahen Ulasfjord bevölkerten sich mit ziehenden Lappenfamilien, und das Geklingel der Renntierglocken tönte von den Alpen, der Knall der Büchsen hallte über den Meeresarm, und abends kamen Männer in braunen Hemden, spitzen Ledermützen auf den Köpfen und Komagern an den Beinen, die neugierig den Arbeiten zusahen und Vögel, Renntierhörner und Felle gegen Pulver, Blei, Messer und dergleichen zum Tausch brachten.

So standen die Sachen, als eines Tages auf Stures Schwelle zur größten Überraschung und Freude des Besitzers der ehrliche Olaf als Gast erschien. Die Neuigkeiten, welche er mitbrachte, waren wenig angenehmer Art. Helgestad war noch auf seiner Bergenfahrt aus, dafür führte aber der Schreiber ein solch unumschränktes Regiment im Hause, daß selbst Ilda mit ihrer Ruhe und verständigen Tüchtigkeit der Anmaßung ihres Verlobten keinen Widerstand entgegenzusetzen wußte. Gustav war ganz und gar von Petersen abhängig und durch Teufelsmittel, wie Olaf sagte, ein Bursche geworden, den niemand wiedererkenne.

»In meinem Ärger über dies alles«, endigte Olaf seinen Bericht über die Vorkommnisse am Lyngenfjord, »und weil ich es nicht länger ertragen konnte, bin ich fortgelaufen, tief hinein in die Jauren und dabei beinahe ums Leben gekommen.«

Er nahm seinen Hut ab und zeigte Sture eine Stelle, wo eine Büchsenkugel ein tüchtiges Loch in den Filz gerissen hatte. »Sieh her«, sagte er, »das Ding ging nur einen halben Zoll über meinem Schädel fort. Verd... will ich sein, wenn ich die Hand nicht kenne, die den Schuß tat.«

»Du scherzest, guter Olaf«, versetzte Sture in heller Verwunderung. »Wer möchte dir wohl nach dem Leben trachten?«

»Hast du jemals den ungeheuren Felsenkegel erstiegen, den sie den Kilgis nennen?« fragte Olaf dagegen.

»Nein!« sagte Sture, der nicht wußte, worauf seines Gastes Frage hinauswollte.

»Nun, ich machte mir gestern das etwas seltsame Vergnügen«, fuhr Olaf fort. »Ein waldiges, zerrissenes Fjeld führt hinauf. Bald findest du tiefe Schluchten voll Wald, bald tobende Wasser darin, bald nackte Spalten, schwarz und zertrümmert, bald wieder ebene Flächen voll ungeheurer Steine und Blöcke, die seltsamerweise wie in einer gewissen Ordnung in Reihen umherliegen, als wäre Menschenhand dabei tätig gewesen. – Eine Herde wilder Renntiere sprang über diese Klippen fort, ein kleines Rudel Wölfe war ihnen auf den Fersen, ich wie der Blitz zur Verfolgung hinterdrein, versuchend, dem Wild den Wind abzugewinnen, denn die Renntiere laufen stets dem Wind entgegen. Allein meine Mühe war vergebens. Der ganze Schwarm stürzte in eine Schlucht hinab, und weit aus der Ferne hörte ich das Rasseln ihrer Geweihe und das heisere Geheul ihrer Verfolger. Als ich endlich jenseits der Schlucht hinaufkletterte, fand ich mich auf der Höhe auf einmal dem schwarzem Felsenkoloß, dem Kilgis, gegenüber, dessen Haupt von hier aus mindestens noch tausend Fuß emporragte. An seinem Fuß lag ein dunkler See, an seinen unteren Hängen waren endlose Fjelden, bedeckt mit gelben Enzianblüten und roten Moosbeeren. Eine totenhafte Stille und Einsamkeit umgab die ganze Gegend. Nur zuweilen polterte ein Stein von dem steilen Riesenkopf herunter und fiel in den See, dessen Wasser er aufspritzen machte.«

»Während ich den seltsamen Felsenstock betrachtete, erinnerte ich mich, daß die Lappen ihn anbeten als den heiligen Sitz ihres Gottes Jubinal, und ich spürte umher, ob ich keinen schmutzigen, lauernden Lappen erblicken könnte, denn mich hungerte und dürstete gewaltig, aber es war umsonst. So kletterte ich denn auf einen Höcker am Rande und erblickte von dort aus über einem Grat des Berges zu meiner Freude eine dünne Rauchsäule. Es war eine tüchtige Arbeit, durch Sumpf, Wald und Wasser nach dem Wahrzeichen vorzudringen. Mehr als einmal verlor ich die Richtung, endlich aber stand ich oben und schaute in ein wunderbar liebliches, grünes Tal hinunter, das sich gerade in den schwarzen Felsenleib des Kilgis hineinzog. Kein lebendes Wesen war auch hier zu sehen, wohl aber glaubte ich ein paarmal den Schall von Glocken zu hören, wie sie die Leittiere der Renntierherden zu tragen pflegen. Ich hatte schon vordem von solchen herrlichen Plätzen gehört, die gleich kleinen Paradiesen inmitten der Einöde liegen sollten, die Berichte darüber aber immer für Märchen gehalten. Nun jedoch mußte ich mich selbst von der Wahrheit überzeugen. Wie bezaubert blickte ich hinunter, da höre ich plötzlich einen Knall und zugleich fliegt mir mein Hut vom Kopf, während ich fühle, wie sich mein Haar emporrichtet. Mit einem Satze war ich von dem Grat und duckte mich hinter einen Stein. Mein Büchsenlauf zielte nach allen Seiten, allein nichts regte sich. Ich sah keinen Rauch aufsteigen, wahrscheinlich hatte der Schelm aus der Schlucht heraufgeschossen, wo ich ihn nicht bemerkte. – Es ist keine Schande, Henrik Sture, daß ich zu laufen anfing, und hinter mir her schallte ein höllisches Gelächter, als wäre es Jubinal selbst, der vom Kilgis her unter schrie. – Im Sumpf bis an die Knie watete ich durch die Moorbüsche und war von Herzen froh, als ich wieder an dem schwarzen See stand und so meine Richtung wußte. Am Abend war ich wieder an den Bals-Elf-Quellen, die von der Tanajaur strömen, und wer kam mir dort entgegen? Kein anderer als dieser schiefäugige Mortuno, die Federmütze auf sein linkes Ohr gesetzt und so boshaft nach meinem Kopf schielend, daß ich gehenkt sein will, wenn seine Kugel es nicht war, die meinen Hut durchlöcherte. An den Quellen lagerte seine Herde, vier Zelte standen dort, und eine ganze Bande Männer und Weiber hockte um den Feuerstein, die mich mit ihren häßlichen Spitzbubengesichtern angrinsten.«

»Du erinnerst dich«, fuhr Olaf fort, »daß Mortuno einmal am Lyngenfjord war, wo wir unsere Scherze mit ihm trieben. Demütig, wie diese Schelme sind, wenn sie sich in unserer Gewalt befinden, bedankte er sich für alles und lachte zumeist darüber. Als ich jetzt in seiner Hütte saß, wohin er mich zum Ausruhen eingeladen hatte und was ich annehmen mußte, da ich in meiner Todesmüdigkeit am gleichen Tage nicht weiter gekonnt hätte, erinnerte er mich daran, daß ich ihn damals wie einen Kreisel herumgedreht, Paul Petersen aber ihn zu seinem Leibschützen ernannte hätte. – ›Nun seht‹, rief er in seinem Kauderwelsch unter allerlei Fratzen und Gelächter, ›habe das nicht vergessen, guter Vater, Mortuno vergißt nichts!‹«

»Die Blicke, mit denen mich der Schelm musterte, machten, daß ich die Hand an mein Messer legte, aber er klatschte in die Hände, legte sich vor Freude auf den Rücken und gurgelte etwas durch die Kehle, das die andern in dasselbe Entzücken versetzte. Sie sahen mich mit ihren runden tückischen Augen an wie leibhaftige Teufel. Ich fühlte einen Schauder mir den Rücken hinauflaufen und mußte alle Kraft aufbieten, um keine Furcht zu zeigen. Endlich legte Mortuno die Hand auf meinen Arm und streichelte mir ekelhafterweise an Hals und Kopf herum. Doch litt ich es geduldig und sagte auch kein Wort, als er mir jetzt den Hut vom Kopf riß und die Löcher darin grinsend betrachtete. – ›Hehe, mein Väterchen‹, schrie er, ›das sind ein paar häßliche Löcher; nimm dich in acht vor dem nächsten Mal.‹ – Zuletzt zog er gar meine Pfeife aus der Tasche, nahm Tabak aus meinem Beutel und rauchte nach Herzenslust, der unverschämte Schlingel.«

»Den ganzen Abend«, erzählte Olaf weiter, »trieb er solchen Spott mit mir, und daß ich morgens heil und gesund aufwachte, ist mir heute noch ein Rätsel. Ich fühlte mich durch ein Schütteln geweckt, und als ich aufsprang, stand mein liebenswürdiger Wirt vor mir mit einem Topf warmer Renntiermilch, Brotkuchen eingebrockt, was beides ganz vortrefflich schmeckte. Dann wies er mir den nächsten Weg durch Busch und Felsen, zeigte mir, wie ich dem Stromlauf folgen müßte, und tat das alles mit einer Würde, die ihren Eindruck auf mich nicht verfehlte.«

»Ich hätte ihm gern ein Andenken zurückgelassen«, schloß Olaf seine Geschichte, »aber wußte ich denn, ob einer von den Strauchdieben nicht etwa hinter den Steinen hockte? Wenn aber jemals der schwarze Affe in meine Hände gerät, so soll er mir den Spott und Ekel, den ich ausgestanden habe, reichlich büßen.«

Sture hörte lächelnd zu. Er merkte gut genug, daß Mortuno ein arges Vergeltungsrecht geübt und den stolzen Nordländer empfindlich gedemütigt hatte. Er suchte ihn zu begütigen und führte ihn dann in dem Gaard umher zu den verschiedenen Arbeitern und bis in den Wald hinaus zu den Baumfällern und Mühlbauern. Je mehr jedoch Olaf sah und hörte, um so weniger zeigte er sich befriedigt, und endlich konnte er seinen Tadel und seine Besorgnisse nicht zurückhalten.

»Nur weil ich dein Freund bin, Henrik Sture, und weil mir dein Wohl und Wehe am Herzen liegt, sage ich dir, daß dein Weg in den Abgrund geht, denn du läßt dich auf Dinge ein, die kaum ein reicher Mann, niemals aber ein Anfänger durchführen kann. Deine Niederlassung ist groß, und ohne Zweifel würdest du bald Vermögen erwerben, wenn du wie ein vernünftiger Mann arbeitetest. Du hast Fische im Fjord, und hinaus bis zur Strömmenbucht gehört dir das Meer, allein du hast keine Fischer. Wo sind deine Fischgerüste, die jetzt vollhängen müßten? Wo ist dein Warenhaus? Wo sind deine Pressen? Wie steht es mit deinen Einrichtungen im Hause und im ganzen Gaard? Alles ist vernachlässigt und unfertig, und doch verschwendest du dabei deine Vorräte, ernährst eine große Zahl träger, unnützer Menschen. Alle deine Kräfte, dein Geld und deine Nahrungsmittel wirfst du hin, um einen Weg zu diesem Wald zu schaffen.«

Sture suchte sich zu verteidigen, allein Olaf blieb bei seiner Ansicht bestehen. »Laß uns deine Vorräte untersuchen«, sagte er, »und den Überschlag machen, was du gebraucht hast und noch brauchen wirst.«

Die Untersuchung wurde angestellt, und es fand sich, daß der junge Ansiedler sechsmal soviel verbraucht hatte, als er hätte verbrauchen dürfen. Wenn er so fortwirtschaftete, mußte er, ehe der Herbst kam, fertig sein. Auch sein barer Geldvorrat war zusammengeschmolzen, und sein Schuldbuch bewies, daß er nicht bloß schlecht gerechnet hatte, sondern auch sonst seine Gutmütigkeit vielfach mißbraucht worden war.

»Alles in allem genommen«, sagte Olaf, »scheinst du mir schon jetzt ein verlorener Mann zu sein, wenn du nicht auf der Stelle deine Fehler gutmachst. Jage die Hälfte dieser Tagediebe fort, laß die Bäume liegen, wo sie sind, wirf deine Mühlen und Sägen in den Fjord, aber tu deine Augen auf und beginne das Nützliche. – Du mußt an den Lyngenfjord reisen und um Hilfe bitten. Ich will an deiner Stelle bleiben, will Ordnung schaffen und den Bau deines Vorratshauses beendigen.«

Sture konnte sich der Wahrheit dieser Vorwürfe nicht verschließen, und doch ließ es sein Stolz nicht zu, seine Unbedachtsamkeit einzugestehen. Weit umher bis gegen die Finmarken hin begann man von dem neuen Unternehmen zu sprechen. Von Tromsö, von den Inseln, vom Malangerfjord und selbst vom Nordland kamen Leute, die mit Verwunderung seine Arbeiten beschauten und ihr Erstaunen ausdrückten. – Und Sture zweifelte auch jetzt noch nicht an der Ausführbarkeit seines Unternehmens. Im Gegenteil war er ganz zufrieden mit seinem bisherigen Schaffen und wußte, daß er alle Schwierigkeiten besiegen würde. »Nur jetzt das begonnene Werk nicht aufgeben«, dachte er, als er allein die Elf hinaufging, »denn das hieße sich dem Spott und Gelächter der ganzen Welt aussetzen!«

In tiefem Sinnen war er nach und nach bis zu dem einsamen Grund geschritten, wo das einstige Abenteuer mit dem Bären stattfand, als er aufblickte und auf einem der Felsenblöcke Afraja sitzen sah.

Der alte Mann trug sein Sommerkleid, einen kurzen, braunen, baumwollenen Kittel. Ein Renntier von außerordentlicher Größe mit ungeheuerem Geweih stand neben ihm, auf dessen Rücken eine Art Sattel geschnallt war. Die beiden gelben Hunde des Greises lagen auch diesmal zu seinen Füßen, und er selbst, seinen langen Stab in der Hand, beugte sich zusammengekauert darauf nieder.

Als die Hunde knurrend aufstanden, hob Afraja den Kopf empor, und ohne ein Zeichen von Überraschung erwartete er den Nahenden, in dessen Gesicht eine plötzliche Freude aufstieg, denn hier war der Mann, der ihm helfen konnte, wenn er wollte.

»Setz dich zu mir, ich habe dich erwartet«, sagte der Lappe, nachdem er Stures Gruß nicht ohne Würde erwidert hatte.

»Wie wußtest du, daß ich kommen würde?« fragte Sture, ungläubig lächelnd.

»Ich wußte es«, sprach Afraja mit Nachdruck. »Ich weiß vieles.«

»So sage mir zuerst«, fuhr Sture fort, indem er sich des an Ilda gegebenen Versprechens erinnerte, »wie es Gula geht?«

»Es geht ihr wohl«, war die Antwort.

»Hast du sie hier in der Nähe?«

Afraja schien sich eine Minute zu bedenken, ehe er hierauf Bescheid erteilte. »Mein Kind«, sagte er, »sitzt in seiner Gamme am Ufer des Baches, wo die guten Götter Blumen wachsen lassen. Sie lacht und freut sich, daß sie frei unter den jungen Birken umherspringen kann und nicht mehr in dem engen Hause des Geizhalses wohnt.«

»Helgestad hat ihr Gutes getan«, sagte Sture mit ernster Mahnung, »dir aber glaube ich nicht, Afraja. Du bist ein harter Vater und hältst deine Tochter gewaltsam in irgendeiner Einöde versteckt.«

»Du darfst mir glauben«, wiederholte der alte Häuptling seine Aussage, »daß meines Kindes Augen hell sind und seine Lippen lachen.«

»Gut, es mag sein«, erwiderte der junge Mann lebhaft. »Aber wenn du auch die Wahrheit sprichst, sage mir, was soll einst Gulas Schicksal sein? Soll sie mit dir umherwandern bis an das Eismeer, jahraus, jahrein? Sie muß verderben bei solchem Leben, und du bist alt, Afraja. Scheidest du aus dieser Welt, was dann?«

»Was dann? frage ich dich, Jüngling«, sagte Afraja eintönig. »Du willst weise sein, aber bedenke, was du sprichst. Gula ist eine Tochter des verstoßenen Volkes. Wo soll sie wohnen, um glücklich zu leben? Bei euch etwa? Soll sie als Magd verachtet und verspottet sein? – Wer hat uns in diese Wüste gejagt? Wer hat uns das Land unserer Väter geraubt? Wer zwingt uns, mit den Renntieren umherzuwandern?«

Sture wußte hierauf nichts zu erwidern, denn er konnte dem alten Manne nicht unrecht geben.

»Du zwar«, fuhr der Greis mit milderem Ausdruck fort, »bist verständiger und gütiger gesinnt als diese harten, gierigen Männer. Aber würdest du Gula in dein Haus führen? Würdest du deine Schüssel mit ihr teilen?«

Er schlug ein lautes Gelächter auf, nickte heftig mit seiner hohen, spitzen Mütze und krümmte sich an seinem Stab zusammen, als er die Wirkung seiner Frage sah. – »Siehst du wohl, Väterchen, siehst du wohl«, rief er dann. »Bist du gerechter, bist du besser? Aber du kannst es nicht sein, denn sie würden dich dann ebenso wie uns behandeln, sie würden dich fortstoßen wie einen Hund, und nichts bliebe dir übrig, als in die Wüste zu meinem verachteten Volke zu fliehen.«

Afraja sprach die letzten Worte mit klarer, voller Stimme und zeigte dabei eine verständige Würde, die Sture, der mit Teilnahme und Rührung, seinen Schilderungen zuhörte, schon früher an ihm bemerkt hatte.

»Du kannst also«, sagte Afraja endlich, »wenn du gerecht denkst, selbst nicht wünschen, daß mein Kind wieder an den Lyngenfjord zurückkehrt. Möge sie besser bei denen bleiben, die sie als Afrajas Tochter ehren. – Nun aber«, begann er darauf in seiner gewöhnlichen, halb spottenden Redeweise, »laß uns von deinen Angelegenheiten sprechen, Jüngling, denn nur derenthalben bin ich hier. Oft schon, wenn du schlaflos auf deinem Bett lagst, flüsterten deine Lippen meinen Namen. Du riefst mich.«

»So weißt du mehr als ich selbst«, sagte Sture.

»Du riefst mich, weil du mich brauchst«, fuhr der Greis fort. »Du gibst viel Geld aus und ernährst viele Leute, so daß deine Säcke und Kasten leer werden.«

»Du sagst die Wahrheit«, antwortete der Ansiedler. »Ich fürchte selbst, daß ich mein Werk nicht vollenden kann.«

Afraja lachte heiser auf. »Tu es nicht, Väterchen«, sagte er, »dein Werk ist gut. Helgestad wird kommen und dich loben. Deine Sägemühle wird ihm gefallen und dein Fleiß ebenso.«

»Wenn aber der Kaufmann am Lyngenfjord sich weigert, mich ferner mit Geld und Waren zu unterstützen, bin ich dann, Afraja, deiner Hilfe sicher?«

»Sei getrost, ich halte mein Versprechen«, grinste und nickte der alte Zauberer. »Wenn die Zeit kommt, daß du meines Beistandes bedürftig bist, so geh an den Fjord hinab, an die Stelle, wo du mich schon einmal auf den Steintrümmern fandest. Dort ruf mich um die Stunde, da die Himmelslichter erscheinen, und wo ich auch sein mag, ich werde deine Stimme hören. Sprich meinen Namen leise, wie wenn der Gott des Windes über die Spitzen des jungen Grases tanzt. Afraja wird bei dir stehen.«

Dem Gaardherrn kam es beinahe vor, als sollte er einen Pakt mit dem Bösen schließen, ungeheuerlich genug sah der kleine Lappe mit den lauernd hin- und herrollenden Augen aus.

»Und was verlangst du von mir für deine Dienste, Afraja?« fragte er endlich.

»Nichts, Väterchen, nichts!« sagte der Alte, indem er wie beteuernd die Hand aufs Herz legte. »Du sollst mein Geld umsonst haben. Doch jetzt muß ich fort, denn mein Weg ist weit. Einmal wirst du selbst kommen und mein Land sehen, das sie eine Wüste nennen. Ich will dir jedoch zeigen, was noch keiner jemals gesehen hat, du sollst dich wundern. Für jetzt lebe wohl!«

Mit diesen Worten begab er sich zu seinem Tier, stieg hinauf und ergriff den Halfter, der lose um den Hals des klugen Geschöpfes hing. Mit einem leisen Schlag brachte er es in Gang, die beiden gelben Hunde folgten ihrem Herrn und rasch kletterte das Renntier mit seinem greisen Reiter an der steilen Wand hinauf, von welcher die Bals-Elf niederstürzte.

Sture blickte ihm nach, bis er auf der Höhe verschwand. Dann kehrte er nachdenkend um, aber er fühlte sich durch Afrajas Zusage wesentlich beruhigt. Als er sein Haus erreichte, war er entschlossen, sogleich nach dem Lyngenfjord aufzubrechen, da Olaf überzeugt war, Helgestad müsse jetzt zurück sein. Der gutherzige Nordländer erklärte sich nochmals bereit, bis zur Rückkehr des Besitzers die Oberaufsicht zu fuhren und versprach, den Bau des Packhauses zu vollenden. Die unnütze Wege- und Mühlenarbeit werde er nicht fördern, meinte er, wolle sie aber auch nicht hindern, da jeder Mann selbst wissen müsse, was ihm gut oder schädlich sei.

Der tätige, sorgenschwere Ansiedler besprach die während seiner Abwesenheit nötigen Anordnungen mit den Werkleuten. Dann nahm er am nächsten Morgen das beste seiner Pferde, die er zur Beschleunigung der Arbeiten angeschafft hatte, und machte sich auf den Weg. Das junge, kräftige Tier trug ihn bald über den Gebirgssattel, der den Balsfjord vom Ulasfjord trennt, und als der späte Nachmittag herankam, blitzte der Lyngenfjord zu der Hochebene hinauf, auf der er dahintrabte. Tief unter ihm lag das blaue Meeresbecken, und in der Felsenbucht erkannte er Helgestads rotes Haus, das aus dem Grün der Birken hervorsah. Ein Gefühl heimatlicher Sehnsucht ergriff den jungen Mann. Der Balsfjord mit seinen lieblichen, kleinen Tälern, dem Wald und dem rauschenden Strom war ohne Zweifel romantischer und fruchtbarer zu gleicher Zeit; dennoch aber dünkte ihm alles hier viel schöner und freundlicher. Er trieb sein Tier in die steil abfallende Schlucht, und nach einer halben Stunde war er unten und konnte seinen Hut mit einem lauten Hurra den beiden Personen entgegenschwenken, die traulich an einem Tisch beieinander saßen, der auf dem Grasplatz vor dem Hause stand. Es waren Ilda und ihr Lehrer Klaus Hornemann. Der Prediger eilte dem Ankömmling entgegen und rief ihm frohe Worte zu, Ilda legte nur ihre Handarbeit fort und tat keinen Schritt. Doch als der langentbehrte Gast vor ihr stand und ihr die Hand reichte, überwältigte die Freude ihre sonstige Zurückhaltung. Der Ernst wich von ihren Lippen, und ihre Augen hießen ihn herzlich und innig willkommen.

Wie viel gab es nun zu sprechen und zu fragen!

Paul Petersen und Gustav waren seit einer Woche schon nach der Insel Loppen gereist, um Vogeljagd zu machen. Ilda hütete somit allein das Haus, und Klaus Hornemann, der von der Kilgisjaur gekommen war, hatte sich bewegen lassen, so lange als ihr Beschützer im Gaard zu bleiben, bis die jungen Männer von ihrem Jagdausflug zurückgekehrt sein würden. Ilda ließ sogleich ihres Vaters Lehnstuhl herbeibringen. Der holländische Tabak und die stattliche Pfeife waren bald zur Hand, fast ebenso schnell unter Ildas geschickten Händen der Kaffee zubereitet. Nun, zwischen seinem weißlockigen Beschützer und seiner Beschützerin mit den reichen blonden Flechten sitzend, mußte Henrik ihnen sein ganzes Leben und Treiben am Balsfjord schildern, während er dafür Nachrichten über alles in Empfang nahm, was in seiner Abwesenheit im Gaard von Örenäes vorgefallen war.

Sture zog dann Erkundigungen über Helgestad ein und hörte, daß er jeden Tag erwartet werde. Ein Nachbar war erst vorgestern aus Bergen zurückgekehrt und hatte sowohl die Kunde von den außerordentlich hohen Fischpreisen, als auch die Nachricht mitgebracht, daß Helgestads beide Jachten jede Stunde ankommen könnten, da er sie fertig zur Abfahrt im Hafen verlassen hätte.

Das waren gute und tröstliche Nachrichten für den jungen Ansiedler. Er saß lächelnd in seines Gönners Stuhl, und als wäre dessen kalkulierender Kaufmannssinn über ihn gekommen, überrechnete er in der Schnelle seinen hohen Gewinn aus den Fischen, woran sich im stillen die Hoffnung auf ferneres Glück knüpfte.

Er hatte bisher nur oberflächlich nach Gustav und Petersen und deren Reise gefragt, zufrieden damit, daß der falsche Schreiber nicht anwesend sei. Jetzt hörte er mehr davon. – Das Felseneiland Loppen gehörte Helgestad. Es war der Brutplatz unzähliger Vogelschwärme, deren Federn, soweit sie erbeutet wurden, auf den Herbstmärkten in Bergen eine sehr beträchtliche Einnahme brachten. Gustav hatte eine Schaluppe bemannt, um die diesmaligen Federvorräte abzuholen, und Petersen hatte ihn begleitet.

»So bin ich denn zur guten Stunde gekommen«, rief Sture aus, »und bleibe, bis Herrn Helgestads Jacht am Packhaus ankert. Ich helfe, wo es zu helfen gibt, vergesse die Arbeit daheim am Balsfjord und denke mir die Zeit zurück, wo meine gütige Beschützerin Ilda mich in die Lehre nahm und mir ihre Huld zuwandte.«

»Hatte sie denn jemals damit aufgehört?« fragte Klaus Hornemann lächelnd. »Sie haben, mein junger Freund, ein so gutes Andenken hier hinterlassen, daß am ganzen Lyngenfjord von Ihnen mit Lust und Liebe gesprochen wird.«

»Und was sagt Jungfrau Ilda?« fiel Sture ein.

»Wir alle«, erwiderte Ilda, »haben dich vermißt, lieber Henrik, und nun du wieder bei uns bist, wollen wir dich so lange behalten, wie es angeht.«


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