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Achtes Kapitel

Egede Wingeborg

Welch schöne Tage verlebte Sture nun in dem stillen Gaard. Als er am nächsten Morgen erwachte, fiel Sonnenschein in seine Kammer, dieselbe, welche er bereits früher bewohnt hatte. Wie sauber, hell und freundlich war alles, wie lautlos war es im Haus und seiner nächsten Umgebung; wie lag der grüne Vorplatz mit seiner Einfassung von Birkengebüschen schimmernd und einladend vor ihm. Lange stand er an dem kleinen Fenster und niemals war ihm die einsame Niederlassung so schön vorgekommen. Da sah er Ilda aus dem Hause treten, und fast gleichzeitig stieg das große, goldene Tagesgestirn über die zerrissenen Felsen empor und warf seine Strahlen auf das Gärtchen, auf die Blumen darin und auf die Jungfrau, die ihre Hände in frommer Andacht faltete. Bald aber wich der Ernst in ihrem Gesicht einem schalkhaften Lächeln und hurtig machte sie sich an das Pflücken ihrer bunten Lieblinge, die sie dann zu einem Strauße anordnete. Nach wenigen Minuten war sie wieder im Hause verschwunden, leise Schritte ließen sich auf der Treppe und im Nebenzimmer vernehmen, und als Sture nach einer Weile die Tür öffnete, fand er auf dem Tische ein Glas, aus welchem ihm die Blüten entgegendufteten.

Mit Blicken voll Rührung betrachtete er sie. Da waren Nelken und Reseda, dunkelrote Levkojen und Astern und in der Mitte ein Busch himmelblauer Vergißmeinnicht. Er beugte sich zu ihnen nieder und sog den Duft ein. Dann stieg er getrosten Mutes die Treppe hinunter, fest entschlossen, die Freundschaft des edlen Mädchens dadurch zu verdienen, daß er seinen Namen zum bestgeachteten im ganzen Lande machte. –

Und fünfmal kam die Sonne und wechselte mit kurzer Nacht, die jetzt wieder eingezogen war, denn der August war da. Aber die Tage blieben mild wie schöne Sommertage, und wenn das Dunkel am Fjord heraufstieg, trat der Mond über das finstere Horn des Kilgis, und mit seinem wunderbaren Glanz streute er sein silbernes Licht über die schwarze Meeresbucht.

An einem solchen herrlichen, warmen Abend war es, daß Henrik mit Ilda im kleinen Boot allein über den Fjord fuhr, zu einem wunderbaren Schlund, in dem die Wasser einen Wirbel bildeten, der sich in einem tiefen Felsenspalte verlor. Ein dumpfes Stöhnen drang aus der Höhle hervor, bald schwoll es an und war wie Donner zu hören, bald wurde es wieder zu einem leisen Rauschen, in das sich sanfte, klagende Töne mischten. Draußen war alles lautlos still, nur das geheimnisvolle Licht des Mondes floß an den Felsen nieder, die seit langen Jahrtausenden hier stehen.

Henrik hatte die Ruder fortgelegt und neben Ilda sitzend, hörten beide auf die wunderbaren Stimmen, die zu ihnen drangen.

»Ich erinnere mich«, sagte Henrik endlich, »daß eine Sage über diese Höhle erzählt wird, die ich schon gehört habe. Ist es nicht eine unglückliche Meerfrau, die dort unten seufzt und weint?«

»Ja, eine schöne Fee, die ein Riese in unzerreißbaren Ketten hält«, antwortete Ilda.

»Jetzt weiß ich es. Der Riese hatte die schöne Fee geraubt. Es war ein wilder, tückischer Gesell, aber er war mächtig und groß, ein König in dem tiefen Riesenreich dort unten. Zuweilen erlaubte er ihr, aus der Höhle herauszugehen, die den Eingang zu seinem Kristall- und Goldpalast bildete, und dann saß sie im Mondenschein auf den Felsen, wand Kränze aus Halmen und kleinen Blumen und sang süße Lieder, bis der finstere Gatte sein Horn ertönen ließ, und sie traurig wieder hinunterfahren mußte. Da traf es sich, daß ein junger Fischer sie fand, und jede Nacht, wenn die schöne Königin auf den Felsen stieg, saß er an ihrer Seite, in ihre sanften, klaren Augen blickend und ihr liebevoll zulächelnd. Er sprach kein Wort mit ihr von dem, was sein Herz erfüllte, aber sie wußte es wohl.«

»Da geschah es«, fiel Ilda leise ein, »daß, als sie einstmals beisammen saßen, sie wegen ihres traulichen Plauderns den Klang des Hornes nicht hörten. Und als zum drittenmal vergebens der Ton erschallte, streckte sich ein Arm aus der Höhle, und ein ungeheurer Kopf folgte ihm nach. Der Riese richtete sich auf, er reichte bis weit über alle Felsen, und mit einem Finger zermalmte er den armen Fischer, worauf er die Fee in den schwarzen Schlund hinunterzog.«

»So war es«, sagte Henrik, »aber es geschah nur, weil die Fee sich nicht entschließen konnte, frei und glücklich zu sein. ›Komm, begleite mich‹, hatte der Jüngling ihr zugeflüstert. ›Siehst du dort den grauen Streif im Osten? Bald wird er rot sein; bald ist die Sonne da. Die Kinder der Nacht haben dann keine Gewalt mehr über dich. Vertraue mir, meine Arme sind stark, ich trage dich. Laß uns leben und glücklich sein!‹ Sie aber dachte an ihren Eid, den sie dem Bösen geschworen, sie zögerte, bis die schwarze Hand sie faßte, und nun liegt sie dort unten in Ketten, klagt und weint, und der höllische Riese lacht und brüllt dazu.«

»Mag sie im Stillen klagen und weinen«, sprach Ilda mit fester Stimme, »das Bewußtsein muß sie zuletzt doch trösten, daß ihr Eid nicht gebrochen wurde.« – Und lauter setzte Jungfrau Ilda hinzu, indem sie ihrem Beschützer einen mahnenden Blick zuwarf:

»Es ist Zeit, lieber Henrik, daß du deine Ruder zur Hand nimmst, oder wir geraten in den Wirbel und werden darin zerschmettert.«

»Der Tod hat keine Schrecken für mich«, rief Sture aus. »Auch für mich nicht«, antwortete Ilda sanft, »doch ich will leben, weil es meine Pflicht ist, weil ich das Leben empfangen habe, um Gutes zu tun und keine Sünde begehen mag.«

Bittend, groß und tröstend schaute sie ihn an, doch ehe er etwas auf ihre letzte Rede erwidern konnte, hörten sie plötzlich über ihren Köpfen ein Gelächter, das Sture bis ins Mark ging. – »Beim heiligen Olaf!« rief ein Mann, der auf der Höhe des Felsens stand. »Es ist Ilda, die vor der Hexenhöhle umherschwimmt. Hierher, Gustav, komm herauf! Und wer ist das? Herr Sture, so wahr ich lebe!«

»Du bist es, Paul«, rief Ilda hinauf. »Wo kommst du her? Wo ist die Schaluppe?«

»Sie wird nachkommen«, antwortete der Schreiber. »Wir sind in Maursund ans Land gestiegen, weil die Fahrt ohne Wind langweilig wurde. Bitte, Herr Sture, legen Sie dort in der Bucht an und nehmen Sie mich mit. Gustav läuft wie ein Wiesel davon und voraus, ich aber bin von dem bösen Weg todmüde.«

Gehorsam lenkte Sture das Boot an die bezeichnete Stelle, leichtfüßig sprang der Schreiber hinein. Dann warf er Gewehr und Ledertasche von sich und, neben Ilda Platz nehmend, tauschte er mit seiner Verlobten und Sture die ersten Begrüßungen aus. Ilda forschte nach dem Verlauf der Reise und nach dem Aufenthalt auf Loppen, während der junge Däne kräftig ruderte.

»Bist du je auf der Insel gewesen?« fragte Paul die Jungfrau.

»Ich kenne sie nicht.«

»Beim Himmel, ein gesegnetes Plätzchen! Steile hohe Klippen ringsumher, an welchen eine grauenvolle See brandet. Eine einzige Stelle zum Landen und im Innern die Felsen furchtbar zerklüftet und zerspalten. Ich wollte einen Menschen in diesen Höhlen und Löchern zehn Jahre lang verstecken, und niemand sollte ihn finden.«

Die Gesellschaft langte bald an der Ufertreppe am Packhaus an. Als sie dann zusammen in der Wohnstube saßen, mußte Petersen ausführlicher über die Fahrt berichten, da Gustav, wie immer jetzt, mürrisch und in sich gekehrt war, und Sture, den er nicht einmal nach dem Zweck seines Besuches fragte, nur oberflächlich begrüßt hatte. – Die Schaluppe, die nach Petersens Aussage erwartet wurde, war mit Federsäcken gefüllt, denn in diesem Jahre war der Fang ungemein gut ausgefallen. Die großen Möwen, die Alken, die mancherlei Entengeschlechter, die Eisvögel, die nordischen Pelikane samt den unzähligen Tauchern, Seeschwalben und Lummen hatten reiche Beute geliefert. Paul erzählte in lebendiger Weise den gefährlichen Fang der Vögel auf den höchsten, steilsten Klippen, wo die Jungen in den Nestern gerupft, die Nester selbst ihres Federfutters beraubt und die Alten mit Stangen zu Tausenden in der Luft totgeschlagen werden. »Denn«, sagte Paul, »diese albernen Geschöpfe sind so dumm, in dichten Wolken laut schreiend ihre Nester zu umkreisen, statt ihre Hälse klüglich in Sicherheit zu bringen.«

»Es ist im Grunde ein unrühmliches Morden«, meinte Sture, »ich könnte keinen Gefallen daran finden. Besser ziemt es dem Mann, seine List und Kraft am Wolf, am Luchs, dem schnellen Renntier oder dem Bären zu versuchen.« Sture hatte diese Bemerkung ohne jede Nebenabsicht gemacht, die Gesellschaft jedoch fand darin eine Anspielung auf Petersens früheres Jagdabenteuer mit dem Bären und brach in ein fröhliches Gelächter aus. Der Schreiber stimmte klugerweise in die Heiterkeit auf seine Kosten ein, allein in seinen falschen Augen funkelte der Grimm und Hohn über die vermeintliche Spötterei. – »So wollen wir Sie denn das nächstemal nach Loppen schicken, tapferer Herr«, sprach er zu Sture gewendet, »damit Sie Ihren Widerwillen gegen die nordischen Vogeljagden überwinden lernen. Sie werden dort Gelegenheit genug finden, Mut und kaltes Blut zu beweisen und genießen außerdem die Bewirtung des wackeren Egede Wingeborg und seines Weibes Anga umsonst.«

»Wer ist Anga und wer ist Wingeborg?« fragte Sture ablenkend, um keine weitere Mißstimmung aufkommen zu lassen.

»Wingeborg wird sich morgen selbst vorstellen, wenn die Schaluppe kommt. Er ist von Helgestad zum alleinigen Herrscher auf Loppen eingesetzt, und ohne Zweifel verdanke ich ihm mein Leben, sonst wäre ich an den Felsen zerschmettert.«

»So warst du in Gefahr?« fragte Ilda.

»Ein wenig, aber Egede war mir nahe. – Du weißt«, fuhr er fort, »daß die Lummen in Felsenlöchern nisten, an senkrechten Wänden, oft tausend Fuß tief an der Klippe hinab und tausend Fuß vom Meeresspiegel hinauf. Da sitzen sie in tiefen Spalten zu vielen Dutzenden beieinander, und hat man die erste am Hals, so hat man sie alle. Die eine beißt die andere in den Schwanz, und die ganze Kette läßt sich so herausziehen. Solch ein Fang ist entzückend. Ein Seil von zwölfhundert Fuß Länge ist oben auf der Klippe über ein Rundholz; gelegt, auf einer Art Knebel sitzt der Jäger, unter ihm schwebt ein Korb, um die Vögel hineinzuwerfen. Sechs oder acht Männer lassen ihn so weit hinunter, bis er vor den Brutlöchern hängt. Kann er mit seinem Arm die Tiere nicht erreichen, so sitzt im Korb ein kleiner Hund, den schickt er in den Spalt, um den ersten Vogel zu packen und vorzuzerren, bis des Jägers Hand ihn fassen kann. Ist es soweit, so ist alles geschehen. Der Jäger zieht den Hund, des Hundes Zähne sitzen in dem Lummenhals, das übrige findet sich.«

»Nun aber«, fuhr er fort, »ist allerdings die Sache nicht ohne Gefahr. Die Männer oben werden nicht so leicht loslassen, obwohl es auch schon vorgekommen ist. Der Jäger wird sich an seinem Querholz festzuhalten suchen, wenn auch manchmal einer das Gleichgewicht verliert und den Hals bricht. Das Übelste aber bleibt es, wenn das Tau sich zu drehen anfängt und der Jäger wie ein Kreisel umherwirbelt, bis er im Schwindel sinnlos hinabstürzt oder den Kopf an irgendeiner Felsenkante zersplittert. – Und das wäre mein Los gewesen«, rief Paul, »hätte Egede mich nicht gehalten. – Ich hing an einer Klippe an siebenhundert Fuß Seil. Unter mir hatten zehn Mastbäume Raum, als ein Windstoß kam und ich zu drehen anfing. Anfangs lachte ich, dann fluchte ich, endlich schrie ich einen Todesschrei, denn um mich her wurde es schwarz, als plötzlich ein Mann am Seil herunterfuhr und mit seinen Beinen rechts und links auf dem Querholz stand, mir den Hakenstock aus der Hand riß, die Spitze in einen Felsenspalt stieß und mit einem Sprung auf dem Absatz der Klippe stand, nicht breiter als eine Hand. – Im nächsten Augenblick hatte er das Seil dicht herangezogen und hielt es fest, dann wandte er es behutsam hin und her und ließ sein rauhes Gelächter hören. Eine Minute darauf stand ich neben ihm, ich weiß selbst nicht, wie es kam. Wir gingen auf dem Grat fort, bis dieser etwas breiter wurde. Über uns die zersplitterte Wand, unter uns die glänzende See; schreiende Vögelschwärme um unsere Köpfe, mit Flügeln und Schnäbeln wütend auf uns losfahrend, und wir beide, mit Blut bespritzt, fangend und schlagend, bis alles still war. – Dann band Egede mich fest, gab das Zeichen und ich fuhr ohne ein Hindernis hinauf. Ihn selbst holten wir dann nach.«

Der Schreiber hatte mit solcher Lebendigkeit erzählt, daß selbst Sture nicht umhin konnte, ihm mit Teilnahme zuzuhören.

Lange noch flog die Unterhaltung hin und her, bis die menschliche Natur ihr Recht verlangte, und alle ermüdet die Ruhe suchten.

Am nächsten Morgen suchte Paul Petersen herauszubekommen, was den unbequemen Besuch denn eigentlich an den Lyngenfjord gebracht habe, und wenn auch Sture hierbei große Zurückhaltung bewies, so war der andere doch zu klug, um sich nicht bald aus den Antworten, die er hervorlockte, ein Bild von der Lage der Dinge zu machen. Mit heimlichem Vergnügen merkte er, daß Helgestads Pläne noch weiter vorgerückt waren, als er es gehofft hatte. Mit viel Teilnahme hörte er zu, erteilte guten Rat, und weil er ganz richtig schloß, daß Sture gerade das Entgegengesetzte von dem glauben würde, was er ihm anempfahl, unterstützte er lebhaft die Ansichten, die Olaf ausgesprochen hatte.

»Ich kann es mir vorstellen«, sagte er,»mit welchem Entsetzen der ehrliche Junge Ihre Arbeiten betrachtet haben mag, und wahr ist es, Herr Sture, daß wenige Leute im Lande sind, die Ihr ganzes Mühlenunternehmen nicht für abenteuerlich halten.«

»Sie scheinen jetzt dieser Meinung beizupflichten«, sprach Henrik geringschätzig.

»Früher dachte ich allerdings günstiger darüber als jetzt«, spottete der Schreiber.

»Nun, jedenfalls danke ich ein für allemal für Ihre gütige Belehrung.«

Ehe Paul Petersen durch weiteren Spott den Unmut des jungen Gaardherrn anfachen konnte, wurde durch einen Arbeiter die erwartete Schaluppe in Sicht gemeldet, und sämtliche Gaardbewohner eilten auf diese Nachricht hin dem Strand zu. Sture näherte sich als der letzte langsam dem Ausschiffungsplatz. Gleichgültig und in gedrückter Stimmung sah er der Landung zu, und erst nach einer Weile bemerkte er, daß ein großer, aber kurzbeiniger Mann mit ungeheuer langen Armen bei dem Schreiber stand, der die seltsame Erscheinung zu Ilda führte. Häßlich war der große Kerl mit seinem wirren, schmutziggelben Haar und seinen wulstigen Lippen genug, doch am häßlichsten waren seine Augen, die völlig verkehrt standen, so daß niemand wissen konnte, wohin er eigentlich sah.

»Hier, Ilda, ist Wingeborg, mein wackerer Freund Egede!« rief Paul lachend. »Ein ausgezeichneter Mann durch die Eigenschaften seines Kopfes und Herzens, wie seiner Arme und Beine. Was sein Herz betrifft, so können wir zwar nichts davon sehen, allein der Umstand, daß er die tiefste Abneigung gegen das unwürdige Geschlecht der Lappen hegt, mit keinem Angehörigen des schmutzigen Volkes Gemeinschaft hält und niemals erlaubt, daß einer der gelbhäutigen Renntierhirten nach Loppen übersetzt, um seine Herden dort zu weiden, beweist, daß er viel richtiges Selbstgefühl in sich trägt.«

»Höre, Sorenskriver Petersen«, erwiderte der Quäner, behaglich lachend und seine weißen großen Zähne zeigend, »von dem, was du sagst, verstehe ich wenig, aber ich danke dir dafür. Jedenfalls ist die Sache von mir und den Lappen richtig. Ich habe mit den gierigen Dieben mein Lebtag viel zu schaffen gehabt und rieche auf Meilen weit, wenn einer in der Nähe ist.«

»Und was du nicht riechst, teurer Beherrscher von Loppen«, versetzte Paul, »das wittern deine getreuen Begleiter. Wo hast du sie?«

»Hier«, sagte Wingeborg, indem er auf einen Sack deutete, der zu seinen Füßen lag, und den er ausschüttete, wodurch zwei kleine, gelbgefleckte Hunde zum Vorschein kamen, die so wunderlich aussahen wie ihr Herr. – Sie hatten wieselartig spitze Köpfe, kurze Füße, abgestutzte Ohren nebst merkwürdig langen Schwänzen und waren von großer Behendigkeit in allen Bewegungen.

»Seht da«, rief Paul, »die echte Rasse der Vogelfänger, denen die Natur eine Nase verlieh, wie sich deren kein Zollbeamter rühmen kann. Gebt diesen köstlichen, kleinen Schlauköpfen irgendeinen Schuh oder einen Tuchfetzen von einem menschlichen Wesen, mag es auch lange her sein, daß er ihn einst trug, wenn von dem Eigentümer eine Spur zu finden ist, werden sie ihn bald haben.«

Die beiden kleinen Hunde wurden Gegenstand neugieriger Fragen und Liebkosungen, und sie vergalten diese durch Freudensprünge und Schmeicheleien.

Während nun Egede bei der Schaluppe zurückblieb, um das Auspacken und Abzählen der Federsäcke zu überwachen, schritten die übrigen nach dem Wohnhause zurück.

Dieser ganze Tag war ein Freudentag, den jeder in seiner Weise mitfeiern half. Selbst Paul Petersen ließ es sich angelegen sein, liebenswürdig zu erscheinen und keinerlei Bosheit zu begehen. Nachdem er sich lange mit Helgestads Büchern beschäftigt und Auszüge daraus gemacht hatte, fand er sich nachmittags bei der Gesellschaft ein, die auf dem Grasplatz vor dem Gaard vereinigt war. Es schien jedoch dem Charakter des falschen Schreibers unmöglich zu sein, sich auf die Dauer bescheiden und anspruchslos unter Menschen bewegen zu können, und ein Umstand sollte ihm zustatten kommen, daß er seiner giftigen Laune von neuem die Zügel schießen lassen konnte.

Oben im Gebirge fiel plötzlich ein Schuß, dessen Echo von allen Felsen widerhallte, und während alle noch nach den klippigen Wänden hinsahen, erschien auf der Spitze Egede Wingeborg, der wie in wilder Flucht von Stein zu Stein sprang und nicht eher in seinem Lauf einhielt, bis er den Rand des Grundes erreicht hatte, wo der Gaard stand.

Der Quäner trug unter dem linken Arm einen seiner kleinen Hunde und in der rechten Hand hielt er seinen Schifferhut. Sein langes Haar flog ihm um das schweißbedeckte Gesicht, und in diesem zeigte sich ein Gemisch von Angst, Schrecken, Haß und einer unaussprechlichen Wut, die sich, als er die Entgegenkommenden erreicht hatte, in einzelnen Worten, Racheschwüren und heulenden Tönen entlud, wie sie ein wildes Tier hören läßt.

»Was ist dir geschehen?« rief Gustav aus.

»Da! Da!« schrie er, die Hand nach den Felsen aufhebend. »O Herr! Was ist geschehen? Tot liegt er, tot!« – Er stieß eine fürchterliche Verwünschung aus, schlug sich vor die Stirn, daß es krachte, und griff mit beiden Händen in seine Haare.

»Wer ist tot? Wer liegt tot?« schrien alle jetzt wirr und erschreckt durcheinander. Paul jedoch ergriff den halb sinnlosen Vogelfänger beim Arm und schüttelte ihn heftig. – »Sprich endlich wie ein vernünftiger Mensch«, sagte er in strengstem Ton. – »Ich denke, daß ich weiß, was dir geschehen ist. Da ist nur der eine deiner Hunde, du bist mit beiden fortgegangen – der andere ist tot?!«

Wingeborg nickte.

»Und der Schuß, den wir hörten, war auf deinen Hund gerichtet?«

»Dicht vor mir, keine zwanzig Schritte vor mir. O Herr, nie wird ein solcher Hund mehr geboren!«

»Wer hat ihn erschossen?« fragte Gustav.

»Ein Dieb, ein Räuber, ein Schurke, der von Renntierblut lebt!« schrie der Quäner in einem neuen Wutanfall. »Mit meinen Händen will ich ihn erwürgen!«

»Also ein Lappe«, sagte der Schreiber, »ich dachte es wohl. Hast du ihn gesehen?«

»Keinen Schatten von ihm! Ich stieg die Felsen hinauf, um Ausguck nach Helgestads Jacht zu halten, und schritt zwischen den großen Steinen fort, zwischen den Wasserrinnen kreuz und quer laufend. Meine Hunde waren vorauf, sie rochen nichts, während sie sonst jeden Lappen auf hundert Schritt wittern. Muß Satanswerk dabei gewesen sein! Plötzlich sehe ich den Hund auf ein solches Wassergerinn losspringen, höre ihn ein lautes Gebell erheben, und in demselben Augenblick kommt Blitz und Knall seitwärts hinter einem Block hervor, der wohl an achtzig Schritt davon lag. Bin ein Mann, der die Lappenschliche kennt und wußte jetzt, woran ich war. Im Gerinn vor mir steckte einer, hinter dem großen Stein ein anderer und Gott weiß, wie viele noch da waren. Gilf lag tot, er rührte kein Glied. Ich stieß einen Schrei aus, haha! Einen Schrei, den sie kennen, die verwünschten Schurken, nahm den anderen Köter auf und lief, was ich konnte. Hinter mir hörte ich ein Gelächter – sie lachten, die gelbhäutigen Wölfe, aber sie sollen zetern und heulen lernen wie Weiber!«

»Die Frechheit dieser Tagediebe wird jeden Tag ärger«, sagte Paul. »Aus nichtswürdiger Bosheit haben sie Wingeborgs Hund erschossen. Wer kann es gewesen sein? Als ich mit Gustav vom Maursund herüberging, sah ich in einem engen Talkessel einige Renntiere weiden, und ich müßte mich sehr irren, wenn ich nicht unter der spitzen Mütze des einen Hirten Mortunos diebisches Gesicht erkannt hätte. Sicher treibt sich der Schelm noch dort oben umher, und frech genug ist er dazu, uns zum Hohn solche Streiche auszuführen. – Wenn wir ihn fassen könnten«, setzte er mit bösem Blick hinzu, »sollte er in Tromsö an den Pfahl gebunden und gepeitscht werden, bis ihm das Fleisch von den Knochen fiele. Glücklicherweise haben wir für Verbrecher noch dergleichen Strafen im Lande, sogar die Tortur besteht noch in Kraft, wenn sie auch dort unten in Preußen der junge, schwärmerische König abgeschafft hat.«

»Wissen wir aber auch, ob es Mortuno war?« versetzte Sture, »ganz abgesehen davon, daß man wegen eines elenden Hundes wohl nicht von Tortur und Peitsche spricht.«

»Oder wissen wir, ob der Hund Gilf auch wirklich tot ist?« fiel Ilda ein.

»Was auch geschehen mag«, erwiderte Paul ärgerlich, »es wird dem Gesindel hier nicht an Fürsprechern fehlen! Laß uns hinaufgehen, Gustav, vielleicht gelingt es uns, den Burschen zu fangen oder wenigstens Zeichen zu entdecken, daß wir ihn zur Rechenschaft ziehen können.«

Von etlichen Fischern und dem Quäner begleitet, machten sie sich auf den Weg. Ilda ging ins Haus, Klaus Hornemann und Sture folgten langsam nach.

»Ich denke, diese Verfolgung wird vergebens sein«, sagte Sture, »denn wenn Mortuno wirklich den Hund erschossen hat, wird er nicht länger warten. Glauben Sie, daß er den Schuß abfeuerte?«

»Ich glaube es«, antwortete Klaus.

»Aber warum dieser Übermut?« fragte der junge Mann. »Haben diese verfolgten Kinder der Wüste noch nicht genug Haß und Feindschaft zu ertragen, daß sie zu neuen Rachegelüsten anreizen?«

»Bewundern Sie vielmehr den milden Sinn dieser rohen Hirten«, erwiderte der Greis.

»Mild nennen Sie das?«

»Ja, mild«, fuhr Klaus Hornemann fort. »Niemand hat so wie dieser Wingeborg die Lappen gequält, gemartert, Gewalttaten an ihnen begangen, sogar seine Hände in ihr Blut getaucht. Vor mehr als zwanzig Jahren kam dieser Mann hierher und siedelte sich am Lyngenfjord an. Damals weideten die Lappen ihre Tiere hier überall noch. Allein die Gaardbesitzer vertrieben sie aus ihrer Nähe, schossen in ihre Herden, schlugen unbarmherzig Frauen und Männer, die Diebe sein sollten, und stahlen deren Kinder unter dem Vorwand, Christen daraus zu erziehen, in Wirklichkeit aber, um sie zu Knechten und Mägden zu machen. Der grausame Vogt von Tromsö ließ jeden Lappen bis aufs Blut peitschen, der klagen wollte. Vom Lyngenfjord hat damals Wingeborg das unglückliche Volk, für welches es kein Recht und keinen Richter gab, vertrieben. Er war Hegestads Dienstmann und Pächter. Schon damals ein Vogelfänger von seltenem Geschick, hielt er Hunde, die nicht allein die Brutlöcher der Alken und Lummen spürten, sondern auch Lappen, gegen die sie einen eigentümlichen Widerwillen zeigten.

Sie fanden die Lappenhütte in dem verborgensten Spalt, jede Spur eines Lappenfußes witterten sie, und hinter ihnen war Wingeborg mit seinen Gefährten, die niederschlugen, was sie fanden. Mehr als ein Unglücklicher ist auf diese Weise umgekommen, und erst als die Greuel, die hier geschahen, nach Kopenhagen gelangten und die strengsten Befehle erfolgten, die Lappen fernerhin nicht anzutasten, hörte nach und nach die offene Gewalt auf. Von Untersuchung war freilich keine Rede. Helgestad schickte den Quäner nach Loppen, wo er seit zehn Jahren haust und seinem Herrn außerordentliche Vorteile erwirbt. Am Lyngenfjord aber haben die Lappen keine Weiden mehr. Sie kommen nur noch zu dem großen Herbstmarkt, der um die alte Kirche von Lyngen abgehalten wird, und kaufen von Helgestad, weil dies der mächtigste Kaufmann ist und seine Waren die besten und billigsten sind. Doch unvergessen leben die Grausamkeiten fort, und wenn es zuweilen geschieht, daß Wingeborg mit einem Lappen zusammentrifft, wird dieser sich davonmachen, so schnell er kann.«

»Nun denken Sie«, fuhr der Priester fort, »daß dieser Mann jetzt plötzlich hierher kommt und zwei seiner Hunde mit sich bringt, von denen die Lappen fest glauben, daß der Teufel selbst sie ihrem grimmigen Feind gegeben hat. Denken Sie sich, daß dieser Mann mit seinen höllischen Kameraden die Fjelden durchsucht, gerade wie damals, als er jeden Lappen halb oder ganz totschlug, den er erreichen konnte, und fragen Sie sich, ob es nicht von mildem Sinn zeugt, daß Mortunos Kugel nur den Hund, nicht den gottlosen Herrn niederstreckte.«

Sie hatten inzwischen die Stube aufgesucht, wo der Prediger sich in weiterer ernster Rede über das unglückliche Los seiner Pflegekinder erging, bis nach einer Stunde die Männer zurückkamen, die, wie vorauszusehen war, nichts gefunden hatten.

»Ich werde den Schelm schon fassen«, sagte Paul zuversichtlich, »und gebe dir mein Wort, Wingeborg, daß du deine Genugtuung haben sollst. Erlaubt sich das Gesindel dicht an unseren Türen solche Frechheit, so erlaubt es sich auch noch mehr. Ich werde der Sache streng nachforschen, und die Lappen sind viel zu schwatzhaft, um schweigen zu können. Nun aber laßt uns weggehen und fröhlich sein.«


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