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Fünftes Kapitel

Die Bergenfahrt

Als die Sonne aufging, spannte die ›Schöne Ilda‹ ihr gewaltiges Segel und schwamm, vom frischen Winde begünstigt, an der alten Kirche von Lyngen vorüber dem Meere zu.

Wir übergehen den Abschied, der mit manchem Händedruck und guten Wünschen begleitet wurde. Helgestad stand selbst am Steuer, sechs rüstige Seeleute führten seine Befehle aus, während Sture von der Brüstung des Verdecks aus den Zurückbleibenden seine Lebewohl zurief, bis die Jacht eine Wendung machte und der Gaard hinter den Felsen verschwand.

Die Reise ging rasch vorwärts, so daß bereits am Abend Tromsö vor ihnen lag, und am zweiten Tage darauf die Jacht dicht an den Fischplätzen auf den Lofoten ankerte, welche Sture vor drei Monaten im vollen Gewühl des Fanges sah. Jetzt war hier alles öde und leer von Menschen, aber die Felsen widerhallten von dem Geschrei der Meergänse und Alken, der Möwen und Taucher, die in unermeßlichen Schwärmen Klippen und Wogen bedeckten. Die Boote wurden ausgesetzt und die Fischgerüste untersucht, wobei sich Helgestads hartes Gesicht mehr und mehr zu einem spöttischen Grinsen verzog. Triumphierend deutete er auf zahlreiche Stangen, von denen viele umgestürzt waren, andere leer standen, oder von den Fischreihen, von denen sie bedeckt gewesen, nur vereinzelte Überreste zeigten.

»Hab's Euch gesagt«, rief er, »ist das Fischervolk ein nachlässiges und saumseliges. Je mehr der Herr ihm seinen Segen in den Schoß wirft, um so weniger versteht es, diesen zu benutzen. Seht, was Schneewehen, Stürme und Würmer angerichtet haben! Mehr als die Hälfte des ganzen Fanges ist verdorben, und wird deshalb der Fisch in Bergen um das Doppelte steigen. Und jetzt seht dorthin«, fuhr er fort, als das Boot den Klippen zusteuerte, auf welchen er seine eigene reiche Beute und Stures Kauf geborgen hatte, »hier fehlt kein Schwanz und keine Gräte, ist alles trocken und fest. Habt Glück, Herr Sture. Dürft hoffen, daß Euch auch alles andre gut gelingt.« –

Es würde die Aufmerksamkeit unserer Leser ermüden, wenn wir Schritt um Schritt genauen Bericht abstatten wollten, wie die Jacht durch die wunderbaren Irrgewinde dieser Felsenküsten steuerte. Es sei genug, wenn wir melden, daß nach zwölf Tagen die ›Schöne Ilda‹ einen Weg von mehr als zweihundert Meilen zurückgelegt hatte und das Glück ihrer schnellen Fahrt ihr so treu blieb, daß sie die Stadt Bergen, wo selten ein Tag ohne Regen vergeht, im schönsten Sonnenschein vor sich liegen sah.

Helgestads Jacht war jedoch keineswegs die erste nordländische, die in diesem Jahr den Weg hierher fand. Allein sie war das erste Fahrzeug aus den Finmarken, und kaum hatte sie den Hafen erreicht, als lang hallender Jubel sie empfing.

Die ganze Südseite des Hafens war eingefaßt von ungeheuren Speichern, während in der Mitte des Beckens die Schiffe aller Nationen lagen. Franzosen und Italiener, Spanier und Portugiesen, samt den zahlreichen deutschen Fahrzeugen, die auf die Ankunft der Nordlandflotte warteten.

Sture betrachtete vom Verdeck aus die Stadt und die Umgebungen. – Mit dem Mai war hier schon der volle Frühling eingezogen. Da lagen Gärten und blumige Auen, da lagen Landhäuser unter laubreichen Bäumen, da zogen Fruchtfelder sich die Hügel hinauf bis an die nackten Massen der Felsgipfel, auf deren Vorsprüngen die Forts Bergenhuus und Frederiksborg ihre weißglänzenden Mauern ausstreckten. Ein paar Kanonenschüsse fielen von der Hafenbatterie, bunte Flaggen wehten von den Häusern der Kaufleute und von den Masten der verschiedenen Schiffe, an deren langer Linie der große Bergenfahrer vorüberging, um seinen Platz an der deutschen Brücke einzunehmen. Überall gab es Tätigkeit, Matrosengesang an Winden und Kränen, Geschrei und Grüße aus den Booten, Willkommenruf von alten Bekannten, die samt Maklern und Kaufleuten von allen Seiten das Schiff erstiegen, Erkundigungen und Fragen, Gelächter und Glückwünsche.

Sture hatte sich von dem Getümmel etwas abseits gehalten, als sich seine Aufmerksamkeit auf einen kleinen, wohlbeleibten und in einen braunen Frack gekleideten Mann richtete, der, kaum an Bord erschienen, über die ausgespannten Seile auf Helgestad zuhastete, den er in der vertraulichsten Weise begrüßte. Sture hielt den Besucher, seinem sauberen, stattlichen Äußern nach, für einen reichen, wohlangesehenen Kaufherrn, und so war es in der Tat.

Ein langes Gespräch über Handel und Verkehr entspann sich zwischen den beiden Geschäftsfreunden. Der Berger Handelsherr kaufte sofort die Ladung Lebertran und zahlte den bisher notierten Preis, wollte aber unverzüglich die Ware nach Hamburg schicken, da bei dem großen Angebot ein Fallen der Preise zu erwarten war. Stockfisch und Salzfisch dagegen ließen außerordentlichen Gewinn erwarten, denn schon war die Nachricht verbreitet, daß ein großer Teil des Fanges verdorben und unbrauchbar geworden sei.

»Schaff so schnell wie möglich deinen ganzen Vorrat heran, Niels«, sagte der Berger Kaufmann. »Die Ware wird außerordentlich gesucht sein, und wir werden Preise machen können, wie seit langen Jahren nicht.« Hier schwieg er plötzlich still, wahrscheinlich durch einen Wink des Nordländers auf den in der Nähe stehenden Edelmann aufmerksam gemacht, und warf einen wenig freundlichen Blick auf den Zuhörer.

»Welchen Burschen hast du denn da mitgebracht?« fragte er Helgestad flüsternd.

»Tretet näher, Herr Sture«, antwortete Niels laut. »Mache Euch hier mit Herrn Uve Fandrem bekannt, ist ein werter Freund von mir und ganz der Mann, der Euch helfen wird.«

Er erzählte in seiner Weise kurz und bündig Stures Schicksal und Vorhaben, sprach von der neuen Handelsstelle am Balsfjord, und rühmte den jungen Ansiedler aus vollem Hals. Kopfnickend hörte Fandrem den Bericht seines Geschäftsfreundes an und faßte dann mit der Hand an seinen goldbetreßten Dreimaster, den er einen Zoll hoch lüftete. »Biete Ihnen mein Haus und meine Hand an, Herr Sture«, sagte er gemessen, »mache zwar sonst niemals mit jungen Anfängern Geschäfte, lasse jedoch hier, um meines Freundes Niels willen, eine Ausnahme gelten.« Er streckte seine Rechte hin, und Sture, welcher fühlte, daß in der Versicherung des Kaufmanns eine Bürgschaft lag, der er vertrauen durfte, schlug kräftig ein.

Ein Gasthaus gab es in Bergen nicht, obwohl die Stadt damals schon an 30 000 Einwohner zählte. Jeder Fremde, der hierher kam, mußte auf die Gastfreundschaft einer Familie rechnen. Die nordländischen Handelsleute wohnten bei den Maklern und Kaufleuten, mit denen sie in Verkehr und Freundschaft standen, die Schiffskapitäne blieben auf ihren Schiffen. So geschah es denn ohne beiderseitige Komplimente, als etwas Selbstverständliches, daß Uve Fandrem die beiden Nordländer als Gäste in sein Haus an der deutschen Brücke führte. Das alte Haus des Kaufmanns, so geräumig und stattlich es war, diente nur zum Winteraufenthalt. Beim Eintritt der guten Jahreszeit zog jeder, der es irgend tun konnte, in ein Landhaus, wie auch Fandrem eines besaß. Bergen war umringt von solchen Sommersitzen, die inmitten ihrer großen Gärten stattlich genug an den Bergabsätzen lagen.

Während Fandrem sich für eine kurze Weile zurückzog, teilte Helgestad seinem Begleiter mit, was er für nötig hielt. »Habe mit Euch noch nicht über Uve gesprochen«, sagte er, »wollte es erst an Ort und Stelle tun. Ist ein Mann, der fest auf seinen Füßen steht und sich überall sehen lassen kann. Ist Gildemeister und Ratsherr, und hat seine Schäfchen ins Trockene gebracht. Vor dreißig Jahren besaß er nichts. Tat mich damals mit ihm zusammen, da mir sein rascher Blick und kluges Wesen gefielen, und habe die Bekanntschaft nie zu bereuen gehabt, haben seit jener Zeit treulich zusammengehalten.« »Sie sind also Teilhaber an Fandrems Geschäft?« fragte Sture.

»Früher war ich's, ja!« antwortete Helgestad, die Augen zukneifend. »Habe aber einsehen müssen, und kann den alten Grundsatz bestätigen, daß ein Kompaniegeschäft nichts taugt, besonders wenn der eine am Lyngenfjord, der andere Hunderte von Meilen entfernt in Bergen wohnt. Kann dicke Handelsbücher nicht durchlesen, die langen Rechnungen nicht studieren, ist aber meine Sache nicht, einen andern die Zahl machen zu lassen und zuzusehen, was er mir geben will.«

Sture lächelte, denn es kam ihm in den Sinn, daß der schlaue Berger Handelsherr das Zahlenschreiben wohl noch besser verstanden haben mochte als der Nordländer in seinem Schuldbuch für Fischer, Quäner und Lappen. Helgestad merkte wahrscheinlich, was in dem jungen Dänen vorging, doch äußerte er sich hierüber weiter nicht, und berichtete nur soviel, er habe sich mit Fandrem seit langer Zeit schon insofern geeinigt, daß jeder vom andern so viel Waren entnehme, wie es ihm beliebe, sonst aber beide für eigene Rechnung arbeiteten.

Der Berger Kaufherr trat jetzt wieder zu seinen Gästen herein und führte sie in das Speisegemach, wo der Willkommentrunk gefeiert werden sollte. Es konnte nicht fehlen, daß schon bei dieser Gelegenheit die ersten Geschäftsabmachungen verabredet wurden. Hinsichtlich der Ladung der »Schönen Ilda« waren die beiden Kaufleute ja sowieso schon einig geworden. Helgestad forderte für Sture Kredit, und Fandrem war sofort bereit, dem zu willfahren. Der Besitzer des Lyngenfjord stellte Sture seine Jacht zur Verfügung, um alles Nötige für die Niederlassung am Balsfjord mitzunehmen, und versprach, ein Verzeichnis der betreffenden Waren zu entwerfen, während Fandrem seinerseits das Versprechen leistete, nur beste Ware zu liefern und die niedrigsten Preise dafür zu stellen. Das ganze Geschäft war mit einem Händeschütteln in einigen Minuten abgetan. Nachdem nun noch mehrere Gläser auf dauernde Freundschaft und gute Geschäftsverbindung geleert waren, forderte der Wirt seine Gäste auf, ihn nach seinem Landhause zu begleiten.

Sie schritten am Hafen hinab, als ihnen ein Offizier entgegenkam, der den städtischen Handelsherrn grüßte, dann plötzlich stehen blieb, und nachdem er auf Sture einen verwunderten Blick geworfen hatte, dessen Namen ausrief.

»Hermann Heiberg!« rief Sture dagegen.

»Ist es möglich!« sagte der Offizier, »du in Bergen, und in welchem Aufzuge? Der übermütigste Kavalier vom Hof zu Kopenhagen in nordländischer Friesjacke und in Gesellschaft des pfiffigsten, engherzigsten alten Wucherers an der deutschen Brücke«, setzte er leise hinzu.

Herr Fandrem war inzwischen mit Helgestad weiter gegangen, aber offenbar hatte der Anblick des dänischen Offiziers seine gute Laune gestört. Er warf einen verdrießlichen Blick nach rückwärts und zog seine Stirn in dichte Falten, als er bemerkte, welche Freude diese unverhoffte Begegnung bei Sture hervorrief. Die beiden jungen Männer folgten Arm in Arm und tauschten ihre Schicksale aus. Hermann Heiberg kommandierte eine Kompanie dänischer Infanterie, welche in Bergen in Garnison lag. Er hatte mit Sture gemeinsam in Kopenhagen gedient, war aber plötzlich nach Norwegen versetzt worden, das damals gewissermaßen als Verbannungsort galt. Diese Verbannung hatte der Einfluß eines Vorgesetzten bewirkt, über dessen ungerechtes Benehmen gegen ihn sich Heiberg höheren Orts beschweren zu müssen glaubte. Er wurde tief in das Innere des Landes geschickt, doch General Munter in Trondheim, dessen Wohlwollen er sich durch seine Tüchtigkeit bald zu erwerben wußte, nahm ihn zuerst unter seine Adjutanten auf, gab ihm dann die Kompanie in Bergen und versprach, ihn später bei erster günstiger Gelegenheit wieder in seine Nähe zu rufen. »Und darauf hoffe ich denn, je eher je lieber«, schloß der Offizier seinen Bericht, »denn wahrlich, für einen Mann von Bildung ist der Aufenthalt in diesem Herings- und Stockfischnest kaum zu ertragen. Aber jetzt sage mir endlich«, fuhr er fort, »wie du in diese Wüste geraten bist?«

Sture erzählte, und Heiberg hörte mit ungläubigem Erstaunen zu.

»Wie?« rief er endlich mit ausbrechender Lustigkeit, »du bei Lappen, Renntieren und schmutzigen Fischhändlern angesiedelt! Du ein sogenannter Kaufmann an deinem Balsfjord, der nach Bergen kommt, um seinen Kramladen zu versorgen?! – Bist du toll geworden, Henrik? Mancher hat sich schon einen Königsbrief verschafft, ihn zu Geld gemacht und seine Verhältnisse aufgebessert, aber er hat ihn wahrlich nicht auf deine Art benutzt.«

»Deine Spottpfeile prallen an mir ab, lieber Heiberg«, sagte Sture mit ruhigem Lächeln. »Ich werde deshalb doch der Kaufmann am Balsfjord bleiben. Ich habe mein Los erwählt, und weiß, daß ein hartes, arbeitsvolles Leben mir bevorsteht, aber ich werde wenigstens ein freier, unabhängiger Mann sein und bleiben. Niemand vermag meinen Entschluß zu ändern, er ist unerschütterlich!« »Das begreife, wer kann«, rief der Offizier erstaunt aus. »Ist es möglich, daß ein Mann deines Namens und Standes sich selbst zu solchem Elende verdammen kann?!«

»Frage jene nordischen Männer«, versetzte Sture ernst, »was sie unter Elend verstehen, und sie werden dich und dein Leben, das Atmen in staubigen Städten, die Abhängigkeit des einen vom andern elend und unerträglich finden. Ja, es ist wahr, ich werde Fische fangen und meine Jacht nach Bergen steuern. Aber ich hoffe, daß meine Mitbürger einst, wohin ich komme, mich mit Achtung aufnehmen, und alle rechtschaffenen Leute mir ihre Hand reichen werden. Habe ich dies Ziel erreicht, so sind alle meine Wünsche erfüllt, und niemals wird dann der Augenblick kommen, wo ich mich nach den schimmernden Königssälen der Hauptstadt zurücksehne.«

»Du bist dasselbe wackere Herz geblieben, das du immer warst«, rief der Offizier voll Rührung aus. »Wer weiß auch, ob du nicht recht hast, die Ansichten über Lebensglück sind ja bei jedem verschieden, und Hauptsache bleibt immer, sich auf dem Wege, den man einmal genommen hat, nicht irre machen zu lassen. Aber dort stehen schon deine ehrenwerten Freunde und Gönner auf der Berghöhe und winken ungeduldig. So geh denn hin, Henrik Sture, und labe dich an der Weisheit dieser geldgierigen Heringsseelen. Morgen suche ich dich auf. Bis dahin, leb wohl!«

Als Sture die Höhe erreichte, fand er den Ratsherrn allein, denn Helgestad war vorausgegangen. Seine Entschuldigungen wurden mit einem mürrischen Kopfschütteln beantwortet, und Fandrem sagte mißtrauisch: »Ich will Ihnen einen guten Rat geben, Herr Sture. Von dem rotröckigen, goldverschnürten und betreßten Soldatenvolk halten wir in Bergen nichts, und kann es Ihrem Ansehen als tätiger Bürger nur Schaden bringen, wenn Sie sich Arm in Arm mit solchem Herrn sehen lassen. Ein Kaufmann hat seinen Ruf aufs strengste zu wahren, die geringste üble Nachrede macht einen breiten Riß in seinen Kredit. Und nun«, rief er freundlicher, »kommen Sie, Herr! Dort liegt mein Haus. Seien Sie, so lange es Ihnen behagt, ein geehrter Gast in seinen Mauern.«

Der Tag wurde mit Besichtigung des hübschen, anmutigen Grundstücks, sowie der Herrlichkeiten und Kuriositäten hingebracht, welche die Schiffskapitäne der Kauffahrer in fremden Ländern gesammelt und dem angesehenen Handelsherrn als Geschenke verehrt hatten. Erst nach dem Frühstück am folgenden Morgen besprach man die Geschäfte von neuem. Die Jacht sollte heute noch völlig ausgeleert sein, und dann sogleich ihre frische Ladung aufnehmen. Am vierten Tag sollte Helgestad die Rückreise beginnen, und bis dahin war viel zu beschaffen. Alle für Sture bestimmten Vorräte mußten ausgesucht und verpackt werden. Der erfahrene Kaufmann entwarf den Bestellzettel, und es fand sich beim ersten Überschlag, daß die dafür zu zahlende Summe wohl achttausend Taler betragen würde.

Dagegen bot Sture seine Fische, die noch auf den Gerüsten am Vestfjord hingen, und es wurde abgemacht, daß sie bei der nächsten Fahrt an Fandrem geliefert werden sollten. Der Kaufmann bot ihm an, den Handel sogleich abzuschließen, und setzte für die Vog von 36 Pfund den Preis mit drei Species-Talern fest, ja, als Sture nicht dareinwilligen wollte, legte er aus freien Stücken noch einen Viertel-Taler zu. Aber auch jetzt konnte sich Sture nicht zu dem Geschäft entschließen, obgleich Helgestad dem Geschäftsfreund seinen ganzen großen Vorrat anbot.

»Mit dir«, sagte Fandrem zu Helgestad, »kann ich einen solchen Handel aus dem einfachen Grunde nicht eingehen, weil immerhin der Fisch bedeutend billiger werden kann, und ich dann bei deinen großen Vorräten einen sehr beträchtlichen Schaden erleiden würde. Mit dir kann ich deshalb nur an der deutschen Brücke abschließen, und zwar zu dem Wert, der an dem Tage besteht, wo du den Fisch in meine Hände lieferst. Ein weiterer bedeutender Unterschied besteht darin, daß ich deine Ware bar bezahlen müßte, während ich sie diesem jungen Manne, dem ich wohlwill, in Gegenrechnung stellen kann.«

»Deine Bedenken, Freund Uve, sind in jedem Fall berechtigt«, erwiderte Helgestad bedächtig, »und deshalb wollen wir nicht weiter von mir sprechen. Es ist möglich, daß der Fisch noch höher steigt, ist aber auch möglich, daß er viel billiger wird. An der ganzen Nordlandküste bis nach Trondheim hin ist viel gefangen und Salzfisch in Menge gemacht worden. Meine Meinung ist so: Wer es aushalten kann, mag es tun, wer aber nötig hat, sicher zu gehen, der soll froh sein, Herr Sture, wenn er sein Geld in so kurzer Zeit dreifach herausbekommt.«

»Nehmt meinen Dank an«, entgegnete Sture, »und seid beide versichert, daß ich Euren Rat mit der gebührenden Achtung entgegennehme. Es will mir jedoch nicht in den Sinn, daß Ihnen, Herr Fandrem, aus Ihrem wohlwollenden Anerbieten ein Schaden erwachse, und lieber will ich mit weniger Gewinn vorliebnehmen. Ich werde deshalb warten, bis mein Fisch auf der deutschen Brücke liegt, und will dann den Preis nehmen, der zu jener Zeit festgesetzt ist. Kommt ein Schaden, soll es mein Schaden sein, bleibt ein Vorteil, will ich ihn genießen.«

Fandrem sah Helgestad an, der mit einem Ausdruck von größtem Wohlgefallen Sture zunickte, während der Gildemeister sagte: »Jeder Mann muß wissen, was er tut. Abgetan also, zahle Ihnen den Preis, der bei Ankunft Ihrer Fische besteht.«

Bald darauf waren sie auf dem Weg nach der Stadt, wo sie am Hafen bei dem wundervollen Frühlingswetter die Arbeit längst in voller Tätigkeit fanden. Der Ratsherr führte die Gäste in seine Kontorstube, wo alle Rechnungen bereit lagen, und wo auch Sture die Verpflichtung eingehen sollte, nur mit Uve Fandrem in Bergen Handel und Verkehr zu treiben.

Das Kontor des reichen Kaufmanns war klein und düster. In einem Winkel standen die großen Handelsbücher in einem vergitterten Schrank. Ein schwerer, eichener Zahltisch stand in der Mitte des Raumes, hinter demselben arbeitete an einem Stehpult ein alter Buchhalter. Sture wunderte sich nicht über das geringe Personal. Er wußte, daß die Berger Handelsherren trotz ihrer bedeutenden Geschäfte weit mehr Aufseher und Arbeiter in den Magazinen, als Gehilfen in der Schreibstube gebrauchten. Aller übrige Platz im Kontor, sowie der Gang dahin, waren mit Kisten und Kästen, mit Fässern, Federballen und Seehundsfellen ausgestopft. Über die ganzen unteren Räumlichkeiten des Hauses war überhaupt ein eigentümlicher Duft, gemischt aus ranzigem Fett und angegangenem Fleisch, ausgebreitet, der auf höchst unangenehme Weise die Riechorgane eines Uneingeweihten beleidigen konnte.

Ohne weitere Entschuldigungen wegen dieser Gerüche, die nach der Meinung des Hauswirtes den angehenden Kaufmann überaus lieblich anmuten mußten, zog Fandrem seinen Kunden an das Schreibpult, wo er ihn die Kontrakte durchlesen und unterzeichnen ließ. Hierauf nahm Helgestad die Feder und stellte eine besondere Bürgschaft aus, durch welche er sich für den Betrag der Schuldsumme verpflichtete, die Sture an Waren im ersten Jahr von Fandrem erhalten würde.

»So brauche ich also noch einen Bürgen?« fragte Sture erstaunt und gereizt. »Ich dachte, für den Kredit, den ich hier in Anspruch nehme, sei mein Besitztum, sowie mein Wort und meine Ehre genügende Bürgschaft.«

»Wenn Ihr erwägt, Herr«, entgegnete Helgestad unerschütterlich, »daß hier in Bergen niemand weder Euch noch Euer Besitztum kennt, wenn Ihr bedenkt, daß trotz aller gehegten Hoffnungen Eure Pläne am Balsfjord immerhin fehlschlagen können, so müßt Ihr einsehen, daß sich ohne Bürgschaft nicht leicht jemand finden möchte, der Euch Kredit gewährte.«

Sture hatte Mühe, seine unbehagliche Stimmung niederzukämpfen. Er hatte gemeint, sich durch den ihm von Fandrem gewährten Kredit die Last der Verpflichtungen zu erleichtern, die er gegen Helgestad hatte, und sich durch die neugeknüpfte Verbindung nach und nach von dem Besitzer des Lyngenfjord unabhängig zu machen. Statt dessen fand nun das Gegenteil statt, und er mußte es mit ansehen, wie er immer tiefer in das Netz der Spinne geriet, deren Fänge er schon gierig nach sich ausgestreckt wähnte. Er blickte Helgestad ins Auge, und da es ihm schien, als lese er den Hohn über seine hilflose Lage in dessen Miene, überwältigte sein in hohem Grade erregtes Mißtrauen seine Vorsicht, und fast unwillkürlich stieß er die Worte hervor: »Nein, nein, schon genug habe ich Verpflichtungen gegen Euch, und mag dieselben nicht vermehren. Ich nehme in diesem Fall Eure Bürgschaft nicht an.«

»Gut, ganz nach Eurem Belieben, Herr! – Wißt ihr jemand anders in der Stadt, der für Euch gutspricht?« fragte Helgestad ruhig.

Diese Frage setzte Sture in Verlegenheit. Er mußte erklären, daß nur allein der Kapitän Heiberg ihm bekannt sei, und brachte dessen Namen etwas stotternd hervor.

Bis dahin hatte Fandrem stillschweigend und ohne sich einzumischen, der Verhandlung beigewohnt. Als jedoch jetzt sein neuer Kunde den Namen des dänischen Offiziers als seinen Bürgen nannte, schien ihm die Sache außer Spaß, und dröhnend schlug er mit der Hand auf den schweren Zahltisch. – »Dieser junge Windbeutel soll Bürgschaft leisten?« rief er. »Sagt, Herr Sture, wollt Ihr Euren Scherz mit mir treiben? Freilich, stolz genug spreizt der Kapitän die Beine, wenn er durch die Straßen schreitet ...«

Er konnte nicht weiter reden, denn in diesem Augenblicke ertönte eine helle Stimme aus dem Hintergrund, und gleich daraufzeigte sich im offenen Rahmen der Tür Hermann Heibergs schlanke Gestalt.

Für eine kurze Weile raubte die Überraschung über die unverhoffte Anwesenheit des Offiziers in seinem Hause dem Handelsherrn die Sprache; als jedoch der Kapitän ironisch äußerte, er glaube, daß bei seinem Eintritt von seiner werten Person die Rede gewesen sei, und bitte die Herren, sich in der Unterhaltung nicht stören zu lassen, fand Fandrem schnell seine Besonnenheit wieder, denn er war nicht der Mann, der so leicht den Mut verlor. »Ich weiß nicht, Herr«, begann er, »was Sie bewegen kann, mein Haus und meine Schreibstube aufzusuchen, da es aber geschehen ist, mag's drum sein. Ich kann meine Worte jederzeit wiederholen.«

»Ich habe sie zur Genüge verstanden, Herr Fandrem«, erwiderte der junge Mann stolz lächelnd, »und sehe ein, daß mein Wort für Sie keine Bürgschaft sein kann, da Ihnen dasjenige des Baron Sture, meines ehrenwerten früheren Kameraden, nicht genügt.«

»Kalkuliere«, sagte Helgestadt, sein eisernes Gesicht über den Tisch vorstreckend, »daß wir hier ein Geschäft abzumachen haben, Fandrem, das die Gegenwart eines Fremden nicht gut verträgt.«

»Denke ebenso«, meinte der Ratsherr.

»Kalkuliere«, äffte der übermütige Offizier die Sprachweise des Nordländers nach, »daß Ihr Euch nicht in Dinge mischen sollt, die mich angehen. Ich bin weder ein Kabeljau, noch ein unglücklicher Lappe, noch habe ich einen Königsbrief in der Tasche, und darf deshalb wohl darauf rechnen, Eurer näheren Bekanntschaft zu entgehen. – Sie, Herr Fandrem«, fuhr er in würdigem Ton zu dem Ratsherrn fort, »werde ich sogleich von meiner Gegenwart befreien, nachdem ich noch einige Worte mit diesem Herrn« – er wies auf Sture hin – »gesprochen habe. Sture«, wandte er sich zu dem Freund und legte seine Hand auf dessen Arm, »wenn du beschäftigt bist, so will ich nicht stören, höre nur dies: General Munter ruft mich soeben durch einen Kurier nach Trondheim zurück. Morgen schon muß ich Bergen verlassen, und da ich dich heute schwerlich noch einmal aufsuchen kann, so leb wohl, lieber Freund, wenn du es nicht vorziehst, mich zu begleiten.«

»Du weißt, Heiberg, daß dies nicht sein kann«, erwiderte Sture bestimmt.

»Ich dachte mir's wohl«, sprach Heiberg traurig, »denn ich kenne deinen eisernen Willen. Nun, so sei Gott mit dir allezeit und allerwegen. Er beschütze dich vor allen nordländischen Gaunern, und führe alle Fische des Meeres in deine Netze! – Herr Fandrem, ich bin bereit, Ihr Haus, dem ich allen Frieden wünsche, zu verlassen. Behalten Sie mich in gutem Andenken.«

Er drückte seines Freundes Hand und trat seinen Rückzug an, wobei er unbarmherzig mit den Füßen beiseite stieß, was ihn am schnellen Fortkommen hinderte.

»Laßt ihn laufen«, rief ihm Helgestad in verächtlichem Tone nach, doch sah man wohl an seiner finster gefalteten Stirn, wie er nur mühsam seinen Grimm niederkämpfte; wünsche nur, daß der Junker niemals wieder meinen Weg kreuzt, möchte sonst etwas schlimmer enden als heute. – Herr Sture« – der Kaufmann richtete seine Gestalt zu ihrer vollen Höhe empor und legte seine Faust schwer auf das betreffende Aktenstück –, »hier ist das Papier, und hier stehe ich. Erklären Sie sich jetzt, ob Sie meine Bürgschaft gelten lassen, oder ob Sie glauben, auf fremde Hilfe verzichten zu können.«

Man sah, hier galt nur ein Entweder und Oder. Der Kaufmann hatte offenbar seinen Entschluß gefaßt. Sture zögerte nicht länger, weiterer Widerstand wäre unnütz, ja gefährlich gewesen; so gab er denn seine Einwilligung, worauf Helgestad das bedeutungsschwere Dokument unterzeichnete. Als dies geschehen, ergingen sich beide Kaufherren nochmals in Beteuerungen, daß das Ganze nur eine Formsache sei, daß niemand daran zweifle, der Besitzer vom Balsfjord werde in Jahresfrist seine Zahlungen decken und dann offenen und unverbürgten Kredit haben. Allein Stures kluger Sinn sagte ihm gut genug, was von diesen Reden zu halten war.

Der ganze Tag verging jetzt damit, daß in Fandrems großen Magazinen die Waren besichtigt und ausgesucht wurden, welche die »Schöne Ilda« einladen sollte. Helgestad kaufte selbst mancherlei, vergaß dabei aber nicht, zu prüfen und zu probieren, was für Sture bestimmt war. Alle erhandelten Vorräte wurden dann sogleich durch die Arbeiter und Knechte an Bord der Jacht geschafft, wo die Schiffsleute das Beistauen besorgten, denn bereits am zweiten Morgen darauf sollte das Fahrzeug seine Rückfahrt antreten.

Am Abend dieses arbeitsreichen Tages gaben die Kaufleute den anwesenden Gaardherren und Kapitänen einen Schmaus in dem alten Turmsaal, wo einst Christian II., dieser grausame Feind des Adels, der ihn dafür im Kerker vermodern ließ, getanzt hatte. Diesmal wurde aber nicht getanzt. Die Damen von Bergen hielten sich von diesem Fest fern, dafür jedoch wurde bis in die Nacht hinein gezecht. Fandrem bediente seine Gäste mit solchem Eifer, daß er sich gegen Mitternacht von Sture nach Haus begleiten ließ, der froh, dem wüsten Gelage zu entkommen, für seine Enthaltsamkeit Spott über Spott erntete.

Helgestad kam erst, als der Morgen tagte, aber eine so unverwüstliche Lebenskraft lag in seinen festen Muskeln und Adern, daß er nach einer Stunde Schlaf schon wieder an seinen Geschäften war und nicht eher aufhörte, bis seine Jacht fertig in der Mitte des Hafens lag, um jede Stunde in See stechen zu können.

Der Abschiedstrunk mit Fandrem wurde an Bord gefeiert, und nach Entfernung seines Bootes gönnten sich die Schiffsinsassen noch einige Stunden der Ruhe. Kaum aber färbte der Morgen die höchsten Spitzen der Berge, welche die große Handelsstadt einrahmten, so drehten sich auch die Ankerwinden der »Schönen Ilda«, und bald darauf schwamm die Jacht mit der ersten Kühle unter der Hafenbatterie fort. Noch war alles still im Hafen; Halbdunkel lag auf der schweigenden Stadt, der Fjord stieß leichte Nebel aus, die an den Felsengestaden gleich flatternden Schleiern hinzogen. Die lieblichen kleinen Täler verbargen sich noch im Schatten der Nacht, und wie das große Fahrzeug mancherlei Bogen beschrieb, bald durch enge Wasserpässe lief, bald große Seebecken durchschnitt, weckte es das schlafende Meer auf, dessen flüsternde Wellen an die Planken pochten, als wenn sie fragen wollten, warum es seine Ruhe störe. – Helgestad in seiner wasserdichten, warmen Schifferkleidung stand am Steuer und lenkte die Jacht durch diese Labyrinthe von Felsen und Klippen. Dann und wann tat er einen scharfen Blick seitlings, um den Fortgang des Schiffes abzumessen, und dann wieder vorn hinaus, wo die Kirche von Hammer schon ihre Spitze zeigte und der Alesund sich vor ihm auftat. Hinter dem Fahrzeug, das unter dem Druck des leichten Windes rauschend die Wellen zerteilte, blitzte die Sonne auf die hohen Eiskuppeln am Hardangerfjord und schickte ihre Strahlen auf Wälder und kühne Felsmassen, deren Füße sich im Meere badeten, während ihre Köpfe in weißen Wolkenkappen steckten. –

Die Fahrt an Norwegens Küste geht fast immer zwischen den unzähligen Inseln und Felsengruppen hin, die aus den Umwälzungen der Natur übrig geblieben sind und jene wunderbaren Straßen und Sunde bilden. Zuweilen aber hören diese auf. Die Wogen des Atlantischen Ozeans und des Nördlichen Eismeeres rollen dann ungebrochen gegen das Festland und oft müssen die Schiffe viele Tage in irgendeinem Schlupfwinkel warten, ehe sie den gefährlichen Weg über das stürmische Meer wagen. Auch Helgestad wollte es anfangs nicht unternehmen, als am dritten Reisetag Staatenland in Sicht kam, dasselbe bei Nacht zu umschiffen. Da jedoch der Wind lind blieb, so entschloß er sich auf Zureden seines ungeduldigen Passagiers dazu, den es nach seiner künftigen Heimat verlangte. Doch stellte der Schiffer die Bedingung, daß beide die Stunden der Nacht bei einem Glas steifen Punsch zubrachten, damit er, wie er meinte, im Augenblick einer Gefahr sogleich bei der Hand sei, den Steuermann abzulösen.

Sture sagte zu und fand abends in der Kajüte den sauber gedeckten Tisch mit Speisen bedeckt, während auf dem Ofen der Teekessel brodelte, mit dem sich der alte Schiffer angelegentlich beschäftigte. Er war offenbar in bester Laune, schenkte, nachdem der Punsch fertig gebraut war, tapfer aus dem dampfenden Napf ein und spottete über Stures ernstes Gesicht, das nach seiner Behauptung aussah wie ein Eislager vom Kilgis.

»Nuh«, sagte er, »weiß nicht, was Euch plagt, muß aber schwer zu ertragen sein. Kommt zurück an den Balsfjord wie ein Mann, der an seine Tasche schlagen mag. Habt Eure Fische klug festgehalten, habt den richtigen Blick gehabt, bringt eine Jacht voll Ware heim, und steht Euer Haus wohl schon fix und fertig da, braucht Euch nur hineinzusetzen. Aber merke wohl«, fuhr er neckend fort, »ist Euch bange wegen des Alleinseins am Balsfjord, und müssen deshalb für eine Hausfrau sorgen. Wenn's uns nicht glücken will, muß Afraja, der verd... Hexenmeister, mit seinen Zaubertränken helfen. Ist's nicht so?«

Sture wurde durch diese Scherzreden aus seiner Schweigsamkeit geweckt. »Afraja!« sagte er halb gedankenlos, »ist allerdings der Mann, dessen Beistand mir erwünscht wäre.« Doch sogleich die Unbedachtsamkeit einsehend, die in diesen Worten lag, suchte er ein etwa keimendes Mißtrauen seines Zuhörers zu ersticken, indem er unbefangen fortfuhr: »Da wir beide zufällig den Namen ›Afraja‹ erwähnten, Herr Helgestad, so beantworten Sie mir eine Frage: Was denken Sie mit Gula zu tun, wenn Ihre Tochter das Vaterhaus verläßt?«

»Nuh!« erwiderte Helgestad, »denke, sie wird immer vorziehen, in meinem Hause zu bleiben, als in einer schmutzigen Lappenhütte zu sitzen.«

»Ich habe neulich einen Traum gehabt«, sagte Sture lächelnd, dabei aber einen festen Blick auf den Kaufmann werfend, »der, wenn Afraja wirklich ein Zauberer ist, mir gewiß von ihm geschickt wurde.«

»Will's nicht abschwören«, antwortete der Alte. »Ist mit den Träumen jedenfalls eine sonderbare Sache, kommen oft als geheime Zeichen in des Menschen Seele, und werden sicher von einer überirdischen Macht gesandt. Erzählen Sie mir Ihren Traum, Herr Sture!«

»Mir träumte«, sagte dieser, »daß ich am Balsfjord wohnte, wohl eingerichtet war und viele Arbeit hatte, aber auch voller Sorgen saß« – hier kniff der Zuhörer schlau die Augen zusammen, ohne jedoch den Erzähler mit einer Silbe zu unterbrechen. –

»Es hatte sich gefunden«, fuhr Sture fort, »daß die kleinen Täler umher alle fruchtbar waren, und viele Kolonisten konnten darin angesiedelt werden. Doch woran mir vornehmlich liegen mußte, den Urwald an der Bals-Elf nutzbar zu machen, das wollte mir nimmermehr gelingen. Damals ergab sich, daß die Bäume aus der Wildnis nicht fortgeschafft werden konnten. Der Strom mit seinen tiefen Fällen ließ sie nicht schwimmen, nirgends wollte eine Sägemühle passen, und nach einer Reihe nutzloser Versuche, die viel Geld kosteten, sah ich alle Mühen scheitern.«

»Ist einleuchtend genug!« rief Helgestad, spöttisch auflachend, indem er sein Glas leerte.

»Ich befand mich in einer bösen Lage«, fuhr Sture fort; »merkwürdigerweise schien es mir, als griffen von allen Seiten Hände nach mir, die mich einesteils in den Abgrund ziehen, andernteils zurückhalten wollten und mein ganzes Beginnen das eines Toren nannten. Ehe ich mich entschließen konnte, nach welcher Seite ich mich wenden sollte, hatten mich alle verlassen, und tiefe Finsternis herrschte um mich her. Da sah ich es plötzlich hell werden, und ich erkannte Afraja, der an meinem Bette stand, und dessen kleine Augen wie Feuer funkelten.«

»Ha!« rief der Kaufmann, der mit Interesse zuhörte; »braucht mir die Diebsaugen des Schelmen nicht zu beschreiben. Kenne sie!«

»Er grinste mich an und tanzte um mich her mit wunderlichen Sprüngen. ›Kannst dir nicht helfen?‹ rief er mit seiner heiseren Stimme. ›Wissen auch die Männer deines weisen, stolzen Volkes dir keinen Rat zu geben, he? Aber warte nur, Väterchen. Sollst dafür die Hilfe des verachteten Lappen haben; will dir zeigen, wie du die Sache angreifen mußt.‹ Und er führte mich zu einer Stelle, schwang seinen langen Stab, und plötzlich stand eine Mühle mit doppeltem Rad über dem Wasser. Dann winkte er in den Felsengrund hinab, und ich sah einen seltsamen Bau von Balken auf festen Stützen stehend, der von einer Quelle schlüpfrig naß gehalten wurde, und auf dieser Rinne schossen die Bäume blitzschnell von der Felsenwand hinunter, daß man sie ohne große Mühe auf das Sägewerk bringen konnte.«

»Ist ein sonderbarer Traum«, murmelte Helgestad vor sich hin, als der Erzähler eine Pause machte; »bringe aber das Ding nicht im Kopfe zurecht, gäbe was drum, wenn ich's könnte.«

»Vielleicht gelingt es mir, Ihnen die Sache klar zu machen«, versetzte Sture, »noch steht alles so deutlich vor mir, daß ich es mit Händen greifen könnte. Geben Sie einmal Papier und Stift aus dem Tischkasten, ich werde Ihnen die Einrichtung aufzeichnen.«

Gehorsam reichte Helgestad das Verlangte hin, und leicht konnte man an seinem Mienenspiel lesen, wie begierig er dem Kommenden entgegensah.

Sture zeichnete nun mit geübten, andeutenden Strichen das Felsental, die Bals-Elf und den Strom in der Schlucht. Dann von der schroffen Felswand hinunter einen künstlichen Bau, oder mit anderen Worten eine Holzrutsche, wie sie noch heutigen Tages viel in Bergländern angewendet werden, um Baumstämme von hohen Bergen leichter zu Tal zu schaffen. – »Seht hier«, sprach er erklärend, »hier werden die Bäume gefällt, von ihren Ästen befreit, und dann auf diese glatte, schiefe Ebene gebracht, in welche Wasser geleitet ist, damit das Holzwerk sich nicht erhitzt. In kalter Zeit mag es frieren, auf dem Eise werden die Bäume noch besser rutschen und wohlbehalten an diesem Punkte ankommen, wo die Sägemühle erbaut werden muß. Es ist offenbar die beste Stelle, denn sie liegt vor den Fällen der Elf, die von hier aus bis an den Fjord nur wenige Schwierigkeiten bietet.«

Helgestad hatte bald mit seinen Augen am Munde des Sprechers gehangen, bald mit gieriger Aufmerksamkeit die Zeichnung betrachtet. »Ist richtig«, sprach er jetzt, auf das Papier starrend, »kalkuliere, muß gelingen. War ein weiser Traum, Herr Sture, mag er gekommen sein, woher er will.« – Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und sah seinen Genossen lauernd an. »Seid ein kluger Mann«, rief er aus, »muß Euch loben. Seid ein treuer wahrer Freund, der mir nichts verschweigt. Ist's nicht so?«

»Jetzt aber«, fuhr er fort, indem er seine Uhr hervorzog und einen Blick darauf warf, »sollt Ihr noch ein Stündchen ruhen. Es ist bereits tief in der Nacht und der Morgen nicht mehr fern. Ich selbst will auf das Verdeck hinauf und das Schiff bis Tagesanbruch steuern. Gehabt Euch wohl!«

Er verließ die Kajüte, indessen Sture sein Lager aufsuchte, zufrieden mit sich und seinem Tun. Nicht umsonst hatte er das Traumgebilde erzählt; denn einesteils wollte er durch Darlegung seiner Pläne den Kaufmann in seiner Absicht bestärken, daß er das nötige Geld dazu vorschoß, andernteils Helgestad aber auch bemerken lassen, daß er eine Ahnung von dessen unsauberen Plänen hatte. Beides schien ihm gelungen.


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