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Sechstes Kapitel

Das Julfest

Bei fortwährendem schönem Wetter, über sich den klaren, blauen Himmel, unter sich die heitere See, lief das gute Schiff, die »Schöne Ilda«, während der nächsten Wochen seine Straße. Längst schon hatte es die Trondheimküste, sowie das Gebirge der sieben Schwestern, eine Anzahl abenteuerlich gestalteter Felsen, die am Eingang Nordlands Wache zu halten scheinen, hinter sich gelassen und steuerte nun schnell der Heimat zu.

Der Juni war gekommen, und je mehr nordwärts die Jacht gelangte, um so mehr wurden die Nächte zur Dämmerung. In der Nähe der Lofoten ging die Sonne kaum mehr unter den Horizont. Sie beschrieb einen Kreis am Himmel, und ihre Strahlen beleuchteten zu allen Tageszeiten die hohen Gletscher, bis endlich, als Tromsö vor den Reisenden lag, ein roter Schein an den Segeln und Mastspitzen haftete, eben als die Kirchenglocke Mitternacht schlug.

Und noch ein Tag verging und eine Nacht kam, ehe die »Schöne Ilda« in den Lyngenfjord steuerte. Die hohen Berge standen in einer langen leuchtenden Reihe, und im Hintergrund hob der Kilgis sein ungeheures Haupt, gleich einem weißhaarigen Riesen zwischen jungen Männern, empor, denn er allein trug um seinen Nacken noch einen glänzenden Schnee- und Eismantel. Die Mitternachtssonne stand wie eine große glutstrahlende Kugel über den Wellen des Lyngenfjord, die sie nun vier Wochen lang ununterbrochen widerspiegeln sollten. Wenn aber auch das Licht nicht erlosch, so lag es doch wie ein geheimnisvoller Schleier über der Natur, und ein tiefes Schweigen gleich dem nächtlichen lag über den Wassern. Die Vögelschwärme saßen still auf den Klippen und hielten die Köpfe unter den Flügeln versteckt; kein Geschrei war in der Luft, das Leben verkündigte. Und nur das Schiff mit seinen schlaffen Segeln, die dann und wann ein Hauch berührte, glitt, wie von Geisterhänden geführt, den Fjord entlang, bis bei einer Wendung die Kirche von Lyngen in Sicht kam. Vom Felsenturm flatterte eine große Fahne. Unten aber in der Bucht sah man viele Boote mit bunten Wimpeln und Kränzen von Birkenlaub und Fichtenzweigen an den Masten. Die Mannschaft auf der Jacht hatte die Jacken abgeworfen, war es doch so wohlig warm, als schaukelten sie auf den Wogen des Golfes von Neapel dahin – und indem sie freudig auf ihr heimatliches Gotteshaus schauten, schüttelten sie sich die Hände und riefen sich Glückwünsche zu, denn so rasch und wohlgeraten war selten eine Bergenfahrt verlaufen, und Gottes Wille hatte es gefügt, daß sie eben an dem Tage heimkehren sollten, der das Fest der Frühlingsfeier in diesem hohen Norden ist.

Oben in der Kirche saß jetzt die ganze Bevölkerung des Fjords und der Inseln beisammen, um in der heiligen Nacht, da die Sonne zum ersten Mal nicht untergeht, zu singen und zu beten, Gott zu preisen, und um ein gutes, gesegnetes Jahr zu bitten, dann aber bei Spiel, Scherz und Tanz frohe Stunden zu verleben.

Als das Schiff mit der Flutströmung den Landungsplatz unter der Kirche erreicht hatte, war nirgends ein Mensch zu erblicken, und verlassen lagen in langen Reihen die Boote da, unter denen der alte Schiffer am Steuer bald zu zufriedenem Kopfnicken seine größte Schaluppe mit dem Wimpel von Örenäesgaard herausfand.

»Kommen zur richtigen Zeit«, sagte er, »um das Julfest mitzufeiern. Los denn mit dem Anker, Kinder!«

Die ungeduldig dieses Befehls bereits harrende Mannschaft ließ sich ihn nicht wiederholen. Im Nu drehte sich die Winde, und bald rasselte der Anker in die Tiefe. Dann eilten die Leute hinunter, um sich mit ihrem Sonntagsstaat zu schmücken. Auch Helgestad verließ seinen Platz, und als er die Kajüte erreichte, fand er dort Sture bereits zum Fest gekleidet.

»Nuh«, schmunzelte der Alte, »habt, wie ich sehe, Eure Sachen schon in Ordnung. Liegen dicht unter Lyngens Kirche im hellen Sonnenschein, merkt aber kein Mensch etwas davon, als hätte ein Zwerg seine Nebelkappe auf die Mastspitze gesetzt, um uns unsichtbar zu machen. Sitzen alle in der Kirche.«

»Ist eine alte Sitte aus der Heidenzeit, das Julfest zu feiern«, sprach er weiter, indem er ein buntes Seidentuch um seinen Hals schlang. »Hat viel Blut gekostet, Herr Sture, ehe es in Norwegen aufhörte, und die Christenpriester es durchsetzten, daß das Julfest auf Weihnachten verlegt wurde.«

»So bedeutete das Julfest in alter Zeit die Frühlingsfeier?« fragte Sture.

»Ihr sagt es«, antwortete Helgestad. »War das größte Fest der Menschen, um den Allvater zu bitten, seinen Kindern gnädig zu sein, und hier haben wir es erhalten, indem wir es bloß nach christlichem Sinn umwandelten. – Nun aber kommt. Wollen ans Land und meine Kinder in den Betstühlen überraschen.« Er stülpte seinen Hut auf und schritt Sture voran in das wartende Boot, das mit wenigen Stößen an die Steinblöcke der Ufertreppe flog.

Die beiden Männer stiegen die Felsen hinan, indem sie es der Schiffsmannschaft überließen, ihren eigenen Weg zu gehen. Droben angelangt, entblößte Helgestad sein Haupt und faltete seine Hände. Das graugesprenkelte, flächserne Haar fiel ihm auf die Schultern, auch in seine harten Zügen drang das Himmelslicht und schien diese zu erweichen. Der gewaltige Mann mit all seiner List und Kühnheit beugte seine Seele vor einer unsichtbaren Macht, die auch den vermessensten Sterblichen erreicht.

Doch solche gesegnete, fromme Stimmung konnte bei dem kalkulierenden, habgierigen Manne nicht lange vorhalten! Er schielte nach Sture hin, der bewegten Gemütes auf das großartige Panorama ringsum schaute und sagte: »Ein glückversprechender Morgen. Ist's nicht so? Denke, wir treten einstweilen in die Vorhalle; können die unsrigen von dort betrachten, ohne daß sie uns merken. Kalkuliere, wird wohl mein guter Freund Ole Gormson bald seinen Atem sparen, besonders wenn ihm das auf die Predigt folgende reiche Opfer einfällt.«

Mit dieser unheiligen Spötterei war der alte Geist zu Helgestad zurückgekehrt. Er öffnete die niedrige Kirchentür und trat in den dunklen Raum hinter den Vorbau. Von hier aus konnte er Gemeinde und Priester sehen, und eine Falte zeigte sich auf seiner Stirn, als er statt seines guten Freundes Ole Gormson den Pastor Klaus Hornemann erkannte. Dann blickte er über die Versammlung, welche aus vielen wohlbekannten Gesichtern bestand, lange still auf seine Kinder hin, die beisammen in der Kirchenbank saßen. An Ildas Seite tauchte der rote Kopf des Schreibers auf, hinter ihnen ragte Olaf empor, und neben Gustav hatte ein Mann Platz genommen, der zu Helgestads angenehmer Überraschung kein anderer als der Vogt von Tromsö war.

So konnte denn heute noch alles in Ordnung gebracht werden, kalkulierte er sogleich, hielt aber in seiner offenbar angenehmen Betrachtung inne, denn drinnen wurde von der Gemeinde das Schlußlied angestimmt. Klaus Hornemann teilte darauf den Segen aus, und eben erhoben sich die Kirchenbesucher von ihren Plätzen, als Freudenrufe ertönten, denn die ersten, die den Vorraum erreichten, hatten den alten Helgestad entdeckt, und riefen dessen Namen, der in der nächsten Minute überall wiederholt wurde.

»Nuh«, rief der Kaufmann, »bin wieder daheim angelangt, liebe Freunde und Nachbarn! Habe Gott meinen Dank hier draußen dargebracht und habe gute Nachrichten für euch aus Bergen. Steigt der Fisch mächtig und wird steigen von Woche zu Woche. Wird auf vier Species die Vog kommen und darüber. Jetzt aber laßt mich meine Kinder sehen, habe sie lange entbehren müssen.«

Seinen Sohn und seine Tochter zu Seiten, stand er endlich draußen im Sonnenschein. Alle wollten seinen Handschlag und sein Wort. Die Sture kannten, drängten sich an diesen mit ihren Fragen und Glückwünschen. Hurras und Jubelgeschrei erschallten auch beim Anblick der Jacht, und geraume Zeit währte es, ehe eine gesammeltere Stimmung wieder Platz griff.

Sture war bald von Olaf Veigand in Beschlag genommen worden, der ihm viel von seiner Niederlassung zu erzählen wußte, und ihm mit der ehrlichen Herzlichkeit seines Wesens seine Freude ausdrückte, ihn wieder am Lyngenfjord zu sehen. Wie sehr stach dieser herzliche Empfang von dem Wiedersehen ab, das Sture von den beiden Kindern seines Gönners erleben mußte. Ilda reichte ihm kühl die Hand und hieß ihn mit einigen ruhigen Worten willkommen. Gustav aber gar wandte die Augen ab, als er ihm die Finger bot, und murmelte rasch etwas vor sich hin, das man mit viel gutem Willen allenfalls für einen Gruß nehmen konnte. Sture fühlte sich mit Recht über diese kalte Begrüßung verletzt und seine Mißstimmung wuchs, als er sah, wie fremde Familien, die er kaum einmal gesehen hatte, ihm mit Teilnahme entgegenkamen, ihn freundlich nach seinen Erlebnissen ausfragen und aufforderten, an ihrer Fröhlichkeit teilzunehmen. Er beherrschte sich zwar, beantwortete Scherz mit Scherz und stimmte in die allgemeine Lust mit ein, die rundumher herrschte; doch fühlte er es wie eine Erleichterung, als er sich durch einen Zufall außerhalb des Gedränges und wieder mit Olaf allein fand. Freundlich klopfte ihm dieser auf die Schulter und sagte, ihm scharf ins Gesicht sehend: »Braun und fest genug hat dich die Reise gemacht, Freund Henrik. Doch steht da auf deiner Stirn eine ernste, tiefe Falte, die von Sorgen in deinem Innern erzählt.«

»Und soll ich mich nicht sorgen, guter Olaf?« erwiderte Sture. »Würdest du es nicht auch tun, wenn du einer solch ungewissen Zukunft gegenüber ständest?«

»Es ist wahr«, versetzte der Nordländer bedächtig, »dein Los ist ein schwieriges, und ich möchte, offen gestanden, augenblicklich nicht in deiner Haut stecken. Allein du bist ein rascher, tüchtiger Mann. Dein Haus steht fertig am Fjord da. Die Jacht mit deinen Waren kann an deiner Türschwelle ankern, und wohl mag es dir glücken, wenn du deine Pläne beiseite wirfst, aus dem Urwald an der Bals-Elf Geld machen zu wollen. – Besser mag es dir glücken«, setzte er leise hinzu, »als mir!«

Sture schwieg zu diesem Bekenntnis. Endlich sagte er teilnehmend: »So hast du deine Hoffnungen vollkommen aufgegeben, mein armer Olaf?«

»Ich wäre schon längst fort«, antwortete jener düster, »wenn ich nicht dem alten Helgestad versprochen hätte, während seiner Abwesenheit Gustav zur Seite zu stehen; und wenn ich dir nicht zugesagt hätte, am Balsfjord dann und wann nach dem Rechten zu sehen.«

»Um so mehr muß ich dir danken, daß du meinen Vorteil gewahrt hast«, fiel Sture herzlich ein.

Olaf winkte abwehrend mit der Hand. »Es hat sich manches verändert, seit du fort bist, Freund Henrik«, sagte er. »Sieh Jungfrau Ilda an. So sehr sie alles zu verbergen weiß, was sie will, durchschau ich doch ihre Maske.«

»Und was erblickst du?« fragte Sture, an seiner Seite weiterwandelnd.

»Ich sehe, daß es in ihr dunkel ist; daß die Frühlingssonne, die jetzt am Himmel steht, ohne unterzugehen, ihr Herz nicht erleuchtet. – Sie war immer schweigsam«, fuhr er fort, als sein Begleiter keine Antwort gab, »aber sonst sprach ihr Gesicht, leuchteten ihre Augen. Jetzt ist der Glanz aus ihnen verschwunden. Ich höre ihre Stimme – und es tut mir weh. Ich sehe sie an, und wie ein Winternebel liegt es auf ihr.«

»Vielleicht ist sie krank«, sagte Sture.

»Im Gemüt, ja, doch niemand scheint es zu sehen, als ich allein«, entgegnete Olaf ungeduldig. »Sieh dorthin«, fuhr er ingrimmig fort, »da sitzt der Vogt von Tromsö, legt den Arm um Helgestads Schulter und flüstert in sein Ohr. Wende dich zu den Birken und betrachte den Schreiber, wie er mit Ilda geht. Noch heute hofft der häßliche, gierige Schelm den Ring an ihren Finger zu stecken, und noch ehe der Winter kommt, soll sie ihm nach Tromsö folgen. Sieh, wie die Alten sich die Hände schütteln, sie haben sich beredet und sind über die Bedingungen einig.«

»Und glaubst du, daß diese Verbindung Ildas Kummer ist?« fragte Sture sinnend.

»Was sonst? Die Jungfrau wollte ich sehen, die dem falschen Schreiber gern zum Altar folgte! Und nun gar Ilda! Meinst du, sie kenne den hinterlistigen Burschen nicht? Wüßte nicht, daß er aus Lügen und Ränken zusammengesetzt wäre? Nie würde ihr Finger ihn berühren, wenn's nicht so sein müßte, wenn nicht der Gehorsam gegen den Vater dem herrlichen Mädchen über alles ginge! Das sagt ihr Blick, ihre Stimme, das lese ich in jeder Miene. Du siehst nun wohl«, fuhr er leiser fort, »warum ich nicht gehe, obgleich sie mir noch gestern sagte, ich müsse nach Hause auf mein Gut nach Bodö, zu meiner alten Mutter, die sich um mich gräme.«

»Und Gustav?« fragte Sture zögernd, »weiß er dasselbe von Ilda, was du mir mitgeteilt hast?«

»Nein«, sagte Olaf, »Gustav kann nichts helfen, er ist bei aller Gutherzigkeit seines Vaters Sohn, und dabei jetzt ganz unter dem bösen Einfluß des Schreibers. Der weiß namentlich seinen Haß gegen das Lappenvolk zu nähren und immer von neuem aufzustacheln, und wenn ich auch selbst die schmutzigen Affen nicht leiden mag, so ist Gustavs Ekel und Haß doch fast närrisch. Ich war lange darüber im Zweifel, welche Absicht der Schreiber bei seinen Hetzereien verfolgte, denn ohne bestimmte Absicht tut der Bursche nichts, bis ich bei einer Plauderei, die ich belauschte, dahinterkam. Denke nur, es galt dir! Der Schreiber versucht, Gustav gegen dich mißtrauisch und unfreundlich zu stimmen, und schon ist es ihm gelungen, da Gustav weiß, daß du das verwahrloste Lappenvolk bei jeder Gelegenheit in Schutz nimmst. Freilich ahne ich nicht, worauf die ganze Sache hinaus soll. Daß der Schreiber dich haßt, geschieht um Ildas willen, soviel ist gewiß. Weshalb er aber Gustav auf seine Seite zieht, ist etwas, was mein einfacher Kopf nicht begreift.«

Sture sprach kein Wort, sondern schaute mit verschränkten Armen, ein bitteres Lächeln auf den Lippen, auf das sonnenbeglänzte Meer hinaus. »Wackerer Olaf«, murmelte er in sich hinein, »deine ehrliche Seele ahnt freilich nicht die Bübereien, die man mit mir vorhat. Ich kenne Paul Petersens Zweck um so besser. Gustav Helgestad muß mich hassen, damit, wenn sein ehrenwerter Vater das Netz über dem Fremdling zusammenzieht, der folgsame Sohn nicht etwa die Partei des Verlassenen nimmt. – Doch verrechnet euch nicht«, setzte er aufatmend hinzu, »allzuleicht soll euch der Schurkenstreich nicht gelingen!«

Er wandte sich um, da sein Begleiter von neuem das Wort ergriff. »Seit einer Woche erst ist Gustav wieder hier«, sagte er, »nachdem er drei Tage lang durch die Jauren bis zum Kilgis hinaufgelaufen ist, ich mit ihm und andere Männer mehr.«

Auf den fragenden Blick seines Genossen erzählte Olaf gleichgültig: »Das ist auch eine Neuigkeit, Freund Henrik, die dich in Erstaunen setzen wird. Das Lappenmädchen, die kleine Gula, ist davongelaufen, oder geraubt, oder sonst wie umgekommen.«

»Gula!« schrie Sture auf, alle eigenen Sorgen vergessend. »Ihr habt sie nicht aufgefunden?«

»Keine Spur von ihr. Ilda weinte, wie ich sie niemals habe weinen sehen. So machte sich denn Gustav auf, der seiner Schwester Betrübnis nicht ansehen konnte, und ich natürlich mit ihm, das Lappenmädchen zu suchen. Wir liefen durch die Sümpfe, bis wir den Hexenmeister, ihren Vater, fanden, der in den Kilgisjauren mit seinen Herden steckte.«

»Und sie war nicht bei ihm?«

»Er beteuerte mit tausend Schwüren bei Jubinal und bei Pekel, daß sein Auge sie nicht gesehen habe, und gab uns greuliche Verwünschungen auf den Weg. Trotzdem aber bin ich überzeugt, daß der alte Gauner ihren Aufenthalt kennt und sie selbst im Verein mit seinem sauberen Neffen Mortuno entführt hat.«

»Armes Kind! Arme Gula!« sagte Sture betrübt. »Warum mußte ich fort sein, gewiß, ich hätte dein Geschick zum Guten geleitet.«

»Du hättest nicht mehr wie wir tun können«, versetzte Olaf mit mißbilligendem Kopfschütteln, doch verschluckte er den Endsatz, da ihr Gespräch durch Helgestad unterbrochen wurde, der Sture winkte, und als dieser näher kam, ihm zurief:

»Sehe, wißt auch schon die Neuigkeit. Nun, will mir die gute Laune nicht verderben lassen an dem gesegneten Morgen. Mag die Dirne laufen und Renntiere melken, oder bei dem alten Hexenmeister Teufelstränke brauen, mir soll's recht sein! – Kommt und setzt Euch zu uns, Herr Sture, hier ist der Vogt, der Euch die Hand reichen will. Dürft sie ihm herzhaft drücken, auch ein freundliches Gesicht dazu machen, denn er und sein Neffe haben voll und ehrlich Euern Dank verdient.«

Der Vogt hatte sich inzwischen erhoben und kam dem jungen Ansiedler einige Schritte entgegen. Sein blauer Rock mit hochstehendem Kragen und Stickerei verkündete den hohen Würdenträger. Der kleine, dreieckige Hut, den eine breite Goldtresse einfaßte, saß majestätisch auf dem Kopf. Kniehosen von schwarzem Samt und blanke Stulpenstiefel vollendeten nebst dem spanischen Rohr mit großem Goldknopf die würdige Erscheinung. Als ehemaliger dänischer Offizier trug er den Danebrogsorden im Knopfloch. Seinen Körper hielt er militärisch aufrecht, und seine grauen Augen blickten energisch aus dem trotzigen Gesicht.

»Seien Sie willkommen, Herr Baron«, sagte er, seinen Hut lüftend. »Ich habe Sie lange vergeblich in Tromsö erwartet und freue mich, daß ich zufällig etwas in der Tasche habe, was ich im Gaard von Örenäes für Sie zurücklassen wollte.«

Sture wollte sich wegen des immer noch unterlassenen Besuches entschuldigen, doch der Vogt hielt seine Hand fest und zog ihn freundschaftlich neben seinen Sitz nieder, indem er ihm ein volles Glas reichte. Nachdem sie auf ihr beiderseitiges Wohl angestoßen hatten, zog der Vogt eine große lederne Brieftasche aus seinem Rock und händigte Sture ein Papier ein, rechtsgemäß ausgefertigt mit Unterschrift und Siegel, durch welches ihm das Tal der Balsfjord-Elf, die Nebentäler zu beiden Seiten samt Ufern in bedeutender Ausdehnung als freies Eigentum für ewige Zeiten übergeben wurde, mit Einschluß des Eilandes Strömmen an der Meeresküste vor Tromsö. Alles war genau und bestimmt abgefaßt, und Sture sprach dafür aus aufrichtigem Herzen seinen freudigen und lebhaften Dank aus.

»Meine Erwartungen sind mehr als erfüllt, werter Herr«, sagte er, »und der Besitz ist fast größer, als meine Wünsche reichen.«

»Der König hätte hier noch viel zu vergeben, was, in die rechten Hände gebracht, Seiner Majestät und dem Lande Nutzen schaffen würde. Meine Pflicht ist es und dafür bin ich hier, um die Würdigen auszusuchen, und so habe ich denn nicht gefragt, Herr Baron, ob das Stück zu groß sei, sondern gegeben, was gefordert wurde.«

»Sie haben alle meine Bitten erfüllt, Herr Vogt«, erwiderte Sture, »so erfüllen Sie auch noch die, mich einfach bei meinem Namen zu nennen. Ich habe den Baron in Kopenhagen zurückgelassen und will hier in meinem neuen Vaterland nichts weiter sein als Henrik Sture, der Kaufmann von Bals-Elf-Gaard.«

»Habt ein wackeres Wort gesprochen, Herr Sture«, rief Helgestad, »kalkuliere, wird mit solchen Grundsätzen alles unter Euren Händen wohlgedeihen.«

Auch der Vogt nickte Beifall. Es wurde angestoßen, und Glas auf Glas folgte, begleitet von guten Lehren und Wünschen. Sie saßen im Schatten der sanft wehenden Birken. Die Sonne stieg höher hinauf, und vor ihnen breitete sich auf dem grünen Platz ein lebensvolles Bild aus. Die jungen Männer und Mädchen sammelten sich auf einer ebenen Stelle zum Tanz. An anderen Orten bildeten sich Gesellschaften, die mit schweren, runden Steinen nach dem Ziel warfen; weiterhin knallten die Büchsen nach einer Scheibe, und Preise waren für die besten Treffer ausgesetzt. Lachen und Lust war überall.

Der Vogt hob nach einiger Zeit seinen Stock auf und deutete nach der Kirchseite, wo er seinen Neffen mit Ilda mitten in einem Kreis sah, der den Priester umringte.

»Ich wette einen Speciestaler gegen einen Hering«, rief er, »Paul bestellt dort sein Aufgebot. Es ist nämlich eine alte Sitte, Herr Sture«, fuhr er lachend fort, »die Brautpaare am Jultag auszurufen und vom Priester den Segen darüber sprechen zu lassen. Habe soeben auch mit Helgestad davon geredet. Ist ein stattliches Paar, meinen Sie nicht auch?«

»Ich kann nur Glück wünschen, soviel ich vermag«, antwortete Sture.

Helgestad war aufgestanden und zu seiner Tochter hinübergeschritten, mit der er nun samt ihrem Bräutigam, ihren Freunden und Nachbarn und dem würdigen, alten Priester, der sich mit Sture sogleich nach Beendigung des Gottesdienstes aufs herzlichste begrüßt hatte, zum Sitz des Vogtes zurückkehrte.

»Musik voraus und spielt das beste Stück, das ihr habt«, rief Helgestad, »dann dreimal rundum die Kirche der Zug, wie es alte, gute Sitte ist, und dann, Klaus Hornemann, waltet Eures Amtes und sprecht den Segen über das Brautpaar.«

»Ist es so, meine Kinder?« fragte der Greis. »Wollt Ihr in Leid und Freude einander angehören und treulich halten, was Eure Herzen in dieser Stunde geloben?«

Er blickte Ilda an, die neben Paul Petersen stand. –

»Ja«, sagte Ilda, ohne einen Zug ihres strengen Gesichts zu verändern.

»So kommt denn«, sprach Hornemann und führte Bräutigam und Braut rechts und links zu seinen Seiten. Die Verwandten und Freunde folgten, die Musik erschallte, Fahnen flatterten und Kränze von frischen Frühlingsblumen wurden auf die Locken der jungen Mädchen gesteckt. In der ersten Stunde des Morgens, als die Sonne hell strahlend am Himmel stand, verkündete Klaus Hornemann den Segen des Himmels über die Verlobten. –

Am nächsten Tage war der Gaard von Örenäes voll Gäste und voll Arbeit. Der Vogt war da und wollte ein paar Tage bleiben, um mit Helgestad nach Tromsö heimzugehen, denn der alte Kaufmann hatte sich entschlossen, sogleich noch einmal nach den Lofoten zu fahren, und seine Fische selbst nach Bergen zu bringen.

Schnell hatte die Jacht die Waren, die nach Örenäes gehörten, ausgeladen, dagegen viele andere Geräte und Stoffe unter ihr Deck gepackt, welche Sture von Helgestad kaufte, um seine Tätigkeit sogleich mit allem Nachdruck beginnen zu können. Der Ansiedler sehnte sich so schnell wie möglich fort. Sein Haus stand fertig, nun mußte er selbst Hand ans Werk legen. Helgestad rechnete mit ihm zwei ganze Tage lang, und so fand es sich, daß Stures Gesamtschuld zehntausend Speciestaler, mit Einschluß der verbürgten Schuld an Fandrem, betrug.

Dagegen sollte Helgestad die Fische von den Lofoten verkaufen und den Ertrag abschreiben lassen. Es ließ sich jedoch voraussehen, daß nach Abzug aller Unkosten dies kaum viel mehr als die Hälfte jener Summe decken würde.

»Hier«, sprach endlich der Kaufmann, indem er den Deckel seines Geldkastens zurückschlug und sechs lederne Beutel herausnahm, »sind die sechstausend Speciestaler, die Euch vorderhand zu Diensten stehen. Sind richtig gezählt, nehme die Verantwortung auf mich. Seid mir somit sechzehntausend schuldig, reichen diese nicht, so kommt zu mir, mögt Ihr meinethalben sechzigtausend fordern, so sollt Ihr keine vergebene Anfrage stellen.«

Sture wollte seinen Dank aussprechen, doch Helgestad schnitt ihm mit launigem Kopfschütteln das Wort ab und sagte: »Besser als aller Dank ist, daß Ihr die Augen offen behaltet, damit Ihr später nicht sagen müßt, daß andere klüger gewesen sind als Ihr. Und nun setzt Euch hin, hier an den Schreibtisch, und schreibt den Schuldschein mit einfachen Worten: ›Sechzehntausend Species, schuldig an Niels Helgestad in Örenäes am Lyngenfjord, gegen acht vom Hundert Zins richtig empfangen!‹«

Sture schrieb, ohne ein Wort zu sagen, und Helgestad steckte ebenso schweigend das Papier, nachdem er es durchgelesen hatte, in eine alte, braune Ledertasche zu andern Schuldverschreibungen und Dokumenten. Dann gingen die beiden Männer in die Warenhäuser, wo die letzte Hand an die Ausrüstung der Jacht gelegt wurde, und so verging der Tag, welcher der letzte sein sollte, den der Besitzer des Balsfjord hier verlebte.

Als er am Abend nach Hause zurückkehrte, traf er Ilda auf dem Vorplatz. »Ich habe dich erwartet«, sagte sie, »um mit dir noch einmal zu sprechen.«

Sie gingen über den grünen Platz, dessen Rand von Birkengebüschen besetzt war. Zwei Mädchen waren von Ilda für den neuen Gaard gemietet worden, um den Haushalt zu führen und einige Kühe und anderes Getier zu versorgen. Ebenso waren aus den Familien am Lyngenfjord junge Männer willens, Stures Untergebene zu werden, wenn er ihnen Hütte und Brot geben wollte.

Ilda erteilte guten Rat für die ersten Einrichtungen, bis endlich das Gespräch stockte, und beide, unter den frischen Gebüschen stillstehend, über den Fjord hinausblickten.

»Morgen«, sagte Ilda lächelnd, »wirst du diese Sonne am Balsfjord leuchten sehen. Mögen dann deine Wünsche sich erfüllen.«

»Und was soll ich dir wünschen, Jungfrau Ilda?« antwortete Sture. – Er ergriff ihre Hand, und seine Blicke hefteten sich ausdrucksvoll auf ihr Gesicht, aber er wagte nicht, ein Wort zu sprechen.

»Wünsche, daß es mir in Tromsö wohlgehe. Wenn du die Stadt besuchst, so vergiß uns nicht.«

Sie schwiegen von neuem, bis nach einem Weilchen Ilda sich umwandte und zu dem fernen Kilgis hinaufblickte, dessen Riesenhaupt ganz in Licht getaucht war. – »Das wilde Gebirge dort erinnert mich daran«, sagte sie, »daß ich mit dir von Gula sprechen muß. Du weißt, daß sie uns plötzlich verlassen hat, daß Gustav und unsere Freunde sie vergebens suchten.«

Sture nickte ihr schweigend zu.

»Wenn du am Balsfjord wohnen wirst«, fuhr die Jungfrau fort, »wirst du Gelegenheit haben, viele Lappen zu sehen. Auch Afrajas Herden weiden auf der Halbinsel, andere besitzt er, die bis an das Weiße Meer ziehen. Frage nach Gula, vielleicht gelingt es dir, sie zu sehen, oder wenigstens von ihr zu hören.«

»Weißt du denn, ob sie noch lebt?« fragte er.

»Sie lebt«, antwortete Ilda, und zog aus ihrer Tasche einen gefalteten Zettel. »Dies Papier fand ich gestern auf dem Tisch in der Bohnenlaube, wohin ich gewöhnlich frühmorgens gehe.« Sie reichte es Sture hin. – »Sorge dich nicht um mich, geliebte Ilda«, stand darin geschrieben, »es geht mir gut. Wie schön ist es hier! Alle Blumen blühen rot und blau. Die jungen Tiere kommen und lecken meine Hände. Duftende Birkenzweige neigen sich über mein Haupt. Ich zittre nicht mehr, meine Schwester. Gott ist gütig, seine goldene Sonne scheint auf mich, wenn ich am Bach mit dem schimmernden Wasserfall sitze und an dich denke. Denke auch du an mich, geliebte Ilda, und bete für mich!«

»Das liebe, gute Kind!« flüsterte Sture.

»Du siehst, ihre Gedanken sind bei uns«, sagte Ilda. »Einsam sitzt sie in der unermeßlichen Wüste, wo niemand ihr Sehnen versteht. Mit Blumen und Birkenzweigen ist ihr Haupt geschmückt. Weißt du, was das bedeutet? Sie soll einen Mann wählen, es ist Mortuno!« –

»Ich habe bereits mit meinem würdigen Lehrer gesprochen«, fuhr die Jungfrau fort. »Klaus Hornemann will Afraja aufsuchen, aber ich fürchte, seine Mühe wird vergebens sein, wenn du ihm bei seinen Nachforschungen nicht hilfst, so viel du vermagst. Afraja wird auch gegen den Prediger nicht aufrichtig sein, wird heucheln und lügen, und ihm Gula nicht ausliefern.«

»Will denn der Pfarrer das Mädchen ausgeliefert haben?« fragte Sture.

»Ja, wir haben alles reiflich überlegt. Gula soll in Trondenäes die Schule besuchen, dorthin will unser ehrwürdiger Freund sie bringen. Siehst du nicht, daß Tränen dies Blatt naß gemacht haben? Bemerkst du nicht, daß Afraja neben der Schreiberin stand und ihr die Worte vorsagte, die sie aufs Papier bringen mußte?« –

Sture schüttelte den Kopf, er war nicht der gleichen Ansicht wie Ilda. Wenn aber die Jungfrau auch wirklich mit ihren Mutmaßungen recht hatte, so konnte er darin, daß Gula sich in ihrer Heimat befand, kein Unglück für das Mädchen entdecken, da ihr Vater sie ja liebte und ihr in allen andern Dingen gewiß volle Freiheit ließ. – »Wenn Afraja seine Tochter durchaus behalten will«, sagte er deshalb, »welche Aussicht habe ich, sie aufzufinden und in ihr Schicksal einzugreifen?«

»Wenn du am Balsfjord wohnst«, entgegnete Ilda, »wird der alte, schlaue Mann dich bald aufsuchen. Er hat besonderes Vertrauen zu dir, du hast es zu erwerben gewußt.«

Sture errötete. Wie, fragte er sich, konnte die Tochter des Kaufmanns Kenntnis von seinen Begegnungen mit Afraja erhalten haben?

»Ein kluger Mann«, setzte Ilda hinzu, »weiß den Halm wie die Ähre zu benutzen. Er weiß aber auch, wie weit er gehen darf, ohne seine Gewissenspflicht zu verletzen.«

Sture fühlte seine Verlegenheit wachsen, denn Ildas Worte enthielten offenbar eine Warnung und Anschuldigung zugleich. Er konnte mit ihr nicht von dem Mißtrauen sprechen, welches die Handlungsweise ihres Vaters ihm einflößte, er war aber auch nicht gesonnen, ungereiften Verdacht auf sich haften zu lassen. Mit einem gewissen Stolz sagte er daher: »Ich danke dir für die gute Meinung, die du von meiner Klugheit hegst, und kann versichern, daß ich niemals etwas tun werde, was mir die Stimme meines Gewissens widerrät.«

Ilda hatte die Verletztheit des Gastes herausgefühlt und entgegnete in weichem, versöhnendem Ton: »So laß uns denn als gute Freunde scheiden, Henrik Sture, und niemals den Glauben verlieren, daß wir das Rechte tun nach unserem Erkennen.«

Sie reichte ihm zu festem Druck beide Hände hin und hiermit schieden sie.


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