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Viertes Kapitel

Am Balsfjord. Afraja und Mortuno

Henrik Sture erreichte ungefährdet den Lyngenfjord und wurde in Helgestads Haus mit der alten Freundlichkeit aufgenommen. Der Kaufmann selbst kam ihm bis zum Pfahlwerk des Packhauses entgegen. –

»Nuh«, sagte er nach dem ersten Willkommen, »habe die paar Tage Eurer Abwesenheit gut benutzt und tüchtig für Euch gewirkt. Habe ein Dutzend Zimmerleute und Arbeiter gemietet, die schon jetzt Bäume fällen und zurichten sollen, damit der Bau Eures Hauses im Hochsommer beginnen kann. Denke, treten nächste Woche unsere Reise nach dem Balsfjord an, nach dem schönen Balsfjord und nehmen das Land dort in Besitz kraft Eures Königsbriefes. Sollt das Plätzchen sehen, Herr Sture, wird Euch behagen. Nuh! sage nichts mehr.« –

Er wandte sich um und deutete auf seine neueste und größte Jacht, die am Packhause lag und tief beladen schien. »Seht dorthin«, fuhr er dann fort, »ist das Schiffchen bis unters Verdeck voll des reinsten, klarsten Lebertrans; hoffe diesmal der erste am Platz zu sein und einen guten Preis zu machen.« – Die Jacht sollte, sobald sie vom Balsfjord zurück waren, sogleich nach Bergen fahren, und unterwegs bei den Lofoten halten, um nach den Fischgerüsten zu sehen. Sture wurde aufgefordert, Helgestad auf dieser Reise zu begleiten, für seine Fische selbst Sorge zu tragen, und in Bergen den wichtigen Handel kennenzulernen. – »Habt dann Eure Lehrzeit durchgemacht«, sagte der Kaufmann, als sie dem Hause zugingen, »und mögt weiter für Euch sorgen, wie es Euch beliebt.«

Das augenblicklich herrschende, milde Wetter mußte genutzt werden, und so beschloß man denn, schon am zweitfolgenden Morgen nach der Ankunft des ungeduldigen jungen Ansiedlers die kleine Reise nach dem Balsfjord anzutreten. Es waren mancherlei Vorbereitungen dazu nötig, um auf einige Tage Vorrat zu haben, und deshalb wurden zwei starke Pferde mit Geräten und Lebensmitteln voll bepackt. Teilnehmer an dem Ausflug waren außer Helgestad und Sture Olaf Veigand und Paul Petersen, die beide um diese Vergünstigung gebeten hatten. Gustav hütete das Haus.

Schon am frühen Morgen ordnete sich die kleine Karawane zum Marsch über das hohe Fjeld, das den Ulasfjord vom Balsfjord trennt. Zwei Führer waren den Pferden beigegeben worden. Helgestad in seiner Lederjacke, den langen, spitzen Stab in der Hand, ging voraus, die jungen Männer mit Büchsen und Jagdsäcken machten den Schluß. Der Himmel war blau und rein, die Wände des Kilgis glänzten im Frühsonnenlicht, unter dessen Schein das hohe Fjeld nach und nach erklommen wurde, bis sie endlich nach einem langen und beschwerlichen Marsche an das hohe Ufer des Ulasfjord gelangten, der tief unter ihnen seinen schönen Wasserspiegel ausdehnte.

Hier wurde von der Gesellschaft frohen Sinnes ein Imbiß eingenommen, doch gestattete Helgestad nur kurze Rast und trieb zur Eile, wenn der Balsfjord vor Anbruch der Nacht erreicht werden sollte. Vor den Wanderern lag noch ein steiler Gebirgskamm, der überschritten werden mußte, und dessen Spitzen gewaltige Schneelager trugen. Rüstig stiegen sie den Felsensattel hinauf, der jäh und schneegefüllt manche Anstrengung kostete. Oben aber strömte den Ermatteten bald eine mildere Luft entgegen. Sie wehte aus dem Balsfjord herauf, dessen klarer Wasserspiegel zwischen grünenden Ufern sichtbar ward. Glänzende, schäumende Bäche stürzten milchweiß aus vielen Schluchten hervor, hohe Bäume begleiteten den südlichen Saum des Meeresarmes, an dessen Ende die Bals-Elf Elf ist die norwegische Bezeichnung für Fluß. sich brausend aus ihrem Tal ergoß. Wald wechselte mit Strom und kleinen Wiesengründen, bis endlich hoch hinaus im Osten und Norden sich die unermeßlichen schneeweißen Linien der lappischen Alpen mit den Wolken des Himmels vermischten.

Als endlich die schnell und roh aufgeschlagene Hütte an der tiefen Bucht des Fjord erreicht war, entdeckten die Nahenden eine Anzahl großer Baumstämme, welche bereits gefällt und von ihren Ästen befreit waren. Ein Dutzend rüstiger Männer kam nach und nach herbei und bewillkommnete den Besuch mit großer Freude. Während die Pferde untergebracht und die Körbe mit Lebensmitteln ausgepackt wurden, hörte Sture die Berichte der Arbeiter an.

Alle waren zufrieden. Niemand hatte sie gestört, und nur ein einziges Mal war ein Bär während einer Nacht an der Hütte gewesen, der sich aber beim ersten Lärm wieder in den Wald zurückgezogen hatte. Die Reisenden waren ermüdet und suchten bald die einfache Lagerstätte auf, indem sie gedachten, morgen mit Muße die Umgebung zu mustern.

Kaum daß die Morgensonne mit ihrem roten Licht die hohen Schneefelder einfaßte und die Nebel aus Wald und Tal jagte, so saßen auch die Genossen bereits beim Frühstück und gingen nach dessen Beendigung am Ufer des Fjord hin. Die Luft war scharf und erquickend, die Natur reich an großartiger Herrlichkeit, und Stures Herz fühlte sich wohl und leicht. Sein Gewehr in der Hand, vor sich den Wald, von keines Menschen Willen abhängig, tauchte ein Glück in ihm auf, das er zum erstenmal empfand.

Der Wald, welcher das Tal der wilden Bals-Elf bedeckte, war ein nordischer Urwald, den selten eines Menschen Fuß berührt und niemals eine Axt angetastet hatte. Jahrtausende mochten vergangen sein, seit hier die riesigen Bergfichten wuchsen, aus deren Moder nach und nach eine fruchtbare Erddecke erzeugt wurde. Sture hatte noch nie die Wunder eines nordischen Alpenstromes in solcher Pracht und Herrlichkeit erblickt, wie hier die Bals-Elf sie darbot, indem sie bald mit dem schönen Blau ihrer Gletscherwasser leuchtete, bald von Gischt und Flocken umhüllt in einen Abgrund gezwängt wurde, aus dem eine Wasserstaubwolke hoch aufwirbelte. Kaum konnte er sich von der Fülle dieser malerischen Bilder losreißen, um seinen Gefährten zu folgen, die ganz andere Dinge beobachteten. Während nun Petersen und Sture in die Tiefe des Tales vordrangen und die Bals-Elf verfolgten, ging Helgestad mit Olaf der Höhe zu, um einen freieren Punkt zu gewinnen, von dem aus sich das ganze Gebiet übersehen ließ. Der nordländische Grundbesitzer hatte wenig kaufmännischen Sinn, wenigstens nach der Meinung seines älteren Begleiters, denn die Benutzung dieser Holzschätze wollte ihm durchaus nicht recht einleuchten. Er bedachte die Schwierigkeiten sowohl als die bedeutenden Kosten, welche es machen müßte, um hier Bäume zu fällen und bis an den Fjord zu bringen, und meinte, daß es immer billiger bleiben werde, Holz aus dem Süden kommen zu lassen. Helgestad hörte still zu und schlug dann und wann mit seinem großen Stock an die mächtigsten Stämme.

»Gehörst zu denen«, sagte er endlich, »die erst sehen müssen, ehe sie glauben. Bin aber sicher, Olaf, daß binnen Jahr und Tag am Balsfjord Jachten beladen werden, die Bretter und Bauholz bis nach Nordland und selbst nach Holland bringen.«

»Es ist möglich, daß Ihr weiter seht als ich«, erwiderte Olaf kopfschüttelnd, »aber sicherlich werden viel Geld und große Mühen verwandt werden müssen, ehe Eure Pläne sich verwirklichen können. Am wenigsten darf aber dieser dänische Herr an so große und schwierige Spekulationen denken, denn wo sollte er den Narren finden, der ihm so bedeutende Summen vorstreckte.«

»Nuh«, sagte Helgestad pfiffig lächelnd, »dieser Narr werde ich sein.«

»Wie?« rief der ehrliche Olaf, »das wolltet Ihr wirklich tun? Verlockend mag es aussehen, doch ich warne Euch. Ihr seid der reichste Mann im Lande, aber auch in den Jahren, wo man an Ruhe denkt.«

Hier wurde ihr Gespräch plötzlich durch einen wilden Schrei aus der Schlucht unterbrochen. In der nächsten Sekunde folgten sich schnell zwei Schüsse hintereinander, deren Knall das Echo in den Bergen weckte, dann ein furchtbares Gebrüll und gleich darauf wieder der peitschenähnliche Knall einer Büchse. Rauch stieg zwischen den Fichtenkronen auf, ein Mann floh in größter Hast über den unebenen Boden und schrie im Laufen laut um Hilfe. Olaf sowohl wie Helgestad wußten sich sogleich ohne lange Worte den Vorfall zu erklären.

Der Nordländer rannte mit dem Gewehr in der Hand dem Schreiber entgegen, denn dieser war der Flüchtling, und als er ihn erreicht hatte, mußte er ihn mit Gewalt festhalten, da jener vor Angst und Schreck die Besinnung verloren zu haben schien. Petersen hatte seinen Hut auf der Flucht verloren, sein Haar flog ihm um den Kopf, und seine Augen blickten wild umher.

»Steh, Mann!« rief Olaf mit donnernder Stimme. – »Wo ist Sture?«

»Der Bär!« stotterte der Schreiber – »er hat ihn zerrissen.«

»Und du, Feigling, du läufst davon!« antwortete Olaf, ihn zurückstoßend. »Schande über dich!« Mit diesen Worten sprang er den Talrand hinunter, um dem verlassenen Freund zu helfen oder ihn zu rächen.

Mehrmals rief er mit aller Kraft Stures Namen und hörte endlich zu seiner Freude eine Stimme antworten. – Wo der Strom einen weiten Bogen machte, lag ein fast ebener, von drei Seiten durch zerklüftete Felsen umschlossener und von niedrigem Birkengestrüpp überwucherter Grund, in dessen Mitte Sture auf sein Gewehr gestützt stand. Zu seinen Füßen lag ein gewaltiger Bär in den letzten Todeszuckungen. Der wackere Olaf jubelte laut auf, und, in den Grund hinabspringend, eilte er auf den Schützen zu, dessen Schulter er mit warmer Heftigkeit schüttelte.

»Meiner Treu!« schrie er, »hattest den feigen Schreiber nicht nötig und wußtest mit der Kugel allein die Stelle zu finden, die das zähe Leben eines Bären erlöschen macht. Ist ein mächtiges Tier, wie ich noch keines gesehen habe.« – Er maß die Körperlänge des furchtbaren Wildes mit neuer Bewunderung und schrie nach Helgestad, der auch endlich in Begleitung Paul Petersens herankam. Der Schreiber entschuldigte sich, so gut er konnte. Er war mit Sture bis auf diesen Grund gekommen und näherte sich ahnungslos den Felsen, als er plötzlich dicht hinter sich ein tiefes Gebrumm hörte und umblickend den Bären gewahrte, der seinen gewaltigen Kopf aus dem Gestrüpp streckte, gleich darauf aber sich zum Angriff auf die Hinterbeine stellte.

»Ich griff nach meinem Gewehr«, sagte Paul, »und traf, wie ich glaubte, das Untier. Es stieß ein furchtbares Gebrüll aus, während ich lief, um Hilfe zu suchen, und Sture überließ, dasselbe völlig zu töten.«

Olaf lachte laut auf und erwiderte spöttisch: »Das hat er denn auch wirklich getan. Du aber bist wahrlich ein Held ohne Furcht und Tadel!«

Helgestad hinderte Streit und Vorwürfe, indem er der Klugheit des Schreibers recht gab, zugleich aber Sture allen Ruhm zusprach und sich in aufrichtigen Lobeserhebungen über dessen Tapferkeit erging. –

Man kehrte in leidlichem Einvernehmen nach der Hütte zurück und benachrichtigte die Arbeiter, die sich unter Jubelgeschrei auf den Weg machten, um die gute Beute vor Füchsen oder Wölfen in Sicherheit zu bringen. Nach wenigen Stunden schon kochte das Bärenfleisch im Kessel, und Sture wurde genötigt, sein Abenteuer nochmals zu erzählen und sich zu seinem Sieg Glück wünschen zu lassen. Nach Beendigung des Freudenmahles nahm Helgestad Sture unter dem Arm, und mit ihm vor der Hütte auf- und niederschreitend, schilderte er ihm nochmals alle Vorzüge dieser Niederlassung. »Hauptsache ist«, sagte er zuletzt, »daß wir uns jetzt sofort durch Paul Petersen die Besitzakte ausfertigen lassen. Gehört aber auch zum Fjord die flache Insel Strömmen, an der Meeresstraße dicht vor Tromsö, und diese wichtige Insel muß Euch mit verschrieben werden.«

»Ist das kahle Felsen-Eiland denn so wichtig?« fragte Sture.

»Denke so«, versetzte der Alte, fast unwillig den Kopf schüttelnd, »ist grade das beste Stück vom Ganzen. Könnt wohl bemerken, Herr, daß kein Schiff nach Tromsö kann, das nicht dicht vorüberfährt. Ist der beste Platz zu einer Niederlage, und habt damit auch den Fischfang im ganzen Sund.«

»Ich verkenne die Vorteile nicht, die das Land hier bietet, und muß Euch in den meisten Behauptungen beipflichten«, erwiderte Sture; »doch kann ich nicht leugnen, Herr Helgestad, daß ich noch verschiedene schwere Bedenken habe, die ein Zwiegespräch mit Olaf vorhin mir verstärkt hat.«

»Bleibt mir mit dem dicken Querkopf vom Halse!« versetzte der Kaufmann verdrießlich. »Kann mir schon denken, wo Euch der Schuh drückt. Meint das Geld, ist's nicht so? Seid aber deshalb ruhig. Habe zehntausend Speciestaler für Euch liegen, und kann mehr heranschaffen, wenn's nicht langt. Sollt sofort zehntausend haben, sobald wir von Bergen zurückkommen, verlange keine weitere Sicherheit als einen einfachen Schuldschein und die hier üblichen Zinsen von acht Prozent.«

»Euer Anerbieten ist großzügig«, entgegnete Sture zögernd. »Das Geld ist jedoch nicht mein einziges Bedenken. Ich weiß, daß die Regierung versprochen hat, den Lappen ihre Weiden zu erhalten, und gerade diese Fjorde und Halbinseln sprechen sie als ihr uraltes Eigentum an. Was wird der Gouverneur General Münter, was wird Klaus Hornemann dazu sagen, wenn wir das ohnehin verfolgte Volk von neuem berauben?«

Helgestad ließ ihn nicht weiterreden. Sein hartes Gesicht aufhebend, sprach er, zwischen den Felsentrümmern stillstehend: »Will Euch jetzt nicht drängen, müßt Euch aber bis morgen bestimmt entscheiden. Wollt Ihr Euer Haus am Balsfjord bauen, so legt Eure Hand fest darauf, und Niels Helgestad, der angesehenste Mann in den Finmarken, wird zu Euch stehen. Wollt Ihr nicht, so tut nach Eurem Willen und fangt Besseres an. Ich überrede Euch zu nichts. Überlegt Euch die Sache, und morgen sagt mir ein einfaches Ja oder Nein, sonst ist nichts vonnöten.«

Er schritt der Hütte zu und ließ Sture zwischen den Steinen zurück, die moosig und mit Gestrüpp umwuchert, wild durcheinander gewürfelt, das Ufer des Fjords bedeckten. Der Abend kam und brachte Nebel mit, der sich in schweren Ballen langsam über den Meeresarm fortwälzte und das letzte Tageslicht auslöschte. Dumpf und grollend schlug das Wasser über den Strand hin, an welchem der Junker in tiefes Nachdenken versunken stand. Mit der einen Hand bot Helgestad ihm alle Mittel, um Reichtum zu gewinnen, mit der anderen wies er ihn von seiner Tür, wenn er sein Geld nicht wollte. Die Vorteile, welche er ihm gezeigt hatte, waren keine Täuschung. Er begriff vollkommen, was dieser Besitz wert war, und dennoch sagte eine Stimme in ihm, daß alle rechtlichen Menschen ihn darum verdammen würden. Eine andere Stimme jagte sein Mißtrauen auf und trieb ihn endlich zu den halblaut ausgestoßenen Worten: »Es kann nicht anders sein, er hegt die Absicht, mich zu betrügen!«

Plötzlich fuhr er zusammen, denn hinter ihm sprach jemand fest und deutlich: »Jüngling, du sprichst die Wahrheit!« Jäh wandte sich der Däne um und erblickte nur wenige Schritte entfernt eine menschliche Gestalt, die auf einem Steine saß und von den dichten Nebeldünsten halb eingehüllt war.

Eine Weile lang betrachteten sich die beiden Männer schweigend. Sture zweifelte nicht, wer die greise Gestalt vor ihm war, die in ihrer Bewegungslosigkeit dem Steine ähnelte, welcher ihr zum Sitze diente. Der Nachtwind machte sein langes Haar flattern, und langsam wiederholte er mit ernster, eintöniger Stimme seine früheren Worte: »Du sprichst die Wahrheit, denn Niels Helgestad betrügt jeden, der in seine Hand fällt.«

»Afraja!« erwiderte Sture, »ich danke dir heute mein Leben. Du warst es, der den Bären tötete. Deine Kugel durchbohrte ihn, als ich ihn verwundet hatte. Ich kam mit der Absicht hierher, Besitz von diesem Landstrich zu ergreifen, allein nimmermehr will ich es jetzt tun. Ich werde nicht deine Rechte antasten, sondern dieselben vielmehr nach meinen geringen Kräften schützen.« Der Greis wiegte leise das graue Haupt. »Dein Herz ist mild«, sagte er dann, »du verachtest nicht die Kinder Jubinals. Ich wußte, daß Helgestad dich an den Balsfjord führen würde und erwartete dich, ich war bei dir, als der Bär dich bedrohte, und schützte dein Leben. Ich werde auch ferner bei dir sein und dich gegen deine Feinde schützen. Wohne hier in Ruhe und Frieden; denn gingest du, so würde die Geldgier bald genug einen Schlechteren hertreiben. Der Vogt von Tromsö und Niels Helgestad lassen jetzt nicht mehr von diesem Stück Land, sollten sie auch einen anderen Plan ersinnen müssen.«

Alles dies hatte Afraja in der dänisch-norwegischen Sprache geredet, in der er sich vollkommen auszudrücken wußte.

»Du hältst es also für sicher, daß der Kaufmann samt dem Vogt und seinem Neffen mir übelwollen?« fragte Sture.

»Dein Königsbrief«, versetzte der Greis, »ist ein zu kostbares Gut, um Helgestad und seine Genossen nicht lüstern danach zu machen. Seit vielen Jahren weiß er, daß der Balsfjord überreich an Holz und Fischen ist. Er hat dich in sein Haus genommen und wird dir sein Geld geben, damit du den Wald fällen und Handel treiben kannst. Doch du bist unerfahren, du wirst verlieren und in Not geraten. Das ist die Zeit, die er erwartet. Dann wirst du seine Hand fest geschlossen finden. Er wird dir seine Schuldbriefe zeigen und wird dich mit Hilfe des Vogtes vertreiben, der die Beute mit ihm teilt.«

»Ha, sprächest du die Wahrheit!« rief der junge Edelmann, indem er die Faust ballte. »Aber es ist möglich, ich selbst dachte schon Ähnliches.«

»Denke nicht«, fuhr der Alte fort, »daß Helgestads Kinder dich beschützen könnten. Sie werden dir sagen: Du hattest Augen und Ohren, du hörtest manches Wort und sähest manches Zeichen, warum warst du kein Mann, der fest auf seinen Füßen stand?« –

»Aber ich will fest auf meinen Füßen stehen. Beim Himmel – ich will! Ich brauche Helgestads Hilfe nicht.«

»Sei kein Tor und nimm sein Geld«, flüsterte der Lappe.

»Wie?« rief der Jüngling unwillig. »Ist das dein Rat, nachdem du mir soeben sagtest, wohin seine Hilfe führt?«

Afraja schwieg einen Augenblick. Seine Gestalt war inmitten der dunklen Steine kaum mehr sichtbar, und sein heiseres Lachen drang geisterhaft zu dem dänischen Herrn, der wild um sich blickte, als Helgestads Stimme in der Ferne seinen Namen rief.

»Nimm das Geld des gierigen Mannes«, flüsterte der Lappe noch einmal, »und vertraue auf Afraja, der dein Freund ist. Kommt die rechte Stunde, so will ich dir helfen und dir Schätze zeigen, wie sie noch nie ein Mann deines Stammes erblickte. Betrüge den Betrüger und sei mutig. Meine Götter, welche mächtiger sind als dein Gott, werden dir beistehen.«

»Alter Mann, lästere nicht!« rief Sture. »Wo bist du? Antworte mir!«

Er tappte umher, aber der Lappe war verschwunden. Ein Windstoß fuhr von den hohen Fjelden nieder, schüttelte das Gestrüpp und ließ die Wogen des Fjords aufrauschen. Da polterten Helgestads harte Sohlen über das Gestein.

»Holla!« schrie er, »wo bleibt Ihr, Herr? Steht da im Nebel und in der Dunkelheit, und ruft wohl die alten Nornen und Trollen an, daß sie Euch guten Rat erteilen sollen?«

Er lachte halb spöttisch, halb ärgerlich hinaus, indes Sture mit Fassung zu ihm hintrat.

»Ihr habt recht, Herr Helgestad«, sagte er voll bitterem Ernst. »Ich habe von den Geistern der Nacht den Rat empfangen, daß ich Eure Hilfe annehmen und am Balsfjord mein Wohnhaus aufrichten soll.«

»Und das war ein guter Rat!« rief der Kaufmann launig. »Ist also die Sache abgemacht, Herr, hier schlagt ein in meine Hand!«

Am nächsten Tag wurde der Rückweg nach dem Lyngenfjord angetreten, und spät am Abend traf die Gesellschaft wohlbehalten wieder in Örenäes ein, wo sie von Helgestads Kindern und Gula froh empfangen wurde. Sture durfte dort nicht lange der Ruhe pflegen, denn schon lag die Jacht bereit zur Bergen-Fahrt. Alle Vorräte waren eingeschifft, alles durch Gustav wohl verpackt und geordnet. – Sture hatte noch einmal mit sich Rats gepflogen und war entschlossen, den Worten des greisen Afraja zu trauen, denn soviel war gewiß, daß der Lappenfürst nicht gleich Helgestad eigennützige Absichten mit ihm haben konnte. So sah er sich in der glücklichen Lage, ruhig den Verlauf der Dinge abwarten zu können, und sein lebhafter Geist trieb ihn an, mit voller Energie das Gebotene zu benutzen. Helgestad hatte nicht unrecht, daß Gottes Gnade in diesen jungen Mann weit mehr Geschick zu einem klarsehenden Kaufmann, als zu einem guten Kammerjunker gelegt hatte, denn schon jetzt fühlte er eine Sehnsucht nach dem frischen Grün und dem prächtigen Wald der Bals-Elf. Tief träumte er sich in alle die Herrlichkeiten hinein, welche dort durch seinen Fleiß, sein schöpferisches Talent und durch Helgestads Species-Taler entstehen sollten. Er sah die Schneidemühlen schon in Tätigkeit, hörte die Holzfäller arbeiten, blickte in die kleinen Täler nieder, wo seine zahlreichen Kolonisten und Lehnsleute wohnten, und stellte sich seine Warenhäuser vor sowie seine Jachten und Boote, die den Fjord hinauf und hinab gingen, seinen stattlichen Gaard, der unter hängenden Birken lag, mit dem Gärtchen voll Reseda, Nelken, Levkojen, und endlich die reifenden Fruchtfelder im Schutz der gesegneten Bucht, als stehe das alles schon fix und fertig da. Sein Herz schlug rascher bei dem Gedanken, trotz seiner Feinde List und Macht diesen hartherzigen und prahlerischen Fischhändlern Achtung abzunötigen und sich nicht unterdrücken zu lassen. –

Ehe jedoch nun wirklich die weite Reise nach der großen Handelstadt angetreten wurde, sollte noch ein Vorfall das Einerlei der Tage im Gaard unterbrechen. Sture hatte mit Gustav am Tag vor der Abfahrt einen Spaziergang nach der Klippe angetreten, um nun, da der Frühling ins Land gekommen war, nach Ildas Plätzchen zu sehen und dasselbe für die Sommermonate säuberlich herzurichten. Seit jenem Tage, wo Gula ihn hierher geführt, hatte Sture seine Spaziergänge nicht wieder so weit ausgedehnt. Damals lag die Schlucht voll Eis, und die Berge waren dicht in ihr winterliches Kleid gehüllt. Jetzt trugen nur die hohen Fjelden, aus deren Mitte der hohe Kegel des Kilgis ragte, noch ihre langen, blendendweißen Schleppen. Die Sonne schien warm und freundlich auf die tiefen Buchten und Vorsprünge, junges Gras sproß in den Gründen und Felsenspalten, und das Plätzchen selbst war mit samtweichem Rasen bedeckt. Die kleine Arbeit war von den beiden Männern schnell getan, und nachdem sie sich noch eine Weile an der köstlichen Fernsicht ergötzt hatten, stiegen sie wieder den Felsenpfad hinab. Gustav sprach von der Jacht, von der Reise, von den Freunden in Bergen, und daß der Wind in dieser Jahreszeit gewöhnlich ein anhaltender Südost sei, der die günstigste und schnellste Fahrt verbürge, bis er plötzlich am letzten Vorsprung stillstand und auf den Gaard niedersah, in dessen Nähe sie sich befanden. Sture erriet sogleich die Ursache. Auf dem kleinen Vorplatz standen drei stark gebaute, hirschartige Tiere mit breiten, gabelförmigen Geweihen, die er ohne weiteres für Renntiere erkannte, obwohl er noch keine gesehen hatte. Auf ihren breiten Rücken lagen Packsättel, und die Schellen an den schlanken Hälsen klangen lustig herauf. Auf der Bank an der Tür aber saß Paul Petersen, und vor ihm stand ein Mann in einem braunen, wollenen Überwurf, einen breiten Gurt um den Leib, und mit einer hohen spitzen Mütze, die mit etlichen Federn geziert war, auf dem Kopf.

»Meiner Treu!« sagte Gustav nach einer kleinen Weile, »es ist dieser Schelm Mortuno, der Schwestersohn und Liebling Afrajas. Was will der häßliche, eingebildete Bursche hier mit seinen Tieren? Komm schnell hinunter, Freund Sture, wir müssen sehen, was es gibt. Umsonst ist er sicher nicht gekommen. Der Alte hat ihn hergeschickt, um nach Gula zu sehen.«

Er eilte voran, und als Sture den Platz erreichte, schallte ihm das laute Gelächter des Schreibers entgegen. – »Das ist etwas für Sie«, schrie ihm Petersen zu. »Hier haben Sie einen neuen Beweis für die ausgezeichneten Eigenschaften unserer Lappen-Brüder. Ich stelle Ihnen den jungen Herrn Mortuno vor, Neffen des weisen Afraja und liebenswürdigsten Stutzer aus den Bergen, der durch Glanz und Anmut sein ganzes Volk bezaubert.«

Der Lappe hatte sich nach Sture umgesehen und lachte zu den ihm erteilten Lobsprüchen. Sein Gesicht war allerdings, den Maßstab eines Nordmanns angelegt, häßlich zu nennen, und zeigte den echt mongolischen Rassen-Typus; aber sein Auge war klug, feurig und kühn, und jede seiner Bewegungen zeugte von Kraft und ungemeiner Gewandtheit. Seine Kleidung war sauber und mit Sorgfalt geordnet. Namentlich fiel Sture der bunte, reichgestickte Leibgurt, sowie eine daran hängende Tasche auf, die aus den Federn vieler seltener Vögel gefertigt und kunstvoll nach Farbe und Schattierung zusammengesetzt war. Seine Halbstiefel oder Komager vom feinsten Renntierleder zeigten dieselbe bunte Stickerei, wie der Gürtel. Sture konnte sich einer Vergleichung des stattlich ausschauenden Burschen mit den Gestalten der Umstehenden nicht erwehren, die sehr zu Mortunos Vorteil ausfiel. – Der riesenhafte Olaf in seiner kurzen Jacke und gewaltigen Fischerstiefeln, so wenig wie Gustav oder Paul Petersen im friesgefütterten Rock waren imstande, sich mit ihm zu messen, und schon in den nächsten Minuten zeigte sich auch, daß dieser verspottete Sohn der Wildnis sich vor den geistigen Fähigkeiten seiner Widersacher nicht zu fürchten brauchte. Ohne Verlegenheit gab er seine Antwort in norwegischer Sprache und vergalt Scherz mit Scherz in einer Weise, die Stures Beifall erhielt.

»Weshalb bist du aus deinen sumpfigen Birkenwäldern zu uns heruntergestiegen?« fragte endlich Gustav, als eine Pause in den gegenseitigen Scherzreden eingetreten war.

»Weil ich Sehnsucht nach dir hatte«, sagte der junge Lappe lächelnd, »und weil ich weiß, daß der alte Vater Helgestad es gern sieht, wenn ich komme«, fügte er hinzu, als er merkte, daß bei dem Gelächter der andern Gustavs Stirne finster wurde.

Es war zweifelhaft, ob sich der kecke Halbwilde wirklich herausnahm, die stolzen Nordmänner zu verspotten, aber Olaf legte seine markige Hand auf Mortunos Schulter, schüttelte ihn ein paarmal hin und her, und drückte zugleich die Federmütze auf dem Kopfe des jungen Lappen so unbarmherzig zusammen, daß sie diesem bis über Augen und Nase hinabfuhr. – Die rohe Gewalt dieses Spaßes erbitterte Sture, doch äußerte er kein Wort der Mißbilligung, da Mortuno selbst in das Gelächter mit einstimmte, das sich auf seine Kosten erhob. – »Danke dir, Herr, für deine Bemühung«, rief er unter einigen lustigen Verbeugungen, die aber, wie nur Sture merkte, ein wilder Blitz aus seinen Augen Lügen strafte. »Doch halt«, setzte er sogleich wie ablenkend hinzu, »da kommen meine Begleiter, und bringen die eingekauften guten Dinge.«

Zwei Lappen schleppten aus dem Kramladen des Kaufmanns jetzt allerlei Vorräte in Fäßchen und Körben herbei, die unter Mortunos Aufsicht auf die Packsättel seiner Renntiere geschnallt wurden. Zugleich trat Helgestad mit Ilda aus dem Hause.

Der Kaufmann sprach in freundlicher Weise mit seinem Kunden und ließ sich von ihm Neuigkeiten erzählen. Der junge Lappe berichtete, daß er sich mit einer Herde von mehr als zweitausend Renntieren aus dem Innern des Landes der Küste genähert habe, weil bei der ungewöhnlichen zeitigen Wärme des Jahres seine Tiere unruhig würden. Sture erfuhr dabei, daß das wanderlustige Renntier auf seinen Herrn einen tyrannischen Einfluß ausübt, denn sobald der Frühling kommt, verlangt das wanderlustige Geschöpf, um vor Hitze und Stechfliegen geschützter zu sein, nach der kühlen Seeküste und läuft davon, wenn sein Wille nicht befolgt wird. Dieselbe Sehnsucht aber treibt es beim Herannahen des Winters vom Meere in die eisigen Alpen zurück, wohin es entflieht, sollte sein Gebieter zu lange verweilen. Mortuno erzählte, daß der Schnee größtenteils geschmolzen sei, daß der Winter mild gewesen, daß die Birken junge Knospen trieben, und daß seine Herde fett und froh über frisches Gras springe.

»Aus Freude darüber«, sagte Helgestad launig, »hast du auch wohl die neuen Komager an deine Beine gesteckt und den bunten Gürtel umgeschnallt. Was aber«, setzte er hinzu, »willst du mit der hübschen Federtasche tun? Will sie dir abkaufen, Mortuno, gebe dir vier Species dafür.«

Sture blickte bei diesem Angebot erstaunt auf den berechnenden Kaufmann hin. Er wußte noch nicht und lernte erst später kennen, daß diese zierlichen Federarbeiten, welche bis auf die Märkte von Bergen gelangten und von dort oft nach London und Paris wanderten, sehr teuer bezahlt wurden.

»Ich will sie nicht verkaufen«, sagte der junge Lappe, während er die prächtige Tasche von seinem Gürtel losmachte und die kostbare Spielerei Ilda überreichte. »Gefällt sie der Jungfrau?« fragte er. »Sie ist sehr schön«, sagte Ilda.

»So nimm und trage sie. Der arme Mortuno bittet dich darum.«

Ilda war angenehm überrascht, noch mehr aber ihr genauer Vater. Ohne des höflichen Widerstandes seines Kindes zu achten, bemächtigte er sich ohne weiteres des Geschenkes und drückte seinen Dank dadurch aus, daß er den Lappen herzhaft schüttelte und ihm seine Flasche zu füllen gelobte, was Mortuno ablehnte. »Auch gut«, lachte der Kaufmann, »so machen wir es ein anderes Mal zwischen uns ab.«

Da Mortuno mit seinen Renntieren fertig war, gab ihm Helgestad noch einige lustige Abschiedsbemerkungen mit auf den Weg, die den Lappen zum Ziel eines wohlfeilen Spottes machten, von diesem aber anscheinend mit der bisher gezeigten guten Laune aufgenommen wurden.

»So zieh denn hin, Mortuno, mein Junge«, rief Helgestad zuletzt, »und komm bald wieder, bring aber eine neue Federtasche mit, sollst dieselbe Bezahlung dafür haben.«

»Ich hoffe dir noch manche Freude zu machen, Väterchen«, antwortete Mortuno unter dem schallenden Gelächter der Umstehenden, »aber sieh, meine Federtasche ist zerrissen und die Federn daran zerknickt.«

»Da oben fliegt ein Adler, hole dir neue«, rief Olaf. Mortuno faßte sein Gewehr, und seine Blicke zuckten nach oben. Die Rentiere und ihre Führer hatten sich auf den Weg gemacht und stiegen jenseits des Grundes an den Felsen hinauf. – »Lauf, was du kannst, ihnen nach, du Narr«, schrie der Nordländer,»und verknalle dein Pulver nicht.«

Statt der Antwort legte Mortuno seine Büchse an, im nächsten Augenblicke donnerte der Schuß, und kopfüber stürzte der Vogel aus der Höhe, fast zu den Füßen des Schützen herunter. Es war ein großer Fischadler, die Kugel ihm mitten durch den Körper gegangen. Das Gefühl der Bewunderung über solche Kunst und Sicherheit hatte ein allgemeines Schweigen zur Folge.

»Hätte ich es nicht gesehen«, sagte Olaf, »ich würde es nicht glauben, obgleich ich weiß, daß die Burschen schießen können.«

»Ich will dich zu meinem Leibjäger machen«, rief Petersen.

Mortuno hatte dem Adler ein paar der schönsten Schwungfedern ausgerissen und an seiner Mütze befestigt. »Gut, Sorenskriver«, grinste er, »ich will dein Jäger werden, nimm hier die erste Beute!« Und den Vogel gegen die Füße des Schreibers schleudernd, floh er mit einem gellenden Schrei seinen Gefährten nach.

Mehrere der Gaardleute machten sich an die Verfolgung, kehrten aber bald, die Nutzlosigkeit einsehend, wieder um, denn der Lappe sprang gemsenartig über die Steine fort und kletterte an der Schlucht hinauf, wo er nach wenigen Minuten seine Büchse schwenkte und sein Hohngelächter hören ließ.

»Der boshafte Affe!« zischte der Schreiber durch die Zähne. »Nun, er wird sicher einmal unter meine Finger kommen, wo ich ihm meine blutigen Strümpfe bezahlen will.«

Der tote Adler hatte Petersens Beine übel zugerichtet, und auf seine Kosten wurde darüber gespöttelt, bis endlich Helgestad die ganze Gesellschaft zur fröhlichen Abschiedsfeier ins Haus rief, denn mit dem ersten Tagesgrauen trat die Ebbe ein, und mit ihr sollte die Jacht den Fjord hinabschwimmen.


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