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7.

Der Kriegsrath war, als die Erbschaftsangelegenheiten endlich abgethan, in ein ruhigeres Gleichmaß seines Lebens zurückgekehrt, allein die alten Tage wurden doch nicht wieder daraus. Der Tod seines verehrten Freundes und Gönners hatte eine Lücke gelassen, die nicht wieder ausgefüllt werden konnte, der Verewigte hatte in sein Grab einen guten Theil der freudigen Lebenssicherheit mitgenommen, welche sonst alle Handlungen des Kriegsraths bezeichneten und so deutlich seinem Gesicht aufgeprägt waren. Die würdige Gestalt hatte sich sichtlich gebeugt, der klare Blick seiner Augen war getrübt, ein Zug von Unruhe und Leiden lag in den Falten um seinen Mund, und sein Lächeln schien nicht mehr so trostvoll ruhig und vertrauensmuthig.

Er hielt seine Geschäftsstunden sehr regelmäßig, ließ auch in seiner Theilnahme an den vielen Wohlthätigkeitsvereinen nicht nach, sondern zeigte sich darin möglichst noch eifriger, aber man sah ihn nicht bei einigen Jahresfesten verschiedener Gesellschaften, deren Mitglied er war, er kaufte keine Kunstsachen mehr, die ihm vortheilhaft angeboten wurden, und gab keine Mittags-Gesellschaften, wie dies sonst häufig der Fall gewesen. Der Tod des Geheimraths brachte alle diese Veränderungen mit sich; das sonst so gastliche Haus war leer, als täglichen Gast sah es nur den Finanzrath, der regelmäßig, wenigstens zur Mittagszeit, kam.

Die Leute im Hause überzeugten sich bald, daß der Finanzrath besondere Absichten haben mußte. Er benahm sich wie Jemand, der ein Recht dazu hat, sich allerlei Freiheiten herauszunehmen und zu commandiren, wo ihm dies so gefiel. Liebenswürdig war sein Benehmen nicht, aber er suchte doch gefällig und unterhaltend zu sein, und bei seiner Selbstzufriedenheit wurde es ihm nicht schwer, sich geltend zu machen.

Im Uebrigen besaß er Form und Vortrag. Er konnte anregen und hatte Gedanken. Wilhelm hatte nicht ohne Grund von ihm gesagt, daß er ein kluger und gewandter Kopf sei. Ueber den Kriegsrath übte er in kurzer Zeit eine gewisse Autorität aus, welche dieser sich ohne Widerstand gefallen ließ, gegen Julien war er geschmeidiger, weil er ihr zu gefallen wünschte und nicht recht gewiß war, wie weit ihm dies schon gelungen sei. Sie blieb allezeit so sanft und freundlich, wie er es wünschen konnte; allein Beweise ihrer besonderen Zuneigung hatte sie ihm noch nicht gegeben, was ihn im Stillen ärgerte und reizte, denn was er beabsichtigte, mußte ihr klar genug sein.

Eines Tages kam der Kriegsrath nach Haus und trat sogleich bei seiner Tochter ein. Er schien heiterer zu sein, und doch hatte er etwas Scheues in seinen Augen; es kostete ihm Ueberwindung, das auszusprechen, was er sagen wollte. Er begann damit, Julie mit Zärtlichkeit zu küssen, sich über ihr Aussehen zu freuen und ihr Schmeicheleien zu sagen.

Leisegang ist wohl heute noch nicht bei Dir gewesen? fragte er dann plötzlich.

Nein, lieber Vater, erwiderte sie.

Es entstand eine Pause, die er mit lächelndem Nachsinnen ausfüllte und dabei ihre Hand festhielt, bis sie ihn wieder anblickte.

Ich müßte mich irren, begann er dann, oder Du wirst ihn zu erwarten haben.

Eine plötzliche Blässe lief über ihr Gesicht; Hartfeld erschrak davor, sein Lächeln verlor sich.

Bist Du nicht darauf vorbereitet, mein Kind? fragte er.

Ja, erwiderte sie tonlos, und mit einem starren, langen Blick auf ihn setzte sie noch einmal ein leise hinsterbendes Ja! hinzu.

Nun denn, sagte er – wir haben schon einmal darüber gesprochen, Julie. Gott behüte mich davor, daß ich Dich je zu einer Heirath zwingen sollte, aber Du hast freiwillig Nein gesagt, als Frohlieb um Dich anhielt. Du hast damals gewählt, wie ich denke. Nicht wahr, mein Kind?

Ja, Vater.

Thut es Dir auch nicht leid? Ich glaube, es kann nichts sein, was Dich dazu bewegen könnte, allein noch steht Alles in Deiner Macht. Leisegang war bei mir auf der Kasse und sagte mir ins Ohr, er habe mit mir und Dir Allerlei abzumachen, wozu wir beide nöthig seien. Wenn Du ihn nicht sehen willst, Julie, so entschuldige ich Dich.

Das würde kindisch sein, Vater.

Aber Du ängstigst Dich.

Das thut jedes Mädchen, erwiderte sie mit schwachem Lächeln.

Er legte seinen Arm um sie und blickte auf sie nieder. Bleich und still lehnte sie sich an seine Brust. Das war kein glückliches Gesicht, keine Braut, die den Geliebten erwartet. Ein banger, väterlicher Kummer stieg in seinem Herzen auf, und vor seinen Augen schwebte ein feuchter Schleier.

Wenn es Dir zu schwer wird, sage Nein, meine arme Julie; sage Nein, mein Kind, flüsterte er ihr zu.

Ich werde Ja sagen – es wird Alles gut werden, erwiderte sie mit einer lebhaften Bewegung, und indem ein Strom von Blut in ihr blasses Gesicht floß, fügte sie hinzu: Ich werde Alles thun, um sein Herz zu gewinnen.

Das hast Du schon, mein Kind, das hast Du! erwiderte Hartfeld. Er ist Dir wahrhaft zugethan, und da kommt er – sei standhaft. –

Er lächelte, zog sie wieder in seine Arme, legte beide Hände an ihr Gesicht und blickte auf die Thür, welche sich eben öffnete. Doch eben so schnell gab er diese abwartende Stellung auf, denn der Hereintretende war Herr Daniel Frohlieb.

Sieh da, unser Vetter! rief der Kriegsrath. Das ist ja ein seltener Besuch, mein lieber Frohlieb. Ich hoffe nicht, daß irgend etwas Betrübendes die Ursache ist?

Er konnte allerdings so fragen, denn Herr Frohlieb schien zur Schwermuth geneigt zu sein. Wenn er sonst hier erschien, geschah es mit glänzenden Augen, heiterem Gesicht und liebenswürdigster Beweglichkeit. Jetzt stand er in seinem langen, blauen Frack feierlich ernsthaft, ohne die Hand auszustrecken, und machte eine unterthänige Verbeugung.

Allerdings sind es Ursachen, Herr Vetter, welche mich hierher bringen, erwiderte er, und wer hätte nicht Ursachen, welche sich zum Nachdenken eignen, insbesondere wenn er Kinder besitzt, die davon mitbetroffen werden.

Was ist mit Wilhelm geschehen? Wie geht es ihm? fragte Julie hastig.

Dieses ist es eben, fuhr Herr Frohlieb fort. Weil nichts mit ihm geschehen ist, was nach unserem innigen Wunsche mit ihm geschehen sollte, darum komme ich zu Ihnen, Vetter Hartfeld.

Der Kriegsrath zuckte traurig mit den Schultern.

Mein lieber Frohlieb, sagte er, Sie werden uns Allen keine neuen Schmerzen machen wollen. Ich habe das Beste beabsichtigt, Wilhelm wird Ihnen mitgetheilt haben – laß uns allein, mein Kind.

Durchaus Alles mitgetheilt, fiel Herr Frohlieb ein, und eben deswegen, Herr Vetter, sagte ich zu der Mama, ich muß zu diesem Kriegsrath gehen, um ihm zu erklären, daß es seine Pflicht ist, jetzt meinem armen Jungen und uns Allen zu helfen.

Hartfeld schüttelte ihm in herzlicher Weise die Hände.

Wie gerne thäte ich es, wenn es in meiner Macht stände. Ich hoffte, lieber Frohlieb, allein – hier ist Julie. Da es so sein muß, wenden Sie sich an sie. Sie hat über ihre Hand entschieden und noch zu entscheiden. Ist es ihr Wille, Wilhelm noch jetzt zu wählen, so habe ich nichts dagegen einzuwenden.

Bitte! rief Herr Frohlieb, indem er sich bestürzt schwenkte, die Sache ist abgemacht, und mein Wilhelm weiß, was er sich schuldig ist, wenn eine Dame sagt: Ich danke Ihnen für gütige Nachfrage. Auch weiß er, wie sein Freund Leisegang darüber denkt, somit ist es das nicht, was ich meine, Herr Vetter; aber wegen der Betrübniß meines Wilhelms komme ich als ein sorgenvoller Vater, und da ich weiß, was er von Ihnen hält, und unsere große Hochachtung noch übertrifft, so sagte ich zu der Mama: Ich werde zu unserm lieben Vetter gehen und ihm die gehörigen Gründe klar machen. Er hat die Suppe einbrocken helfen, also kann er auch mitessen. Seiner großen Einsicht mußte eigentlich niemals die Wahrheit verborgen bleiben, er mußte nicht kommen und sagen: Dieser Wilhelm darf nur anklopfen, so wird ihm aufgethan. Bitte, theuerster Vetter, lassen Sie mich ausreden, ich bin gleich fertig. Also, sage ich zur Mama, wäre dies nicht gewesen, wäre Wilhelm sogleich abgewiesen worden, so hätte er Thereschen geheirathet. Es war beinahe so weit, aber es änderte sich Alles, wie Fräulein Julie wiederkam. Es wußte Keiner warum, aber er wurde ein anderer Mensch, und indem wir dachten, diese liebenswürdige Wittwe ließe ihn weder essen noch schlafen, sahen wir plötzlich, daß er einen ganz andern Gegenstand in seinen Augen hatte, der nichts von ihm wissen wollte.

Herr Frohlieb schüttelte dabei den Kopf und hob seine Hände bedauerlich auf, indem er Julie anblickte, die bei seiner Erzählung erröthete und ihr Gesicht abwandte. Gleich darauf aber kehrte sie sich entschlossen wieder zu ihm und sagte sanftmüthig bittend:

Vergeben Sie mir! Ich bin schuldig! Ein Irrthum, aber ach! ich kann nicht anders.

Versteht sich! rief Herr Frohlieb. Irren ist menschlich, irren kann der Beste. Es thut uns leid, aber jeder Mensch muß seinem Willen folgen, und Wilhelm hat mir gestern noch gesagt, er denke nicht mehr daran, und ich sage, es ist recht so; an ein Geschäft, was nicht zu Stande gekommen ist, muß man nicht mehr denken und sich darüber ärgern. Allein, mein bester Vetter, zu dergleichen gehört, daß man wieder lachen kann, indem man ein anderes Geschäft macht, und dieses ist es, was ich sagen wollte. Er sitzt und arbeitet und sieht so jämmerlich aus, als ob er verhungern müßte, und wir Alle können nichts dagegen thun. Er dürfte nur kommen und zu Thereschen sagen: Da bin ich! so wäre Alles vergessen und vergeben, denn obwohl er eigentlich grob gegen sie gewesen ist, so ist sie dennoch sehr geneigt, mit ihm zu theilen, was sie besitzt.

Es ist doch Madame Petermann, von welcher Sie sprechen? fragte der Kriegsrath.

Diese selbige junge, angenehme Wittwe, welche an Wilhelm das Geschäft verkaufte, erwiderte Herr Frohlieb.

Ich habe schon davon gehört, fuhr Hartfeld fort, und Ihre Erzählung giebt mir den Zusammenhang. Sie wünschen, daß Wilhelm sie heirathet?

Von den triftigsten Gründen unterstützt, sagte Herr Frohlieb. Eine liebenswürdige, junge Frau, die ihn anbetet, und dabei ein reiner Hintergrund. Sie hat das ganze Vermögen in Händen, kann machen, was sie will, einzige Erbin!

Herr Frohlieb legte den Finger an seine Nase und sah sehr weise und vergnügt aus. –

Ich glaube nicht, antwortete Hartfeld, daß Wilhelm auf diesen Grund besonders viel giebt.

Allerdings nein! versetzte Herr Frohlieb, obwohl jeder Mensch seine mercantilischen Grundsätze haben muß.

Geld ist an sich nichts, sagte der Kriegsrath, jedoch als Mittel zum Zweck ist es Alles. Ich verachte es von ganzem Herzen, dennoch muß ich seinen Werth anerkennen.

Um allen Ihren Mitmenschen Gutes zu thun, rief Herr Frohlieb. Dieses edle Streben, Vetter, kennt die ganze Welt an Ihnen.

Wenn Sie glauben, daß ich Wilhelm nützen kann, sagte Hartfeld, ihn unterbrechend, will ich gern zu Diensten sein.

Das können Sie! erwiderte Herr Frohlieb, denn Ihnen wird er Folge leisten, aus diesem Grame sich erheben, um in die liebenden Arme zu fallen, die ihn erwarten, somit ein neues Leben beginnen, und seiner alten Eltern Freude und Stolz sein, wie er es immer gewesen.

Da kommt unser lieber Finanzrath, ich höre ihn draußen, sagte Hartfeld mit gedämpfter Stimme. Ich werde sehen, was sich thun läßt, Vetter Frohlieb. Es ist ein übler Auftrag, den Sie mir geben, allein wir wollen es überlegen. Gehen Sie dort hinaus. Hier durch das Cabinet. Sie finden sich ja selbst weiter. Es bleibt dabei.

Er schob den dankbaren Vetter eilig durch die Tapetenthür und drückte diese schnell zu, denn eben trat von der andern Seite der Finanzrath herein.

Da bin ich, wie ich es Ihnen angezeigt habe, begann er, und bringe Ihnen verschiedene gute Nachrichten. Erstens hat mir der Präsident soeben die Anzeige gemacht, daß der Minister mir meines Onkels Stellung überträgt. Morgen werde ich das Decret bekommen und hierauf die sämmtlichen Geschäfte übernehmen.

Diese Mittheilung wirkte aufs Freudigste.

Ich habe es allerdings erwartet, sagte Hartfeld, aber doch wieder gezweifelt. Dem Verdienste seine Kronen.

Und einen Myrthenkranz nicht zu vergessen, lachte Leisegang, indem er sich zu Julien wandte. Theuerste Julie, fuhr er fort, erlauben Sie, daß ich Sie so anreden darf – ich habe heute den Erbschaftsstempel bezahlt und bringe Ihnen den Erben und die Erbschaft. Wählen Sie nun, was Ihr Herz begehrt. Die zehntausend Thaler oder Ihren unterthänigen Freund, der Ihnen Alles bietet, was er sein nennt; sich selbst zunächst mit dem Versprechen, immer ein liebenswürdiger und gefälliger, galanter und gehorsamer Mann zu sein.

Das ist zu viel, sagte Julie mit ihrer leisen, sanften Stimme, aber wollen Sie immer gütig und nachsichtig gegen mich sein, mit meinen Fehlern und Mängeln Geduld haben und Ihr Herz nicht von mir wenden?

Er schien von diesen demüthigen Bitten gerührt zu sein.

Gewiß nicht! rief er lebhaft. Mein Herz soll Ihnen immer allein gehören, und meine Liebe Ihr Leben leicht und froh machen.

Dann will ich versuchen, mir diese Liebe und Ihre Achtung dauernd zu erhalten! flüsterte sie, als er sie umarmte, und ihre zitternden Lippen mit seinen Küssen verschloß.

Sie haben doch nichts dagegen, bester Papa? rief Leisegang dann, seine Hand ausstreckend. Ich darf doch kommen und um Ihren Segen bitten?

Mein Liebstes gebe ich Ihnen gern und willig! erwiderte Hartfeld froh bewegt. Den größten Schatz, den ich besitze. Ja, es ist ein Schatz, Sie werden es erkennen lernen. Segen über Dich, mein Herzenskind! Gottes reichster Segen über Dich!

Bis hieher hatte Herr Frohlieb jenseits der Tapetenthür lautlos zugehört, jetzt aber schlich er auf den Zehen davon, erreichte den Corridor und kam unbemerkt aus dem Hause. Er war über das, was er vernommen hatte, äußerst vergnügt, und während er sich Alles nochmals wiederholte und vorstellte, verklärte sich sein Gesicht, und er lachte so pfiffig, daß die Vorübergehenden ihm nachsahen und mitlachten.

Also abgemacht und richtig! schrie er, als er in seine Stube trat und seinen Hut vor der kleinen Frau schwenkte. Den Schatz hat er weg, aber das soll ein Schatz sein! Oh! Es konnte Einem beinahe leid thun, wie jämmerlich sie aussah! Allein es ist gut so, Mama, sehr gut so! fuhr er befriedigt fort. Dieser Finanzrath kann seinen Schatz nach Belieben behalten, wir behalten unsern Willem, und unser Willem behält sein liebes Thereschen. Jeder behält, was er hat, Mama, und dieses ist ein berühmter Wahlspruch von einem berühmten Königsstamme: Ein Jeder behalte das Seinige, und sehe zu, was er sonst noch erwischen kann.

Bei diesen Worten zog Herr Frohlieb eine Menge weiser Falten und umarmte die kleine Frau so lustig lachend, wie er es seit langer Zeit nicht gethan hatte.



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