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2.

Als Herr Frohlieb von der Begleitung der jungen Wittwe zurückkehrte, strahlten seine Augen vor Vergnügen, und indem er den Arm um seine kleine Frau legte, und ihr zunickte, lachte er ausgelassen luftig.

Es ist richtig, Mamachen, sagte er dabei, Alles klipp und klar und richtig! Aber es ist doch ein sappermentscher Junge, unser Wilhelm, ein elementscher Junge! Dieses hat er zu Stande gebracht, fix und fertig zu Stande gebracht, bis auf die Unterschrift, die er allezeit haben kann.

Na, mein Gott! rief die kleine Frau, die ihre Haube wieder zurechtschob, darum brauchst Du doch nicht so zu rasen. Was war sie denn, ehe der alte Petermann sie nahm? Eine Registratortochter, die aus dem Hause ging, ihr Brot zu verdienen. Der alte Buchhändler Petermann ließ sich die Wirthschaft von ihr führen und heirathete sie.

Bisch, Mamachen, bisch! winkte Herr Petermann, die Hand mit dem Pfeifchen aufhebend, man muß niemals auf die Vergangenheit blicken. Was da ist, das ist die Seele, und diese reelle Seite des Geschäfts ist hier über allen Zweifel erhaben, denn der alte Petermann hat ihr sein ganzes Vermögen hinterlassen.

Stolz war sie immer, sagte die Mama, und hübsch war sie auch, das kann Keiner läugnen.

Sie ist noch hübsch, fiel er ein, allerliebst, appetitlich sieht sie aus, obwohl sie beinahe ebenso alt sein muß, wie Wilhelm.

Ebenso alt? eiferte die kleine Frau. Wilhelm wird jetzt dreißig, sie muß wenigstens ein Jahr oder zwei älter sein.

Was ist denn an ein paar Jahren gelegen, Mamachen! rief Herr Frohlieb versöhnend lachend. Eine gute, abgelagerte Waare ist für jeden Kenner angenehm. Nur nicht zu jung; es ist niemals der richtige Geschmack darin. Du bist ja auch kaum acht oder neun Jahre jünger als ich.

Volle zehn Jahre, Daniel, sagte die kleine Frau mit Heftigkeit.

Zehn Jahre? das ist was Rechts! Bedenke, Mamachen, wie schnell ein Jahr vergeht; ehe man sich recht darauf besinnt, ist's vorbei. Stolz können wir auf eine Schwiegertochter von solchem verständigen Alter sein, welche dabei aussieht, als wäre sie eben zwanzig geworden, und dann Mama – Herr Frohlieb legte den Finger an seine Nase und zog seine weisesten Falten – dann ist es kein Spaß, fünfzig tausend Thaler zu heirathen, oder noch mehr. Es ist dies ein Ereigniß, welches nicht sehr häufig in der Weltgeschichte vorkommt, und eine Ursache zu Wirkungen der interessantesten Art, mercantilisch genommen.

Komm mir nicht mit Deinen mercantilischen Grundsätzen, Daniel! rief die kleine Frau abwehrend. Ich habe nichts dagegen, wenn sie sich heirathen, denn Geld kann ein Jeder brauchen, und ihre Wirthschaft versteht Therese, wenn sie gleich einen Zobelmuff trägt und sich gerne putzt. Wenn sie sich lieben, macht es auch nichts aus, ob sie ein bischen älter ist, obwohl man es nicht gerne hat, wegen der Zukunft; im Uebrigen aber kann Wilhelm auch ohne sie und ihr Geld eine Frau bekommen. Hochmüthig braucht sie nicht zu thun, braucht ihn nicht zu sich zu bestellen, um sich anbeten zu lassen, wie eine Göttin. Wenn es ihr so recht ums Herz wäre, konnte sie ja hier bleiben und ihn erwarten.

Es ist alles mercantilisch eingerichtet auf dieser Erde, Mamachen, also auch in dieser Angelegenheit danach zu urtheilen, erwiderte Herr Frohlieb mit derselben weisen Miene. Ziehen wir daher die mercantilischen Gesichtspunkte in Betracht, so frage ich, warum Wilhelm, wenn solche Forderungen an ihn gemacht werden, dieses nicht acceptiren soll? Denn warum soll er nicht knieen, Mamachen, warum soll er nicht anbeten, wenn dies zu den Conjuncturen des Geschäfte gehört?

Guten Abend! unterbrach ihn hier eine sonore Stimme von der Thür her, und Herr Frohlieb drehte sich rasch danach um, während die kleine Frau den Gruß erwiderte.

Guten Abend, mein Sohn rief sie freundlich dem Nahenden entgegen. Warum bist Du denn so lange geblieben und gestern gar nicht zu uns gekommen?

Ich war sehr beschäftigt, Mutter, antwortete der Sohn, der sich zu ihr niederbeugte, denn sie hob ihre Arme zärtlich zu ihm auf, um ihn zu küssen.

Wiederum also der mercantilische Standpunkt, Mama, sagte Herr Frohlieb triumphirend. Komm hierher, Wilhelm, und gieb mir Deine Hand. Sage mir, mein Junge, was Du Dir als Richtschnur Deines Lebens denkst?

Wie soll ich das verstehen, Vater? fragte der junge Mann.

Ich will wissen, fuhr Herr Frohlieb, den Finger an die Nase gelegt, fort, was Du für die wahre Richtschnur aller vernünftigen Wesen auf Erden ansiehst, um glücklich zu werden.

Um glücklich zu werden? wiederholte Wilhelm. Giebt es eine Vorschrift, nach welcher gelebt uns das Glück in die Arme läuft?

Das versteht sich! schrie Herr Frohlieb. Was wäre dieses denn für eine miserabele Welt, wenn man nicht mit gewissen richtigen Grundsätzen glücklich darin würde, sich glücklich fühlte und sein menschliches Dasein mit Vergnügen genösse!

Es würde ein großer Gewinn für die Menschheit sein, Vater, lachte der junge Mann, wenn Du ihr ein solches Recept hinterlassen könntest. Du würdest der Messias sein, nach welchem sie seit so vielen Jahrhunderten vergebens schmachtet.

Das werde ich! sagte Herr Frohlieb, sich energisch auf die Brust klopfend, es soll mir eine Ehre sein, für die Menschheit zu arbeiten. Aber wie so denn, Willem? Wie so denn solche Umstände? frage ich. Es ist ja gar kein Kunststück, oder doch eines, was ein Jeder machen kann, sobald ich voraussetze, daß er über die Ursachen richtig nachdenkt.

Vor allen Dingen, Mama, stecke die Lampe an, damit wir uns ansehen können, fuhr er fort. Licht gehört zu Allem, was man erfahren will, Dunkelheit ist der Feind jeder Aufklärung.

Ich muß wieder fort, Vater, fiel der Sohn ein, sparen wir uns also die Aufklärung auf später.

Du willst uns wieder verlassen? fragte die kleine Frau, die sich mit der Lampe beschäftigte.

Ich habe noch etwas Nothwendiges abzumachen, aber ich komme wieder.

Siehst Du wohl, Wilhelm, sagte Herr Frohlieb, indem er seinen Sohn an der Rockklappe festhielt und ihm die Spitze der Cigarrenpfeife auf die Brust setzte, das ist der Fehler! Sobald es sich um ernsthaftes Nachdenken handelt, sagen die Meisten: ich habe keine Zeit; sobald sie Licht sehen, machen sie sich fort und antworten: wart ein Bischen, ich komme wieder.

Die Lampe flackerte auf und beleuchtete den jungen Mann, der von dem alten festgehalten wurde. Er war groß und kräftig gebaut, sein Gesicht hatte männlich feste und wohlgeformte Züge, die wohl den Stolz seiner Mutter rechtfertigen konnten, aber er schien zu leiden, und seine dunklen Augen blickten unruhig umher, als die kleine Frau näher kam, die Lampe zu ihm aufhob, und erschrocken dabei ausrief:

Wie siehst Du denn aus, Wilhelm! Mein Gott! Du bist doch nicht krank? Was fehlt Dir denn? Was ist Dir denn geschehen, mein Sohn?

Gar nichts, Mutter. Ich weiß von nichts, erwiderte Wilhelm lächelnd. Ich habe seit einiger Zeit viel gearbeitet – darum bin ich auch seltener zu Euch gekommen, fügte er rascher hinzu. Aber es ist nichts, als geistige Abspannung, Abmüdung, die vorübergeht.

Es ist nicht wahr, mein Junge, es ist nicht wahr! schrie Herr Frohlieb, indem er ungeheure Falten über seine Stirne zog und den Finger an die Nase legte, während seine Augen sich mit Schelmerei füllten. Dieses ist wiederum ein merkwürdiger Beweis, Mama, wie die Menschen immer bereit sind, sich und Andere weit eher zu täuschen, als die Wahrheit zu gestehen.

Das Gesicht des jungen Mannes färbte sich röther, und indem er lachte, weil sein Vater zu lachen und zu drohen anfing, vermehrte sich seine Unruhe in seinen Augen, bis er plötzlich ernsthaft wurde und den Kopf schüttelte.

Es ist aber doch wahr! schrie Herr Frohlieb, der einen Stoß mit der Pfeifenspitze auf ihn that. Und so siehst Du, Wilhelm, wie es unmöglich ist, richtige Grundsätze durchzuführen, weil die Grundursachen verläugnet und verheimlicht werden; wenn man dies aber nicht thäte, sondern bei üblen Wirkungen sogleich fragte: woher kommt das? und dann sofort die richtige Erkenntniß anwendete, so würde auch niemals der Appetit fehlen und der Kopf herunterhängen, und die geistige Abspannung herhalten müssen. Das Blut würde vielmehr leicht und froh durch die Leber gehen und das Herz erfrischen, und darin liegt das ganze Recept für das menschliche Wohlergehen, Wilhelm. Sorge dafür, daß Herz und Leber immer frisch und munter sind, so ist der ganze Mensch heiter und guter Dinge, und weiß nichts von Sorgen und melancholischer Schwachsinnigkeit.

Und wie ist das zu erreichen, Vater?

Aus dem mercantilischen Standpunkte, mein Junge! Es ist nichts leichter, als das zu erreichen, sobald man das menschliche Dasein mercantilisch betrachtet. Meiner Seele! es ist wahr, fuhr er fort, indem er sich auf die Brust klopfte. Es ist Alles dummes Zeug in der Welt, was nicht mercantilisch bedacht wird. Warum ist in früherer Zeit Alles besser gewesen? Weil die Menschen vom mercantilischen Gesichtspunkte aus handelten, nicht aber nach Ideen, wie sie diese jetzt umherschreien. Was ist eine Idee? Eine Idee ist gar nichts, eine Einbildung, ein Unsinn, der Verwirrung hereinbringt und unglücklich macht. Also nachdenken, sich fragen, worin liegt der Vortheil, nach dem ich handeln muß? Was ist die Ursache, von welcher die Wirkung ausgeht, durch welches ich ein glücklicher Mensch werde, der sein irdisches Dasein fröhlich genießt, das ist der mercantilische Standpunkt. Begreifst Du nun, Wilhelm?

Es ist mir in der That noch Manches dunkel, antwortete der Sohn, vor sich hinsehend.

So! sagte Herr Frohlieb. Warte, wir wollen ein Beispiel annehmen. Gesetzt den Fall, Du wärest verliebt.

Ueberrascht wandte sich Wilhelm zu seiner Mutter um.

Das wäre recht hübsch! rief die kleine Frau, ihm zulächelnd. Verlieben muß sich ja jeder Mensch, weil die Natur ihr Recht haben will, und wenn Einer so alt geworden ist, wie Du, muß er dafür sorgen, daß er dahin gelangt.

Also setzen wir voraus, die Natur hätte sich ihr Recht verschafft, fuhr Herr Frohlieb fort, so würdest Du als ein vernünftiges Wesen nicht sagen: meine Liebe ist eine Idee, sondern Du würdest Dich auf den mercantilischen Standpunkt stellen und Dir vorhalten – hier legte er seine Pfeifenspitze an den linken Daumen – erstens: Woher kommt es, daß ich blaß werde, nicht höre, was gesprochen wird, nicht verstehe, wenn ich gefragt werde, wie aus dem Traume auffahre, wenn mich Einer anredet, und sogar vergesse, daß eine gewisse Dame mich eingeladen hat, sie gestern Abend zu besuchen?

Das habe ich nicht vergessen, Vater, aber –

Aber die Herzensbeklommenheit ließ es nicht zu, lachte Frohlieb mit einer lustigen Bogenschwenkung. So würdest Du zweitens fragen: Warum habe ich diese Aengstlichkeit, und wie werde ich sie los? Somit drittens würdest Du fragen: Welche Ursache bringt diese Wirkung hervor, und was habe ich zu thun, um mir meinen mercantilischen Standpunkt zu sichern, das heißt so zu handeln, daß sich alle meine Wünsche erfüllen.

Das würde allerdings das Beste sein, wenn es möglich wäre, murmelte Wilhelm, allein – dazu gehört mehr Muth, als ich besitze.

Der richtige Standpunkt gehört dazu, weiter gar nichts! schrie Herr Frohlieb. Muth! Ist es möglich, daß mein Sohn wie ein armer Sünder vor mir steht und es fehlt ihm an Muth! Stelle Dich auf den mercantilischen Standpunkt, mein Junge, so bekommst Du Muth, wie ein Löwe. Stelle Dir vor, was Du gewinnen willst, was auf dem Spiele steht, was verloren gehen kann, so wird Deine Zunge eine Ueberredungskraft bekommen, daß sie allen Widerstand überwältigt, und ich sage Dir, Wilhelm, Du wirst siegen, wirst in einen offenen Himmel eingehen, denn sie wird Dich curiren, und Alles ist gut.

Vielleicht hast Du Recht, sagte der junge Mann erregter.

Es ist ganz gewiß, daß ich Recht habe! fuhr Herr Frohlieb fort, ihn mit der Pfeife stoßend. Ein Mann auf diesem Standpunkt spricht nicht von vielleicht, sondern er weiß, es ist so. Zeige ihr, daß Du Dich nicht fürchtest, daß Du weißt, was zu dieser Wirkung paßt, und was zur Gesundheit gehört. Sapperment! Wie ich jung war, hätte mir Keiner so kommen sollen.

Du weißt also? fragte Wilhelm stockend.

Na, das versteht sich! lachte Herr Frohlieb, ihn an beide Backen fassend. Denkst Du, mir fehlt der richtige Standpunkt? Denkst Du, die Mama speculirt nicht auf eine angenehme Schwiegertochter? Und diese – aber halt! höre doch – Wilhelm! mein Junge, ich will Dir noch mehr sagen, halt doch!

Laß mich, Vater, sagte der junge Mann. Wenn ihr es wißt, so will ich mir selbst Gewißheit verschaffen. Ich will Deinen Rath befolgen.

So höre mich noch an, ich bin noch nicht fertig! schrie Herr Frohlieb zwischen Thür und Schwelle, wohin er seinem Sohn gefolgt war, aber während er vorwärts strebte, hielt ihn die kleine Frau bei beiden Rockschößen fest, daß er nicht weiter konnte.

Laß ihn gehen, Daniel, eiferte sie dabei, er kann seine Sache selbst ausfechten. Laß ihn machen, was er Lust hat, er wird schon finden, was er sucht.

Reiß mir den Rock nicht entzwei, Mama, er hat schon geknarrt! sagte Herr Frohlieb, ohne umzublicken. Da geht die Hausthür wieder auf. Er kehrt um, wie ich es wohl dachte, denn seine Besonnenheit kehrt zurück. Komm herein, mein Junge, und falle nicht, wir wollen gleich die Flurlampe anstecken lassen.

Dies dürfte allerdings sehr wohlthätig sein, antwortete eine sanfte, volle Stimme, da es sehr finster ist. Guten Abend, mein lieber Vetter!

Was? schrie Herr Frohlieb. Oh! Ist es wirklich wahr? meiner Seele! Sie sind es, werthgeschätzter Herr Vetter! Mama, laß los! Ich dachte, es wäre mein Sohn. Sieh doch hier, wer da ist, Mama.

Der Herr Kriegsrath! rief die kleine Frau, indem sie die Rockschöße ihres Eheherrn fallen ließ und verwirrt zurückwich, aber freundlich dabei lachte.

Ja wohl, meine liebe Cousine, da bin ich, erwiderte der Kriegsrath, ihr die Hand bietend. Sie erwarten Ihren Sohn. Er ist soeben an mir vorüber gegangen, ohne mich zu sehen.

Er sieht und hört nicht, sagte die kleine Frau.

Wie dies jungen Leuten in einem gewissen Alter eigen ist, erwiderte der Kriegsrath lächelnd.

Bis sie auf den richtigen Standpunkt gelangen! fiel Herr Frohlieb ein, indem er den Finger an seine Nase legte und schelmisch lachte.

Sehr wahr, mein lieber Vetter, versetzte der Kriegsrath, man hat mit diesen jungen Leuten seine Plage, muß aber geduldig sein und darf sich nicht beschweren. Weiß man doch an sich selbst, daß Jugend heißes Blut und Leidenschaft zu Begleitern hat.

Sie treffen es immer, hochverehrter Herr Vetter! rief Herr Frohlieb mit einer begeisterten Bogenschwenkung. Immer den Nagel auf den Kopf und so richtig wie Gold. Es ist mir eine wahre Freude, wenn ich es höre.

Der Kriegsrath ging lächelnd, ohne eine weitere Einladung abzuwarten, nach dem Sopha und setzte sich dort nieder. Er war von hoher, ein wenig nach vorn gebeugter Gestalt. Der große, schöne Kopf hatte äußerst würdige und offene Züge, klare, mildblickende Augen und einen feinen Mund, um den ein gewinnendes Lächeln schwebte. Die Ruhe seines Gesichts wurde durch die Sicherheit aller Bewegungen vermehrt, und dazu kam das reiche, ziemlich ergraute Haar, und breite, graue Augenbrauen, die ihm ein eigenthümlich imponirendes Ansehen gaben. Bei aller Güte und Freundlichkeit seines Wesens umgab ihn aber doch ein gewisses Etwas, was auch Herrn Frohliebs zärtliche Vertraulichkeit in Respect hielt.

Der Kriegsrath stützte seine wohlgebildeten Hände auf einen Stock mit goldener Krücke. Seine Wäsche war blendend weiß und fein; ein weißes Halstuch schmiegte sich an eine gesteifte Krause, und in dieser steckte eine Nadel, aus deren Mitte ein prächtiger Stein funkelte. Sein Gesicht war glatt rasirt, die Haut schimmerte überall fein und röthlich, nirgend war ein Pünktchen, nirgend ein Stäubchen zu entdecken. Die gelben, gesteppten Handschuhe von Hirschleder, welche er auf seinen Hut gelegt hatte, sahen so neu aus, als wären sie noch nie aufgestreift worden, der Hut selbst aber war ein feiner Kastor, den Herr Frohlieb mit Ehrfurcht befühlte, und mit einer tiefen Verbeugung säuberlich auf den Tisch setzte, damit er nicht etwa gestoßen werde.

Der Herr Kriegsrath hatte jedoch nicht allein äußerlich alle Kennzeichen eines feinen Mannes, der sich zu kleiden und zu tragen weiß, er hatte auch trotz aller Freundlichkeit und Herablassung ein Wesen, welches der Vertraulichkeit Schranken setzte. Niemals sagte er ein unschickliches Wort, oder erlaubte sich einen Scherz, der zu Mißdeutungen Anlaß geben konnte. Die Würdigkeit in Allem, was er that und sagte, behielt ihr überwiegendes Gepräge, und verband sich mit der Artigkeit eines Weltmannes und jener Sicherheit, die ein erfahrungsreiches Leben giebt.

Wer ihm nahte, fühlte dies sehr bald, und Jeder, der ihn kannte, hatte etwas zu rühmen, entweder seine Einsicht und seine Klugheit, oder seine Güte und Milde, oder auch seine Wohlhabenheit, die nach allen Seiten hin sich geltend machte. Denn der vortreffliche Mann zeigte sich nicht allein wohlthätig, wo seine Mildthätigkeit beansprucht wurde, er verschönte auch sein eigenes Leben, und wie er in seiner Erscheinung äußerst sauber und fein auftrat, so gab sein Hauswesen auch Zeugniß für seinen Geschmack, wie für seine Neigungen.

Nichts konnte Herrn Frohlieb so sehr beglücken, als der Besuch dieses allverehrten Verwandten, und als der Kriegsrath jetzt auf dem Sopha saß und sich nach dem Befinden des Ehepaares erkundigte, das Aussehen der kleinen Frau lobte, und in seiner gewinnenden Art von dem Vergnügen sprach, mit dem er die Versicherungen ihres Wohlergehens hörte, blieb der gute Vetter in einem seligen Bücken und Armschwenken, bis er endlich das Wort ergreifen konnte.

Unsern unterthänigsten Dank für Ihre große Güte! schrie er. Sie wissen gar nicht, wie sehr wir dies Glück zu schätzen wissen, werthester Vetter Hartfeld. Ein Mann wie Sie, ja das ist eine Seltenheit. Was habe ich gesagt, Mama? Fragen Sie die Mama, was ich gesagt habe. Der Erste im ganzen Lande müßte unser Vetter Hartfeld sein, das verdiente er, und es wäre ein Segen für die Menschheit, wenn er der Allererste wäre. Das habe ich gesagt, und ich sage es noch. Aus Gründen und mit voller Ueberzeugung bleibe ich dabei.

Herr Frohlieb legte energisch seine linke Hand auf seine Brust und machte mit der rechten eine Bogenschwenkung.

Der Kriegsrath hörte lächelnd zu, seine Finger falteten sich über der goldenen Krücke seines Stockes zusammen. Gönnen wir Jedem sein Glück, und was der Herr ihm verliehen, sagte er sanftmüthig. Ich bin zufrieden, lieber Vetter, mit dem, was mir beschieden wurde, auch Sie können zufrieden sein.

Das versteht sich! schrie Herr Frohlieb. Es sind Gründe dafür vorhanden, die aus den richtigen Ursachen entspringen. Aber was bin ich gegen Sie! Ein Nichts, ein Staub, ein Lump! Meiner Seele! ein Garnichts als das, bester Vetter!

Stille! stille! winkte der Kriegsrath, wer wird so sprechen. Sie haben ein fleißiges, arbeitsames Leben gelebt und ruhen davon jetzt behaglich aus.

Einfach und bescheiden! sagte Herr Frohlieb. Arbeit macht das Leben süß. Aber Sie, verehrter Herr Vetter, Sie stehen groß und erhaben da, und besitzen Alles, was Das Herz begehrt.

Und doch sind Sie glücklicher, als ich es bin, fuhr Hartfeld mit einem sanften Kopfneigen fort.

Ich glücklicher? Oh! lachte Herr Frohlieb, indem er seine Augen weit aufmachte. Sehen Sie sich einmal um, wie es hier aussteht. Wie bei einem bescheidenen Bürger, der jeden Donnerstag Pöckelfleisch und Erbsen ißt, und Sonntags abwechselnd Kälberbraten oder Schmorfleisch. Aber Sie dagegen! Tapeten und Bilder an den Wänden, seidene Decken und Polsterstühle, wo man bis über die Ohren hineinfällt. Und des Mittags – wie heißen die Dinger? – Trüffeln und Caviar und so dergleichen. Und Sie wollen sagen, daß ich glücklicher wäre? Es ist ein Spaß, Herr Vetter! Gehorsamer Diener! Ich wollte, es wäre so; meiner Seele! ich wollte es.

Mein lieber Freund, sagte Hartfeld, mitleidig die Achseln zuckend, könnten Sie mich darum beneiden?

Beneiden? schrie Herr Frohlieb. Niemals! das versteht sich, Sie müssen so leben. Das schickt sich für einen Mann, wie Sie sind, es ist recht und billig. Für mich schickt es sich nicht, und ich möchte es auch nicht, es wäre nichts für mich.

Jedes Wesen auf Erden hat seine Freuden und seine Sorgen, mein lieber Freund, sagte Hartfeld.

Sie haben keine Sorgen, Sie nicht! fiel Herr Frohlieb ein. Ein so hoch geachteter, allgemein verehrter Mann kann gar keine Sorgen haben.

Hat man keine, so macht man sich welche, lächelte der Kriegsrath. Ich bin jedoch zufrieden und klage nicht.

Wenn Sie klagen wollten! rief die kleine Frau.

Sehr richtig, Mama, sehr richtig! bekräftigte Herr Frohlieb.

Und dennoch falsch, sagte Hartfeld. Ich bin dankbar für manchen Segen, aber sind Sie nicht glücklicher? Ich stehe allein, meine Lebensgefährtin ist mir genommen. Sie besitzen eine vortreffliche Frau und einen Sohn, der Ihnen Freude macht.

Allerdings ja! versetzte Herr Frohlieb mit einer zärtlichen Handschwenkung auf seine Gattin. Da sitzt sie, die ich verehre, und obwohl sie zuweilen auch unangenehm werden kann, möchte ich sie doch nicht missen. Aber, Gott sei Dank! lieber Vetter. Sie sind ja nicht kinderlos, Sie haben eine Tochter, eine sehr liebenswürdige und ausgezeichnete Tochter, die –

Au! schrie er, sich unterbrechend, denn die kleine Frau gab ihm einen Stoß mit dem Fuße, der eine empfindliche Stelle treffen mußte.

Fahren Sie nur fort, lieber Vetter, lächelte der Kriegsrath, denn Sie haben Recht. Julie ist die beste Freude und der Trost meines Lebens. Sie ist nicht schön.

Oh! rief die Mama, das dürfen Sie doch nicht sagen. Ich habe sie zwar seit längerer Zeit nicht gesehen, aber mir hat sie immer sehr gefallen.

Mir auch! betheuerte Herr Frohlieb, mir ganz besonders. Es ist so ein sanftes, feines Wesen, wie die selige Cousine war. Etwas kränklich zwar, etwas blaß.

Das hat sich bedeutend gebessert, fiel Hartfeld ein. Sie wissen, daß Julie diesen Sommer über im Bade war, dann auf dem Lande bei einer befreundeten Familie lebte. Seit den sechs Wochen, wo sie wieder hier ist, hat sie das Haus sehr wenig verlassen, aber ich hoffe, Wilhelm hat Ihnen ihre Grüße gebracht.

Das hat er gethan, erwiderte Herr Frohlieb mit einer unterthänigen Verbeugung; leider haben wir dabei gehört, daß das liebe Julchen sich noch immer angegriffen fühlt und deshalb auch noch nicht unsere Aufwartung gemacht.

Was hat Ihnen Wilhelm denn mehr erzählt? fragte der Kriegsrath die kleine Frau.

Mehr hat er nicht erzählt, antwortete diese.

Es ist ein Unglück mit dem Jungen! schrie Herr Frohlieb, es ist nichts aus ihm herauszukriegen. Es ist, als ob er ein anderer Mensch geworden wäre. Was haben Sie neulich gesagt, liebster Vetter, als Sie uns die große Freude machten, und zu uns herankamen. Erinnern Sie sich, was Sie sagten, wie von ihm die Rede war?

Sie meinen, es sei so, wie ich damals sagte? lächelte Hartfeld.

Es ist ganz gewiß so, denn es kann nicht anders sein! Hier sitzt es, hier! schrie Herr Frohlieb, indem er seinen Zeigefinger auf die Herzgegend setzte und heftig darauf tippte.

Der Kriegsrath nickte, und seine Mundwinkel zogen sich zusammen. Er hat sein Geschäft sehr vortheilhaft von der Madame Petermann gekauft, sagte er.

Aeußerst vortheilhaft, erwiderte Herr Frohlieb. Jeder, der es kennt, sagt, es wäre doppelt so viel werth. Aber es machte sich, sie wollte es los sein und – na, es ist eine junge Wittwe, und bekannt waren wir auch, also –

Der Kriegsrath hob den Kopf nachdenkend zu ihm auf.

Eine hübsche junge Frau, fuhr Herr Frohlieb, vergnügt seine Hände reibend, fort. Es ist komisch, wie der Wilhelm seine Gründe entwickelt, aber es hat Alles seine Ursachen, und es geht Alles natürlich in der Welt zu.

Julie ist zwanzig Jahr alt, sagte Hartfeld.

Wie die Zeit vergeht! rief Herr Frohlieb erstaunt.

Wilhelm ist zehn Jahre älter.

Nicht ganz, bester Herr Vetter, fiel die kleine Frau ein. Es fehlen noch fünf Monate.

Darauf kommt es nicht an. Ich halte Wilhelm für einen sehr wackern jungen Mann, und habe ihn immer geschätzt.

Wenn er doch hier wäre, daß er es hören könnte. Diese Ehre, aus solchem Munde gelobt zu werden! schrie Frohlieb, indem er mit einer Bogenschwenkung seine beiden Hände vor sich ausstreckte. Aber er ist fortgelaufen, der Elementer, zehn Pferde hätten ihn nicht halten können.

Wissen Sie auch, wohin er gelaufen ist? fragte Hartfeld.

Versteht sich! – Herr Frohlieb legte den Zeigefinger an seine Nase und kniff seine Augen listig zusammen. Es ist einmal in der Welt so, bester Vetter. Es ist die Macht der Gefühle, welcher sich alle Grundsätze unterwerfen. Na, und warum sollen wir nicht Ja sagen, wenn sich Alles zusammen paßt? Und das Blut und die Jugend – Sie haben es ja selbst gesagt, haben es zuerst gemerkt, wie es mit ihm steht.

Ich habe auch nichts dagegen, lieber Frohlieb, fiel Hartfeld ein.

Wir auch nicht, bester Vetter, wir gewiß nicht! schrie Herr Frohlieb. Es ist längst unser Wunsch gewesen, aber der Junge fürchtete sich ja, als wär's ein Verbrechen.

Ich glaube nicht, daß er das nöthig hat, lächelte der Kriegsrath. Er ist also zu ihr gegangen?

Und will ein Ende machen, will Alles gestehen, damit er weiß, woran er ist.

Damit wir jetzt sämmtlich wissen, woran wir sind, sagte Hartfeld, indem er dem Ehepaar seine Hände reichte, so mag er sein Heil versuchen. Julie hat ihn lieb, sie wird seinen Antrag aufnehmen, wie er es verdient. Seit den sechs Wochen ist Wilhelm, was Sie vielleicht erst jetzt erfahren, fast täglich zu uns gekommen, ich habe dadurch Gelegenheit gehabt, ihn noch besser kennen zu lernen. Wenn Julie also will, so habe ich nichts dagegen, Frohlieb. Ich sah, was kommen würde, war darauf gefaßt und gab Ihnen daher neulich schon einen Wink, wie die Sache stand. Wir wollen den jungen Herzen also keinen Zwang anthun. Haben sie sich gefunden, so hat Gott es so gefügt, und ich bin damit zufrieden. Julie ist mein einziges Kind, doch ich mache keine Pläne mit ihr. Ich gebe ihr meinen Segen, weil ich glaube, daß ihr Glück daran hängt, und das ist meine aufrichtige Meinung. Ich begreife Ihr Erstaunen, Freund, Sie haben das nicht erwartet. Sagen Sie aufrichtig, ob ich nicht Recht habe.

Herr Frohlieb stand vor dem verehrten Vetter so starr, als sei er in Stein verwandelt. Das Lächeln war noch in seinem Gesicht, sein Oberkörper bildete noch die schiefe Linie, seine Stirn war in die Weisheitsfalten gezogen, welche sie bei seinen Erklärungen angenommen hatte, und seine Augen funkelten so schlau, wie vorher, allein Alles war wie von einem Zauber unbeweglich geworden, und als er jetzt antworten sollte, brachte die Aufforderung dazu nur ein lebhafteres Grinsen hervor, dem ein starkes Kopfschütteln nachfolgte.

So sage ich Ihnen nochmals, ich bin damit einverstanden, wiederholte Hartfeld. Ich will Juliens Glück nicht hindern, Wilhelm soll sie haben, und unsere Verwandtschaft soll dadurch ein neues und noch festeres Band erhalten, so Gott will.

Bei diesen Worten stand der Kriegsrath auf und breitete seine Arme aus. Die kleine Frau, welche ebenfalls aufgestanden war, gab ihrem erstarrten Gatten einen Stoß. Denn mit weiblicher, größerer Gewandtheit hatte sie weit schneller sich gesammelt und den Faden gefunden, der hier aus Irrthum zum Verständniß führte.

Oh, liebster, bester Vetter, schrie sie ebenfalls ihre Arme ausbreitend, ich freue mich gar zu sehr! Freu Dich doch, Daniel, stehe doch nicht da, wie ein Oelgötze. Du, mein Gott, ist es denn möglich, daß Sie uns solcher Ehre und Freundschaft würdigen!

Es ist wunderbar! es ist unerhört! schrie Herr Frohlieb nun ebenfalls, als er sich von den Küssen erholt hatte, die er rechts und links empfing. Aber – er faßte an seine Stirn, als könnte er's noch immer nicht begreifen, und hielt die Hand dort fest gedrückt, indem er mit der Rechten durch die Luft fuhr und etwas abwehrte, – wie ist mir denn? Es war doch so, als wenn Wilhelm sagte, oder als ob ich sagte, es wären Grundsätze vorhanden, die ihn antrieben – Spaßen Sie auch nicht, Vetter? lachte er plötzlich auf. Meiner Seele, es ist Spaß, denn – Sie, wie sollten Sie – oh!

Ich sehe wohl, wir müssen unserm guten Frohlieb einige Zeit zur Erholung geben, sagte Hartfeld, indem er der kleinen Frau zulächelte. Ich will überdies dem Herrn Finanzrath Leisegang einen Besuch machen und mich nach dem Befinden seines Onkels, meines lieben Geheimraths, erkundigen, der etwas unpäßlich ist. Dann komme ich noch einmal mit heran, ehe ich nach Haus gehe. Mittag essen Sie bei mir, Frohlieb; wir wollen das Brautpaar hoch leben lassen, und wenn ich etwa den Wilhelm noch bei Julien finde, wie sich dies wohl ereignen dürfte, so könnte es sein, daß das junge Paar sich noch heute hier einstellt und um Segen bittet. Also auf Wiedersehen einstweilen. Es ist wirklich so, Frohlieb. Ich denke doch, Sie zweifeln nun nicht mehr daran.

Er ist vor Freude ganz von Sinnen! rief die kleine Frau, aber er wird schon wieder zu sich kommen. Der Herr Finanzrath ist zu Haus, bester Vetter. Ich kann das Licht kaum halten, so voll ist mein Herz:

Der Kriegsrath sah mit großmüthiger Güte auf die zitternden Hände seiner Cousine. Er schien gerührt über diese tiefe Bewegung seiner dankbaren Verwandten.

Julie liebt Häuslichkeit und Einfachheit, sagte er, sie hat kein Gefallen an Pracht und Lärm. Wir werden Alle zufrieden und glücklich sein, fügte er tröstlich lächelnd hinzu.



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