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5.

Arm in Arm ging der Finanzrath mit seinem Freunde die Straße hinab und erzählte diesem ausführlicher den Trauerfall, der ihn überrascht hatte.

Du kanntest meinen Onkel ja gut genug, sagte er, er hat glücklich gelebt und ist selig gestorben. Am Abend vor seinem Tode war er noch auf einem Austernschmaus, kam überaus vergnügt davon zurück, schlief vortrefflich, stand in bester Laune auf und frühstückte dann in meiner Gesellschaft. Er trank eine ganze Flasche Moselwein, den er besonders liebte und ganz ausgezeichnet in seinem Keller hatte, welcher, beiläufig gesagt, nun ebenfalls mein Eigenthum geworden ist. Dabei bewirthete er mich, nach seiner Gewohnheit, mit einer unerschöpflichen Gallerie lateinischer Citate aus allen möglichen Schriftstellern und Poeten. Als er mich entließ, gab er mir einen kleinen Schlag auf den Leib, sah mich neckend an, und sagte: Du mußt heirathen, sobald als möglich, denn Du wirst zu dick. Wir hatten eben ein solches Thema abgehandelt, daher kam er darauf zurück. Heirathen ist das beste Mittel, mager zu werden. Da ärgert man sich, da schläft man nicht. Quid fieri non posse pulas, si jungitur ulla Ursidio? Wenn ich jemals dick geworden wäre, hätte ich auf der Stelle geheirathet. Also komm morgen, Ferdinand, und iß mit mir, da wollen wir es nochmals überlegen. Intermissa, Venus, diu rursus bella moves? Heute esse ich beim Präsidenten, aber ich äße lieber bei Hartfeld, bei meinem vortrefflichen Rendanten; man ißt nirgend so gut. Multa sunt autem, quae opportet accipere, nec debere, wie der kluge, alte Seneca sagt, der die Welt kannte. Wir wollen beide bei Hartfeld essen, ich werde es ihm sagen lassen. So ging ich, und er arbeitete, wie er es immer that, bis drei Uhr, dann ließ er sich ankleiden, scherzte und lachte mit seinem alten Friedrich, und wie er zur Thür hinausgehen wollte, faßte er ihn an die Nase und sagte: Auf Wiedersehen, alter Bursche; lehnte sich an ihn, lachte noch einmal und war todt.

Hartfeld thut mir leid, fuhr er fort, als Wilhelm schwieg. Ich hätte ihm bei seiner Ruhe und Würde nicht so viel Weichheit zugetraut. Gestern Abend aber an der Leiche war er so zerbrochen, daß ich fürchtete, wir würden zwei zu begraben haben.

Er hat Deinem Onkel treu angehangen, sagte Frohlieb.

Das hat er, und merkwürdiger Weise hing mein Onkel ebenso zärtlich an ihm. Nicht allein darum, weil er Hartfelds Suppe für die beste im ganzen Lande erklärte, oder weil sie beide Bildernarren waren, das erregte sogar einige Eifersucht zwischen ihnen; es war ein gewisses sympathetisches Empfinden in ihnen, das sich durch die kleine Julie noch besser vermittelte, denn diese war sonderbarer Weise meines Onkels Liebling, und trotz dessen, daß sie doch wirklich keine Schönheit ist, fand er sie überaus reizend.

Schönheit ist ein Begriff ohne Erklärung, sagte Wilhelm.

Das heißt, sie läßt sich eben nur empfinden, versetzte Leisegang, und Du hast Recht; dies Gefühl empfand er dermaßen, daß er ihr zehntausend Thaler aussetzte, was viel sagen will. Mein Onkel gab für sich allerdings gern Geld aus, obwohl auch dies seine Grenzen hatte, im Uebrigen aber war er gegen keinen Andern besonders freigebig. Wie ich bei Hartfeld schon sagte, als dieser das Bild von Gudin gekauft hatte, das ihm zu theuer war, schimpfte er gewaltig, daß sogar ein lumpiger Kriegsrath solche heillose Verschwendung treiben könnte.

Hartfeld hatte es ja für Deinen Onkel bestimmt.

Wenn es wahr ist; wir wollen es nicht weiter untersuchen. Dergleichen Kunstfreunde verrathen lieber Vater und Mutter, ehe sie sich von einem ihrer Schätze trennen. Hartfelds Sammlung soll enormes Geld kosten, mein Onkel hat ihm nachgerechnet, daß wenigstens dreißigtausend Thaler darin stecken. Wer auf sein Steckenpferd so viel verwenden kann, muß einen gehörigen Geldbeutel haben. Was meinst Du wohl, wie es damit steht? Ihr seid ja verwandt.

Ich habe mich nie um sein Geld gekümmert, sagte Frohlieb.

Du hattest andere Berechnungen anzustellen, und die nöthige Einsicht, um zu wissen, was eine hübsche Wittwe werth ist. Versteh doch Scherz, fuhr er fort, als er seines Freundes Gesicht ernster werden sah. Ich glaube es gern, daß Dich Hartfelds Vermögensverhältnisse nicht interessiren, mich aber interessiren sie, obwohl ich im Grunde mich auch dabei beruhigen kann.

Wobei?

Wobei! Nun, eigentlich bei der Gewißheit, daß Hartfeld nur eine Tochter hat, und daß diese Tochter alle diese Bilder und was sonst vorhanden ist, einmal erben wird.

Ein rascher, einbohrender Blick antwortete dem Finanzrath, der unbekümmert fortfuhr:

Es leuchtet Dir wohl ein, was ich damit meine? Wenn ich Dir vorher erzählte, mein Onkel habe mich zum Heirathen ermuntert, so konntest Du beinahe denken, wen er mir aussuchte und vorschlug. Welche verlockende Ueberredungskünste er anwandte, erkennst Du daran, daß er mir die Pflicht auferlegen wollte, im Weigerungsfalle zehntausend Thaler Abstandsgeld zu zahlen.

Das werde ich aber nicht thun, lachte er. Mein Onkel war ein scharfblickender Mann. Ich werde, wie Du auch schon gehört hast, alle seine Wünsche erfüllen. Julie ist nicht hübsch, doch sehr verständig und was man gebildet nennt. Hat sie Fehler, besitzt sie noch mehr Vorzüge. Was sagst Du dazu?

Daß Du Deiner Sache sehr gewiß bist.

Warum sollte ich meiner Sache nicht gewiß sein? Meinst Du, ich könnte mir einen Korb holen? Mein lieber Freund, wer sich den holt, verdient ihn auch. Wer Narr genug ist, sich anzubieten, ehe er nicht vollkommen überzeugt ist, freudig erwartet zu werden, dem widerfährt, was ihm gebührt.

So wünsche ich Dir Glück! Doch hier muß ich Dich verlassen.

Und ich erwidere Deinen Glückwunsch, sagte der Finanzrath stillstehend. Was ich von Deinem Vater gestern hörte, läßt mich glauben, daß Du am Ziele Deiner Wünsche bist.

Noch nicht.

Um so besser, warte noch einige Zeit. Ich habe im Scherze Deinem Vater gesagt, wir wollten beide an einem Tage unsere Hochzeit feiern; es kann aber Ernst daraus werden. Gehst Du jetzt nach Haus?

Ja.

Dann schweige natürlich auch von meiner Mittheilung.

Gewiß! erwiderte Frohlieb, der sich entfernen wollte.

Halt! noch Eines. Wenn das Begräbniß vorüber ist, so thue mir den Gefallen und unterstütze mich bei dem Bücherverkauf. Ich will Dir Alles übergeben; je eher die Wohnung frei wird von dem Trödel und Plunder, um so lieber ist es mir. Ich muß sie doch in Stand setzen lassen, ehe ich heirathe.

Gut, gut!

Und wenn Du morgen zu Hartfeld kommst, fuhr er fort, ihn am Arme festhaltend, und es findet sich eine passende Gelegenheit, um über das Testament und das Legat zu sprechen, so sage Deine Meinung. Du weißt ja nun; wie die Sache steht. Es ist allerdings nur ein Entwurf, kein Testament, denn nach unserer weisen Gesetzgebung muß dies gerichtlich niedergelegt sein, um Gültigkeit zu haben; allein ein Mann von Ehre wird sich, davon nicht abhalten lassen, und bei diesen eigenthümlichen Verhältnissen Du weißt ja, was man für einen Freund sagen kann, wenn man ihm helfen will. Ich helfe Dir ebenfalls, Wilhelm, wenn die hübsche Wittwe etwa – manus manum lavat!

Frohlieb hörte nicht mehr, er machte sich frei und suchte alle Qual, die in ihm war, mit einem gewaltsamen Lachen zu bedecken. Es war ihm unmöglich, sogleich bei seinen Eltern einzutreten. Er ging daher an dem Hause vorüber, bog durch mehrere Straßen und stand plötzlich vor Madame Petermann, die ihm entgegenkam, und vor der er verwirrt und erschrocken wie der blödeste Schäfer sich verbeugte.

Die schöne Wittwe bemerkte dies eben so wohl, wie die scheue Unruhe in seinen Augen und seine verlegenen Antworten, die ihr Vergnügen machten. Sie war eitel und herrschsüchtig und sah darin das Bekenntniß der Gewalt, welche sie über ihren Anbeter ausübte. Wie stolze und starke Männer bei geheimer Neigung eines Mädchens durch ihre Nähe und ihren Blick jenes ängstliche Bangen und Erröthen bewirken, das ihnen als Beweis ihres nahen Sieges gilt, so fühlte auch diese junge Frau, daß sie große Macht besitze.

In ihren schönen, theuern Pelz gehüllt, fein und zierlich nach der neuesten Mode gekleidet, und im Bewußtsein aller ihrer Vorzüge, war es ihr doch angenehm, zu sehen, daß dieser junge Mann, der von Vielen gelobt und gerühmt wurde, demüthig und zaghaft um ihre Huld und ihre Hand diente. Sie war entschlossen, ihm diese nicht zu versagen, und fühlte selbst eine gewisse Zuneigung für den bescheidenen, gefälligen, verständigen und dabei wohlgebildeten jungen Mann, aber sie rechnete auch auf seine Dankbarkeit, und diese eben entdeckte sie in seiner Demuth.

Aber Herr Frohlieb, sagte sie, huldvoll lächelnd, ich glaube wirklich, Sie wären an mir vorüber gegangen, ohne mich zu bemerken, wenn ich es gelitten hätte.

Gewiß nicht. O, nein! Das wäre unmöglich, erwiderte er. Ich blieb soeben stehen.

Sie erinnerten sich also doch noch, daß ich hier wohne?

Frohlieb blickte auf. Er war wirklich dicht bei der Wohnung der hübschen Wittwe.

Wie könnte ich das vergessen! sagte er, erfreut einen Ausweg gefunden zu haben.

Aber Sie sind doch vorübergegangen, fuhr sie lachend fort.

Allerdings – ich wagte es nicht. Es ist schon sehr spät und – ich mußte fürchten –

Er sah allerliebst aus, denn seine Verlegenheit trieb ihm kleine krause Wolken auf die Stirn, und seine Augen hatten etwas rührend Bittendes und Unterwürfiges.

Sie hätten mich allerdings nicht gefunden, sagte sie überaus gütig, und dies würde mir sehr leid gethan haben. Jetzt wollte ich zwar noch einen Besuch in der Nähe machen, allein ich werde es aufschieben, und bitte Sie, bei mir einzutreten.

Nein, nein! rief Wilhelm flehend, ich darf es nicht zugeben. Um meinetwegen sollen Sie niemals Ihren Willen ändern.

Wirklich niemals? fragte sie, und mit einem raschen Gedankenschlage kam sie zu dem Entschluß, ihm zu beweisen, daß sie dazu auch möglichst wenig Lust habe.

Warum sind Sie denn gestern Abend nicht noch gekommen? fuhr sie fort. Ich hatte es eigentlich beinahe erwartet, nachdem ich vorgestern vergebens auf Ihren Besuch gehofft; obwohl Sie mir versprochen hatten, mir bei meinen Rechnungen zu helfen. Hatten Sie es vergessen?

Vergessen! rief er erschrocken und so unterthänig, daß sie, Vergebung lächelnd, auf ihn hinsah. Sie werden das nicht von mir glauben, aber – er stockte – es war mir wirklich ganz unmöglich, und gestern –

Nun, gestern?

Als ich zu meinen Eltern kam, und hörte, daß ich so unglücklich gewesen, zu spät zu kommen, wollte ich sogleich eilen, allein, indem ich dies thun wollte –

Kam der Herr Finanzrath Leisegang und nahm Sie in Beschlag.

Ja, in der That, sagte er, freudig aufathmend über ihren Beistand. Sie wissen also schon.

Daß der Herr Finanzrath größere Rechte und Ansprüche auf Ihre Gesellschaft zu machen hat, als ich, antwortete sie. O, ich bitte, entschuldigen Sie sich nicht weiter.

Er hat auf meine Gesellschaft sehr wenig Ansprüche zu machen, denn wir haben uns niemals allzu häufig gesehen, fuhr Wilhelm überzeugend ruhig fort, allein gestern – sein Onkel ist plötzlich gestorben.

Diese Nachricht versöhnte Madame Petermann.

Wenn das der Fall ist, ja, dann konnte es allerdings nicht anders sein, sagte sie. Also der Geheimrath ist todt. Ich gönne es eigentlich diesem Herrn Finanzrath nicht, denn er wird gewiß sehr viel erben.

Viel Geld, ohne Zweifel. Aber kann man damit Liebe erkaufen?

Die Art, wie er sie bei diesen Worten anblickte, brachte widersprechende Empfindungen bei Madame Petermann hervor.

Erkaufen muß man Liebe nicht, das wäre abscheulich, antwortete sie, allein Geld ist nothwendig, und wer es besitzt, wird damit immer im Stande sein, den Gegenstand, den er sich auserwählt, noch mehr zu beglücken.

Sie haben Recht, sagte er lebhaft. Geld ist eine Alles bezwingende Macht.

Aber man muß auch dankbar sein.

Dankbar bis ans Ende.

Die schöne Wittwe nickte ihm vertraulich zu.

Nun, wir wollen sehen, sagte sie lächelnd, doch Strafe muß sein. Da Sie mich vergebens warten ließen, sollen Sie ebenfalls warten. Ich werde meinen Besuch machen und bin heute Abend bei einer Freundin versagt. Morgen aber bin ich zu Haus, und wenn Herr Frohlieb nicht wieder von unüberwindlichen Abhaltungen befallen wird, wollen wir alle Rechnungen in Ordnung bringen.

So verließ sie ihn mit vielsagenden Blicken. Demüthig nahm er Abschied, als sie in ein nahes Haus trat, und floh dann, gejagt von der Furcht, daß sie ihn zurückrufen könnte, um die nächste Biegung der Straße. Auch hielt er in seinem eiligen Laufe nicht eher ein, bis er die Wohnung seiner Eltern erreicht hatte.

Herr Daniel Frohlieb stand dort in der Mitte seiner Stube. Er hatte einen blauen Frack mit blanken Knöpfen angezogen, dessen spitze Schöße weit über seine Kniekehlen reichten. Ein schwarzes Sammetkäppchen bedeckte sein Haupt, die linke Hand hielt er in der Hosentasche, in der Rechten dampfte das Cigarrenpfeifchen. So stand der würdige Rentier mit gespreizten Beinen, tiefsinnigen Betrachtungen nachhängend, und drehte sich langsam, dann lebhafter um, als er das Geräusch vernahm und darauf seinen Sohn bemerkte.

Na, da bist Du ja, mein Junge, rief er ihm entgegen. Sapperment! ich bin zweimal bei Dir gewesen im Geschäft, nicht zu Hause; bin beim Vetter Hartfeld gewesen, auch nicht zu Hause, und das Fräulein Tochter krank. Was ist denn also los mit Deinen Grundsätzen, daß wir warten können, bis wir schwarz werden vor unterdrückter Neugier? Wie? Oder weißt Du nichts?

Ich weiß Alles, sagte Wilhelm.

Alles ist nichts, gar nichts, denn Alles kann Keiner wissen, also weiß er nichts. Was weißt Du also? Weißt Du, daß der Geheimrath todt ist?

Ja, Vater. Wo ist meine Mutter?

Na, wo soll sie sein! In der Küche, wo eine Frau um diese Zeit sein muß, wenn die Magen schief hängen. Aber dieses ist mein stilles Bedenken, Wilhelm. Es sage mir Keiner: Ach! was Gründe! Komme mir nicht mit Gründen, wie es Deine Mutter thut. Denn Frauen halten nun einmal nicht viel von Gründen, weil sie immer nach ihren Einfällen handeln, und Deine Mutter hat sich diesen Einfall in den Kopf kommen lassen, der, wenn ich ihn nicht geradezu einfältig nennen will, denn das wäre grob, doch jedenfalls in seinen Ursachen falsch berechnet wurde. Also, was kann es mir helfen, wenn ich eine Frau habe, und es ist Mittag, und ich sage: was hast Du gekocht, Frau? und sie antwortet mir: Ich weiß es wirklich nicht, wir wollen uns einmal bei der Köchin erkundigen. Aber, liebster Wilhelm, ich habe unterdessen Französisch und Englisch gelesen, und will Dir eine ganze Oper auswendig vorspielen. Oder wenn ich nun sage: Frau, heute wollen wir einen frischen Spaziergang machen, und sie erwidert: Dieses geht leider nicht, wenn Du spazieren gehen willst, mußt Du allein gehen.

Alle Wetter, Willem! fuhr Herr Frohlieb heftig fort, nachdem er sein schwarzes Käppchen umgedreht und seinen Sohn betrachtet hatte, der still in der Sophaecke saß. Immer und ewig allein gehen, ohne seine Frau an den Arm zu nehmen, und so recht lustig unter die blühenden Bäume springen, und wenn die Nachtigallen singen, mit ihr eine Landpartie machen. Dieses könnte mir nicht sehr gefallen, und dann schwächlich und krank im Bette liegen, von wegen aufgeregter Nerven, wie sie es jetzt nennen. Oh! Siehst Du wohl, Wilhelm, dergleichen waren meine Gedanken, als ich hier stand, wie Du eintratest, und ich frage nun, ob das nicht Gründe sind? Und ich frage nun, welche Ursachen man zu betrachten hat, und sehe durchaus nicht ein, weshalb man nicht bei seinen Grundsätzen noch immer stehen bleiben kann? Ehe ich kaufe, probe ich, vergleiche die verschiedenen Sorten reiflich, und treffe dann meine Wahl. Es kommt viel aufs Deckblatt an, Wilhelm. Ich sage Dir, mein Junge, das Deckblatt ist die Hauptsache, wenn Deine Mutter auch sagt, auf die Einlage muß der Mensch sehen. Ein sauberes, feines Deckblatt deckt alle anderen Fehler zu, und wenn die Einlage auch nicht ganz so ist, wie sie sein sollte, so ist der Artikel doch angenehm, und eine Freude fürs Auge.

Wilhelm hatte die Hand über seine eigenen Augen gelegt, sein Vater hörte ihn vernehmlich seufzen.

Na, es ist ja noch nicht so weit, mein Junge, sagte er tröstend. Es ist ja noch immer Zeit zum Probiren, und darum noch nicht verzagt, nur nicht lange gemacht, sondern nach Grundsätzen festgestanden, wie ein Mann.

Hier richtete sich Herr Frohlieb energisch auf, trat dann näher und legte seine Hand auf seines Sohnes Kopf.

Ich sage Dir, Willem, begann er etwas leiser, höre Du auf Deinen Vater, der immer nach Gründen handelte, also auch seine gesunde Leber besaß, die ihn froh durchs Leben begleitete. Ein und siebenzig Jahre zu Ostern! schrie er, stolz auf seine Brust schlagend, und was für'n Kerl noch! Alles von wegen richtiger Grundsätze. Und darauf kannst Du Dich verlassen, mein Junge, ich habe immer nach dem Deckblatt gesehen. Wenn's bei Deiner Mutter nicht appetitlich gewesen wäre, ich hätte sie nicht aufs Lager genommen, wäre die Einlage auch vom feinsten Havannah gewesen.

Hier wurde Herr Frohlieb unterbrochen, denn die Stimme seiner Gattin schallte schreckend in seine Ohren. Die kleine Frau war sachte hereingekommen, und ihr Gesicht war von Feuer geröthet, in der Hand hielt sie einen Löffel. Ihr Leib war mit der häuslichen, weißen Schürze bedeckt, ihre Haube ein wenig verschoben. So stand sie mit eingestemmten Armen und trotzigem Gesicht.

Das ist ja eine allerliebste Unterhaltung zwischen Vater und Sohn! rief sie. Was hast Du wieder angebracht, Daniel? Mich hättest Du nicht genommen, erzählst Du ihm?

Herr Frohlieb machte in seiner Verlegenheit eine zärtliche Bogenschwenkung und eilte der kleinen Frau damit entgegen.

Ob ich Dich genommen hätte! schrie er, das versteht sich. Es war ein edles Gewächs, wohlgepflanzt und reif, und so angemessen nach meinen Grundsätzen –

Ach, dummes Zeug! unterbrach sie ihn, ihren Löffel schwenkend, höre endlich damit auf. Laß den Wilhelm gehen, wohin ihn sein Herz zieht, er wird sich von Dir doch nicht bekehren lassen.

Ein Vater, Mamachen, hat jedoch die Pflicht, seinen Sohn zu ermahnen, allemal mercantilisch zu bedenken, was er für Geschäfte abschließt.

Kehre Dich nicht an solche Redensarten, Wilhelm, fiel die kleine Frau ein. Es ist ja die größte Ehre für uns. Ein hoch angesehener Mann, und dabei Alles da, um glücklich zu sein. Obenein unser leiblicher Vetter und das einzige Kind –

Aber das Deckblatt! schrie Herr Frohlieb dazwischen. Was kann das Alles helfen, wenn das Deckblatt defect ist!

Mein Gott! dieser Vater, danach sieht er! antwortete die kleine Frau, ihre Hände ausstreckend; damit ängstigt er seinen eigenen, einzigen Sohn. Kehre Dich nicht daran, Wilhelm. Ein Herz, das liebt, sieht auf das Innere, dadurch wird Alles schön.

Es ist gut, sagte Herr Frohlieb, sehr gut, Mama. Nehmen wir diese Gründe wirklich an, so können wir doch nicht in Abrede stellen, daß auch Thereschen ihre innerlichen Vorzüge hat, denn sie ist sparsam und häuslich, angenehm und lieblich.

Das ist nicht wahr! unterbrach ihn die kleine Frau. Geld hat sie, weiter nichts, als Geld, aber was Bildung anbelangt – und Bildung ist doch die Hauptsache für einen Mann, wie Wilhelm ist.

Dieses möchte ich bezweifeln, Mama, versetzte Herr Frohlieb.

Kehre Dich nicht an ihn, Wilhelm! schrie die kleine Frau, indem sie ihre Hand auf ihres Sohnes Schulter legte. Geld macht nicht glücklich, und Du hast nicht nöthig, darauf zu lauern. Wenn's auf Geld ankommt, hat Julie am Ende noch mehr, als diese ausgeputzte Madame. Was sind ihre fünfzigtausend Thaler gegen Vetter Hartfeld!

Aber es ist mercantilisch richtig, sagte Herr Frohlieb von der andern Seite, indem er ebenfalls auf seines Sohnes Schulter klopfte, der geduldig still hielt – ich sage, es ist sogar in der Bibel mercantilisch anerkannt, daß ein Sperling in der Hand besser ist, denn die Taube auf dem Dache.

Es ist auch ein Sperling, schrie die Mama gereizt, gerade so kommt sie mir vor, so eitel, so eingebildet, so habgierig. Julie dagegen ist wie ein Täubchen, so sanft, so zart, so liebevoll. Bleib Du bei Julien, mein Sohn, denn sie liebt Dich, und der Vetter verehrt Dich, und es ist eine Ehre für uns Alle. Dein Vater, was er auch reden mag, wird sich endlich am allermeisten freuen, wenn die Hochzeit da ist.

Hochzeit mit wem? fragte Wilhelm leise.

Mit wem? Mit Julien.

Niemals! sagte er, vor sich hinsehend.

Es ist ja nur aufgeschoben. Der Vetter will es ja, er weiß es ja.

Aber sie will mich nicht, Julie nicht, erwiderte er, indem er aufstand und mit äußerster Fassung in Geberden und Worten die Hände seiner Eltern ergriff. Meine Hoffnungen haben ihr Ende gefunden, sagte er, Julie hat mir vor einer Stunde erklärt, daß sie nicht meine Frau werden könne. Ihr Vater hatte mich an sie gewiesen, die Sache ist also aus völlig aus, Mutter – ich bitte Euch, laßt uns wenigstens in der nächsten Zeit darüber schweigen. Ihr könnt wohl denken, daß Zeit nöthig ist, um die wunde Stelle in meinem Herzen zu heilen. Wunden müssen nicht berührt werden.

Der Ton, in welchem er dies sagte, war so stolz und männlich, daß er seine Wirkung nicht verfehlte. Der Unglaube der kleinen Frau brach sich daran, sie sah wohl, daß es Ernst war, und ihr gutmüthiges Gesicht drückte den Schmerz aus, den sie über den Kummer ihres Sohnes noch mehr, als über die plötzliche Vernichtung ihrer eigenen Hoffnungen und Entwürfe empfand.

Anders war es dagegen mit Herrn Frohlieb, der zwar auch vor Ueberraschung den Mund weit aufmachte, im nächsten Augenblicke jedoch einen lebhaften Triumph nicht unterdrücken konnte.

Das hat sie gesagt? schrie er. Sie kann Deine Frau nicht werden? Aus welchen Gründen ist ihr dieses Bewußtsein gekommen?

Weil sie, gebrechlich und schwächlich, wie sie ist, nicht glaubt, mich glücklich zu machen, nicht will, daß ich, wie sie sagt, mich an ihr Elend fessele.

Siehst Du wohl, Wilhelm, rief Herr Frohlieb, schwankend zwischen Freude und Theilnahme, dieses sind dieselben Grundsätze, welche ich Dir vorlegte.

Mich an ihr Elend fesseln! fuhr der junge Mann, mit seinen Gefühlen kämpfend, fort. Ich habe nie bemerkt, daß ihr ein Gebrechen anklebt. Niemals würde ich eine Last empfunden haben.

Die kleine Frau legte ihren Arm um ihn, und während sie ihn küßte und drückte, liefen große Thränen über ihre Backen. Das Mutterherz empfand das Weh, das auf seinen Lippen zitterte, tröstend sagte sie mit leiser Stimme:

Ach! die gute Seele, das gute Kind! Aber sei nur geduldig, Wilhelm. Es hat Manche schon Nein gesagt, und zuletzt ist doch ein Ja daraus geworden.

Niemals wird ein Ja daraus werden, Mutter, antwortete er mit einem Seufzer, ich darf nicht länger daran denken, und bitte Euch herzlich, schweigt gegen Jeden darüber.

Aber was sagt denn der Vetter? fragte die kleine Frau betrübt. Er war doch seiner Sache so gewiß, und ein Vater kann viel thun.

Wilhelm blickte still vor sich nieder.

Er hat gethan, wie es Recht war, ich kann's nicht tadeln, erwiderte er dann. Wenn vielleicht Verhältnisse eintreten – ein schmerzliches Lächeln glitt über sein Gesicht – Doch nein! auch das kann nichts ändern. Mag Julie glücklich werden, das ist Alles, was ich ihr wünsche.



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