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3.

Als die kleine Frau die Lampe wieder auf den Tisch setzte, fand sie ihren Mann noch in derselben Stellung, die linke Hand an seinen Kopf gedrückt, unbeweglich in der Mitte der Stube. Sie blickte ihn einige Minuten lang an, und trat dann dicht vor ihn hin, ohne daß Herr Frohlieb sich rührte. Endlich faßte sie an seinen Ellenbogen und schüttelte ihn, wodurch Herr Frohlieb in eine taumelnde Bewegung gerieth, allein noch immer nichts sagte.

Aber Daniel! rief sie leise, ermuntere Dich doch und sei ein Mensch.

Ich bin ein Mensch, antwortete Herr Frohlieb mit dumpfer Stimme, aber es ist nicht wahr!

Was ist denn nicht wahr?

Es kann nicht sein, fuhr Herr Frohlieb fort, denn es wäre gegen alle Grundsätze, gegen alle Ursachen. Sage selbst, Mama, wo sind hier die Ursachen? Wo liegen die Quellen der menschlichen Vernunft?

Was willst Du denn mit Deiner Vernunft dabei, fragte die kleine Frau.

Also siehst Du wohl, Mama! sagte Herr Frohlieb triumphirend, indem er etwas Lebensthätigkeit äußerte, Runzeln zog, und den Finger an seine Nase legte, also ist es ein Irrthum, oder eine Tollheit, oder Alles in der Welt, nur keine Wirkung, die sich auf die richtige Ursache zurückführen läßt.

Ursach hin, Ursach her! fiel die Mama trotzig ein, das ist Alles Wischwasch, weiter nichts. Wahr ist es, und ob wir uns darüber noch so sehr wundern, es ist doch so. Wir wissen nun, wo Wilhelm alle Abend gewesen ist, und wo er jetzt ist, wissen wir auch.

Bei unserm lieben Thereschen ist er! schrie Herr Frohlieb, indem er sich heftig aufrichtete.

Bei Julien ist er, und da ist er immer gewesen, antwortete sie, den Arm einstemmend.

Also Mama! sagte er erschrocken, Du glaubst es wirklich?

Wenn's der Vetter sagt? Wird der lügen? Wird der herkommen, uns Windbeuteleien vorzumachen?

Herr Frohlieb heftete einen tiefsinnigen Blick auf den Fußboden. Thereschen hat ihm das Geschäft gegeben, murmelte er, sie wartet nur darauf, daß er kommen soll, um an seinen Hals zu fliegen. Sie ist jung und lieblich –

Drei Jahre älter wie er, schrie die Mama äußerst boshaft.

Reizend und häuslich, bescheiden und dem Veilchen gleich, fuhr Herr Frohlieb fort.

Geizig ist sie, blos für ihren Staat giebt sie Geld aus, unterbrach ihn die kleine Frau.

Wie geleckt sieht es bei ihr aus, kein Stäubchen darf sich blicken lassen, seufzte Herr Frohlieb, und dazu die Grundursache aller menschlichen Glückseligkeit, fünfzig tausend Thaler! Darum ist es nicht möglich, Mama. Unser Wilhelm weiß, was Grundsätze sind, er wird die menschliche Vernunft nicht verläugnen.

Aber Daniel, sagte die kleine Frau strafend, bist Du denn selbst so von aller Vernunft verlassen, daß Du nicht merkst, wie vernünftig Wilhelm ist? Es ist ja das einzige Kind, das einmal Alles, was da ist, bekommt. Und das möchte denn doch wohl noch eine andere Erbschaft sein, wie sie der selige Petermann hinterlassen hat, fuhr sie stolz aufblickend fort, dazu aber die Ehre und die Verwandtschaft. Wer ist denn diese Therese? Wer sind denn ihre Verwandten? Wenn Einer danach fragt, muß man stille schweigen, wenn's aber heißt: Der Frohlieb heirathet die einzige Tochter vom Kriegsrath Hartfeld; wenn das in die Zeitung kommt! Denke doch nur an, Daniel, wenn das in die Zeitung kommt!

Herr Frohlieb stand sinnend in Betrachtungen, und als schwebte die himmlische Wage vor seinen Blicken, deren Zunge nach rechts und links schwankte, während die beiden Bräute in den Schaalen säßen, so nickte er hierhin und dorthin, begann zu lächeln und wiederum Falten zu schlagen, bis er plötzlich einen Schlag auf seine Stirn that und in einen neuen Anfall von Ungläubigkeit gerieth.

Es ist dennoch gegen alle Grundsätze, Mama! schrie er auf, und wer es mir vor einer Stunde gesagt hätte, dem hätte ich ins Gesicht gelacht. Es konnte sich Keiner einbilden, daß dieser Junge unnatürliche Gelüste auf ein Mädchen haben könnte, das noch vor drei Jahren in die Schule ging und eingesegnet wurde. Und es ist auch nicht wahr, Mama; nein! es ist auch nicht wahr. Du wirst sehen, daß es nicht wahr ist!

Ist mir je solch ein Mann vorgekommen, versetzte sie heftig. Es ist wahr und bleibt wahr, und wird wahr bleiben!

Und es wird nicht wahr bleiben, sagte Herr Frohlieb energisch, denn es kann nicht wahr bleiben, weil's übernatürlich und widernatürlich ist. Kein Mensch hat daran gedacht, daß diese Julie jemals heirathen könnte; Jeder hat geglaubt, dies magere, schwache Kind muß Zeitlebens in Baumwolle gepackt bleiben. Heirathen, ha, ha! – er lachte grimmig auf – wer soll sie denn heirathen?! Wie sollte Wilhelm dazu kommen, sich daran zu versehen, und warum nun diese –

Herr Frohlieb vollendete nicht, aber sein Gesicht wurde plötzlich sanft und erhielt sein pfiffiges Lächeln wieder. Na, sagte er, darum wird Keiner vor Leidenschaft verrückt, also siehst Du wohl, Mama, daß es ein Irrthum sein muß.

Warum denn? fragte die kleine Frau.

Warum denn! Sie hat ja einen kurzen Fuß, flüsterte Herr Frohlieb, die Achseln zuckend. Von Jugend auf hinkt sie ja. Gott weiß, was sie Alles angewandt haben, bis endlich doch nichts übrig blieb, als ein Schuh mit drei Finger hohen Hacken.

Die Kaltblütigkeit der Mama wurde auch durch diesen triftigen Grund nicht erschüttert.

Was schadet denn das? fragte sie, das schadet gar nicht. Ich habe noch nicht gehört, daß ein junges Mädchen darum nicht heirathen könnte.

Herr Frohlieb zog ganz erstaunt seine Augenbrauen in die Höhe und hörte schweigend weiter zu.

Es ist auch kaum zu bemerken, fuhr seine Frau fort, denn dafür trägt man lange Kleider, und an einen äußerlichen Anstoß wird ein Mann sich nicht kehren. Wenn ich einen zu kurzen Fuß gehabt hätte, Daniel, würdest Du mich darum doch gewiß nicht verlassen, oder nicht mehr geliebt haben.

Niemals! sagte Herr Frohlieb feierlich ernsthaft.

Na also. Und Wilhelm ist auch Keiner, der sich davon stören läßt, sondern er ist in allen Dingen gesetzt, und weiß, was er thut. Julie ist immer sanft und geduldig gewesen, und weil sie nicht springen und tanzen und hoffärtige Eitelkeit treiben konnte, hat sie viele Dinge gelernt, wovon Andere nichts wissen. Und jetzt verstehe ich erst, was Wilhelm neulich sagte: Es geht nichts über die echte weibliche Bildung, sagte er, alles Uebrige ist Flitter und Schein. Das hat er gesagt, Daniel, und es ist mir gleich aufs Herz gefallen, denn ich dachte: Was soll denn das bedeuten? Sehr gebildet ist Thereschen doch eben nicht.

Aber ihre Grundsätze sind schön, Mama, fiel Herr Frohlieb, den Zeigefinger aufhebend, ein.

Derowegen brauchen wir uns nicht zu ängstigen, antwortete sie. Wilhelm ist ein Mann, der seinen Stolz hat, und es ist mir lieb, Daniel, so recht von Herzen lieb, wenn er seine Augen darauf gerichtet hat, wo es eine Ehre ist, zu sagen, das ist unsere Schwiegertochter. Keiner hätte es gedacht; nein gewiß, Keiner hätte es gedacht. Man hätte glauben sollen, es müßte Einer, Gott weiß wie hoch, herkommen, um da anzuklopfen. Mit Geheimräthen und großen Herren geht ihr Vater ja beständig um; und wie die alle aussehen werden, wenn es bekannt wird, und wie sie uns gratuliren werden, und wie sie Wilhelm sein Glück beneiden werden!

Zwei dicke Thränen rollten aus den Augen der guten kleinen Frau, und Herr Frohlieb stand da, mit dem Finger an seinem langen, spitzen Kinn, und begann aus seinem Nachdenken zu lächeln. Seine Erwägungen verwandelten sich sichtlich in Entschlüsse.

Das werden sie! rief er plötzlich, denn allerdings, und grundsätzlich genommen, ist es ein Glück. Und wenn wir Alles reiflich überlegen, muß ich Dir Recht geben, Mama. Es ist eine Ehre für uns, warum sollen wir uns also nicht darüber freuen? Ja, wir wollen uns freuen, Mama! schrie er, die kleine Frau ungestüm umarmend, und eine Hochzeit soll es werden, wo es hergehen soll, wie bei der Hochzeit in Cana.

Und da kommt unser geliebter Freund und Vetter! fuhr er jubelnd fort, indem er die gedrückte Mama losließ und, dem Kriegsrath entgegeneilend, sich anschickte, ihn in seine Arme ebenfalls zusammenzuklappen. Schwiegervater! schrie er, Vetter und Schwiegervater; zwei Schwiegerväter! Ich möchte es austrompeten lassen, aber er ließ die Arme sinken und hielt inne, denn es kam ihm vor, als sähe sein verehrter Verwandter sonderbar bleich und verstört aus, und als ob seine Augen, die sonst immer so blau und mildkräftig blickten, einen eigenthümlich stieren, scheuen Ausdruck hätten.

Bei der Hochzeit soll es um so lustiger hergehen! schrie Herr Frohlieb mit erneutem Vertrauen, denn der Kriegsrath nickte ihm zu und lächelte, ganz wie er es gewöhnt war.

Die Hochzeit soll so froh sein, wie allseitiges Glück sie machen kann, sagte er, doch ich habe Ihnen einen Kummer mitzutheilen, der eben leider schwer auf mich fällt: von dem Finanzrath höre ich soeben, daß sein Onkel vor zwei Stunden plötzlich und unerwartet gestorben ist.

Wer? fragte Herr Frohlieb, erstaunt seine Hände zusammenschlagend. Der Geheimrath!

Hartfeld bewegte beistimmend sprachlos den Kopf.

Aber du mein Gott! rief die Mama, gestern war er ja noch hier bei seinem Neffen.

Ich habe ihn heute Mittag noch gesehen, und nichts Böses geahnet, sagte der Kriegsrath. Er klagte ein wenig über Schwere im Kopf. Erkältung und Schnupfen, lag auf dem Sopha und bat mich, morgen früh wieder zu ihm zu kommen, weil er Allerlei mit mir zu verhandeln habe. Scherzte und lachte dabei, wie er immer that, und lud sich bei mir zu Tische, weil er nirgend eine so gute Suppe bekäme.

Das verstand er, sagte Herr Frohlieb, das Essen verstand er! Er konnte über einen saftigen Braten reden, daß Einem das Wasser im Munde zusammenlief.

Ach! so ist es mit dem Menschen, fiel die kleine Frau klagend ein. Der alte Herr hat es nicht gedacht, daß es so schnell mit ihm vorbei wäre.

Er ist gar nicht so alt geworden, sagte der Kriegsrath. Eben sechszig, gerade so alt wie ich; nur weil er so stark war, sah er älter aus.

Derowegen ist es durchaus nicht gut, wenn man sich nicht einzuschränken versteht, erwiderte Herr Frohlieb. Wir werden es länger aushalten, Vetter, denn wir verachten die übermäßige Ausdehnung unseres Leibes im Weltraume. Es liegt jedoch in der Familie. Der Finanzrath ist kaum älter wie Wilhelm, hat aber schon eine Rundung wie ein Regenbogen und Farben im Gesicht, als wäre es immer bei ihm Sonnenaufgang, während mein Wilhelm so schlank ist, wie ein Rohrstock. Fest wie ein Brett, gerade so wie ich.

Herr Frohlieb klopfte mit stolzem Selbstgefühle auf seinen Leib, sein Vetter wandte sich jedoch nach der kleinen Frau um und gab ihr die Hand.

Ich muß fort, sagte er, der Geheimrath war nicht allein mein Vorgesetzter, er war auch mein Freund; Sie können daher denken, wie tief ich betrübt bin.

Das versteht sich! fiel Herr Frohlieb ein, so etwas geht bis in Leber und Nieren.

Ich finde zu Haus schon ein Schreiben des Finanzraths vor, der mir die schreckliche Anzeige machte, und mich jetzt mündlich gebeten hat, die Anordnungen für das Begräbniß zu übernehmen und ihm in allen Dingen beizustehen.

Eine sehr schmerzliche Aufgabe, die jedoch in den besten Händen ist, sagte Herr Frohlieb, indem er sich tief verbeugte. Unter diesen Umständen, fuhr Hartfeld fort, müssen wir natürlich mit unseren eigenen Angelegenheiten warten. Unsere Freude muß unserer Betrübniß weichen.

Richtig, Richtig! sagte Herr Frohlieb, lebhaft nickend.

So lassen wir inzwischen Alles auf sich beruhen, bis das Gleichgewicht sich herstellt. Schweigen wir also, lieber Frohlieb, bis die Zeit da ist, um reden zu können.

Mama, es muß ein Geheimniß zwischen uns bleiben, bis es ans Licht der Welt tritt, sagte Herr Frohlieb warnend.

Von mir soll Keiner ein Wort erfahren, antwortete die kleine Frau in einem Tone, der alle Schuld im Voraus abwälzte.

Gut, meine lieben Freunde, sagte der Kriegsrath. Wir müssen uns dem Willen Gottes unterwerfen, der am besten weiß, was uns frommt. Wenn ich Wilhelm sehe, werde ich seine Hoffnungen nicht zerstören, sondern nur verzögern. Und nun lassen Sie uns scheiden. Ich werde unruhige Tage haben, sobald wohl nicht zu Ihnen heran kommen können; aber wir sehen uns wieder, sobald es immer geschehen kann.

Er nahm Abschied, Herr Frohlieb hielt ihn jedoch noch einmal fest.

Ist denn ein Testament da? fragte er.

Ich glaube kaum, erwiderte Hartfeld. Der Tod ist zu rasch und unerwartet gekommen. Vor wenigen Tagen noch sagte der Selige zu mir: Sie sollen sehen, Hartfeld, ich überlebe Euch Alle, denn ich bin aus dem Stoffe gemacht, der seine hundert Jahre aushält. Ich werde Euch sämmtlich beerben. Und das habe ich auch geglaubt, fuhr der Kriegsrath fort, habe fest daran geglaubt, und sehe mich nun aufs Schmerzlichste getäuscht und getroffen.

Nun liegt er da, sagte Frohlieb, indem er die Thüre hinter dem Vetter zuschlug, und es ist alles nicht wahr gewesen. Was ist der Mensch, Mama! Der Mensch ist ein Wesen, dessen Constitution den größten Kenner irre führt, ebenso wie der größte Kenner einer guten Cigarre sehr häufig ausgelacht werden kann. Er sieht, es ist ein feiner Tabak darin, ein propres Deckblatt, saubere Arbeit, gut gewickelt, sie brennt auch leicht und gut zusammen, aber plötzlich wird sie hart, springt, verstopft sich, kohlt, fällt auseinander, hält kein Feuer. So ist es mit dem Menschen, Mama. Das Dasein ist wunderbar. Man hat seine Grundsätze in schönster Ordnung in der Tasche, plötzlich stolpert man über einen Strohhalm, fällt, und da liegen sie sämmtlich in Stücke gebrochen.

Herr Frohlieb war während dieses Monologes auf und nieder gewandelt, jetzt blieb er mit einer Bogenstreckung seiner beiden Hände vor der Mama stehen, die sich an den Tisch gesetzt hatte, und verbeugte sich.

Wunderbar! schrie er, ja sehr wunderbar kann es Einem beim besten Willen gehen. Vor einer Stunde hatten wir eine Schwiegertochter, so sicher, wie dies eine Fliege ist, die hier kriecht, darauf hatten wir zwei Schwiegertöchter zur Auswahl, und kaum haben wir gewählt und eben angefangen, uns zu freuen, so ist es wieder nichts damit, und es fehlte jetzt blos noch, daß wir um Alles kommen.

Rede doch nicht so sonderbar, sagte die Mama, ängstlich umherblickend. Es ist ein Schicksal, daß der alte Geheimrath heute gerade sterben muß, aber was uns bescheert ist, muß uns bleiben, und wer weiß, ob es nicht am Ende ein Glück ist.

Wie so, Glück? fragte Herr Frohlieb.

Der Geheimrath war ja Juliens Pathe. Vielleicht hat er ihr etwas vermacht. Ueberhaupt wurde er ja bei Hartfelds beinahe angebetet, und Du hörtest es ja, wie Hartfeld sagte, auch dem Herrn Geheimrath gefiele unser Wilhelm, und auch er würde sich darüber freuen, wenn er hörte, was geschehen sollte. Wenn er sich nun aber nicht darüber gefreut hätte, Daniel?

Jetzt mag er sich freuen oder nicht, es ist uns egal, versetzte Herr Frohlieb. Du hast manchmal einen klugen Gedanken, Mama, aber ich fürchte, vermacht hat er ihr nichts, denn ein Testament ist gewiß nicht vorhanden, und der Finanzrath oben schluckt Alles. Ich kann den Kerl nicht leiden, flüsterte er, ich weiß nicht, wie es kommt, aber ich kann ihn nicht leiden. Er sieht aus, wie ein Fuchs, und wenn ich Wilhelm wäre –

Ist er noch immer nicht nach Haus gekommen? fragte eine Stimme, und Herr Frohlieb drehte sich erschrocken um. Der Finanzrath hatte ganz leise die Thür geöffnet und steckte, wie er immer that, den Kopf herein, ehe der Körper nach folgte.

Wer? Wer? stotterte Herr Frohlieb in seiner Verwirrung. Wilhelm? Nein, noch nicht, aber oh! wir haben –

Ich habe Sie gestört, unterbrach ihn der Finanzrath. Wo haben Sie Ihren Besuch gelassen? War es nicht Madame Petermann?

Allerdings! mein verehrter Herr Finanzrath, dieselbe war es, erwiderte Herr Frohlieb mit einer feierlichen Verbeugung, allein oh! wir haben vernommen –

Daß mein Onkel mir plötzlich entrissen wurde, fiel der Finanzrath ein. Das ist leider wahr. Wer hat es Ihnen gesagt? Der Kriegsrath Hartfeld?

So ist es, Herr Finanzrath, sagte Herr Frohlieb, seine Hände faltend. Mein lieber Vetter sah aus, wie ich ihn nie gesehen habe, so hatte die Wehmuth ihn angegriffen, die ja auch in Ihrem Gesichte tief gerührt zu lesen ist.

Der Finanzrath hob sein dickes, volles Gesicht auf und seine hervortretenden grauen Augen schienen ausforschen zu wollen, ob diese Beobachtung ehrlich gemeint sei.

Ich habe so viel verloren, sagte er dann, daß äußere Trauer es nicht auszudrücken vermag.

Die ganze Welt hat viel verloren! rief Herr Frohlieb. Der Staat, das Land, die Menschheit!

Ein eigenthümliches Lächeln lief über die breiten Lippen des Finanzraths.

Es ist einmal unser Loos, erwiderte er dann, der Eine muß dem Andern Platz machen. Mein Onkel hat wenigstens ziemlich glücklich auf Erden gelebt. Er war unabhängig, von heiterer Sinnesart, gesellig, und niemals krank.

Niemals verheirathet, sagte Herr Frohlieb.

Nein! Er machte es wie ich. Er verehrte das schöne Geschlecht, konnte sich jedoch nicht entschließen, ausschließlich Einer anzugehören.

O Sie! lachte Herr Frohlieb, schalkhaft seinen Zeigefinger aufhebend, Sie werden schon noch ihr Theil bekommen.

Meinen Sie? Nun ich werde sehen, was Wilhelms Beispiel bei mir bewirkt.

Aha! sagte Herr Frohlieb. Diese jungen Herren wollen jetzt alle erst durch Beispiele verführt werden, um zu den Grundsätzen ehelicher Glückseligkeit zu gelangen. Die schönen, jungen Damen sollen kommen, um ihre Herzen gehorsamst zu Füßen zu legen und unterthänigst zu bitten, geheirathet zu werden.

Die schönen jungen Wittwen ganz besonders, sagte der Finanzrath. Es hat doch noch so lange Zeit mit der Hochzeit, Herr Frohlieb, bis ich die Trauer abgelegt habe?

Wie so Zeit? Was meinen Sie denn? fragte Herr Frohlieb. Ach so! Hochzeit meinen Sie? Glauben Sie wirklich – was?

Er faßte an sein spitzes Kinn und sah äußerst listig aus. Der Finanzrath faßte ebenfalls an sein Kinn und nickte ihm zu.

Die Grundsätze verlangen es so, sagte er. Ich achte Wilhelm um so höher wegen dieser Charakterstärke, und nenne mich um so lieber seinen Freund.

Und es geht nichts über die Freundschaft, gar nichts! antwortete Herr Frohlieb, indem er den Finger auf seine Brust setzte. Wilhelm denkt ebenso darüber; er wird außer sich sein, wenn er hört, was Ihnen geschehen ist.

Ich denke, er wird jetzt mehr zu thun haben, als mich und meinen alten Onkel beklagen, fiel der Finanzrath ein. Glücklicher Weise hat der Kriegsrath mich zu unterstützen versprochen.

Und was der verspricht, das hält er, versicherte die kleine Frau.

Mein Onkel setzte das größte Vertrauen in ihn, sagte der Finanzrath.

So ein Mann soll auch noch wieder geboren werden! rief Herr Frohlieb. Alles klar, Alles fest und völlig gesund, in Leber und Grundsätzen. Dabei so angesehen und so reich. Der Kriegsrath hat wohl von seinen Eltern her schon Vermögen gehabt? fragte der Finanzrath.

Vermögen? Das versteht sich! Er kriegte Alles, was da war, denn er war der einzige Sohn, und klug war er immer. Von jung auf der Klügste unter uns Allen.

Sie sind zu bescheiden, Herr Frohlieb, sagte Leisegang, aber ich spare meine Zweifel auf. Bei unserer Abrede bleibt es also. Die schöne Wittwe soll nicht ohne mich eine neue christliche Ehe schließen. Aber es schickt sich nicht für mich, jetzt solchen weltlichen Dingen nachzuhängen. Zunächst müssen wir ernste Pflichten erfüllen; somit auf ein ander Mal mehr davon.

Herr Frohlieb machte eine unterthänige Verbeugung, und blieb dann horchend stehen, bis die Schritte des Finanzraths verhallt waren. Ein außerordentlicher Triumph malte sich in seinem Gesicht. Wenigstens ein Dutzend Weisheitsfalten rollten sich auf seiner Stirne zusammen und verloren sich unter seiner Perrücke. Er spitzte den Mund, um nicht laut zu lachen, und sah mit seinen groß aufgerissenen Augen voller Entzücken die kleine Frau an, welche gelassen weiter strickte.

Der wäre besorgt und aufgehoben, Mama! rief er endlich, seine Stimme gewaltsam bezwingend. Dieser Fuchs, dieser Pfiffikus will mir die Künste abfragen! –

Er schlenkerte vor Vergnügen seinen Finger durch die Luft und knallte den Daumen gegen den Zeigefinger.

Er will wissen, ob Hartfeld Vermögen von wegen seiner Eltern bekommen hat. So ein Kerl bekümmert sich um Alles. Hast Du gesehen, Mama, wie es ihm gefiel, da ich ihm sagte, Hartfeld hätte die ganze Erbschaft bekommen, Alles was da war? Und es ist meiner Seele wahr! er hat auch Alles bekommen, es war nur leider nichts vorhanden, denn sein Vater war ein ehrlicher Tischler, und als der starb, blieb nichts von ihm zurück, als ein paar Hobelbänke und der Junge, der damals noch in die Schule ging.

Es hat Mancher noch viel weniger gehabt, sagte die kleine Frau, und ist nachher doch ein Millionair geworden. Wenn man bei Hartfeld hinein kommt, sieht man gleich, wie es da steht. Und es ist ganz einerlei, ob er es geerbt hat, oder nicht.

Es ist besser, Mama. Er hat's erworben, darum ist es besser! fiel Herr Frohlieb ein. Aber dieser Fuchs will uns die Würmer aus der Nase ziehen, der will uns einbilden, er weiß, was wir denken. Eine schöne Wittwe, haha! Hochzeit machen, er! Erlaubniß geben, er! Oh! du unglückliche Creatur, welche der heirathet! Aber Du sollst sehen, Mama, er schluckt jetzt Alles von seinem Onkel, und dann wird er noch viel unausstehlicher werden. Na, meinetwegen! rief er mit gutmüthiger Unterdrückung seiner Abneigung, wir haben mehr zu denken, und vor allen Dingen, Mama, setzte er ernsthaft hinzu, decke jetzt den Tisch, denn diese gefühlvollen Aufregungen haben meine Eingeweide dermaßen erschüttert, daß mein unschuldiger Magen laut um Erbarmen schreit.



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