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4.

Es war ein trüber Tag, trübe selbst um die Mittagszeit, wo er sein graues Licht in die Wohnung des Kriegsraths Hartfeld schickte. Die blumigen Tapeten der hohen Zimmer schienen wie mit Flören behangen, die vielen Oelgemälde in ihren Goldrahmen schimmerten matt von den Wänden, und die junge Dame, welche in einem zierlichen Korbstuhle halb versteckt hinter einem der gestickten Vorhänge saß, sah schattenartig bleich und unbeweglich aus.

Lange Zeit saß sie in dem stillen, großen Raume, still vor sich hinsehend; der Lärm der belebten Straßen drang von außen herein, ohne sie zu stören. Ihre Hände ruhten in ihrem Schooße, ihr Kopf lehnte sich an das hohe Gitter des Stuhls, und ihr dunkles Haar schmiegte sich tief an ihre Schläfe. Es war ein feines, sanftes Gesicht mit dem vorherrschenden Ausdruck von Geduld und Nachdenken in den milden Zügen. Ihre Augen wurden durch lange, schwarze Wimpern und hochgebogene Augenbrauen bedeutungsvoller gemacht, aber ihre kränkliche Farbe und dieser Mangel an belebtem Fleisch unterstützten jene Vorzüge nicht.

Als sie endlich aufstand, um ein Arbeitskörbchen vom Tische zu holen, konnte Niemand bezweifeln, daß Herr Frohlieb die Wahrheit gesagt hatte. Ihr rechter Fuß war offenbar ein Wenig zu kurz, und trotz der langen Kleider, welche die Mama als bestes Verheimlichungsmittel empfohlen, ließ sich deutlich genug bemerken, daß der schwankende, harte Gang dieser zarten Gestalt von keiner künstlichen Nachhülfe fortgeschafft werden konnte.

Eben als sie mit dem Körbchen zurückkehrte, trat der Kriegsrath herein. Der große, schöne Mann mit seinem ruhigen, allzeit würdigen Aeußeren suchte auch jetzt diese Würde zu behaupten, obwohl er sehr bewegt und angegriffen schien, und seine Stimme zitterte, als er zu sprechen begann. Er streckte der Tochter seine Hände entgegen und bestrebte sich freundlich, gefaßt zu scheinen.

Guten Tag, mein liebes Kind, sagte er. Wir haben uns heut noch nicht gesehen. Du bist doch wohl?

So wohl ich sein kann, lieber Vater, antwortete sie leise, während er ihre Stirn küßte und in ihre Augen blickend vor ihr stehen blieb.

Mein Billet hast Du erhalten? fragte er.

Ja, Vater!

Ich kam sehr spät nach Haus, Du warst schon zu Bett; ich wollte Dich nicht wecken und Deinen Schlaf verderben. Unglück kommt immer früh genug, Julie; es ist gut, so lange als möglich es von sich abzuhalten. So ließ ich Dich schlafen, und da ich heut früh gleich wieder fort mußte, machte ich Dich schriftlich mit dem schrecklichen Schlage bekannt, der wie aus heiterem Himmel mich getroffen hat.

Es ist ein trauriges Ereigniß, flüsterte sie.

Mein einziger, mein bester Freund ist mir entrissen! sagte der Kriegsrath, erschüttert die Hände faltend. Nie würde er mich verlassen haben, und wenn er mich überlebt hätte, was ich mit der größten Gewißheit hoffte und erwartete, dann Julie, o gewiß, gewiß! dann würde er Dir ein Vater gewesen sein. Ueber das Grab hinaus wäre er mein Freund geblieben. Nichts, nichts hätte mir seine Zuneigung rauben können.

In großer Bewegung ging er durch das Zimmer und kehrte zu seiner Tochter zurück. –

Wir müssen uns fassen, müssen uns in das Unvermeidliche schicken, fuhr er fort, was uns auch auferlegt wird, müssen wir tragen. Du siehst sehr blaß und traurig aus, mein Kind. Man muß den Kopf nicht verlieren. In keiner Lage muß man den Kopf verlieren. Alles Leben liegt in Gottes Hand, und dies ganze Dasein ist doch nur ein Augenblick, wäre es auch das längste Menschenleben. Es ist Alles eitel, und wenn es vorüber ist, ist es ein Traum. Wer frägt noch nach uns? Wer weiß nach wenigen Jahren noch von uns und unseren Thaten, unseren Leiden?

Wir selbst müssen, so viel wir können, sorgen, daß dieser Lebenstraum kein schrecklicher Traum wird, sagte Julie leise.

Da hast Du Recht, mein Kind, da hast Du Recht! rief Hartfeld. Wir müssen dafür sorgen, angenehm bis ans Ende zu träumen. Er deckte seine Rechte auf seine Stirn und fuhr mit einem tiefen Athemzuge fort: Darauf kommt doch Alles hinaus. Unsere Thränen, unsere Seufzer wecken den Todten nicht wieder auf; wir aber leben noch und müssen für uns sorgen. Ich habe gestern mit dem Finanzrath spät beisammen gesessen. Wir ordneten die Papiere des Verewigten, und da dieser mir sein ganzes Vertrauen schenkte, konnte ich seinem nächsten Verwandten und Erben manche Aufschlüsse geben. Leisegang hat ein bedeutendes Vermögen hinterlassen, mehr noch, als ich selbst glaubte. Der Finanzrath ist dadurch ein sehr reicher Mann geworden.

Julie antwortete nicht darauf. Ihr Vater heftete seine Augen einige Minuten lang auf ihr Gesicht und fuhr dann fort:

Hattest Du gestern Abend Gesellschaft? War Frohlieb hier?

Ja, Vater.

Wie lange war er hier?

Er wollte Dich erwarten.

Der Kriegsrath ging nachdenklich, die Hände auf den Rücken gelegt, bis an eines der Gemälde, die an der nächsten Wand hingen, rückte an dessen Rahmen und kehrte dann zurück.

Wilhelm Frohlieb ist ein junger Mann, der Achtung verdient, sagte er. Er wollte also mit mir sprechen?

Ja, Vater, und – sie hielt einen Augenblick inne, eine Uhr im Nebenzimmer schlug zwölf – er wollte heut Mittag wiederkommen.

Es entstand eine neue Pause. Ich kann mir wohl denken, begann der Kriegsrath dann, was er mir mittheilen will, und wenn –

Dies Wenn hatte einen bewegteren Klang, aber er brach damit ab, und ging nochmals bis in die Mitte des Zimmers, wo er umkehrte.

Julie, sagte er mit leiser Stimme, sieh mich an, mein Kind!

Trotz dieses Gebotes hob sie ihren Kopf nicht auf, selbst als er ihre Hand nahm, die sehr kalt war und leise zitterte.

Beruhige Dich, fuhr er fort, wir müssen Alles wohl überlegen. Er hat Dir seine Erklärung gemacht. Nicht wahr?

Ja, Vater!

Und was hast Du ihm geantwortet?

Ich habe ihn an Dich gewiesen.

Das habe ich erwartet, erwiderte der Kriegsrath. Ich liebe Dich ja zärtlich. Gott weiß, was ich für Dich thun möchte. Aber wir müssen genau prüfen, was das Beste ist, auch muß ich Dir zunächst eine Mittheilung machen, die Dich überraschen wird.

Er nahm einen Stuhl, setzte sich neben seine Tochter und legte deren Hand zwischen die seinen.

Was ich Dir mittheilen werde, liebe Julie, begann er darauf, muß für jetzt unser Geheimniß bleiben. Höre mich an. Wilhelm Frohlieb wünscht Dich zu seiner Frau zu machen, es ist jedoch noch ein Mann da, der dieselbe Absicht hat. Vielleicht erräthst Du schon, wen ich meine, ich will Dir aber nichts verbergen. – Gestern Abend, als ich in die Wohnung meines verewigten Freundes gegangen war, um mit dem Finanzrath dort zusammenzutreffen, und Alles, was geschehen sollte, anzuordnen, fanden wir unter den Papieren des Geheimraths auf seinem Schreibtische auch den Entwurf zu einem Testament. Wahrscheinlich hat er diesen, von irgend einer Ahnung befallen, gestern erst aufgesetzt, und da er wenige Stunden darauf plötzlich starb, hat er kein rechtsgültiges Document daraus machen können, sein Wille hat somit gesetzlich keinen Werth. Der Geheimrath hatte Dich immer lieb gehabt, somit ist es nicht zum Verwundern, daß er in jenem Entwurf ein Legat von zehn tausend Thalern für Dich bestimmt hatte. Daneben stand auf dem Rand geschrieben: Ich hoffe, daß ich mit diesen zehn tausend Thalern Julien noch selbst ein Hochzeitsgeschenk mache; am liebsten freilich wäre es mir, wenn mein Neffe sie heirathete.

Er hielt inne und blickte seine Tochter forschend an, als er jedoch keine Bewegung an ihr bemerkte, denn sie sah vor sich nieder, und ihre Hand lag leblos in seinen Fingern, fuhr er in seiner Erzählung fort.

Leisegang las den Entwurf, ebenso die Anmerkung, und zu meiner Verwunderung vertraute er mir, daß einige Tage vorher sein Onkel, bei einer Unterredung, die er mit ihm gehabt, in derselben Weise seine Wünsche ausgesprochen und – mit einem Worte, Julie, er gab seine Absichten mir so deutlich zu erkennen, daß ich nicht daran zweifle, er wird sie Dir, sobald es der Anstand erlaubt, selbst erklären.

Hier hielt der Kriegsrath nochmals inne und sah seine Tochter wiederum durchdringend an, ohne eine Antwort zu erhalten. Es entstand ein ziemlich langes Schweigen, bis er endlich in weichem Tone sagte: Mein liebes Kind! ich bin alt; dies unerwartete Ereigniß zeigt mir, was auch mich vielleicht bald treffen kann. Zu meinem Kummer kommen vermehrte Sorgen. Der Geheimrath war mein Freund. Ich mochte thun, was ich wollte, es war ihm recht. Jetzt wird sich das Alles ändern, und wer weiß, fügte er leise flüsternd hinzu, ob ich diesen Wechsel der Verhältnisse lange ertrage.

Wer wird der Nachfolger des Geheimraths in seinem Amte sein? fragte Julie.

Ich hoffe, der Finanzrath wird es sein, antwortete der Kriegsrath, lebhafter ihre Hand drückend, oder vielmehr er hofft es, denn er ist vollkommen eingearbeitet, dabei auch von dem Präsidenten sowohl, wie von dem Minister hochgeschätzt. Mir wäre es das Liebste, was geschehen könnte. Alles bliebe dann beim Alten; ich würde den Rest meiner irdischen Tage ruhig verleben können. Aber wir wollen davon nicht mehr reden, mein Kind, nur Dein eigenes Wohl laß uns bedenken.

Es vergingen einige Minuten, dann sagte sie leise:

Was soll ich thun, Vater?

Keinen Zwang gegen Dich ausüben, mein liebes Kind, versetzte er. Daß Du glücklich werden mögest, das ist mein höchster Wunsch, alles Andere kümmert mich nicht. Für Dein Glück ist mir auch nichts zu schwer, Julie; ich will es auf jeden Fall gesichert sehen, ehe ich von Dir scheide. Zwei ehrenwerthe Männer bewerben sich um Dich. Wägen wir ihre Vorzüge ab, so läßt sich für Beide Vieles sagen; zunächst jedoch frage Dein Herz. Leisegang hat sich bisher nicht so angelegentlich um Dich bemüht, er ist überhaupt kälter, ist äußerlich auch wohl nicht so einnehmend, wie Frohlieb. Du bist verständig. Dein klarer, ruhiger Sinn wird Dich leiten, meinen Segen sollst Du in jedem Fall haben. Sage mir aufrichtig, Julie, ob Du Wilhelm so liebst, daß Du nur mit ihm glücklich werden könntest?

Er bekam keine Antwort. Das Gesicht des jungen Mädchens neigte sich tiefer auf ihre Brust, als wollte sie es verbergen.

Sieh, mein Kind, fuhr ihr Vater fort, wenn dies der Fall ist, so sei aufrichtig, und ich will nichts dagegen einwenden. Ich will dann für Dich und für mich thun, was für uns das Beste ist. Bist Du überzeugt, Dein Lebensglück nur bei Wilhelm zu finden?

Nein, Vater, nein! antwortete sie fast unhörbar.

Dann, mein Kind, fuhr er fort, können wir ganz vorurtheilsfrei prüfen und Deine Freier neben einander stellen. Sie sind Beide fast gleich alt, Beide wohlgebildet, Beide, jeder in seiner Art, ausgezeichnet durch Verstand, Kenntnisse und edles Streben. Der Eine ist ein thätiger Geschäftsmann, der mit der Zeit gewiß auch Vermögen erwirbt, der Andere dagegen ist ein geschätzter Beamter, der jedenfalls einmal eine hohe Stellung im Staate einnehmen wird. Dabei besitzt er nicht allein schon längst ein beträchtliches Vermögen, sondern hat dies obenein soeben durch Erbschaft verdoppelt. Wilhelm Frohliebs Eltern sind unsere entfernten Verwandten, sehr wackere, ehrliche Leute, auch mit einigem Vermögen versehen, das sie einfach, anständig ernährt. Reichthum aber ist das nicht, zudem ist ihr kleinbürgerliches Wesen nicht für den gegenwärtigen Zustand unserer Anforderungen an Bildung und gesellschaftlichen Umgang bemessen; und wir können uns diesen Forderungen doch nicht entziehen, mein Kind, wären wir auch noch so frei von Vorurtheilen. Aber ich will dennoch nur Dein Glück. Du bist mein einziges Kind. Wenn ich in der Zukunft forsche, wie in einem dunkeln Spiegel, forsche ich nur nach Deinem Bilde, und bitte Gott, Dich zu segnen. Ich selbst – ich – nein, mein Kind, um mich sorge nicht. Ich bin ein alter Baum, mag die Axt geschliffen werden, die mich fällen soll. Ich unterwerfe mich, denn meine Zeit ist um, meine Tage sind gezählt.

Er hielt inne und wandte das Gesicht, auf dem ein schönes, stilles Lächeln schwebte, dem Nebenzimmer zu, in welchem sich Schritte hören ließen. Einige Augenblicke darauf erhob er sich und streckte dem jungen Frohlieb seine Arme entgegen, der nach einem leisen Klopfen hereintrat.

Da ist ja unser lieber Freund! rief er in herzlicher Weise. Kommen Sie von Haus? von Ihren Eltern?

Nein, Herr Kriegsrath, antwortete Wilhelm, indem seine Blicke auf Julien hafteten, vor der er sich verbeugte. Ich komme aus meinem Geschäft.

Immer thätig, fuhr Hartfeld lächelnd fort. Ich darf also nicht fragen, wie es dem Papa geht?

Er war bei mir, aber ich hatte so dringend geschäftliche Besuche zu machen, daß er mich nicht zu Haus antraf. Leider habe ich erfahren –

Daß ich einen großen, unersetzlichen Verlust erlitt! rief Hartfeld, seine Hände drückend. Ja, mein lieber Freund, ich bin aufs Tiefste erschüttert, gänzlich unfähig, jetzt an Anderes zu denken.

Ich beklage es und wage keinen Trost, erwiderte Wilhelm, indem er nach Julien blickte, die still auf ihrem Platze saß, ohne seine Augen zu suchen. Ihr Anblick rief eine ungewisse Furcht in ihm hervor. Er näherte sich ihr, und sagte mit banger Stimme:

Sie sind doch nicht krank? Sie sehen so leidend aus.

Julie weiß, was auch sie verloren hat, fiel Hartfeld ein. Einen väterlichen Freund. Es war ein trefflicher Mann. Einer der Gerechten und Guten, die immer seltener werden. Alte Leute pflegen zu sagen, es werde immer schlechter in der Welt, aber man darf nicht darüber spotten. Die alte Redlichkeit und Treue nimmt wirklich mehr und mehr ab, die alte Einfachheit und Ehrlichkeit verschwindet immer mehr. Ich klage nicht an, ich weiß, es muß so sein. Zeiten gehen und kommen, und bringen neue Menschen mit, neue Sitten, neue Anschauungen. Da stehen wir Alten nun, und Einer nach dem Andern scheidet. Immer kleiner wird unsere Zahl, immer fremder wird es um uns, immer bänger wird es in uns.

Wilhelm unterbrach seine Klagen nicht, als er jedoch endlich etwas erwidern konnte, sagte er: Was gerecht und gut ist, bester Herr Kriegsrath, erbt doch von Geschlecht zu Geschlecht fort, und geht nicht unter.

Nennen Sie mich nicht so, fiel Hartfeld ein, nennen Sie mich Vetter, wir sind ja Verwandte.

Am liebsten möchte ich Sie Vater nennen, antwortete der junge Mann im Drange seiner vorbrechenden Empfindungen, und möchte Ihnen sagen, daß Alles, was Welt und Leben auch verändert, nicht meine Ehrlichkeit und meine Treue umwandeln kann.

Ich weiß ja, daß dies Wahrheit ist, antwortete der Kriegsrath, ich weiß, daß dies keine leeren Worte sind.

Seine großen, hellen Augen leuchteten auf, und indem er seine Hand auf Wilhelms Schulter legte, füllte sich sein würdiges Gesicht mit dem Ausdruck herzlicher Güte und Theilnahme.

Einen solchen Sohn zu haben, sagte er, ist ein beneidenswerthes Glück.

So machen Sie mich zu Ihrem Sohne, fuhr Frohlieb bittend fort. Es kann Ihnen nicht entgangen sein, wohin meine Wünsche streben. Julie hat mir Erlaubniß ertheilt, mit Ihnen zu sprechen.

Auch das weiß ich, unterbrach ihn Hartfeld, und glauben Sie mir, lieber Freund und Vetter, was mich betrifft, so weiß ich keinen unter Allen, dem ich meine Tochter lieber anvertrauen möchte. Ich kenne Sie ja von früher Jugend auf, schätze Ihre strenge Redlichkeit, wie Ihren Fleiß und Ihren Ernst zu allem Guten. Ja, ich habe gestern selbst erst Ihren Eltern offen erklärt, wie werth Sie mir sind. So zweifeln Sie denn nicht daran, mir willkommen zu sein, nur hätte ich gewünscht, diese kummervollen Tage wären zunächst vorüber gegangen. Aber ich weise Sie nicht zurück, weise Sie an Julien; sie allein kann darüber entscheiden, ihr zunächst müssen Sie willkommen sein, lieber Freund.

Wilhelms Gesicht füllte sich mit Freude und einem glücklichen Lächeln. Was er hörte, entsprach seinen Gefühlen. Vor ihm stand der verehrte Mann, dessen Anblick ihn mit kindlichem Vertrauen erfüllte, und dort saß die Geliebte dicht bei ihm. Er durfte nur seine Hand ausstrecken, und er that es mit leidenschaftlicher Haft, indem er ihr zurief:

Hören Sie es, theuerste Julie. Ihr Vater weist mich an Sie zurück. O schlagen Sie ein! Ich bin nur ein schlichter Mann, aber an Liebe und Treue für Sie werde ich keinem weichen.

Julie hatte, während er sprach, sich aufgerichtet, und plötzlich hielt er erschrocken inne. Die Hand, welche er ihr geboten hatte, sank langsam nieder, denn sie nahm diese nicht an, und in ihrem blassen Gesichte sammelte sich ein unsäglicher Ausdruck von Schmerz, der die schmalen Lippen zittern machte, und den sie zu bewältigen suchte, als er sie verstört anblickte.

Herr Frohlieb, begann sie leise, ich bin in der That in peinlicher Lage. Ich achte Sie zu hoch, um nicht von Ihrem Antrage mich beglückt zu fühlen; dennoch bin ich nicht im Stande, mich zu entschließen. Erlassen Sie mir das Weitere – glauben Sie mir, daß ich – daß ich – immer dankbar sein werde, und was ich vermag, für Ihr Glück –

Mein Gott! Was ist das? rief Wilhelm entsetzt. Er starrte in ihr Gesicht, als sei es ihm unmöglich zu glauben, daß, was er eben gehört, aus Ihrem Munde komme. Was ist geschehen, Julie? fragte er dann. Es ist unmöglich! Ich kann es nicht glauben! Gestern durfte ich hoffen – was Sie mir sagten, drang in mein Herz – Alles zeigte mir an, daß Sie – Was ist geschehen, Julie? Was habe ich Ihnen gethan?

Nichts ist geschehen, erwiderte sie mit vermehrter Fassung, und nichts haben Sie mir gethan, lieber Cousin Frohlieb. Ich habe diese Nacht dazu angewandt, genau zu überlegen, ob es wohlgethan sei, wenn ich – Ihren Antrag annähme, und ich habe gefunden, daß ich es nicht thun darf.

Sie dürfen nicht? Oh! Warum dürfen Sie nicht? Er warf einen zweifelvollen, fragenden Blick auf den Kriegsrath, der ihn voll schmerzlicher Theilnahme erwiderte, und sagte dann nochmals: Warum darf sie nicht?

Juliens bleiche Wangen wurden von einer fliegenden Röthe übergossen. Nur wenige Worte flüsterte sie, ihre Augen senkend. Ich bin kränklich. Sehen Sie mich an, schwächlich wie ich bin, entstellt – es wäre Unrecht. Nein, ich verdiente Spott, wollte ich – ein junges, rasches Leben an mein unglückliches Dasein ketten.

Julie! geliebte Julie! rief er mit leidenschaftlicher Heftigkeit. Ist das Ihre Sorge? Nie sollen Sie es bereuen. Mein Gott! was soll ich Ihnen sagen? Alles Glück meines Lebens hängt auf ewig fest an Ihrer Liebe.

Nein, nein! sagte sie ängstlich abwehrend und mit fliegendem Athem, dringen Sie nicht mehr in mich. Ich bin – ich würde eine unpassende Frau für Sie sein, unangemessen allen Verhältnissen. Ich beschwöre Sie, lassen Sie uns schweigen. Nichts, nichts läßt sich daran ändern!

Nichts! erwiderte er, wirklich nichts?! Und nach einem Augenblick fügte er hinzu: Ich erfülle Ihren Befehl, Fräulein Hartfeld.

Arme Kinder! rief der Kriegsrath mit herzlicher Besorgniß in Blick und Ton, so darf dieser Auftritt nicht enden. Laßt keinen Dorn in Euern Herzen aufwuchern. Julie muß wissen, was sie thut, Wilhelm, und wenn es uns auch tief betrübt, so können wir mit Recht doch nicht zürnen. Ich wollte, daß es anders wäre. Es thut mir in tiefster Seele leid, doch Männer müssen standhaft ausharren, müssen muthig das Rechte thun allezeit und gegen den bösen Feind streiten. Wer weiß denn, was uns gut ist! Standhaft, Wilhelm, und auf Gottes Hülfe vertraut. Wer da weiß, daß er Recht thut, verzagt nicht.

Mit sanfter Gewalt zog er Beide näher und in seine Arme.

Warum haben Sie mir das gethan, Julie? fragte Wilhelm traurig.

Weil ich weiß, daß ich Recht thue, erwiderte sie sanft und fest.

Dann behüte Sie Gott und mache Sie glücklich.

Und Sie, mein lieber Freund, vergeben Sie mir, flüsterte sie.

Wer Recht thut, bedarf der Vergebung nicht, antwortete er gelassen. Haben Sie einst einen Freund nöthig, theuere Julie, so sollen Sie niemals mich umsonst so nennen. Leben Sie wohl!

Halt, halt! rief Hartfeld, so geht es nicht. Sie müssen bei uns bleiben, ich habe Ihnen noch Mancherlei zu sagen.

Während er ihm aber tröstend zulächelte und seine Hände herzlich drückte, öffnete sich die Thür hinter ihnen, durch welche der Finanzrath hereintrat.

Leisegang war ganz schwarz gekleidet, trug um seinen Hut einen breiten Flor und schwarze Handschuhe. Das dicke, rothe Gesicht wurde durch diese dunkele Einfassung nicht verschönt; und auch die Betrübniß, welche er seinen Zügen aufzuprägen suchte, konnte diesen keinen anderen Charakter geben. Er begrüßte den Kriegsrath mit einem schweigsamen Handschütteln, nickte seinem Freunde zu und verneigte sich vor dem Fräulein, an welches er sich zunächst wandte.

Auch Sie bleiben von meinem Leid nicht unberührt, Fräulein Hartfeld, sagte er, denn mein armer Onkel war Ihnen ein Freund, wie es wenige giebt.

Das war er, Herr Finanzrath, erwiderte Julie.

Ich komme soeben aus dem Trauerhause, fuhr Leisegang fort, um Ihnen zu danken, bester Kriegsrath. Sie haben in Ihrer praktischen Weise alle Anordnungen rasch und aufs Beste getroffen.

Wollte Gott, sagte Hartfeld seufzend, ich könnte für den lieben Seligen, ja für ihn, den ich niemals vergessen kann, Wunder thun, um diesen theuern Freund wieder aufzuwecken!

Er wird mit uns fortleben und unter uns sein, entgegnete der Finanzrath. Einer seiner letzten Gedanken waren Sie, Fräulein Julie. Ich weiß nicht, ob Ihr verehrter Vater – er sah den Kriegsrath an, der seine Augen bedeckte und kein Zeichen der Theilnahme gab. Sie, bestes Fräulein, fuhr Leisegang fort, denn er hatte kurz vorher, wie von einer Ahnung getrieben, sein Testament aufgesetzt, und auch für Sie darin Bestimmungen getroffen.

Ein Entwurf, mein Kind, sagte Hartfeld.

Ob eine Formalität erfüllt wurde oder unterblieb, versetzte der Finanzrath, ist gleichgültig. Es war meines Onkels Wille, und dieser wird mir heilig sein. Alles, was er wünschte und wollte, soll erfüllt werden. Brechen wir jetzt davon ab, bis wir gefaßter sind.

Er wandte das Gespräch auf die verschiedenen bedeutenden Sammlungen werthvoller Bücher, Herbarien und Gemälde, welche sein Onkel ihm hinterlassen, und sagte dann:

Es waren seine Liebhabereien, die ich nicht theile, aber sie nicht verschleudern will. Die vielen großen Schränke sind vollgepackt mit allerlei Köstlichkeiten, welche bessere Leute benutzen können, wie ich bin. Mein Freund Wilhelm wird mir mit seiner gelehrten Bücherkenntniß beistehen, um, was selten und theuer ist, auszulesen. Ich denke es dann der großen Bibliothek anzubieten. Die Herbarien kauft der Staat, mein Onkel stand früher schon deswegen mit ihm in Unterhandlungen, und bei den Gemälden rechne ich auf Sie, lieber Kriegsrath. Sie kennen alle diese Schätze, wissen, was sie gekostet haben, und was sie werth sind. Sie sind selbst ein Liebhaber und Kenner, besitzen vortreffliche Meisterwerke, welche viel kosten.

Er ließ seine Blicke über die Wände schweifen und fügte lächelnd hinzu:

Mein Onkel war in dieser Beziehung, wie ich glaube, doch noch etwas sparsamer als Sie. Ich erinnere mich eben, daß er vor einiger Zeit Sie einen Verschwender nannte, weil Sie ein Bild gekauft hatten, das er gar zu gern gehabt hätte, das ihm aber zu theuer war.

Es war der Gudin dort, antwortete Hartfeld, indem er auf ein Bild im Nebenzimmer deutete. Ich kaufte ihn, um meinen hochverehrten Freund an seinem nächsten Geburtstage damit zu erfreuen.

Sie trefflicher Mann! sagte der Finanzrath. Schade, daß er das nicht mehr erlebte! Manch schönes Andenken hat seine Sammlung vermehrt, jetzt müssen Sie sich darunter etwas aussuchen. Eine kleine Anzahl will ich selbst behalten, alles Uebrige aber anderen Kunstfreunden überlassen.

Es ist kläglich, seufzte Hartfeld, indem er einen trüben, langen Blick über seine Gemälde ausschickte, daß was ein Menschenleben mühsam zusammenbrachte, erwarb und mit Liebe hegte, gewöhnlich wieder so schnell nach seinem Ende zerstreut und zersplittert wird.

Das ist der Lauf der Dinge, entgegnete Leisegang. Erwerben wir nur für unser Leben, was uns lieb und theuer ist, und unsere Wünsche erfüllt, so mögen nach unserem Tode Andere sich daran freuen. Nichts ist ewig, Alles hat seine Zeit.

Was willst Du mit der großen Wohnung machen? fragte Wilhelm.

Diese denke ich selbst zu benutzen, sagte der Finanzrath. Meine eigene Wohnung wird mir doch bald zu eng sein. Das Haus meines Onkels, das jetzt leider mir gehört, ist sehr bequem, auch liegt es in der besten Gegend und hat einen Garten. Ist das nicht sehr angenehm, Fräulein Julie?

Sehr angenehm, erwiderte sie.

Julie ist manches Mal froh darin gewesen, fiel ihr Vater ein.

Und wir werden wieder froh dort sein, fuhr Leisegang fort. Doch jetzt muß ich Sie verlassen, da ich dem Präsidenten einen Besuch machen muß.

Ja, das ist nöthig, sagte Hartfeld. Er wird sehr betrübt sein, allein die Geschäfte müssen ihren Gang haben. Es muß eine Stellvertretung angeordnet werden.

Allerdings! Das muß sogleich geschehen.

Speisen Sie doch heute bei uns, und nehmen Sie vorlieb, bester Herr Finanzrath. Wir dürfen Sie in dieser Traurigkeit nicht allein lassen.

Der Finanzrath weigerte sich nicht.

In einer Stunde spätestens bin ich wieder hier, sagte er, und in dem vertraulichen Tone, mit welchem er überhaupt gesprochen, fügte er hinzu: Wenn Fräulein Julie nicht lieber allein zu sein wünscht.

Sie sind uns immer willkommen, erwiderte sie, sich verbeugend, und als er ihre Hand dafür küßte, flog das verrätherische Roth wieder über ihr Gesicht. Es war dabei aber, als wankten ihre Füße, und ihre langen, schwarzen Wimpern bildeten einen Schattenkreis um die gesenkten Augen.

Der Kriegsrath nöthigte nun den jungen Frohlieb ebenfalls, sein Gast zu sein, und ließ sich durch wiederholte Einwendungen nicht abschrecken. Er bat in herzlicher Weise, sagte eine Menge Worte zu Wilhelms Lob, und gab erst nach, als dieser ganz bestimmt erklärte, daß es ihm ganz unmöglich sei, länger zu bleiben. Dagegen mußte er versprechen, wenn nicht heute, so doch gewiß morgen wiederzukommen, und Hartfeld trug ihm Grüße an seine vortrefflichen Eltern auf und begleitete die Scheidenden dann bis in den Corridor, wo er ihm zuflüsterte, daß er noch Vieles auf seinem Herzen habe.



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