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9.

Der März des Jahres 1799 warf uns mitten in das ausbrechende Kriegsgewühl. Die Franzosen wurden von dem Erzherzog Karl bei Stockach geschlagen, sie wichen über den Rhein zurück, und diesem Siege folgte eine furchtbare Aufregung der Gemüther. Es gab in Deutschland damals eine große Menge Anhänger, weniger vielleicht der Franzosen, wie der von ihnen vertheidigten Ideen; allein es gab auch nicht Wenige, die sie, eben dieser Fleisch gewordenen Ideen wegen, welche die Republik geschaffen, tödtlich haßten. Die Freunde der Franzosen, welche besonders die deutschen Städte bewohnten, geriethen durch die verlorenen Schlachten in tiefe Trauer und Betrübniß, denn fast zugleich kam auch Nachricht von den Siegen der Oesterreicher und später der Russen in Italien; die Franzosenfeinde aber warfen nun allen Zwang ab und wußten nicht, wie sie ihre Freude und ihren Haß öffentlich zeigen und ausdrücken sollten.

Da die eigentlichen Anhänger der Republikaner allermeist dem Bürgerstande angehörten, so kann man denken, daß in Rastatt unter den Diplomaten und Rittern des Heiligen römischen Reichs nicht viel davon zu finden waren. Das ganze Rudel der geängstigten kleinen Reichsstände und ihrer Agenten, welches bisher vor den französischen Gesandten gekrochen hatte, um in Demuth ein gnädiges Lächeln zu erhaschen, floh jene jetzt wie Satans Gesellen. Was konnte ihr Schutz noch helfen, was waren ihre Zusicherungen werth?

Die Meisten, namentlich die west- und süddeutschen Herren, liefen zu Oesterreich, die norddeutschen drängten sich eifriger um Preußen, Baiern allein hielt noch immer zu den Franzosen. Doch auch diese Gesandtschaft war zurückhaltender und vorsichtiger geworden, neigte sich ebenfalls zu der schützenden Hand Preußens, und wie ich erfuhr, besuchte der Chevalier de Bray täglich jetzt den Grafen Görz. Eben war in Baiern ein wichtiges Ereigniß erfolgt. Der Kurfürst Karl Theodor starb, und der Herzog von Zweibrücken setzte sich den Kurhut auf.

Der Chevalier kündigte mir dies glückliche Ereigniß selbst an, das alle seine Hoffnungen erfüllen mußte. Er war aufgeregter, als ich ihn je gesehen.

Bester Freund! rief er zu mir eindringend, sehen Sie mir ins Gesicht, wie sehe ich aus? Bemerken Sie keine höhere Befähigung auf meiner Stirn, oder ist in meinen Augen nicht ein besonderer Seherblick ausgeprägt?

Warum, erwiederte ich, muthen Sie sich eine plötzliche noch größere Begnadigung zu, wie Sie diese schon besitzen?

Weil ich jetzt täglich mit der weisesten Excellenz des Congresses mich einschließe, sagte er lachend, und deren Orakel geworden bin.

Nun erzählte er mir, was sich zugetragen, den Einzug des neuen Kurfürsten in München an der Seite seines vertrauten Freundes, des Grafen Montgelas, welcher sogleich zum Minister des Auswärtigen ernannt worden sei. Graf Montgelas aber, de Brays besonderer Gönner schon zur Zeit seiner Anwesenheit in Rastatt, hatte ihn mit besonderen Aufträgen beglückt, die ihn aus seiner zweifelhaften Stellung zu einer einflußreichen Person machten.

Die Aufträge des Herrn de Bray, sagte ich, bestehen ohne Zweifel darin, dem Grafen Görz zu betheuern, daß Baiern genau das thun werde, was Preußen thut, wobei der Herr Graf von Görz die außerordentliche diplomatische Einsicht des Herrn Chevaliers zu würdigen weiß.

Getroffen, mein Freund, antwortete er. Sie wissen, welche Anstrengungen Oesterreich und Rußland in Berlin gemacht haben, um den König zum Bunde gegen Frankreich zu bewegen; Sie wissen auch, wie Frankreich nichts unversucht ließ, Preußen zu gewinnen, und ihm halb Deutschland dafür versprach. Allein Preußen bleibt neutral und Baiern wünscht nichts als dieselbe Neutralität.

Und die französische Freundschaft? fragte ich lächelnd.

Bah! rief er lachend, wie kann man so närrisch sein und sich von den Oesterreichern schlagen lassen. Das ganze Renommée geht bei einem so gründlich durchgebläuten Rücken verloren. Hätte Jourdan gesiegt, wer weiß was in Berlin und München geschehen wäre! Und was wird Suwarow in Italien thun, da ohne ihn der alte Kray schon drei Schlachten gewonnen hat?

Was meint der Geheimrath? unterbrach ich ihn.

Der Geheimrath?! Als Politiker ist er ziemlich unbrauchbar, in der Kanzlei vortrefflich. Er hängt gewissen Ideen mit dem Eigensinne alter Leute an, spricht von Volksrechten, Verfassungen, einer neuen Zeit, neuen Staatsgrundlagen, und würde ein ausgezeichneter englischer Radicaler sein. Frieden und Freundschaft mit Frankreich, Bündniß mit der Republik und gemeinsame Sache gegen den Absolutismus. Aufrichtig gesagt, ich bin mehrere Tage nicht dort gewesen, um nicht mit Herrn Jean Debry zusammenzutreffen.

Sie wollen nicht mehr mit Jean Debry zusammentreffen?

Fort jetzt mit allen Franzosen! war seine Antwort. Was sollen wir mit ihnen? Wir brauchen Preußen, brauchen Neutralität. Wenigstens für jetzt, setzte er mit feinem Lächeln hinzu, denn, mein Bester, die Situation ist sehr einfach. Wollten wir uns den Republikanern länger zugeneigt erweisen, so käme das dem Kaiser sehr gelegen, seine Kriegsvölker überschwemmten Baiern; wollten wir mit dem Kaiser gehen, so hieße das dem Wolf Futter zutragen.

Und was wird aus der Säcularisation?

Nichts für jetzt, erwiederte er, doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und das ist es eben, weshalb wir neutral warten müssen, bis es Zeit sein wird ans Werk zu gehen. Von Oesterreich hat Baiern nie etwas zu erwarten, es muß immer besorgt sein, verschlungen zu werden; von Preußen wird es beschützt, um Oesterreich nicht in Besitz kommen zu lassen, allein zu unserer Vergrößerung wird es gewiß nicht beitragen; Frankreich dagegen ist der natürliche Verbündete Baierns, der es vergrößern und verstärken muß, um jene beiden Mächte im Zaum zu halten. Wohlan denn, die Zeit wird kommen, wo geschieht was nöthig ist; für jetzt aber wollen wir nichts mit Herrn Jean Debry zu schaffen haben, und ich für meine Person habe dazu am allerwenigsten Gründe.

Er sprang auf, rannte vor den Spiegel und zupfte seine Locken und seine Binde in Ordnung, dann schlug er lustig seine Arme um meine Schultern, sah mich an, und fragte lachend:

Wann machen wir Hochzeit?

Ich weiß noch nichts, antwortete ich.

Sie wissen noch nichts? Courage, mein Freund! Stürmen Sie die Festung, ich denke, sie ergiebt sich Ihnen jetzt auf Gnade und Ungnade.

Und Sie, de Bray? –

Ich, sagte er, ich bin in der zwölften Stunde. In der nächsten Zeit, vielleicht heut schon wird meine Anstellung von Montgelas eintreffen. Sobald Sie in meiner Hand ist, werde ich keinen Augenblick länger zögern, um vor meiner Angebeteten mein Knie zu beugen. Im Uebrigen ist ein fataler Zwischenfall eingetreten – der Krieg!

Wollen Sie fechten statt zu lieben?

Gott behüte mich ein solcher Narr zu sein! rief er, der für Dinge, die ihn gar nichts angehen, seine gesunden Glieder auf den Markt bringt. Ich kenne nichts Abgeschmackteres, als sich todt schlagen zu lassen für anderer Leute Ehrgeiz und Ländergier. Der beste Beweis gegen alle diese Tugendhelden, die vom Licht der Aufklärung, und von der Göttlichkeit der Vernunft faseln, sind diese Menschenschlächtereien im Großen. So lange die Völker noch nicht einmal so weit kommen, sich nicht mehr gegenseitig zu morden, so lange sie sich willig auf die Schlachtbank schleppen lassen, ist alles Gerede vom Zeitalter der Vernunft und Moral Thorheit. – Nein, mein Freund, wenn ich sage, der Krieg ist mir fatal, so meine ich damit, die Güter meiner Braut auf dem linken Rheinufer werden ruinirt werden, vielleicht in andere Hände gerathen, und wer weiß, wie es mit der Entschädigung endlich aussteht.

Das ist allerdings Grund genug, um Sie bedenklich zu machen.

Mag sein! antwortete er, ich bin dennoch entschlossen. Das Vermögen kann sich schmälern, allein die Familie wird ihren Einfluß nicht verlieren; Montgelas hält den Geheimrath sehr werth, und der neue Kurfürst ist ihm außerordentlich gewogen. Ich werde seine Nichte heirathen, und weil ihre Güter halb verloren sind, wird man meine Uneigennützigkeit um so glänzender anerkennen und belohnen.

Wir wurden unterbrochen, ich erhielt ein Billet von Frau von Garampi, die mich zu sehen wünschte.

Kommen Sie sogleich, schrieb sie, ich habe Ihnen etwas mitzutheilen, das Ihnen Freude machen wird. Es erwartet Sie

Ihre Helene.

Nun, sagte de Bray, der mich beobachtete, Sie machen ein allerliebstes Gesicht, was giebt's?

Ich reichte ihm das Billet, er klatschte in die Hände.

Sagte ich es nicht? rief er. Sie ist bereit, sich Ihnen zu ergeben. Glücklicher Paris! Fliegen Sie in ihre Arme. Ich kann mir denken, was sie Ihnen mittheilen will. Thugut hat den Wunsch seiner schönen Freundin erfüllt, er ruft Sie in seine Nähe, giebt Ihnen die Stellung, welche den Ehrgeiz dieser Frau befriedigt, und nun ist sie bereit, Ihnen mit Hand und Herz anzugehören.

Sie charakterisiren vortrefflich, antwortete ich. Sie wird mich zu ihrem Mann machen, nachdem sie mich zum kaiserlichen Geheimrath gemacht hat.

Ganz sicher, so und nicht anders! erwiederte er, eben um dessentwegen ist sie so anbetungswürdig. Eine Frau, die sich nicht mit dem Schwindel der Gefühle und Empfindungen einläßt, sondern ein sicheres praktisches Calcül macht, ist eine Seltenheit; hier haben Sie eine, die gar nichts vom Augenblick verlangt, und wenn sie Ihnen schreibt: Ihre Helene erwartet Sie! so ist sie zum Abschluß mit sich selbst gelangt und Alles in Ordnung und Richtigkeit. Vorwärts denn, mein Freund, nicht länger gezögert. Ich muß noch heut dem glücklichen Herrn Bräutigam meine tief empfundenen Gratulationen darbringen, er muß mich auch noch heut der edlen, klugen Braut vorstellen. Versprechen Sie mir das! Ihre Hand darauf, und nun lassen Sie uns gehen. Wie Sie erwartungsvoll und glücklich aussehen; ich kann Studien daran machen, um mich würdig vorzubereiten.

Er verließ mich mit einigen ähnlichen Neckereien und ich eilte die Treppe hinauf; denn er hatte Recht: es war eine brennende Unruhe in mir, und was geschehen sollte, mußte rasch geschehen. – Statt aber sogleich zu Helene Garampi dringen zu können, wurde ich von dem Grafen Lehrbach auf gehalten, der in dem Empfangzimmer sich mit einem kaiserlichen Offizier unterhielt.

Als ich eintrat, hüpfte er mir entgegen und hielt mich bei beiden Händen fest.

Hier können Sie hören, wie es bei Stockach zugegangen ist, sagte er grinsend und pustend wie immer, wenn er sich freute. Prächtig ist es zugegangen, zum Entzücken muß es gewesen sein! Vier Regimenter Franzosen wurden niedergesäbelt, es kam Keiner davon. Kürassiere und Husaren mitten hinein, rechts und links heruntergehauen, kein Pardon den welschen Banditen! Das ist die Sache, Rittmeister von Burkard, so muß man es mit diesen Teufelsbraten machen!

Indem er durch das Zimmer sprang und mit den Armen durch die Luft fegte, brachte er mich dem Offizier näher, der allerdings kein anderer war, als mein alter Bekannter. Seit jener Nacht, wo ich ihm am Spieltische Geld geliehen, hatte ich ihn nicht wiedergesehen, natürlich auch mein Geld nicht zurückerhalten; jetzt, wo ich vor ihm stand, tauchte auch ihm die Erinnerung unseres Begegnens auf, und er machte mir seine Entschuldigungen mit soldatischer Kürze.

Ich muß bekennen, sagte er, daß ich versprochen hatte, Sie am nächsten Abend wieder zu finden, allein ein Soldat ist nicht Herr seiner Zeit. An folgenden Tage mußte ich fort, denn man wollte mich in Rastatt nicht weiter dulden. Ich hatte einen Auftritt mit einem großmäuligen französischen Curier gehabt und den Burschen behandelt, wie er es verdiente. Um alle Weitläufigkeiten abzuschneiden, ging ich ins Hauptquartier und rechtfertigte mich dort. Nun ich wieder hier bin, werde ich nicht ermangeln mich einzustellen.

Mit diesen Worten und mit der dazu gehörigen Verbeugung war die Sache in Ordnung und ich ganz zufriedengestellt. Dieser Rittmeister hatte schon bei unserem ersten Begegnen meinen Beifall nicht gefunden, jetzt erschien er mir noch widerlicher. Sein Gesicht trug das Gepräge einer rohen und heftigen Natur. Der gelbbraune Schnurrbart, an beiden Enden spitz zusammen und in die Höhe gedreht, vermehrte den harten und grimmigen Ausdruck der zwei dicken Falten über der starken Nase, und man konnte es ihm schon glauben, daß, wie er erzählte, seine rechte Hand an jenem Siegesabend von Stockach wund gewesen sei und sein Säbel so stumpf und schartig, daß ein Reibeisen daraus gemacht werden konnte.

Aber er ist doch wieder blank und scharf! rief Lehrbach um ihn herhüpfend.

Scharf genug, um allen diesen Schurken die Kehlen abzuschneiden, antwortete der Rittmeister.

Das ist ein Mann! erwiederte der Graf entzückt, indem er den Rattenschwanz heftig wackeln ließ. An ihm liegt es nicht, wenn einer davon kommt. Habe ich Recht, Herr von Burkard? Keiner dürfte über den Rhein zurück!

Stände es in meiner Macht, sie müßten Alle daran, sagte der Gefragte seinen Schnurrbart drehend.

So ging es noch eine Zeit lang fort. Da aber Niemand von Worten stirbt, hatten diese Aeußerungen nicht viel zu sagen.

Warum duldet man die drei Franzosen und ihren Anhang noch in Rastatt? fragte der Rittmeister endlich. Was wollen die Schelme noch hier? Donner und Stern! ist das zu begreifen? Wir schlagen uns und das Blut fließt in Strömen, in Rastatt aber sitzen die Herren von der Feder noch immer beisammen und unterhandeln weiter über den Frieden.

Der Gesandte hopste vor Vergnügen rund um den Rittmeister und lachte heftig, als er sich an dessen Schulter festhielt.

Das begreifen Sie nicht, Burkard, sagte er komisch nickend und wackelnd, ich will's wohl glauben, denn schaun Sie, das gehört mit zur höheren Politik. In Wien giebt es noch immer Leute, die nach Frieden schreien und kaiserliche Majestät in Schrecken zu setzen suchen über den gräulichen Krieg, und wie Leut' und Land dabei zu Grunde gehen müssen. So kommt es denn, daß die französischen Herren noch immer fest in Rastatt sitzen und thun, als gehörten sie hier zu Haus. Sie wissen wohl, daß sie in Wien noch immer gute Freunde haben, und hat mir doch gestern erst der Allerschlimmste unter den Dreien, Herr Jean Debry, ins Gesicht gesagt, wenn auch der kaiserliche Plenipotentiarius den Congreß aufheben wollte, so würden sie doch nicht gehen, denn sie könnten mit allen anderen Ständen weiter unterhandeln.

Jean Debry, sagte der Rittmeister, das ist der große, schwarze Mensch?

Ein fürchterlich häßlicher Mensch, antwortete Lehrbach, zu meiner Belustigung.

Wenn sie nicht fort wollen, rief Burkard, so überlaßt sie uns. Wir wollen ihnen den Weg weisen. Bei Gott! wir wollen sie nach Haus bringen!

Lehrbach antwortete nichts darauf, aber das Wohlgefallen in seinem Gesicht war nicht zu verkennen. Es war, als ob er über etwas nachsänne, das einige Augenblicke lang seinen ganzen Kopf erfüllte. Er nickte mechanisch und grinste entsetzlich dazu, dann rief er plötzlich:

So kann es zuletzt kommen, die Erbitterung der Soldaten kann sich einmischen!

Hoffentlich, sagte ich, betroffen über diese Aeußerung, wird man niemals vergessen, daß die Gesandten unter dem Schutze des Völkerrechts stehen und daß es schmachvoll wäre, sie beleidigen zu wollen.

Gott behü uns! erwiederte er, ich habe nichts davon gesagt, habe nichts damit zu schaffen. Aber solche Leute wie Soldaten sind nicht gemacht das Völkerrecht zu untersuchen. Wo sie Feinde des Kaisers sehen, fängt das gut kaiserliche Blut an warm zu werden. Wir haben's erlebt in Tirol. Maria Joseph! der tapfere Landsturm fragte nicht eben viel nach Gesetzen, doch wo er einen Franzosen fand, schlug er drauf, besann sich nicht lange, und kam dabei immer gut zurecht.

Und das ist die einzig richtige Weise! rief Herr von Burkard. Was schiert mich die gelehrte Schreiberei! Ich schreibe nicht und lese nicht, aber wo die Feinde sind, das weiß ich, und damit ist's genug!

Mir war es längst genug. Graf Lehrbach schien eine seiner Landsturmgeschichten beginnen zu wollen; sowie ich jedoch die ersten Worte »Am Brenner« hörte, stand ich auf und zog mich mit äußerster Schnelle zurück.

Wohin, mein Bester? Warten Sie doch! rief er mir nach.

Frau von Garampi hat mir eine Botschaft geschickt, wandte ich ein.

Ah! sagte er seine runden Augen aufmachend und zusammenblinzelnd, Sie hat Briefe empfangen diesen Morgen. Wir haben uns noch nicht gesehen, doch wenn Sie nach Ihnen sandte, so – ja so will ich Sie nicht aufhalten! schrie er neben mir her chassirend, mit zahllosen Verbeugungen und seinem lieblichsten Grinsen, so will ich Sie durchaus nicht aufhalten, denke aber, Sie Mittag bei mir zu sehen, damit wir uns ausplaudern können, bester Freund, versteht sich, damit wir uns ausplaudern können. Auf Wiedersehen, also und gute Geschäfte! flüsterte er mir ins Ohr, indem er sich auf die Zehen stellte und, mit einer plötzlichen Schwenkung zurückhüpfend, mir seine letzten Abschiedsgrüße unter eckigen Handbewegungen, Kopfnicken, Kußfingerwerfen und der unvermeidlichen Zopfwackelei nachschickte.

Mein Rückzug war vollbracht, ich schlüpfte durch das Vorzimmer und öffnete leise die Thür zu Frau von Garampi's Kabinet. Sie saß an ihrem Schreibtisch, mir den Rücken zugewandt. Wie schön war sie! die hohe Gestalt in blumigen Atlas gekleidet, der faltig an ihr niederfloß, das Haar in dunklen, üppigen Ringen um die hohe Stirn und den gewölbten weißen Nacken gelagert, alle Linien und Umrisse dieser edlen Formen voll junonischer Kraft und Hoheit. Als ich hereintrat, blickte sie nach mir um, und die Strenge in ihrem Gesicht verschwand vor einem bezaubernden Lächeln. Sie legte die Feder nieder und reichte mir ihre Hand entgegen, welche ich an meine Lippen drückte.

Endlich sind Sie da, Rudolph, sagte sie. – Es war das erste Mal, daß sie mich so nannte. Ich habe Sie lange erwartet, warum kamen Sie nicht?

Ich entschuldigte mich mit Besuch.

Apropos! unterbrach sie mich, da fällt mir ein, daß man mir erzählt hat, Sie besuchen seit einiger Zeit sehr häufig den alten bairischen Gesandtschaftsrath, der dort drüben wohnt.

Man hat Ihnen Falsches gesagt, ich hätte gewünscht ihn häufiger besuchen zu können.

Warum? Weil er eine hübsche Nichte hat? fragte sie.

Ich will es nicht läugnen, antwortete ich lächelnd. Sie ist wirklich anziehend.

Frau von Garampi nickte mir zu.

Wie heißt die Kleine? fragte sie.

Bertha von Hochhausen.

Bertha ist ein romantischer Name.

Ich finde ihn prosaisch genug, erwiederte ich, aber er paßt zu der, die ihn trägt. Sie ist einfach, natürlich, ein wenig empfindsam, gefühlvoll und aufrichtig.

Genug! rief sie, lassen wir das Kind. Erhalten Sie sich seine Zärtlichkeit. Es liebt Sie doch?

Ich weiß es wirklich nicht, ich machte noch keinen Versuch.

So machen Sie ihn, aber bald! denn Sie haben keine Zeit zu verlieren, wenn Sie in Rastatt noch Idyllen und Schäferspiele feiern wollen.

Ich denke, Sie haben Recht, antwortete ich in derselben Weise. Es muß entzückend sein von ihr geliebt zu werden; ich bringe den besten Willen dazu mit.

Sie hatte die Feder wieder aufgenommen und wischte mit deren Haar über meine Stirn.

Fort mit allen Possen jetzt, sagte sie; da ist ein Brief, lesen Sie ihn.

Sie reichte mir ein gefaltetes Blatt und begann dann zu schreiben, während ich mich in den Armstuhl zurücklehnte und das Papier aufschlug. Es war, wie ich ahnte, eine Antwort des allgewaltigen Ministers, der seiner Freundin bewilligte, was sie von ihm erbeten. –

Sie haben nichts mehr in Rastatt zu thun, schrieb er ihr, kommen Sie daher so rasch wie möglich zu mir zurück und bringen Sie Ihren Auserwählten mit. Was in Rastatt noch geschehen muß, überlassen Sie Lehrbach, mischen Sie sich in Nichts. Die Siege in Deutschland und Italien wirken gut, allein wir müssen mit der Gespensterfurcht fertig werden, coûte qui coûte! – Gute Köpfe können wir immer brauchen, wir müssen Sie an uns ziehen und keine Mittel sparen, ihre Dienste zu belohnen. Die Arbeiten, welche Sie mir übersandten, lassen Bedeutendes erwarten; sagen Sie ihm also, er würde mir willkommen sein, und rechnen Sie bestimmt darauf, daß ich ihm sogleich eine Stellung geben werde, die mir einen dankbaren Empfang bei meiner sehnlich erwarteten und lange entbehrten Freundin sichert. Somit also noch einmal, halten Sie sich nicht länger auf, mit dem Krieg ist kein Spaßen, es könnten böse Dinge da in der Nähe vorfallen. Kommen Sie zu Ihrem

Franz Maria. –

Ich ließ das Blatt sinken, sie blickte nach einiger Zeit von Neuem nach mir um.

Nun, sagte sie, ich werde in zwei oder drei Tagen reisen, Sie werden Ihren Abschied noch heut einschicken, bis zur Bewilligung Urlaub nehmen und mich begleiten. – Ich schreibe dies so eben hier an den Baron; was soll ich ihm noch bei fügen?

Warten Sie noch einen Augenblick, antwortete ich lächelnd, Herr Franz Maria darf keine irrige Ansicht von mir erhalten.

Ich denke, sagte Frau von Garampi, ihm die richtige beigebracht zu haben. Er erwartet Sie, das schreibt er selten; er freut sich über den guten Kopf und verspricht ihm sofort eine Stellung, die ihn befriedigt; diese Stellung auszuwählen überlassen Sie mir.

Und dann?

Sie legte den Kopf in ihre Hand, die so schmal und fein war, und ihre dunklen Augen thaten sich auf und warfen einen Feuerballen auf mich.

Dann, flüsterte sie, sich mir entgegenneigend, habe ich nur noch eine Kleinigkeit für den Geliebten in Bereitschaft.

Wahrscheinlich hatte Frau von Garampi geglaubt, daß ich von diesem bestimmten Worte und seiner Bedeutung hingerissen zu ihren Füßen mir die ganze entzückende Wahrheit erobern würde, denn mit einer gewissen Verwunderung sah sie mich an, als ich sitzen blieb und meine Arme langsam über meiner Brust zusammenkreuzend so aussah, als faßte ich den eigentlichen Gedanken nicht.

Ich glaube, sagte sie übermüthig auf mich blickend, die plötzliche Erfüllung so vieler Erwartungen hat Sie überwältigt.

Nein, Madame, nein! rief ich mich aufrichtend, meine augenblickliche Bestürzung entspringt aus einer anderen Quelle: aus dem Bedenken, Ihnen Bekenntnisse machen zu müssen.

Lassen Sie hören, sagte sie. Wie es interessant ist die Bekenntnisse eines Mannes zu hören, der uns nahe steht, ist es süß, ihn zu beruhigen und ihm zu vergeben.

Das ist es, was ich nöthig habe, Ihre Vergebung! erwiederte ich, indem ich ihre Hand ergriff und küßte, denn ich bin ein Undankbarer, der Ihren Zorn und Haß zu fürchten hat.

Ich werde zur Vergebung geneigt sein, antwortete sie, beichten Sie also ohne Zagen.

Ah, Madame! sagte ich seufzend, ich fürchte, daß Sie mich gänzlich verstoßen müssen, aus sehr vielen und sehr schweren Gründen.

Lassen Sie diese Gründe hören.

Ich bin nicht im Stande in den Dienst des Kaisers zu treten, denn meine Grundsätze sind denen seiner Regierung geradezu entgegen. Von je an habe ich mich den neuen Zeitideen zugeneigt, und seit ich in Rastatt bin, hat der Umgang mit manchen denkenden Personen, namentlich mit dem französischen Gesandten Jean Debry und dem Fräulein von Hochhausen, die, obwohl eine patriotisch gesinnte Deutsche, doch eine arge Jakobinerin ist, mich vollends zum Gegner aller absolutistischen Regierungsordnungen gemacht. Endlich bin ich Protestant, und wenn auch nicht fromm, würde ich doch niemals weltlicher Vortheile wegen Katholik werden.

Von allen diesen Sünden, erwiederte sie, als ich schwieg, im schalkhaften, aber salbungsvollen Tone, spreche ich Sie frei. Denken Sie, wie Sie wollen, Niemand wird sich darum kümmern, sobald Sie nur Ihre Pflichten erfüllen. Wir haben gar manchen gut kaiserlichen Diplomaten, der seinen Ueberzeugungen nach vielleicht Republikaner ist. Herrn Jean Debry, dem ich alles Schlechte zutraue, werden Sie nicht wiedersehen, eben so befehle ich Ihnen die gefährliche Jakobinerin fortan zu meiden, was aber endlich den Umstand betrifft, daß Sie Protestant sind, so ist dies zwar zu bedauern, doch wird es kein Anstoß zu Ihrer Beförderung sein, und wenn es nicht gelingen sollte, durch liebevolle Belehrung die Ketzerei Ihnen auszutreiben, wird sie geduldet werden oder kann sogar zum Nutzen des Staates besondere Verwendung finden, denn Herr Franz Maria ist, obwohl oder dieweil von Jesuiten erzogen, ein sehr kluger und aufgeklärter Mann.

Aber dieser Mann, sagte ich, und dies ist eine neue Hauptsünde, dieser gewaltige, gebietende Herr, welcher mich mit so vieler Gunst bedenkt, wird von mir aus Herzensgrund verabscheut. Ich sehe in ihm eines der schrecklichsten Werkzeuge jeder Gewalt und jeder Tyrannei, um ganze Nationen zu zertreten. Jean Debry hat ihn in Paris kennen gelernt, als er dorthin gesandt wurde, um Mirabeau zu bestechen, und dieser, mein Freund, den ich als einen der edelsten Menschen liebe und ehre, spricht von ihm mit grenzenloser Verachtung. Es ist bekannt, daß ihm nichts mehr zuwider ist, als selbstständige Charaktere, freisinnige Ansichten, tugendhafte Sitten, und daß er Niemand um sich duldet und Niemand zugeneigt ist, als feilen, verderbten Wesen, Geschöpfen, die zu Allem zu brauchen sind, würdigen Helfershelfern für seine Pläne und dabei durch Flecken und Verbrechen so abhängig von ihm, daß er sie zermalmen kann, wenn sie ungehorsam werden wollen.

Frau von Garampi sah mich noch immer mit dem schalkhaften Lächeln an, doch war es stierer und forschender geworden, und während sie antwortete, breitete sich ein eigenthümlicher Schatten über ihre stolze, marmorfeste Stirn. –

Man sagt dem mächtigen Premier-Minister viel Böses nach, wie dies allen großen und ausgezeichneten Männern in seiner Lage geschieht, begann sie dann, allein Niemand fragt weniger danach, als er. Er ist an Haß gewöhnt, von Verläumdungen und Intriguen umringt. Sehr Viele, die ihm Alles danken, hassen ihn tödtlich, allein wie gut er dies auch weiß, läßt er sie doch gewähren und zieht seine Bahn wie die Sonne. Hassen Sie ihn, wenn Sie wollen, ich spreche Sie in seinem Namen auch von dieser Sünde frei. Er ist der Blitz, der das Gewürm tödtet, das Gewitter, das die bösen Dünste vertilgt. Die Revolution und alle ihre Anhänger zu vernichten, das ist seine Aufgabe. Es kann sein, daß dabei auch da und dort ein Unschuldiger mit getroffen wird, aber hassen Sie ihn, Sie werden anders denken lernen, wenn Sie in seiner Nähe sind. Er öffnet Ihnen eine große Zukunft; fort also mit allen kleinlichen Bedenken. Liebe verlangt er nicht von Ihnen, auch keine Treue, nicht einmal Dankbarkeit, nur Gehorsam, und dafür giebt er Ihnen ein glückliches Leben, Reichthümer und alle Freuden, die in dieser Welt zu haben sind.

Und jetzt, sagte sie plötzlich abbrechend, jetzt ist, wie ich denke, Ihre Beichte aus und die Absolution ertheilt. Ich will Sie in ein neues Leben führen, Rudolph, an meiner Hand sollen Sie darin erscheinen. Ich habe Ihnen den Weg geebnet, ich will nicht ablassen, bis Sie auf dem Gipfel sind. Alles, was ich habe, biete ich Ihnen, Alles! hören Sie? Alles!

Und wiederum hob sie ihre Arme gegen mich auf, und wiederum blieb ich sitzen statt niederzufallen. –

Warum antworten Sie nicht? fragte sie aufstehend.

Ich sagte es Ihnen wohl, Madame, erwiederte ich, Ihrem Beispiele folgend, daß ich, ein ärgerer Sünder bin, als Sie glauben, und Ihrer Verzeihung im hohen Grade nöthig habe.

Sie sah mich mit einem festen messenden Blicke an.

Reden Sie! sagte sie.

Sie erlauben mir offen zu sein?

Im Namen Gottes! reden Sie endlich, sei es was es sei! rief sie mit Heftigkeit, indem sich ihre Hände ballten und ihre Augen funkelten.

Ist Frau von Garampi wirklich eine Verwandte des Grafen Lehrbach, oder gab es einst eine schöne und talentvolle Sängerin, die arm und unbekannt nach Wien kam, wo der Baron von Thugut sich ihrer annahm und sie später an eine seiner Creaturen, einen gewissen Garampi verheirathete, der bald genug, nachdem er diesen letzten Dienst geleistet, begraben wurde, worauf Frau von Garampi sich ihrem berühmten Freunde ganz wieder widmete, der sie endlich nach Rastatt sandte, um seine Agenten zu beobachten und ihm geistreiche Berichte zu erstatten.

Sie hatte schweigend zugehört; ein stolzes Lächeln spielte um ihre Lippen.

Und das ist Alles, was man Ihnen von mir gesagt hat? fragte sie. Es ist im Grunde wenig oder nichts darin gelogen, und dennoch gemeine Verläumdung. Der hochverehrte Freund, der Ihnen dies Alles warnend erzählte, – dieser Tugendheld und Ritter aller Ehre, dessen Spione diese Gräuel glücklich herausbrachten, hätte Ihnen sagen können, Thugut, der kein Weib achtet, hat diese Frau achten gelernt; er, der von den Höchsten und Größten keinen Rath nimmt, hat ihren Rath oft gesucht; er, der keinem Menschen traut, vertraute ihr ohne je zu wanken. Fassen Sie das zusammen und nehmen Sie dann den Maßstab, um mich zu messen.

Sie trat mir einen Schritt näher und indem sie ihre Hand auf meine Schulter legte, blickten mich ihre großen, feurigen Augen voll Kraft und Hoheit an. Ein Lächeln zuckte um ihren Mund und mit leiser fester Stimme hörte ich sie sagen:

Der Mann, der mich liebt, dem ich gehören will, wird in die Zukunft blicken, nicht rückwärts.

Sie haben Recht, Madame, sagte ich, wenn man liebt, vergißt man die Vergangenheit eben so wohl, wie wenn man die Zukunft berechnet. Ich besitze geringen Ehrgeiz, aber ich hasse die Lüge und mein Gewissen sagt mir –

Was sagt es? fragte sie, als ich schwieg.

Daß ich Sie nicht täuschen darf!

Sie ließ ihre Hand sinken und trat zurück. Einen Augenblick stand sie so; ihre Blicke nahmen denselben finsteren, ingrimmigen und lauernden Ausdruck an, mit dem sie einst Lehrbach gegenüber gestanden hatte, und wie sie eine krampfhafte Bewegung mit ihrer rechten Hand nach ihrer linken Seite machte, glaubte ich, sie halte dort irgend eine heimliche Waffe verborgen. Plötzlich aber wandte sie sich zu dem Schreibtisch um, setzte sich, zerriß den Bogen in Stücke, den sie halb beschrieben, und nahm einen neuen und die Feder.

Ich darf Ihnen Lebewohl sagen? fragte ich.

Gehen Sie, erwiederte sie mit einer entlassenden Bewegung und – beruhigen Sie Ihre Freunde, setzte sie hinzu, ohne sich umzuwenden.

Ich machte ihr eine tiefe und gemessene Verbeugung, und dann noch eine, sie würdigte diese jedoch keiner Beachtung. Von der Thür blickte ich noch einmal zurück, ich konnte in ihr Gesicht sehen, es war so ruhig wie gewöhnlich. Die Feder flog scharf und kritzelnd über das Papier, sie faßte sie wie einen Dolch, stieß sie auf und schleuderte sie fort. Das war das Letzte, was ich von ihr sah.

Auf der Straße kam mir Matolay entgegen, der so wie er mich erblickte eine Schwenkung nach links machte und quer über die Gasse die Flucht ergriff. Ich ließ ihn jedoch nicht entkommen, rief ihn an, eilte ihm nach und ergötzte mich an dem Verdrehen seines langen, ehrlichen Gesichts, das ganz unmöglich meine freundlichen Worte mit einigen der gewöhnlichen Gesellschaftsmasken beantworten konnte. Der tapfere Kamerad sah so scheu um sich her, wie eine wilde Katze, die aus dem Busch gejagt wurde, er duckte sich an meinem Arm zusammen, als ränge er mit der Kunst sich unsichtbar zu machen, dennoch wagte er nicht sich loszureißen; plötzlich aber zog er mich gewaltsam in eine halboffene Thür, denn eben kam Se. Excellenz, Graf Görz, im langen Rock und den weißen Spitzhund hinter sich, majestätisch die Straße herauf.

Warum fliehen wir? fragte ich. Was zum Henker! Matolay, warum verkriechen wir uns vor diesem immer noblen und höflichen Cavalier, der uns mit einer Hand voll Geist aus seiner Westentasche tractiren würde?

Matolay drückte mich in eine Ecke und hielt mir den Mund zu, bis Graf und Spitz vorüber waren.

Sie wissen nicht, sagte er athemlos – o, mein Gott! es ist eine harte Prüfung, ich kann es Ihnen auch nicht mittheilen, aber – er schien einen schweren Kampf mit sich selbst zu kämpfen, dann schüttelte er meine Hände und flüsterte mir ins Ohr: Was Sie thun wollen, thun Sie rasch. Kommen Sie ihm zuvor.

Was? Wie? Wo? fragte ich ihn ansehend.

Er schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern.

Sie müssen es wissen, murmelte er, es wäre daher das Beste – er sah mich wieder mit dem jammervollen Blicke an, als bäte er mich um Gnade, ihm nicht die Kehle abzuschneiden, und dann flüsterte er wiederum: An den Minister schreiben, nicht länger warten!

Warum denn, Matolay? erwiederte ich. Was soll ich schreiben?

Aber mein Gott! rief er in Verzweiflung, glauben Sie denn, daß wir nichts wissen?

Ja, das glaube ich wirklich, sagte ich lachend.

Alles weiß er, der Graf, fuhr er fort. Sie wollen die Garampi heirathen, Thugut hat Ihnen Zusicherungen gemacht, Sie nach Wien gerufen. Ich wage nicht darüber zu urtheilen, aber ich würde diese Frau nicht nehmen und wenn sie mich zum Premier machen wollte!

Aber, lieber Matolay, antwortete ich, das Beste wird jedenfalls sein, wir heirathen sie beide nicht; doch woher wissen Sie und der Graf und Gott weiß wer noch, daß ich es thun werde? Ich betheure Ihnen, daß es nicht wahr ist!

Es ist doch wahr, es ist auf mein Wort wahr! rief er hitzig.

Es ist auf mein Wort nicht wahr! sagte ich eben so lebhaft.

Nicht wahr? Nicht wahr? schrie er empört; wollen Sie mich wieder zum Besten haben? Vor zwei Stunden kaum hat der Chevalier de Bray dem Grafen die genauste Nachricht darüber gebracht, und eben jetzt habe ich eine Depesche an den Grafen Haugwitz befördert, dem alle Ihre Geschichten mitgetheilt werden und daß es nöthig sei, Sie sofort aus dem Dienst zu entlassen. Nehmen Sie also sogleich Urlaub; gehen Sie nach Haus, schreiben Sie und fordern Sie Ihren Abschied, ehe irgend etwas geschehen kann, was Ihnen uns angenehm wäre.

Mit jedem Worte sprach Matolay langsamer und ängstlicher, die letzten hauchte er kaum noch hervor. –

Ich danke Ihnen, mein Freund, sagte ich, von ganzem Herzen, Dank für Ihre vertraute Mittheilung, trotz aller Amtsgeheimnißkrämerei.

Amtsgeheimniß! murmelte der arme, vielgetreue Matolay und seine Augen wurden so stier, als schaute er in einen entsetzlichen Abgrund. Plötzlich stieß er meine Hand zurück, drehte sich um und eilte fort, ohne daß es möglich war ihn zurückzuhalten.

Ich überlegte einige Minuten, ob ich seinem Rathe folgen, ob mit dem Grafen Görz sprechen, oder was ich überhaupt beginnen sollte, doch ich blieb bei dem stehen, was ich von Anfang an beschlossen hatte.

Das Haus, in welches mich Matolay geführt, war die Wohnung des Herrn von Wochardi; dorthin hatte ich gewollt. Matolay mit seinem langen spanischen, goldknopfigen Rohr erschien mir als Cherub mit dem flammenden Schwerte, der mich aus dem Paradies der diplomatischen Zunft stieß, mir aber den Weg zu einer Eva zeigte, die allein mich darum trösten konnte.

Leichtfüßig sprang ich die Treppe hinauf. Es war, als hätte ich Flügel an den Sohlen, als sei ich ein froher übermüthiger Götterbote, jener schalkhafte, arkadische Sohn Jupiters, dessen Rede kein Ohr und kein Herz widerstehen konnten. Niemand hielt mich auf; ich ging durch die Zimmer mit leisen Schritten bis zu einer angelehnten Thür; da saß Bertha an dem kleinen Tisch, vor ihr lagen ihre Bücher und ein kleiner Blumenstrauß, Maiblumen und Hyacinthen, die ich gestern aus dem Schlosse mitgebracht, und welche sie in ein Glas gestellt hatte. Auf ihrem Schoos lag eine Filetarbeit, an der sie fleißig war, weil aber ihre Finger ruhten, blickte sie zu den Blumen hin, und sonderbar klopfte es an meiner linken Seite. Wie reizend war dies reine gütige Gesicht, wie mild waren ihre Augen, wie süß dies Lächeln und ihre sinnenden Blicke, so ohne allen Harm und doch so furchtlos. Ich betrachtete sie lange, weil ich immer Neues zu entdecken glaubte, und jetzt, jetzt – sie beugte sich zu dem Strauß hin, ihre Lippen berührten die Spitzen der Blumen!

Bei diesem Anblick faßte mich das seligste Gefühl, das ein Menschenleben in sich trägt, und ich weiß nicht mehr, was jetzt geschah; ich weiß nur, daß ich die Thür aufstieß, daß unsere Augen sich begegneten wie Pilger in der Wüste, und daß ich, ehe sie aufstehen konnte, an ihrer Seite kniete und ihre Hände mit meinen Küssen bedeckte. Ich glaube nicht, daß ich Widerstand fand; Bertha ließ mich gewähren; als ich aber meinen Kopf zu ihr aufhob, fühlte ich, wie zwei leise zitternde Arme mich umschlangen, wie zwei heiße Tropfen auf meine Stirn fielen, und mein Name drang in mein Ohr, ein Strom von Wohllaut und Glück, den ich nie dabei empfunden.

Nach einiger Zeit – weiß es Gott wie lange nachher – sah ich einen Schatten von der Thür hereinfallen und ich richtete mich aus Berthas Armen auf, blickte dorthin und wie ein Schuldbeladener davon ab. An der Thür stand Jean Debry. –

Es war, als erwachte ich aus einem Traum, in welchem ich einen unermeßlichen Schatz fand, als ich mich jedoch ermunterte, ergab es sich, daß ich ihn geraubt hatte; meinem Freunde geraubt, dem besten, edelsten Menschen, für den ich mein Leben lassen, dem ich kein Leid anthun möchte, selbst nicht um den höchsten Preis. Ein bitteres Weh verdrängte mein Glück und steigerte sich, als ich ihn betrachtete.

Er stand unbeweglich und blickte uns an. Die düstere Härte in seinem bleichen Gesicht war von einer leidenschaftlichen Glut verdrängt. Seine Augen rollten unter den breiten, schwarzen Brauen, auf Stirn und Wangen sammelte sich Fieberröthe und seine Lippen zitterten. Er sah aus wie Einer, der nicht glauben kann, was er sieht, und, mit dem Verständniß kämpfend, davor zusammenschaudert und sich gegen sich selbst wehrt. Allein wozu Andere ein halbes Leben nöthig haben, das errang sein edler Geist in wenigen Pulsschlägen. Sein zürnendes Verzweifeln verschwand in einer sanften Trauer, seine Augen verloren den wilden Glanz und um seine Lippen schwebte ein entsagendes und versöhnendes Lächeln.

Indem ich verwirrt aufsprang, einen Schritt ihm entgegentrat und Bertha festhielt, die so bewegt war, wie ich selbst, kam er uns näher und reichte uns seine beiden Hände.

Ich glaube, sagte er, daß Sie mir Ihr Vertrauen schenken wollen, und ich denke Ihnen versichern zu können, daß ich dessen mich werth bezeigen werde.

Großmüthiger, vortrefflicher Freund! rief ich, mich in seine Arme werfend, wie Vieles danke ich Ihnen schon, und ach! –

Still! erwiederte er mich unterbrechend und lächelnd, Sie haben ohne mich das Beste gethan, was Sie thun konnten, mir bleibt nur übrig Ihnen Glück zu wünschen und dies Glück sichern zu helfen, wenn ich es vermag.

Er hielt unsere Hände noch fest, als wir im Nebenzimmer Schritte und die Stimme des Geheimraths hörten, der laut rief:

Gehen Sie hinein, de Bray, und tragen Sie Ihre Sache vor. Ein Mann, der zum vortragenden Ministerrath eben ernannt worden ist, muß sein Probestück machen, und da will ich alle Collegien zusammenkommen lassen und fragen, ob es nicht eine Capitalsache ist, Ihre Kunst daran zu zeigen, wie sie so leicht nicht wieder kommt. Also immer hinein, ich werde gleich nachkommen und schauen, was für mich übrig bleibt.

Ein schallendes Gelächter des alten Herrn folgte nach, zugleich trat der Chevalier herein. Er erblickte uns, und obwohl ihn unsere Anwesenheit einen Augenblick lang gewiß überraschen mußte, war doch keine Verlegenheit an ihm zu bemerken. Im Gegentheil verdoppelte sich die Freundlichkeit in seinen Mienen und ich bemerkte, wie ein gewisses boshaftes Vergnügen in seinen Augen schimmerte.

Nach einigen zierlichen Verbeugungen gegen die Dame seiner Wahl und vor Debry, der, die Arme auf den Rücken gelegt, ihn genau zu beobachten schien, näherte er sich mir und sagte lebhaft:

Ich hoffe, mein lieber Freund, daß ich gratuliren darf?

Das dürfen Sie, Chevalier, erwiederte ich.

O! rief er meine Hände drückend, also wirklich, Alles in Richtigkeit! Ich dachte es. Sie befolgten somit meinen Rath und stürmten?

Ich stürmte.

Und Sie fanden, wie ich Ihnen sagte, keinen Widerstand?

Weil ihr Herz mir gehörte, weil sie mich liebt!

Weil Sie geliebt werden! lachte er spottend. Viel Glück dazu, mein zärtlicher Philosoph. Ah! Die Liebe, welche Seligkeit bereitet sie doch! Sie hören es, Fräulein von Hochhausen, oder wußten Sie es schon, daß ein überaus glücklicher Bräutigam bei Ihnen steht?

Ich weiß es in der That, antwortete Bertha lächelnd.

Charmant! rief er, und Sie kennen die Braut?

Gewiß, auch die Braut.

Sie haben somit gebeichtet, lachte er, mich anfassend. O! mein glücklicher, an Liebe so reicher Freund, möge ein Abglanz Ihrer Herrlichkeit auch andere Herzen weich gemacht haben. Ich benutze diese schöne Stunde, um Sie zu meinem Fürsprecher zu machen. Glück, so sagt man, hat ebensowohl beschwörende Kraft wie Unglück. Ich habe so eben ein Schreiben des Grafen Montgelas erhalten, der mich mit der Ernennung zum geheimen, vortragenden Rath zu sich nach München ruft und mir eine glänzende Laufbahn zusichert. Ich darf dies, wie ich denke, mit Sicherheit erwarten und mit dem Anfange wohl zufrieden sein. Die Gnade des Kurfürsten hat mich mit Geld und Gut reich bedacht, ein sehr schönes Haus mit kostbarer Einrichtung ist mir als besonderes Geschenk zugewiesen, allein dies Haus würde mir eine Einöde sein, alle seine Pracht wäre mir gleichgültig, wenn nicht eine schöne, liebenswürdige Fee darin walten und mich zu ihrem glücklichen Gemahl annehmen wollte.

Er hatte bisher theils zu mir gewandt, theils sich zu Bertha neigend gesprochen, jetzt aber drehte er sich ganz ihr zu, und ihre Hand an seine Lippen ziehend, sagte er:

Ihr Oheim, Mademoiselle von Hochhausen, hat mir die Erlaubniß ertheilt, Ihnen mein freimüthiges Geständniß abzulegen. Der Chevalier de Bray – bald wohl ist sein Name mit einem anderen Titel verbunden, setzte er leiser hinzu – wagt es, Sie um Ihre Hand zu bitten. Meine Ehre, meine treue Ergebenheit, meine Liebe sollen Bürgschaft für mich leisten. Der glücklichste aller Sterblichen beuge ich mein Knie, um zu schwören, mich nicht eher wieder zu erheben, bis Sie mich erhört haben.

Halten Sie ein! rief Bertha, indem sie ihn am Niederknieen hinderte, ich darf dies auf keinen Fall zugeben.

Sie wollen es nicht zugeben, Ihnen knieend zu huldigen?

Nein, theurer Chevalier, fuhr sie lächelnd fort, weil ich wirklich nicht wüßte, wie ich bei Ihrem Schwure Sie jemals wieder zum Aufstehen bringen könnte.

Wie liebenswürdig Sie sind! rief er, doch in Gegenwart dieser beiden Herren, meiner Zeugen, beschwöre ich Sie mir zu sagen, was ich thun soll, um Ihr Herz zu erweichen.

Gnädiger Herr, erwiederte sie, indem sie mit unnachahmlicher Schalkheit einen Schritt vortrat und einen tiefen Knix machte, während sie die Augen senkte und die linke Hand auf ihr Herz drückte, ich muß Ihnen das reuige Geständniß ablegen, daß dies Herz keinesweges ein hartes und grausames genannt zu werden verdient, im Gegentheil hat es schon seit längerer Zeit einen höheren Grad von Wärme und sympathetischer Empfindlichkeit angenommen, als mit seiner Ruhe verträglich war.

Sie entzücken mich! rief de Bray. Dies edle und schöne Herz empfand somit ein sehnsüchtiges Verlangen.

Leider ist es so! lächelte sie mit einem kleinen Seufzer, und indem sie ihre Augen zu ihm oder zu mir aufschlug, denn ich denke, sie sah mich an, fügte sie hinzu: Ich darf es nicht läugnen, daß ich liebte.

Sie liebten mich! fiel der Chevalier triumphirend ein, indem er unaufhaltsam auf sein Knie sank und beide Hände gefaltet zu ihr emporhielt.

Sie schüttelte leise den Kopf.

Mein armer Freund! flüsterte sie sich beugend, geschwind stehen Sie auf, ich habe kein Wort davon gesagt. Verzeihen Sie mir, aber ach! es ist unmöglich, Sie kommen zu spät!

So überrascht der Chevalier war, verlor er doch auch jetzt nicht seine Geistesgegenwart. Er sprang auf seine Füße, um aus der lächerlichen Situation zu kommen, und rief laut lachend:

Hier waltet durchaus ein Irrthum ob, der an den Tag kommen muß, oder spielen wir in einem Märchen der Scheherazade mit? Mein Kopf! ich fasse es nicht. Wer ist der Glückliche? Ha! –

Er warf seine Augen auf Jean Debry, der ihm gegenüber stand, und mit einem Gesicht, in welchem sich Mißtrauen und Ueberzeugung, boshafte Zweifel und ärgerliche Gewißheit ausdrückten, machte er ihm eine langsame, tiefe Verbeugung.

Begehen Sie keinen zweiten Irrthum, sagte Debry, ohne sich zu rühren.

Bei allen Wundern der Allmacht! rief der Chevalier, so theilen Sie mir endlich mit, wie lange Sie mich foltern wollen. Sie, mein Freund, Sie, als ein glücklicher Bräutigam, stehen Sie mir bei und helfen Sie mir diese liebenswürdige Dame zu einer ernsthaften Erklärung bewegen.

Ich glaube wirklich, erwiederte ich, daß das, was Sie hörten, ernsthaft genug ist.

Ernsthaft genug? Sie sind also im Vertrauen?

Wie ich denke, ja.

Und Sie kennen den Bräutigam?

Ich legte meinen Arm rasch um Bertha, und sagte laut:

Zweifeln Sie noch daran?

Wie? fragte er zurücktretend, indem er die Farbe wechselte und erstarrte. Ist das wahr? Wirklich ernsthaft wahr? Dann, mein Herr, dann – ja dann ist es wirklich belustigend, merkwürdig, allerliebst! Aber warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt? Eine höchst ergötzliche Ueberraschung, Kommen Sie, theurer Geheimrath. Sehen Sie dort ein Brautpaar, das auf Ihren Segen wartet.

Mit diesen Worten wandte er sich an den alten, weißköpfigen Herrn, der soeben eintrat, jedoch gar nicht so aussah, als ob er sich leichthin rühren lassen wollte. Sein breites, rothes Gesicht zog sich vielmehr grimmig zusammen, und die Blicke, welche er auf mich warf, waren keinesweges besonders ermuthigend. –

Was geht hier vor? fragte er barsch und laut, den Chevalier unterbrechend.

Fragen Sie lieber, mein Theurer, was hier vorgegangen ist, lachte de Bray. Ohne Zweifel etwas höchst Angenehmes, auf Ihre väterliche Zärtlichkeit Vertrauendes. Ich vereinige meine Bitten damit, nachdem Mademoiselle mir erklärte, daß ich zu spät gekommen bin.

Ich will nicht hoffen, polterte der alte Herr dazwischen und er wurde noch röther und finsterer, daß Sie – daß Du, Bertha – Hand in Hand stehen sie Beide! Nimm Deine Hand fort, ich habe dem Chevalier de Bray mein Wort gegeben, er hat Ansprüche zu machen!

Auf wen Ansprüche zu machen? fragte Bertha. – Auf mich? Ich wüßte nicht, daß ich jemals dem Herrn Chevalier dies gestattet hätte.

Aber, mein Kind! rief der Geheimrath – sie unterbrach ihn, indem sie ihn umarmte, küßte und schmeichelte.

Mein theurer Oheim, mein Vater! antwortete sie, ich ehre Deinen Willen, wie ein Kind, allein Du achtest auch meine Freiheit, Du wirst mich nicht wie eine Sache behandeln wollen, die man veräußert, ohne sie zu fragen. Ich liebe, theurer Onkel, ich konnte meinem Herzen nicht gebieten, dies nach Deinen Wünschen zu thun, und Du bist zu gut, zu gerecht, zu sehr mein zärtlicher Freund und Beschützer, um mich zwingen zu wollen.

O! alle Wetter ja – nein! rief der alte Herr, indem er einen tragi-komischen Seitenblick auf de Bray und auf uns warf, was soll daraus werden?! Soeben hat der kaiserliche Plenipotentiarius ein Edict erlassen, wonach der Reichstag in Rastatt aufgehoben ist. Von allen Seiten rücken österreichische Colonnen heran, um alle Weisheit und Friedensluft, welche etwa hier trotz dessen noch sitzen bleiben möchte, in alle Winde zu jagen. Der würdige Chevalier, unser Freund, will nach München fort, um dort seinen neuen Orden und seine junge Frau glänzen zu lassen. Sie – Sie! schrie er mich anfassend, der Sie alles dies hintertreiben wollen, Sie dürfen es nicht und sollen es nicht, ich gebe es nicht zu, und kann es nicht geschehen lassen.

Bei seinen letzten Worten trat Debry zwischen uns und sagte lächelnd:

Hörten Sie nicht, daß der Chevalier selbst Ihren Segen für die glückliche Bündniß begehrte? Und was könnte er auch Anderes thun, als seine guten Wünsche mit unseren Wünschen vereinigen! – Möge Gottes Hand immerdar mit Ihnen sein und Sie in allen diesen Stürmen schützen! Was ich neulich Ihnen als den Traum meiner Zukunft malte, das möge Wahrheit für Sie werden. Ein Haus voll Frieden, ein Herz voll Liebe, ein treues Haupt! Fort mit allem falschen Plunder, rette sich wer kann aus diesem Meer von Ränken und Sünden! Aber wenn ihr einen Freund nöthig habt, einen Freund, der Theil nehmen darf an eurem Glück, dann ruft mich und ich will kommen.

Er wandte sich rasch um und sagte zu dem Chevalier:

Die Nachricht von der Schließung des Reichstags ist überaus wichtig. Wir werden nicht abreisen, bis wir den Befehl dazu aus Paris erhalten. Will der Kaiser nicht weiter mit uns unterhandeln, so haben wir ihn nicht nöthig, wir unterhandeln mit den übrigen Reichsständen. Begleiten Sie mich, de Bray, ich wünsche Ihnen einige Mittheilungen zu machen.

Diese Wendung war ohne Zweifel dem Chevalier ganz erwünscht, der ohne eine weitere Bemerkung sich entfernte, indem er vor Bertha eine lächelnde Verbeugung machte, von der auch für mich ein Antheil übrig blieb. –

Der Geheimrath ging bis an die Thür, dann blieb er stehen, sah durch den Spalt ihnen nach und kehrte zu uns zurück. Sein rother Kopf hatte etwas Satyrhaftes; das dicke weiße Haar darüber und die Puderleiste quer über die Stirn gezogen gaben ihm einen höchst seltsamlichen Ausdruck. Er kniff die spottlustigen, kleinen Augen zusammen, spitzte den Mund, als wollte er das laute Gelächter unterdrücken, und sah ganz heiter, übermüthig aus, als er auf den Fußspitzen zu uns anlief, meinen Rock packte, indem er sich an mein Ohr aufhob, und kichernd hineinschrie:

Kein Franzose kann ein Heiliger sein, denn auch der Heiligste ist ein Schlaukopf, wenn es darauf ankommt andere Leute hinters Licht zu führen. Der heilige Jean Debry hat den pfiffigen Chevalier glücklich aus dem Hause geschafft, das Feld ist frei, ich habe nichts dagegen. – Bertha, mein Goldkind, ist es denn dieser auch ganz gewiß?

Ganz gewiß, Onkel.

Und Sie, sagte er, Sie wissen es doch auch ganz gewiß, daß dies meine Nichte ist, keine große Dame von Rang, Reichthum und Einfluß, sondern ein einfaches Mädchen, die ihren Mann nicht viel mehr mitbringt, als sich selbst?

Herr Geheimrath! rief ich erröthend, vielleicht erfordert es eine Erklärung –

Um Gottes Willen! schrie er mit beiden Händen an seine Ohren schlagend, daß eine olympische Puderwolke aufstäubte, nur in Rastatt keine Erklärungen mehr! Nehmen Sie es hin mein Herzenskind, erklären Sie es ihr, und wenn ihr damit fertig seid, so kommt und laßt uns auf deutsche Weise herzhaft anstoßen, daß Alles so geschehe, wie der Franzose da es Euch angewünscht hat!

Er stieß mich in die Arme der Geliebten und lief davon.

Jedes Hinderniß war beseitigt, endlich war ich allein mit ihr, die in Glück und Liebe weinend mich umschlungen hielt.



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