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8.

Der Frühling meldete sich früh, die Luft wehte mild über den Rhein von Westen, und südwärts von den Alpen her. Rastatt lag im jungen Sonnenschein, aber Gewitterschwüle und eisige Kälte wechselten, wer weiß wie oft, in der Atmosphäre sowohl, wie in den Gemüthern des Menschenknäuls, der sich hier mit tausend Fäden in einander drehte. Was endlich werden sollte, wußten Wenige oder Keiner, selbst die Excellenzen und hohen Diplomaten lebten von den schrecklichen Gespenstergeschichten, die auf sie eindrangen, und von matten Hoffnungsstrahlen, welche irgend eine mitleidige Hand dann und wann beruhigend wie linderndes Oel in ihre Wunden träufelte. Weder Minister, noch Kabinette, noch Fürsten und Könige sahen klar in diese schreckliche Verwirrung, oder besaßen irgend einen leitenden Gedanken, irgend einen festen Willen.

Es wäre belustigend gewesen, dies Jagen und Haschen, diese Angst und diese fratzenhaften Possen der ganzen Gesellschaft zu beobachten, wäre es nicht so tief entmuthigend gewesen. Die Franzosen blieben stumm auf alle Fragen wie auf alle Bitten, was das Directorium beginnen wolle? Sie hatten was sie haben wollten, sie hatten das linke Rheinufer, hatten Ehrenbreitstein geschleift, hatten Hüningen in Besitz genommen, hatten die Schweiz unterworfen und Neapel erobert. Von Italien kamen die Siegesnachrichten, von Egypten schallten sie herüber und verwandelten die Freude über den großen Seesieg der Engländer bei Abukir in Trauer. Der Name des jungen Helden Bonaparte wurde mit den verschiedensten Empfindungen genannt und seine Thaten unter dem heißen Himmel der Wüste auch in Rastatt gefeiert und verflucht.

Alle Tage hörten wir dabei, wie die französischen Heere bei Straßburg, Mannheim und Hüningen immer stärker wurden, die Generale Jourdan, Ney und Vendamme kriegathmende Proclamationen erließen. Der Kriegsschrei gegen Oesterreich und Rußland widerhallte durch ganz Frankreich, und von der anderen Seite wälzten sich die Schaaren des Heeres, welches der tapfere Erzherzog Karl führte, über den Lech dem Rheine zu, die Russen aber zogen nach Italien: »eine Vergnügungsreise des alten Suwarow, der sich ein paar Lorbeerreiser selbst abpflücken will«, sagte Graf Lehrbach zu mir, als wir davon sprachen.

Die Schilderungen der Russen und des siebenzigjährigen Siegers von Warschau, welche zu uns drangen, waren jedoch entsetzlicher Art. Die Gräuel in der erstürmten polnischen Hauptstadt unter den Augen Suwarows begangen, gaben seinem Namen einen schrecklichen Klang. Die Russen selbst, seit dem siebenjährigen Kriege nicht mehr in Deutschland gesehen, erhielten den Nimbus halb fabelhafter Wesen, Centauern von übermenschlicher Gestalt und wilder Tapferkeit, mit denen nicht allein Mütter ihre schreienden Kinder zum Schweigen brachten, sondern die auch von Staatsmännern und Allen, welche die Franzosen und die Revolution haßten, mit wahrer Anbetung und Vergötterung als die Engel der Verheißung betrachtet und erwartet wurden, als ausgesandt von Gott, um das Reich Satans zu vernichten.

Man kann sich denken, wie alle Gefühle des Hasses und der Parteien in Rastatt hin und her wogten, Krieg und Schrecken drangen auf uns ein, vermischt mit Gerüchten und Hoffnungen der abgeschmacktesten und wunderbarsten Art. Es hatte sich die Rede verbreitet, daß in Wien eine mächtige Partei für den Frieden sei, daß der allgewaltige Minister Thugut nur mit Mühe sich im Sattel halte, daß sein Fall mit einem Male alle diese blutigen Wolken zerstreuen könne, und daß der Kaiser ungewiß und schwankend sei, ob er Thuguts Regiment sich entziehen solle?

Alle diese Nachrichten und zahllose andere durchkreuzten sich und jagten wie ein Rudel verfolgter Hasen und Rehe die gesammten jagdbaren Diplomaten und Agenten in Rastatt tagtäglich und stündlich von einer der großen Gesandtschaften zur anderen. Händeringend, verzweifelnd, verstockt, ungläubig, oder scheinbar unbesorgt und die Gefahren verlachend erschienen sie bei den Oesterreichern, um gleich darauf bei den preußischen Gesandten ihre Rollen zu wechseln, und endlich zu den Franzosen zu laufen, um zu horchen, zu jammern, politische Räthsel zu lösen, irgend ein neues Wehgeheul anzuheben oder eine neue übermüthige Laune zu heucheln.

Bei alledem setzte die Reichsdeputation ihre Sitzungen fort, und nach wie vor wurden unermeßlich breite Protokolle über die Friedensbedingungen und Ansprüche abgefaßt, die kein Mensch mehr las und beachtete. Die Aufmerksamkeit begann aber sich vornehmlich auf den Grafen Lehrbach zu wenden, obwohl dieser mit dem eigentlichen Friedenswerke nichts zu schaffen hatte, sondern Oesterreich als Stand vertrat. Allein einerseits wußte man, daß Lehrbach mit dem Baron Thugut in engster Verbindung stand, andererseits verbreitete sich ein Gerücht, daß er Englands Agent sei und durch den englischen Gesandten in München während des ganzen Congresses geheime Verbindungen unterhalten habe.

Graf Lehrbach war daher in nicht geringem Grade belagert von der Masse des Congresses, und der leidenschaftliche Mann gab sich jetzt keine besondere Mühe mehr, seine wahren Meinungen zu verhehlen. Was Frau von Garampi von ihm gesagt hatte, daß ihm zum Diplomaten und Minister vor allen Dingen die Kunst zu schweigen fehlte, zeigte sich jetzt in voller Wahrheit. In seiner polternden Heftigkeit äußerte er sich zuweilen ganz wie der ehemalige Kriegscommissarius von Tirol, und wenn er früher schon gern seine gräulichen patriotischen Mordgeschichten des Landsturms auftischte, so that er dies jetzt unter den bündigsten Versicherungen, daß es diesmal noch weit patriotischer hergehen solle. Wenn man ihn umherhüpfen, sein Zigeunergesicht verzerren, die Augen in grimmiger Härte funkeln und den chinesischen Zopf wackeln sah, so konnte man glauben, daß er wie ein Mandarin des himmlischen Reichs und echter Sclave des Sohnes der Sonne im Stande sei, mit eigener Hand erbarmungslos die Köpfe der Feinde seines göttlichen Gebieters abzumähen.

Das Wesen dieses Mannes, der mich fortgesetzt mit größter Freundlichkeit und einem gewissen Zutrauen behandelte, ward mir immer widerwärtiger und unheimlicher; es kam aber noch etwas dazu, was diese Empfindungen vermehrte – es zeigte sich, daß er bei allem seinen Ungestüm ein Poltron Aufschneiderischer Feigling. war.

Ich war Zeuge einer Scene im französischen Kaffeehause, die einen höchst peinlichen Eindruck auf alle Anwesenden hervorbringen mußte. Graf Lehrbach saß an einem Tische und hatte, wie dies gewöhnlich der Fall war, einen ganzen Kreis von Zuhörern um sich versammelt, denen er Histörchen von den Heldenthaten in Tirol zum Besten gab und ohne alle Rücksicht die wegwerfendsten Urtheile über die Franzosen fällte. Seine Unterhaltung, wenn sie lebhaft wurde, liebte Kraftausdrücke, und als seine Aussprüche doch einige Bedenken fanden, reizten ihn diese zu immer größerer Heftigkeit.

Nun, rief er endlich, wir werden ja sehen, was jetzt kommt. Ich frage nichts nach den Russen, ich verlasse mich allein auf's gut österreichische Blut. Wir werden es alle erleben, meine Herren, wohin die Ohnehosen Verballhornende Lehnübersetzung von französisch » sans-culotte«, der Bezeichnung der proletarischen Revolutionäre der Französischen Revolution, die eigentlich eigentlich »ohne Kniehose« bedeutet: die Kniebundhose wurde von den Revolutionären als Adelstracht abgelehnt - sie trugen bis auf den Fuß herabfallende Hosen, was sich in der nachrevolutionären Herrenmode als bürgerlicher Standard etablierte. endlich laufen, und in welchem Winkel man ihnen endlich den letzten steirischen Bajonnethopser aufspielen wird.

Man kann doch nicht von ihnen sagen, bemerkte Jemand am Tische, daß sie Furcht hätten.

Wo ihrer viele beisammen sind, lachte der Graf, schreit der Eine dem Anderen Courage zu. Kein Volk macht darum so einen Teufelslärm. Hat man sie aber einmal geklopft oder sind ihrer wenige, so laufen sie davon, als hätten sie Flügel an den Beinen.

In dem Augenblick sah er zur Seite, weil eine Unruhe entstand, der Kreis sich öffnete, mehrere der zuhörenden Herren zurückwichen, und die hohe Gestalt Jean Debry's sichtbar wurde.

Er hielt die Hände auf dem Rücken, sein knochiges, eckiges Gesicht regte keine Muskel. Die finsteren, schwarzen Augen hefteten sich wie mit eisernen Spitzen auf dem Grafen fest, der plötzlich schwieg, aufstand und so unverschämt wie möglich sich verbeugte, indem er freundlich grinsend seinen Kopf wackeln ließ.

Bei diesen Höflichkeitsbeweisen trat ein stolzes Lächeln in die erzenen Züge des Franzosen.

Mein Herr Graf, sagte er, Sie erzählten ohne Zweifel diesen Herren eine sehr interessante Neuigkeit. Ich bin leider so wenig mit der deutschen Sprache vertraut, daß ich kaum einige Worte davon verstanden habe. Erfüllen Sie meine Bitte, mir das Ganze nochmals zu wiederholen.

Mein theurer Herr Debry, antwortete Lehrbach seine Hände reibend, es war eine ganz allgemeine Geschichte von gar keinem Werth.

Verzeihen Sie, fuhr Debry fort, wenn ich mich täuschte, aber es war mir so, als hörte ich einige Scherze über mein Volk, das freilich, wie ich denke, zu hoch steht, um auf Dergleichen zu achten.

Sehr richtig! höchst richtig! sagte der Graf.

Gewiß, nahm Debry von Neuem das Wort, hat meine Sprachunwissenheit mich getäuscht. Ich bin eben nur ein einzelner Franzose und besitze, wie Sie sehen, keine Flügel, mein Herr Graf; dennoch aber würde ich gewiß nicht davon laufen, wenn man mich auf eine beliebige Probe stellen wollte. Daß meine Landsleute dieß eben so wenig thun, haben sie, wie ich denke bei Arcole, bei Mantua und an zahllosen anderen Orten bewiesen. Sie geben mir ohne Zweifel Recht, Herr Graf?

Vollkommen Recht! ganz vollkommen! rief Lehrbach mit beständigem Neigen.

Und Sie bezweifeln eben so wenig den französischen Muth wie den Muth jedes einzelnen Franzosen?

O! wirklich nein! auf mein Wort, nein! war die Antwort.

Dann habe ich die Ehre, Ihnen einen guten Tag zu wünschen, und bitte Sie, sich in weiterer Ausführung ihrer charmanten Geschichten nicht stören zu lassen. –

Höflich grüßend entfernte er sich, aber das Geschichtenerzählen hatte natürlich ein Ende. Graf Lehrbachs Keckheit ging allerdings soweit, aus dem ganzen Vorfall einen Spaß machen zu wollen und den Franzosen zu verhöhnen. Wie groß aber auch Feigheit, Furcht und Schwäche waren, dahin reichten sie doch nicht, um Beifall zu klatschen. Man fühlte den Triumph des Franzosen und die Niedrigkeit der Gesinnung dieses brutalen Mannes, der schmachvoll gezwungen wurde, seine eigenen Worte zu verschlingen. Die Allermeisten eilten daher sich zu entfernen.

Dieser Vorfall machte auch auf mich keinen geringen Eindruck und bestärkte mich in Abneigungen, welche längst sich weiter verwurzelten. Inzwischen war meine Stellung so, daß ich sie nicht aufgeben konnte und nicht aufgeben mochte, denn sie erschien mir unabhängig und frei, dabei in sehr vieler Beziehung angenehm und wünschenswerth, endlich aber knüpfte sich auch ein Hintergrund daran, welcher der ernstlichsten Betrachtung würdig war.

Frau von Garampi würdigte mich fortgesetzt ihrer Gunst und zwar in einem eigenthümlichen Grade. Als ich sie kennen lernte, hatte sie mir manche Freiheiten gestattet, doch war ich damit nicht weiter, sondern geradezu zurück gekommen. Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß sie wie ein Geizhals handelte, der seine Schätze zeigt, aber sogleich wieder in den Kasten verschließt, um seinen hungrigen Diener treu und auf die Erbschaft lüstern zu erhalten; andererseits aber gestattete sie mir ihre Nähe und ihre Gesellschaft, bevorzugte mich, forderte meine Dienste und bildete sich eine Art Oberhoheitsrecht aus, das nach und nach immer bestimmter über mich verfügte.

Etwas Wohlthuendes hatte die Sorge, welche sie für mich hegte, die Theilnahme, welche sie mir bezeigte, wenn ich bedrückt schien, oder irgend ein Schmerz mich plagte. Alles, was sie sagte und that, hatte etwas Verständiges, Vertrauen Erweckendes; ihre klugen Augen besaßen eine besondere Kraft und ihre Gedanken und Entschlüsse waren weit von den schwankenden und ungewissen Ergebnissen des Augenblicks entfernt, welche gewöhnlich Frauen bestimmen. Auf ihren Rath hatte ich eine Beleuchtung des Congresses nach dessen bestimmten Richtungen für die Friedens- und Entschädigungsfrage ausgearbeitet und nach beiden Seiten hin alle Gesichtspunkte und deren Bestrebungen nebeneinander gestellt und so objectiv erörtert, wie dies geschehen konnte.

Es fehlte jedoch darin auch nicht an kritischer Schärfe, welche eben so wohl auf das Verhalten der Reichstagsdeputation, wie auf die französischen Forderungen angewandt wurde. Dieser Aufsatz war in Frau von Garampi's Händen geblieben. Ich fragte nicht danach, aber ich wußte, was sie damit gemacht hatte. Sie hatte ihn ohne Zweifel nach Wien gesandt, und ich war neugierig genug darauf, wie der schlauste und scharfsinnigste aller damaligen Diplomaten, denn als solcher galt Herr von Thugut, ihn aufgenommen hatte.

Während nun der Wirrwar in Rastatt von Tage zu Tage größer wurde, blieben die gesellschaftlichen Zerstreuungen doch dieselben. Die Diners und Soupers der Excellenzen hatten erfreulichen Fortgang, eben so die Theater- und Kaffeehausvergnüglichkeiten, endlich die zahlreichen kleinen Cirkel, in denen sich die Gleichgesinnten vereinigten. Für mich war das Haus des Geheimraths Wochardi immer noch ein gastliches und jederzeit geöffnet, obwohl ich selten darin erschien.

Der größte Theil meiner Zeit war meiner schönen Freundin gewidmet, dann und wann kostete mich auch Mademoiselle Hyacinthe einen Abend, ich hatte somit Entschuldigungen genug, wenn der alte joviale Herr oder der Chevalier mir Vorwürfe über mein seltenes Erscheinen machten. Nur Eine stimmte darin niemals mit ein, hatte nie eine Aeußerung weder im Scherz noch im Ernst für mich, aus welcher sich ihr Antheil an meinem Kommen oder Gehen hätte erkennen lassen, und doch hätte dies allein mich reizen können, und weil ich nichts bemerken, nichts erkennen konnte, war ich von unmuthigen, unbehaglichen Empfindungen beherrscht, die mich aus ihrer Nähe verscheuchten.

Bertha von Hochhausen empfing mich mit derselben schönen und ruhigen Freundlichkeit, die mir von Anfang an zu Theil geworden war. Unsere Unterhaltungen über Literatur und Poesie, über alle neuen Erscheinungen im geistigen Gebiete, über das Erwachen des deutschen Geistes und deutschen Volkes, kurz über Alles, was ihre empfängliche Seele erregte, blieben stets lebendig und warm. –

Es war ein eigenthümlicher Unterschied zwischen diesem jungen Mädchen und der Dame, welcher ich sie oft in meinen Betrachtungen gegenüber stellte. Helene Garampi, die ihr Haupt so stolz trug, aus deren klugen Augen eine solche befehlende Sicherheit blickte, und diese sanft lächelnde feine und zierliche Gestalt, mit lichtbraunem Haar und Blicken voller Schalkheit und Güte, wie sank dies arme kleine Fräulein gegen die Frau, welche eine Freundin berühmter Staatsmänner war, die auf ihren Rath hörten und ihre Geheimnisse ihr anvertrauten.

Dennoch aber sank die Waage nicht so, um sich nicht wieder zu heben, wenn man den veränderten Maßstab gebraucht. Was Bertha von Hochhausen sprach, war gewiß nicht immer klug und vorsichtig überlegt, es waren oft sehr heiße Ergüsse ihrer Vorstellungen, patriotische Phantasieen, bunte Bilder aus der Welt ihrer Gefühle; allein man konnte leicht davon ergriffen und hingerissen werden, wenn sie aus der Fülle ihres Herzens sprach, wenn ihre braunen Augen glänzten und wenn in Vertheidigung ihrer Behauptungen die schöne, breite Stirn sich zu heben und zu dehnen schien, um den Strom ihrer Gedanken aufzunehmen. Ihr Anblick hatte dann etwas Begeistertes, das ganze Gesicht war so klar, als könnte man wie in einen Spiegel tief hinein schauen, und ein Gefühl von Gläubigkeit, ich weiß nicht welcher Glückseligkeit, aber ein unendlich wohlthuendes Gefühl überkam mich dann.

Zuweilen stritten wir, denn es war angenehm mit ihr zu streiten, die immer bereit zu unerwarteten Wendungen und bereit zum Frieden war; noch viel öfter aber wurde ich ihr bester Bundesgenosse gegen den Chevalier oder gegen den witzigen Grafen Melzi, den holländischen Ritter von Buch, oder auch wider den munteren Oheim, welcher häufig mit ihr in Hader lag.

Im Laufe des Winters war ich jedoch immer seltener gekommen, und als ich von de Bray gehört hatte, daß in der nächsten Zeit sein Verlöbniß erklärt werden sollte, stellte ich meine Besuche fast ganz ein. Ich hatte mir nicht ein einziges Mal gesagt, daß ich eine besondere Zuneigung für Fräulein Hochhausen empfände, und wenn ich kam, behandelten wir uns gegenseitig in einer Art, als sei ich gestern erst dort gewesen und niemals vermißt worden. Wir scherzten und erzählten uns, was wir seit dem erlebt oder gehört hatten, und da sie fleißig Zeitungen las, an der Politik Theil nahm und mit aller Bestimmtheit fortgesetzt so deutsch dachte, wie damals, als ich sie zuerst gesehen, hatten wir Anknüpfungspunkte genug, um uns zusammen zu finden.

Oefter kam es dabei vor, daß wir längere Zeit allein blieben; allein nicht einmal hatten unsere Mittheilungen sich auf eines der gefährlichen Gebiete verirrt, auf welchem sich die Herzen entgegen kommen. Ich betrachtete sie als ein fremdes Eigenthum, obenein das Eigenthum eines Freundes, und diese Gewißheit hielt alle Nebengedanken zurück. Die Gräfin de Bray stand vor mir; die Erinnerung daran machte mich zuweilen plötzlich schweigsam und so zerstreut, daß ich gewöhnlich mich sehr rasch entfernte.

Hierzu trug jedoch auch nicht wenig der Kreis von Freunden bei, welcher sich in diesem Hause versammelte. Es waren größtentheils Männer, die mit der französischen oder bairischen Gesandtschaft in Verbindung standen, oder zu diesen selbst gehörten, manche lebhafte, witzige und geistvolle Persönlichkeiten, allein auch viele, die mir nicht behagten. Die dunkle, stille Gestalt Jean Debrys ging zwischen diesen lauten, beweglichen Gästen umher, als hätten sie ihm alle ihre Sorgen und Schmerzen aufgebürdet; aber je schwerer die Last war, um so leichter schien er sie zu tragen, und je verworrener und gefahrvoller der Congreß sich gestaltete, um so gefaßter und gewisser schien er im Gemüth zu sein.

Bertha von Hochhausen nahm sichtlich sehr großen Antheil an diesem ungewöhnlichen Mann, und meine Bemerkungen erhielten fortgesetzte Bestätigung. Ich fand, daß sie sich gern und vorzugsweise mit ihm beschäftigte, und wenn er zugegen war hielt ich mich für vernachlässigt; denn im Fall es ihm zu sprechen beliebte, übte er auch auf sie den Zauber aus, dem ich selbst mich nicht ganz entziehen konnte. Worüber er auch reden mochte, er wußte überall zu fesseln. Die Schärfe seiner Beobachtungen und die durchdringende Kraft seines Verstandes waren eben so glänzend, wie er durch Gelehrsamkeit und reiches Wissen der verschiedensten Art überraschte; daneben konnte er auch sarkastisch und witzig sein und selbst der gewandte und witzige Graf Melzi fürchtete sein plötzliches Aufwachen, wenn er lange schweigsam zugehört hatte, und verglich ihn mit einem jener galvanischen Aale, die gereizt werden müssen, wenn sie ihre elektrischen Schläge austheilen sollen.

Ich erinnere mich, daß Melzi einst sehr lebhaft die politischen Fragen besprach und sich mit mir über den Ausgang des Krieges herumstritt, der, wie es schien, nächstens beginnen sollte. Fast alle Anwesenden waren überzeugt, daß die Franzosen rasche Siege erfechten müßten, und rodomontirten Rodomontiren: übertriebenes Reden über eigene Taten und Vorhaben. mit solchem Uebermuthe von den sicheren Erfolgen, daß ich um so nachdrücklicher und ruhiger dagegen auftrat. Ich rühmte die österreichische bewährte Tapferkeit, rühmte den trefflichen General Erzherzog, der an der Spitze des Heeres stand, und vertheidigte meine Sache mit solchem Eifer, daß der Chevalier mich endlich spöttisch fragte, ob ich schon in österreichische Dienste getreten?

Ich bemerkte, wie die Anwesenden lachten und mich in einer Weise ansahen, als stimmten sie der Frage vollkommen bei; ich bemerkte auch, wie Berthas Augen fest und groß sich zu mir aufschlugen und wie ein Schleier sie zu bedecken schien, der im nächsten Augenblicke gleich Nebelgewölk zerriß, das die Sonne sprengt. Ihre strahlenden Blicke fielen auf mich, als wollten sie mich stärken und ermuthigen, und wirklich gaben sie mir Energie zu meiner Antwort.

Nein, Herr Chevalier, antwortete ich, noch bin ich nicht in Oesterreichs Diensten, wenn ich aber hoffen könnte, dadurch für meines Volkes Sache zu glücklichen Erfolgen beizutragen, würde ich nicht einen Tag zögern.

Bester Freund, lachte der Emigrant, ich sollte meinen, Graf Lehrbach und seine reizende Gesellschafterin, Frau von Garampi, hätten Ihnen die weise Lehre klar gemacht, daß, wenn man für sich sorgt, man immer auch das Beste seines Volkes will, da man ein Theil desselben ist und was dem Theile gut thut, auch dem Ganzen frommen muß.

Bei dem Namen der Frau von Garampi färbte sich meine Stirn und einen Augenblick hatte ich die Ruhe so weit verloren, daß ich mit erhöhtem Tone sagte:

Ich gehöre nicht zu denen, die solchen Grundsätzen anhängen, eben so wenig zu solchen, die mit patriotischen Diensten Handel treiben.

Es handeln Kaiser und Könige, antwortete der Chevalier ohne die geringste böse Miene. Betrachten Sie diesen Congreß, alle Congresse, das ganze Weltgetriebe, überall blüht Handel und Wandel. Der Onkel handelt mit Mausefallen, die Muhme verhandelt den Speck dazu; die Hauptsache bleibt, nicht die Maus zu sein, der zuletzt das Fell abgezogen wird.

Graf Melzi d'Eroles mischte sich ein; er mochte meine Entrüstung bemerken.

Was wollt ihr Deutschen, rief er mir zu, und was könnt ihr noch hoffen?! Als Volk und Reich habt ihr eure Aufgabe erfüllt, ihr habt das Reich der Römer über den Haufen geworfen, damit eine Reihe neuer Staaten und Reiche daraus entstehen konnte. Jetzt kommt die Stunde des Todes an euch. Seht doch, wie alle die kleinen Herren und Herrchen hin und her laufen und sich zu retten suchen. Wie Ameisen, die vor dem Ameisenbär in Todesangst fliehen und doch dabei noch etwas für ihre Freßzangen zu haschen suchen; aber die fürchterliche Bärenzunge ist hinter ihnen und leckt sie sämmtlich auf.

Unter dem Gelächter der Gesellschaft sagte ich unbeirrt:

Das jetzige verrottete Reichswesen mag zerstört werden, aber das deutsche Volk wird nicht verschwinden, Deutschland wird aus seinem Grabe auferstehen.

Deutschland! fiel Melzi spottend ein, deutsches Volk! – Ihr werdet Oesterreicher werden, Preußen werden, ihr werdet ein halbes Schock Vaterländer haben, bis die fürchterliche Zunge auch an diese kommt und sie verschluckt, eben so wie sie die Klöster und Stifte, die Bischöfe und Reichsritter, die Reichsmarktflecken und die schwatzhaften Reichselstern, diese edlen Grafen von Stadion, Hompesch und andere hüpfende, lustige Creaturen, welche Rastatt jetzt bevölkern, verspeist, trotz alles Geheuls und Wehklagens.

Wir wollen es abwarten, erwiederte ich. Mein Vaterland hat mehr als einen schrecklichen Sturm erlebt, sein Stern wird nicht untergehen, der Geist fängt an sich darin zu regen.

Der deutsche Geist! sagte Melzi.

Der deutsche Geist! wiederholte ich, der alle diese leckenden Bären überwinden und vernichten wird. Prahlt nicht zu viel, ihr Herren, ihr werdet euch zuletzt doch verrechnen.

O! sagte Melzi lächelnd, wir wollen nicht streiten um die Hoheit des deutschen Geistes und seine Zukunft; so viel aber ist gewiß, daß sich gegenwärtig noch wenig davon zeigt. Was man Deutschland nennt, ist ein Chaos voll Nacht und Finsterniß; ihr braucht den Geist, der Licht und Ordnung schafft, und dieser wird kommen, er wird die Zukunft der Völker bestimmen.

Da ich wußte, daß Melzi dem General Bonaparte mit begeisterter Verehrung anhing und von ihm die höchsten Erwartungen hegte, sagte ich:

Von dem Besieger der Mamelucken erwarten Sie ohne Zweifel, daß er das alte heilige Deutschland zu einer französischen wohlgeordneten Provinz mache.

Er wird euch von euren Mamelucken helfen, rief der Italiener lachend, wird euch die Freiheit bringen und dem Strom der neuen Zeit sein Bett graben.

Und wir, antwortete ich mit nicht weniger Uebermuth, wir werden ihm dafür danken, wie er es verdient. Er wird in Deutschland sein Ende finden!

Jean Debry hatte anscheinend theilnahmlos zugehört, jetzt hob er seinen Kopf auf und sagte mit seiner vollen starken Stimme:

Er ist ein Adler, der von Sieg zu Sieg fliegen wird, aber er ist ein Tyrann, ich kenne ihn. Statt der Freiheit wird er Knechtschaft über die Völker bringen, statt der Ordnung bringt er Gewalt und Unterdrückung. Auch Sie, Melzi, Sie werden einst bereuen.

Seine Worte machten Eindruck; der Graf erwiederte etwas, aber Jean Debry preßte schweigend seine Lippen zusammen, und indem er sich umwandte und fortging, sagte er langsam nachdrücklich:

Kein Alexander und kein Cäsar hat jemals Völker frei gemacht. Ehrgeizige Soldaten verachten die Rechte des Bürgers.

Als ich gehen wollte, gab mir Bertha ein Buch. Es war Schillers Wallenstein, der damals soeben erschienen war.

Das müssen Sie lesen, sagte sie, und ihre Augen leuchteten mich an, und hier habe ich noch etwas. Eine theure Freundin hat es mir mit diesem Buche geschickt; es sind einige Scenen aus einem neuen Schauspiele, mit welchem der große Dichter sich eben jetzt beschäftigt. Es soll Wilhelm Tell heißen.

Sie hielt mir einige beschriebene Blätter hin, es waren Scenen eines Schauspiels, aus welchem Schiller nachmals den dritten Act seines berühmten Dramas gebildet hat; und jene Blätter enthielten den Schuß nach dem Apfel, die Scene von dem Hut auf der Stange und die einleitenden Scenen in Tells Hause und auf der Jagd zwischen Bertha und Rudenz. Mein erster Blick fiel auf ihren Namen und ob der Zufall es fügte – ihre Finger ruhten auf den Worten:

»Zerreiße sie mit männlichem Entschluß
Die Schlingen, die Du um Dein Haupt gelegt.
Was auch drauß werde – steh' zu Deinem Volk!
Das ist Dein angeborner Platz.«

Ich war von dem, was ich las, lebhaft ergriffen. Bestürzt und fragend blickte ich in ihr Gesicht, ohne zu erkennen, wie es gemeint war. Ich nahm das Manuscript und als ich zu Haus anlangte, beschäftigte mich sein Inhalt viele Stunden lang, bis in die Nacht hinein. –

Jene Erbin des Dichters, die dem Geliebten sich zusagt, wenn er nicht auf Oesterreichs Lockungen hören, bei seinem Volke stehen, seines Volkes Sache vertheidigen will, füllte meinen Kopf mit abentheuerlichen Phantasien. Ich ließ mich in zahllose Vergleiche ein und verwarf sie alle, denn im Grunde gab es hier keine Vergleiche. Wie sollte ich glauben können, daß sie selbst sich mit jenem Gebilde gemeint und mich zu Hoffnungen kühn gemacht hätte, die bisher so weit ab von mir lagen, daß ich niemals davon beschlichen wurde?

Aber in dieser Nacht, als ich ruhlos und heiß unter meinen Decken lag, Samhaber über mir umherpolterte und von unten herauf Gelächter und Gesänge aus Mademoiselle Hyacinthes mysteriöser Grotte drangen, gerieth ich in einen Fieberparoxysmus. Je dichter ich die Augen schloß und die Ohren verstopfte, um so deutlicher sah ich das lächelnde, freundliche Gesicht, und hörte ich ihre helle, reine Stimme. Mit wunderbarer Genauigkeit that sich mein Gedächtniß plötzlich auf und flüsterte mir Erinnerungen, Blicke, Worte, Gebehrden zu, die sich zu einer Kette verlockender Unterstützungen, geheimer Wünsche, zusammenreihten, die mich umgarnten. Was mir unmöglich und abgeschmackt geschienen hatte, gewann Leben und Möglichkeit, und indem ich mich ihm hingab, kam ein Traum von Gewißheit und Glück über mich, dem ich nicht widerstehen konnte.

Leise sprach ich ihren Namen aus, und mein Herz zitterte dabei; ich legte die Finger meiner linken Hand dahin, wo die ihren zuletzt in meiner Rechten gelegen hatten, und ein Feuer flog durch meinen Arm. So saß ich in meinem Bette aufgerichtet und starrte in die Finsterniß mit solcher Macht, daß Alles um mich her Licht wurde.

Plötzlich stürzte Samhaber über mir einen schweren Körper um, daß die Decke krachte.

Gott erbarme sich! schrie ich auf, er will mich mit seinem Elixir ersäufen!

Ich fühlte den schwarzen Strom über mich hinfließen, mit allen Träumen war es vorbei, alle Götter flohen davon!

 

Am folgenden Tage mochte ich Niemand sehen, eine Einladung von Frau von Garampi schlug ich unter Vorwänden aus, erst am späten Nachmittage machte ich einen einsamen Spaziergang nach der Favorite hinaus. Kleine Sträucher grünten dort schon, der Frühlingswind trieb riesige Abendwolken über den Himmel und im Westen lagerte sich eine feurige Glut, welche alle die riesigen nackten Eichen des Parks in Flammen zu setzen schien. Es war ganz einsam dort, als ich aber über die Terrasse ging, sah ich einen Mann am äußersten Ende stehen, der in seinen blauen Mantel gehüllt den Himmel betrachtete. Da er hinter einem der Pfeiler lehnte, bemerkte ich ihn erst, als ich nahe bei ihm war, und als er sich beim Schall meiner Schritte umwandte, erkannte ich Jean Debry.

Er grüßte mich und ich trat zu ihm. –

Eine sehr wunderbare Beleuchtung, sagte er. Diese alten Bäume mit ihren zahllosen knorrigen Aesten und Zweigen kommen mir vor wie unglückliche, beseelte Wesen, die ihre Hände flehend zu Gott aufheben, sie vor der fürchterlichen Glut zu beschützen, die gegen sie anfährt.

Glauben Sie, erwiederte ich seinen Gedankengang aufnehmend, daß diese Himmelsglut die unaufhaltbare Kriegsglut anzeigt?

Können Sie noch daran zweifeln? war seine Antwort. Jourdan dringt nach Schwaben vor, der Erzherzog von Oesterreich zieht ihm entgegen. Heut ist die Kriegserklärung erfolgt.

Heute?! rief ich lebhaft. Und Sie, und der Congreß?

Die Republik hat dem Kaiser von Oesterreich und seinem Bundesgenossen, dem Czar, den Fehdehandschuh hingeworfen, mit dem deutschen Reich werden wir in Rastatt weiter unterhandeln.

Wie ist das möglich? Was können Sie noch hoffen?

Hoffen! erwiederte er, melancholisch lächelnd, welche Hoffnungen bleiben uns überhaupt noch? Der Aufschwung der Menschheit, den wir erwarteten, für den wir uns begeisterten, er ist nicht in Erfüllung gegangen; statt des Friedens und des Glückes auf Erden zerfleischen sich die Nationen, statt der Freiheit kommt die Knechtschaft über sie mit neunfachen Banden.

Aber Sie glauben an den Genius der Menschheit? fiel ich ein, an eine höhere Bestimmung, an eine fortschreitende Entwickelung zum Guten.

Wir haben schon einmal diesen Trost edler Seelen berührt, antwortete er, aber ach! was hilft er dem, der, um sich vor den Schrecken des Zweifels zu retten, in den Abgrund des Glaubens stürzt? Zum Glauben, mein junger Freund, gehört jener Leichtsinn, den wir Hoffen nennen, der Trug, den wir in uns tragen, ohne den wir nicht leben möchten, und der doch Schuld daran ist, daß wir nie dem Himmel nahen, aus dem wir stammen wollen.

Den Himmel, sagte ich, als er schwieg, öffnet uns nicht das Wissen, nicht der Glaube, aber die Liebe! Und ist es denn ein leichtsinniges Hoffen, daß endlich eine große, edle Liebe alle Menschen gut machen und bessern wird? Daß je mehr die Finsterniß aus den Köpfen verschwindet, die Herzen dafür um so leichter und heller werden? Wenn wir die Jahrtausende der Geschichte unseres Geschlechts überblicken, sehen wir daran, daß wir doch vorwärts gekommen sind, aus finsteren barbarischen Zeiten zu milderen gelangten und – setzte ich leiser hinzu – dürfen wir nichts von einem neuen Jahrhundert hoffen, dem die junge Sonne vorleuchtet, die Frankreich entzündet hat?

Die Sonne, murmelte er vor sich hin, indem er in den glühenden Himmel blickte, die Sonne, welche Frankreich entzündet hat!

Sie werden dahin zurückkehren, fuhr ich fort, und werden dann zu denen gehören, die an der Spitze der Ereignisse stehen.

Mit einer raschen Bewegung ergriff er meine Hand.

Haben Sie nicht gehört, sagte er, was Melzi gestern prophezeihte? Die Welt harrt ihres Erretters, und dieser wird kommen, das blutige Schwert in seiner Hand. Sie sind jung, mein Freund, Sie glauben und hoffen noch, ich sehe nichts als eine Wüste, über welche der Scirocco fährt. Alle Blüthen liegen abgestreift, alle Kränze sind verwelkt. Verwirrung, niedre Leidenschaft, gemeine Habsucht überall. Aufklärung der Menschheit, welch edles Wort! Bruderliebe, Menschenliebe! was haben wir dafür gelitten und wohin sind wir gerathen? Wie weit ist Aufklärung möglich, wo ist die Grenze der Vernunft? Können diese elenden Geschöpfe, die den Menschennamen tragen, jemals von Verrath und Bosheit lassen? Können sie gut und weise werden, können sie sich lieben, werden sie nicht ewig sich morden, aussaugen und plagen? werden sie jemals frei und glücklich werden?!

Er strich nach diesem leidenschaftlichen Aufrufe mit der Hand über seine hohe Stirn, und sagte sanfter:

Alles, was wir thun können, ist, uns selbst zu bessern und wo möglich uns weise und glücklich zu machen. Es giebt keine andere Philosophie, als die der großen Stoiker, die Philosophie der Entsagung; kein anderes Glück des Lebens, als das, welches wir aus uns selbst schöpfen. Ich werde nach Frankreich zurückkehren, aber nicht um mich wiederum in das wüste Getümmel zu stürzen, nicht um ein Mitschuldiger zu werden, bis der wankende Bau über uns zusammenstürzt. Die Freiheit kann ich nicht retten, die Menschen kann ich nicht bessern, allein ich selbst kann frei sein. Ich habe ein kleines Gut, ein kleines Haus an der Loire. Wein rankt um seine Schwelle, ein schattiger Baum steht an seiner Thür. Dahin kann ich mich retten, dahin all mein Glück bringen, all' meine Liebe, allen meinen Kummer, und wenn ein Herz ihn mit uns theilt, ein Herz, das uns versteht, ist es genug für ein Menschenleben.

In diesem Augenblick erschien dicht unter uns auf dem Fahrwege ein halboffener Wagen, welcher rasch um die Ecke bog. Auf einen Blick erkannte ich Frau von Garampi darin, neben ihr saß Graf Lehrbach, auf dem Rücksitze aber befand sich im militairischen Rock mit hohen Kragen ein Herr, der mir sehr bekannt schien.

Graf Lehrbach beugte sich weit heraus, winkte und nickte verbindlichst und sah noch einmal nach uns zurück, um uns sein grinsendes Gesicht zu zeigen; Frau von Garampi sah mich, wie ich meinte, strafend an, der Herr auf dem Rücksitz wandte dagegen den Kopf nach der anderen Seite.

Der Wagen eilte rasch vorüber und verschwand zwischen den Bäumen, als Jean Debry seine Hand auf mich legte und in einem Tone, der mich lebhaft rührte, zu sprechen begann.

Ich habe Sie lieb gewonnen, sagte er, weil Sie empfänglich für alles Gute und Rechte sind. Darf ich Ihr Freund sein?

Mein Freund! rief ich ihn begeistert anblickend, Ihr Wort macht mich stolz.

Als Ihr Freund, fuhr er fort, darf ich ein vertrautes Wort sprechen. Wie können Sie mit denen dort – er streckte den Arm aus und zeigte den Weg hinab, den der Wagen genommen hatte – etwas gemein haben? Was man mir erzählte, glaube ich nicht, es kann nicht sein; denn was Sie ehren, wird dort verachtet, was Sie hoffen und glauben, verspottet und verlacht. Kein Mensch auf Erden haßt und verfolgt mit solcher Gewalt jedes Recht, wie der Kanzler in Wien, und diese Frau dort ist seine Vertraute, sein Spion in Rastatt; Niemand ist so verknechtet, so gefüllt mit russischem Sklavensinn und so entsittlicht in sybaritischer Entnervung wie Ludwig Cobenzl. Endlich jener da, halb Chinese halb Zigeuner, wer erschrickt nicht vor ihm? Und dennoch, so abschreckend er aussieht, noch viel übler ist, was er verbirgt. Falsch, feige, roh und gemein. Vor nichts erschreckend, nichts achtend, ohne irgend eine Moral, ohne ein besseres Gefühl. Mit diesen Menschen können Sie kein Bündniß schließen; wer sie benutzt, kann nichts Gutes wollen. – Und das Gute, sagte er sein Gesicht zum Himmel aufhebend, der es mit seinem rothen Schimmer bedeckte, ist doch das Einzige, was uns in allem Leid trösten kann. Wir können fehlen und irren, zweifeln, ob wir je zur Wahrheit gelangen; doch wenn wir uns das Zeugniß geben können, wir strebten nach Recht und Wahrheit, was wir wollten, war gut, was wir haßten und verwarfen, war Unrecht und Lüge, dann, mein Freund, dann mag das Schicksal über uns hereinbrechen, wir haben einen Stab, der uns den Weg zu dem Quell alles Guten, zu Gottes Frieden in uns, leitet.

Ich lehnte mich an ihn, wir standen so einige Minuten. Von Zeit zu Zeit fühlte ich den Druck seiner Hand, und meine Augen hingen an seinem Gesicht, das wunderbar schön und stolz aussah. Arm in Arm gingen wir nach der Stadt zurück, und ich blieb bei ihm bis spät in der Nacht.



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