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5.

Drei Tage später folgte der große Schreckenstag in Rastatt, hervorgerufen durch das berüchtigte, französische UItimatum.–

Der Chevalier de Bray hatte mich fast täglich besucht, an jenem traurigen Morgen kam er ungewöhnlich früh und in der muntersten Laune rief er eintretend:

Sie sind beschäftigt, wie ich höre, man hat Sie zu Arbeiten herangezogen.

Das war allerdings der Fall. Ich hatte den Tag darauf, wo ich bei dem Grafen Lehrbach geladen war, ein Billet von Baron Jakobi erhalten, der mich ersuchte, einige Stunden im Dechiffrirbureau zuzubringen, um den Herrn von Matolay zu ersetzen, den man als Curier nach Berlin geschickt hatte.

Der arme Matolay! sagte ich seufzend, Gott weiß, ob der Wackere jemals an Ort und Stelle anlangt, denn er hat nicht den geringsten Ortssinn und kommt vielleicht in Petersburg wieder zum Vorschein.

Er lachte ausgelassen, als ich ihm erzählte, daß Matolay wirklich sich beständig verirrte.

Im Uebrigen, fuhr er dann fort, ist Ihnen die Arbeit zu gönnen; Sie wird Ihre lebhafte Phantasie etwas abkühlen und die diplomatische Besonnenheit wach erhalten.

Ich wüßte nicht, erwiederte ich, daß ich diese besonders nöthig hätte.

Nicht? fragte er drohend, Sie fürchten also die feurigen Augen der gefährlichen Wittwe nicht?

Mir ist so kühl dabei zu Muthe, wie den drei Männern im feurigen Ofen.

Auch kühl, wenn diese zauberische Susanna ihren Figaro herbeilockt: »Komm mein Geliebter, daß ich mit Rosen Dein Haupt bekränze!«

Chevalier, sagte ich, was wissen Sie?

Gar nichts, antwortete er, als daß Sie ein Günstling des Glücks sind. Benutzen Sie es, bester Freund, doch seien Sie vorsichtig. Die Sachen stehen eben jetzt so, daß Sie sich nicht gut als täglicher Gast bei Lehrbach zeigen können, wenn Sie nicht schon ganz entschlossen zu einem entschiedenen Schritt sind. Diesen werden Sie jedenfalls nach allen Seiten hin überlegen wollen.

Ich sah ihn ziemlich erstaunt an.

Vorläufig, erwiederte ich, handelt es sich um nichts, als daß ich einer schönen Frau dienstfertiger Cavalier bin.

Vortrefflich! rief er, aber das sollte Sie nicht abhalten, auch an andere Leute zu denken. Warum haben Sie bis jetzt noch nicht Ihren Besuch bei Fräulein von Hochhausen wiederholt, um einen ganzen Berg Bücher und Gedichte zu lesen, die für Sie bereit liegen?

Weil ich vermuthe, sagte ich, daß das Fräulein sich mit einem weit angenehmeren Gegenstand dringend zu beschäftigen hat.

Das heißt, Sie meinen mich? lachte er, den Finger auf sein Herz legend.

Wollen Sie es läugnen?

Nein, antwortete er, warum sollte ich es? Sie sind mein Freund und ich bin der Ihre, mit aller Aufrichtigkeit. Ich will Ihnen darum bekennen, daß ich Mademoiselle von Hochhausen heirathen werde.

Ich wünschte ihm Glück zu einer so liebenswürdigen Braut, und fragte ihn dann, ob die Verbindung schon erklärt sei?

Noch nicht, erwiederte er, allein wir sind in Richtigkeit.

Die Acten zwischen den beiden Herzen sind also abgeschlossen, sagte ich, ihm die Hände schüttelnd. Ich hoffe, Chevalier, Sie werden von der deutschen Leidenschaft sich nicht übertreffen lassen.

Was reden Sie da! antwortete er. Ich will nicht behaupten, daß Frauen mir gleichgültig wären, nicht etwa, wie man von dem alten Thugut erzählt, der für seine intimsten schönen Freundinnen selbst in früheren Jahren kaum dann und wann einige Minuten zu einem Schäferspiele übrig hatte, ebensowenig bin ich galant und flatterhaft wie Ludwig Cobenzl, der, so abgelebt er ist, noch immer von einer Blume zur anderen fliegt, und sich bewundern und heimlich auslachen läßt. Ich widme und opfere gern auf einem Altare, schließe eine Heirath mit den vortrefflichsten Grundsätzen, ehre, achte und beuge mich vor meiner schönen Braut und ihren Vorzügen und Reizen, allein sentimental, leidenschaftlich, deutsch zärtlich in diesem Sinne, ein schmachtender Anbeter, – nein, mein lieber Freund, das dürfen Sie nicht von mir erwarten.

Aber wenn Sie lieben, wird die Liebe alle diese kalte Philosophie vernichten.

Ich werde heirathen, sagte er, weil ich weiß, daß ich es muß; ich werde artig und gefällig sein, weil eine Dame, meine Braut oder Frau, dies von mir verlangen kann; ich werde mich bemühen, alle ihre Wünsche zu erfüllen, weil dies für meine eigene Zufriedenheit und für mein häusliches Glück vortheilhaft ist; im Uebrigen aber werde ich auf keinen Fall mich verlieben, denn nichts kann abgeschmackter sein, als was man so nennt. Es gehören durchaus dazu zwei Narren, die sich gegenseitig zu allen möglichen Tollheiten aufstacheln, bis sie am Ziele sind, d. h. bis sie auf irgend eine Weise den Lohn für ihre Thaten ernten.

Sie sind in allen Dingen praktisch, mein lieber de Bray, lachte ich.

Ich hoffe, wir sind es beide, fuhr er ernsthaft fort. Wenn wir heirathen, werden wir uns fragen, was können wir damit erreichen? Nach unseren christlichen Gesetzen ist der berühmte Graf von Gleichen Nach der Sage zieht der Graf von Gleichen 1227 auf einen Kreuzzug und lässt seine Gemahlin mit zwei Kindern zurück. Er wird gefangen genommen und von einem Sultan viele Jahre als Sklave gehalten. Die überaus schöne Tochter des Sultans verliebt sich in ihn und verspricht ihn zu befreien, wenn er sie mit sich nehmen und sie heiraten wolle. Daran gewöhnt, dass ein Mann mehrere Frauen haben dürfe, stößt sich die Muslima nicht daran, dass der Graf bereits verheiratet ist. Beiden gelingt es zu Schiff zu fliehen. Glücklich in Venedig angekommen, eilt der Graf nach Rom. Der Papst tauft die Mohammedanerin und gibt dem Grafen die Erlaubnis zu einer zweiten Ehe. Bei der Ankunft auf der Burg Gleichen in Thüringen preist er seiner Frau die Verdienste der Sultanstochter, ohne die er Sklave geblieben, seine Frau Witwe und die Kinder Waisen wären. Die beiden Frauen vertragen sich aufs Beste, sie teilen mit dem Grafen das Bett und nach ihrem Tod das Grab. eine seltene Ausnahme. Da wir also unsere Hand nur Einer Frau reichen dürfen, so müssen wir um so vorsichtiger sein, keine Thorheit zu begehen. – Wenn Frau von Garampi ihre weißen Arme ausstreckt, werden Sie gewiß nicht hineinfallen, ohne vorher überlegt zu haben, was Sie dafür bekommen.

In der That, ja, rief ich belustigt, ich würde es sehr genau überlegen, obgleich ich noch nicht an eine Heirath gedacht habe.

Thun Sie es also bei Zeiten, antwortete er, und wenn der Augenblick da ist, machen Sie Ihre Bedingungen. Die Garampi hat bedeutendes Vermögen. Sie hat einen alten Mann geheirathet, unter der Bedingung, daß er sein Testament vor der Hochzeit machte und sie zur alleinigen Erbin einsetzte. – Sie sehen, mein theurer Baron, daß die schöne Wittwe zu rechnen versteht, machen Sie Ihr daher die Gegenrechnung.

Aber auf mein Wort! sagte ich, ich denke an keine Heirath mit der liebenswürdigen Dame.

So werden Andere daran denken, erwiederte er unerschütterlich. Sollten Sie jedoch wirklich noch niemals daran gedacht haben, fügte er ungläubig mich fixirend hinzu, daß Helene Garampi die vertraute Freundin des allmächtigen Thugut ist, der mit einem Federstriche aus dem Legationssecretair einen bevollmächtigten Minister oder kaiserlichen wirklichen Geheimrath machen kann?

Daß er es kann, antwortete ich, unterliegt keinem Zweifel.

Und an diese Gewißheit reihen sich andere Gewißheiten, mein Bester, sagte er mit einem triumphirenden Blicke auf mich. Ich denke, wir verstehen uns. Man muß nicht nach den Gefühlen, sondern nach den thatsächlichen Verhältnissen über sich bestimmen, das ist es, was ich schon neulich aussprach; so allein schützt man sich vor Fehlern, die schlimmer sind als Verbrechen.

Sie lieben, wie ich jetzt mich überzeugt halte, ihre Erwählte also nicht, sagte ich.

Mein Gott! rief er, es ist mir Bedürfniß sie zu lieben, also liebe ich sie. Sie besitzt Vermögen, und was mir noch mehr convenirt, sie besitzt eine Familie, die nicht ohne Einfluß ist, namentlich bei dem Herzog Max, und dieser wird nächstens zur Regierung gelangen, denn mit dem alten Kurfürsten geht es zu Ende. Se. Hoheit ist mir geneigt, in Folge meiner Heirath aber werde ich in seine Nähe gelangen; keine Familie ist mehr dazu geeignet, mich darin zu unterstützen.

Nun erst begreife ich Ihre Neigung zu dieser Heirath. Ich hoffe, Sie sind Ihrer Sache gewiß.

Unfehlbar, antwortete er mit seinem sicheren Lächeln. Man ist mir einigen Dank schuldig; glauben Sie, daß ich dies richtig beurtheile. Dankbarkeit nach geleisteten Diensten zu fordern, ist eine der üblichen Tugendschwärmereien. Wer Welt und Menschen kennt, wird sich damit nicht einlassen. Ich habe meine Angelegenheiten vorher geordnet, jetzt werden sich diese glatt und leicht abwickeln, denn nach dem, was heut geschieht – ich glaube, Sie wissen wirklich noch nicht, was sich so eben zuträgt?

Er neigte sich zu mir hin und sagte mit seiner spöttischen Laune:

So eben wird in der versammelten Reichsdeputation das französische Ultimatum vorgelesen. Entweder das ganze linke Rheinufer und alle Rheininseln, dazu Kehl, Kastel, Hüningen und sämmtliche Familiengüter und Domainen ohne alle Schulden, oder die Friedensconferenzen haben ein Ende.

So werden Sie ein Ende haben! rief ich aufspringend. Nimmermehr wird und kann die Reichsdeputation diese schaamlosen, empörenden Forderungen bewilligen.

De Bray blieb ruhig sitzen und spielte mit seinem Stöckchen.

Wie Sie heftig sind, lachte er. Sie sind so sanguinisch wie meine kleine Braut, die vorhin in Thränen ausbrach, als sie hörte, was geschehen sollte. Ich sage Ihnen, mein bester Freund, die Reichsdeputation wird das Ultimatum bewilligen, noch ehe drei Tage um sind, obwohl die französischen Gesandten ihr sechs Tage Zeit gelassen haben.

Dann, rief ich mit gepreßter Stimme, dann sind wir freilich nichts Besseres werth.

Er zuckte die Achseln.

Das Schicksal der Völker, sagte er, ist noch schwieriger aufzuhalten, als das Schicksal einzelner Menschen. Man muß darüber stehen, um ruhig zu urtheilen. Geben Sie Acht, was geschieht. Preußen wird beistimmen, weil es um diesen Preis den französischen Beistand für seine eigenen Forderungen und die Gewißheit erhält, daß Oesterreich nicht über Baiern herfallen darf; Oesterreich wird beistimmen, weil es zu weit gegangen ist, um umkehren zu können; alle diese gierigen, kleinen Fürsten, Grafen und Herren aber werden ihren Segen geben, damit sie endlich zu dem heißgewünschten Frieden kommen, um die Klöster und geistlichen Güter rechtschaffen zu theilen.

O! welch Gemälde der Schmach, welche Schande, welche Versunkenheit! sagte ich kummervoll.

Um dessentwegen, erwiederte er, dürfen Sie nicht klagen, denn was geschieht, ist die Folge des unvermeidlichen Auflösungsprocesses, der schon seit Jahrhunderten in den Gliedern und Adern dieses alten Reiche wühlt. Seht jetzt zu, daß euch der Kaiser nicht verschlingt und österreichisch macht, darauf kommt es an. – Vorwärts, bester Freund, denken wir nicht mehr daran; denken wir an unsere eigene Zukunft voll Freude, voll Ruhm und voll Glück! – Begleiten Sie mich zu meiner theuren Bertha und lesen Sie mit ihr die Nadowessische Todtenklage ihres Lieblingsdichters Schiller, die ich erst gestern hörte, und welche ganz vortrefflich auf diesen deutschen Todten paßt. Dann aber erholen Sie sich bei der kaiserlichen Schönheit Ihrer Angebeteten, bei den Trostgründen des genialen Lehrbach und bei den Wortspielen des lieben Grafen Cobenzl und der hübschen Hyacinthe, die ohne Zweifel bis heut Abend einige Dutzend reizende Impromtus über das Ultimatum fertig haben werden.

Und Sie, de Bray, Sie haben, wie Sie sagen, dabei mitgeholfen? fragte ich ihn.

Zu dem Ultimatum? Nein, mein Bester, die Directoren in Paris wollen ein Ende machen. Man weiß, was vorgeht; man weiß, daß Oesterreich mit den Russen und Engländern unterhandelt, – die selbst hier in Rastatt ihre Agenten haben, fügte er hinzu, indem er mich eigenthümlich lächelnd ansah. Nun kam Alles darauf an, Preußen zu überzeugen und mit den deutschen Reichsfürsten Frieden zu schließen, wenn Oesterreich abermals Krieg will, und im Vertrauen auf Ihre Ehre und Freundschaft mögen Sie wissen, daß dies meine Aufgabe war. Ich vermittelte die Verständigung zwischen der französischen Gesandtschaft und den baierischen Bevollmächtigten und theilte dabei im Stillen meinem hohen Gönner, dem Grafen Görz, die Pläne und Absichten der Oesterreicher mit, so lange diese Versuche machten, die Franzosen zu gewinnen, um Preußen zu demüthigen. An jenem Abend, wo ich mit den Gesandten im Kaffeehause saß, erhielt ich den Auftrag, dem Grafen Görz mitzutheilen, daß das Directorium entschlossen sei, vollständig mit Oesterreich zu brechen, ein Ultimatum zu erlassen, sich den Besitz dessen zusprechen zu lassen, was es schon hat und was keine Macht ihm wieder entreißen kann, daß es aber dafür Preußen mit aller Kraft unterstützen und niemals zugeben wolle, daß Oesterreich Baiern theile, überhaupt sich in Deutschland fernerhin vergrößere.

Und diese wichtige Mittheilung wurde Ihnen in jener Nacht mit ihrer Brieftasche geraubt?

Sie wurde mir eben nicht geraubt! lachte er, denn das Blatt wurde verbrannt, nachdem Graf Görz Abschrift genommen. Irgend Jemand mußte beobachtet haben, was in dem kleinen Kabinet vorging, und schickte mir einen Spion auf die Fersen, der ohne Zweifel den Auftrag hatte, sich wo möglich meines Taschenbuchs zu bemächtigen.

Wäre es möglich? rief ich. Wäre das der Zusammenhang!

Was fällt Ihnen ein? fragte er.

Ihr Taschenbuch enthielt gar nichts von einiger Bedeutung?

Ein paar Notizen von untergeordneter Wichtigkeit und einen Brief aus München, der allerdings davon sprach, daß die Russen an der Donau seien, die zweite Coalition so gut wie gewiß wäre, Preußen die Versicherung habe abgeben lassen, daß es Baiern mit aller Macht gegen Oesterreich vertheidigen werde, und daß der dortige englische Gesandte fortgesetzt Berichte aus Rastatt empfinge, die er nach London befördere. Der englische Agent schüre das Feuer und sei auch in Wien thätig, Thuguts Haß zu vermehren, so viel er irgend könne.

Und dieser Agent, sagte ich –

Er schickte eine Stunde später, nachdem ich so unglücklich war meine Brieftasche zu verlieren, diese mit einem Curier nach München, fuhr der Chevalier fort. Ich glaube es wenigstens so, nachdem ich mir allerlei Beobachtungen und Combinationen zusammengesetzt. Wir haben auch unsere Getreuen, die für gute Bezahlung unsere Gegner nicht aus den Augen lassen; doch was halten wir uns mit diesen Betisen auf. Hier sind wir an Berthas Thür; vergessen wir Alles, nur nicht was uns nützt und hilft.

Als wir eintraten, fanden wir einen ganzen Kreis von Herren, die sich über das wichtige Ereigniß des Tages laut und lebhaft unterhielten, dabei aber so ziemlich einerlei Meinung zu sein schienen, denn sie betrachteten die Nachgiebigkeit als unerläßlich nothwendig, und waren eben nicht sonderlich betrübt; als ich ihnen vorhielt, daß Deutschland dadurch seiner vollständigen Vernichtung entgegen geführt würde.

Ei, rief der alte Geheimrath, sagen Sie doch lieber, seiner Wiedergeburt entgegen, denn was soll aus dem Trümmerhaufen werden, wenn nicht endlich eine kleine Anzahl kräftiger und rüstiger Leute die Stücke zusammensuchen, um ihr Haus damit auszubauen?

Es wird bei alledem doch eine Flickarbeit bleiben, rief der witzige Graf Melzi aus Mailand, und ehe nicht ein Bonaparte über Deutschland kommt, der den richtigen Zwirn mitbringt, um alle die tausende von Lappen an einander zu nähen, wird das deutsche Vaterland überall gesucht und nicht gefunden werden.

Oder bis der alte Hohenstaufenkaiser wieder aufwacht, lachte der Chevalier, welcher seit vielen Jahrhunderten in seinem Thurm sitzt und darauf wartet, daß die Deutschen einig werden sollen. Anspielung auf die Kyffhäuser- bzw. Barbarossa-Sage. Im Kyffhäuser in Thüringen soll der Sage nach Kaiser Friedrich Barbarossa seiner und seines Reiches Wiederkehr harren. Friedrich Rückert griff diese Sage 1817 in einer Ballade auf:

BARBAROSSA

Der alte Barbarossa,
Der Kaiser Friederich,
Im unterird'schen Schlosse
Hält er verzaubert sich.

Er ist niemals gestorben,
Er lebt darin noch jetzt;
Er hat im Schloß verborgen
Zum Schlaf sich hingesetzt.

Er hat hinabgenommen
Des Reiches Herrlichkeit,
Und wird einst wiederkommen,
Mit ihr, zu seiner Zeit.

Der Stuhl ist elfenbeinern,
Darauf der Kaiser sitzt:
Der Tisch ist marmelsteinern,
Worauf sein Haupt er stützt.

Sein Bart ist nicht von Flachse,
Er ist von Feuersglut,
Ist durch den Tisch gewachsen,
Worauf sein Kinn ausruht.

Er nickt als wie im Traume,
Sein Aug' halb offen zwinkt;
Und je nach langem Raume
Er einem Knaben winkt.

Er spricht im Schlaf zum Knaben:
Geh hin vors Schloß, o Zwerg,
Und sieh, ob noch die Raben
Herfliegen um den Berg.

Und wenn die alten Raben
Noch fliegen immerdar,
So muß auch ich noch schlafen
Verzaubert hundert Jahr.

Auf dem Kyffhäuser wurde 1892 bis 1896 zu Ehren von Kaiser Wilhelm I. das Kyffhäuserdenkmal errichtet, das insbesondere innenpolitisch eine Beschwörung der 1870/71 militärisch und von »oben« erzielten Reichseinheit darstellte, welche die herrschenden konservativen Eliten durch die Sozialdemokratie gefährdet sahen.

Wenn der große Kaiser diese elende Wirthschaft nur einen Augenblick sehen könnte, sagte ich, wenn er sehen könnte, wie herabgewürdigt und zertreten Deutschland ist, er würde alle Hoffnung verlieren, jemals aus seinem Grabe aufzustehen. Daß Fremde über uns spotten und lachen, kann ich verzeihen; daß wir selbst aber kein Gefühl mehr haben für unsere tiefe Schmach, das ist weit schlimmer. An jedem Abend beinahe wird auf der französischen Bühne ein Deutscher dargestellt, der gefoppt, verhöhnt, betrogen, gestoßen, lächerlich gemacht wird und dessen Tölpeleien zum Gespött dienen. Die vornehmste Gesellschaft sieht zu und ergötzt sich daran, ohne ein Gefühl zu haben, daß sie selbst davon getroffen wird, denn was wäre Deutsch in ihr, was empfände sie im Namen des beleidigten Nationalstolzes! Gäbe es von dem noch einen Funken, die Reichsdeputation müßte das Ultimatum in Stücke reißen, jede deutsche Hand müßte sich dagegen aufheben, und wenn wir auch keinen General Bonaparte besitzen, so besäßen wir Vaterlandsliebe, so würden wir einig sein, und wenn kein Hohenstaufe aufstände, so würde ein Friedrich auferstehen, der uns vor dem Uebermuthe der Fremden bewahrte.

Meine grollenden und strafenden Worte brachten ein plötzliches Stillschweigen hervor. Die Herren sahen mich theils verlegen, theils lächelnd, theils herausfordernd an und ohne Zweifel würde ich lebhafte Antworten erhalten haben, wenn mir nicht unerwartet von zwei verschiedenen Seiten Beistand gekommen wäre.

Aus dem Nebenzimmer, dessen Thüren offenstanden, trat nämlich Mademoiselle von Hochhausen in demselben Augenblick, wo hinter mir eine tiefe und wohllautende Stimme sagte:

Sie haben vollkommen Recht, so würde es sein, wenn Ihre Voraussetzungen sich erfüllten. Jeder Deutsche muß mit Trauer auf die verworrenen Zustände seines Vaterlandes blicken, welche er nicht zu ändern vermag. Wenn es aber einen Trost giebt für Wunden dieser Art, so kann es nur der sein, daß aus diesen Kämpfen und Leiden der Gegenwart eine bessere Zukunft möglich wird, aus dem Unrecht der Einzelnen und der Völker gesicherte Rechte für die ganze Menschheit entspringen und ein neues Jahrhundert kommt, wo eine höhere Gesittung Menschen und Völker besser beschützen wird, als dies jetzt der Fall ist.

Noch ehe ich mich umwandte, wußte ich, daß der Sprecher Niemand anders sein konnte, als Herr Jean Debry. Ich hatte ihn bisher nicht bemerkt, er kam aus dem Kabinette des Geheimraths und hielt eine jener großen, alten Landcharten in der Hand, welche die damalige Kunst nicht eben in Vollkommenheit hervorbrachte. Sein schwarzes Gesicht war von milder Freundlichkeit belebt und um sofort den Gegenstand zu verlassen, der uns in Hader bringen konnte, beschwerte er sich, daß er mich bis jetzt vergebens erwartet habe, und lud mich ein, ihm bald einen Besuch zu schenken. Damit legte er die Karte auf den Tisch, welche, wie ich nun sah, eine Karte des linken Rheinufers war, und wandte sich mit Fragen über specielle Verhältnisse an den Geheimrath, was mir Gelegenheit gab, mich dem Fräulein von Hochhausen endlich nähern zu können.

Ich redete sie auch diesmal in deutscher Sprache an und bemerkte, wie sie sich darüber freute. –

Das haben Sie gut gemacht, sagte sie, indem ich sie in das Nebenzimmer begleitete, mir ging das ganze Herz auf, als Sie für unser gekreuzigtes Land so tapfer in die Schranken traten.

Ah! bestes Fräulein, antwortete ich, daß es eben nur Worte sein können, das ist das Kläglichste dabei. Wenn ich es recht bedenke, haben diejenigen wohl Ursache zu spotten, die unnützes Reden einen der größten Fehler unseres Volkes nennen.

Sie haben nicht unnütz geredet, sagte sie lebhaft. Was Sie sagten, war wahr, ich fühlte es, und wurde davon innig bewegt. Wenn ein Mann muthig redet, wo Andere schweigen, wenn er die Wahrheit vertheidigt ohne Menschenfurcht, ist es immer schön zu hören und niemals unnütz.

Aber es ist vielleicht nicht klug, erwiederte ich lächelnd, da zu reden, wo man so viele Gegner findet.

Eben da soll man reden, versetzte sie. Wo es gilt, wo man, was man liebt, vertheidigen soll, wird die Klugheit zur Feigheit, wenn man schweigt. – O! diese ewig klugen, ewig lächelnden Leute haben kein Herz, weder für eine gute noch für eine schlechte Sache. Sie berechnen, was sich für sie paßt, rechnen den Gewinn aus, und dafür allein wagen sie, was sie wagen.

Aber sie erreichen ihr Ziel, fiel ich ein.

Und wenn sie es erreichen, fragte sie, sind sie um dessentwegen zu beneiden? Welche furchtbare Lehre wäre es, wenn der Erfolg allein das Rechte und Löbliche bestimmte! Dann hätte jeder Tyrann, jeder Egoist, jeder Gewaltmensch Recht; diese Franzosen begingen nichts Tadelnswerthes, so wenig wie diese Gesandten und Herren, denen Vaterland und Deutschland gleichgültige Namen sind. Nein, o nein! denen gegenüber, die nur Gewalt kennen, muß der Unterdrückte um so stolzer sein Haupt erheben, und wo die Klugen sich anschmiegen, um ihr Theil zu bekommen, die Furchtsamen den Kopf verstecken, wie der Vogel Strauß, zeigt der freie Mann seine Stirn und steht ungebeugt für sein Recht!

Während sie sprach, belebten sich ihre Züge und ihre tiefblauen Augen erhielten einen strahlenden Glanz. Sie sah schön und begeistert aus; alle Regungen ihrer empfänglichen Seele, Schmerz, Verachtung, Zorn und Opferfreudigkeit waren in ihrem Gesicht zu lesen. Ich nahm ihre Hand und drückte diese an meine Lippen.

Dächten viele unserer Frauen, wie Sie, sagte ich, so würden wir Männer haben, die den Namen verdienten.

Jean Debry kam zu uns herein. Er blieb einen Augenblick an der Thür stehen, als er uns so vertraut sprechen sah, und ich glaubte einen finsteren Schatten zu bemerken, der sein freundliches Lächeln verdrängte, wie eine Wolke, die an der Sonne vorüberstreift. Gleich aber war er bei uns und sprach so wohlwollend und artig, daß ich mich gedrungen fühlte, ihm meine theilnehmende Achtung zuzuwenden, obwohl er einer von denen war, die ich als erbitterte und übermüthige Feinde meines Volkes verabscheute.

Länger als eine Stunde dauerten unsere Gespräche, die sehr friedlicher und versöhnlicher Natur blieben. Mit feinem Gefühl sprach er von der Schönheit Deutschlands, von den Vorzügen des Volks, von der Vortrefflichkeit deutscher Wissenschaft und was diese unter dem Schutze der Aufklärung, welche Friedrich der Große verbreitet habe, zu leisten vermöchte. Zu meinem nicht geringen Erstaunen wußte er auch etwas von deutscher Philosophie, befragte mich über Immanuel Kant und bedauerte lebhaft, nicht so viel Deutsch zu verstehen, um dessen Bücher lesen zu können. – Da ich selbst in Königsberg studirt hatte, konnte ich ihm viel von dem kleinen, feinen, witzigen Professor mittheilen, und er hörte die Anekdoten, welche ich ihm erzählte, mit eben so großem Interesse, wie die allgemeine Darstellung, welche ich von dem Inhalte der berühmten Kritik der reinen Vernunft zu geben versuchte.

Auch Bertha von Hochhausen nahm lebhaften Antheil. Ich machte sie mit Kants Urtheilen über Lessing bekannt; mit welcher regen Theilnahme er auf die dichterische Sturm- und Drangperiode des deutschen Volks blickte, was er davon erwartete und welche Hoffnungen er besonders an Schiller knüpfte, der so sichtlich seiner Philosophie zugethan war. Kant hoffte, daß Deutschland zu einer neuen Blüthenzeit erwachen und durch seine geistigen Kräfte an die Spitze der europäischen Völker gelangen werde, daß es den Sieg der Vernunft, den er in friedlicher Weise erstritten, ausbreiten würde über die Erde, und daß diese glorreiche Vernunft endlich doch die schärfste Waffe wider alle Unvernunft, alles Unrecht und alle Gewalt am Ende bleibe.

Die übrige Gesellschaft versammelte sich nach und nach um uns und nahm Theil an den Debatten, wodurch denn sehr bald die bisherige Einigkeit verscheucht wurde. –

Graf Melzi, der Italiener, ein genauer Freund und Bewunderer des General Bonaparte, der ihn auch nach seiner Rückkehr aus Egypten zum Präsidenten der cisalpinischen Republik und später zum Senator und Staatsrath machte, bestritt in geistreicher Weise, daß die deutsche schwerfällige Gelehrsamkeit oder gar die dunkle und spitzfindige Philosophie die Menschheit weiter bringen, sie zur Freiheit führen, diese praktisch entwickeln und ihr die Energie geben könne, sie zu behaupten.

Es ist sehr schön, sagte er, daß dieser Herr Kant da oben in der Nähe des Nordpols durch seine dialektischen Untersuchungen dasselbe gefunden hat, was man in Paris auf einem ganz anderen Wege herausbrachte, aber der Sieg der Vernunft, bewiesen auf dem Papier und durch die schärfsten geistigen Kategorien unterstützt, hat nichts von der überzeugenden Gewalt der Lehren, die von dem französischen Volke mit der Spitze des Schwertes dictirt wurden.

Darf ich fragen, fiel ich lächelnd ein, welche Tempel der Weisheit sich bis jetzt durch die Vernunft-Herrschaft aufgebaut haben?

Und sind die Blutströme und die Verwüstungen dieses Reiches der Vernunft etwa Beweise seiner Göttlichkeit? fügte das Fräulein hinzu.

Glauben Sie, antwortete Melzi lebhaft, daß, wenn General Bonaparte, statt die Brücke von Arcole zu stürmen, den Philosophen Kant gebeten hätte, den Oesterreichern das Unvernünftige ihres Widerstandes begreiflich zu machen, diese nach Hause gegangen wären?

Ein allgemeines Gelächter entstand.

Was ist überhaupt Wahrheit? rief der Chevalier de Bray. Es giebt keine Wahrheit! Was ein Zeitalter dafür hält, erklärt das nächstfolgende meist schon als Trug und Lüge. Wie viele Götter wurden bereits angebetet und hinterher mit Hohn und Spott als leerer Wahn verachtet! Wie Viele sind gekreuzigt worden, die Thoren genug waren, sich für das, was sie Wahrheit nannten, zu fanatisiren, und wie lange wird es dauern, bis die göttliche Wahrheit des Herrn Kant ebenfalls verhöhnt und als Unsinn behandelt wird.

Und was, Herr de Bray, was steht denn fest? fragte Bertha.

Ich, sagte er, ich, mein schönes Fräulein, so lange ich lebe, und wenn dies unglücklicher Weise einmal nicht mehr von mir gesagt werden kann, so mögen die nach mir kommen sich darüber mit sich abfinden, ob sie die Wahrheit meiner Existenz anerkennen wollen oder nicht.

Wenn Sie an nichts glauben wollen, als an sich selbst, erwiederte ich, die ganze Welt sich um dies Ich drehen und ausgebeutet werden soll, so giebt es allerdings für Sie nichts, mag es heißen wie es will, was nicht Mittel zum Zweck wäre. Aber Sie haben Unrecht, Chevalier, es giebt doch etwas, was die Menschen ewig wahr nennen müssen: Den Drang zum Guten, den Fortschritt zur Erkenntniß. Lesen Sie die Geschichte. Wo diese die Thaten der Könige und der Völker richtet, hat sie niemals die Laster gelobt, oder die Schande schön gemacht. Die Tugend ist doch kein leerer Wahn! und Kunst und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Kraft, führen endlich doch sicherer zum Siege der Vernunft und Wahrheit, als alles Blut der Schlachten.

Wahrlich! rief Jean Debry, erwachend aus seinem Nachsinnen, wir dürfen nicht verzweifeln, so lange wir sehen, daß das Edle und Hochherzige wenigstens von den Nachkommen gepriesen, Gewalt und Unrecht verdammt und das Gemeine verachtet wird.

Und welches Urtheil wird einst diese unerbittliche Geschichte über den Congreß in Rastatt fällen? fragte Graf Melzi mit seinem feinen Lächeln.

Niemand antwortete auf diese verwegene, spottende Frage. Endlich sagte Jean Debry:

Wie das Urtheil auch ausfalle, sorgen wir für unsere persönliche Vertheidigung.

Meine theuren Herren, rief der Geheimrath, da wir sämmtlich keine Epigonen sind, die von der Zukunft leben, vielmehr Histrionen, welche, nachdem sie sich declamatorisch erhitzt, beweisen wollen, daß sie die praktische Vernünftigkeit über Alles schätzen, somit einen kühlen Trunk und ein gutes Essen niemals verschmähen, so lade ich Sie sämmtlich ein, mit mir diesen wahrhaften Sieg der Vernunft zu begehen.

Diese Zwischenkunft des schalkhaften alten Herrn wurde mit Beifall aufgenommen, und erst am späten Abend verließ ich das gastliche Haus.



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