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3.

Am nächsten Tage besuchte mich der Chevalier de Bray, um mir seinen Dank nochmals abzustatten. Günstiger konnte nicht leicht der Eindruck einer Persönlichkeit sein. Er war körperlich wohl gebildet, dazu von feinen Manieren und elegant in seiner Tracht, vom Degen und Haarbeutel bis auf die blitzenden Schnallen seiner Schuhe mit rothen Hacken. Ich drückte ihm mein Vergnügen aus, durch ein, wenn gleich nicht ganz angenehmes, Abenteuer, seine Bekanntschaft gemacht zu haben und er betheuerte mir, daß er Alles über dem Glück vergesse, an meiner Seite zu sitzen, und mich Freund zu nennen.

So blieben wir über eine Stunde beisammen und sprachen über die verschiedensten Dinge, welche uns bald vertraut machten. Ich theilte ihm mit, daß ich mit einem unserer Minister entfernt verwandt, dadurch in die diplomatische Laufbahn gebracht worden sei, die mir übrigens nicht sonderlich behage; er dagegen erzählte mir mit vieler Aufrichtigkeit, daß, nachdem seine Eltern in den Revolutionsstürmen in Nantes umgekommen, er selbst sein Vaterland verlassen und nach mancherlei Noth in der Schweiz und in Wien, zuerst in Regensburg bei einem Notar als Schreiber sein Brot gefunden habe, bis er zum Privatsecretair des Grafen Redberg erhoben worden sei. Er sprach über diese Verhältnisse und seine Pflicht, zu arbeiten, um zu leben, so würdig, daß meine Achtung sich vermehrte; eben so offen theilte er mir mit, daß er gegenwärtig eine Mittelsperson zwischen den französischen Gesandten und den Gesandten von Baiern und Preußen bilde, welche in Rastatt sehr viele gemeinsame Interessen verfolgten.

Einleuchtend zeigte er mir den Zusammenhang der Parteiungen dieses Congresses. Wie Oesterreich Preußen entgegen stehe und es wenigstens eben so sehr hasse, als die Franzosen, wie es diesen das linke Rheinufer hingeworfen, um dafür Venedig zu bekommen und sich durch Salzburg und Oberbaiern zu vergrößern; wie es die besondere Bedingung in Campo-Formio gestellt habe, daß Preußen von aller Entschädigung und Vergrößerung ausgeschlossen bleibe, und wie Preußen nun dies hier in Rastatt bestens vergölte, indem es durch den Gesandten Sieyes in Berlin genau über die österreichischen Pläne aufgeklärt mit ganzer Macht Baiern beschützte und jede Landabtretung an Oesterreich zu hintertreiben suchte.

Es ist dieß dasselbe Spiel des Neides und der Eifersucht zwischen den beiden deutschen Mächten, sagte ich, das schon das ganze achtzehnte Jahrhundert über währt und dem deutschen Reiche den legten Stoß gegeben hat.

Es kann nicht anders sein, antwortete er. Wo zwei Adler die Lüfte durchkreisen, muß der eine zuletzt doch sich unterordnen und in die Fänge des anderen gerathen.

Ich sah ihn fragend an, er rieb sich lächelnd seine weißen Finger.

Haben Sie gehört, fragte er mich, daß 80 000 Russen unter dem General Suwarow über die gallizische Grenze gegangen sind? Die Nachricht ist gestern hier angekommen und wird nicht wenig Aufsehen erregen. Man sagt, daß diese Russen in vierzehn Tagen an der Donau sein werden.

Die Russen an der Donau? rief ich erstaunt. Was soll das heißen?

Wie man glauben muß, eine neue österreichisch-russisch-englische Coalition.

Und was wird aus diesem Congreß?

Wahrscheinlich nichts! erwiederte er, oder, setzte er mich schlau anblickend hinzu, vielleicht ebenfalls eine Coalition.

Eine Coalition?! Welche Coalition?

Ich weiß es nicht, sagte er, aber die denkbarste würde eine französisch-preußisch-bairische sein.

O! rief ich lebhaft aus, ist noch nicht genug Schmach und Schande über uns gekommen, haben wir uns noch nicht genug zerfleischt? Mit den Franzosen im Bunde gegen Oesterreich! Niemals wird der junge König, der jetzt den Thron bestiegen hat, sich dazu verstehen. Er denkt zu deutsch, zu ehrlich, um das zu können.

Zu deutsch! zu ehrlich! lachte Herr de Bray, das ist der allgemeine Fehler. Der kaiserliche Hof denkt ebenfalls zu deutsch und zu ehrlich, und hier auf diesem noblen Congreß denkt Jedermann viel zu deutsch und zu ehrlich. – Hören Sie doch, wer sich nicht darüber beklagt und wehmüthig an seine Brust schlägt. Mein bester Freund, noch ist es nicht zwei Jahre her, als die französische Republik und deren siegreicher General Bonaparte in Wien den Frieden anbot und die Antwort erhielt, der Kaiser kenne keine französische Republik, die deutsche Ehrlichkeit würde niemals sich herablassen mit der Revolution Frieden zu schließen. Ein Jahr später kannte man die Republik aber sehr genau, und was glauben Sie, was man jetzt für ein Bündniß mit ihr in Wien geben würde? Was glauben Sie, was geschähe, wenn das republikanische Directorium den deutschen Reichsleichnam zergliederte und die besten Stücke auf die kaiserliche Tafel setzte?

Ein patriotischer Grimm stieg in mir auf und drückte mir Hände und Lippen zusammen.

Es könnte doch noch sein, murmelte ich, daß dieser Leichnam lebendig würde und die ihn zerstücken wollen in die Finger bisse.

Nein, nein, erwiederte er lachend, euer Reich ist todt, kein Gott kann diesen wüsten Ruinen neues Leben einhauchen. Träumen Sie keinen eitlen Traum, wie etwa der schwatzende, romantisirende Graf Stadion mit seinen Mönchen und Reichsrittern. Die Erbschaft muß getheilt werden; sehe Jeder zu, daß er nicht zu kurz kommt. Hier darf man nicht wünschen, nicht seufzen, nicht Thränen vergießen und die Hände ringen, sondern man muß, wie es sich schickt, die Thatsachen sprechen lassen und nach diesen allein handeln. Das versteht Oesterreich, es weiß seine Männer gut zu wählen.

Den chinesischen Grafen Lehrbach etwa? fragte ich.

Spotten Sie nicht, antwortete er. Dieser Mann, der wie ein Narr oder wie ein Affe aussieht, der Krokodilsthränen weinen kann, wenn er will, und in Tirol gezeigt hat, daß er auch seine beringten Finger in Blut zu waschen versteht, ist brauchbarer hier wie die steifen, kalten, geputzten vornehmen Diplomaten, welche tausend alte Formen, Bedenken und Vorurtheile in ihren Brokatwesten mit sich herumschleppen.

Ich wußte recht gut, wen er damit meinte, und ich lachte, indem ich ihm bemerkte, daß ich nicht geglaubt hätte, von ihm ein so günstiges Urtheil über den Grafen Lehrbach zu hören.

Man muß auch gegen seine Feinde gerecht sein, erwiederte er spottend. Lehrbach ist ein besonderer Günstling des allmächtigen Baron Thugut in Wien, den ich für den größten Thunichtgut auf Erden halte. Wen er bevorzugt, der muß seine Verdienste haben, und man erzählt sich, daß, als ihn einmal ein Vertrauter fragte, wie er es dulden könne, daß ein so roher, falscher und brutaler Mensch wie dieser Lehrbach sich überall vordrängen und von ihm begünstigt gegen ihn selbst intriguiren dürfe, er mit seinem eisigen Lachen antwortete: Lassen Sie den Lehrbach zufrieden, das ist ein Mann, zu Allem zu gebrauchen. Ich liebe es, solche Leute voranzustellen, die man alle Augenblicke aufhängen lassen kann.

Wir lachten Beide über diese Anekdote, die freilich ein höchst seltsames Licht auf den Herrn Gesandten warf; der Chevalier aber sagte aufstehend:

Lassen wir diesen fatalen Gegenstand auf sich beruhen und sprechen wir von etwas Besserem. Ich hätte Lust, Sie für Ihre patriotische Gesinnung mit einer Dame bekannt zu machen, welche Ihnen darin ganz ebenbürtig ist, obenein aber ein tragisches Schicksal zu erdulden hat.

Ich ahnte, daß er meine schöne Reisegefährtin meine, und fragte lebhaft, was es für ein Schicksal sei.

Sie ist aus der Pfalz gebürtig, fuhr er fort, also mit dem linken Rheinufer abgetreten worden, und soll eine Republikanerin sein, wogegen sie sich entschieden sträubt.

So mag sie auf dem rechten Ufer bleiben.

Leicht gesagt! rief er aus. Ihr irdisches Gut, Weinberge und Grundbesitz aller Art, kann nicht so leicht veräußert werden, auch wehrt sie sich ritterlich gegen jede Anmuthung, daß jenseits des Rheins Deutschlands aufhöre. Wollen Sie sie kennen lernen? Ich glaube, sie wird Ihr Interesse erregen. Mademoiselle von Hochhausen ist keine besondere Schönheit, aber sie ist achtzehn Jahr alt, lebhaft, aufrichtig, voller Empfindung, dabei besser unterrichtet, als viele deutsche Damen, und voller Liebenswürdigkeit. Ich habe schon in Regensburg ihre Bekanntschaft gemacht, während des letzten Sommers ist sie in Frankfurt bei Verwandten gewesen, unter deren Schutz sie vor einigen Tagen nach Karlsruhe reiste und von dort mit der Post hierher befördert wurde.

Sie selbst verrichteten ohne Zweifel diesen ritterlichen Dienst, sagte ich.

Nein, erwiederte er, ich sowohl wie der Geheimrath, Ihr Oheim, konnten uns nicht aus Rastatt entfernen, da es eben etwas Wichtiges zu thun gab. Ein alter Diener des Herrn von Wochardi begleitete die Dame, welche übrigens nicht die geringste Furcht hat und ganz allein eine Reise um die Welt machen würde.

Ich sah hieraus, daß er mich nicht im Postwagen bemerkt hatte, und weiß nicht, warum mir dies lieb war. Sein Anerbieten, mich dem Geheimrath von Wochardi und dessen Nichte vorzustellen, nahm ich mit Freude an, und als er darauf beharrte, dies sogleich thun zu wollen, begleitete ich ihn in das nicht weit entfernte Haus und stand nach wenigen Minuten vor der vielbelobten jungen Dame, die uns allein empfing, da ihr Oheim zu dem Minister gerufen worden war.

Der Chevalier machte mich mit ihr bekannt, und ich merkte an ihrem Lächeln, daß sie sich meiner erinnerte, doch sagte sie nichts davon, was mich bewog ebenfalls über unser erstes Begegnen zu schweigen. Nachdem mit der üblichen graziösen Förmlichkeit die Verbeugungen und Empfangsworte gewechselt waren und de Bray ihre Fingerspitzen geküßt hatte, deutete er auf mich und empfahl mich als einen Freund, der ihre ganze Theilnahme verdiene.

Darf ich fragen, aus welchem Grunde? erwiederte sie mit einem schelmischen Seitenblicke.

Weil dieser Herr, versetzte er, eben so patriotisch gesinnt ist, wie Sie, meine schöne Freundin, weil er glaubt, daß das deutsche Vaterland nicht sterben kann, wie oft man dem kranken Herrn Michel auch zur Ader lassen mag.

O! wenn es das ist, sagte sie, indem ihre blauen glänzenden Augen mit dem freundlichsten Ausdruck mich anschauten, so hat der Herr Chevalier gewiß Recht. Für seine Spötterei aber soll er gestraft werden, denn als patriotische Deutsche wollen wir keine andere, als unsere reiche und schöne Muttersprache sprechen.

Mochte der Chevalier nun auch Besserung geloben und Sarkasmen aller Art gegen diese barbarische, rauhe Sprache schleudern, von der er übrigens genug gelernt hatte, um uns verstehen zu können, das muthwillige Fräulein ließ sich nicht erweichen. Wir setzten uns an ihren Tisch und bald fand ich, was de Bray mir vorhergesagt hatte; ich fand mich lebhaft angezogen sowohl durch die offene Natürlichkeit und Empfänglichkeit ihres Charakters wie durch eine Bildung, welche damals bei Damen aus den höheren Ständen selten war.

Die Erziehung und der Unterricht des weiblichen Geschlechts beschränkte sich in jener Zeit meist darauf, daß man jungen Mädchen von Stande eine Französin als Gouvernante gab, und da der allergrößte Theil der jungen Cavaliere eben auch nicht viel mehr lernte und sich höchst selten zu einer wissenschaftlichen Bildung erhob, brachte diese aristokratische Jugend es meist nicht dahin, richtig schreiben und sprechen zu können. Von ihrer eigenen Muttersprache verstanden sie kaum so viel, um sich fehlerhaft auszudrücken, und von dem edlen Aufschwung der deutschen Literatur und Kunst, von den Dichtern und Dichterwerken, den Schauspielen und den glänzenden Erfolgen der deutschen Bühne – eine Periode, welche damals doch reichlich schon zwanzig Jahre währte – hatten gerade diese höheren Schichten der Gesellschaft kaum eine Ahnung.

Die aufkeimende Bildung beschränkte sich auf einen keinesweges großen Kreis, der überhaupt den neuen Ideen zugänglich war. Weimar blieb die Oase in der Wüste, das deutsche Mekka, von dem das Licht ausging; allein noch fielen dessen Strahlen, trotz alles Glanzes, nicht erwärmend auf die Masse des Volkes, was ja auch jetzt noch immer nicht der Fall ist. Denn in das Volk ist weder Goethe noch Wieland, noch Lessing oder Klopstock oder Herder, selbst nicht einmal Schiller gedrungen. –

Die hohe Gesellschaft von damals kannte aber kaum die Namen jener Heroen unserer Literatur und die allermeisten spotteten über die Komödienschreiber und Reimschmiede, welche den deutschen Sumpf zum Parnaß machen wollten, noch ganz so, wie die Zopfjunker und Zopfgelehrten des achtzehnten Jahrhunderts dies von je an gethan, und wie selbst Friedrich der Große und seine Freunde es nicht anders gemacht hatten.

Ich war daher um so mehr erfreut, als ich bei diesem jungen Mädchen eine ungewöhnlich gute Kenntniß der Literatur entdeckte. Sie holte aus ihrem Schreibtische mehrere Bücher und Hefte, darunter die Damenkalender, Musenalmanache, Wielands deutschen Merkur und die »Horen«, jene berühmten Erzeugnisse Schillers, unter Beihülfe Goethes herausgegeben, und neben diesen sah ich den Oberon und den Cid, Lessings Schauspiele und manches andere Treffliche.

Alles dies gab uns viel zu sprechen. Sie zeigte mir, was sie zumeist ehrte und bewunderte, und sprach mit warmer Empfindung über Schillers Lied von der Glocke, das damals eben erschienen war, und aus welchem sie einige Verse mit schöner klingender Stimme vortrug.

Der Chevalier saß neben uns und hörte still lächelnd zu. Dann und wann hob er seine Augen auf und das spöttische Zucken seiner Lippen spiegelte sich darin ab. Er machte keine laute Bemerkung, allein es war ihm wohl anzusehen, daß er sich über den poetischen Eifer des Fräuleins belustigte, und Bertha von Hochhausen mußte seine Glossen kennen, denn sie wandte sich plötzlich zu ihm und sagte drohend:

Sie sollen nichts mehr davon hören, mein Herr de Bray, denn Sie verdammen diese deutsche Gefühlswelt, sowohl an unserem Volke, wie an unseren Dichtern.

O! erwiederte er sich verbeugend, ich liebe schöne, fantasiereiche Frauen, und dies Land voll alter Gespenster ist ganz dazu gemacht, um ein träumerisches Volk zu erzeugen; dennoch aber glaube ich allerdings, daß die Poesie wirkliches Leben enthalten muß, und die Gefühlsschwärmerei auch bei ihr auf bedenkliche Abwege führt.

Gefühlsschwärmerei, antwortete ich ihm, ist nicht zu verwechseln mit Gefühlswärme, welche alles Schöne sowohl wie alles Wahre begleiten muß, wenn es nicht, dürr und nackt, höchstens durch Schärfe des Gedankens oder durch treffenden Spott sich Ansehen verschafft.

Sie bezahlen mich mit guter deutscher Münze! sagte er lachend, ich will mich aber auf keinen Streit zwischen deutscher und französischer Poesie einlassen; ich behaupte allein, daß die deutschen Poeten keine bessere Zeit für das deutsche Volk bringen werden, denn sie umnebeln die Köpfe, statt sie aufzuklären.

Der Herr Chevalier, wandte sich das Fräulein zu mir, hat öfter schon mir beweisen wollen, daß Gefühle ein für allemal nichts taugen und sogenannte gefühlvolle Frauen keinen Charakter besäßen.

Keinesweges, erwiederte er, ich habe nur gesagt, daß die Empfindsamkeit der Frauen um so gefährlicher sei, weil ihr Geschlecht weit mehr als das unsere dahin neigt, sich seinen Gefühlen zu überlassen. Statt nach Thatsachen zu denken und zu handeln, und von diesen geleitet zu werden, berauschen sie sich in poetischen Fantasieen und träumen glückliche Träume, statt glücklich zu leben.

Die junge Dame legte die Hand an ihre schöne poetisch hohe Stirn und lächelte mit unbeschreiblicher Lieblichkeit.

Glückselig träumen! sagte sie. Was ist denn das Glück des Lebens, wenn nicht etwas träumerisch Schönes sich damit verbindet? Ist denn etwa dies Leben der thatsächlichen Herren in Rastatt so glücklich und empfehlungswerth? Oder dies wilde Kriegführen und schlaue Berechnen aller Vortheile? Haben die Edelsten und Besten aller Zeiten nicht sich davon abgewendet, und das schönste Glück auf Erden nicht in den Träumen ihres Herzens gesucht?

Sie sah mich an, als wollte sie eine Antwort oder eine Bestätigung. –

O! rief de Bray, Sie bestätigen Alles, was ich sage. Deutsche Frauen leben zu viel mit dem Herzen und leiden deswegen an Herzkrankheiten, welche die Ursachen jener verderblichen Tugendschwärmereien sind, die mehr Unheil über die Menschheit gebracht haben, als sämmtliche Neros und Attilas. Wer die Welt mit klaren Augen betrachtet und sich keinen Illusionen hingiebt, wird niemals unglücklich werden können, denn er wird nicht mehr verlangen, als er zu erwarten berechtigt ist, und wird über Täuschungen lachen können, bei denen die Gefühlvollen die Hände ringen.

Bester Freund, sagte ich, Sie spotten über Illusionen und stecken doch selbst mitten darin. Sie verlangen Wahrheit und geistige Klarheit und verwerfen die Macht des Herzens und der Gefühle, als ob Wahrheit und menschliche Würdigkeit sich wie jeder edle und freie Aufschwung des Geistes von dem Gefühl des Schönen und Rechten trennen ließe! Wer geistig auf der Höhe menschlicher Entwickelung steht, muß tief empfinden; ein großer, edler Mensch kann keine Rechenmaschine fein, kein Tyrann, kein Egoist, keiner jener blutlosen, engherzigen, verknöcherten Henker, die man freilich oft genug große Staatsmänner, berühmte Feldherren, große Männer überhaupt nennt.

Der Chevalier lachte. Wahrlich, rief er dann, ziehen Sie die Summe dieser Größe, die Sie verdammen, von der irdischen Größe und Glückseligkeit überhaupt ab, und sehen Sie zu was übrig bleibt. Es wird wahrlich wenig genug sein!

Ehe ich ihm antworten konnte, sagte eine tiefe, ernste Stimme von der Thür her:

Gänzlich falsch, Herr de Bray. Daß die Menschen nicht genug fühlen, das ist ihr Unglück. Könnte man das, was Sie als Größe und Glück preisen, ganz von der Erde vertilgen, so möchte es sein, daß unser Geschlecht ein friedliches und glückliches Dasein führte; da dies nicht der Fall ist, morden und betrügen sie sich gegenseitig, und die Betrüger verspotten und zertreten ihre Opfer im Bewußtsein, daß sie Recht haben, weil sie klar, klug und vorsichtig handeln.

Wir hatten uns alle umgesehen und waren aufgestanden, während der Herr, welcher unbemerkt eingetreten war, sich dem Tische näherte.

O! Herr Jean Debry! rief Bertha von Hochhausen, Sie kommen zur rechten Zeit, um uns gegen diesen bösen Chevalier beizustehen, der nicht glauben will, daß man starken Geistes, standhaft und energisch sein kann, wenn man ein warmes Herz besitzt.

Als die Dame den Namen des Fremden nannte, erkannte ich den französischen Gesandten, jenen langen, schwarzen, finsterblickenden Mann, den mir Matolay gezeigt hatte. Wie er neben dem feinen, geschmeidigen Chevalier stand, kam es mir fast komisch vor, daß dieser nichts von Gefühlen wissen wollte, jener sie pries, obwohl er aussah, als wäre Alles an ihm erstarrt. Sein Gesicht war kalt wie Marmor, jeder Zug darin scharf und fest ausgeprägt, aber aus seinen großen Augen, die in tiefen Höhlen lagen, drang dann und wann ein Feuer, das alle Schärfe und Strenge schmolz, und wenn er lächelte, wurden die eckigen Formen eigenthümlich weich und anziehend.

Herr de Bray hat darin Recht, sagte er, daß ein Herz besitzen immer ein übles Geschenk der Götter ist. Ein warm empfindendes Herz macht mild und empfänglich für fremde Schmerzen und Leiden sowohl, wie zornig und heftig gegen das Schlechte und Ungerechte. Alles schlägt ihm Wunden und häufig fehlt es an Oel, diese zu heilen. Die glatte Kälte des Lebens, welche man Klugheit nennt, weiß dagegen sich abzuschließen und sich zu trösten. Sie haßt nicht, wo ihr Haß nicht reellen Nutzen bringt, und liebt nicht, wo die Liebe nicht praktische Vortheile gewährt. Die klugen Leute dieser Welt halten sich daher nicht mit Ideen auf, Idealisten sind ihnen zuwider, und dafür gilt ihnen ein Jeder, der den Eichbaum nicht für vortreffliches Brennholz erklärt und diese Eigenschaft am höchsten hält.

Die laute Fröhlichkeit, mit welcher die junge Dame in die Hände klatschte und den armen Chevalier auslachte, gab Stoff zu einer weiteren Fortsetzung der Neckereien, aus welchen ich erfuhr, daß gestern erst bei einem Spaziergange nach dem Lustschlosse Favorite de Bray den schönen Eichenwald in der Nähe in sehr praktischer Weise als Brennholz vorzüglicher Art bewundert und behandelt hatte. Er vertheidigte sich mit Geschicklichkeit, allein der französische Gesandte war ihm an Dialektik weit überlegen, und eine Zeit lang wurde der Kampf zum Nachtheile des Chevaliers fortgeführt, bis der Geheimrath von Wochardi endlich auch erschien und sich auf seine Seite stellte.

Herr von Wochardi war ein lebhafter alter Herr, dem es weder an guter Laune noch an durchschlagendem Verstand fehlte. Aus dem pfälzischen Rheinlande gebürtig, trug er alle äußeren und inneren Zeichen dieser Abkunft, d. h. er war breit von Sprache und von Schultern, derb und untersetzt, lach- und scherzlustig; wo es aber auf das Erreichen seiner Absichten ankam, war er so geschickt im Benutzen aller seiner Gaben, wie man es den Pfälzern überhaupt nachsagt. –

Trotz seiner Jahre und seiner weißen Haare drehte er sich so rasch wie ein junger Mann, und als er mich sehr freundlich begrüßt hatte, hielt er mich beim Knopf fest und sagte lachend:

Die Hauptsache bleibt, daß man jedesmal das thut, was nothwendig ist, um, wenn man ins Wasser fällt, nicht unterzugehen, oder wenn es kalt ist, nicht zu erfrieren. Geräth man unter die Poeten, so soll man die Eiche als den heiligen Baum der alten Götter besingen, kommt aber Einer mit Holzhauern zusammen, so muß er tüchtig zuschlagen, damit ihm sein Feuer nicht ausgeht.

Er sah mich listig an und fuhr dann fort:

Hier in Rastatt hat jeder, der gesund bleiben will, sich vor Dreierlei zu hüten: vor dem Erfrieren, vor dem schlechten Wein und vor den Ratten und Mäusen. Was das Erste anbelangt, so lesen Sie niemals die Reichsdeputations-Protokolle, zum Anderen speisen Sie niemals bei dem sächsischen Gesandten, was jedoch die Ratten und Mäuse betrifft, so weiß ich kein Mittel, und es soll mich nicht wundern, wenn sie eines schönen Morgens den ganzen Congreß spurlos aufgefressen haben.

Da die Reichsdeputations-Protokolle durch ihre Langweiligkeit und Endlosigkeit eben so berüchtigt waren wie die Naumburger und Meißner Kabinetsweine des sächsischen Gesandten, die Ratten und Mäuse in Rastatt aber wirklich in allen Häusern zu Legionen wohnten, so war der alte schelmische Herr der lachenden Zustimmung seiner Zuhörer gewiß.

Seien Sie des Congresses wegen außer Sorge, antwortete ich ihm. Die Ratten und Mäuse werden sich vergebens anstrengen, er wird sich als unverdaulich bewähren.

Die Antwort war ganz nach seinem Sinne.

Bravo! rief er, ich wills glauben, doch sollte es mir leid thun, wenn Sie mit verzehrt würden. Ehe es dazu kommt, müssen wir wenigstens ein Glas guten Wein zusammen trinken, damit Sie eine bessere Meinung von unserem erfolgreichen Beisammensein bekommen. – Bring und Wein, Peter, und bring uns vom besten! schrie er dem Diener zu, den er herbei geklingelt hatte. Sage mir Niemand, wir wären nicht mehr wie unsere Väter waren, fuhr er dann lustig fort, ich wills beweisen; wir sind gerade noch so, wie zur Zeit des Tacitus. Wo es guten Trunk giebt, ist der Deutsche immer zu den ernsthaftesten Dingen bereit, und nichts haßt er mehr, wie den Durst. Fragt den Lehrbach, was ihm schrecklicher ist, der Herr Jean Debry oder ein leeres Glas, und er wird lieber den Herrn Debry und seine Collegen umarmen und die ganze preußische Gesandtschaft obenein, ehe er den entsetzlichen Anblick einen ganzen Tag lang aushielte.

Der Wein wurde gebracht und die Unterhaltung mit demselben Humor noch eine Weile fortgeführt, bis es mir an der Zeit schien, mich zu entfernen. – Der Chevalier begleitete mich, ich wurde eingeladen, meinen Besuch zu erneuern, bei ihm war dies Ceremoniell nicht nöthig.

Kommen Sie recht bald, sagte der alte Herr meine Hand schüttelnd, auf große Gastereien lasse ich mich nicht ein, dazu paßt mein ganzes Hauswesen nicht; aber ein kleiner Kreis von Freunden, die ohne allen Zwang mit uns froh sein wollen, das ist unsere Sache. –

Die blauen Augen des lieblichen Fräuleins sprachen auch ein Wort dazu, wenigstens glaubte ich es. Es kam mir vor, als könnte ich darin lesen, daß es ihr nicht unangenehm sein würde, wenn ich käme, und ich beugte mich vor ihr, indem ich, wie es Sitte war, die Hand mit dem Hut an mein Herz legte und mich dann dem Herrn Jean Debry empfahl. Auch dieser ernsthafte, kalte Mann hatte ein Lächeln für mich. Er drückte den Wunsch aus mich wieder zu sehen, eine Ehre, welche jedenfalls hoch anzuschlagen war, denn als wir auf die Straße traten und Arm in Arm langsam an den Häusern hingingen, sagte plötzlich de Bray:

Ich wünsche Ihnen Glück, mein Freund, Sie haben eine Eroberung gemacht.

Ich fühlte, wie mir das Blut bei dieser Anrede in den Kopf stieg und meine Pulse heftig schlugen. Kaum konnte ich lächelnd fragen, was ich erobert haben sollte?

Jean Debry, sagte er. Sonderbar, daß er Ihnen die Hand bot und Sie einlud ihn zu besuchen.

Thut er das sonst nicht?

Wenigstens gewiß sehr selten, war seine Antwort. Er ist vielleicht die seltsamste Erscheinung auf diesem Congreß. Klugheit und große Gelehrsamkeit kann ihm Niemand absprechen, aber dabei – wir sprachen vorher schon von Tugendschwärmern – hier haben Sie eines der schönsten Exemplare! Die Robespierres, Dantons, Marats u. s. w. glaubten, man könne die Tugend auf die Beine bringen, wenn man recht viele Köpfe abschlagen ließe; dieser glaubt das nicht, darum ist er voll Groll und Mitleid gegen die ganze lasterhafte Gesellschaft, die er verachtet und sich dabei, wie ich glaube, selbst nicht ausnimmt.

Aber er wird doch einige Ausnahmen machen, erwiederte ich. Er scheint mit besonderem Wohlgefallen das Fräulein von Hochhausen anzuschauen.

Meinen Sie? fragte der Chevalier spöttisch. Wahrhaftig! es wäre möglich, daß seine entsagende Tugend hier den Altar für ihre Aussöhnung mit der Menschheit fände. Aber wie gefällt Ihnen diese Priesterin der Gefühle des Herzens?

Ich glaube, antwortete ich ihm, daß Sie ihr Unrecht thun. Unter ihrer breiten Stirn scheint der Verstand vorzuherrschen, und obwohl ich kein Schüler Lavaters Johann Caspar Lavater (1741-1801), reformierter Pfarrer, Philosoph und Schriftsteller aus der Schweiz in der Zeit der Aufklärung, war ein Hauptvertreter der Physiognomik. In seinem Werk »Physiognomischen Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe« (4 Bde., 1775-78) gab er Anleitung, verschiedene Charaktere anhand der Gesichtszüge und Körperformen zu erkennen. Die Lavatersche Physiognomik erntete bereits von den Zeitgenossen auch Kritik und Spott. bin, glaube ich in ihren Augen wie in ihrem Gesicht viel Entschlossenheit und einen festen Willen, also was man Charakter nennt, zu erkennen.

Meine Antwort machte ihm sichtlich Freude.

Ich denke, daß Sie gut beobachteten, sagte er. Meine Scherze über Gefühlsschwärmerei haben nicht viel zu bedeuten; sie versteht zu urtheilen und hat Geschmack, zwei Dinge, die gewöhnlich zur richtigen Erkenntniß führen, mag die jugendliche Begeisterung auch poetischen Träumereien nachhängen.

Wir befanden uns eben dem Hause des Grafen Lehrbach gegenüber und erblickten ihn am Fenster stehend, die Hände auf den Rücken gelegt, die hochgerollten Löckchen zu beiden Seiten seiner gewaltigen rothen Ohren. De Bray verbeugte sich tief, ich desgleichen, dafür grinste und nickte er in seiner chinesischen Manier höchst ergötzlich, während der Rattenschwanz in seinem Nacken zum Himmel starrend alle diese Bewegungen mitmachte.

Hinter den Vorhängen stand, wie es mir vorkam, eine zweite Gestalt, doch so versteckt, daß sie nicht erkannt werden konnte. Auch mein Begleiter hatte sie bemerkt, und als wir weiter gingen, sagte er:

Es wird die Cousine des Herrn Grafen gewesen sein, Frau von Garampi, eine junge Wittwe. Graf Cobenzl hat sie für die liebenswürdigste und geistreichste Dame in Rastatt, gleichsam für die Königin des Congresses erklärt, man hat sogar behauptet, er hege die ernsthaftesten Absichten – soweit er dies nämlich vermag, fügte er lachend hinzu. Haben Sie noch nichts von dieser Schönen gesehen?

Nichts gesehen, nichts gehört, war meine Antwort.

So müssen Sie keine Zeit verlieren, wer weiß wie bald sie von uns scheidet, denn in Wien kann man nicht ohne sie leben. Selbst der alte Thugut, der ein gräulicher Verächter des schönen Geschlechts ist, macht bei ihr eine Ausnahme, sie ist seine Freundin, was dem Herrn Grafen dort oben ganz besonders dienlich sein soll. Nützen wir unsere Tage besser, Freund; Niemand kann sagen, wie bald der letzte da ist. –

Unter solchen Scherzworten trennten wir uns mit der Verabredung, uns am Abend im Kaffeehause wieder zu finden.



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