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1.

Am 1ten December 1798 fuhr ich mit der Post von Karlsruhe nach Rastatt. Es war ein sehr schöner, fast warmer Tag und der Postwagen – einer der damals üblichen, schwerfälligen Ungeheuer, in deren Bauche fünfzehn bis achtzehn Personen Platz hatten – gefüllt mit einer bunten Gesellschaft. –

In Rastatt, der kleinen Stadt im Murgthale, war seit einem Jahre beinahe der Congreß beisammen, um den in Campo Formio zwischen Oesterreich und Frankreich abgeschlossenen Frieden durch Zustimmung der deutschen Fürsten und Stände zu besiegeln, in Wahrheit aber, das deutsche Reich zu Grabe zu bestatten. Diese Leichenfeier zog sich nun schon viele Monate hin und man konnte noch immer nicht damit zurecht kommen, obwohl das Grab längst weit geöffnet wartete.

Rastatt aber war durch diese Reichsdeputationsversammlung sehr belebt, die stille Stadt mit Glanz aller Art gefüllt; viele Minister und viele mächtige Personen mit ihren Genossen und Dienern aller Art hausten darin und eine große Zahl vornehmer und reicher Fremden flog aus ganz Europa hier ab und zu, um sich das merkwürdige Schauspiel und die berühmten und bekannten Persönlichkeiten, welche darin Rollen übernommen hatten, in der Nähe anzuschauen.

Das heilige römische Reich in seiner ganzen bunten alten Seltsamkeit war hier zum letzten Male zu sehen. Geistliche und weltliche Kurfürsten, Herzöge, Bischöfe, Fürsten, Aebte, Grafen, Ritterschaften, freie Herren und freie Städte hatten ihre Deputationen, Gesandten und Bevollmächtigten zum Reichscongreß geschickt. Der kaiserliche Plenipotentiarius, Graf von Metternich, vertrat das allerdurchlauchtigste Reichsoberhaupt, das weislich in Wien geblieben war, wie überhaupt die hohen Reichsfürsten sich von diesem Orte entfernt hielten und es ihren Gesandtschaften überließen, zuzusehen, daß sie bei der Erbschaftstheilung des deutschen Leichnams, nach welcher so viele gierige Hände sich von allen Seiten ausstreckten, nicht zu kurz kämen.

Die Fahrt von Karlsruhe nach Rastatt dauerte nur einige Stunden und war ziemlich interessant. Im Wagen befanden sich mehrere Offiziere von der badenschen Garnison in Rastatt, die sich über das fortgesetzte Desertiren ihrer Soldaten unterhielten und ob Weidenruthen oder Rohrstöcke das beste Mittel seien, ihnen die Lust dazu zu verleiden.

Auf dem zweiten Rücksitze in der Ecke saß ein Herr, der trotz des ziemlich warmen Wetters seinen großen Ueberzieher hoch heraufgezogen hatte, während sein Kinn bis an die Nase in einem Shawltuch steckte. Ich erblickte daher nur den oberen Theil, Stirn und Augen, die besonders kühn und unternehmend aussahen und dadurch meine Blicke auf sich zogen. In der anderen Ecke, ihm gegenüber, hatte ein Mann sich niedergelassen, dem ein kurzer, gewaltig dicker Zopf über den Rockfragen fiel und dessen hartes, trotziges Gesicht starke Leidenschaften ausdrückte.

Endlich saß neben mir eine Dame, in einen Seidenmantel gehüllt, den Kopf in eine Kappe à la Ninon verborgen und einen weißen Schleier darüber gezogen, den sie nur einige Male zurückschlug. Der übrige Theil der Gesellschaft bestand aus ganz unbedeutenden Personen, welche ich nicht weiter beachtete. Mit der Dame neben mir versuchte ich, indem ich ihr einige kleine Artigkeiten erwies, ein Gespräch anzuknüpfen; allein ich erhielt einsylbige Antworten und so blieb es beim gelegentlichen Anschauen, denn sie war jung und von einnehmender Gesichtsbildung, bis wir endlich in Rastatt einfuhren und der Wagen vor dem Posthause still hielt.

Der Erste, den ich dort erblickte, war mein Freund, der Legationssecretair von Matolay, welcher mir eine Wohnung zu miethen versprochen hatte. Ich war früher mit ihm bei der Gesandtschaft in Wien gewesen, jetzt sollte ich von Neuem sein Genosse sein und freute mich, ihn wieder anzutreffen, denn obgleich nichts weniger als unterhaltend oder was man sonst geistreich nennt, war er doch belustigend, dabei eine durchaus ehrliche Haut, gefällig, großmüthig und immer bereit, für seine Freunde Alles zu thun, was diese verlangen mochten.

So stand er denn auch hier auf dem Posten und erwartete mich, steif wie ein Wegweiser, den rechten Arm im

kaffeebraunen Sürtout Überrock, Überzieher. weit ausgestreckt und die Hand umhüllt von der großen Manschette, auf sein spanisches Rohr gestützt. Sein merkwürdig langes Kinn konnte ich nicht sehen, weil das unermeßliche Jabot Ein aus Batist oder Spitze bestehender gefältelter Besatz, der an beiden Seiten des Brustschlitzes eines Männerhemdes angenäht wurde und zwischen den Vorderkanten der Weste hervorlugte. es zudeckte, aber ich sah eine eben so merkwürdig schief stehende Nase und die runden, langsamen Augen, welche mich im Postwagen suchten.

Es dauerte einige Minuten, ehe ich hinaus konnte, und daran war vornehmlich jene Dame an meiner Seite schuld, welche von zwei Herren erwartet wurde, die nicht sogleich die Thür des Wagens zu öffnen verstanden. Die schweigsame verschleierte Schöne war jetzt lebendig geworben und ans Fenster gelaufen, von wo aus sie mit ihren Beschützern Grüße und Worte wechselte, dabei aber völlig rücksichtslos meine Füße behandelte, als seien diese zu nichts anderen in der Welt da, als Tritte zu bekommen. Ich zog es bei alledem vor, ruhig auszuharren, denn ich fühlte es nicht sehr, auch konnte es nicht lange währen, zudem aber bot sie mit dem sanftgerötheten und erregten Gesicht eine Seitenansicht, die mich entschädigte.

Endlich sprang der Schlag auf und nun bemerkte sie erst, daß ich der Betretene gewesen sei, allein auch jetzt erfolgte statt aller Entschuldigung nur eine leichte Kopfwendung von einem reizenden Lächeln begleitet; dann eilte sie in die Arme des alten Herrn und verbeugte sich vor dem jüngeren, der jenen begleitete. Ich hörte den alten Herrn rufen: Willkommen, meine liebe Bertha, endlich haben wir Dich hier! zugleich sprach sie zu dem jungen in französischer Sprache: Mein Herr Chevalier, man merkt es Ihnen an, daß die Luft in Rastatt Ihnen sehr gut bekömmt; damit entfernten sie sich und ich konnte nun meinen armen Matolay aus seiner festen Stellung erlösen.

Ich schüttelte ihm die Hände und drückte ihm mein Vergnügen aus, ihn so wohl und frisch zu finden trotz aller fürchterlichen Reichstagsdeputationsprotokolle und Reichsfriedenspacificationsverhandlungstractate.

Er lächelte nach seiner Art, ohne die Lippen zu öffnen, mit seinem mir wohlbekannten Grinsen und sagte dann:

Ich sehe, Sie sind so übermüthig, wie Sie immer waren, mein theurer Baron; aber der Postwagen ist neun Minuten zu spät gekommen, fügte er ernsthaft hinzu, indem er seine Uhr herauszog und mit pedantischer Pünktlichkeit die Zeiger betrachtete.

Hierauf nahm er mich beim Arm, befahl einem Postboten, mein Gepäck in ein Haus zu bringen, welches er ihm bezeichnete, und führte mich in meine Residenz. Diese lag in einer Seitenstraße am Markt und in der Nähe des Schlosses. Sie war günstig gelegen, übrigens ein großes, ziemlich wüst aussehendes Zimmer mit einem kleineren zur Seite. Der Miethspreis war unmäßig hoch, aber Matolay hatte dennoch die größte Mühe gehabt, es aufzutreiben, denn Rastatt war mit Fremden bis unter die Dachgiebel angefüllt.

Nach einer Reihe allgemeiner Fragen und gegenseitiger Erkundigungen ließ ich mir meine Hausgenossen und Nachbarn nennen. Matolay schielte mich mit seinem festen Grinsen an und tippte nun mit seinem Rohre auf die Dielen.

Sie werden mit mir zufrieden sein, sagte er, denn hier unter ihren Füßen haben Sie zunächst eine Nachbarin, um welche Sie Viele beneiden werden. Es wohnt dort Mademoiselle Hyacinthe, die erste Liebhaberin der französischen Komödie.

Ist sie schön?

Sie wissen wohl, sagte Matolay, sein langes Kinn streichelnd, eine Schauspielerin mit schwarzen Augen, kleinen Füßen und lebhafter Zunge, hat immer viele Verehrer, die auf ihre Schönheit schwören. Im Uebrigen weiß sie, was sie werth ist und – hier beugte er sich zu mir, um mir ein wichtiges Geheimniß mit gedämpfter Stimme anzuvertrauen – ihr Freund und Beschützer in erster Reihe ist der Herr Graf Cobenzl.

So, sagte ich, der Herr Graf liebt die Kunst und die Künstler und wohnt wahrscheinlich hier in der Nähe seines Schützlings.

Er wohnt am Markt, erwiederte Matolay, wie ein Faun lachend. Aus diesem Hause kann man über den Hof zu ihm gelangen, eben so aus dem Nebenhause, wo der Graf Lehrbach, dritter Gesandter Sr. Kaiserlichen Majestät wohnt.

Vortrefflich ausgesonnen! rief ich. Es kann somit Se. Excellenz bald seinem Herrn Collegen, bald der hübschen Actrice Lection ertheilen, oder von ihr solche empfangen.

Matolay war so vergnügt über meine Spötterei, daß er seine kleine Spanioldose von Bergkrystall aus der Seitentasche seiner langen Schoßweste zog und sie mir hinreichte. –

Nun, sagte er, Sie werden die ganze chronique unseres Congresses bald kennen lernen, und ich bemerke Ihnen nur noch, daß die Klugheit, Graf Lehrbach, also zu Ihrer Rechten; dagegen die Frömmigkeit in Gestalt des würzburgischen Domherrn und Gesandten, Grafen Friedrich Stadion, zu Ihrer Linken wohnt; endlich aber, wie billig, die Weisheit ihren Sitz über Ihrem Haupte aufgeschlagen hat, denn in dem oberen Stockwerke haust der gelehrte Professor und Doctor beider Rechte Herr Samhaber, Trost und Stab unserer dermals viel bedrängten geistlichen Reichsherren.

Und wer wohnt dort drüben? fragte ich über die Straße fortsehend, wo so eben in einem Erkerausbau ein Herr erschien, dessen Gesicht mir auffiel.

Das ist Einer, sagte Matolay, indem er sehr ernsthaft wurde, vor dem man drei Kreuze schlagen muß, wenn man mit ihm zu thun hat. – Es ist ein Gräuel, flüsterte er widerwillig den Kopf schüttelnd, und die größte chmach für das Reich, daß ein Mensch mit so struppigem Haar ohne Puder, sogar ohne Band, die Geringschätzung so weit treiben darf, in solchem Aufzuge in den Gesandtenversammlungen zu erscheinen.

Während er sprach, betrachtete ich den Herrn, der allerdings Matolays Abscheu rechtfertigen konnte. Er war lang, mager, sein Gesicht eckig und scharf, bleich und mit hochgebogenen, breiten, dunklen Augenbrauen gezeichnet. Dies Alles hätte ihm allerdings billiger Weise verziehen werden können, allein über seine gewölbte Stirn fiel langes, schwarzes Haar, und das war völlig unverzeihlich. Damals, wo Puder und Perrücke noch in so großem Ansehen standen, wagten es kaum einzelne verwegene Empörer den Zopf abzuschneiden; allein Männer von Stande, Mitglieder der guten Gesellschaft, wagten dies gewiß nicht, denn es galt für gemein und unanständig. Staatsmänner und Diplomaten ohne Puder, Band und Locken waren eben so undenkbar, wie jetzt noch ein Minister oder Gesandter mit unrasirtem Kinn.

Wer ist es? fragte ich noch einmal, als Herr von Matolay nicht antwortete.

Jean Debry, der französische Gesandte, antwortete er.

Mein Interesse vermehrte sich, als ich dies erfuhr, zugleich aber regte sich in mir mein deutscher Widerwille gegen den Franzosen. –

Er steht aus wie ein Schulmeister, sagte ich.

Er ist auch einer, antwortete Matolay höhnend. Den Edelmann hat er abgeschworen, denn er nennt und schreibt sich Debry, und seine Lieblingsbeschäftigung, wenn er sich nicht mit Gesandten und Deputationen beschäftigen muß, besteht darin, mit Horaz, Homer und anderen alten längst vermoderten Schriftstellern zu leben und sie zu übersetzen.

Oh, Matolay! rief ich lebhaft, ich wollte, alle Franzosen beschäftigten sich mit nichts Anderem; aber wenn ich diesen Mann einen Schulmeister nenne, fallen mir die ein, denen er Unterricht ertheilt und sie auf die Finger klopft. Und diese Geklopften sind wir, diese in die Schule Geschickten und Gerupften sind wir. Der Mensch mit dem struppigen Haar dort jagt, wie ich besorge, allen Perrücken in Rastatt Furcht und Entsetzen ein, und sie beugen sich vor ihm und seinen eben so struppigen Collegen bis auf die Schuhspitzen.

Dagegen muß ich denn doch bemerken, sagte der ehrliche Freund, daß die beiden anderen republicanischen Bürger und Gesandten ein anständigeres Aeußere besitzen. Sie haben doch Formen, tragen Zöpfe, pudern sich erträglich und erscheinen in seidenen Strümpfen und Schnallenschuhen, wo sie eingeladen werden.

Ich hatte große Lust dem wackeren Burschen ins Gesicht zu lachen, aber als ich mich umwandte, erblickte ich einige Häuser weiter von der Wohnung des Franzosen einen Gegenstand, der mich Schulmeister und Perrücken vergessen ließ. Ich sah die Dame, mit der ich hergekommen war, welche sich in Begleitung des jungen Herrn, der sie an der Post erwartet hatte, hinter einem Fenster zeigte.

Hei Matolay! rief ich lebhaft, wer ist diese Schöne?!

Er sah hinüber und schüttelte dann sein weises Haupt.

Ich kenne sie nicht, sagte er, allein der alte Herr, welcher sie an der Post empfing, war der Geheime Legationsrath von Wochardi, von der bairischen Gesandtschaft, das heißt von dem Theil der bairischen Gesandtschaft, der für den Herzog Max von Zweibrücken die Reichstagsdeputationsverhältnisse besorgt, verbesserte er sich.

Er erörterte mir, ehe er weiter sprach, daß Zweibrücken mit dem gesammten linken Rheinufer von den Franzosen verschlungen worden sei, Preußen sich bemühe Baiern Ersatz dafür zu schaffen, und fuhr dann fort:

Der alte Herr von Wochardi gehört zu denen, die Alles über den Haufen werfen möchten. Er hält es mit den Franzosen, wofür die österreichische Partei ihm grimmig feind ist; bei unserem ersten Gesandten, dem Grafen Görz, ist er dagegen beliebter, obwohl auch mit Vorsicht. Dort drüben wohnt er, und da ich weiß, daß er seine Nichte kommen lassen wollte, ein Fräulein von Hochhausen, so vermuthe ich, daß es diese Dame sein wird, welche hier eine Mariage machen soll.

Und er, der neben ihr steht, ist, wie ich vermuthen darf, der glückliche Erkorene.

Möglich, erwiederte Matolay grinsend, daß er es werden kann, indeß wird Herr von Wochardi wohl zunächst zusehen, ob kein anderer an den ausgeworfenen Angeln seiner Nichte sitzen bleibt, wie dieser pauvre Chevalier. – Sie müssen wissen, fuhr er fort, daß bei der großen Versammlung des Adels aus allen Theilen des Reichs hier sehr viele standesmäßige Mariagen geschlossen werden, und viele unserer Excellenzen, Gesandten, Geschäftsträger u. s. w. Töchter, Nichten, Cousinen und junge und alte Frauenzimmer ihrer Familien kommen lassen, um sie vortheilhaft zu versorgen.

Es lebe der Congreß um dessentwegen! rief ich lachend, und Gott schenke ihm noch einige Jahre Dauer, um sämmtliche hoffnungslose alte Jungfern in Deutschland an den Mann zu bringen.

Diese da, sagte Matolay schmunzelnd, ist, wie ich bemerke, weder alt noch häßlich. Vermögen soll sie auch besitzen, und der galante Chevalier de Bray wird es an Bemühungen nicht fehlen lassen, um den Preis davon zu tragen. Auch hat er Vortheile, die kein Anderer hat, fügte er hinzu, denn mit den französischen Gesandten weiß er umzugehen und ist in ihrer Gunst.

Die französischen Gesandten will er aber doch nicht heirathen, fiel ich belustigt ein, und indem ich den geschmeidigen jungen Herrn betrachtete, der sich lebhaft mit seiner Dame zu unterhalten schien, fügte ich hinzu: Er sieht aus wie ein Tanzmeister, der ihr die Positionen beibringt.

Vielleicht ist er einer gewesen, antwortete Matolay so laut lachend, wie es ihm möglich war.

Ein Tanzmeister? Was, zum Henker! wissen Sie von ihm?

Man hat die Wahl: ein Tanzmeister, oder ein Pastetenbäcker, fuhr er fort. Der Herr Chevalier de Bray ist ein die Emigrant, welcher zuerst unter diesem Namen in Regensburg auftauchte, wo er dem Grafen von Rechberg als Secretair nützlich war.

Es ist zuweilen schwierig, grinste er spottsüchtig, französische Noten leicht und correct zu entwerfen; sehr viele unserer Excellenzen suchen sich daher zu helfen, wie es geht, und Chevalier de Bray ist jedenfalls ein schlauer Patron, mag er gewesen sein was er will. Bei einem Volke wie diese Franzosen, welches Gewürzkrämer und verdorbene Advocaten zu Gesandten und Generalen macht, kommt es wirklich nicht darauf an, ob Monsieur de Bray ein Tanzmeister, oder ein Bäcker war. Genug daß er hier der Chevalier de Bray ist, und eben so wohl, trotz seiner Emigranteneigenschaft, bei den Herren Bonnier und Roberjot aus und ein geht, wie er seinen Platz an der Tafel des Grafen von Rechberg hat, endlich auch unserer Excellenz, dem Grafen Görz, gute Dienste leistet und Neuigkeiten bringt.

So ist er ein Spion!

Wer wäre hier kein Spion? sagte Matolay vergnügt seine langen Hände reibend. Wir alle, mein bester Freund, vom kaiserlichen Plenipotentiarius Uneingeschränkt Bevollmächtigter., dem hochgeborenen Grafen von Metternich, bis hinab zu dem letzten Kanzleiboten und Stiefelputzer, wir spioniren von früh bis spät, was sich etwa da und dort erhaschen läßt und nur einigermaßen glaublich klingt, um in einen Bericht aufgenommen zu werden. Denn diese Franzosen und ihr Anhang sind Teufel! Kein Mensch weiß, wie er mit ihnen daran ist und was sie zuletzt noch fordern und wollen werden.

Vielleicht wissen sie es selbst nicht.

Matolay sah mich ganz erstaunt über diesen Einfall an, der ihm wahrscheinlich noch nie gekommen war.

O! sagte er, es ist wirklich möglich, daß Sie Recht haben, aber, fügte er dann kopfschüttelnd und nachsinnend hinzu, andere Leute wissen es eben so wenig.

Damit begann eine lange Unterredung zwischen uns, in welcher mir Matolay, so gut er konnte, auseinander setzte, was in Rastatt bisher geschehen sei, und warum am Ende doch nichts Gutes herauskommen könne. In seiner weitschweifigen Art erging er sich über die frechen Gewaltstreiche der Franzosen und über den traurigen Zustand des kranken Mannes oder deutschen Reichs, das in seinen zerfetzten Plundern und Lumpen hier zu den Füßen dieser drei elenden, großsprecherischen pariser Demokraten lag und um ihre Gnade bettelte.

Zorn und Scham ergriffen mich, je weiter Matolay erzählte, und selbst er, der an seinem Chiffrirbuch so fühllos erstarrt war, wie ein Stück Gletschereis, er konnte sich dennoch eines Gefühls der Zerknirschung nicht erwehren, als er das Gemälde der großen und allgemeinen Schande vor mir ausbreitete.

Oesterreich hatte im October 1797 den Frieden von Campo-Formio Zwischen Frankreich, vertreten durch Napoléon Bonaparte, und dem römisch-deutschen Kaiser Franz II. in seiner Eigenschaft als Landesherr der habsburgischen Erblande; er beendete den am 1792 von Frankreich begonnenen Ersten Koalitionskrieg. geschlossen, dessen Fortsetzung dieser Rastatter Congreß wurde, denn es handelte sich darum, hier die geheimen Bestimmungen jenes Friedens auszuführen. Der besiegte Kaiser der Deutschen hatte für seine Verluste in den Niederlanden und am Rhein sich in Italien durch Venedig entschädigt, aber er hatte dafür den Franzosen das linke Rheinufer als Grenze zugesagt, und ihnen Mainz zu überliefern versprochen. Das ganze Stück des deutschen Reichs jenseits des Rheins sollte dem Reichsfeinde geopfert werden, der schon so viel davon verschlungen; doch das war es nicht, was den Diplomaten Kopfschmerzen verursachte; es kam nur darauf an, den vielen und mancherlei Fürsten, Grafen und Herren, welche durch diese Abtretungen Schaden litten, Ersatz zu gewähren, und eben um dessentwegen war das deutsche Reich in Rastatt versammelt, um die vielen Entschädigungsforderungen zu berathen und zu vermitteln.

Der Reichstag eröffnete sich mit einer jammervollen Täuschung. Niemand kannte die geheimen Bestimmungen, welche Graf Ludwig Cobenzl in Campo-Formio unterzeichnet hatte, und als nun am 9. December der kaiserliche Plenipotentiarius Graf Metternich mit größtem Pomp als unantastbaren Grundsatz die Integrität des Reichs verkündigte, ergriff ein Freudentaumel die bange, erwartungsvolle Versammlung.

Welch Entsetzen aber und welche betäubende Verwirrung, als trotz dieser feierlichen Verkündigung der zweite Gesandte Oesterreichs, eben derselbe Graf Ludwig Cobenzl, am 30. December den Franzosen Mainz überliefern ließ, und in der allgemeinen Trostlosigkeit und dem Jammergeheule über Verrath und Schande der dritte österreichische Gesandte, Graf Lehrbach, in bittere Thränen ausbrach und mit aufgehobenen Händen die Versammlung beschwor, bei dem allerhöchsten Reichsoberhaupte zu klagen, damit Mainz zurückgegeben und die großmüthig erwirkte Reichsintegrität bewahrt werde.

Und mitten in dies seltsame Gaukelspiel der drei Oesterreicher flog als feurige Bombe, die Alles niederschlägt, eine Note der drei französischen Gesandten mit der dictatorischen Erklärung, daß von jetzt ab ohne alle Widerrede das linke Rheinufer die Grenze Frankreichs sei. Französische Soldaten drangen vor, die Rheinschanze bei Mannheim wurde trotz des Friedens gewaltsam fortgenommen.

Ein Heulen und Wehklagen entstand in Rastatt, als solle die Welt untergehen, allein es rührte sich kein Stein davon und nach kurzer Zeit stärkte und beruhigte man sich wunderbar durch die Versicherung der Excellenzen und der drei Franzosen, es solle Niemand von allen den Fürsten, Grafen und Herren etwas verlieren, alle sollten vielmehr genügend entschädigt werden; auch sei die Integrität des Reichs ja keinesweges verlegt, wenn man ein Stück davon abtrete. Die höhere Integrität bestehe darin, daß das Reichsoberhaupt mit dessen vielgetreuen Kurfürsten, Fürsten und Ständen des Reichs nach wie vor in derselben Verbindung bleibe und alle fortbeständen, keiner materiellen Schaden leide, weit eher Vortheile empfinge und seine Güter mehre.

Wie sollte dies jedoch geschehen? durch welche Zauberkünste wollte man ein solches Wunder möglich machen?!

Zwei Monate vergingen unter Zweifel, Unglauben, Furcht und Zuversicht, dann erfolgte der neue Orakelspruch der drei Franzosen: Entschädigt sollt ihr sämmtlich werden durch Säcularisirung der geistlichen Güter!

Damit war das Signal zur Plünderung gegeben. Deutschland hatte so reiche Erzstifte, Bisthümer, Abteien, die geistlichen Herren hatten ein Jahrtausend lang so manche Länder und Städte, Güter und Schlösser, Dörfer und Höfe auf mancherlei Weise zusammengebracht, nun war ihre Stunde gekommen; denn von den mächtigsten Fürsten bis zum geringsten Edelmann suchte jeder zuzufassen, wie es ging, um ein Stück von dem großen Raube zu erhaschen. Es regnete unzählige Liquidationen über die Verluste, welche ein jeder am linken Rheinufer erlitten haben wollte, und wer nur ein Mittel auftreiben konnte, sei es welches es wolle, um sich den drei Franzosen angenehm zu machen, der hoffte auf eine Gunst bei der Vertheilung; wer dies nicht zu Stande brachte, suchte bei den Gesandtschaften von Oesterreich oder Preußen Schutz und Beistand.

An das Vaterland, an Schande, Schmach und Unrecht dachte man nicht mehr. Der Verlust des linken Rheinufers war vergessen; Entschädigung, Erwerb auf Kosten der Priester, die fetten Güter dieser gefürsteten Mönche einzustreichen, das war der Gedanke aller dieser getreuen Stände des deutschen Reichs, welche in Rastatt theilen wollten.

Die Gesandtschaften der dem Tode geweihten geistlichen Herren gingen umher wie Verurtheilte, die vergebens nach allen Seiten Augen und Hände ausstrecken, um Mitleid zu erregen. Ueberall abgewiesen, überall von harten Blicken, von unbarmherziger Kälte, wenn nicht von offenem Hohn begleitet, versuchten sie vergebens die Gewissen zu rühren, oder mit Gottes Rache zu drohen. Endlich aber wurden sie an sich selbst zu Verräthern.

Die Erzbischöfe wollten die Bischofe opfern, um sich zu erhalten; die drei geistlichen Kurfürsten gaben ihren Segen zur Theilung, nur möge man sie selbst bei dem Raube mit einigen Landstrichen bedenken; endlich wollte der Primas, der Erzbischof von Mainz, zu Allem in Gottes Namen ja sagen, sofern man nur dafür sorge, daß er als Patriarch ungekränkt übrig bliebe. – Aehnlich schrieb jeder Bischof, ähnlich suchte jeder Abt sich zu retten. – Gütiger Gott! welch grauenvolles Bild deutscher Schmach, welch Werk des Untergangs, der äußersten Trostlosigkeit und der innersten Vernichtung!

 

Ich war von dem, was ich hörte, aufs Tiefste ergriffen. Empört von der feigen Schwäche und Selbstsucht, die Alles außer dem eigenen Vortheil vergessen hatte, empört noch mehr über diese drei Franzosen, die mit hohnvollem Lachen dabei standen und mit ihren dictatorischen Machtsprüchen die Verwirrung vermehrten.

Jetzt, sagte Matolay endlich geheimnisvoll, sind wir aber dennoch an einen Wendepunkt gekommen, der sehr wichtig zu werden verspricht.

Der helfen kann aus diesem Chaos?

Er nickte würdevoll.

Preußen, fuhr er fort, hat erfahren, daß durch die geheimen Artikel des Friedens von Campo-Formio bestimmt wurde, es solle keine Entschädigung erhalten. Nun hat Graf Haugwitz in Wien erklären lassen, daß wir wirklich alle Ansprüche auf die verlorenen Provinzen am Rhein ohne jede Entschädigung aufgeben wollen, wenn Oesterreich ebenfalls diesem großmüthigen Beispiele folgen werde.

Und was erwarten Sie davon?

Fragen Sie lieber, was die bedrückten geistlichen Stände erwarten, erwiederte er. Sie sind entzückt von dem Edelsinne des preußischen Kabinets und des jungen großherzigen Monarchen und geben sich der Hoffnung hin, daß Oesterreich bewogen werden dürfte darauf einzugehen. Wenn aber die beiden Großmächte solchen Sinnes sind, so müssen die kleineren Herren schweigen und gleichfalls ihre Verluste tragen. Die deutsche Geistlichkeit ist gerettet, sie wird nichts verlieren.

So jung und unerfahren ich war, so schien mir doch die Richtigkeit der Folgerungen meines Freundes höchst zweifelhaft. Mein ungläubiges Lächeln sagte ihm, was ich dachte.

Sie werden sich davon überzeugen, fuhr er fort, denn morgen müssen Sie Ihre Besuche machen, und ohne Zweifel wird unser zweiter Gesandter Baron Jakobi Sie zum Abend in seinen Kreis einladen.

Ich bringe dem Herrn Baron Jakobi ein Schreiben des Grafen Haugwitz, antwortete ich.

Um so besser! rief er. Im Vertrauen gesagt, halten Sie sich an Jakobi, der ist die Seele der Ambassade. Graf Görz hat nichts als die Repräsentation und Herr von Dohm ist ein Gelehrter, der Abhandlungen schreibt.

Und die Frau Baronin Jakobi? fragte ich.

Matolays Augen nahmen einen besonderen Glanz an. –

Ueberaus geistreich, überaus liebenswürdig! flüsterte er.

Und schön!

Himmlisch! – In Ihrem Hause versammeln sich die auserwähltesten Männer und Zierden des Congresses.

Ich unterdrückte mit Mühe eine Spötterei, da der ehrliche Matolay sich selbst offenbar zu diesen Zierden rechnete, und meine Anstrengung wurde mir erleichtert, denn eben rollte ein Wagen die Gasse herab, daß die Häuser bebten, und hielt nebenan still. Ich trat ans Fenster, Matolay folgte mir nach, und eben kamen wir zur rechten Zeit, um einen gepuderten und bezopften Herrn im sammtenen gestickten Rock, mit einem breiten Ordensbande um Brust und Schulter aussteigen zu sehen. Sein kleiner dreieckiger Hut mit Goldborten und Federleiste saß auf wulstigen Locken, deren Mehlstaub einen wunderbaren Gegensatz zu der braungelben Hautfarbe seines Gesichts bildete. Er hüpfte den Wagentritt herunter, während die beiden Bedienten in ihren Tressenröcken an seine Arme griffen, und als er seine schwarzen funkelnden Augen zufällig nach oben richtete und uns erblickte, lächelte er Matolay zu und machte eine verbindlich grüßende Handbewegung, durch welche sich mein Nachbar sicherlich sehr geschmeichelt fühlte. Der würdige Legationssecretair versuchte eine ehrfurchtsvolle Verbeugung, die von meiner Reverenz begleitet wurde; sicher aber sah der bebänderte Herr von beiden nichts, denn er hüpfte mit raschen Sätzen in sein Haus.

Ein ausgezeichneter Mann! Ein höchst energischer Mann! murmelte Matolay, nachdem er sich von seiner inneren Erwärmung erholt hatte. Wenn es nach dem ginge, mein lieber Baron, so würde bald ein anderes Licht hier leuchten.

In der That hatte der Anblick des Mannes etwas, was diesen Worten entsprach. Er war ziemlich groß, hatte breite Schultern, aber einen dünnen Leib und dünne Beine. Sein Kopf war häßlich, seine Gesichtszüge schienen mir roh und hart zu sein, aber es lag etwas Kühnes darin, das einen sehr entschlossenen Charakter ankündigte, und dieser Ausdruck wurde durch die blitzenden Augen erhöht, welche unruhig umher zu rollen schienen.

Da Sie eine bedeutende Divinationsgabe besitzen, fuhr Matolay inzwischen fort, so werden Sie wissen, wer er ist?

Ohne Zweifel, antwortete ich ihm, denn wenn nicht etwa ein verkappter Zigeuner-Hauptmann dahinter steckt, so muß es Se. Excellenz der Graf von Lehrbach sein.

Matolay sah etwas verlegen und ängstlich umher, stimmte jedoch in mein Gelächter ein und schüttelte den Kopf dabei.

Sie sind noch immer wie Sie waren, sagte er dann, aber ich gebe Ihnen den guten Rath, nehmen Sie sich in Acht. Sie wohnen mit dem Grafen Wand an Wand, machen Sie, daß er Ihnen ein guter Nachbar bleibt. In der blutigen tiroler Erhebung hat er sich an die Spitze des Landsturms gestellt und man erzählt grausame Geschichten von ihm.

Nun, rief ich belustigt, ich hoffe nicht, daß er jemals Gelegenheit findet, mich deren Wahrheit erproben zu lassen; im Uebrigen aber empfinde ich eine gewisse Zuneigung und Zärtlichkeit für den Herrn Grafen und werde mich glücklich schätzen, wenn er mir gestattet ihm dies zu beweisen.

Matolay zog seine Handschuh an und belobte mich, indem er mir versprach es bald zu vermitteln, dem österreichischen Gesandten vorgestellt zu werden. Dann ermahnte er mich, morgen in der elften Stunde dem Grafen Görz aufzuwarten, zugleich auch dem Baron Jakobi meine Visite zu machen, heut Abend aber mit ihm das französische Theater zu besuchen und dann im französischen Kaffeehause des Herrn Saglio aus Straßburg zu speisen, wo ich einen großen Theil der interessantesten Rastatter Gäste kennen lernen würde.

Ich nahm dies Alles dankbarlichst an und der gute Matolay verabschiedete sich. Als er ging, sah ich, daß drüben bei dem Herrn Gesandten der glorreichen Republik sich einige andere Herren und unter diesen auch der Herr Chevalier de Bray eingefunden hatten, welche lebhafte Unterhaltungen zu führen schienen. Weiter war nichts zu bemerken und zu erspähen, ich stieg ins Bett, verwünschte alle Franzosen und schlief den Schlaf der Gerechten bis zur Theaterzeit.



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