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7.

Nachdem es bekannt geworden war, daß die französischen Gesandten den Rückzug der Russen von dem deutschen Reichsboden verlangten, und man sich zuflüsterte, daß Preußen und die Republik dem Kurfürsten von Baiern den Besitz seiner Länder garantirt hätten, wurde es immer sichtbarer, daß in Rastatt nichts mehr erreicht werden konnte. Bei Straßburg stand ein französisches Heer, bereit, jeden Tag in Deutschland einzufallen, und alle Nachrichten vom Bodensee stimmten darin überein, daß die Oesterreicher dort jeden Tag stärker wurden.

Bei alledem tagte und tafelte der Congreß lustig weiter. Die Gesandten machten sich ihre Besuche und schrieben ihre Noten nach wie vorher und die Winterlustbarkeiten wurden von dem drohenden Rollen des Kriegswagens so wenig wie möglich gestört.

Inzwischen war mein guter Freund Matolay aus Berlin zurückgekehrt, hatte seine Arbeiten übernommen und mich dagegen in den Ruhestand zurück versetzt. Ein größeres Schlaraffenleben ließ sich kaum denken. Ich bezog ein tägliches Taschengeld von zwei Karolin Bayerische Goldmünze im Wert von 11 Gulden; entsprechend der Zersplitterung Deutschlands in ca. 350 Herrschaftsgebiete schwankte der Silbergehalt der jeweils »Gulden« genannten Münzen zwischen 11 und knapp 14 Gramm. Für einen Gulden musste um 1750 ein Meister zwei Tage, ein Geselle etwa 2½ und ein Tagelöhner drei Tage zu jeweils 13½ Arbeitsstunden an den herrschaftlichen Bauten arbeiten., hatte meinen Platz, wenn ich wollte, an der Tafel des Grafen Görz, und für das Alles nicht das Geringste zu thun. Des bloßen Vergnügens wegen ging ich von Zeit zu Zeit einmal in die Kanzlei, oder besuchte den Baron Jakobi, um nach Neuigkeiten zu fragen.

Niemand bekümmerte sich um mich; um also doch etwas zu thun und täglich ein paar Morgenstunden auszufüllen, entwarf ich Tabellen über die Entschädigungsansprüche derjenigen Stände und Familien, welche auf dem linken Rheinufer ihr Eigenthum verloren, und diese Tabellen, welche ich zunächst dem Grafen Görz überbrachte, die aber bald allgemeine Verbreitung und Anerkennung fanden, bewirkten, daß mir von manchen Seiten größere Beachtung und mancherlei Lobsprüche zu Theil wurden.

Bei meinem eigenen Herrn Gesandten war dies jedoch so wenig nachher wie vorher der Fall. Er behandelte mich mit der kältesten Höflichkeit oder Nichtbeachtung, und wenn ich nicht aus mancherlei Gründen an Rastatt gefesselt gewesen, würde ich ohne Zweifel meine Abberufung so schnell wie möglich bewirkt haben.

Auch Matolay war, seit er wieder gekommen, noch viel steifer und förmlicher wie sonst. Der gute Bursche getraute sich kaum mehr über einen meiner Scherze, die ich auf Kosten der Excellenzen und deren heilloser Wirthschaft mir erlaubte, zu lachen. Er brach oft, wenn er sein langes Gesicht eben zu einem wohlgefälligen Grinsen verziehen wollte, plötzlich ab, als besönne er sich eines Besseren, und betrachtete mich zuweilen mit Blicken, als sähe er etwas Schreckliches an mir herum kriechen. Uebrigens kam er selten und immer seltener, und als ich ihn endlich einmal herzhaft anfaßte und zur Rede stellte, war er so verlegen, daß er sich beide Manchetten zerriß.

Was zum Henker! rief ich ihn anfahrend, was soll das heißen, Matolay? Sind wir um dessentwegen Jahre lang gute und getreue Kameraden gewesen, um uns hier plötzlich wie spanische Granden zu behandeln? Was haben Sie gegen mich? Wofür habe ich um Verzeihung zu bitten?

Er wurde dunkelroth, sah mich scheu an und wieder fort, indem er zugleich etwas stotterte, was beinahe so lautete wie, er habe gar nichts gegen mich, worauf er sein Wort geben könnte.

Dann, lieber Matolay, hat ein Anderer etwas gegen mich, fuhr ich fort. Ah, jetzt habe ich es. Graf Görz! Bekennen Sie, der ist es, und nun sagen Sie mir Alles. Weswegen bin ich in Ungnade?

Ich weiß gar nichts. Sie irren durchaus; ich kann Ihnen nicht die geringste Auskunft geben, antwortete Matolay in höchster Verwirrung.

Weswegen benutzt man mich zu den geringsten Geschäften? fuhr ich unbekümmert fort. Etwa deswegen, weil ich von Zeit zu Zeit an den Minister Hardenberg schreibe und dieser sich für mich interessirt?

Ich weiß es nicht – auf mein Wort! ich weiß es nicht, sagte Matolay, allein ich denke, dies kann die alleinige Ursache nicht sein.

Nicht die alleinige Ursache? Also nur zum Theil die Ursache dieser mir übrigens gar nicht unangenehmen Vernachlässigung. Aber der andere Theil, was ist der andere Theil! – Heraus mit der Sprache, Matolay, wenn ich unsere alte Freundschaft nicht für leeres Stroh halten soll.

Aber mein Bester – mein Bester – begann er stockend, wie soll ich wissen, was Se. Excellenz gegen Sie hat? Wenn ich mir einen Gedanken erlauben dürfte – aber es ist durchaus nichts als ein Gedanke ohne irgend eine Bürgschaft, ich verwahre mich gegen alle Bürgschaft.

Theurer Matolay, sagte ich mit unterdrücktem Lachen, ich schwöre Ihnen aufs Feierlichste, daß ich durchaus keine Ansprüche darauf mache.

Nun denn, sagte er, Sie haben nach zwei Seiten hin den Tact verlegt.

Nach zwei Seiten, wahrhaftig! rief ich aus.

Oder nach drei, fuhr er fort.

Drei, mein lieber Johann, ist eine heilige Zahl. Nun weiter!

Erstens haben Sie mehrmals die Abendgesellschaften des Herrn Jean Debry besucht, wo es sehr republikanisch hergehen soll.

Das heißt, antwortete ich lachend, man ist dort ungezwungen heiter und theilt die Menschheit nicht ein in berechtigte Wesen, die mit dem Baron beginnen, und in einen großen Kehrichthaufen, sondern in Leute von Verstand und in bêtes, wozu denn auch manche Excellenz gerechnet werden mag.

Matolay sah sich so scheu um, daß meine Lustigkeit sich verdoppelte.

Liebenswürdiger Freund! rief ich, machen Sie kein solches Jammergesicht. Bei Gott! Matolay, in Wien ist man vernünftiger. Man weiß dort wenigstens, was gescheidte Köpfe werth sind, und fragt nicht nach dem Wappen, das man alle Tage machen und geben kann.

Dies wird bei Ihnen nicht nöthig sein, antwortete er.

Bei mir, was meinen Sie damit? fragte ich und ich fühlte, daß ich glühend heiß wurde.

Nichts, nichts! sagte er mit einem langen Grinsen, aber es wäre doch möglich, daß Sie in österreichische Dienste träten, und wenn man dies dächte, würde bei der gegenwärtigen Spannung der beiden Höfe wohl einiger Grund vorhanden sein, Sie nicht zu beschäftigen.

Das also ist des Pudels Kern! rief ich lachend. Und darum, mein guter Matolay, gehen Sie schon jetzt dem Apostaten aus dem Wege. Ich werde den Herrn Grafen befragen, was er für das Beste hält, ob er mir räth, unter die Revolutionaire zu gehen, oder unter die Kaiserlichen, oder aber unter die Russen.

Matolay entfärbte sich. Er streckte seine Hände flehend aus und sagte zitternd: Das werden Sie nicht thun, Sie werden mich nicht unglücklich machen.

Unglücklich machen?! Was fällt Ihnen ein!

Indiscretionen begehen ist mein Tod! murmelte er.

Aber Sie haben mir ja nichts verrathen; daß Wien und Berlin in heftigster Spannung sind, weiß alle Welt.

Nein, nein! flüsterte er. Sie nähern sich mehr wie Sie denken. Wir wissen ganz gewiß, daß in Berlin die größten Anstrengungen gemacht werden, um uns in die Coalition zu ziehen. Das wird nun zwar nicht glücken, aber eben so wenig wird ein Bündniß mit Frankreich geschlossen werden. Man will neutral bleiben, streng neutral, dafür sind Zusicherungen gegeben.

Ich konnte mich des Lachens nicht erwehren, als er in vollkommener Unschuld dies Geheimniß ausplauderte und eine wirkliche Indiscretion beging, um sich vor einer eingebildeten zu retten.

Mein Wort darauf, sagte ich, über meine Lippen soll nichts von Allem kommen, was Sie mir vertraut haben, selbst wenn ich heut noch des Kaisers Diener würde. Aber ich schwöre Ihnen, daß ich selbst noch nicht daran glaube, und Sie werden sehen, daß Alles eitles Gerede bleibt.

Halb und halb beruhigt, verließ er mich endlich, nachdem ich ihm nochmals gelobt, dem Grafen Görz fein Wort über seine Muthmaßungen zu sagen, und er dagegen mir den guten Rath hinterlassen hatte, jeden Tag Sr. Excellenz aufzuwarten und ihm alles Neue zu hinterbringen, was ich bei Lehrbach, oder sonst wo, fügte er mit einem pfiffigen Blicke hinzu, herausgebracht habe. Ich fand seine Weisheit salomonisch, umarmte ihn in dankbarer Rührung und gelobte danach zu handeln.

Als er fort war, ging ich zu meinem Nachbar, freilich in ganz anderen Gedanken, doch ernsthaft genug; denn was ich gehört hatte, überzeugte mich, daß meine Besuche im Hause des Gesandten und meine Verhältnisse zu Helene Garampi mehr Aufmerksamkeit erregten, als ich vermuthet hatte. Zum ersten Male dachte ich an den ganzen Ernst der Folgen, die mir nie in solchem Lichte erschienen waren. Ich hatte bisher alle Fragen, welche sich mir aufdrängten, weit mehr im Sinne einer pikanten und galanten Aventure behandelt.

Die schöne Frau interessirte und reizte mich, ihre verschiedenen glänzenden Eigenschaften zogen mich an, ihre Einfälle, ihr Geschmack, ihre Talente fesselten mich eben so sehr, wie ihre Bevorzugung meiner Eitelkeit schmeichelte. Ihre glänzenden Augen sagten so viel und ließen so vielen Hoffnungen Raum, an eine lebenslängliche Beglückung durch ihre Hand hatte ich in Wahrheit jedoch niemals mit der gehörigen Ueberlegung gedacht. Sie war ohne Zweifel älter als ich, in vollständig entwickelter Reife ihrer Schönheit. Alle Formen plastisch ausgebildet, jeder Zug voll und fest, marmorartig und von seltener, harmonischer Stimmung. Wie süddeutsche Frauen sind, üppig, lebenslustig, den materiellen Genüssen anhängend, wenig geneigt zu ernsten Beschäftigungen, besaß sie doch keinesweges das Phlegma, welches zu jenen Eigenschaften meisthin gehört. Es war südliches Blut in ihren Adern, ein Feuer, das nur durch Selbstbeherrschung gemäßigt wurde, Schlauheit und Berechnung, die ihre Leidenschaften, welche diese auch sein mochten, überragten, und mehr kalter Verstand und Ausdauer, als gewöhnlich Frauen besitzen.

Alle diese Vorzüge wiederholte ich mir, allein als ich die Stufen hinauf stieg und mich leise verhörte, ob ich Helena Garampi liebe, trat ein kaltes Gefühl in mein Herz. Mit einem Zauberschlage sah ich die Zukunft vor mir aufgethan, doch was ich erblickte, machte mich nicht heiter.

Ich öffnete die Thür des Vorsaales und fand Niemand dort, was sehr häufig der Fall war. Bekannt mit den Einrichtungen, ging ich weiter und gelangte unangefochten bis in das Kabinet, das die Zimmer des Grafen und seiner Muhme trennte, als ich mehrere Stimmen lebhaft reden hörte.

Es war nicht schwer, das scharfe, schreiende Organ des Gesandten zu erkennen, das durch seine Thür schallte, in den Pausen aber hörte ich auch, daß Frau von Garampi bei ihm sein müsse, und zögernd blieb ich stehen, denn wohin sollte ich mich wenden? Es war, als ob die beiden erlauchten Personen sich in nicht geringer Aufregung befänden und wenig Umstände machten, sich zwanglos auszusprechen; wie ich mich bald überzeugte, enthielt das Zimmer aber noch ein drittes Wesen, das auf allerlei Fragen antwortete.

Und weiter hat der Baron Dir nichts gesagt? fragte der Graf.

Nein, gnädigster Herr, antwortete die Stimme. Er hat mir dann nur die Briefe gegeben und das Packet für die gnädige Frau, und hat zu mir gesprochen, ich möchte Ihnen berichten, wie ich die Stimmung gefunden hätte.

Und wie hast Du die Stimmung gefunden?

Schlecht, Excellenz, unter aller Würde schlecht. Die Leute sind alle für den Frieden, wollen nichts von den Russen wissen, meinen, es käme nur neues Unglück über sie. Und einige Male schon, wo der gnädigste Herr Abends spät von der Staatskanzlei in die Währinger Gasse nach seinem Hause gefahren ist, haben sie Steine in seinen Wagen geworfen.

Canaille! sagte Frau von Garampi laut und hohnvoll.

Ganz recht, Gnaden, antwortete der Bote in seinem breiten Dialekt und lachend, das hat der Herr von Thugut auch gesagt und hat sich gar nichts daraus gemacht, aber wie ich gehört hab' –

Was hast Du gehört? fragte Lehrbach, als er schwieg.

Es entstand eine kleine Pause, dann sagte der Mann mit gedämpfter Stimme: Sie erzählen sich's überall in Wien, daß die Erzherzoge und viele vom hohen Adel auch nicht für den Krieg seien, und der Kaiser selbst würde von allen Seiten gedrängt – hier hielt der Sprechende von Neuem ein, bis Frau von Garampi lebhaft ausrief:

Wozu gedrängt? O, ich kann's wohl denken, man hat ihn schon öfter gedrängt, seinen besten Freund und treusten Diener von sich abzuthun.

Es soll nahe dran sein, antwortete der Bote, daß der Herr Minister weichen muß. Der Einzige, der ganz bei ihm steht, ist der Herr Graf Franz Dietrichstein, und der gilt halt wiederum mehr wie die Höchsten bei der kaiserlichen Majestät.

Gott segne ihn dafür! sagte Frau von Garampi. Die Schande wird nicht über uns kommen, daß wir die Augen roth weinen müssen über Alles, was vergebens geschah.

Es entstand ein längeres Schweigen, welches, wie ich vermuthete, daher kam, daß Lehrbach und vielleicht auch Frau von Garampi Briefe lasen; denn ich hörte Papier knistern. Vergebens sann ich darüber nach, wer der vertraute Curier sein konnte, der sich bei ihnen befand. Die Stimme kam mir bekannt vor, aber ich hatte doch keine bestimmte Vermuthung, und ehe ich eine weitere Beobachtung machen konnte, begann der Gesandte wieder zu sprechen.

Du mußt fort, Andreas, sagte er, zwei Stunden kannst Du ausruhen, mehr nicht.

Es ist mehr als genug, Gnaden, antwortete Andreas, bei dessen Namen plötzlich meine Erinnerungen erwachten.

Du gehst nicht nach Wien zurück, fuhr Lehrbach fort, gehst nach München. Ich gebe Dir keine Schrift an Mylord, es könnte gefährlich sein. Sage ihm, was Du in Wien gehört hast, und sag' ihm von mir, daß etwas geschehen müßte, um das Unheil abzuwenden. Vom Frieden dürfte keine Rede sein, wie es auch kommen möchte, und dann bring mir Nachricht zurück, was der gnädige Herr Engländer gesagt hat, Du Barthel.

Die letzte vertrauliche und landsmannschaftliche Benennung, der noch mehrere andere kräftigere folgten, wurde wahrscheinlich von einigen handgreiflichen Liebkosungen und Späßen begleitet. Das scharfe Gelächter des Grafen mischte sich mit den rauhen Brusttönen seines Vertrauten; jetzt war es die höchste Zeit mich zurückzuziehen, aber unglücklicher Weise hörte ich in dem Speisezimmer Gepolter und lautes Gerede.

He, Andreas, noch ein Wort! rief Lehrbach, als ich den Drücker drehen sah, und diese Zeit benutzte ich, um durch eine ganz schmale Tapetenthür in einen Kamin zu schlüpfen, von dem aus die Oefen mehrerer Zimmer geheizt wurden.

Gleich darauf trat der Gesandte heraus, und da ein ziemlich großes Loch in der Tapete war, konnte ich ihn sowohl deutlich sehen, wie den Mann, der ihm folgte und der ganz derselbe war, den ich im Postwagen, im Kaffeehause und in jener Nacht gesehen hatte. Er hatte seinen dicken Ueberzieher an und zeigte mir sein trotziges kühnes Gesicht ganz dicht an meinem Versteck. Als er die lauten Stimmen draußen hörte, machte er eine plötzliche Bewegung, und ehe ich irgend etwas thun konnte, hatte er die Tapetenthür halb geöffnet, um herein zu springen. Ich stand ohne Laut und Regung; wenn er einen Blick hinein that, mußte er mich erkennen, und welche Scene stand mir bevor!

So schnell wie die Gefahr gekommen war, ging sie jedoch vorüber. Lehrbach hielt ihn am Kragen fest, stieß die Thür wieder zu, und sagte kichernd:

Willst Du Dir ein schwarzes Gesicht machen, Andreas? Es würde Dir aber doch nichts helfen; wenn der Böse Dich abholen will, kennt er Dich doch. Dahin geht es jetzt nicht hinaus, die Leute haben mit den Tischen zu schaffen; geh hier durch die Zimmer der gnädigen Frau, so kommst Du auf die Gallerie und von dort auf die Hintertreppe. Und nun mach fort, halt Dich nirgend auf, und wenn etwa Dein Geld nicht reichen möcht, so nimm das dazu.

Aus seiner Tasche holte er eine lange grüne Börse, die gut gefüllt schien und welche der Gesandte wahrscheinlich für diesen Zweck schon bereit gehalten. Andreas steckte sie mit einem gierigen Griff ein, und Lehrbach hopste um ihn her, grinste und prustete, schlug ihn auf die Schulter und wackelte mit dem Chinesenkopf und dem Rattenschwanz, indem er zugleich in tiroler Mundart einige Volksredensarten und Schlagworte der derbsten Art gebrauchte.

Mit unhörbaren Schritten und Sprüngen verschwand Andreas, und nachdem der Gesandte ihm noch einen Augenblick durch das Zimmer der gnädigen Frau nachgesehen, schloß er die Thür, drehte sich um und ging Helenen entgegen, die von der anderen Seite hereintrat. – Das gemeine Gelächter war aus seinem Gesicht verschwunden, aber die kleinen zusammengekniffenen Augen funkelten voll Hohn, als er auf das Papier deutete, daß sie in der Hand hielt, und leise fragte:

Was schreibt er?

Ziemlich dasselbe, antwortete sie, was wir gehört haben.

Er fürchtet sich, fuhr er fort; er sieht den Abgrund vor sich, der ihn verschlingen wird.

Eher noch, erwiederte Frau von Garampi nachdrücklich, dürften Andere verschlungen werden.

Meinst Du mich? rief er lachend. Küß' die Hand! küß' die Hand! – Es steht aber wahrlich schlimm mit unserem werthen Freund, selbst die Kaiserin Theresia ist gegen ihn und die Erzherzoge allesammt.

Mögen sie, antwortete die Dame verächtlich die Lippen zuckend. Sie wissen so gut wie ich, daß daran wenig gelegen ist. Der Kaiser fürchtet seine Brüder mehr wie er sie liebt. Er hat ein gutes Gedächtniß dafür, daß Kaiser Rudolph einstmals auch von seinen Brüdern abgesetzt wurde, und daß man die abscheuliche Geschichte dieses Verrathes absichtlich wieder verbreitet hat.

Eine üble Erinnerung, eine sehr üble Erinnerung! rief Lehrbach, indem er seltsam umher hopste und seine Hände rieb. Den schrecklichen friedensfeindlichen Minister Clesel sperrten die Erzherzoge damals in einen Kerker auf Schloß Ambraß.

Das thaten sie allerdings, antwortete die Dame lächelnd, aber es könnte sein, daß man mit manchen Personen, wenn ein Ministerwechsel einträte und alle ihre Handlungen genau untersucht würden, noch viel kürzeren Prozeß machte. – Was denken Sie wohl, wer, wenn Thugut wirklich seinen Feinden unterliegt, die Erbschaft übernehmen wird?

Wer? – Ehe! ich denke wirklich kein Anderer, wie Cobenzl.

Das ist nicht wahr, sagte sie, Sie denken an sich selbst und glauben mehr wie je daran, berufen zu sein, in die Staatskanzlei einzuziehen.

Wie Du meine Gedanken errathen kannst! antwortete er; aber wenn es so wäre, würde ich das kaiserliche Vertrauen zu rechtfertigen wissen. – Und warum sollte ich nicht Staatskanzler sein können, so gut wie Er und Jeder? fuhr er herauspolternd fort. Sind meine Verdienste nicht groß genug? Fehlt es mir an Erfahrungen oder an Gaben?

Vor allen Dingen, erwiederte Helene, fehlt es Ihnen wenigstens an der Kunst Ihre Ansichten zu verschweigen. – Still! flüsterte sie, als er auffahren wollte, ich denke wir kennen uns. Hören Sie, was ich Ihnen mittheilen will. Man denkt nicht an Sie, auch nicht an Cobenzl; die Partei, welche Thugut beseitigen will, denkt an den Grafen Stadion.

Er blieb steif vor ihr stehen. Den Kopf steil auf den hohen, dünnen Hals gesteckt, den Zopf darüber schwebend, die Hände geballt und sein Gesicht voll Schrecken und Wuth, sah er höchst lächerlich aus, und dennoch konnte man sich vor seinen verzerrten Zügen und den kleinen blitzenden Augen fürchten.

Sie sehen, sagte sie, daß Thugut bleiben muß, daß kein Anderer als er die Macht besitzt, uns Allen zu helfen. Wird er überwältigt, so ist es vorbei mit Ihnen; was weiter geschieht, mag ich nicht untersuchen.

Ich sagte es ja, es muß etwas geschehen, murmelte er.

Woran denken Sie?

Ich wills erst bedenken, antwortete er.

Stadion und Friede. Sie schreien in Wien nach beiden.

So muß es etwas sein, das beide unmöglich mache! rief er sich zu ihr beugend, und ich sah, wie sie sich anschauten und der Eine im Anderen zu lesen suchte, ob sie sich verständen.

Ich hatte mich mehrmals schon gefragt, worin bei Der großen Verschiedenheit dieser beiden Personen die Aehnlichkeit läge, die ich zu bemerken meinte. Jetzt fiel es mir plötzlich ein, daß es ihre Augen waren, welche bei beiden zuweilen einen eigenthümlichen, stechenden und lauernden Ausdruck annahmen. Ich konnte Alles deutlich erkennen, denn die Scene erfolgte keine drei Schritte von mir, und ich bemerkte, wie diese lauernden Blicke sich in ein wohlgefälliges Lachen auflösten, mit welchem Lehrbach ihr den Arm bot und sie in ihr Zimmer führte.

An der Thür sagte sie:

Schicken Sie doch zu unserem Nachbar und lassen Sie ihn wissen, daß ich ihn zu einer Spazierfahrt erwarte. Ich brauche Zerstreuung; er könnte mit uns speisen.

Ah, Er! antwortete der Graf, nebenher hüpfend, was soll denn überhaupt mit ihm geschehen? Ist es wirklich Ernst, mein Engel?

Ich habe über ihn geschrieben, erwiederte sie, und denke, er soll eine würdige Stellung erhalten.

Aus diesen reizenden Händen! rief er lachend, die ihm Rosenketten anlegen werden, welche er immer knieend küssen wird.

Dies waren die letzten Worte, welche ich hörte. Ich blieb noch eine Zeit lang in meinem Schlupfwinkel, allein ich mußte auf jeden Fall versuchen, mich daraus und aus meiner peinlichen Lage zu befreien, was mir über Erwartung gut gelang. Das Eßzimmer war leer; ich schlüpfte durch eine Seitenthür auf die Gallerie und von dieser in den Hof, von wo aus ich in verschiedenen Richtungen entkommen konnte.

Eben als ich meine Wohnung wieder betrat, stieß ich auf den Chevalier de Bray, der mich besuchen wollte und nun mit mir umkehrte.

Wie sehen Sie denn aus! rief er lachend, als er mich betrachtete. Sie haben auf der Stirn einen schwarzen Strich und Ihre Hände – was haben Sie denn angefaßt?

Er schleppte mich vor den Spiegel und zeigte mir mein Gesicht. Ich warf die Handschuh fort, erfand ein Märchen von einem Kohlenkasten im Vorzimmer der Frau von Garampi, und meinte dann lachend, daß es immer besser sei, sich etwas schwarz wie weiß machen zu lassen.

Sprechen Sie mit Vorbehalt? fragte er mich. Glauben Sie, daß Ihre Angebetete Sie verräth?

Nein, erwiederte ich, im Gegentheil, ich glaube daß sie es verzweifelt ernsthaft meint.

Und Sie – Sie finden den Ernst doch nicht spaßhaft?

Ich finde ihn weit eher melancholisch, war meine Antwort. In Wahrheit, Chevalier, ich befinde mich in sonderbarer Lage. Man hat Gerüchte über mich ausgestreut, die mit allen Consequenzen über mich herfallen.

Das heißt, sagte er, man glaubt von Ihnen, daß Sie im Stande wären, eine kolossal reiche und dabei schöne und geistreiche Frau zu heirathen.

Noch mehr, erwiederte ich, man glaubt von mir, daß ich ins kaiserliche Lager laufen und mich anwerben und der Himmel weiß, welche Verräthereien begehen werde. Graf Görz ist davon so überzeugt, daß er mir nicht die geringste Beschäftigung zuweist.

Der Chevalier lachte ausgelassen. Er erzählte mir, daß er dazu mit geholfen habe, und machte kein Hehl daraus, daß er vielleicht zuerst den Grafen von meinen Aussichten unterrichtete.

Aber wie konnten Sie das? Wie durften Sie das? fragte ich entrüstet.

Weil ich mehr wußte, wie Sie selbst, erwiederte er, und weil ich Ihnen Dankbarkeit schulde. – Ich weiß aus guter Quelle, fuhr er fort, daß diese Frau Sie zu beglücken wünscht und daß es von Ihnen abhängen wird, sie und Alles zu besitzen, was sie zu geben hat.

Sie ist ehrgeizig, herrschsüchtig, zur Intrigue geneigt, und ein Werkzeug mancher Intriguen, war meine Antwort.

Aber sie ist klug, besitzt besondere Verbindungen vom höchsten Einfluß, spielt selbst eine politische Rolle und wem sie ihre Hand reicht, sichert sich dadurch einen Platz.

Und ihr Ruf? fragte ich halblaut.

Bah! sagte er mit den Fingern schnippend. Mein theurer Freund, gewöhnliche Weiber halten ihren tugendhaften Ruf für den Mantel, welcher alle ihre Blößen bedecken soll; hochgeartete Frauen sind mit anderen Tugenden und Vorzügen begabt, um sich daran festzuklammern.

Ich gestehe, antwortete ich, daß ich einige alte Vorurtheile besitze, die ein Mann von Welt, Ihrer Ansicht nach, nicht haben sollte.

Gut, daß Sie das selbst bemerken, fuhr er fort, doch was kann selbst der Neid von ihr sagen? Nichts, als daß sie die Freundin Thuguts ist, eines Greises von mehr als sechszig Jahren. Denken Sie an Kaiser Justinian, der eine Tänzerin aus der Rennbahn heirathete, und was that vor Kurzem erst ein Zeitgenosse, ein hochstehender Diplomat, Lord Hamilton, der würdige Gesandte Englands in Neapel, der die wilde Schauspielerin Emma Harto zu seiner Gemahlin erhob? Und diese reizende, edle Lady Amy Lyon, seit 1791 Lady Hamilton; aufgrund ihrer Schönheit und ihrer skandalösen Liebesbeziehungen (Dreiecksbeziehung mit Ihrem Ehemann sowie mit Admiral Nelson 1798-1805) war sie am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jh. eine europaweite Berühmtheit. Sie endete allerdings in Armmut und Akoholismus. - Alexandre Dumas hat ihr Leben 1865 in einem umfangreichen Roman verarbeitet (»Lady Hamilton. Memoiren einer Favoritin«). ist nun die Freundin der Königin Karoline, Schwester seiner kaiserlichen Majestät. Die Königin kann nicht leben ohne ihre kluge, schöne Freundin, und diese wieder kann nicht leben ohne ihren einäugigen, zärtlichen Freund Nelson. Lord Hamilton, dieser treffliche Gatte, klatscht ohne alle stupide Eifersucht Bravo dazu und freut sich der großartigen Erfolge seiner Frau, die den Helden von Abukir um ihre Finger wickelt.

Hoffentlich, sagte ich, trauen Sie mir etwas weniger Galanterie zu.

Sie haben nichts zu befürchten, wie ich denke, erwiederte er. Sie sind der Begehrte, was wollen Sie mehr?

Ein Herz, das mich liebt!

O! rief er spottend, da kommt die poetische Sentimentalität zum Vorschein, das sind die Folgen Ihrer dichterischen Studien. Sagen Sie mir aufrichtig, besitzen Sie großes Vermögen, haben Sie hohe Verbindungen, bedeutende Aussichten?

Nein.

Oder sind Sie arm und verlassen und haben Sie den Trieb des verrückten Jean Jacques Rousseau, arm und verlassen bleiben zu wollen?

Weder das Eine noch das Andere.

Nun denn, so können Sie nicht ungewiß sein. Um in der Welt nach Herzen umherzujagen, in Gefühlen zu schwärmen, und für phantastische Einbildungen zu leben, muß man entweder sehr reich oder sehr arm, ein Sonderling, ein Narr oder ein Philosoph sein.

Eine artige Auswahl! rief ich belustigt; aber, mein kluger Freund, darf ich fragen, ob Sie selbst ganz sicher sind, nicht auch zuletzt einer dieser Klassen anheim zu fallen?

Seien Sie ohne Sorge um mich, erwiederte er. Ich hasse nichts mehr als Selbsttäuschungen und bin somit auf meiner Hut. Herr Jean Debry ist so geistvoll und liebenswürdig, daß ich ihm jedes mögliche Glück wünsche, wenn es ihm beikommen sollte, mit mir nach einem Ziele zu laufen. Aber hören Sie, was ich Ihnen noch im Vertrauen mittheilen kann. Ich sagte Ihnen schon, daß ich der bairischen Gesandtschaft einige Dienste geleistet habe und dafür bestimmte Zusicherungen erhielt. Jetzt, wo es glücklich dahin gekommen ist, daß Oesterreich nicht eine bairische Schäferhütte bekommen wird, sind meine Ansprüche reif gewordene Früchte. Ich werde in den bairischen Staatsdienst treten, Graf Montgelas hat sich dafür verbürgt, ich werde einen Gesandtenposten erhalten, ich werde zum Grafen ernannt werden und werde Mademoiselle von Hochhausen zur Gräfin de Bray machen, was sie nicht übel nehmen wird, wie ich denke.

Bei seinen letzten Worten störte uns ein Diener der Frau von Garampi, der mich zur Spazierfahrt einlud, zu welcher die gnädige Frau mich erwarte. Ich nahm diese Einladung an, und ließ sagen, daß ich sogleich erscheinen würde.

Der Chevalier drückte mir die Hand, als er ging, und musterte mich mit Wohlbehagen.

Wie Ihre Augen blitzen, sagte er, wie die Erwartung Ihr Blut durch die Adern treibt. – Wir werden uns wiederfinden, mein Freund, der kaiserliche Minister und der bairische Gesandte, und wenn wir uns gegenseitig diplomatisch bekriegen sollten, werden unsere Herzen nicht das geringste damit zu thun haben. Alles in der Welt, nur kein Herz, und fort mit Allem, wozu das sogenannte Herz nöthig ist!



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