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4.

Oftmals geschieht im Leben was wir am wenigsten gedacht«, dieser alte Spruch bewährte sich auch an mir; denn kaum war ich in meiner Wohnung angelangt, als ein Diener des Grafen Lehrbach mir ein Handbillet seines Herrn brachte, der mich einlud mit ihm zu speisen, wenn ich ihm Freude machen und eine solche Aufforderung als Nachbar ohne alle Umstände nicht übel aufnehmen wolle. Er sei unpäßlich, dürfe nicht ausgehen, Niemand sei bei ihm, als Frau von Garampi, eine Dame, welche ihm nahe stehe.

Ich nahm diese Einladung sofort an, denn ich hielt sie für einen Wink des Schicksals und war viel zu neugierig, die interessante Wittwe kennen zu lernen. Während ich mich ankleidete, ergötzte mich der treffliche Professor Samhaber, indem er mir eine große Weinflasche gefüllt mit seinem Universalarcanum schickte. Auf der Flasche klebte ein Zettel, auf welchem mit steilen Buchstaben geschrieben stand:

Trank des Lebens, mittelst welchem man alle die unsauberen Geister austreiben mag, so die menschliche Gesellschaft jetzund plagen. Täglich ein mäßig Spitzgläschen davon gebraucht, hilft gegen den Zeitschwindel und gewaltthätig gottlose Gebreste, so die beste Constitution in venenum verwandeln wollen. Probatum est.

Dies wundervolle Recept setzte mich in die beste Laune, mit welcher ich nach einigen Stunden die Treppe meines Nachbars hinaufstieg und sogleich in das Speisezimmer geführt wurde, wo Graf Lehrbach mich erwartete. Er tanzte mit offenen Armen auf mich los und überschüttete mich mit groben Schmeicheleien, als Dank für meine Bereitwilligkeit seine Wünsche zu erfüllen, dann führte er mich der Dame zu, die auf dem Divan saß und sich damit beschäftigte, einen Brief zusammenzufalten, den sie gelesen oder vorgelesen hatte. In den ersten Augenblicken konnte ich ihr Gesicht nicht deutlich sehen, als sie aber den Kopf aufrichtete, erkannte ich sogleich dieselbe schöne stolzblickende Frau, welche ich in letzter Nacht neben dem Grafen Cobenzl bei Mademoiselle Hyacinthe belauschte.

Sie trug dasselbe dunkle, schwerfaltige Gewand und den großen indischen Seidenshawl; außer einer Schnur kostbarer Perlen bemerkte ich keinen Schmuck an ihr, aber diese gebietende Gestalt bedurfte auch seiner nicht, um die Blicke zu fesseln. Ihre Augen waren groß und feurig, ihr Gesicht ausdrucksvoll schön und ihr schwarzes welliges Haar nicht mit Puder, sondern mit Silberstaub bestreut, der wie zahllose kleine Sterne darin funkelte. Auf der Scheitel wanden sich die Flechten zu einer Art Krone zusammen, so daß sie wirklich, wie de Bray gesagt, einer Königin glich.

Meine Muhme, Frau Julie Garampi, sagte der Gesandte, indem er mich ihr vorstellte. Seit einigen Wochen erst bin ich so glücklich sie bei mir zu sehen, doch wenn meine Bitten helfen und andere Bitten sich damit vereinigen, hoffe ich Sie den Winter über fest zu halten.

Man bleibt gern, wo man sich gefällt, antwortete die Dame, und da in Rastatt sehr Viele ganz gegen ihren Willen bleiben müssen, so ist es um so billiger, daß wenigstens Einige es freiwillig und gern thun.

Wir wollen bei der Suppe überlegen, was dazu nöthig ist, um zu diesen Freiwilligen zu gehören, lachte Graf Lehrbach, und ich faßte den Wink auf, um Frau von Garampi den Arm zu bieten. Der Tisch war nur für drei Personen gedeckt, wir aßen jedoch trotz aller Entschuldigungen über häusliche Einfachheit ganz vortrefflich, und mit lüsternem Wohlgefallen pries mir der Herr Gesandte verschiedene Speisen an und erzählte dabei, daß sein Koch den entschiedensten Neid durch unübertreffliche neue Erfindungen erregt habe.

Und alle diese excellenten Köche, sagte Frau von Garampi mit einer gewissen verächtlichen Betonung, haben doch noch nichts erfunden, was alle diese Gourmands des Congresses zufrieden gestellt hätte.

Eine hohe Aufgabe! eine große Aufgabe! schrie der chinesische Graf. Welche Verschiedenartigkeit des Geschmacks begegnet sich hier!

Er gab eine ziemlich originelle Erzählung von den Diners der Gesandten, die einen Ehrenpunkt darin sahen, sich gegenseitig an Glanz und Pracht zu überbieten und oft sehr große Summen ausgaben, um aus Straßburg, Frankfurt oder noch weiter her irgend eine Seltenheit für ihre Tafel herbeizuschaffen, welche Staunen und Neid erregte. Die Köche hatten Recepte, welche wie Staatsgeheimnisse bewahrt und denen eben so eifrig nachgespürt wurde; jede der Excellenzen mußte wenigstens ein berühmtes Gericht besitzen, was nirgend so gut wie bei ihr zu haben war.

Es belustigte mich heimlich nicht wenig, zu bemerken, mit welcher Erwärmung der Gesandte von einer Rebhühnermarionaise sprach, die auf dem Tische stand und welche eines seiner Lieblingsgerichte war. Seine Lippen spitzten sich süß, seine Augen glänzten, in den Runzeln seiner Stirn lagen tiefsinnige Betrachtungen, glückseliger Genuß in seinen Mundwinkeln und für die Belehrungen, welche er mir über das Reiben des Oels, über die Mischung der Champignons mit den Trüffeln und über die Bereitung der köstlichen Sauce ertheilte, hätte ein Wissender Thränen der Dankbarkeit geweint. Ich war jedoch ein Barbar, der keine Ahnung von dem Werth dieser großen Geheimnisse hatte, und er mochte mir es ansehen, was sich in mir regte.

Mein bester Herr, sagte er, kommen Sie zu uns, kommen Sie nach Wien, wenn Sie die höhere Weihe empfangen wollen; denn seitdem in Paris die Roheit triumphirt hat, giebt es keinen Platz auf der ganzen Erde, wo die Küche mit solcher Kunst und Feinheit behandelt wird wie bei uns. Die noblen Seigneurs der alten Monarchie verstanden zu essen, man muß vor ihrem Andenken sich beugen, die Engländer dagegen haben niemals sich zur feineren Ausbildung erhoben, eben so wenig Spanier und Italiener. Die italienischen Köche verderben Alles durch zu viel Oel und zu starke Gewürze; und weiter nach Norden, in Berlin, in Petersburg fehlen die feinen Zungen und die Erziehung.

Ich lachte, weil ich es nicht unterdrücken konnte, aber er rief mit vermehrtem Eifer:

Die Erziehung, bester Baron, ohne allen Zweifel, die Erziehung! Wer nicht Gelegenheit hat, seine Studien gründlich bei großen Meistern zu machen, wird sein Geld fortwerfen und niemals zu Ruf und Ansehen gelangen. Fragen Sie meine Muhme hier, die mir beistimmen wird, deren Haus und Tafel in Wien von den vorzüglichsten Kennern geschätzt wird.

Ich gebe Ihnen Recht, Cousin, antwortete Frau von Garampi, doch nur aus dem Gesichtspunkte, daß es zu dem Glück des Daseins nothwendig ist, die feinen Genüsse der Tafel nicht zu entbehren. Keine Schwelgerei, aber Genuß ist das Ziel jedes höheren Strebens, Belohnung für Anstrengungen, Auszeichnung für die Auserwählten der Gesellschaft. Es giebt nichts Reizenderes, als eine mit den feinsten Producten menschlicher Erfindung besetzte Tafel, an welcher Laune, Witz und Heiterkeit sprudeln. Diese Verbindung der höchsten materiellen und geistigen Genüsse muß man sich verschaffen und dessentwegen, mein Herr Graf, bin ich schwer zu bewegen, eure Gesandten-Diners zu besuchen, wenn mir nicht die Gewißheit gegeben ist, etwas mehr dort zu finden, als gute Gerichte, oder den berühmten Eispunsch des Herrn Grafen Görz.

Sie müssen wissen, sagte Graf Lehrbach lachend, daß meine liebenswürdige Muhme vor einiger Zeit ein Diner bei dem Herrn Grafen Görz annahm, das sie nicht vergessen kann. Ihr Nachbar war unglücklicher Weise Herr Jean Debry, der etwas herbe Manieren besitzt.

Die Manieren eines Dorfschulmeisters, fiel Frau von Garampi ein.

Ehe! er ist trotz dessen ein sehr unterrichteter, gelehrter Herr, fügte Graf Lehrbach spottend hinzu.

Gelehrte sind, wie wir alle wissen, mit seltenen Ausnahmen ungeschickt wie Kinder und unwissend wie Wilde, sagte die Dame. Dieser Herr Jean Debry übertraf jedoch an Bosheit oder Rohheit Alles, was ich bisher gesehen und gehört hatte. Er gab sich die Mühe, mir eine philosophische Abhandlung nach der anderen zum Besten zu geben, um mir zu beweisen, daß unsere verfeinerten Zustände unsittlich und verwerflich seien, der wahre Mensch einfach und nüchtern lebe, und wahre Glückseligkeit nur kommen könne, wenn die Köche den Königen nachgeschickt würden.

Unverschämt! rief ich, während wir lachten. Ohne Zweifel wurde er bestraft.

Ich entfernte mich, sagte Frau von Garampi, indem ich ihn bedeutete, nur da sein zu können, wo man die Könige und Köche verehre.

Auf keinen Fall geben die Herren Gesandten der Republik also Diners in Rastatt?

Spartanische Suppe ist ihre tägliche Nahrung! rief Graf Lehrbach mit seiner krähenden Stimme, und, setzte er hinzu, indem er nach seiner Gewohnheit den Rattenschwanz wackeln ließ, mit Blutsuppe muß man sie bewirthen.

Er sah, wie er dies sagte, abscheulich aus. Sein braunrothes Gesicht grinste wie ein böser Pavian und in seinen Augen lag etwas, das mich unwillkührlich an das erinnerte, was der Chevalier von dem Baron Thugut erzählt hatte.

Fast in demselben Augenblicke aber, wo der Graf das letzte Wort sprach, wurde die Thür geöffnet und ich sah den eben geschmähten Jean Debry hereintreten. Er kam mir vor wie ein Gespenst, das ein Magier aus dem Nichts hervorruft, um arme Sterbliche zu schrecken. Eine ähnliche Empfindung mußte auch in dem Gesandten und seiner Cousine vorwalten, sie saßen eine Minute lang wie erstarrt, allein der unerwartete Eindringling ließ sie nicht lange in Ungewißheit. –

Mit französischer Zwanglosigkeit näherte er sich dem Tische und als wollte er beweisen, daß man ihn verläumdet habe, wenn er ungeschickt und tölpelhaft genannt wurde, konnte der Anstand nicht würdiger und höflicher sein, mit welchem er Frau von Garampi begrüßte und sich gegen den Grafen Lehrbach entschuldigte.

Ich habe in der That nicht geglaubt, Sie hier zu finden, und noch weniger, Sie zu stören, sagte er. Ihr Vorsaal war leer, ich suchte einen Diener und trat hier ein.

Bleiben Sie, bester Herr Debry, bleiben Sie! rief der Gesandte, indem er nach einem Stuhle hüpfte und diesen eigenhändig herbeibrachte. Die seltene Ehre Ihres Besuches ist zu kostbar, um ihn so bald zu missen. Unser Gast zu sein ist es für diesmal zu spät, aber ein Glas Tokaier dürfen Sie nicht verschmähen.

Ich trinke niemals Wein, Herr Graf von Lehrbach, antwortete Debry. Was mich zu Ihnen führte, besteht in einer Bitte, welche ich Ihnen in einer halben Minute mitzutheilen vermag.

Graf Lehrbach deutete, da er schwieg und mit einer leisen Neigung einen Schritt zurücktrat, auf die Thür eines Nebengemaches, und Jean Debry folgte diesem Winke, indem er mit einer lautlosen Verbeugung sich empfahl. Die ganze Scene hatte etwas Theatralisches. Der ernste, stolzblickende Mann, schwarz und hoch aufgerichtet, schritt an dem gelenkig sich beugenden, ihm die Thür öffnenden Gesandten gebieterisch vorüber. Graf Lehrbach hüpfte hinter ihm her wie Figaro hinter seinem Herrn und seine verschmitzten Augen zeigten an, daß er allerlei arge List im Sinne habe.

Als Beide hinaus waren, blickte mich Frau von Garampi fragend an. Wir waren ohne Zweifel gleich neugierig, allein ließen uns, wie es schicklich war, nichts davon merken. –

Sonderbar, sagte sie, daß dieser Herr uns eben jetzt erscheinen mußte. Eine Gestalt, wie aus einer Polterkammer verrostet hervorgeholt, nichts Lebendiges, als die tiefen, fanatischen Augen. So denke ich mir die Menschen, die das große Verbrechen begangen haben.

Welches Verbrechen? fragte ich.

Die den König ermordeten und die schöne, unglückliche, liebenswürdige Königin, sagte sie, indem sie ihre großen, schwarzen Augen mit einem flammenden Blicke des Hasses aufschlug.

Er war nicht dabei, soviel ich weiß, sagte ich.

Gleichviel, so war es nicht seine Schuld, antwortete sie. –

Unser Mahl war beendet, Jean Debry hatte uns beim Nachtisch überrascht.

Wir wollen seine Rückkehr nicht abwarten, fuhr die stolze Dame fort, indem sie aufstand, lieber ihm das Feld räumen und den Grafen bei mir erwarten.

Ich bot ihr den Arm und sie führte mich in einen reich geschmückten, anmuthigen Salon, dem man es ansah, daß eine prachtliebende, elegante Frau ihn bewohnte. Vorhänge von der schwersten, gewirkten Seide fielen bis auf die Erde nieder. Ein sehr großer, venetianischer Spiegel aus einem Glasstück in reich geschnitztem Goldrahmen reichte bis an die Decke, Armstühle der bequemsten Art, mit rothem blumigen Damast überzogen, standen um einen Marmortisch und an der einen Wandseite war ein prächtig gearbeiteter Flügel aufgestellt, von Conrad Graff Dies ist ein Anachronismus; der Rastatter Kongress tagte von 1797 bis 1799, und Mügges Novelle spielt, wie er selbst zu Beginn festhält, im Jahre 1798. Der deutsch-österreichische Klavierbauer Conrad Graf (1782-1851) war aber zu dieser Zeit noch einfacher Tischler; nach Wien kam er erst 1799, war dort vier Jahre Soldat, bevor er als Geselle bei einem Klavierbauer begann. 1804 übernahm er den Betrieb des verschiedenen Meisters Schelkle, und von 1811 an durfte er eigene Klaviere verkaufen. Die Qualität der Hammerflügel, die Beethoven, Chopin, Mendelssohn und Clara Schumann zu schätzen wussten, wurde erst Mitte der 1820er Jahre erreicht. in Wien, dem berühmtesten Meister seiner Zeit. Eine Menge Noten häuften sich neben an auf einem besonderen Tisch, und das aufgeschlagene Instrument deutete an, daß die Besitzerin thätig übe.

Ich liebe die Musik, sagte Frau von Garampi auf meine Frage, und spiele selbst so gut es gehen will, oder singe mir ein Lied, wenn ich Zerstreuung brauche. – In Wien, fuhr sie fort, habe ich die Gewohnheit, die besten Künstler von Zeit zu Zeit bei mir zu versammeln, um ihnen zu zeigen, wie sehr ich sie schätze und ihre Kunst verehre. –

Sie verbreitete sich mit vieler Lebhaftigkeit über die Musik in Wien und schilderte mir die berühmtesten und bekanntesten der großen Talente, welche dort gehegt und gepflegt werden. Gluck und Mozart waren oft in ihrem Hause gewesen, den alten Joseph Haydn nannte sie ihren Freund, und einer seiner Schüler, ein gewisser Ludwig von Beethoven, hatte ihr soeben einige Sonaten gesandt.

Je länger wir von der Musik sprachen, um so mehr wurde sie davon erregt, und mit wahrem Entzücken beschrieb sie mir, wie trotz alles Unglücks der Zeit diese Kunst in Wien einen wahrhaft geheiligten Boden gefunden habe. Der Enthusiasmus der Wiener für die Oper, für die Concerte, für Musiker und Sänger sei unvergleichlich und die Kunstliebe des Volkes so leidenschaftlich, daß Musik und Lieder die Geringsten begeistern und die Höchsten und Ersten in ihre Zauberkreise ziehen.

Nach einiger Zeit setzte sie sich an das Instrument und zeigte mir, daß sie sehr bescheiden von ihrer eigenen Fertigkeit geurtheilt habe, denn sie spielte hinreißend und mit künstlerischer Empfindung. Ihr edles Gesicht beseelte sich dabei, und da sie bemerkte, welchen Antheil ich nahm, fuhr sie fort und begann, ohne meine Bitte abzuwarten, mich auch ihre Stimme hören zu lassen, die von großem Umfange, vollkommen gebildet und vom herrlichsten Klang war.

Sie sang nach einigen raschen Läufen mehrere der neuen Wiener Volkslieder, in denen die naive Gemüthlichkeit des Volks sich mit patriotischer Begeisterung für den Kaiser und für das Vaterland mischte, und trug diese an sich einfachen Gesänge mit solchem Feuer und solcher Kraft vor, daß ich, überwältigt davon, ihr eben meine volle Bewunderung ausdrücken wollte, als von der Thür her dasselbe und zwar sehr laut durch Händeklatschen und lärmendes Bravo, Bravissimo! geschah, mit welchem Graf Lehrbach wieder hereinhüpfte.

Ah! rief er, Julie spielt Ihnen etwas vor, am Klavier ist sie bewunderungswerth! – Ich sage nicht zu viel. Haydn ist ihr Lehrer gewesen.

Um Frau von Garampi zu bewundern, hat man nicht nöthig sie zu hören, sagte ich halblaut zu ihm gewandt.

Er grinste mich beistimmend an. Sie hatte meine Schmeichelei gewiß verstanden, ein anmuthiges Aufschlagen ihrer Augen belohnte mich.

Seltsam, wie in einer Familie nahe Verwandte so ungleich aussehen, der Eine einem Engel, der Andere einer Mißgeburt nahe kommen kann und Beide dennoch eine gewisse Aehnlichkeit zu haben vermögen. – Dies fiel mir auf, wie sie bei einander standen, und doch konnte ich nicht entdecken, worin diese Aehnlichkeit bestehen sollte.

Mein Glaube an eine bessere Zukunft, sagte die Dame inzwischen, hängt mit dieser Liebe des Volks zur Musik zusammen. Die Musik macht gut, treu, froh und erhebt im Unglück. Wie war es mit den Arkadiern des Alterthums? Baron Thugut, der die Geschichte genau kennt, erzählte mir einmal, daß die Arkadier immer ihren Königen getreulich anhingen und obwohl sie Musik und Tanz leidenschaftlich liebten, doch stets kriegerisch blieben und auf jeden Wink ihrer Fürsten zum Kampf bereit waren.

Ehe! lachte Graf Lehrbach, unsere modernen Musiker ziehen jedoch nicht mit in die Schlachten, wie die alten Barden; es sind heut zu Tage ohne Ausnahme kindliche Gemüther. Wenn ich an den Mozart denke, der in der Welt nichts weiter mochte, als am Klavier sitzen oder Billard spielen, kommt mir das Wasser in die Augen. Und in Tirol, wie geschah es da von Gott geweckt, daß ein Bursch, der gewiß nicht wie ein Dichter und Sänger aussah, sich Abends zum Feuer setzte und stier hineinschaute, Nachts aber sprach der heilige Petrus ihm ein Lied ins Ohr und die Engel brachten ihm die Melodie. Am Morgen stand er auf und sang's mit allmächtiger Stimme und Tausende hörten es staunend, sangen's nach, faßten ihre Stutzen und da lief das welsche Blut in Bächen an den Trienter Felsen herunter, daß die Etsch davon roth ward. Das hat ein einziger kleiner Sang gethan, drum ist es was Großes um die Musik!

Seine Augen funkelten, und er schien große Lust zu haben, von seiner tiroler Hauptmannschaft zu erzählen. Um diesem Schicksale zu entgehen, suchte ich die Unterhaltung zu wenden und fragte Frau von Garampi, ob in Wien man sich nicht auch neben der Musik mit der neuen Deutschen Literatur, den Werken der Dichter, den Schauspielen und Büchern lebhaft beschäftige?

Ich muß bekennen, antwortete sie lächelnd, daß ich daran kein großes Behagen habe. Das deutsche Theater findet geringen Beifall, die Oper ist die Hauptsache für uns, und was die Bücher, die Komödien und Gedichte betrifft, so sind sie größtentheils schwerfällig und langweilig, andererseits mag ich sie nicht, weil so viele gottlose unpaßliche Gedanken darin sind, die mich abstoßen oder ermüden.

Der Gesandte sparte mir eine Antwort, welche ich sonst wohl gegeben haben würde. Mein bester Freund, sagte er, Bücher sind gut, wo sie mit Verstand gelesen werden, aber fürs gewöhnliche Volk taugen sie nichts. Ich habe weise Männer bezweifeln hören, ob die Buchdruckerei ein Glück für die Menschheit genannt werden kann, und was mich selbst betrifft, ich sag' es gerade hin: könnte ich die gesammten Bücher zusammenpacken und die Schreiber dazu, ich schnürte sie sämmtlich in einen Ballen und senkte sie ins tiefste Wasser.

Es giebt aber doch noch viele liebenswürdige Autoren und treffliche Bücher, erwiederte ich lachend.

Nichts! nichts! rief er erbittert und eifrig. Es wäre ein Glück für die Menschheit, wenn wir sie los würden, da es aber nicht sein kann, muß man das Volk wenigstens behüten, so viel es angeht. Schaun Sie, wer hat das Unheil in Paris angestiftet? – Wer hat es angestiftet vor mehr als hundert Jahren in England? Die Bücher und die Schriftsteller. – Wer hat die heilige Kirche verwirrt und zum Unglauben verführt? Die Bücher und die Schriftsteller. Wer hetzt jetzt in Deutschland die Gemüther auf, daß das hirnlose Volk gegen Reich und Fürsten, gegen ihre Gesetze und Einrichtungen, ihre Minister und Räthe, gegen uns alle und gegen den Congreß in Rastatt die ärgsten Schmähungen ausstößt? Die Bücher und die Schriftsteller. – Man wird bald überall dahin kommen einzusehen, was die Regierungen vom Denken und Dichten der unruhigen Köpfe zu erwarten haben, und wird ihnen das Handwerk legen; bei uns hat die große Kaiserin schon dafür gesorgt und Kaunitz hat ein weißes Wort gesprochen. Die Bücher, sagte der Fürst, stellt unter strenge Censur, die Musik gebt frei. Musik ist das beste Mittel gegen das Denken, sie macht gläubig, lustig, zerstreut alle Sorgen. So geschah es auch, bis die Josephinische Zeit kam. Der junge Kaiser wollte Aufklärung, meinte, Bücher brächten Einsicht, hob die Censur auf, ließ Licht in sein Land, wie er sagte. Was geschah, ist bekannt genug. Ein schönes Licht wars, wovon der Himmel roth wurde. Pasquille auf ihn selbst las er an der Hofburg; was haben wir für Noth gehabt, die Fehler gut zu machen!

Sie sind aber doch gut gemacht, fiel Frau von Garampi ein.

Gott sei Dank! Vollkommen! rief er lachend. Baron Thugut und Graf Franz Saurau der Polizei-Minister sind Männer, die alle solche Lichter auszupusten wissen.

So gern ich ein Musiker in Wien wäre, antwortete ich, so wenig möchte ich ein Schriftsteller sein.

Wir saßen beisammen auf einer Ottomane; er klopfte vertraut auf meine Schulter. Sagen Sie das nicht, rief er, wir haben bei uns halt gute Köpfe nöthig, um die gute Sache zu vertheidigen, und nirgend in der ganzen Welt wird der talentvolle Schriftsteller höher geachtet und besser bezahlt. Man geizt nicht mit ihm, man giebt mit vollen Händen.

Was kann man geben? fragte ich, indem ich in das Gesicht der reizenden Wittwe blickte, die mir gegenüber, in ihr großes Seidentuch gehüllt, den Kopf an die Kissen gedrückt, halb liegend eine plastische Stellung einnahm.

Was man geben kann, bester Freund? antwortete der Graf den Zeigefinger aufhebend. Alles was dazu gehört, um das Leben angenehm zu machen, was den Ehrgeiz befriedigen, was das Herz wünschen kann. Ehe! es giebt vielerlei: Gold, Güter, Würden, Namen, Musik, Feste, den besten Koch, und die schönsten Frauen.

Er grinste, wackelte mit dem Zopfe und schielte die schöne Cousine an.

Julie Garampi regte sich nicht, aber um ihre Lippen schwebte ein verlockendes Lächeln. Sie ließ ihre weiche, weiße Hand unter dem Tuche hervorsinken und streifte meine Finger. –

Es ist spät! sagte sie. Wollen Sie mich ins Theater begleiten? Ich gebe Ihnen einen Platz in meiner Loge.

Ich dankte im Gefühle meines Glücks.

Kennen Sie die Hyacinthe? fragte sie.

Ich sagte natürlich nicht was ich wußte, aber ich sagte, daß ich sie spielen gesehen hätte.

Mademoiselle Hyacinthe besucht mich zuweilen, fuhr sie fort. Sie besitzt Geist und Witz. Ich will Sie mit ihr bekannt machen, Sie werden frohe Stunden bei ihr haben.

Wie gnädig Sie sind, antwortete ich ihre schöne Hand küssend, selbst die Schauspielerin darf sich Ihnen nahen.

Was nützt mir ein Fürst, erwiederte sie, wenn er nicht fürstlichen Verstand besitzt! Der Mann, welcher gegenwärtig Oesterreich regiert, mein vielverehrter Freund, Baron Thugut, ist der Sohn eines armen Donauschiffers. Was hilft ein Name, was hilft ein hübsches Gesicht! Ich begreife die Männer nicht, welche sich einer schönen Bildsäule in die Arme stürzen, so wenig wie ich Frauen begreife, die einem Tituskopfe nachlaufen! Wenn man Aepfel essen will, kümmert man sich darum, ob die Schale roth und weiß aussieht?

Mit dieser philosophischen Frage stand sie auf, und der zigeunerhafte Graf grinste und nickte ihr Beifall, indem er in dem venetianischen Spiegel sein häßliches Gesicht betrachtete und seine Löckchen drehte.

Aber der süße Kern in schöner Schale erhöht doch jedenfalls den Genuß! flüsterte ich ihr zu.

Sie schleuderte mir einen ihrer übermüthigen, flammenden Blicke zu. –

Frauen wollen allerdings auch ihrer Reize wegen geliebt sein, antwortete sie, geistvolle Männer haben keinen Körper nöthig.

Aber wer ist das? fuhr sie fort, indem sie auf die Straße hinabblickte.

Der Chevalier führte das Fräulein von Hochhausen vorüber, hinter beiden folgte der Geheime-Legationsrath und Herr Jean Debry.

Graf Lehrbach nannte die Namen der beiden Herren, ich fügte den der Dame hinzu.

Ein artiges Gesicht, sagte sie spottend, eines von denen für den erhöhten Genuß, derb und tüchtig in Schritt und Tritt. Aber was wollte der berühmte Diplomat, Herr Jean Debry, daß er wie ein schwarzer Schatten unseren Frieden störte? – Ist es ein Geheimniß?

Eine Kleinigkeit, erwiederte der Graf. Ein französischer Curier ist bei Kehl angehalten worden und hat einige Unannehmlichkeiten mit einem Offizier gehabt, der ihn durchsuchen ließ, wobei seine Depeschen verloren gingen. Dieser Offizier, ein Rittmeister von Burkhard, soll gegenwärtig hier sein und mit mir in Verbindung stehen.

Und was weiter? fragte Frau von Garampi.

Der Rittmeister war in Tirol in meiner Nähe, fuhr Lehrbach fort, ein tapferer Offizier, der nicht viel Umstände macht, wenn er Franzosen sieht. Der Curier hat aber sicherlich Schuld; man weiß ja, wie es dergleichen Leute machen. Herr von Burkhard soll nun vernommen werden, die französische Gesandtschaft dringt auf Genugthuung. Aber wo ist der Rittmeister! rief er die Achseln zuckend und lachend, wer weiß etwas von ihm? Ich kann nur den Rath geben ihn beim Oberkriegs-Commando zu belangen, bei dem Erzherzog selbst, der solche gewaltthätige Streiche mitten im Frieden gewiß nicht dulden wird.

Besondere gegen eine so bescheidene, friedliebende Nation, sagte Frau von Garampi. Schade, daß ich dem tapferen Rittmeister nicht danken kann.

Ich würde ihn nicht kennen, auch wenn ich ihn sähe, ganz gewiß nicht! rief der Graf. Mögen die Herren Franzosen schauen, wo sie ihn finden. Ich glaub's nicht, daß es wahr ist.

 

Der Wagen des Gesandten brachte uns in das französische Theater, das wie gewöhnlich mit dem größten Theile der Notabilitäten des Congresses gefüllt war. In einer Seitenloge entdeckte ich Fräulein von Hochhausen mit ihren Begleitern, daneben die beiden anderen französischen Gesandten und deren Anhang.

Während einer der Zwischenacte kam Graf Ludwig Cobenzl zu uns herein, um Frau von Garampi zu besuchen. Ich wurde ihm vorgestellt, und obwohl unsere Unterhaltung nur kurz war und sich in den üblichen Formen hielt, erkannte ich dennoch den feinen und gewandten Cavalier, der durch glänzende Gaben, anmuthige Rede und Bewegung einen eigenthümlichen Zauber auszuüben wußte.

Als er sich empfahl und zu Frau von Garampi niederbeugte, hörte ich ihn leise sagen:

Suwarow ist in Wien. Alles ist in Ordnung.

Ich habe einen Brief erhalten, antwortete sie. Thugut schreibt mir –

Was sie weiter hinzufügte, verstand ich nicht. Er ging nach einigen Minuten fort, sie winkte mich an ihre Seite.

Da haben Sie ein glorreiches Beispiel von den Triumphen des Geistes, sagte sie. Graf Cobenzl war der Liebling der Kaiserin Katharina, so lange diese lebte; alle die schönen Männergestalten am russischen Hofe, der so reich daran war, beugten sich vor ihm und beneideten ihn, und welche unter den Schönheiten, die er auszeichnete, hätte ihm je widerstanden?

So wäre es des höchsten Ruhmes werth, erwiederte ich, diesen unwiderstehlichen Paris zu besiegen.

Wodurch?

Durch den Raub der Helena, flüsterte ich ihr zu. –

Sie lächelte hinter dem Fächer. –

Wohlan, versuchen Sie es, sagte sie nach einem Augenblick, ich gebe Ihnen die Erlaubniß dazu.

Der Gesandte trat mit einigen Herren in die Loge, Offiziere und Excellenzen umringten die schöne Frau, ich konnte mich ihr nicht wieder nähern. Als das Schauspiel zu Ende war, hatte ein dickgepuderter, steifbeiniger Reichsgraf in lockiger Alongenperrücke ihr den Arm geboten. Sie schwebte grüßend und verheißend bei mir vorüber.



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