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Dreizehntes Buch

Das scharlachfarbene Tier

I.

Leonardo besaß einen Weinberg in Fiesole bei Florenz. Ein Nachbar wollte ihm ein Stück dieses Besitzes wegprozessieren. Der Künstler, der sich damals in der Romagna befand, beauftragte Giovanni Beltraffio mit dieser Sache und berief ihn Ende März 1503 zu sich nach Rom.

Unterwegs machte Giovanni einen Abstecher nach Orvieto, um sich die berühmten, eben erst vollendeten Fresken Luca Signorellis im Dome anzusehen. Eine dieser Fresken stellte die Ankunft des Antichrist dar.

Giovanni war über das Gesicht des Antichrist sehr erstaunt. Zuerst erschien es ihm böse; als er es aber genauer angeschaut hatte, sah er, daß es nicht Bosheit, sondern unendliches Leid ausdrückte. Die klaren Augen mit dem schweren und sanften Blick spiegelten die letzte Verzweiflung der Weisheit, die sich von Gott losgesagt hat. Trotz seiner häßlichen spitzen Satyrohren und der gekrümmten Finger, die Tierkrallen glichen, war er schön. Und Giovanni sah, wie einst in seiner Fieberphantasie, unter diesem Gesicht ein anderes göttliches Gesicht, das dem ersten entsetzlich glich, hervorlugen. Er wollte es erkennen und wagte es nicht.

Auf dem gleichen Bilde war links der Untergang des Antichrist dargestellt. Der Feind des Herrn war auf unsichtbaren Flügeln in den Himmel geflogen, um den Menschen zu zeigen, daß er der Menschensohn sei, der da in Wolken naht, um die Lebendigen und Toten zu richten. Ein Engel aber stürzte ihn in den Abgrund. Dieser mißlungene Flugversuch, diese menschlichen Flügel riefen in Giovanni die alten schrecklichen Gedanken über Leonardo wach.

Zugleich mit Giovanni stand vor den Fresken ein feister, gemästeter, etwa fünfzigjähriger Mönch und sein Begleiter, ein hagerer Mensch von unbestimmbarem Alter mit hungrigem und dabei lustigem Gesicht; seiner Kleidung nach ein herumziehender Kleriker von denen, die man in früherer Zeit fahrende Schüler, Vaganten oder Galiarden nannte.

Giovanni machte ihre Bekanntschaft und sie setzten die Reise zusammen fort. Der Mönch war ein Deutscher aus Nürnberg, gelehrter Bibliothekar an einem Augustinerkloster und hieß Thomas Schweinitz. Er reiste nach Rom, um einige Mißverständnisse über streitige Benefizien und Prebenden aufzuklären. Sein Reisegefährte war gleichfalls ein Deutscher; er stammte aus Salzburg, hieß Hans Plater und diente ihm als Sekretär, als Narr und Stallknecht zugleich.

Unterwegs sprachen sie über Kirchenangelegenheiten.

Mit großer Ruhe und wissenschaftlicher Klarheit bewies Schweinitz die Unhaltbarkeit des Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes und versicherte, daß in höchstens zwanzig Jahren ganz Deutschland sich erheben und das Joch der römischen Kirche abschütteln würde.

»Dieser wird nie sein Leben für den Glauben opfern,« dachte sich Giovanni, das satte, runde Gesicht des Nürnberger Mönches betrachtend, »er wird nie gleich Savonarola ins Feuer gehen, wer weiß, vielleicht aber ist er der Kirche noch gefährlicher.«

Bald nach seiner Ankunft in Rom begegnete Giovanni eines Abends auf dem Petersplatze dem Hans Plater. Der fahrende Schüler führte ihn in die nahe Sinibaldi-Gasse, wo sich eine Menge Herbergen für deutsche Pilger befanden, sie kehrten in dem kleinen Weinkeller zum Silbernen Igel ein, der dem Böhmen Jan dem Lahmen, einem Hussiten, gehörte. Dieser nahm in seinem Keller seine Gesinnungsgenossen gastfreundlich auf und bewirtete sie mit auserlesenen Weinen. Außerdem versammelten sich hier die heimlichen Feinde des Papstes, die Freigeister, die die große Erneuerung der Kirche herbeiwünschten, und deren Zahl von Tag zu Tag anwuchs.

Jan hatte in seinem Wirtshaus ein Hinterstübchen, in das nur die Auserwählten eingelassen wurden, hier war eine große Gesellschaft versammelt. Thomas Schweinitz saß auf dem Ehrenplatz, am oberen Ende der Tafel, den Rücken an ein Weinfaß gelehnt, die dicken Hände auf dem dicken Bauche gefaltet, sein aufgedunsenes Gesicht mit dem Doppelkinn war unbeweglich. Die kleinen, vom Trinken trüben Augen fielen zu; er hatte wohl über den Durst getrunken. Ab und zu näherte er sein Glas der Kerzenflamme und ergötzte sich an dem blaßgoldenen Glanze des Weines im geschliffenen Kristallbecher.

Ein Mönch, namens Fra Martino, der zufällig in die Gesellschaft hineingeraten war, erging sich in seiner Entrüstung über die Bestechlichkeit der Kurie in eintönigen Lamentationen:

»Das läßt man sich einmal, höchstens zweimal gefallen. Aber immer und immer wieder blechen – wer hält es auf die Dauer aus? Besser ist es, Straßenräubern in die Hände zu fallen, als den hiesigen Prälaten. Es ist ja Raub am hellichten Tage! Den Penitentiarius muß man bestechen, und den Protonotarius, und den Cubicularius, den Hostiarius, den Stallknecht, den Koch und den Mann, der bei ihrer Hochwürden, der Mätresse des Kardinals, die Nachttöpfe leert. Daß Gott verzeihe! Es ist genau so, wie es im Liede heißt:

Ihren Christ verkaufen sie
Die Ischariote.«

Hans Plater erhob sich mit feierlicher Miene. Als alle verstummt waren und auf ihn die Blicke gerichtet hatten, rezitierte er gedehnt, wie man in der Kirche die Evangelien liest:

»Da traten zum Papste seine Schüler, die Kardinäle, und fragten ihn: ›Was sollen wir tun, um gerettet zu werden?‹ Alexander antwortete und sprach: ›Warum fraget ihr noch? Es steht geschrieben und ich wiederhole es euch: Du sollst Gold und Silber mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele und den Reichen wie dich selbst lieben, wenn ihr dies befolgt, werdet ihr lang leben auf Erden.‹ Und der Papst setzte sich auf seinen Thron und sagte: ›Selig sind die Reichen, denn sie können mein Antlitz schauen? Selig sind, die da Gaben bringen, denn ich nenne sie meine Söhne; selig sind, die da im Namen des Goldes und des Silbers nahen, denn ihrer ist die päpstliche Kurie, wehe dem Armen, der mit leeren Händen kommt; ihm wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäufet würde im Meer, da es am tiefsten ist.‹ Und die Kardinäle antworteten und sprachen: ›Dieses werden wir erfüllen.‹ Und der Papst sprach: ›Meine Kinder, ich gebe euch ein Beispiel; wie ich die Lebenden und Toten ausgeraubt habe, so sollt ihr es auch tun.‹«

Alle lachten. Der Orgelbauer Otto Marpurg, ein ehrwürdig aussehender Greis, mit einem kindlichen Lächeln auf dem Gesicht, der bisher stumm in einem Winkel gesessen hatte, holte aus der Tasche einige sorgfältig zusammengefaltete Blätter hervor und machte den Vorschlag, eine soeben in Rom erschienene und in zahlreichen Abschriften verbreitete Satire auf Alexander VI. vorzulesen. Die Satire hatte die Form eines anonymen Briefes an den Würdenträger Paolo Savelli, der zum Kaiser Maximilian geflohen war, um den Verfolgungen des Papstes zu entrinnen. Sie enthielt ein langes Register aller im Hause des Heiligen Vaters verübten Greuel und Schandtaten, von der Simonie bis zum Brudermord Cesares und der Blutschande des Papstes mit seiner eigenen Tochter Lucrezia. Das Schreiben schloß mit einer Aufforderung an alle Fürsten Europas sich zu vereinigen und diese »Ungeheuer, Tiere in Menschengestalt« zu vernichten.

»Der Antichrist ist gekommen, denn der Glaube und die Kirche des Herrn haben noch nie solche Feinde gehabt, wie es Alexander VI. und sein Sohn Cesare sind.«

Nach diesem Vortrag wurde die Frage, ob der Papst wirklich der Antichrist sei, erörtert.

Die Meinungen waren verschieden. Der Orgelbauer Otto Marpurg gestand, daß er sich schon viel mit dieser Frage abgegeben hätte und zu dem Ergebnis gekommen sei, daß nicht der Papst, sondern sein Sohn Cesare, der, wie allgemein angenommen wurde, nach dem Tode des Vaters Papst werden sollte, der wahre Antichrist sei. Fra Martino behauptete, indem er sich auf einen Passus im Buche »Die Himmelfahrt Isais« berief, daß der Antichrist zwar Menschengestalt haben, in Wirklichkeit aber kein Mensch, sondern ein körperloser Geist sein werde, denn auch nach den Worten des heiligen Cyrillus von Alexandrien sei »der Sohn der Verderbnis, der da in der Finsternis naht und Antichrist genannt wird, – der Satan selbst, der große Drache, der Engel Belial, der Herr der Erde, der in diese Welt gekommen ist«.

Thomas Schweinitz wandte kopfschüttelnd ein:

»Ihr irrt, Fra Martino. Johannes Chrysostomos sagt ja ausdrücklich: ›Wer ist dieser? Der Satan? – Keineswegs, sondern ein Mensch, der alle Macht des Satans angenommen hat, denn in ihm sind zwei Naturen vereinigt: die menschliche und die teuflische.‹ Übrigens ist weder der Papst, noch Cesare der Antichrist, denn dieser muß der Sohn einer Jungfrau sein ...«

Zur Bekräftigung seiner Ansicht zitierte Schweinitz einen Passus aus dem Werke des Hyppolitus »vom Ende der Welt«, und die Worte Ephraims des Syrers: »Der Teufel wird eine Jungfrau aus dem Stamme Dans verführen, die wollüstige Schlange wird in ihren Leib eindringen, und sie wird empfangen und gebären.«

Alle wandten sich nun mit ihren Zweifeln und Fragen an Schweinitz. Der Mönch erzählte ihnen von der Ankunft des Antichrist, wobei er sich auf die heiligen Hieronymus, Cyprianus, Irenäus und viele anderen Kirchenväter berief.

»Die einen behaupten, daß er wie Christus in Galiläa, die anderen, daß er in der großen Stadt, die man im Geiste Babylon oder Sodom und Gomorrha nennt, geboren werden wird. Sein Gesicht wird wie das Gesicht eines Werwolfes sein und vielen als das Antlitz Christi erscheinen. Er wird viele Zeichen und Wunder tun. Er wird befehlen, und das Meer wird stille werden, er wird befehlen, und die Sonne wird erlöschen, die Berge werden sich verrücken und Steine zu Broten verwandelt werden. Er wird die Hungrigen speisen, die Kranken, die Stummen, die Blinden und die Lahmen heilen. Ob er auch die Toten auferwecken wird, weiß ich nicht; im dritten Sibyllinischen Buch heißt es zwar, er würde sie auferwecken, doch die heiligen Kirchenväter bezweifeln es. Ephraim sagt: ›Über die Geister hat er keine Gewalt – Non habet postestatem in Spiritus.Und alle Völker von allen vier Winden werden zu ihm strömen, auch Gog und Magog werden kommen, und die Erde wird weiß werden von ihren Zelten, und das Meer von ihren Segeln. Und er wird sie um sich versammeln und wird zu Jerusalem im Tempel des allerhöchsten Gottes thronen und sprechen: ›Ich bin der Seiende, ich bin Sohn und Vater.‹«

»Sieh mal einer an! So ein verfluchter Hund!« rief Fra Martino, der sich nicht länger beherrschen konnte, mit der Faust auf den Tisch schlagend. – »Wer wird ihm denn glauben? Ich meine, Fra Thomas, daß selbst unmündige Kinder nicht auf den Schwindel hereinfallen werden!«

Thomas schüttelte wieder den Kopf.

»Viele werden ihm glauben und von der Larve der Heiligkeit verführt werden. Denn er wird sein Fleisch abtöten, Keuschheit bewahren, sich mit keinem Weibe verunreinigen, kein Fleisch essen und nicht nur gegen Menschen, sondern auch gegen Tiere und alle Geschöpfe barmherzig sein, wie ein Waldhuhn wird er eine fremde Brut mit trügerischen Worten in sein Nest locken und sagen: ›Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken ...«

»Wenn es so ist, wer wird ihn dann erkennen und überführen?« fragte Giovanni.

Der Mönch sah ihn lange durchdringend an und antwortete:

»Ein Mensch kann es nicht, vielleicht nur Gott. Selbst die Gerechtesten unter den Gerechten werden ihn nicht erkennen, denn ihr Geist wird getrübt werden und ihre Gedanken werden verwirrt werden und sie werden nicht unterscheiden, wo Licht und wo Finsternis ist. Und eine Trauer, wie sie noch nie auf Erden war, wird die Völker der Erde befallen. Und die Menschen werden zu den Bergen sprechen: ›Fallet über uns und verberget uns.‹ Und sie werden in Angst und in Erwartung der Plagen, die über sie kommen, hinsterben, denn auch die himmlischen Kräfte werden erschüttert werden. Und dann wird der auf dem Throne im Tempel des allerhöchsten Gottes Sitzende sagen: ›Warum ist euch bange und was wollt ihr? Haben denn die Schafe die Stimme ihres Hirten nicht erkannt? Ihr seid ein falsches und hinterlistiges Geschlecht! Ihr wollt ein Zeichen sehen und ich werde euch ein Zeichen geben. Ihr werdet den Menschensohn schauen, der da in den Wolken nahet, um die Toten und Lebenden zu richten.‹ Da wird er große, mit teuflischer List eingerichtete Flügel nehmen und wird sich unter Donner und Blitz in den Himmel schwingen, von seinen Schülern, die Engelsgestalt annehmen werden, umgeben, und er wird fliegen ...« Giovanni hörte blaß, mit vor Schreck erstarrten Augen zu; er dachte an die weiten Falten im Gewande des vom Engel in den Abgrund gestürzten Antichrist auf dem Bilde Luca Signorellis und an ebensolche Falten, die Flügeln eines Riesenvogels gleich an den Schultern Leonardos im Winde flatterten, als er am Rande des Abgrundes auf dem öden Gipfel des Monte Albano stand.

Der Scholar, der kein Freund langer gelehrter Unterhaltungen war, hatte sich schon früher in das Gastzimmer zurückgezogen; dort erklang plötzlich Geschrei, Mädchenlachen, Getrampel, Lärm umgeworfener Stühle und Klirren zerschlagener Gläser: Hans, der bereits angeheitert war, vergnügte sich mit der hübschen Kellnerin.

Plötzlich wurde alles still, – wahrscheinlich hatte er sie eingefangen und geküßt und auf seine Knie gesetzt.

Zu den Tönen einer Laute erklang das alte Lied:

Holde Hebe, liebes Kind,
Wunderschöne Rosa,
Ave, ave sing ich dir
Virgo gloriosa!
Unser Wirt ist ja ein Schelm,
Wein verschmäht und Most er;
Wohler fühle ich mich hier,
Als in einem Kloster.
Vor des losen Amors Pfeil
Und vor Cypris Ketten
Kann uns weder die Tonsur,
Noch die Kutte retten.
Und für einen süßen Kuß
Geb ich hin mein Leben.
Holde Hebe, schenk mir ein
süßen Saft der Reben.
Kirchenväter fürcht' ich nicht,
Noch der Teufel Locken.
Übertönt in Rom das Gold
Doch die Kirchenglocken!

Rom ist jetzt ein Räubernest,
Eine trübe Pfütze.
Für die Kirche ist der Papst
Eine faule Stütze.
Liebes Mädchen, küsse mich!
Dum vinum potamus –
Bacchus, höre unser Lied:
Te deum laudamus!

Thomas Schweinitz lauschte andächtig dem Liede und sein fettes Gesicht erstrahlte in einem seligen Lächeln. Er erhob seinen Becher mit dem leuchtenden, blaßgoldenen Wein und fiel mit seiner hohen zitternden Stimme in das alte Lied der fahrenden Schüler, Vaganten und Galiarden, der ersten Empörer gegen die römische Kirche, ein:

Bacchus, höre unser Lied:
Te deum laudamus!

II.

Leonardo beschäftigte sich im Krankenhause San Spirito mit Anatomie. Beltraffio half ihm bei der Arbeit.

Er merkte, daß Giovanni immer traurig war, und um ihn etwas zu zerstreuen, versprach er ihm einmal, ihn gelegentlich ins Schloß des Papstes mitnehmen zu wollen.

Die Spanier und Portugiesen hatten sich um jene Zeit an Alexander VI. gewandt, damit er einige strittige Fragen über ihre Hoheitsrechte in den neuen, von Kolumbus entdeckten Ländern entscheide. Der Papst sollte endgültig jene Grenzlinie bestätigen, die er vor zehn Jahren, bei der ersten Nachricht von der Entdeckung Amerikas durch den Erdball gezogen hatte. Der Papst wollte wegen dieser Frage einige Gelehrte befragen und forderte u. a. auch Leonardo auf, an der Sitzung teilzunehmen.

Giovanni lehnte anfangs ab, mitzukommen. Doch siegte schließlich seine Neugier, denn er hatte große Lust, denjenigen zu sehen, über den er so viel gehört hatte.

Am nächsten Morgen gingen sie beide in den Vatikan. Durch den großen Saal der Hohenpriester, wo Alexander VI. seinem Sohn Cesare die Goldene Rose verliehen hatte, und durch einige weitere Gemächer gelangten sie in das Audienzzimmer, den Saal Christi und der Gottesmutter, und in das Arbeitszimmer des Papstes. Die Gewölbe und die halbrunden Räume zwischen den Schwibbogen waren mit Fresken von Pinturicchios Hand geschmückt. Es waren Darstellungen aus dem Neuen Testament und dem Leben der Heiligen.

Auf den gleichen Wänden hatte der Künstler auch heidnische Mysterien dargestellt. Der Sonnengott Osiris, Jupiters Sohn, steigt vom Himmel herab und vermählt sich mit Isis, der Göttin der Erde. Er lehrt die Menschen Ackerbau treiben, Früchte ernten, Weinreben pflanzen. Die Menschen töten ihn. Er steht wieder auf, steigt aus dem Grabe und erscheint den Menschen als der weiße Stier, der makellose Apis.

Wie sonderbar auch in den Räumen des römischen Pontifex diese Zusammenstellung von Bildern aus dem Neuen Testament mit der Vergötterung des Goldenen Stieres der Borgia in der Darstellung des Apis erschien, so wurden doch beide Mysterien, das des Sohnes Jehovas und das des Sohnes Jupiters, von der sie erfüllenden vollkommenen Freude am Dasein wieder ausgesöhnt. Junge, schlanke Zypressen bogen sich im Winde zwischen lieblichen Hügeln, die den Hügeln des sandigen Umbriens glichen; im Himmel schwebten Vögel, und sie umkreisten einander in lenzlichen Liebesspielen; neben der heiligen Elisabeth, welche die heilige Jungfrau mit dem Gruße »Gebenedeiet ist die Frucht deines Leibes« umarmte, lehrte ein kleiner Page einen Hund Männchen machen. Bei der Vermählung des Osiris mit der Isis ritt ein kleiner Knabe nackt auf einer Opfergans. So atmete alles die gleiche Freude. Zwischen den Blumengewinden, den Engeln mit Weihrauchfässern und Kreuzen, den bockbeinigen tanzenden Faunen mit Thyrsusstäben und Fruchtkörben, – überall wiederholte sich der geheimnisvolle Stier, das goldene und purpurne Tier, dem diese Freude wie einer Sonne zu entströmen schien.

»Was ist das?« fragte sich Giovanni. – »Ist es Gotteslästerung oder kindliche Einfalt? Ist denn im Gesichte der Elisabeth, die in ihrem Leibe das Kind hüpfen fühlt, und im Gesichte der Isis, die über dem getöteten Gott Osiris weint, nicht die gleiche heilige Rührung dargestellt? Gleicht denn nicht die Andacht Alexanders VI., der vor dem auferstehenden Herrn kniet, der Andacht der ägyptischen Priester, die den von den Menschen getöteten und als Apis auferstandenen Sonnengott empfangen?«

Jener Gott, vor dem die Menschen knien, Hymnen singen, dem sie Weihrauch darbringen, der heraldische Stier des Hauses Borgia, das neuerstandene goldene Kalb, war kein anderer, als der römische Pontifex selbst, von dem die Poeten sangen:

Caesare magna fuit, nunc Roma est maxima: Sextus Regnat Alexander; ille vir, iste Deus.

Groß war Rom unter Cäsar. Doch größer ist's jetzt: Alexander Borgia herrscht. Er ist Gott, Cäsar nur Mensch.

Diese friedliche Aussöhnung zwischen dem Gotte und dem Tiere erschien Giovanni schrecklicher als alle Widersprüche.

Er betrachtete die Fresken und lauschte zugleich den Gesprächen der Würdenträger und Prälaten, die in Erwartung des Papstes die Säle füllten.

»Woher kommt Ihr, Beltrando?« fragte Kardinal Arborea den Gesandten von Ferrara.

»Aus dem Dome, Monsignore.«

»Nun, wie steht's? Wie geht es Sr. Heiligkeit? Ist er nicht ermüdet?«

»Keine Spur. Er hat die Messe ganz wunderbar gesungen. Majestätisch, salbungsvoll, engelgleich! Mir schien, ich sei nicht mehr auf der Erde, sondern im Himmel unter den Heiligen. Als der Papst den Abendmahlskelch erhob, da kamen mir und auch vielen anderen Tränen.«

»An welcher Krankheit ist Kardinal Michele gestorben?« erkundigte sich der erst eben eingetroffene französische Gesandte.

»An Speise und Trank, die sein Magen nicht vertragen konnte,« antwortete leise der Datarius Don Juan Lopez, der, wie die meisten Hofbeamten Alexanders VI., ein Spanier war.

»Man sagt,« bemerkte Beltrando, »daß Se. Heiligkeit am Freitage, – Michele war am Donnerstag gestorben – den spanischen Gesandten nicht empfangen wollte. Er hatte ihn früher mit Ungeduld erwartet, doch ließ er sich mit dem Schmerz und der Sorge um den verstorbenen Kardinal entschuldigen.«

In diesen Gesprächen war alles doppelsinnig: so bestanden die Sorgen, die der Tod des Kardinals Michele dem Papste verursacht hatten, darin, daß er den ganzen folgenden Tag das Geld des Verstorbenen nachzählte; die Speise, die der Magen seiner Hochwürden nicht vertragen konnte, war das berühmte Gift der Borgia – ein weißes, süßes Pulver, das allmählich wirkte und seine tödliche Wirkung in einer genau vorauszubestimmenden Zeit ausübte, oder eine Abkochung aus getrockneten und fein zerriebenen spanischen Fliegen. Der Papst hatte selbst diese einfache und rasche Methode, sich Geld zu verschaffen, erfunden: er verfolgte aufmerksam die Einkünfte seiner Kardinale, und sobald er sah, daß einer genügend reich war; ließ er ihn bei der ersten besten Gelegenheit umbringen, um sich dann zum Erben zu erklären. Man sagte, er mäste sie, wie man Schweine zum Schlachten mästet. Der Zeremonienmeister, der Deutsche Johann Burchard, notierte jeden Augenblick in seinem Tagebuche neben den Beschreibungen von kirchlichen Feiern mit erstaunlicher Kürze den Tod dieses oder jenes Prälaten:

»Er hat den Kelch getrunken. – Biberat calicem.«

»Ist es wahr, Monsignori,« fragte der Camerarius Pedro Caranza, auch ein Spanier. – »Ist es wahr, daß heute nacht der Kardinal Monreale erkrankt ist?«

»Wirklich?« rief Arborea bestürzt. »Was fehlt ihm denn?«

»Ich weiß nichts Bestimmtes. Man sagt Übelkeit, Erbrechen ...«

»O Gott, Gott!« seufzte Arborea schwer auf und zählte an den Fingern ab: »Die Kardinäle Orsini, Ferrari, Michele, Monreale ...«

»Sollte vielleicht die hiesige Luft oder das Tiberwasser der Gesundheit Eurer Hochwürden schädlich sein?« fragte spöttisch Beltrando.

»Einer nach dem andern! Einer nach dem andern!« flüsterte Arborea erblassend. »Heute lebt noch der Mensch, und morgen ...«

Alle verstummten.

Eine neue Schar von Würdenträgern, Rittern, der vom Großneffen des Papstes, Don Rodrigez Borgia, befehligten Leibtrabanten, Camerarier, Cubicularier, Datarier und anderer Beamten der Apostolischen Kurie strömte aus den benachbarten großen Papagallo-Sälen in den Audienzsaal. Durch die Menge ging ein Flüstern:

»Der Heilige Vater, der Heilige Vater!«

Die Menge geriet in Bewegung und rückte auseinander, eine Straße freimachend. Die Türe ging auf und Papst Alexander VI. betrat den Audienzsaal.

III.

In seiner Jugend war er schön gewesen. Man erzählte, daß er die Fähigkeit besaß, mit einem einzigen Blick in einem Weibe Leidenschaft zu entfachen: als habe seinen Augen eine eigentümliche Kraft innegewohnt, die die Frauen anzog, wie der Magnet Eisen anzieht. Sein Gesicht war zwar vom Alter aufgedunsen, doch hatte es einen majestätischen Ausdruck bewahrt. Seine Gesichtsfarbe war dunkel, sein Schädel war kahl und hatte im Nacken einige Reste von grauen Haaren. Er hatte eine große Adlernase, ein herabhängendes Kinn, kleine lebhafte, schnelle Augen, die von ungewöhnlichem Leben erfüllt waren, und fleischige, weiche, vorstehende Lippen, die seinem Gesicht einen Ausdruck von Wollust, Tücke und zugleich kindlicher Einfalt verliehen.

Vergeblich suchte Giovanni in diesem Gesichte etwas Schreckliches oder Grausames. Alexander Borgia trug ein überaus feines höfisches Benehmen und eine angeborene Eleganz zur Schau. Was er auch sagte und tat, stets hatte man den Eindruck, daß alles nur so und nicht anders gesagt oder getan werden mußte.

»Der Papst ist siebzig Jahre alt,« berichtete einer der Gesandten, »doch scheint er mit jedem Tag jünger. Die schwersten Sorgen bedrücken ihn nicht länger als einen Tag; sein Temperament ist heiter. Bei allen Handlungen ist er nur um seinen Vorteil besorgt; er trachtet übrigens immer nach dem Ruhme und dem Glücke seiner Kinder.«

Die Borgia leiteten ihren Stammbaum von kastilischen Mauren, den Einwanderern aus Afrika ab; die dunkle Hautfarbe, die dicken Lippen und der brennende Blick Alexanders VI. schienen wirklich darauf hinzuweisen, daß in seinen Adern afrikanisches Blut fließe.

»Man könnte sich keine bessere Folie für ihn ausdenken,« dachte sich Giovanni, »als diese Fresken Pinturicchios, die den Triumph des alten Apis, des sonnengeborenen Stieres, darstellen.«

Der alte Borgia war trotz seiner siebzig Jahre gesund und stark wie ein junger Stier und schien wirklich ein Nachkomme seines Wappentieres, des purpurnen und goldenen Stieres zu sein, des Gottes der Sonne, Freude, Wollust und Fruchtbarkeit.

Alexander VI. betrat den Saal in Begleitung des jüdischen Goldschmieds Salomone da Sesso, der den Triumph des Julius Cäsar auf dem Schwerte Cesares dargestellt hatte. Ein besonderes Wohlwollen Sr. Heiligkeit hatte er sich damit erworben, daß er auf einem großen flachen Smaragd nach der Art der alten Gemmen eine Venus Kallipygos geschnitten hatte; diese hatte dem Papste so sehr gefallen, daß er den Edelstein in das Kreuz, mit dem er bei feierlichen Gottesdiensten im St. Peter-Dome das Volk zu segnen pflegte, fassen ließ, so oft er das Kruzifix küßte, küßte er die schöne Göttin.

Er war übrigens gar nicht gottlos; er beobachtete nicht nur alle äußeren kirchlichen Gebräuche, sondern er war auch im tiefsten Inneren seiner Seele wirklich gläubig; besonders verehrte er die heilige Jungfrau Maria, die er für seine ständige und eifrige Fürsprecherin vor Gott hielt.

Die Lampe, die er jetzt dem Juden Salomone bestellte, war für die Kirche Maria del Popolo bestimmt, der er sie für die Genesung der Madonna Lucrezia gelobt hatte.

Am Fenster sitzend, betrachtete er die verschiedenen Edelsteine. Er liebte sie mit wahrer Leidenschaft. Mit den feinen langen Fingern seiner schönen Hand berührte er sie ganz leise und musterte einen nach dem andern, wobei er seine dicken Lippen mit dem Ausdrucke von Begierde und Wollust vorschob.

Am besten gefiel ihm ein großer Chrysopras, der dunkler als ein Smaragd war und in geheimnisvollen goldenen und purpurnen Strahlen spielte.

Er ließ aus seiner eigenen Schatzkammer eine Schatulle mit Perlen bringen.

So oft er die Schatulle öffnete, mußte er an seine geliebte Tochter Lucrezia, die einer blassen Perle glich, denken. Er entdeckte unter den anwesenden Würdenträgern den Gesandten seines Schwiegersohns, des Herzogs Alfonso d'Este von Ferrara, und winkte ihn zu sich heran.

»Vergiß also nicht, Beltrando, das Geschenk für Madonna Lucrezia mitzunehmen. Es wäre nicht schön, wenn du zu ihr mit leeren Händen vom Onkel heimkehrtest.«

Er nannte sich »Onkel«, weil Madonna Lucrezia in offiziellen Schriftstücken nicht die Tochter, sondern die Nichte Sr. Heiligkeit genannt wurde: der Heilige Vater durfte keine legitimen Kinder haben.

Er wühlte in der Schatulle herum, holte eine große, längliche rosafarbige indische Perle, in der Größe einer Haselnuß, von unschätzbarem Wert heraus, hob sie gegen das Licht und betrachtete sie mit entzückten Blicken: er sah, wie schön sie sich im tiefen Ausschnitt des schwarzen Kleides auf dem mattweißen Busen Lucrezias ausnehmen würde; er schwankte plötzlich, ob er diese Perle der Herzogin von Ferrara oder der heiligen Jungfrau schenken solle. Es fiel ihm aber ein, daß es sündhaft sei, der Himmelskönigin das gelobte Geschenk zu versagen; er übergab daher die Perle dem Juden mit der Weisung, sie an der sichtbarsten Stelle der Lampe zwischen dem Chrysopras und dem Karfunkel, einem Geschenk des Sultans, einzusetzen.

»Beltrando,« wandte er sich wieder an den Gesandten, »wenn du die Herzogin siehst, so sage ihr, daß ich ihr Gesundheit wünsche und sie bitte, inbrünstig zur Himmelskönigin zu beten. Was Uns betrifft, so befinden Wir Uns, wie du es selbst siehst, dank der Gnade Gottes und der heiligen Jungfrau, Unserer ständigen Fürsprecherin, beim besten Wohlsein, und wir senden ihr Unsern apostolischen Segen. – Das Geschenk für sie bekommst du noch heute abend eingehändigt.«

Der spanische Gesandte warf einen Blick in die Schatulle und sagte ehrfurchtsvoll:

»Noch nie im Leben habe ich eine solche Menge Perlen gesehen. Ich glaube, hier werden mindestens sieben Weizenmaße sein?«

»Acht und einhalb!« berichtigte der Papst stolz. »Auf meine Perlen kann ich wirklich stolz sein. Ich sammele sie seit zwanzig Jahren. Meine Tochter ist ja eine große Liebhaberin von Perlen ...«

Er kniff das linke Auge zusammen und lachte leise und sonderbar.

»Die Kleine weiß, was ihr steht. Ich will,« fügte er feierlich hinzu, »daß meine Lucrezia nach meinem Tode die schönsten Perlen in Italien haben soll!«

Er versenkte beide Hände in die Perlen, ließ sie sich durch die Finger gleiten und ergötzte sich an den zarten matten Körnern, die mit blassem Glanz und leisem Knistern herabfielen.

»Alles, alles ist für unsere vielgeliebte Tochter!« wiederholte er, sich verschluckend.

Plötzlich bemerkte Giovanni in den brennenden Augen des Papstes einen Ausdruck, von dem es ihn kalt überlief, und er mußte an die Gerüchte von der ungeheuerlichen blutschänderischen Leidenschaft des alten Borgia zu seiner leiblichen Tochter denken.

IV.

Seiner Heiligkeit wurde Cesare gemeldet.

Der Papst hatte ihn in einer wichtigen Angelegenheit zu sich berufen: der König von Frankreich hatte durch seinen Gesandten beim Vatikan seinen Unwillen über die feindseligen Absichten des Herzogs von Valentino gegen die Florentiner Republik, die unter dem Protektorate Frankreichs stand, ausdrücken und die Beschuldigung gegen Alexander VI. aussprechen lassen, daß er seinen Sohn in jenen Absichten unterstütze.

Als dem Papst sein Sohn gemeldet wurde, warf er dem französischen Gesandten einen heimlichen Blick zu, näherte sich ihm, nahm ihn unter den Arm, flüsterte ihm etwas zu und führte ihn, anscheinend ganz zufällig, zur Türe jenes Zimmers, wo Cesare wartete. Hier ließ er den Gesandten stehen und trat ins Zimmer zu Cesare, wobei er die Türe, anscheinend gleichfalls zufällig, etwas offen ließ, so daß alles, was er mit Cesare besprach, von denen, die in der Nähe der Türe standen und auch vom französischen Gesandten gehört werden mußte.

Bald hörte man den Papst zornig schreien.

Cesare antwortete ihm anfangs ruhig und ehrfurchtsvoll. Der Alte aber stampfte mit den Füßen und schrie ihn wütend an:

»Fort aus meinen Augen! Erhängen sollst du dich, du Hundesohn, du Hurenkind! ...«

»Ach, mein Gott! Hört Ihr?« flüsterte der französische Gesandte dem neben ihm stehenden venezianischen Oratore Antonio Giustiniani zu. – »Sie werden noch raufen, der Papst wird ihn schlagen!«

Giustiniani zuckte die Achseln, denn er wußte, daß eher der Vater vom Sohne Schläge bekommen würde, als umgekehrt. Seit der Ermordung des Herzogs von Gandia, des Bruders von Cesare, zitterte der Papst vor seinem Sohn, und dabei liebte er ihn noch zärtlicher als zuvor; zum abergläubischen Grauen gesellte sich der väterliche Stolz. Alle wußten noch, wie Cesare einmal den jungen Camerarius Perotto, der sich vor seinem Zorne im Gewande des Papstes versteckt hatte, an der Brust des Vaters erstach, so daß das Blut des Dieners diesem ins Gesicht spritzte.

Giustiniani erriet, daß der jetzige Streit nur Betrug sei: sie wollten offenbar den Gesandten gänzlich verwirren und ihm zeigen, daß, wenn der Herzog auch feindselige Absichten gegen die Republik hege, der Papst ihnen jedenfalls ferne stehe. Giustiniani behauptete, daß sie einander in allen Dingen behilflich seien: der Vater täte nie das, was er sagte, und der Sohn sage nie das, was er täte.

Der Papst drohte dem forteilenden Herzog mit seinem väterlichen Fluche und mit einer Exkommunikation und kehrte, zitternd vor Aufregung, um Atem ringend und den Schweiß aus seinem geröteten Gesichte wischend, ins Audienzzimmer zurück. In der Tiefe seiner Augen aber leuchtete etwas wie heimliche Lust.

Er ging auf den französischen Gesandten zu, nahm ihn wieder beiseite und führte ihn diesmal in die Nische der Türe zum Belvedere.

»Ew. Heiligkeit,« begann der höfliche Franzose, sich entschuldigend, »ich wollte durchaus nicht Euren Zorn heraufbeschwören ...«

»Habt Ihr es denn gehört?« fragte der Papst mit einfältigem Erstaunen. Er ließ den bestürzten Gesandten nicht zur Besinnung kommen, faßte ihn väterlich am Kinn – was ein Zeichen seines besondern Wohlwollens war – und begann rasch und fließend, mit großer Leidenschaftlichkeit von seiner Ergebenheit gegen den König und von der Lauterkeit der Absichten des Herzogs zu sprechen.

Der Gesandte hörte ganz verdutzt und bestürzt zu. Er hatte zwar unwiderlegliche Beweise des Betruges in Händen, doch hätte er in diesem Augenblick eher seinen eigenen Augen mißtraut, als dem Gesichtsausdrucke, den Augen und der Stimme des Papstes.

Der alte Borgia log ganz natürlich. Er legte sich seine Lügen nie im voraus zurecht; sie kamen über seine Lippen ganz von selbst, ebenso unschuldig und beinahe unwillkürlich, wie bei einem verliebten Weibe. Er hatte sich diese Fähigkeit durch langjährige Übungen angeeignet und schließlich eine solche Fertigkeit erreicht, daß man ihm glauben mußte, obwohl alle wußten, daß er log und daß der Papst, wie sich Machiavelli ausdrückte, »um so mehr Eide leistete, je weniger er erfüllen wollte«; das Geheimnis der Wirkung seiner Lügen bestand eben darin, daß er auch selbst an sie glaubte, wie ein Künstler an seine Phantasiegebilde.

V.

Als der Gesandte abgefertigt war, wandte sich Alexander VI. zu seinem ersten Sekretär Francesco Remolino da Ilerda, dem Kardinal von Perugia, der einst der Verurteilung und Hinrichtung des Fra Girolamo Savonarola beigewohnt hatte. Dieser hatte eine bis auf die Unterschrift fertige Bulle über die Einführung der geistlichen Zensur mitgebracht. Diese Bulle war vom Papst selbst entworfen und verfaßt. Es hieß in ihr u. a.:

»Wenn wir auch den Nutzen der Druckpresse, als einer Erfindung, die die Wahrheit verewigt und sie allen zugänglich macht, voll anerkennen, so müssen wir doch an den Schaden denken, der der Kirche aus freigeisterischen und verführerischen Werken entstehen kann. Daher verbieten wir, ein Buch ohne Genehmigung der geistlichen Obrigkeit, des Kreisvikars oder des Bischofs zu drucken.«

Nachdem die Bulle vorgelesen war, musterte der Papst die Reihen der Kardinäle und richtete an sie die übliche Frage:

» Quo videtur? Was ist eure Ansicht?«

»Sollte man vielleicht außer gegen die gedruckten Bücher,« schlug Arborea vor, »auch gegen handschriftlich vervielfältigte Werke, wie den anonymen Brief an Paolo Savelli, Maßregeln ergreifen?«

»Ich kenne den Brief,« unterbrach ihn der Papst, »Ilerda zeigte ihn mir.«

»Wenn Ew. Heiligkeit ihn schon kennen ...«

Der Papst sah ihm gerade in die Augen. Der Kardinal stutzte.

»Du wolltest wohl fragen, warum ich keine Untersuchung gegen den Schuldigen eingeleitet habe? Mein Sohn, warum sollte ich meinen Ankläger verfolgen, da er doch nichts als die reine Wahrheit gesprochen hat?«

»Heiliger Vater!« rief Arborea entsetzt aus.

»Jawohl,« fuhr Alexander VI. mit feierlicher und eindringlicher Stimme fort, – »mein Ankläger hat recht! Ich bin der letzte der Sünder, ein Dieb, ein Wucherer, ein Ehebrecher, ein Mörder! Ich zittere und weiß nicht, wohin ich mein Gesicht vor dem Gericht der Menschen verbergen soll; was werde ich erst vor dem schrecklichen Gericht Christi, da auch der Gerechte kaum der Strafe entrinnen wird, anfangen? ... Doch der Herr lebt und meine Seele lebt! Auch für mich Verdammten ist mein Heiland mit Dornen gekrönt, verspottet und gekreuzigt worden, auch für mich ist er am Kreuze gestorben! Ein Tropfen von seinem Blut genügt, um auch einen solchen Sünder, wie ich es bin, reiner als Schnee zu waschen, wer von euch, meine Brüder und Ankläger, hat die Tiefe der göttlichen Barmherzigkeit erforscht, um mir sagen zu können: Du bist verdammt? Die Gerechten mögen sich vor dem Gerichte rechtfertigen; uns Sündern steht nur der Weg der Umkehr und Reue offen, denn wir wissen, daß es ohne Sünde keine Reue, ohne Reue keine Rettung gibt. Ich werde sündigen und Buße tun, und wieder sündigen und wieder über meine Sünden weinen, wie der Zöllner und wie die Buhlerin. O Herr, ich bekenne deinen Namen, wie der Schächer am Kreuze! Und wenn mich nicht nur die Menschen, die vielleicht ebenso sündig sind, wie ich, sondern auch die Engel und alle himmlischen Kräfte und Mächte verurteilen und sich von mir abwenden, so werde ich doch nicht schweigen, sondern immer meine Fürsprecherin, die heilige Jungfrau, anrufen; denn ich weiß, daß sie mich begnadigen wird! ...«

Sein dicker Leib wurde von dumpfem Schluchzen erschüttert und er, streckte seine Hände zu dem von Pinturicchio über der Türe gemalten Muttergottesbilde aus. Viele glaubten, daß der Künstler, dem Wunsche des Papstes entsprechend, dieser Madonna die Züge der schönen Römerin Julia Farnese, der Geliebten seiner Heiligkeit, der Mutter Cesares und Lucrezias, verliehen hätte.

Giovanni sah und hörte und konnte unmöglich begreifen: war es Theater oder Glauben? Oder vielleicht beides zugleich?

»Eines will ich euch, meine Freunde, noch sagen,« fuhr der Papst fort, »doch nicht zu meiner Rechtfertigung, sondern zum Ruhme des Herrn. Der Verfasser des Briefes an Paolo Savelli nennt mich auch einen Ketzer. Der lebendige Gott sei mein Zeuge, daß ich darin unschuldig bin! Ihr selbst ...doch ihr werdet mir ja nie die reine Wahrheit sagen, – aber du, Ilerda, – ich weiß, daß du mich liebst und mein Herz siehst, auch bist du kein Schmeichler, – also sage du mir, Francesco, ganz aufrichtig, bin ich der Ketzerei schuldig?«

»Heiliger Vater,« erwiderte der Kardinal mit tiefer Rührung, »kann ich denn dein Richter sein? Selbst deine ärgsten Feinde, wenn sie nur das Werk Alexanders VI. ›Das Schild der heiligen Römischen Kirche‹ gelesen haben, werden zugeben müssen, daß du der Ketzerei nicht schuldig bist.«

»Hört ihr?« rief der Papst aus, auf Ilerda weisend und wie ein Kind triumphierend, »wenn er mich freispricht, so wird mich auch Gott freisprechen, von anderen Sünden spreche ich nicht, aber der Freigeisterei, der aufrührerischen Weisheit dieser Zeit und der Ketzerei bin ich nicht schuldig! Ich habe meine Seele mit keinem gottlosen Gedanken oder Zweifel verunreinigt. Unser Glaube ist rein und unerschütterlich. – Diese Bulle von der geistlichen Zensur sei ein neues demantenes Schild zum Schutze der Kirche des Herrn!«

Er ergriff die Feder und setzte auf das Pergament mit seiner großen, kindlich plumpen, doch majestätischen Handschrift die Worte:

» Fiat. Alexander Sextus episcopus servus servorum Dei. – Es geschehe. Alexander VI., Bischof, Knecht der Knechte des Herrn.«

Zwei Zisterziensermönche aus dem apostolischen Kollegium der »Siegeler« – Piombatore, befestigten an der Bulle mittels einer Seidenschnur, die durch einen Einschnitt im Pergament gezogen war, eine Bleikugel und drückten diese mit einer eisernen Zange zu einem flachen Siegel, mit dem Namen des Papstes und einem Kreuze, zusammen.

»Herr, nun lässest du deinen Diener im Frieden fahren!« flüsterte Ilerda, seine eingefallenen Augen, in denen wahnsinniger Eifer brannte, zum Himmel erhebend.

Er glaubte wirklich, daß, wenn man auf eine Wagschale alle Schandtaten des Borgia legte und auf die andere – diese Bulle von der geistlichen Zensur, so würde die letztere überwiegen.

VI.

Dem Papste näherte sich sein geheimer Cubicularius und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Borgia verließ mit besorgter Miene den Saal, ging ins Nebenzimmer und gelangte von da aus durch eine kleine unter Wandteppichen verborgene Türe in einen schmalen Gang, der von einer Hängelaterne beleuchtet war. Hier erwartete ihn der Koch des vergifteten Kardinals Monreale. Alexander VI. war nämlich zu Ohren gekommen, daß die dem Kardinal verabreichte Menge Gift sich als ungenügend erwiesen hatte und der Kranke genesen könnte.

Nachdem der Papst den Koch ausgefragt hatte, gewann er die Überzeugung, daß der Kardinal, trotz der vorübergehenden Besserung in seinem Befinden, in zwei oder drei Monaten sterben werde. Dies war nur vorteilhaft, denn so wurde jeder Verdacht beseitigt.

»Und doch ist es um den Alten schade!« dachte er. »Er war so lustig, ein angenehmer Gesellschafter und ein treuer Sohn der Kirche.«

Er seufzte zerknirscht auf, ließ den Kopf hängen und schob gutmütig seine dicken, fleischigen Lippen vor.

Der Papst log nicht: der Kardinal tat ihm wirklich leid, und er wäre glücklich, wenn er ihm sein Geld wegnehmen könnte, ohne ihm etwas zuleide zu tun.

Er begab sich wieder in den Audienzsaal. Als er aber unterwegs im Saale der Freien Künste, der zuweilen als Speisesaal für die Mittagstafel im engen Freundeskreise diente, eine gedeckte Tafel sah, spürte er plötzlich Appetit.

Die Teilung der Erdkugel wurde für den Nachmittag verschoben. Se. Heiligkeit lud die Gäste zur Tafel.

Der Tisch war mit blühenden weißen Lilien in Kristallgläsern geschmückt. Der Papst liebte diese Blume der Verkündigung, weil ihre jungfräuliche Schönheit ihn an Lucrezia gemahnte.

Die Gerichte waren recht bescheiden: Alexander VI. zeichnete sich durch Mäßigkeit in Speise und Trank aus.

Giovanni, der unter den Kammerdienern stand, lauschte der Unterhaltung am Tische.

Der Datarius Don Juan Lopez brachte die Rede auf den heutigen Streit Sr. Heiligkeit mit Cesare und begann den letzteren eifrig zu verteidigen, als ob er gar nicht wüßte, daß das Ganze nur Komödie gewesen war.

Alle stimmten ihm zu und sprachen von den Tugenden Cesares.

»Ach nein, nein! Redet nicht von ihm!« sagte der Papst kopfschüttelnd, zugleich zärtlich und mißbilligend. »Ihr wißt gar nicht, meine Freunde, was für ein Mensch er ist! Jeden Tag erwarte ich irgendeinen tollen Streich von ihm. Wir werden es noch erleben, daß er uns alle ins Unglück stürzt und auch sich selbst den Hals bricht ...«

In seinen Augen leuchtete väterlicher Stolz.

»Wem mag er wohl nachgeraten sein? Mich kennt ihr ja: ich bin ein einfacher Mensch, ohne Hintergedanken. Was ich auf dem Herzen habe, das habe ich auch auf der Zunge. Aber Cesare tut immer so geheimnisvoll und verschlossen. Gott allein weiß, was er vor hat. Ihr könnt es mir glauben, Messere: wenn ich ihn anschreie oder auf ihn schimpfe, muß ich oft selbst vor ihm zittern. Ich fürchte mich vor meinem eigenen Sohn! Er ist zwar immer höflich, sogar übertrieben höflich, doch hat er zuweilen einen Blick, daß es einem einen Stich ins Herz gibt ...«

Die Gäste verteidigten nun Cesare mit doppeltem Eifer.

»Ja, ich weiß, ich weiß,« sagte der Papst mit schlauem Lächeln, »ihr liebt ihn alle wie einen Sohn und nehmt ihn immer gegen Uns in Schutz ...«

Alle verstummten, denn sie wußten nicht, welches Lob er von ihnen noch erwarte.

»Ihr sagt alle: er ist so und so,« fuhr der Greis fort, und in seinen Augen leuchtete aufrichtiges Entzücken, »ich will es euch aber offen sagen: niemand von euch weiß, was Cesare bedeutet! Hört, meine Kinder, ich will euch das Geheimnis meines Herzens eröffnen. Ich verherrliche in ihm nicht mich, sondern die göttliche Vorsehung. – Es gibt zwei Rom. Das eine versammelte alle Völker und Geschlechter der Erde unter die Gewalt seines Schwertes, wer aber ein Schwert ergreift, muß auch durch ein Schwert umkommen. So mußte dieses Rom untergehen. Die einigende Macht ging unter und die Völker zerstreuten sich über die Erde wie Schafe ohne einen Hirten. Ohne Rom kann aber die Welt nicht bestehen. Das neue Rom wollte die Völker unter die Gewalt des Geistes wieder vereinigen, doch die Völker kamen nicht, denn es steht geschrieben: ›Und er soll sie wieden mit einem eisernen Stabe.‹ Denn der geistige Stab allein hat keine Macht über die Völker. Ich bin der erste unter den Päpsten, der der Kirche des Herrn dieses Schwert, diesen eisernen Stab, mit dem die Völker geweidet und zu einer Herde versammelt werden, verliehen hat. Cesare – ist mein Schwert. Jetzt vereinigen sich beide Rom und beide Schwerter; der Papst soll Cäsar und Cäsar soll Papst sein, und im letzten ewigen Rom wird die Herrschaft des Geistes auf der Herrschaft des Schwertes ruhen!«

Der Greis verstummte und hob seinen Blick zur Decke, wo das scharlachfarbene Tier in goldenen Strahlen wie eine Sonne leuchtete.

Im Saale war es schwül geworden. Der Papst war bereits etwas berauscht, weniger vom Wein, als von den Gedanken über die Größe seines Sohnes.

Alle traten auf die Ringhiera, die in den Hof des Belvedere mündete.

Die päpstlichen Stallknechte führten gerade die Stuten und Hengste aus den Ställen.

»Laß einmal los, Alonso!« rief der Papst dem Oberstallknecht zu.

Jener verstand den Befehl und führte ihn sofort aus: Se. Heiligkeit liebte es, der Beschälung der Stuten zuzuschauen.

Die Tore der Stallungen wurden geöffnet; unter Peitschenknall und freudigem Gewieher lief in den Hof eine ganze Pferdeherde; die Hengste liefen den Stuten nach und deckten sie.

Von Kardinalen und anderen geistlichen Würdenträgern umgeben, ergötzte sich der Papst lange an diesem Schauspiele.

Allmählich verfinsterte sich aber sein Gesicht: er dachte daran, daß er noch vor wenigen Jahren dem gleichen Schauspiele in Gesellschaft der Madonna Lucrezia beigewohnt hatte. Er sah das Bild seiner Tochter wie lebendig vor sich: blond, mit blauen Äugen, mit etwas dicken, wollüstigen Lippen, die sie vom Vater hatte, frisch und zart wie eine Perle, unendlich gefügig und still, erkannte sie im Bösen nie das Böse und blieb im letzten Schrecken der Sünde rein und leidenschaftslos. An ihren jetzigen Mann, den Herzog Alfonso d'Este von Ferrara, dachte er mit Empörung und Haß. warum hatte er sie ihm hingegeben, warum hatte er dieser Ehe zugestimmt? ...

 

Er seufzte tief auf und ließ das Haupt sinken, als hätte er plötzlich auf seinen Schultern das Joch des Alters verspürt. Dann kehrte er in den Audienzsaal zurück.

VII.

Hier waren schon Globen, Karten, Zirkel und Kompasse vorbereitet: der Papst sollte jetzt den großen Meridian über den Erdball ziehen, dreihundertsiebzig portugiesische Leguen westlich von den Azorischen Inseln und dem Cap Verde. Man wählte diese Stelle, weil sich hier nach der Behauptung des Kolumbus »der Nabel der Erde« befand, der Ansatz des birnenförmigen Erdballs, der der Saugwarze einer Frauenbrust gleichende, in die Mondsphäre hineinragende Berg, von dessen Existenz ihn der Ausschlag der Magnetnadel, den er bei seiner ersten Reise an dieser Stelle beobachtet hatte, überzeugte.

Vom westlichsten Punkt der Küste Portugals einerseits und vom östlichsten Punkt der Küste Brasiliens andererseits wurden gleiche Entfernungen vom Meridian abgemessen. Die Längen dieser Strecken sollten später von Seefahrern und Astronomen mit großer Genauigkeit gemessen und in der Zahl der Tagereisen ausgedrückt werden.

Der Papst verrichtete ein Gebet, segnete den Erdball mit jenem Kreuze, in das der Smaragd mit der Venus Kallipygos eingesetzt war und zog mit einem in rote Tinte eingetauchten Pinsel durch den Atlantischen Ozean vom Nordpol zum Südpol die große Friedenslinie: alle bereits entdeckten, wie auch die noch unentdeckten Länder und Inseln östlich von dieser Linie fielen Spanien, die westlich von ihr, Portugal zu.

So zerschnitt er mit einer Handbewegung den Erdball wie einen Apfel in zwei Hälften und teilte ihn unter die christlichen Völker.

In diesem Augenblick glich der Papst – so schien es Giovanni – in seiner majestätischen Haltung, von seinem Machtbewußtsein erfüllt, jenem weltbeherrschenden Papst-Cäsar, dem Einiger der zwei Reiche des Erdenreiches und des Himmelreiches, dem kommenden Papste, den er vorhin bei der Tafel verkündet hatte.

Am Abend dieses Tages gab Cesare in seinen im Vatikan gelegenen Gemächern ein Fest zu Ehren Sr. Heiligkeit und der Kardinäle. Fünfzig von den schönsten römischen »edlen Buhlerinnen« – meretrices honestae – nahmen an dieser Veranstaltung teil.

Nach aufgehobener Tafel wurden die Türen und die Fensterläden geschlossen und die großen silbernen Armleuchter von den Tischen genommen und auf den Boden gesetzt. Cesare, der Papst und die Gäste warfen den Buhlerinnen gebratene Kastanien zu, die sie ganz nackt, auf allen Vieren zwischen den brennenden Wachskerzen herumkriechend, auflesen mußten. Sie balgten sich, lachten, schrien und glitten aus, und bald regte sich zu den Füßen Sr. Heiligkeit ein ganzer Haufen brauner, weißer und rosiger Leiber, vom grellen, von unten fallenden Lichte der heruntergebrannten Kerzen überflutet.

Der siebzigjährige Papst amüsierte sich wie ein Kind, er warf die Kastanien mit vollen Händen unter die Mädchen, klatschte und nannte die Dirnen seine »Vögelchen« und »Bachstelzen«.

Allmählich kam über sein Gesicht der gleiche Schatten wie nachmittags, als er auf der Ringhiera des Belvedere stand: er dachte daran, wie er sich im Jahre 1501 am Vorabende des Allerheiligenfestes in Gesellschaft seiner vielgeliebten Tochter Madonna Lucrezia am gleichen Kastanienspiele ergötzt hatte.

Zum Schlusse des Festes begaben sich die Gäste in die Privatgemächer Sr. Heiligkeit, in den Saal des Herrn und der Muttergottes. Hier wurde ein Liebeswettkampf zwischen den Buhlerinnen und den stämmigsten unter den romagnolischen Leibgardisten des Herzogs veranstaltet. Die Sieger erhielten Preise.

So wurde im Vatikan der denkwürdige Tag der Römischen Kirche: die Teilung der Erdkugel und die Einführung der geistlichen Zensur gefeiert.

Leonardo hatte diesem Feste beigewohnt und alles gesehen. Eine Einladung zu solchen Veranstaltungen galt als höchstes Huldzeichen, und man durfte sie unter keinen Umständen ablehnen.

Nach Hause zurückgekehrt, schrieb er noch in derselben Nacht in sein Tagebuch:

»Recht hat Seneka, welcher sagt: in jedem Menschen ist ein Gott mit einem Tiere zusammengekoppelt.«

Weiter schrieb er neben eine anatomische Zeichnung:

»Mir scheint, daß Menschen mit tierischen Seelen und gemeinen Leidenschaften des schönen und komplizierten Körperbaues, wie ihn auch Menschen von großem, beschaulichem Geist haben, nicht würdig sind. Für solche Menschen würde auch ein Sack mit zwei Öffnungen – die eine zur Aufnahme und die andere zur Ausscheidung der Nahrung – genügen; denn sie sind ja wirklich nichts anderes als eine Verdauungsmaschine für Speisen, und nur zum Füllen der Abortgruben tauglich. Nur durch Gesicht und Stimme gleichen sie den Menschen, sonst stehen sie aber tiefer als das Vieh.«

Am nächsten Morgen traf Giovanni den Meister in der Werkstätte, am heiligen Hieronymus malend.

In einer Höhle, die eher einer Löwengrube glich, kniete der Heilige vor einem Kruzifix und schlug sich mit einem Steine vor die Brust mit solcher Kraft, daß der gezähmte Löwe, der zu seinen Füßen lag, ihn mit offenem Rachen anstarrte und dabei wohl gedehnt und eintönig brüllte: das Tier schien Mitleid mit dem Menschen zu haben.

Giovanni mußte an ein anderes Bild Leonardos denken – an die weiße Leda mit dem weißen Schwan, an die Göttin der Wollust, die vor seinen Augen auf dem Scheiterhaufen Savonarolas von den Flammen verzehrt worden war. Und wieder und immer wieder fragte er sich: welcher von diesen beiden einander entgegengesetzten Abgründen liegt dem Herzen des Meisters näher? Oder sind ihm beide gleich nahe?

VIII.

Als der Sommer kam, trat in Rom eine Epidemie des pontischen Sumpffiebers – der Malaria – auf. Ende Juli und Anfang August verging fast kein einziger Tag, an dem nicht mindestens einer von den Beamten des Papstes starb.

In den letzten Tagen schien dieser unruhig und traurig. Es war aber nicht die Angst vor dem Tode, sondern seine alte Sehnsucht nach Madonna Lucrezia, was an seinem Herzen nagte. Er hatte auch schon früher Anfälle dieser Sehnsucht, die an Wahnsinn grenzte, gehabt; er glaubte, daß seine blinden, dumpfen Wünsche ihn erwürgen würden, wenn er sie nicht sofort erfüllte.

Er schrieb ihr Briefe und flehte sie an, wenigstens für einige Tage zu kommen; er hoffte, sie dann mit Gewalt zurückhalten zu können. Sie antwortete, ihr Mann lasse sie nicht reisen. Der alte Borgia hätte sich vor keinem Verbrechen gescheut, um diesen letzten und von ihm am meisten gehaßten Schwiegersohn zu vernichten, wie er schon die anderen Gatten Lucrezias vernichtet hatte. Doch mit dem Herzog von Ferrara war nicht zu spaßen, denn er hatte die beste Artillerie in ganz Italien.

Am 5. August besuchte der Papst den Kardinal Adrian auf dessen Landvilla. Beim Nachtmahl aß er trotz der Warnungen der Ärzte die von ihm bevorzugten gewürzten Speisen, trank dazu schweren sizilianischen Wein und erquickte sich lange an der gefährlichen Frische des römischen Abends.

Am nächsten Morgen fühlte er sich etwas unwohl, später, wurde erzählt, er hätte an diesem Tage, als er zufällig an ein offenes Fenster trat, zu gleicher Zeit zwei Leichenzüge gesehen – den eines seiner Camerieri und den des Messer Guglielmo Raymondo. Beide Männer waren bei Lebzeiten sehr beleibt gewesen.

»Diese Jahreszeit ist für uns Wohlbeleibte gefährlich!« soll der Papst gesagt haben.

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als eine Turteltaube zum Fenster hereinflog, gegen die Wand prallte und vom Schlage betäubt zu den Füßen Sr. Heiligkeit niederfiel.

»Ein schlimmes Vorzeichen! Ein schlimmes Vorzeichen!« flüsterte er erbleichend. Dann zog er sich in sein Schlafzimmer zurück.

Nachts bekam er Fieber und Erbrechen.

Die Ansichten der Ärzte waren verschieden: die einen nannten die Krankheit ein »tertiäres« Fieber, die anderen Gallensucht, die dritten – »Blutschlag«. In der Stadt munkelte man, der Papst sei vergiftet worden.

Mit jedem Tag schwanden seine Kräfte. Am 16. August entschloß man sich, das letzte Mittel anzuwenden: der Kranke bekam ein Pulver aus zerriebenen Edelsteinen, das aber machte seinen Zustand noch bedenklicher.

Nachts erwachte er und begann auf seiner Brust unter dem Hemd herumzutasten. Alexander VI. hatte in den letzten Jahren stets eine kleine Reliquienkapsel, in Form einer goldenen Kugel, mit Partikeln des Blutes und Leibes des Herrn mit sich herumgetragen. Die Astrologen versicherten ihm, daß er nicht sterben werde, solange er diese Kugel bei sich habe. Ob er sie selbst beiseite geschafft oder ob jemand aus seiner Umgebung, der seinen Tod wollte, sie gestohlen hatte, blieb ein Rätsel. Als er erfuhr, daß sie unauffindbar sei, schloß er hoffnungslos und ergeben die Augen und sagte:

»Ich muß also sterben. Es ist das Ende!«

Am Morgen des 17. August fühlte er tödliche Ermattung. Er ließ alle das Zimmer verlassen, rief seinen Lieblingsarzt, den Bischof von Vanosa, heran und befragte ihn nach der Heilmethode, die der jüdische Leibarzt des Papstes Innocenz VIII. erfunden haben sollte, und die darin bestand, daß man in die Adern des Sterbenden das Blut von drei Kindern fließen ließ.

»Ist es Ew. Heiligkeit bekannt,« fragte der Bischof, »welchen Erfolg dieses Experiment hatte?«

»Ich weiß, ich weiß,« lallte der Papst. – »vielleicht ist es aber nur deswegen mißlungen, weil man dazu sieben- und achtjährige Kinder genommen hatte; es heißt, daß es Säuglinge sein müssen ...«

Der Bischof erwiderte nichts. Die Augen des Kranken waren erloschen. Er phantasierte bereits:

»Ja, ganz kleine ... weiße ... Säuglinge ... Ihr Blut ist rein und rot ... Ich liebe ja die Kinder. Sinite parvulos ad me venire. Lasset die Kindlein zu mir kommen ...«

Diese Worte des sterbenden Statthalters Christi ließen selbst den abgestumpften und an alles gewöhnten Bischof erschaudern.

Der Papst suchte und tastete noch immer auf seiner Brust mit der einförmigen, hoffnungslosen und krampfhaften Bewegung eines Ertrinkenden nach der Kapsel mit dem Blute und dem Leibe des Herrn.

Während seiner Krankheit hatte er mit keinem Worte seiner Kinder gedacht. Auch die Nachricht, daß Cesare gleichfalls mit dem Tode kämpfe, ließ ihn kalt. Als man ihn fragte, ob er nicht seinen letzten Willen seinem Sohne oder seiner Tochter mitteilen lassen wolle, wandte er sich schweigend ab: diejenigen, die er sein Leben lang mit so wahnsinniger Liebe geliebt hatte, schienen für ihn nicht mehr zu existieren.

Freitag, den 18. August früh, beichtete er seinem Beichtvater, dem Bischof von Carinola Piero Gamboa, und empfing von ihm die Sterbesakramente.

Gegen Abend las man das Sterbegebet. Der Sterbende versuchte einige Mal etwas zu sagen oder ein Zeichen zu geben. Der Kardinal Ilerda neigte sich zu ihm und verstand die schwachen Töne, die von den Lippen des Papstes kamen:

»Rasch, rasch ... das Gebet zur Fürsprecherin ...« Obwohl dies Gebet nach dem Rituale gar nicht über einen Hinscheidenden gelesen werden sollte, erfüllte Ilerda doch die letzte Bitte seines Freundes und las das Stabat Mater Dolorosa:

Sei dem Kreuz mit nassen Wangen,
Wo ihr liebster Sohn gehangen,
Stand sie trostlos und allein.
Und in dem beklemmten Herzen
Drängten sich die Todesschmerzen
Gleich dem Dolche blutend ein.
Todesangst sank auf sie nieder,
Da sie die zerrissnen Glieder
Ihres liebsten Jesu sah!

 

Jungfrau, der Jungfrauen Zierde,
O durch deine Mutterwürde,
Litt ich, teil mir mit den Schmerz,
Daß ich meines Heilands Leiden,
Seinen Tod und bittres Scheiden
Immer nehme tief zu Herz!
Ich will auch das Kreuz umfangen
Und mit seinen Wunden prangen,
Als getreuer Liebespflicht.
Brennen diese Liebesflammen,
Wird er einst mich nicht verdammen,
Wenn die Mutter für mich spricht!

Die Augen Alexanders VI. erglänzten in einem unaussprechlichen Gefühl, als sähe er schon seine Fürsprecherin vor sich stehen. Mit der letzten Anstrengung streckte er seine Hände aus, fuhr zusammen, richtete sich halb auf, wiederholte mit erlahmender Zunge die Worte: »Wird er einst mich nicht verdammen, wenn die Mutter für mich spricht!« und sank tot in seine Kissen zurück.

IX.

In der gleichen Zeit schwebte auch Cesare zwischen Leben und Tod.

Sein Leibarzt, der Bischof Gaspare Torella, wandte bei ihm eine ganz ungewöhnliche Heilmethode an: er ließ einem Maultiere den Bauch aufschlitzen und den vom Fieberfrost geschüttelten Kranken in die blutenden und dampfenden Eingeweide des Tieres hineinstecken; gleich darauf wurde er in eiskaltes Wasser getaucht. Cesare überstand die Krankheit, was weniger den Heilmitteln, als seinem eisernen Willen zuzuschreiben war.

In diesen schrecklichen Tagen bewahrte er vollkommene Ruhe; er verfolgte die Tagesereignisse, nahm Vorträge entgegen, diktierte Briefe und erteilte Befehle. Als ihm der Tod des Papstes gemeldet wurde, ließ er sich durch einen geheimen Gang aus dem Vatikan in die Engelsburg tragen.

In der Stadt schwirrten die abenteuerlichsten Gerüchte über den Tod Alexanders VI. Der Gesandte von Venedig, Marino Sanuto, berichtete seiner Republik, daß der sterbende Papst kurz vor seinem Tode einen Affen gesehen hätte, der ihn neckte und im Zimmer umhersprang; als einer der Kardinale den Affen einfangen wollte, hätte der Papst entsetzt ausgerufen: »Laß ihn, laß; es ist ja der Teufel!« Andere erzählten, daß er vor dem Sterben die Worte: »Ich komme, ich komme, warte noch einen Augenblick!« wiederholt hatte: im Konklave, nach dem Tode Innocenz' VIII., soll nämlich Rodrigo Borgia, der spätere Papst Alexander VI., mit dem Teufel einen Pakt abgeschlossen haben, nach dem er ihm seine Seele für zwölf Jahre päpstlicher Macht verkauft hätte. Es wurde auch behauptet, daß eine Minute vor seinem Hinscheiden am Kopfende seines Lagers sieben Teufel erschienen seien und daß sein Körper sofort nach dem Tode in Verwesung übergegangen sei und wie ein Kessel im Feuer zu kochen und zischen angefangen habe; er sei unförmlich, dick und aufgedunsen geworden, hätte jede menschliche Form verloren und sei so schwarz geworden, »wie Kohle oder wie das schwärzeste Tuch, das Gesicht aber wie das eines Negers«.

Der Brauch erheischte, daß vor der Beerdigung eines römischen Pontifex im St. Petersdome neun Tage lang Seelenmessen gelesen wurden. Die Leiche des Papstes flößte aber solchen Schrecken ein, daß niemand diese Messen lesen wollte, An seiner Bahre gab es weder Kerzen, noch Weihrauch, weder Mönche, noch Wachen, noch Betende. Man konnte auch lange keine Leichenträger finden, schließlich meldeten sich sechs Taugenichtse, die für ein Glas Wein zu allem bereit waren. Der Sarg erwies sich als zu klein. Daher wurde dem Papste die dreimal gekrönte Tiara vom Kopfe genommen, die Leiche wurde mit einem durchlöcherten Teppich zugedeckt und mit Fußtritten in den zu kurzen und schmalen Kasten hineingezwängt. Es wurde sogar behauptet, der Papst hätte überhaupt keinen Sarg bekommen; man hätte ihm an die Füße einen Strick gebunden und ihn wie einen Tierkadaver oder wie die Leiche eines an der Pest Gestorbenen zur Grube geschleift.

Aber selbst nach der Bestattung soll er keine Ruhe gefunden haben: die abergläubische Angst des Volkes wuchs mit jedem Tage an. Es war, als ob sich in der Luft zum todbringenden Hauche der Malaria ein neuer, unbekannter, noch schrecklicherer und unheimlicherer Gestank gesellt hätte. Man wollte im St. Petersdome einen schwarzen Hund gesehen haben, der mit unglaublicher Geschwindigkeit im Kreise herumlief. Die Bewohner des Borgo trauten sich nicht, ihre Häuser nach dem Anbruch der Dämmerung zu verlassen, viele waren davon überzeugt, daß Papst Alexander VI. nicht endgültig gestorben sei, sondern auferstehen und seinen Thron besteigen werde; dann werde auch das Reich des Antichrist beginnen.

Giovanni wurde von allen diesen Ereignissen und Gerüchten im Weinkeller des Hussiten Jan des Lahmen in der Sinibalda-Gasse unterrichtet.

X.

Um diese Zeit arbeitete Leonardo unbeirrt und in voller Zurückgezogenheit an einem Bilde, das er schon vor langer Zeit im Auftrage der Servitermönche für ihre Kirche Santa Maria dell' Annunziata zu Florenz begonnen hatte. Während er im Dienste Cesares stand, arbeitete er an diesem Bilde, das die heilige Anna und die Jungfrau Maria darstellte, in seinem gewohnten langsamen Tempo weiter.

Die heilige Jungfrau war auf einer Bergwiese mit blauen Spitzen ferner Berge und stillen Seen im Hintergrunde dargestellt. Sie saß nach alter Gewohnheit auf dem Schoße ihrer Mutter Anna und hielt das Jesuskind zurück, das mit einem Lamm spielte: der Knabe hatte das Lamm an den Ohren gepackt und ließ es niederknien, während er in kindlicher Ausgelassenheit ein Beinchen hob, um das Tier zu besteigen. Die heilige Anna glich einer ewig jungen Sibylle. Das Lächeln, das über ihre gesenkten Augen und die seinen geschwungenen Lippen glitt, war geheimnisvoll und verführerisch wie tiefes, durchsichtiges Wasser; dieses Lächeln der Schlangenweisheit erinnerte Giovanni an das Lächeln Leonardos. Das kindlich klare Antlitz Marias an ihrer Seite atmete Taubeneinfalt. Maria war die vollkommene Liebe, Anna die vollkommene Erkenntnis. Maria wußte, weil sie liebte? Anna liebte, weil sie wußte. Beim Betrachten dieses Bildes glaubte Giovanni, den Sinn der Worte des Meisters: »Die große Liebe ist die Tochter der großen Erkenntnis« zum erstenmal voll erfaßt zu haben.

Gleichzeitig machte Leonardo Entwürfe und Zeichnungen zu den verschiedensten Maschinen: zu riesengroßen Winden, zu Pumpen, Drahtziehbänken, Sägen zum Zerschneiden des härtesten Gesteins, zu Bohrmaschinen, Walzwerken, Webebänken, Tuchschermaschinen, Tauziehbahnen und Töpferscheiben.

Giovanni wunderte sich, daß der Meister die beiden Arbeiten, die an den Maschinen und die an der heiligen Anna, vereinigen konnte. Diese Vereinigung war aber durchaus nicht zufällig.

»Ich behaupte,« schrieb er in seinen Elementen der Mechanik, »daß die Kraft etwas Geistiges und Unsichtbares ist; sie ist geistig, weil sie von körperlosem Leben erfüllt ist; und unsichtbar, weil der Körper, in dem sie entsteht, weder sein Gewicht, noch sein Aussehen verändert.«

Mit der gleichen Freude beobachtete er, wie sich die Kraft in den Organen einer schönen Maschine – in den Rädern, Hebeln, Federn, Bögen, Treibriemen, Schrauben, Stangen, starken eisernen Wellen und ganz kleinen Radzähnchen, Speichen und Hohlkehlen – fortbewegt und verteilt; so wie auch die Liebe, die geistige, Welten bewegende Kraft, vom Himmel zur Erde, von der Mutter zur Tochter, von der Tochter zum Enkel und zum geheimnisvollen Lamme wandert, ihren ewigen Kreislauf vollendet und zu ihrer Meile zurückströmt.

Leonardos Schicksal entschied sich zugleich mit dem Cesares. Cesare, der »große Kenner des Schicksals«, wie ihn Machiavelli nannte, bewahrte seine äußere Ruhe und seinen Mut; und doch wußte er, daß das Glück sich von ihm gewandt hatte. Als seine Feinde von seiner Krankheit und dem Tode des Papstes erfuhren, vereinigten sie sich gegen ihn und entrissen ihm die Römische Campagna. Prospero Colonna näherte sich den Toren der Ewigen Stadt; Vitelli zog gegen Citta-di-Castello, Gian-Paolo Baglioni gegen Perugia; Urbino hatte sich empört. Das zur Wahl eines neuen Papstes versammelte Conclave forderte die Entfernung des Herzogs aus Rom. Alles war erschüttert, alles stürzte zusammen.

Alle, die noch vor kurzer Zeit vor ihm gezittert hatten, verspotteten ihn jetzt und freuten sich über seinen Untergang: sie schlugen den sterbenden Löwen mit ihren Eselshufen. Die Poeten verfaßten Epigramme:

»Caesar oder ein Nichts!« Vielleicht auch beides? Ein Caesar warst du bereits. Nun kommt auch an die Reihe das Nichts.

Leonardo unterhielt sich einmal im Hofe des Vatikans mit dem venetianischen Oratore Antonio Giustiniani, der noch in jenen Tagen, als der Herzog auf dem Gipfel seiner Macht stand, prophezeit hatte, daß er »verbrennen werde wie ein Strohfeuer«. Der Künstler brachte die Sprache auf Machiavelli:

»Hat er mit Euch über sein Werk von der Staatswissenschaft gesprochen?«

»Gewiß, sogar mehr als einmal. Messer Niccolo geruht natürlich zu scherzen. Er wird sein Werk doch nie veröffentlichen. Darf man dann über solche Dinge schreiben? Den Fürsten Ratschläge erteilen, vor dem Volke die Geheimnisse ihrer Macht enthüllen, beweisen, daß jede Regierung eine unter der Larve von Gerechtigkeit verborgene Willkür ist: das alles ist doch dasselbe, wie den Hühnern die Schlauheit des Fuchses beibringen, oder den Schafen Wolfszähne einsetzen. Gott möge uns vor solcher Politik bewahren!«

»Ihr glaubt also, daß Messer Niccolo auf Abwegen ist und daß er früher oder später seine Gesinnung ändern wird?«

»Nein, das glaube ich durchaus nicht. Ich bin mit ihm in allen Dingen einverstanden. Man muß wirklich so handeln, wie er sagt; aber nicht so sprechen, wenn er übrigens das Buch veröffentlicht, so wird er sich damit nur selbst schaden. Der Herr ist ja gnädig: die Schafe und Hühner werden nach wie vor ihren legitimen Fürsten, den Füchsen und Wölfen, trauen, und diese werden Machiavelli einer teuflischen Politik, der Schlauheit des Fuchses und der Wut des Wolfes, beschuldigen. Und so wird alles beim alten bleiben. Wenigstens solange wir leben.«

XI.

Im Herbste 1503 trat Leonardo in die Dienste des auf Lebenszeit eingesetzten Gonfaloniere der Florentiner Republik, Piero Soderini, der ihn als Kriegsmechaniker ins Pisanische Lager schickte. Belagerungsmaschinen sollte er dort bauen.

Der Künstler verbrachte die letzten Tage vor seiner Abreise in Rom.

Eines Abends wanderte er auf dem Palatinischen Hügel umher. An dieser Stätte, wo einst die Paläste der Kaiser Augustus, Caligula und Septimius Severus aufragten, heulte jetzt zwischen den Ruinen der Wind, und unter den grauen Olivenbäumen blökten Lämmer und zirpten Grillen. Nach der Menge der Marmorsplitter, die hier herumlagen, konnte man vermuten, daß hier im Schoße der Erde viele Götterbilder von ungeahnter Schönheit ruhen mußten, die wie Tote ihrer Auferstehung harrten.

Der Abend war heiter. Die von der sinkenden Sonne beleuchteten Backsteinruinen von Toren, Gewölben und Mauern hoben sich blutrot vom dunkelblauen Himmel ab. Der Purpur und das Gold des Herbstlaubes schienen prunkvoller, als der Purpur und das Gold, das einst die Paläste der römischen Kaiser geschmückt hatte. Leonardo kniete auf dem nördlichen Abhang des Hügels in der Nähe der Garten des Capronicus nieder, um ein altes, fein ornamentiertes Stück Marmor, das im hohen Grase lag, zu betrachten.

Auf dem schmalen Pfade zwischen den Sträuchern kam ein Mann zum Vorschein. Leonardo blickte ihn an, erhob sich von den Knien, blickte ihn noch einmal an, näherte sich ihm und rief aus: »Messer Niccolo?« – Ohne seine Antwort abzuwarten, umarmte und küßte er ihn wie einen Bruder.

Die Kleidung des Sekretärs der Florentiner Republik schien jetzt noch ärmlicher und abgetragener als in der Romagna: die Regierung der Republik hielt ihn wohl noch immer knapp. Er war magerer geworden, die rasierten Wangen waren eingefallen; der lange, dünne Hals schien länger, die flache, einem Entenschnabel gleichende Nase spitzer und das Feuer in seinen Augen lebhafter geworden zu sein.

Leonardo fragte ihn, ob er für längere Zeit nach Rom gekommen sei und in welcher Angelegenheit. Als der Künstler den Namen Cesares erwähnte, wandte sich Niccolo, seinen Blicken ausweichend, von ihm ab. Er zuckte die Achseln und erwiderte kühl, mit geheuchelter Gleichgültigkeit:

»Das Schicksal hat mich schon oft zum Zeugen solcher Ereignisse gemacht, daß ich mich über nichts mehr wundere.«

Um dem Gespräche eine andere Wendung zu geben, fragte er Leonardo, was er treibe. Als er erfuhr, daß der Künstler in die Dienste der Florentiner Republik getreten sei, machte er eine wegwerfende Handbewegung.

»Ihr werdet wenig Freude erleben! Wer weiß, was besser ist: die Schandtaten eines solchen Helden wie Cesare, oder die Tugenden eines solchen Ameisenhaufens wie unsere Republik einer ist. Das eine ist übrigens ebensoviel wert wie das andere. Ich kann Euch genaue Auskunft geben, denn ich glaube etwas von den Vorzügen einer Volksregierung zu verstehen!« sagte er mit bitterem Lächeln.

Leonardo erzählte ihm von der Bemerkung, die Antonio Giustiniani über ihn gemacht hatte: von der Fuchsschlauheit, die er den Hühnern beibringen und den Wolfszähnen, die er den Schafen einsetzen wolle.

»Er hat nicht so unrecht!« Niccolo brach in ein gutmütiges Lachen aus. »Ich will die Gänse necken! Ich sehe schon, wie mich brave Menschen zum Scheiterhaufen verurteilen werden, weil ich das, was alle stillschweigend tun, auszusprechen wagte. Die Tyrannen werden mich für einen Aufwiegler des Volkes erklären, das Volk – für einen Diener der Tyrannen, die Scheinheiligen – für einen Gottlosen, die Guten – für einen Bösewicht; die Bösen werden mich aber am meisten hassen, denn sie werden glauben, ich sei noch schlechter als sie selbst.«

Leise und traurig fügte er hinzu:

»Erinnert Ihr Euch noch unserer Gespräche in der Romagna, Messer Leonardo? Ich muß oft an sie denken, und zuweilen scheint mir, daß wir beide das gleiche Schicksal teilen. Die Entdeckung neuer Wahrheiten war und bleibt immer ebenso gefährlich, wie die Entdeckung neuer Länder. Für die Tyrannen, wie für den Pöbel, für die Großen, wie für die Geringen sind wir beide nur heimatlose Vagabunden, ewige Landstreicher, – wir erscheinen ihnen fremd und überflüssig, wer anders geartet ist als alle, der muß auch allein gegen alle kämpfen, denn die Welt ist für den Pöbel erschaffen und von lauter Pöbel bewohnt. – So ist es, mein Freund,« fügte er noch leiser und nachdenklicher hinzu, »es ist langweilig auf der Welt. Das Furchtbarste im Leben ist aber wohl weder Krankheit, noch Sorge, weder Leid, noch Armut, sondern Langeweile ...«

Sie stiegen schweigend den westlichen Abhang des Palatino hinab und gelangten durch eine enge schmutzige Gasse zum Fuße des Kapitols und zu den Ruinen des Saturnustempels, zu der Stätte, wo einst das Forum Romanum gestanden hatte.

XII.

Zu beiden Seiten der alten Heiligen Straße, Sacra Via, vom Triumphbogen des Septimius Severus bis zum Amphitheater der Flavier, zogen sich elende, halb zerfallene Häuschen hin. Man erzählte, daß die Fundamente dieser Häuser zum großen Teil aus Bruchstücken kostbarer Bildwerke, aus den Gliedern olympischer Götter beständen; denn im Laufe vieler Jahrhunderte war das Forum als Steinbruch benutzt worden. Aus den Ruinen heidnischer Tempel lugten scheu und traurig christliche Kirchen hervor. Der ursprüngliche Boden war hier infolge der Anhäufung und Ablagerung von Kehricht, Abfällen und Staub um mehr als zehn Ellen erhöht worden. Und doch ragten noch hier und da einzelne alte Säulen mit Resten von Architraven heraus, die jeden Augenblick einstürzen konnten.

Niccolo zeigte seinem Gefährten die Stätten des Römischen Senates, der Kurien und der Volksversammlung. Jetzt hieß dieser Platz die Kuhweide und diente als Viehmarkt. Weiße Ochsen mit starken Hörnern und schwarze Büffel lagen zu Paaren zusammengekoppelt auf der Erde; in den Pfützen grunzten Schweine und winselten Ferkel. Gestürzte Marmorsäulen und Blöcke mit halbverwitterten Inschriften waren von Viehmist bedeckt und von schwarzem, flüssigem Schmutz überschwemmt. Am Triumphbogen des Titus Vespasianus klebte ein mittelalterlicher Ritterturm, das ehemalige Räubernest der Barone Frangipani. Vor dem Bogen befand sich ein Wirtshaus für die Bauern, die zum Viehmarkt kamen. Aus den Fenstern kam Weibergeschrei und Qualm von ranzigem Öl und gebratenen Fischen. An einem Stricke waren Lumpen zum Trocknen aufgehängt. Ein alter Bettler mit einem vom Fieber abgezehrten Gesicht saß auf einem Stein und umwickelte seinen kranken geschwollenen Fuß mit Lappen.

Im Innern des Triumphbogens waren rechts und links zwei Basreliefs angebracht; das eine stellte den Kaiser Titus Vespasianus, den Eroberer von Jerusalem, in einem mit einer Quadriga bespannten Triumphwagen dar; das andere die gefangenen, gefesselten Juden mit den Trophäen des Siegers: dem Opferaltar Jehovas, den Schaubraten und dem siebenarmigen Leuchter aus dem Tempel Salomos; oben, in der Mitte der Bogenwölbung, trug ein mächtiger Adler den vergötterten Kaiser zum Olymp empor. Auf der Stirnseite des Tores las Niccolo die noch unversehrte Inschrift: Senatus populusque Romanus divo Tito divi Vespasiani filio Vespasiano Augusto.

Die Sonne stand über dem Kapital und ihre letzten blutroten Strahlen fielen durch die bläulichen Wolken des stinkenden Küchenqualms, die gleich Weihrauchwolken in der Luft schwebten, auf den Triumph des Imperators.

Niccolo warf noch einen letzten Blick auf das Forum, und sein Herz krampfte sich zusammen, als er vor der Kirche Maria Liberatrice drei einsame weiße Marmorsäulen, vom rosigen Abendsonnenschein übergossen, stehen sah. Das traurige, greisenhaft-lallende Glockengeläute des abendlichen Ave klang wie eine Totenklage über den Fall des Römischen Forums.

Sie betraten das Kolosseum.

»Jawohl,« sagte Niccolo mit einem Blick auf die riesengroßen Steinquadern in den Mauern des Amphitheaters, »jene Menschen, die solche Bauten auszuführen verstanden, waren doch anders als wir. Nur hier in Rom kann man den großen Unterschied, der zwischen uns und den Alten besteht, voll erfassen, wie konnten wir uns mit ihnen messen! Wir können uns heute gar keinen Begriff davon machen, was es für Menschen waren ...«

»Ich glaube,« sagte Leonardo langsam, als ob er sich mit Mühe von den ihn beschäftigenden Gedanken losreiße, »ich glaube, Niccolo. daß Ihr Euch irrt. Auch die Menschen von heute haben eine Kraft, die der Kraft der Alten nicht nachsteht; nur ist sie anders beschaffen ...«

»Meint Ihr vielleicht die christliche Demut?«

»Ja, unter anderem auch die Demut ...«

»Vielleicht habt Ihr auch recht,« sagte Niccolo kühl.

Auf der untersten, halbzerfallenen Stufe des Amphitheaters machten sie Rast.

»Mir scheint,« rief plötzlich Niccolo leidenschaftlich aus, »mir scheint, daß wir Menschen Christus entweder annehmen oder verwerfen müßten. Wir haben aber weder das eine, noch das andere getan und sind weder Christen noch Heiden. So haben wir uns zwischen zwei Stühle gesetzt. Wir sind zu schwach, um gut, und zu feige, um schlecht zu sein. Wir sind weder schwarz, noch weiß, sondern grau. Im ewigen Schwanken zwischen Christus und Belial sind wir so verlogen, so kleinmütig geworden, daß wir heute wohl selbst nicht wissen, was wir wollen und wohin wir streben. Die Alten wußten es und sie taten alles bis ans Ende; sie verstellten sich nicht und nie boten sie ihre linke Backe demjenigen dar, der ihnen einen Streich auf die rechte gab. Als sich aber die Menschen zum Glauben bekehrten, daß man um der himmlischen Seligkeit willen auf Erden jedes Unrecht dulden müsse, bekamen alle Schufte freie Hand und die Möglichkeit, sich ungestraft zu betätigen, was hat denn die Welt so geschwächt und sie an die Schurken ausgeliefert, wenn es nicht diese Lehre war? ...«

Seine Stimme bebte, in seinen Augen brannte wahnsinniger Haß und seine Gesichtszüge verzerrten sich wie vor unerträglichem Schmerz.

Leonardo schwieg. Durch seinen Kopf zogen klare, kindliche Gedanken; sie waren so einfach, daß er sie gar nicht in Worte kleiden konnte: er schaute zum blauen Himmel empor, der durch die Spalten ins Kolosseum hereinstrahlte, und überdachte, wie nirgends der Himmel so freudig und ewig jung erscheint, als durch die Spalten von Ruinen betrachtet.

Einst hatten die Eroberer Roms, die nordischen Barbaren, die nicht einmal verstanden, Erz aus der Erde zu gewinnen, die eisernen Klammern, mit denen die Quadern im Kolosseum verbunden waren, herausgerissen, um das alte römische Eisen in neue Schwerter umzuschmieden; in den Löchern, wo die Klammern angebracht waren, hatten sich Vögel ihre Nester gebaut. Leonardo beobachtete die schwarzen Dohlen, die mit freudigem Geschrei ihr Nachtlager zwischen den Steinen aufsuchten. Und er versenkte sich in die Gedanken an alle die weltbeherrschenden Kaiser, die diesen Bau errichtet, an die Barbaren, die ihn zerstört hatten und die nicht ahnten, daß sie für diejenigen arbeiteten, von denen geschrieben steht: »Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und der himmlische Vater nähret sie doch.«

Er versuchte gar nicht, Machiavelli zu widersprechen, er wußte, daß dieser ihn nicht verstehen würde; denn alles, was für Leonardo Freude war, bedeutete für Niccolo Kummer; sein Honig war für Niccolo Galle, und die Tochter der großen Erkenntnis – Haß.

»Wißt Ihr, Messer Leonardo,« sagte Machiavelli, der das Gespräch, wie es seine Gewohnheit war, mit einer scherzhaften Wendung abschließen wollte, »jetzt sehe ich erst, wie sehr alle, die Euch einen Ketzer und einen Gottlosen nennen, im Unrecht sind. Ihr werdet es noch sehen: am Tage des jüngsten Gerichts, wenn man uns in Schafe und Böcke einteilen wird, werdet Ihr unter die demütigen Schafe Christi geraten und zu den Heiligen ins Paradies kommen!«

»Und auch zu Euch, Messer Niccolo!« fiel der Künstler ein. »Denn wenn ich in das Paradies komme, so kommt Ihr erst recht hin!«

»Nein, nein, ergebenster Diener! Ich trete meinen Platz schon jetzt jedem, der ihn haben will, ab. Ich habe an der irdischen Langeweile schon genug ...«

Sein Gesicht wurde plötzlich freudig und gutmütig.

»Hört einmal, Freund, welchen bedeutungsvollen Traum ich einmal gehabt habe. Man hatte mich in eine Versammlung von hungrigen und schmutzigen Vagabunden, Mönchen, Dirnen, Sklaven, Krüppeln und Schwachsinnigen gebracht und mir erklärt, dies seien diejenigen, von denen geschrieben steht: ›Selig sind, die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihrer.‹ Dann wurde ich an einen anderen Ort geführt, wo ich eine Versammlung großer Männer vor mir sah, die dem alten Senat glich; hier waren Feldherren, Kaiser, Päpste, Gesetzgeber und Philosophen, wie Homer, Alexander der Große, Plato und Marc Aurel; sie unterhielten sich über Wissenschaft, Kunst und den Staat. Und es wurde mir gesagt, das sei die Hölle und vor mir sähe ich die armen Sünder, die Gott verworfen hätte, weil sie der Weisheit dieser Welt, die vor dem Herrn Wahnsinn ist, zugetan gewesen wären. Und man fragte mich, wohin ich gehen wolle: ins Paradies oder in die Hölle? Und ich rief aus: ›Natürlich in die Hölle zu den Weisen und den Helden!‹«

»Ja, wenn es sich auch in Wirklichkeit so verhält, wie es Euch geträumt, so wäre ich selbst gern dabei ...« erwiderte Leonardo.

»Nein, jetzt ist es zu spät! Jetzt könnt Ihr dem Paradiese nicht mehr entrinnen. Man wird Euch mit Gewalt hinschleppen. Für Eure christlichen Tugenden werdet Ihr mit dem christlichen Paradiese belohnt werden.«

Als sie das Kolosseum verließen, war es bereits dunkel geworden, hinter der schwarzen Kuppel der Konstantin-Basilika kam der gelbe Mond zum Vorschein, und seine Strahlen zerschnitten die Wolkenschichten, die zart wie Perlmutter waren. Durch den Schleier rauchiger, blauer Dämmerung, der sich vom Triumphbogen des Titus Vespasianus bis zum Kapitol hinzog, erschienen die drei einsamen, bleichen, mondlichtübergossenen Säulen vor der Kirche Maria Liberatrice bleich wie Gespenster und unsagbar schön. Das greisenhaft-lallende Glockengeläute des abendlichen Angelus klang noch trauriger, und es war wie eine Totenklage über den Fall des römischen Forums.


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