Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Buch

Aut Caesar – Aut Nihil

I.

»Wir, Cesare Borgia di Francia, von Gottes Gnaden Herzog der Romagna, Fürst von Andria, Herr von Piombino usw. usw., der heiligsten Römischen Kirche Bannerträger und erster Kapitän, befehlen allen Unsern Statthaltern, Kastellanen, Heerführern, Condottieri, Officiali, Soldaten und Untertanen, Unsern ersten Baumeister und Mechaniker Leonardo Vinci freundlichst aufzunehmen, ihm, sowie allen seinen Begleitern freien Durchgang, ohne Erhebung von Brückenzöllen und sonstigen Abgaben zu gewähren, ihm das Messen und Besichtigen eines jeden Gegenstandes in Unseren Schlössern und Festungen zu gestatten, die nötigen Mannschaften beizustellen und ihm auch sonst mit größtem Eifer behilflich zu sein. Wir übertragen dem erwähnten Leonardo die Aufsicht über alle Festungen und Schlösser in Unserm Reiche und befehlen allen anderen Baumeistern, ihn in jeder Angelegenheit nach seinem Willen zu befragen.

»Gegeben zu Pavia, den 18. August im Jahre 1502 nach Christi Geburt und im 2. Jahre Unserer Herrschaft in der Romagna.

Caesar Dux Romandiolae.«

So lautete der Passierschein Leonardos zur bevorstehenden Besichtigung der Festungen.

Um jene Zeit eroberte Cesare Borgia mit allen Möglichkeiten von Verrat und Verbrechen und mit Unterstützung des römischen Hohenpriesters und des christlichsten Königs von Frankreich den alten Kirchenstaat, der angeblich noch von Kaiser Konstantin dem Großen den Päpsten geschenkt worden war. Er entriß die Stadt Faenza ihrem rechtmäßigen Herrn, dem achtzehnjährigen Astorre Manfredi, und die Stadt Forli der Katharina Sforza; den Jüngling und die Frau, die seiner ritterlichen Ehre vertraut hatten, warf er in das Gefängnis der römischen Engelsburg. Er schloß ein Bündnis mit dem Herzog von Urbino, um ihn bald darauf zu entwaffnen, verräterisch zu überfallen und auszurauben, wie es die Räuber auf den Landstraßen tun.

Im Herbste 1502 unternahm er einen Feldzug gegen Bentivoglio, den Regenten von Bologna, um diese Stadt zu erobern und zur Hauptstadt seines Reiches zu machen. Ein Schrecken überfiel die Fürsten der Nachbarländer, denn jeder fühlte, daß er früher oder später Cesare zum Opfer fallen müsse, und daß dieser entschlossen sei, alle Nebenbuhler zu beseitigen und Alleinherrscher von Italien zu werden.

Am 28. September versammelten sich die Feinde des Herzogs von Valentino: Kardinal Pagolo, Herzog Gravina Orsini, Vitellozzo Vitelli, Oliverotto da Fermo, Gian-Paolo Baglioni, der Regent von Perugia, Antonio Giordani da Venafro und der Gesandte des Regenten von Siena Pandolfo Petrucci in der Stadt Magiona in der Ebene von Carpi und schlossen ein geheimes Bündnis gegen Cesare. In dieser Versammlung schwur Vitellozzo Vitelli den Eid des Hannibal: den gemeinsamen Feind vor Ablauf eines Jahres zu töten, gefangen zu nehmen oder aus Italien zu verjagen.

Als sich die Kunde von dem zu Magiona abgeschlossenen Bündnis verbreitet hatte, traten diesem noch zahlreiche andere von Cesare beleidigte Fürsten bei. Das Herzogtum Urbino empörte sich und fiel von Cesare ab. Auch seine eigenen Truppen brachen ihm die Treue. Der König von Frankreich zögerte, ihm zu Hilfe zu kommen. Cesares Lage war verzweifelt. Doch auch von allen verraten und verlassen und fast wehrlos, flößte er den Feinden noch immer Schrecken ein. Diese hatten in kleinlichen Zwistigkeiten und Erwägungen den günstigsten Zeitpunkt, um ihn zu vernichten, versäumt und ließen sich nun mit ihm in Unterhandlungen wegen eines Waffenstillstandes ein. Durch List, Drohungen und Versprechen gelang es ihm, sie zu verführen und zu umgarnen und zwischen den Verbündeten Zwistigkeiten zu stiften. Mit der ihm eigenen Verstellungskunst lud er seine neuen Freunde, Liebenswürdigkeit heuchelnd, in die soeben eroberte Stadt Sinigaglia, unter der Vorspiegelung, daß er ihnen seine Treue nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten in einem gemeinsamen Feldzuge beweisen wolle.

Leonardo gehörte zu der nächsten Umgebung Cesare Borgias.

In seinem Auftrage schmückte er die neu eroberten Städte mit prächtigen Bauten, Palästen, Schulen, Bibliotheken; auf der Stelle der zerstörten Festung Castel' Bolognese baute er große Kasernen für Cesares Soldaten; er schuf den Hafen Porte-Cesenatico, den besten am westlichen Ufer der Adria, und vereinigte ihn durch einen Kanal mit Cesena; er legte den Grund zu der mächtigen Festung von Piombino, baute Kriegsmaschinen und zeichnete Karten. Während er den Herzog auf allen seinen Reisen begleitete und sich auch auf den Schauplätzen aller seiner Bluttaten – Urbino, Pesaro, Imola, Faenza, Cesena und Forli – in seinem Gefolge befand, führte er wie immer sein Tagebuch. Doch erwähnte er darin mit keinem Worte Cesares, als sähe er gar nicht, was um ihn vorging, oder als wolle er es nicht sehen. Sonst notierte er jede Kleinigkeit, die ihm auffiel: die Art, wie die Bauern von Cesena ihre Obstbäume durch Rebenguirlanden verbanden; die Einrichtung der Hebel, mit denen die Domglocken von Siena geschwungen wurden; den sonderbaren Ton der Wasserstrahlen im Springbrunnen zu Rimini. Er skizzierte einen Taubenschlag und den Turm mit der Wendeltreppe im Schlosse zu Urbino, aus dem der unglückliche, von Cesare ausgeraubte Herzog Guidobaldo soeben geflohen war, und zwar nach Zeugnis der Zeitgenossen »im bloßen Hemde«. Er beobachtete, wie in der Romagna am Fuße der Apenninen die Hirten die Mündungen ihrer Hörner in schmale Felsspalten stecken, um so den Klang zu verstärken; der Ton wurde so stark, daß er, vom Echo verdoppelt, die ganze Ebene erfüllte und selbst von den auf den größten Entfernungen weidenden Herden vernommen wurde. Er stand tagelang allein am öden Meeresufer von Piombino und beobachtete, wie die Wellen kleine Steine, Holzstücke und Algen bald ans Ufer trieben, bald wieder fortschwemmten. »So kämpfen die Wellen um die Beute, die dem Sieger zufällt«, schrieb Leonardo. Während um ihn herum alle Gesetze der menschlichen Gerechtigkeit verhöhnt und verletzt wurden, bewunderte er, ohne jene Verbrechen zu verurteilen oder zu rechtfertigen, in dem scheinbar zufälligen und launischen, in der Tat aber gesetzmäßigen und unabänderlichen Spiele der Wellen die unverletzbaren Gesetze der göttlichen Gerechtigkeit, die der Urheber der ersten Bewegung in der Mechanik festgelegt hatte.

Am 9. Juni 1502 wurden im Tiber in der Nähe Roms die Leichen des jungen Fürsten von Faenza, Astorre, und seines Bruders mit Stricken um den Hals und mit Steinen beschwert, gefunden; sie waren erdrosselt und in den Fluß aus der Engelsburg geworfen worden. Die Körper, die nach Aussage der Zeitgenossen »so schön waren, wie man kaum unter Tausenden ähnliche finden könnte«, wiesen Spuren widernatürlicher Schändung auf. Der Volksmund schrieb diese Greuel Cesare zu.

Auf den gleichen Tag fällt folgende Notiz in Leonardos Tagebuch:

»In der Romagna gebraucht man Wagen mit vier Rädern, von denen die beiden vorderen klein, die beiden hinteren groß sind. Diese Konstruktion ist höchst sinnlos, denn nach den Gesetzen der Physik – siehe §5 meiner ›Elemente‹ – ruht die ganze Last auf den Vorderrädern.«

So verschwieg er die gröbsten Verletzungen der Gesetze des geistigen Gleichgewichts und empörte sich über die Verletzung der Gesetze der Mechanik in der Konstruktion der romagniolischen Wagen.

II.

In der zweiten Hälfte des Dezembers 1502 zog der Herzog von Valentino mit seinem ganzen Hofe und Heere aus Cesena nach Fano. Diese Stadt lag an der Mündung des Flusses Arcilla in die Adria, zwanzig Meilen von Sinigaglia entfernt, wo Cesare eine Zusammenkunft mit den früheren Verbündeten Oliverotto da Fermo, Orsini und Vitelli verabredet hatte. Ende Dezember reiste auch Leonardo aus Pesaro zu Cesare.

Er hatte Pesaro am frühen Morgen verlassen und hoffte Fano noch vor Abend zu erreichen, geriet aber in einen Schneesturm. Die Berge waren mit unpassierbarem Schnee bedeckt. Die Maultiere glitten fortwährend auf den eisbedeckten Steinen aus. Der schmale Bergpfad führte dicht am Rande des Abhanges; unten zerschellten die schwarzen Wellen der Adria am schneeverwehten weißen Ufer. Zum Schrecken des Führers scheute sein Maultier, als es einen Gehenkten witterte, der auf dem Aste einer Espe baumelte.

Inzwischen war es ganz finster geworden. Sie ließen die Zügel hängen und ritten aufs Geratewohl, den klugen Tieren vertrauend. In der Ferne wurde ein Lichtschein sichtbar. Der Führer erkannte die große Herberge bei Novilara. Dieses Bergnest lag genau in der Mitte des Weges zwischen Pesaro und Fano.

Sie mußten lange an das eisenbeschlagene Tor klopfen, das einem Festungstore glich. Endlich erschien ein verschlafener Stallknecht mit einer Laterne in der Hand, etwas später kam auch der Wirt. Er verweigerte ihnen das Nachtlager mit der Begründung, daß nicht nur alle Zimmer, sondern auch die Pferdestallungen überfüllt seien; in jedem Bette schliefen wenigstens drei Mann und es seien lauter vornehme Leute – Offiziere und Herren aus dem Gefolge des Herzogs.

Als Leonardo seinen Namen nannte und seinen Paß mit Unterschrift und Siegel des Herzogs vorzeigte, bot ihm der Wirt unter tausend Entschuldigungen sein eigenes Zimmer an, in dem vorläufig nur drei Offiziere aus dem verbündeten französischen Regiment von Yves d´Allegre untergebracht seien; diese hätten sich betrunken und schliefen jetzt wie Tote; er selbst wolle mit seiner Frau in der Kammer neben der Schmiede übernachten.

Leonardo trat ins Gastzimmer, das zugleich als Eßzimmer und Küche diente, und, wie alle Gastzimmer in der Romagna, schmutzig und verrußt war und feuchte Flecken auf den abgebröckelten Wänden aufwies. Auf einer Stange schlummerten Hennen und Perlhühner, in einem Bretterverschlag grunzten Ferkel und an den rauchgeschwärzten Deckenbalken hingen Reihen goldgelber Zwiebeln, Blutwürste und Schinken. Im großen Herde, mit überhängendem, gemauertem Schornstein, zischte auf einem Bratspieße über einem großen Feuer ein ganzes Schwein. Der rote Widerschein des Herdfeuers beleuchtete die an langen Tischen sitzenden Gäste. Sie aßen, tranken, schrien, stritten, spielten Würfel, Dame und Karten. Leonardo setzte sich zum Herd und wartete auf das bestellte Nachtmahl.

Am nächsten Tische, an dem Leonardo u. a. den alten Hauptmann der herzoglichen Lanzenreiter Baldassare Scipione, den ersten Hofrentmeister Alessandro Spanocchia und den Gesandten von Ferrara – Pandolfo Colenuccio, erkannte, predigte ein unbekannter Mann mit ungewöhnlicher Begeisterung und mit den Händen fuchtelnd, mit hoher quietschender Stimme:

»Signori, ich kann es durch Beispiele aus der neuen und alten Geschichte mathematisch genau beweisen! Denkt nur an die Reiche, die ihren Ruhm in Kriegen erworben haben: an Rom, Sparta, Athen, Ätolien, Achaia und die vielen anderen Länder jenseits der Alpen. Alle großen Eroberer haben ihre Heere stets aus den Bürgern ihres eigenen Volkes gebildet: Ninos aus den Assyriern, Kyros aus den Persern, Alexander aus den Mazedoniern ... Freilich haben Pyrrhus und Hannibal ihre Siege mit Hilfe von Söldnern errungen, doch haben wir es nur der ungewöhnlichen Begabung dieser Heerführer zuzuschreiben, die es verstanden haben, den fremdländischen Soldaten den Mut und die Begeisterung einer Volksmiliz einzuflößen. Achtet doch, bitte, auf die Grundlehre, den Grundstein der Kriegswissenschaft: die Infanterie, nur die Infanterie allein entscheidet die Stärke eines Heeres; doch keineswegs die Kavallerie und noch viel weniger die unsinnigste Errungenschaft der Neuzeit – die Artillerie mit ihrem Pulver! ...«

»Ihr geht zu weit, Messer Niccolo,« wandte mit verbindlichem Lächeln der Hauptmann der Lanzenreiter ein. »Die Geschütze gewinnen mit jedem Tag an Bedeutung. Was Ihr auch von den Römern und Spartanern sagen mögt, ich wage zu behaupten, daß die modernen Heere viel besser bewaffnet sind, als die alten. Ich sage das nicht, um Ew. Gnaden zu verletzen, aber eine Schwadron französischer Reiter oder eine Abteilung Artillerie mit dreißig Bombarden ist imstande, einen ganzen Felsen umzuwerfen, nun gar erst eine Abteilung Eurer römischen Infanterie!«

»Es sind Sophismen! Nichts als Sophismen!« ereiferte sich Messer Niccolo. »In Euren Worten, Signore, erkenne ich jene verderbliche Verirrung, die den besten Heerführern unserer Zeit die Wahrheit verschleiert. Wartet nur, einst werden Horden nordischer Barbaren mit diesem Irrtum aufräumen. Dann werden die Italiener die Ohnmacht der Söldnertruppen einsehen und sich davon überzeugen, daß Kavallerie und Artillerie keinen roten Heller wert sind im Vergleich mit der Macht der regulären Infanterie; dann aber wird es zu spät sein ... Wie können nur Menschen so sichtbare Tatsachen leugnen? Bedenkt doch wenigstens, daß Lucullus mit einer kleinen Abteilung Fußvolk die hundertundfünfzigtausend Reiter des Tigranus vernichtet hat, obwohl unter den letzteren einzelne Kohorten waren, die sich mit den heutigen französischen Reiterschwadronen messen könnten! ...«

Leonardo sah ganz erstaunt auf diesen Mann, der von den Siegen des Lucullus mit solcher Bestimmtheit sprach, als ob er selbst dabei gewesen wäre.

Der Fremde trug ein langes Gewand von vornehmem Schnitte aus dunkelrotem Tuch mit gerade fallenden Falten, wie es hohe Würdenträger der Florentiner Republik und vornehmlich Gesandtschaftssekretäre tragen. Das Gewand sah aber etwas abgetragen, aus: an einzelnen, wenn auch wenig sichtbaren Stellen hatte es Flecken und seine Ärmel glänzten. Der Hemdkragen, der als dünner Streifen unter dem hoch zugeknöpften Rock hervortrat, ließ darauf schließen, daß auch die Wäsche nicht ganz sauber war. Er hatte große knochige Hände mit einer Verdickung am Mittelfinger, die Leuten, die viel schreiben, eigen ist; auch Tintenflecke wiesen die Finger auf. Sein Äußeres war wenig majestätisch und respekteinflößend. Er war nicht alt, vielleicht in den Vierzigern, hager, schmalschultrig und hatte ungewöhnlich lebhafte, eckige, scharf ausgeprägte und höchst eigentümliche Gesichtszüge. Während des Gesprächs hob er zuweilen seine flache, lange Nase, die einem Entenschnabel glich, warf seinen kleinen Kopf in den Nacken, kniff die Augen zusammen und schob nachdenklich seine breite Unterlippe vor; wenn er dabei noch über den Kopf desjenigen, mit dem er sprach, hinwegblickte, gleichsam in die Ferne sah, so glich er einem scharfsichtigen Vogel, der, ganz Spannung, seinen langen dünnen Hals reckt und seinen Blick auf einen erstaunlich weit entfernten Gegenstand richtet. Seine hastigen Gebärden, die fieberhafte Röte seiner braunen, rasierten, eingefallenen Wangen mit den breiten Backenknochen und besonders seine großen grauen durchdringenden Augen ließen auf inneres Feuer schließen. Diese Augen wollten böse scheinen; doch konnte man in ihnen zuweilen neben dem Ausdruck kalter Erbitterung und beißenden Spottes auch etwas wie Schüchternheit und Hilflosigkeit lesen.

Messer Niccolo entwickelte seinen Gedanken über die Bedeutung der Infanterie im Kriege weiter und Leonardo staunte über diese Vermengung von Wahrheit und Lüge, grenzenloser Dreistigkeit und sklavischer Nachäffung der Alten in den Worten dieses Mannes. Um die Zwecklosigkeit der Geschütze zu beweisen, erklärte er, wie schwer das Schießen mit Geschützen größeren Kalibers sei: denn ihre Kugeln flögen entweder viel zu hoch über den Köpfen der Feinde dahin, oder aber zu niedrig, ohne ihr Ziel zu erreichen. Dem Künstler fiel diese treffende und scharfsinnige Bemerkung auf, denn er kannte aus eigener Erfahrung diesen Fehler der großen Bombarden. Gleich darauf aber stellte Niccolo die Behauptung auf, Festungen könnten unmöglich einen Staat schützen, wobei er auf die Römer, die keine Festungen bauten, und auf die Spartaner hinwies, die ihre Stadt nie befestigten, weil der Mut der Bürger die Mauern ersetzen sollte. Als ob alle Meinungen und Handlungen der Alten unanfechtbar seien, zitierte er den allen Scholaren bekannten Ausspruch eines Spartaners über die Mauern von Athen: »Sie würden von Nutzen sein, wenn die Stadt ausschließlich von Frauen bewohnt wäre.«

Leonardo hörte nicht das Ende des Streites, denn der Wirt geleitete ihn in das für ihn im oberen Stockwerk vorbereitete Zimmer.

III.

Über Nacht war der Schneesturm stärker geworden. Der Führer weigerte sich, weiterzureisen und behauptete, bei solchem Wetter würde ein guter Mensch nicht einmal seinen Hund aus dem Hause jagen. Der Künstler mußte noch einen Tag warten.

Um die Zeit totzuschlagen, begann er im Küchenherd einen von ihm erfundenen selbsttätigen Bratspieß einzurichten. Die Einrichtung bestand aus einem großen Schaufelrad, das, durch den Luftzug im Ofenrohr gedreht wurde und seinerseits den Bratspieß antrieb.

»Mit dieser Maschine,« erklärte Leonardo den erstaunten Zuschauern, »hat der Koch nicht zu befürchten, daß ihm der Braten verbrennt, denn die Wirkung des Feuers bleibt unverändert: wenn die Hitze größer ist, so dreht sich der Spieß rascher; sinkt sie, so dreht er sich langsamer.«

Mit diesem vollkommenen Bratspieß gab sich der Künstler mit der gleichen Liebe und Begeisterung ab, wie mit den Menschenflügeln.

Im gleichen Zimmer erklärte indessen Messer Niccolo einigen jungen Sergeanten der französischen Artillerie, die passionierte Spieler waren, das von ihm angeblich auf Grund abstrakt-mathematischer Gesetze erfundene System, im Würfelspiel sicher zu gewinnen und den Launen der »Buhlerin Fortuna«, wie er das Glück nannte, zu begegnen. Er erläuterte sein System in klugen und schönen Sätzen; so oft er es aber an einem Beispiel demonstrieren wollte, verlor er zu seinem eigenen Erstaunen und zur Schadenfreude der Zuschauer seinen Einsatz. Er tröstete sich aber damit, daß ihm bei der Anwendung der weisen Regel irgendein Rechenfehler unterlaufen sei. Das Spiel hatte einen für Messer Niccolo höchst unangenehmen Ausgang: als es ans Bezahlen ging, erwies sich, daß sein Beutel leer war und daß er auf Pump gespielt hatte.

Spät abends kam in die Herberge mit einer Unmenge Koffer und Kisten und in Begleitung zahlreicher Diener, Pagen, Reitknechte, Narren, Mohrinnen und zur Belustigung dienender Tiere die vornehme venetianische Cortesane, die »edle Buhlerin« Lena Griffa; es war dieselbe, die einst in Florenz den Auftritt mit den kleinen Inquisitoren des heiligen Heeres von Fra Girolamo Savonarola hatte.

Vor zwei Jahren hatte Monna Lena, dem Beispiele vieler ihrer Freundinnen folgend, die sündige Welt verlassen und als büßende Magdalena den Schleier genommen. Sie tat es nur, um später ihren Preis im berühmten »Tarif der Cortesanen oder Diskurs für vornehme Fremde, in dem die Preise und Eigenschaften aller Cortesanen Venedigs, sowie die Namen ihrer Kupplerinnen verzeichnet sind«, erhöhen zu können. Die dunkle Nonnenpuppe entwickelte sich zu einem glänzenden Schmetterling. Lena Griffa machte schnell Karriere: wie es bei den besseren Cortesanen üblich war, hatte sich das venetianische Straßenmädel, die »mammola«, einen gar prächtigen Stammbaum konstruiert, aus dem ersichtlich war, daß sie eine natürliche Tochter des Bruders des mailänder Herzogs – des Kardinals Ascanio Sforza sei. Um die gleiche Zeit avancierte sie zur Hauptmätresse eines altersschwachen und halb blödsinnigen, doch steinreichen Kardinals. Zu diesem reiste sie eben von Venedig nach Fano, wo sie der Monsignore am Hofe Cesare Borgias erwartete.

Der Wirt geriet in große Verlegenheit: einer so vornehmen Person, »Ihrer Hochwürden«, der Mätresse eines Kardinals, konnte er nicht gut das Nachtlager verweigern, und doch hatte er im ganzen Hause kein einziges freies Zimmer. Schließlich gelang es ihm, einige Kaufleute aus Ancona zu überreden, gegen einen bedeutenden Preisnachlaß in die Schmiede zu übersiedeln und ihr Zimmer dem Gefolge der edlen Buhlerin abzutreten. Die Dame selbst wollte er im Zimmer Messer Niccolos und der französischen Offiziere vom Regiment Yves d'Allegre unterbringen; diese sollten aber in die Schmiede zu den Kaufleuten gehen.

Niccolo geriet außer sich und fragte den Wirt, ob er bei Sinnen sei, ob er wisse, mit wem er es zu tun habe und was er sich eigentlich denke, wenn er wegen einer hergelaufenen Straßendirne anständige Menschen so frech behandle. Hier mischte sich aber die Wirtin ein, die recht gesprächig und tapfer war und »ihre Zunge nicht beim Juden als Pfand liegen hatte«. Sie empfahl Messer Niccolo, mit dem Schimpfen etwas zu warten und zuerst die Rechnung für seine Verpflegung sowie für die seiner Diener und der drei Pferde zu begleichen und bei dieser Gelegenheit auch die vier Dukaten zurückzuzahlen, die ihm ihr Mann aus Herzensgüte noch am vergangenen Freitag geliehen habe. Wie vor sich selbst, aber immerhin noch so laut, daß es alle verstehen konnten, wünschte sie allen Hochstaplern und Gaunern, die die Landstraßen unsicher machen, sich als große Herren ausgeben, mit der Zeche durchgehen und dabei anständige Menschen von oben herab behandeln, »böse Ostern«.

In den Worten der Wirtin war wohl auch etwas Wahres enthalten. Wenigstens wurde Niccolo sofort still; er schlug vor ihren drohenden Blicken die Augen nieder und schien sich zu überlegen, wie er sich einigermaßen anständig zurückziehen könne.

Inzwischen hatten die Diener sein Gepäck herausgetragen. Ein häßlicher Affe, ein Liebling von Monna Lena, der während der Reise halb erfroren war, schnitt jämmerliche Fratzen und sprang auf den Tisch, auf dem die Papiere, Schreibfedern und Bücher Messer Niccolos, darunter die Dekaden des Titus Livius und die »Lebensbeschreibungen berühmter Männer« des Plutarch, herumlagen.

»Messere,« wandte sich Leonardo an ihn mit freundlichem Lächeln: »Wenn Ihr mit mir mein Zimmer teilen wolltet, so wäre es mir eine große Ehre, Ew. Gnaden diese kleine Gefälligkeit erweisen zu können.«

Niccolo sah ihn etwas erstaunt an und schien noch verlegener. Er bemeisterte aber sofort seine Verlegenheit und dankte mit großer Würde.

Sie gingen in Leonardos Zimmer und der Künstler trat seinem Zimmergenossen den besseren Platz ab.

Je länger er ihn beobachtete, um so anziehender und interessanter erschien ihm dieser sonderbare Mensch.

Er nannte seinen Namen und Stand: Niccolo Machiavelli, Sekretär des Rates der Zehn der Florentiner Republik.

Vor drei Monaten hatte die schlaue und vorsichtige Signorie diesen Sekretär zu Cesare Borgia geschickt, den sie zu überlisten hoffte, indem sie seine positiven Vorschläge, einem Schutzbündnis gegen die gemeinsamen Feinde Bentivoglio, Orsini und Vitelli beizutreten, mit platonischen und zweideutigen Freundschaftsbeteuerungen beantwortete. In Wirklichkeit fürchtete die Republik den Herzog und wollte ihn weder unter ihren Feinden, noch unter ihren Freunden haben. Messer Niccolo Machiavelli besaß keinerlei wirkliche Vollmachten, er hatte nur den Auftrag, eine freie Passage für die florentiner Kaufleute durch die Besitzungen des Herzogs an der adriatischen Küste zu erwirken. Diese Frage hatte übrigens eine große Bedeutung für den Handel, »diese Amme der Republik«, wie es im Beglaubigungsschreiben des Gesandten hieß.

Auch Leonardo nannte ihm seinen Namen und seine Stellung am Hofe des Herzogs von Valentino. Sie kamen ins Gespräch und unterhielten sich mit jener natürlichen Leichtigkeit und dem gegenseitigen Vertrauen, wie es oft im Gespräche verschieden gearteter, einsamer und denkender Männer auftritt.

»Messere,« sagte Niccolo gleich am Anfang des Gesprächs mit einer Offenheit, die auf den Künstler einen ausgezeichneten Eindruck machte. »Ich weiß natürlich, daß Ihr ein großer Meister seid, Ich muß aber gleich bemerken, daß ich von Malerei nichts verstehe und sie sogar nicht liebe, obwohl ich gern zugeben will, daß diese Kunst mir darauf die gleiche Antwort geben kann, die einst Dante einem Spötter, der ihm auf der Straße eine Feige zeigte, gab: ›Selbst für hundert deiner Feigen gebe ich nicht eine von den meinigen.‹ Ich habe aber auch gehört, daß der Herzog Euch für einen großen Meister in der Kriegswissenschaft hält und gerade über militärische Dinge möchte ich mit Ew. Gnaden reden. Ich war immer der Ansicht, daß dieser Gegenstand eine um so größere Beachtung verdiene, als die Größe der Völker auf ihrer Kriegsmacht und auf der Qualität und der Quantität ihrer stehenden Heere beruht, wie ich es in dem von mir beabsichtigten Werke ›Von den Monarchien und Republiken‹ beweisen werde. Ich will darin die natürlichen Gesetze, die das Leben, die Entwicklung, den Verfall und den Untergang eines Staates regieren und bedingen, mit der gleichen Präzision untersuchen und festlegen, mit der der Mathematiker die Gesetze der Zahlen und der Naturforscher die der Mechanik und Physik behandelt ...«

Hier hielt er inne und bemerkte mit gutmütigem Lächeln:

»Verzeiht, Messere! Mir scheint, daß ich Eure Liebenswürdigkeit mißbrauche: vielleicht interessiert Euch meine Politik ebensowenig, wie mich Eure Malerei? ...«

»Nein, nein, ganz im Gegenteil!« erwiderte der Künstler. »Besser ist es, wenn ich mit Euch ebenso offen spreche, wie Ihr mit mir, Messer Niccolo. Die gewöhnlichen Gespräche der Leute über Krieg und Staat mag ich in der Tat nicht leiden, denn sie sind meistens hohl und verlogen. Aber Eure Ansichten sind von den allgemein verbreiteten so verschieden, so neu und ungewöhnlich, daß ich Euch – Ihr könnt es mir glauben – mit dem größten Genuß zuhöre.«

»Nehmt Euch in acht, Messer Leonardo!« warnte Niccolo mit noch gutmütigerem Lächeln. »Daß Ihr es nur nicht bereut! Ihr kennt mich noch nicht. Denn die Politik ist mein Steckenpferd, und wenn ich einmal anfange, so höre ich nicht eher auf, als bis Ihr mir Schweigen gebietet. Mein größtes Vergnügen ist – mit klugen Menschen über Politik zu sprechen. Aber leider sind die Klugen selten! Unsere vornehmen Herren interessieren sich nur für die Marktpreise von Wolle und Seide; aber ich –« er sagte es mit stolzem und bitterem Lächeln: »ich bin einmal so beschaffen, daß ich weder über Verlust und Gewinn, noch über Seide und Wolle zu reden verstehe und daher entweder schweigen, oder aber über Staatsangelegenheiten sprechen muß.«

Der Künstler beruhigte ihn noch einmal, und um das angefangene Gespräch, das ihm in der Tat höchst interessant erschien, wieder in Fluß zu bringen, fragte er ihn:

»Ihr sagtet soeben, Messere, daß die Politik eine exakte Wissenschaft sein müsse, wie die Naturwissenschaft, die auf Mathematik fußt und ihre Lehrsätze aus dem Experiment und der Beobachtung der Natur schöpft. Habe ich Euch richtig verstanden?«

»Ja, vollkommen richtig!« sagte Machiavelli. Er hatte die Brauen zusammengezogen und blickte, ganz Spannung, über den Kopf Leonardos hinweg. So glich er einem scharfsichtigen Vogel, der seinen Blick auf einen erstaunlich weit entfernten Gegenstand richtet und dabei seinen langen, dünnen Hals reckt.

»Vielleicht wird es mir auch nicht gelingen, mein Vorhaben auszuführen,« fuhr er fort, »aber ich will den Menschen über ihre Einrichtungen Dinge sagen, wie sie sie noch von niemand gehört haben. Weder Plato in seiner ›Republik‹, noch Aristoteles in seiner ›Politik‹, noch der heilige Augustinus in seinem ›Staate Gottes‹, noch irgendeiner von denen, die über den Staat geschrieben haben, hat die Hauptsache berücksichtigt: nämlich die Naturgesetze, die das Leben eines jeden Volkes regieren und außerhalb des menschlichen Willens, des Guten und des Bösen, stehen. Alle sprechen nur davon, was gut und schlecht, edel und niedrig erscheint, und von Staatsformen, wie sie sein müssen und wie sie in Wirklichkeit weder existieren noch existieren können. Ich will aber diese Dinge nicht wie sie sein sollten und nicht wie sie einem erscheinen, sondern wie sie sind, erforschen. Ich will die Natur jener großen Körper, die man Republiken und Monarchien nennt, ohne Liebe und Haß, ohne Lob und Verurteilung untersuchen, genau so wie der Mathematiker die Natur der Zahlen und der Anatom den Bau des Körpers erforscht. Ich weiß, daß es ein schweres und gefährliches Beginnen ist, denn die Menschen nehmen nichts so übel und rächen nichts so bitter, als wenn man ihnen in politischen Dingen die Wahrheit sagt. Ich will ihnen aber trotzdem die Wahrheit sagen, und wenn sie mich auch dafür auf den Scheiterhaufen werfen, wie den Fra Girolamo!«

Mit unwillkürlichem Lächeln beobachtete Leonardo den Ausdruck der prophetischen und zugleich leichtsinnigen, gleichsam kindischen Verwegenheit in Machiavellis Augen, die in sonderbarem, beinahe wahnsinnigem Feuer glänzten. Er dachte sich:

»Mit welcher Aufregung spricht er über die Ruhe, mit welcher Leidenschaftlichkeit über die Leidenschaftslosigkeit!«

»Messer Niccolo,« versetzte der Künstler, »wenn es Euch gelingt, Euren Plan auszuführen, so wird Euren Entdeckungen die gleiche Bedeutung zukommen, wie die der Geometrie des Euklides und die der Forschungen des Archimedes in der Mechanik.«

Das Neue in Niccolos Gedanken kam Leonardo in der Tat erstaunlich vor. Er erinnerte sich noch an die Randbemerkung, die er vor dreizehn Jahren in seinem Buche mit den Zeichnungen von inneren Organen des menschlichen Körpers gemacht hatte:

»Der Höchste möge mir helfen, die Natur der Menschen, ihre Sitten und Gewohnheiten ebenso zu erfassen, wie ich jetzt den inneren Bau des menschlichen Körpers begriffen habe.«

IV.

Sie sprachen lange miteinander. Leonardo fragte ihn unter anderem, wie er dazu käme, in seinem gestrigen Gespräche mit dem Hauptmann der Lanzenreiter den Festungen, Feuerwaffen und dem Pulver jede Bedeutung abzusprechen; ob es nicht gar ein Scherz gewesen sei?

»Die alten Spartaner und Römer,« erwiderte Niccolo, »die doch unfehlbare Meister in der Kriegskunst waren, hatten keine Ahnung vom Pulver.«

»Haben wir denn nicht aus Experimenten und der Erforschung der Natur,« rief der Künstler aus, »vieles gelernt, woran die Alten gar nicht zu denken wagten, und lernen wir denn nicht auch heute jeden Tag neue Dinge?«

Machiavelli blieb hartnäckig bei seiner Meinung.

»Ich bin der Ansicht,« wiederholte er, »daß die modernen Völker in Kriegs- und Staatssachen Fehler begehen, wenn sie nicht den Lehren der Alten folgen.«

»Ist denn eine solche Nachahmung überhaupt möglich, Messer Niccolo?«

»Warum denn nicht? Sind denn die Bewegungen, die Kräfte, ist die Ordnung der Menschen und der Elemente, der Sonne und des Himmels heute anders als im Altertum?«

Keinerlei Beweggründe konnten ihn von dieser Meinung abbringen. Leonardo sah, daß er, der in allen anderen Dingen verwegen und oft frech war, plötzlich abergläubisch und ängstlich wie ein Schulpedant wurde, sobald die Rede auf die Antike kam.

»Seine Pläne sind wirklich groß, wird er sie aber auch ausführen können?« fragte sich der Künstler. Unwillkürlich fielen ihm die Regeln für das Würfelspiel ein, die so geistreich erschienen, solange sie Machiavelli theoretisch dozierte, und so kläglich versagten, als er sie im wirklichen Spiel demonstrieren wollte.

»Wißt Ihr, Messere,« rief plötzlich Niccolo während des Streites mit dem Ausdruck großer Freude in den Augen. »Je länger ich Euch zuhöre, um so mehr staune ich und traue meinen Ohren nicht! .. Bedenkt doch nur, welche sonderbare Konstellation der Gestirne dazu notwendig war, damit sich zwei Männer wie wir begegneten! Ich behaupte, daß es drei Arten von Menschen gibt: erstens solche, die alles selbst sehen und erraten; zweitens solche, die Dinge sehen, auf die sie von andern aufmerksam gemacht werden; und schließlich solche, die weder selbst etwas merken, noch sich belehren lassen. Die ersten – sind die besten und seltensten; die zweiten – gut und mittelmäßig, die letzten – sind die häufigsten und untauglichsten. Ich zähle Ew.Gnaden und vielleicht auch mich selbst – um nicht in den Geruch übertriebener Bescheidenheit zu kommen – zu der ersten Kategorie. Warum lacht Ihr? Habe ich denn unrecht? Ihr könnt Euch dabei denken, was Ihr wollt; was aber mich betrifft, so glaube ich, daß unsere Begegnung nicht zufällig ist, daß sie vielmehr vom Schicksal beabsichtigt war und daß ich in meinem ganzen Leben keine zweite Begegnung solcher Art erleben werde; denn ich weiß, wie wenig kluge Menschen es in der Welt gibt. Um aber unserer Unterhaltung die Krone aufzusetzen, gestattet mir, eine herrliche Stelle aus dem Livius vorzulesen und meine Erklärungen dazu zu geben.«

Er nahm das Buch vor, rückte einen fast heruntergebrannten Talglichtstumpf heran, setzte sich eine eiserne, zerbrochene, aber sorgfältig mit einem Faden verbundene Brille mit großen runden Gläsern auf und nahm einen ernsten, feierlichen Gesichtsausdruck an, als ob er beten oder eine andere religiöse Handlung vornehmen wolle.

Er zog die Brauen hoch und hob den Zeigefinger, um jenes Kapitel aufzuschlagen, in dem dargelegt ist, daß schlecht eingerichtete Staaten an ihren Siegen und Eroberungen eher zugrunde gehen, als zur Blüte gelangen. Kaum hatte er aber die ersten wie Erz dröhnenden Worte des feierlichen Livius vorgelesen, – als die Türe leise aufgemacht wurde und ein kleines gebücktes und runzliges altes Weib ins Zimmer trat.

»Signori,« sagte sie mit ihrem zahnlosen Mund, sich tief verbeugend, »entschuldigt die Störung. Ein Liebling meiner Herrin, der erlauchtesten Madonna Lena Griffa – ein Kaninchen mit blauer Halsschleife – ist entlaufen. Wir haben schon das ganze Haus abgesucht und wissen nun gar nicht, wo es sein könnte ...«

»Hier gibt es keine Kaninchen,« unterbrach sie Messer Niccolo böse. »Macht, daß Ihr weiter kommt!«

Er erhob sich, um die Alte wegzujagen, blieb aber plötzlich stehen, musterte sie aufmerksam durch seine Brillengläser, ließ dann die Brille auf die Nasenspitze gleiten, sah die Alte noch einmal über die Gläser hinweg an, schlug die Hände zusammen und rief aus:

»Monna Alvigia! Bist du es, alte Hexe? Ich meinte, die Teufel hätten dich schon längst mit ihren Haken in die Hölle geschleppt ...«

Die Alte kniff ihre schwachen, schlauen Augen zusammen, grinste und erwiderte die liebevollen Flüche mit einem freundlichen Lächeln ihres zahnlosen Mundes, das sie noch häßlicher erscheinen ließ.

»Messer Niccolo! Wie lange haben wir uns nicht gesehen! Das hatte ich wirklich nicht erwartet, daß wir uns in diesem Leben noch einmal begegnen würden!«

Machiavelli entschuldigte sich vor dem Künstler und lud Monna Alvigia in die Küche ein, um über die gute alte Zeit zu plaudern; Leonardo aber versicherte ihm, in keiner Weise gestört zu sein. Er nahm ein Buch und setzte sich etwas abseits. Niccolo rief einen Diener herbei und bestellte eine Flasche Wein in einem Ton, als ob er der vornehmste Gast im Hause wäre.

»Diesem Gauner von Wirt, mein Freund, kannst du sagen, er solle sich ja nicht unterstehen, uns wieder von jenem Essig zu geben, den er mir neulich kredenzte. Denn ich und Madonna Alvigia mögen schlechten Wein ebensowenig, wie der bekannte Pater Arlotto, von dem es heißt, daß er vor dem heiligen Sakrament, das mit schlechtem Wein zubereitet war, nicht knien wollte. Er behauptete, solcher Wein könne sich unmöglich in das Blut des Herrn verwandeln! ...«

Monna Alvigia vergaß das Kaninchen, Messer Niccolo – den Livius, und sie unterhielten sich bei der Flasche Wein wie alte Freunde.

Leonardo entnahm aus dem Gespräch, daß die Alte selbst vor vielen Jahren eine Courtisane, dann eine Bordellwirtin zu Florenz, und später Kupplerin zu Venedig gewesen war und nun als erste Wirtschafterin und Garderobeaufseherin bei Madonna Lena Griffa angestellt sei. Machiavelli erkundigte sich bei ihr nach den gemeinsamen Bekannten; auch nach der fünfzehnjährigen blauäugigen Atalanta, die einst, als die Rede auf die Sünde des Fleisches gekommen war, mit unschuldigem Lächeln ausgerufen hatte: »Ist es denn ein Vergehen wider den heiligen Geist? Die Mönche und Pfarrer mögen predigen, was sie wollen; nie aber werde ich glauben, daß es eine Todsünde sei, armen Menschen Vergnügen zu bereiten!« Dann sprachen sie von der reizenden Madonna Riccia, deren Gatte, als man ihm einst von der Untreue seiner Frau erzählte, mit der Gleichgültigkeit eines Philosophen gesagt hatte: »Eine Frau im Hause gleicht dem Feuer im Herde: man kann davon seinen Nachbarn geben, so viel man will, es bleibt immer noch genug zurück!« Sie gedachten auch der dicken, roten Marmiglia, die jedesmal, wenn sie einem ihrer Verehrer eine Gunst gewährte, das Heiligenbild verhüllte, »damit es die Madonna nicht sieht«.

Niccolo fühlte sich bei diesem unanständigen Klatsch in seinem Element. Leonardo staunte über die Verwandlung des Staatsmannes, des Sekretärs der Florentiner Republik, des stillen und weisen Zuhörers und Redners in einen liederlichen Kumpan und Stammgast verdächtiger Spelunken. Die Ausgelassenheit Machiavellis schien übrigens nicht aufrichtig zu sein, und der Künstler hörte aus seinem zynischen Lachen eine heimliche, verhaltene Erbitterung heraus.

»Ja, so ist es, mein bester Herr! Das Junge blüht, das Alte verwelkt! ...« Monna Alvigia wurde zum Schluß sentimental und schüttelte den Kopf wie eine alte Parze der Liebe. »Es sind nicht mehr die alten Zeiten! ...«

»Du lügst, alte Hexe, Dienerin des Teufels!« sagte Niccolo und zwinkerte lustig mit den Augen. »Erzürne Gott nicht, Gevatterin, wie es auch anderen Leuten gehen mag, dir und deinesgleichen geht es jetzt so glänzend, wie noch nie. Es kommt heutzutage nie mehr vor, daß schöne Frauen eifersüchtige oder arme Männer haben: denn dank der liebevollen Fürsorge solcher Meisterinnen, wie du eine bist, leben sie in Herrlichkeit und Freuden. Die stolzesten Damen sind um Geld zu haben; in ganz Italien herrscht nichts als Unzucht und Hurerei. Eine Dirne kann man von einer anständigen Frau höchstens noch am gelben Abzeichen unterscheiden ...«

Er meinte damit die safrangelbe Kopfbinde, die das Gesetz allen öffentlichen Dirnen vorschrieb, damit man sie auf der Straße von anständigen Frauen unterscheiden könne.

»Sagt das nicht, Messere!« entgegnete die Alte seufzend, »wie kann man diese Zeit mit der guten alten vergleichen? Bedenkt doch nur, daß wir in Italien vor nicht allzu langer Zeit noch nichts von der französischen Krankheit gewußt haben, wir lebten wie im Paradies. Und auch das mit dem gelben Abzeichen ist ein wahres Unglück! Glaubt es mir, im vergangenen Fasching hätten sie meine Herrin beinahe ins Gefängnis gesteckt. Urteilt doch selbst: wie kann man von Madonna Lena verlangen, daß sie ein gelbes Abzeichen trage?«

»Warum sollte gerade sie keines tragen?«

»Was sagt Ihr da? Erlaubt doch! Ist denn die erlauchteste Madonna eins von jenen Straßenmädeln, die sich mit jedem Gesindel abgeben? Ist es denn Ew. Gnaden bekannt, daß ihre Bettdecke prächtiger ist als die Meßgewänder, die der Papst zum heiligen Osterfeste anlegt? Was aber Geist und Bildung anbetrifft, so, glaube ich, übertrifft sie darin sämtliche Doktoren der Universität von Bologna. Ihr solltet einmal hören, wie sie über Petrarca und Laura und über die Unendlichkeit der himmlischen Liebe disputiert! ...«

»Das will ich glauben,« spottete Niccolo, »wer sollte sich auch besser in der Unendlichkeit der Liebe auskennen?«

»Lacht nur, lacht, Messere! Ich schwöre Euch bei meinem Seelenheil: als sie neulich ihre Epistel an einen armen Jüngling vorlas, dem sie den Rat erteilte, sich den Übungen der Tugend zuzuwenden, weinte ich vor Rührung, wie bei den Predigten des Fra Girolamo, seligen Angedenkens, in der Kirche Santa Maria del Fiore. Sie ist wirklich ein neu erstandener Tullius Cicero! Nicht umsonst zahlen ihr die vornehmsten Herrschaften für eine einzige Unterhaltung über die Mysterien der platonischen Liebe nur um zwei oder drei Dukaten weniger, als einer anderen für eine ganze Nacht. Und Ihr redet da noch vom gelben Abzeichen!«

Zum Schluß gab Monna Alvigia ihre eigenen Jugenderinnerungen zum besten. Auch sie war einmal schön gewesen, viele Verehrer hatten zu ihren Füßen gelegen und alle ihre Launen waren erfüllt worden. Was hatte sie für Streiche angestellt! Einst hatte sie dem Bischof von Padua in der Domsakristei die Mitra vom Kopfe genommen und sie ihrer Sklavin aufgesetzt. Mit den Jahren aber verwelkte die Schönheit, die Verehrer hatten sie verlassen, und sie mußte ihren Lebensunterhalt als Zimmervermieterin und Wäscherin verdienen. Dann erkrankte sie noch und kam so sehr herunter, daß sie vor der Kirchentüre betteln wollte, um sich Gift kaufen zu können. Doch die heilige Jungfrau hatte sie vom Tode errettet: durch einen alten Abt ermuntert, der in ihre Nachbarin, die Frau eines Schmiedes, verliebt war, hatte sie eine neue Laufbahn begonnen, die einträglicher war, als das Wäschewaschen.

Die Erzählung von der wunderbaren Hilfe der heiligen Jungfrau, ihrer besonderen Fürsprecherin, wurde durch das Erscheinen einer Zofe der Madonna Lena unterbrochen, die herbeigelaufen kam, um von der Alten den Topf mit der Heilsalbe, mit der die erfrorene Pfote des Affen behandelt wurde, und den Decamerone des Boccaccio zu holen, den die edle Buhlerin vor dem Einschlafen zu lesen pflegte und den sie mit ihrem Gebetbuch unter dem Kissen verwahrte.

Als die Alte fort war, nahm Niccolo einen Bogen Papier vor, schnitt sich eine Feder zurecht und begann einen Bericht an die herrlichen Signori von Florenz über die Pläne und Handlungen des Herzogs von Valentino abzufassen. Diese Epistel war in einem leichten, fast scherzhaften Stil gehalten und doch von höchster Staatsweisheit erfüllt.

»Messere,« sagte er plötzlich, von seiner Arbeit aufblickend, »gesteht es nur: Ihr wart doch nicht wenig erstaunt, als ich aus dem Gespräch über die größten und wichtigsten Dinge, über die Tugenden der alten Spartaner und Römer so leicht in das Geschwätz über Dirnen mit der Kupplerin hinüberglitt? Ihr sollt mich aber nicht zu streng richten, Messere, und bedenken, daß die Natur selbst in ihren ewigen Verwandlungen und Gegensätzen uns ein Beispiel solcher Vielseitigkeit zeigt. Das erste Gebot aber ist – in allen Dingen tapfer der Natur zu folgen! Wozu sollten wir uns auch verstellen? Wir sind ja alle Menschen und aus dem gleichen Holz geschnitten! Kennt Ihr die alte Fabel vom Philosophen Aristoteles, der in Gegenwart seines Schülers, Alexanders des Großen, der Laune eines liederlichen Frauenzimmers folgend, in das er bis über die Ohren verliebt war, sich vor ihr auf die Viere niederließ und sie auf seinen Rücken nahm; sie ritt in der Tat schamlos und nackt auf dem Weisen wie auf einem Maultier? Es ist ja nur eine Fabel, doch ihr Sinn ist tief, wenn sich ein Aristoteles von einem schönen Mädel zu einer solchen Dummheit hinreißen ließ, was kann man dann von uns armen Sündern verlangen?«

Es war spät geworden. Das ganze Haus schlief. Ringsum die Stille der Nacht. Nur ein Heimchen zirpte in der Ecke, und im Nebenzimmer murmelte die alte Monna Alvigia; sie rieb die erfrorene Affenpfote mit der Salbe ein.

Leonardo legte sich nieder, doch er konnte nicht einschlafen und sah zu Machiavelli hinüber, der mit einer abgenagten Gänsefeder in der Hand noch immer über seiner Arbeit saß. Die Flamme des Lichtstumpfes warf auf die kahle weiße Wand einen großen Schatten seines Kopfes mit den eckigen, scharfen Umrissen, der vorgeschobenen Unterlippe, dem langen dünnen Hals und der langen, einem Schnabel gleichenden Nase. Als er mit seinem Bericht über die Politik Cesares fertig war, versiegelte er den Brief und machte auf dem Umschlag den bei eiligen Sendungen üblichen Vermerk: »Cito, citissime, celerrime!« Dann nahm er wieder den Titus Livius vor und vertiefte sich in die Arbeit, die ihn seit Jahren schon beschäftigte: in seinen Kommentar zu den Dekaden.

»Junius Brutus,« schrieb er, »der sich als Narr aufspielte, hat größeren Ruhm erworben, als die klügsten Männer. Wenn ich sein ganzes Leben betrachte, so komme ich zu dem Ergebnis, daß er es tat, um keinerlei Verdacht auf sich zu lenken und den Tyrannen leichter stürzen zu können. Es ist ein Beispiel, dem alle Tyrannenmörder folgen sollten. Wenn sie sich offen erheben können, so ist es natürlich edler. Wenn man aber nicht die Kraft oder Möglichkeit hat, offen zu kämpfen, so muß man im geheimen handeln, die Gunst des Monarchen zu erschleichen suchen, ohne vor den niedrigsten Mitteln selbst zurückzuschrecken, muß alle seine Laster teilen und sein Genosse in jeder Unzucht sein; eine solche Annäherung rettet erstens dem Verschwörer das Leben und verschafft ihm zweitens eine günstige Gelegenheit, um den Mord zu begehen. Daher sage ich, daß man wie Junius Brutus einen Narren spielen und das Gegenteil von dem, was man wirklich glaubt, loben, verurteilen und behaupten soll, wenn man den Tyrannen verderben und dem Vaterland die Freiheit zurückgeben will.«

Leonardo sah den schwarzen Schatten auf der Wand tanzen und schamlose Gesichter schneiden, während der Sekretär der Florentiner Republik den Ausdruck feierlicher Würde, einen Abglanz gleichsam der Größe des alten Rom, bewahrte. Nur in der Tiefe seiner Augen und in den Winkeln der geschwungenen Lippen trat zuweilen ein Ausdruck von Zweideutigkeit und bitterem Spott auf. Er schien ebenso zynisch, wie während der Unterhaltung mit der Kupplerin über die Dirnen.

V.

Über Nacht hatte sich der Sturm gelegt. Die Sonne funkelte in den vereisten, trübgrünen Fensterscheiben der Herberge wie in blassen Smaragden. Die schneeverwehten Felder und Hügel schienen weich wie Flaum und glänzten blendend weiß unter dem blauen Himmel.

Als Leonardo erwachte, hatte sein Gefährte das Zimmer bereits verlassen. Der Künstler ging in die Küche. Auf dem Herde brannte ein großes Feuer und auf dem von ihm eingerichteten selbsttätigen Bratspieß zischte ein Braten. Der Wirt war außer sich vor Freude über Leonardos Maschine. Ein altes Weib, das aus einem weit entfernten Bergdorfe gekommen war, starrte in abergläubischer Angst auf den Hammel, der sich selbst briet, sich wie lebend drehte und seine Flanken immer so wendete, daß sie nicht anbrennen konnten.

Leonardo befahl dem Führer, die Maultiere zu satteln, und setzte sich an einen Tisch, um vor der Abreise noch etwas zu essen. Messer Niccolo unterhielt sich in außergewöhnlicher Aufregung an einem Nebentische mit zwei neu angelangten Reisenden. Der eine war ein Bote aus Florenz, der andere ein junger Mann von tadellosem Äußeren und einem Gesicht, das weder gut noch böse, weder klug noch gescheit war, wie man sie zu Tausenden unter der Menge sieht und die sich nie im Gedächtnisse einprägen. Es war, wie Leonardo später erfuhr, ein gewisser Messer Lucio, ein Neffe des angesehenen Bürgers Francesco Vettori, der viele Verbindungen hatte und dem Machiavelli gewogen war; außerdem war er mit dem Gonfaloniere Piero Soderini verwandt. Lucio, der in Familienangelegenheiten nach Ancona reiste, hatte sich dem Boten angeschlossen, um Niccolo in der Romagna aufzufinden und ihm die Briefe seiner florentiner Freunde zu überbringen.

»Eure Sorge ist ganz unbegründet, Messer Niccolo,« sagte Lucio. »Onkel Francesco versichert, daß das Geld in den nächsten Tagen abgeschickt wird; die Signori hatten ihm noch am letzten Donnerstag versprochen ...«

»Mein Herr,« unterbrach ihn Machiavelli zornig, »ich habe hier zwei Diener und drei Pferde, die sich mit den Versprechungen der herrlichen Signori nicht abspeisen lassen. In Imola erhielt ich 60 Dukaten, mit denen ich 70 Dukaten Schulden zu bezahlen hatte. Der Sekretär der Florentiner Republik wäre verhungert, wenn sich nicht mitleidige Menschen seiner angenommen hätten. Schön wahren die Signori die Ehre ihrer Stadt, wenn ihr Bevollmächtigter an einem fremden Hofe jeden Augenblick um drei oder vier Dukaten betteln muß! ..«

Er wußte, daß seine Klagen zwecklos waren. Gleichviel, er wollte nur seinem Zorn Luft machen. In der Küche war fast niemand anwesend, und er konnte frei sprechen.

»Unser Landsmann, Messer Leonardo da Vinci – der Gonfaloniere dürfte ihn kennen,« fuhr Machiavelli fort, auf den Künstler weisend, vor dem sich Lucio sofort höflich verbeugte, »Messer Leonardo war Zeuge, welche Erniedrigungen ich hier gestern über mich ergehen lassen mußte ...«

»Ich fordere, hört es, ich bitte nicht, sondern ich fordere meinen Abschied!« sagte er schließlich mit solcher Erregung, als hätte er in der Person des jungen Florentiners die ganze herrliche Signorie vor sich. »Ich bin ein armer Mann, meine Lage ist verzweifelt, außerdem bin ich krank, wenn es so weitergeht, wird man mich in einem Sarge nach Hause bringen! Alles, was ich mit meinen Vollmachten ausrichten konnte, habe ich schon ausgerichtet. Aber die Unterhandlungen zu verschleppen, umherzulungern, immer einen Schritt vorwärts und dann gleich einen rückwärts zu tun, nichts anrühren dürfen, – dafür danke ich, ergebenster Diener! Ich halte den Herzog für zu klug für eine derartig kindliche Politik. Übrigens habe ich Eurem Onkel geschrieben ...«

»Mein Onkel,« erwiderte Lucio, »wird selbstredend das Mögliche tun; aber leider hält der Rat der Zehn Eure Berichte, die die hiesigen Angelegenheiten beleuchten, für so unentbehrlich für das Wohl der Republik, daß er Euch unter keinen Umständen den Abschied geben wird. Sie würden Euch gern gehen lassen, aber sie wissen keinen Ersatz. Sie halten Euch für unersetzlich und nennen Euch das Ohr und das Auge der Republik. Ich kann Euch versichern, Messer Niccolo, Eure Briefe haben in Florenz einen so großen Erfolg, wie Ihr Euch einen größeren gar nicht wünschen könntet. Alle sind über die unvergleichliche Eleganz und Leichtigkeit Eures Stils entzückt. Der Onkel erzählte mir, wie sie sich neulich im Rat vor Lachen gewunden haben, als eine Eurer Scherzepisteln vorgelesen wurde ...«

»So stehen also die Sachen!« rief Machiavelli aus und sein Gesicht verzerrte sich. »Jetzt ist mir alles klar! Die Signori haben an meinen Berichten Gefallen gefunden. Messer Niccolo ist also doch noch zu etwas gut. Sie kugeln sich dort vor Lachen und ergötzen sich an meinem eleganten Stil, während ich hier wie ein Hund lebe, friere, hungere, vor Fieber zittere, Beleidigungen erdulde und mich wie ein Wurm krümme – und alles für das Wohl der Republik; der Teufel mag die Republik mit ihrem Gonfaloniere holen, diesem weinerlichen alten Weib! Daß Ihr alle miteinander krepiertet!«

Er begann unflätig zu schimpfen und war von ohnmächtigem Zorn erfüllt, wie immer, wenn er an die Führer des Volkes dachte, die er verachtete und denen er fast als Lakai dienen mußte.

Um dem Gespräch eins andere Wendung zu geben, reichte ihm Lucio einen Brief von seiner jungen Frau Marietta.

Machiavelli durchflog die wenigen Zeilen, die mit großer Kinderschrift auf das graue Papier hingekritzelt waren.

»Ich hörte,« schrieb u.a. Marietta, »daß in den Ländern, in denen Ihr Euch aufhaltet, Fieber und andere Krankheiten wüten. Ihr könnt Euch vorstellen, wie es mir ums Herz ist. Ich muß Tag und Nacht an Euch denken. – Der Junge ist gottlob gesund. Er gleicht Euch von Tag zu Tag mehr. Sein Gesicht ist schneeweiß, sein Haar ist dicht und tief schwarz, genau wie bei Euer Gnaden. Er scheint mir hübsch, denn er ähnelt Euch. Er ist so lebhaft und lustig, als wäre er mindestens ein Jahr alt. Ihr dürft es mir glauben: kaum war er auf der Welt, als er die Augen weit aufriß und zu schreien begann. Ich bitte Euch, denkt auch an uns und kommt, so schnell es geht, zurück, denn ich will und kann nicht länger warten. Um Gottes willen, kommt, so bald es geht! Inzwischen beschütze Euch Gott, die heilige Jungfrau und der mächtige Messer Antonio, zu dem ich täglich um Euer Wohlergehen bete.«

Leonardo bemerkte, wie Machiavellis Gesicht in einem gutmütigen Lächeln erstrahlte, während er diesen Brief las. Das Lächeln nahm sich bei seinen eckigen und scharfen Gesichtszügen gar seltsam aus, als schaue das Gesicht eines andern Menschen aus ihnen heraus. Dieser Ausdruck aber war bald wieder verschwunden. Machiavelli zuckte verächtlich mit den Schultern, knitterte den Brief zusammen, steckte ihn in die Tasche und brummte:

»Wer war denn so schlau, ihr von meiner Krankheit zu erzählen?«

»Man konnte es unmöglich verheimlichen,« entgegnete Lucio. »Täglich kommt Monna Marietta zu irgendeinem von Euren Freunden oder von den Mitgliedern des Rates der Zehn und fragt sie aus, wo Ihr seid und wie es mit Euch steht ...«

»Ja, ja, ich kenne sie doch! Es ist ein wahres Unglück! ...«

Er winkte ungeduldig mit der Hand und fügte hinzu:

»Staatsgeschäfte sollte man doch nur unverheirateten Leuten anvertrauen. Denn eines von beiden: entweder die Frau, oder die Politik!«

Er wandte sich etwas ab und fuhr mit scharfer, gellender Stimme fort:

»Habt Ihr nicht die Absicht, zu heiraten, junger Mann?«

»Vorläufig noch nicht, Messer Niccolo,« erwiderte Lucio.

»Nie, hört Ihr, nie sollt Ihr diese Dummheit begehen! Gott bewahre Euch davor! Denn heiraten ist dasselbe, wie aus einem Sack mit Schlangen einen Aal herausziehen! Die Ehe ist eine Last für den Rücken eines Atlas, aber nicht für den eines gewöhnlichen Sterblichen. Habe ich recht, Messer Leonardo?«

Leonardo sah ihn an und erriet, wie überaus zärtlich er seine Monna Marietta liebte, wie er sich dieses Gefühls aber schämte und es unter der Larve eines Zynikers zu verbergen suchte.

Die Herberge leerte sich. Die Gäste waren früh aufgestanden und abgereist. Auch Leonardo machte sich auf den Weg. Er lud Machiavelli ein, sich ihm anzuschließen. Der aber erklärte mit traurigem Kopfschütteln, daß er hier noch die Geldsendung aus Florenz abwarten müsse, um seine Rechnung bezahlen und Pferde mieten zu können. Seine erkünstelte Ungezwungenheit von vorhin war spurlos verschwunden. Er war ganz niedergeschlagen und schien unglücklich und krank. Die Langeweile der Untätigkeit und des zu langen Aufenthalts an einem Ort war für ihn Gift. Die Mitglieder des Rates der Zehn hatten ihm in einem ihrer Briefe vorgeworfen, daß er zu viele unnötige Reisen mache, die die Geschäfte nur verwirrten: »Diesen Vorwurf, Niccolo,« hieß es in dem Brief, »hast du deinem unruhigen Geist, der dich immer von Ort zu Ort treibt, zu verdanken.«

Leonardo nahm ihn bei der Hand, führte ihn zur Seite und bot ihm ein Darlehen an. Niccolo lehnte ab.

»Beleidigt mich nicht, mein Freund,« sagte der Künstler. »Ihr habt es doch gestern selbst gesagt: welche seltene Konstellation der Gestirne war dazu notwendig, damit sich zwei Männer wie wir begegneten. Warum wollt Ihr dann Euch und mir diese Wohltat des Schicksals versagen? Fühlt Ihr denn selbst nicht, daß Ihr mir einen größeren Dienst erweisen würdet, als ich Euch?«

Das Gesicht und die Stimme des Künstlers waren so gütig, daß Niccolo nicht den Mut hatte, die Bitte abzuschlagen. Er nahm von ihm dreißig Dukaten, die er zurückzuzahlen versprach, sobald das Geld aus Florenz eintreffen würde. Er beglich sofort seine Rechnung beim Wirt mit fürstlicher Freigebigkeit.

VI.

Sie reisten ab. Der Morgen war still und mild, in der Sonne war es warm, es taute wie im Frühling und im Schatten war eine duftig frostige Frische. Der tiefe Schnee mit den blauen Schatten knisterte unter den Hufen der Reittiere. Zwischen den weißen Hügeln funkelte das blaßgrüne winterliche Meer, auf dem gelbe schräge Segel, goldenen Schmetterlingen gleich, vorbeizogen.

Niccolo plauderte, scherzte und lachte. Jede Kleinigkeit inspirierte ihn zu unerwarteten lustigen oder wehmütigen Bemerkungen.

Als sie durch ein armes Fischerdorf an der Mündung des Bergstromes Arzilla in das Meer ritten, sahen sie auf dem kleinen Kirchenplatz mehrere feiste, lustige Mönche unter einer Menge junger Bauernweiber stehen, denen sie Kreuze, Rosenkränze, Reliquienteile, Steinchen von dem Hause der Muttergottes zu Loretto und Federn aus den Flügeln des Erzengels Michael verkauften.

»Wie könnt ihr da ruhig zusehen?« rief Niccolo den Männern und Brüdern der Bäuerinnen zu, die mit auf dem Platze standen. »Laßt doch die Mönche nicht an die Frauen heran! Wißt ihr denn nicht, daß Fett leicht Feuer fängt und die heiligen Väter wohl wünschten, daß die Schönen sie nicht nur Väter nennen, sondern sie auch zu solchen machen?«

Er brachte die Sprache auf die römische Kirche und behauptete, sie sei es, die Italien zugrunde richte.

»Beim Bacchus!« rief er aus und in seinen Augen flammte Entrüstung. »Ich würde den Mann, der dieses Gesindel, die Mönche und Pfaffen, zwingen würde, auf ihre Macht oder ihre Unzucht zu verzichten, wie mich selbst lieben!«

Leonardo fragte ihn, wie er über Savonarola denke. Niccolo gestand, daß er eine Zeitlang sein eifrigster Anhänger gewesen sei und von ihm gehofft hatte, er würde Italien retten, doch habe er bald die Ohnmacht des Propheten eingesehen.

»Mich ekelt vor diesen heuchlerischen Geschäften. Ich will nicht mehr daran denken. Daß sie der Teufel ...!«

VII.

Gegen Mittag zogen sie in Fano ein. Alle Häuser waren von Soldaten, Offizieren und dem Gefolge Cesares überfüllt. Leonardo bekam als Hofbaumeister zwei Zimmer in der Nähe des Schloßplatzes. Eines dieser Zimmer stellte er seinem Reisegefährten zur Verfügung, denn dieser konnte in der ganzen Stadt kein anderes auftreiben.

Machiavelli begab sich ins Schloß und kam bald mit einer wichtigen Neuigkeit zurück: der herzogliche Statthalter Don Ramiro di Lorqua war hingerichtet worden. Am Weihnachtsmorgen, dem 25. Dezember, wurde auf der Piazzetta zwischen dem Schlosse und der Rocca Cesena der enthauptete Leichnam Don Ramiros in einer Blutlache gefunden; neben ihm lag ein Beil, und auf einem Spieße steckte sein Kopf.

»Den Grund der Hinrichtung kennt niemand,« schloß Niccolo seinen Bericht. »Aber in der ganzen Stadt spricht man nur noch davon. Da werden recht interessante Meinungen geäußert. Ich komme, um Euch abzuholen. Gehen wir auf den Platz und horchen. Es wäre ja Sünde, eine solche Gelegenheit, die natürlichen Gesetze der Politik an einem Beispiele studieren zu können, sich entgehen zu lassen!«

Vor dem alten Dome Santo-Fortunato wartete eine Volksmenge auf das Erscheinen des Herzogs. Er sollte ins Lager reiten, um die Truppen zu inspizieren. Man sprach von der Hinrichtung des Statthalters. Leonardo und Machiavelli mischten sich unter die Menge.

»Wie geht das nun zu, Brüder? Ich kann es unmöglich begreifen!« fragte ein junger Handwerker mit gutmütigem und dummem Gesicht. »Hieß es denn nicht, daß er den Statthalter mehr als alle anderen Würdenträger liebe und schätze?«

»Eben aus diesem Grunde hat er ihn auch so bestraft!« versetzte belehrend ein ehrbar aussehender Schmied, in einem Pelz aus Eichhornfellen. »Don Ramiro hat den Herzog betrogen. In seinem Namen hat er das Volk mißhandelt, viele Leute in Gefängnissen und bei Torturen umgebracht; er hat sich auch bestechen lassen. Vor dem Fürsten aber spielte er das unschuldige Lamm. Er glaubte, von seinen Taten käme nichts ans Licht. Es kam aber anders! Ihm schlug die Stunde, der Faden der herzoglichen Geduld riß und der Fürst opferte seinen ersten Würdenträger dem Wohle des Volkes. Er wartete gar nicht auf einen Richterspruch, sondern ließ ihn wie den gemeinsten Verbrecher enthaupten, um ein Exempel zu statuieren. Jetzt ziehen alle, die etwas auf dem Gewissen haben, den Schwanz ein, denn sie sehen, wie schrecklich sein Zorn und wie gerecht sein Urteil ist. Dem Demütigen ist er gnädig, den stolzen vernichtet er!«

»Regas eos in virga ferrea,« zitierte ein Mönch die Worte der Apokalypse – »Du sollst sie weiden mit einem eisernen Stabe«.

»Ja, alle die Hundesöhne, die Leuteschinder sollte man mit eisernem Stabe schlagen.«

»Er versteht, zu strafen, versteht auch gnädig zu sein!«

»Es gibt keinen besseren Fürsten!«

»So ist es!« sagte ein Bauer. »Gott hat sich unserer Romagna erbarmt. Früher hat man Tote und Lebendige geschunden, mit Steuern und Abgaben zugrunde gerichtet. Wenn einer nichts zu essen hatte, nahm man ihm auch das letzte Paar Ochsen für rückständige Steuern fort. Erst seit wir den Herzog Valentino haben, können wir wieder aufatmen! Der Herr möge ihm Gesundheit spenden!«

»Auch die Gerichte sind jetzt anders!« warf ein Kaufmann ein. »Früher verschleppten sie ihre Entscheidungen tagelang, es war eine wahre Tortur. Heute fällen sie die Sprüche so rasch, wie man es gar nicht rascher verlangen darf.«

»Die Waisen beschirmt er, den Witwen spendet er Trost,« sagte der Mönch.

»Das muß man ihm lassen: er liebt sein Volk.«

»Er läßt uns von niemandem beleidigen.«

»Mein Gott!« schluchzte vor Rührung eine alte, gebrechliche Bettlerin. »Er ist unser Vater, Wohltäter und Ernährer; die Himmelskönigin möge ihn beschützen!«

»Hört Ihr es? Hört Ihr?« flüsterte Machiavelli dem Künstler zu. »Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes! Ich habe immer gesagt: nur vom Tale aus kann man die Berge überblicken; man muß unters Volk gehen, wenn man einen Fürsten kennen lernen will. Alle, die den Herzog für ein Scheusal halten, sollten jetzt herkommen und zuhören! Er hat es den Weisen und Klugen verborgen und den Unmündigen offenbart.«

Da ertönte Musik. In die Menge kam Bewegung.

»Er ist es ... Er ... Da reitet er ... Seht ...«

Man stellte sich auf die Zehen und reckte die Hälse. Aus allen Fenstern sahen Neugierige heraus. Junge Mädchen und Frauen mit verliebten Augen eilten auf die Balkone und Loggias, um den Helden – »den blonden und schönen Cäsar« – » Cesare biondo e bello« – zu sehen. Dies galt als seltenes Glück, denn Cesare zeigte sich dem Volke sehr selten.

Zuerst kamen die Musiker, deren Pauken mit betäubendem Dröhnen die schweren Schritte der Soldaten begleiteten. Dann die romagnolische Garde des Herzogs: lauter ausgesucht schöne junge Männer mit drei Ellen langen Hellebarden, eisernen Helmen und Panzern und zweifarbiger Kleidung – die rechte Hälfte gelb, die linke rot. Niccolo war entzückt über die echt römische stramme Haltung dieses von Cesare geschaffenen Truppenkörpers. Der Garde folgten mit unerhörter Pracht gekleidete Pagen und Bügelhalter: sie trugen Wämser aus Goldbrokat und Mäntel aus rotem Samt mit goldgewirkten Farnkrautblättern; die Schwertscheiden und Riemen waren aus Schlangenhaut und die Schnallen stellten giftspeiende Vipernköpfe dar – das heraldische Wahrzeichen des Hauses Borgia. Auf der Brust prangte das mit Silber in schwarze Seide gewirkte Wort: Caesar. Dann kamen die Leibtrabanten des Herzogs – albanische Stradioten mit grünen türkischen Turbanen und krummen Yataganen. Der Maestro del Campo, der Oberbefehlshaber des Lagers, Bartolomeo Capranica, trug in erhobenen Händen das bloße Schwert des Bannerträgers der römischen Kirche. Dann kam auf einem Berberhengst der Beherrscher der Romagna, Cesare Borgia, Herzog von Valentino, in hellblauem Seidenmantel, auf den mit Perlen die weißen Lilien Frankreichs gestickt waren, und in einer spiegel-glänzenden Bronzerüstung; der Panzer war vorn mit einem geöffneten Löwenrachen geschmückt, der Helm stellte ein Meerungeheuer oder einen Drachen mit stachligen Federn, Flügeln und Flossen dar, aus dünnem Kupferblech geschmiedet und bei jeder Bewegung klirrend.

Der Herzog war sechsundzwanzig Jahre alt; sein Gesicht war seit der Zeit, als Leonardo ihn in Mailand am Hofe Ludwigs XII. gesehen hatte, bleicher und magerer geworden. Die Gesichtszüge waren schärfer, und der Ausdruck seiner Augen, die den schwarzblauen Glanz von brüniertem Stahl hatten, war härter und undurchdringlicher geworden. Das blonde, immer nach dichte Haar und der geteilte Bart schienen dunkler. Die Nase schien länger und erinnerte an den Schnabel eines Raubvogels. Das leidenschaftslose Gesicht aber hatte seine vollkommene Klarheit bewahrt. Es drückte noch mehr stürmische Kühnheit und erschreckende Schärfe als früher aus und erinnerte an eine bloße geschliffene Schwertschneide.

Dem Herzog folgte die Artillerie, die beste in ganz Italien; da waren schlanke kupferne Coulevrinen, Falkonette und bauchige gußeiserne Mörser, aus denen mit Steinkugeln geschossen wurde. Von Ochsen gezogen, rollten sie mit dumpfem, betäubendem Dröhnen, das sich mit dem Schmettern der Pauken und Trompeten vermengte, vorüber. Die Geschütze, Panzer, Helme und Speere leuchteten in den blutroten Strahlen der untergehenden Sonne wie Blitze. Cesare ritt im kaiserlichen Purpur des Winterabends gleichsam als Triumphator gerade auf den großen, tiefstehenden blutroten Sonnenball zu.

Das Volk starrte seinen Helden schweigend mit verhaltenem Atem an. Es wollte ihm zujubeln. Doch in der Ehrfurcht, die an Grauen grenzte, wagte es nicht, das Schweigen zu brechen. Die alte Bettlerin weinte vor Rührung.

»Heilige Märtyrer, heilige Jungfrau!« lallte sie, sich bekreuzend. »So habe ich es doch noch erlebt, dein strahlendes Sonnenantlitz zu schauen! ...«

Das funkelnde Schwert, das Cesare vom Papste zur Verteidigung der Kirche des Herrn erhalten hatte, erschien ihr als das Flammenschwert des Erzengels Michael.

Leonardo mußte lächeln, als er im Gesichte Niccolos und in dem der halbverrückten Bettlerin den gleichen Ausdruck einfältigen Entzückens bemerkte.

VIII.

Nach Hause zurückgekehrt, fand der Künstler den von Agapito, dem ersten Sekretär des Herzogs, unterzeichneten Befehl, am nächsten Tage vor seiner Hoheit zu erscheinen.

Lucio, der sich diesen Tag in Fano aufgehalten hatte und nun nach Ancona weiter reisen wollte, kam zu ihnen, um Abschied zu nehmen. Niccolo brachte die Sprache auf die Hinrichtung Ramiros di Lorqua. Lucio fragte ihn, was er für den wirklichen Grund der Hinrichtung halte.

»Die Beweggründe eines solchen Fürsten wie Cesare zu erraten, ist schwierig und fast unmöglich,« antwortete Machiavelli. »Wenn Ihr aber meine persönliche Meinung hören wollt, so will ich sie gern sagen. Bekanntlich befand sich die Romagna, bevor sie von Cesare erobert wurde, unter dem Joche einer Menge unbedeutender Tyrannen und litt unter Willkür, Räubereien und Gewalttätigkeiten. Um damit aufzuräumen, ernannte Cesare seinen klugen und treuen Diener Don Ramiro di Lorqua zum Statthalter. Durch entsetzliche Strafen und Hinrichtungen, die im Volke einen heilsamen Respekt vor den Gesetzen weckten, machte er der früheren Wirtschaft ein Ende und stellte im Lande vollkommene Ruhe her. Als der Fürst aber sah, daß sein Ziel erreicht war, beschloß er, das Werkzeug seiner Grausamkeit zu vernichten: er ließ Ramiro wegen angeblicher Bestechlichkeit verhaften, enthaupten und seinen Leichnam auf dem Platze abstellen. Der schreckliche Anblick wirkte auf das Volk befriedigend und zugleich betäubend. Diese überaus weise und nachahmenswerte Handlung brachte dem Herzog dreierlei Vorteil: erstens riß er das Unkraut der Zwiste, das von den früheren schwächlichen Tyrannen gesät worden war, mit der Wurzel aus; zweitens erweckte er im Volke den Glauben, alle diese Grausamkeiten seien ohne Wissen des Fürsten verübt worden, er wusch seine Hände in Unschuld und lud die ganze Verantwortung dem Statthalter auf, während er selbst die guten Früchte von dessen Grausamkeit erntete; drittens zeigte er ein Beispiel hoher und unbestechlicher Gerechtigkeit, indem er seinen liebsten Diener dem Wohle des Volkes opferte.«

Er sagte dies alles mit ruhiger Stimme und sein Gesicht blieb dabei so leidenschaftslos und unbewegt, als rede er von abstrakter Mathematik. Nur in der Tiefe seiner Augen bebte bald verlöschend, bald wieder aufflackernd eine Flamme frecher, beinahe kindlich-ausgelassener Lust.

»Das nenne ich eine Gerechtigkeit!« rief Lucio aus. »Aus Euren Worten, Messer Niccolo, folgt, daß diese vermeintliche Gerechtigkeit – entsetzliche Gemeinheit ist!«

Der Sekretär von Florenz schlug die Augen nieder und gab sich Mühe, ihr lebhaftes Feuer etwas zu dämpfen.

»Möglich,« sagte er kühl, »es ist sehr möglich, Messers, was folgt aber daraus?«

»Was daraus folgt? Haltet Ihr denn diese Gemeinheit für nachahmenswerte Staatsweisheit?«

Machiavelli zuckte mit den Achseln.

»Junger Mann, wenn Ihr Euch einige Erfahrung in der Politik angeeignet haben werdet, so werdet Ihr sehen, daß zwischen dem, was die Menschen tun sollten, und dem, was sie in Wirklichkeit tun, ein ganz gewaltiger Unterschied besteht. Diesen Unterschied verkennen, heißt sich ins Verderben stürzen, denn alle Menschen sind von Natur aus schlecht und lasterhaft, und nur Angst oder Vorteil zwingt sie manchmal, tugendhaft zu sein. Daher sage ich auch, daß ein Fürst, der dem Untergange entrinnen will, vor allen Dingen lernen soll, tugendhaft zu scheinen, und es in Wirklichkeit je nach den Umständen zu sein, oder nicht zu sein, ohne sich dabei Gewissensbisse über jene Laster zu machen, die zur Erhaltung der Macht notwendig sind. Wenn man nämlich genauer die Natur des Guten und des Bösen erforscht, so muß man einsehen, daß vieles, was Tugend erscheint, die Macht eines Fürsten untergräbt, und was Laster erscheint, sie vermehrt.«

»Gestattet doch, Messer Niccolo!« empörte sich endlich Lucio, »wenn man so urteilt, so ist alles erlaubt, und kein Verbrechen ist so gemein, daß man es nicht rechtfertigen könnte ...«

»Ganz richtig, alles ist erlaubt,« sagte Niccolo noch kühler und leiser. Um diesen Worten besonderen Nachdruck zu verleihen, hob er die Hand und wiederholte: »Demjenigen, der herrschen will und kann, ist alles erlaubt!«

»Um auf unsern Gegenstand zurückzukommen,« fuhr er fort, »stelle ich nun die Behauptung auf, daß der Herzog von Valentino, der die Romagna in einen geeinigten Staat verwandelt und mit Hilfe Don Ramiros von den Gräueln, die in ihr herrschten, gesäubert hat, nicht nur klüger, sondern bei all seiner Grausamkeit auch barmherziger gehandelt hat, als z.B. die Florentiner Republik, die in den ihr gehörenden Gebieten ewige Aufstände und Gewalttätigkeit duldet. Denn besser ist die Grausamkeit, die nur einzelne Menschen trifft, als die Barmherzigkeit, die ganze Völker in Aufständen untergehen läßt.«

»Gestattet doch,« sagte der ganz verwirrte und verblüffte Lucio. »Ist es denn wirklich so? Hat es denn nie große Fürsten gegeben, denen jede Grausamkeit fremd war? Zum Beispiel Kaiser Antonius und Markus Aurelius; es gab aber noch viele andere, wie in der alten, so auch in der neueren Geschichte? ...«

»Vergeßt nicht, Messere,« entgegnete Niccolo, »daß ich vorläufig nur von den eroberten und nicht von den ererbten Monarchien sprach und die Erlangung und nicht die Erhaltung von Macht im Auge hatte. Die Kaiser Antonius und Markus Aurelius konnten natürlich barmherzig sein, ohne damit dem Staate einen besonderen Schaden zuzufügen, denn ihre Vorgänger hatten genügend grausame und blutige Handlungen begangen. Denkt doch daran, daß bei der Erbauung Roms von den beiden von der Wölfin aufgezogenen Brüdern der eine den anderen ermordet hat. Es war ja gewiß ein schreckliches Verbrechen; wer weiß aber, ob ohne diesen Brudermord, der zur Schaffung der Alleinherrschaft notwendig war, die Stadt Rom überhaupt existieren könnte, ob sie nicht bei den Zwisten, die bei jeder geteilten Herrschaft unvermeidlich sind, untergegangen wäre? Wer ist berufen, zu entscheiden, welche Wagschale sinken würde, wenn man auf die eine den Brudermord, auf die andere – alle Weisheit und Tugenden der ewigen Stadt legte? Selbstredend ist das düsterste Menschenschicksal einer auf solchen Schandtaten begründeten Königswürde vorzuziehen. Wenn aber ein Mensch den Pfad der Tugend einmal verlassen hat, so muß er, wenn er nicht untergehen will, sich endgültig für den anderen Weg entscheiden und ihn bis ans Ende verfolgen, denn die Menschen rächen nur kleine und mittelmäßige Verbrechen, während die großen ihnen die Möglichkeit sich zu rächen nehmen. Daher darf ein Fürst an seinen Untertanen nur große Verbrechen begehen und muß sich der kleinen und mittelmäßigen enthalten. Die Menschen aber wählen meistens den gefährlichen Mittelweg zwischen Gut und Böse und haben nicht den Mut, gut oder böse bis ans Ende zu sein. Wenn ein Verbrechen Größe erfordert, schrecken sie davor zurück und beschränken sich nur auf kleine Gemeinheiten, die sie mit natürlicher Leichtigkeit begehen.«

»Wenn man Euch zuhört, Messer Niccolo, stehen einem die Haare zu Berge!« rief Lucio ganz entsetzt. Da ihn sein weltmännisches Taktgefühl wohl empfinden ließ, daß diesem unliebsamen Gespräch eine scherzhafte Wendung gegeben werden mußte, fügte er mit unnatürlichem Lächeln hinzu:

»Ihr könnt sagen, was Ihr wollt, nie werde ich glauben, daß dies Eure wirklichen Ansichten sind. Es erscheint mir höchst unwahrscheinlich ...«

»Die vollkommene Wahrheit erscheint fast immer unwahrscheinlich,« unterbrach ihn Machiavelli trocken.

Leonardo, der aufmerksam zugehört hatte, hatte schon längst bemerkt, daß Niccolo, der Gleichgültigkeit heuchelte, öfters verstohlene, prüfende Blicke auf seinen Gesprächspartner geworfen hatte, wie um festzustellen, welchen Eindruck seine Worte hervorriefen: ob die Neuheit und Ungewohnheit seiner Gedanken ihn in Erstaunen oder in Angst versetzten. Diese schielenden, unsicheren Blicke verrieten Eitelkeit. Der Künstler fühlte, daß Machiavelli sich nicht genügend beherrschte und daß seinem Geist, bei aller Schärfe und Feinheit, die ruhige überzeugende Kraft fehle. Sein Bestreben, anders zu denken, als die andern Menschen, und Gemeinplätze zu vermeiden, führte ihn in das entgegengesetzte Extrem – zu Übertreibungen und zur Jagd nach seltenen, wenn auch unvollkommenen, aber unbedingt verblüffenden Lehrsätzen. Er spielte mit unerhörten Zusammenstellungen sich widersprechender Worte – wie z. B. »Tugend« und »Grausamkeit«, mit jener furchtlosen Geschicklichkeit, mit der ein Gaukler mit entblößtem Degen spielt. Er besaß ein ganzes Arsenal scharf geschliffener, blendender, verführerischer und schrecklicher Halbwahrheiten, die er wie vergiftete Pfeile ebenso gegen seine Feinde schleuderte, wie gegen kleinbürgerlich-anständige und vernünftig-denkende Herdenmenschen, wie Messer Lucio einer war. Er rächte sich an ihnen für ihre sieghafte Trivialität und für seine Überlegenheit, die sie nicht verstehen konnten; er stach und biß sie, doch tötete er sie nicht und verwundete sie nie.

Der Künstler mußte an sein eigenes Ungeheuer denken, das er einst im Auftrage des Ser Piero da Vinci auf dem hölzernen Schilde – der Rotella – gemalt hatte, in dem einzelne Körperteile der verschiedensten häßlichen Tiere vereinigt waren. Hatte vielleicht auch Messer Niccolo nach dem gleichen Verfahren und ebenso zwecklos und uneigennützig sein gottähnliches Ungeheuer, den nichtexistierenden und unmöglichen Fürsten geschaffen, ein widernatürliches und zugleich anziehendes Scheusal, ein Medusenhaupt zum Schrecken des Pöbels?

Leonardo aber sah in Niccolo neben dieser scheinbar sorglosen Phantasie, der spielenden Laune und der Leidenschaftslosigkeit eines Künstlers, auch ein wirkliches tiefes Leid: als ob der mit Schwertern spielende Gaukler sich selbst absichtlich verwunde; in der Verherrlichung fremder Grausamkeit war eine Grausamkeit gegen sich selbst enthalten.

»Gehört er vielleicht zu jenen unglücklichen Kranken, die ihre Schmerzen zu lindern suchen, indem sie ihre Wunden neu aufwühlen?« fragte sich Leonardo.

Das letzte Geheimnis dieses finstern, komplizierten Herzens, das dem seinigen fremd und zugleich verwandt war, blieb ihm noch immer verborgen.

Während Leonardo Machiavelli mit dem größten Interesse betrachtete, kämpfte Messer Lucio hilflos, wie in einem sinnlosen Traume, mit dem Gespensterkopf der Medusa.

»Nun, ich will nicht weiter streiten,« sagte er, sich an den letzten Strohhalm gesunden Menschenverstandes klammernd. »Das, was Ihr da von der Grausamkeit der Fürsten sagt, mag ja vielleicht in bezug auf die großen Männer des Altertums stimmen. Ihnen wird vieles verziehen, weil ihre Tugenden und Heldentaten unermeßlich waren. Was aber, um Gottes willen, Messer Niccolo, hat dies alles mit dem Fürsten der Romagna zu schaffen? Quod licet Jovi, non licet bovi. Was Alexander dem Großen und Julius Cäsar erlaubt war, ist das auch Alexander VI. erlaubt oder Cesare Borgia, von dem man noch nicht einmal weiß, ob er ein Cäsar oder ein Nichts ist? Dies ist meine Ansicht und ich glaube, daß ihr alle beistimmen ...«

»Gewiß werden alle Euch beistimmen!« unterbrach ihn Niccolo, der jetzt offenbar die Haltung verlor. »Dies ist aber kein Beweis, Messer Lucio! Die Wahrheit wohnt nicht auf den großen Landstraßen, die allen offen stehen. Um unsern Streit abzuschließen, will ich nur noch folgendes sagen: ich finde die Handlungen Cesares vollkommen und glaube, daß man ihn allen jenen, die ihre Macht mit Waffen und Erfolgen erlangen wollen, als bestes Beispiel hinstellen kann. In ihm hat sich höchste Grausamkeit mit höchster Tugend vereint, er versteht so gut, Menschen mit Gnaden zu überschütten und zu vernichten, so fest sind die Grundsteine seiner jungen Macht, daß man ihn schon heute als den einzigen Selbstherrscher in Italien und vielleicht auch in ganz Europa erklären muß; was ihn freilich in der Zukunft erwartet, ist heute noch gar nicht abzusehen ...«

Seine Stimme zitterte, auf seinen eingefallenen Wangen traten rote Flecken hervor und seine Augen glänzten wie im Fieber. Er sah wie ein Hellseher aus. Unter der spöttischen Maske des Zynikers lugte das Gesicht des ehemaligen Savonarolaschülers hervor.

Kaum aber hatte Lucio, vom Streit ermüdet, den Vorschlag gemacht, im nächsten Keller bei einigen Flaschen Wein Frieden zu schließen, als der Hellseher verschwand.

»Wißt Ihr was?« sagte Niccolo. »Wollen wir lieber irgend anderswohin gehen. Ich habe ja eine Spürnase wie ein Hund und bin überzeugt, es gibt hier ganz prächtige Mädchen.«

»Was für Mädchen wird es in einem so elenden Nest geben?« zweifelte Lucio.

»Hört einmal, junger Mann!« unterbrach ihn der Sekretär von Florenz mit wichtiger Miene. »Ihr sollt mir die kleinen Nester nie verachten. Gott bewahre! Denn in den schmutzigsten Vororten und den finstersten Gäßchen findet man oft die herrlichsten Leckerbissen! ...«

Lucio klopfte Machiavelli kollegial auf die Schulter und nannte ihn einen losen Buben.

»Es ist aber finster,« wandte er ein, »und auch kalt; wir werden noch erfrieren ...«

»Wir nehmen Laternen mit,« drang Niccolo in ihn ein, »hüllen uns in Pelze und stülpen Kapuzen übers Gesicht. So wird uns niemand erkennen. Je geheimnisvoller solch ein Abenteuer ist, um so größer ist sein Reiz. – Messer Leonardo, kommt Ihr mit?«

Der Künstler lehnte ab.

Er verabscheute die gewöhnlichen Gespräche der Männer über Frauen und wich ihnen mit dem Gefühl unüberwindlicher Schamhaftigkeit aus. Dieser fünfzigjährige Mann, der tapfere Erforscher der Geheimnisse der Natur, der Menschen zum Schafott begleitete, um den Ausdruck des letzten Grauens auf ihren Gesichtern zu studieren, wurde oft über einen leichtsinnigen Scherz verlegen, schlug die Augen nieder und errötete wie ein Knabe.

Niccolo schleppte Messer Lucio mit sich fort.

IX.

Am nächsten Morgen kam ein Cameriere aus dem Schloß, um zu fragen, ob der erste herzogliche Baumeister mit seinem Quartier zufrieden sei, und ob er in der von so vielen Fremden überfüllten Stadt nicht irgendwelchen Mangel leide; er überbrachte ihm das Geschenk des Herzogs, das nach der gastfreundlichen Sitte jener Zeit aus Lebensmitteln und anderen nützlichen Sachen bestand: aus einem Sack Mehl, einem Fäßchen Wein, einem geschlachteten Hammel, acht Paar Kapaunen und Hühnern, zwei großen Fackeln, drei Bündeln Wachskerzen und zwei Kisten Konfetti. Als Niccolo diese Aufmerksamkeit Cesares gegen Leonardo sah, bat er ihn, sich für ihn beim Herzog zu verwenden und ihm eine Audienz erwirken.

Um elf Uhr – zu der gewöhnlichen Empfangsstunde Cesares – begaben sie sich ins Schloß.

Der Herzog führte eine seltsame Lebensweise: im Winter wie im Sommer ging er um vier oder fünf Uhr zu Bett, um drei Uhr nachmittags sah er erst den Morgen dämmern, um vier Uhr ging die Sonne auf, um fünf Uhr abends kleidete er sich an und nahm gleich, oft noch im Bette liegend, die Mahlzeit ein; während des Essens und nach dem Essen befaßte er sich mit den laufenden Geschäften. Sein ganzes Leben umgab er mit unergründlichen Geheimnissen; er tat es nicht nur aus angeborener Verschlossenheit, sondern aus feiner Berechnung. Sehr selten verließ er das Schloß, und dann immer mit einer Larve vor dem Gesicht. Dem Volke zeigte er sich nur bei außergewöhnlich feierlichen Gelegenheiten, dem Heere nur während der Schlacht, im Augenblick der größten Gefahr. Dafür war sein Erscheinen immer so unerwartet und glänzend wie das eines Halbgottes. Er liebte und verstand es zu verblüffen.

Von seiner Freigebigkeit wurden Wunderdinge erzählt. Alles Gold, das ununterbrochen aus der gesamten Christenheit in die Kasse von St. Peter zusammenfloß, langte nicht zum Unterhalt des ersten Kapitäns der Kirche. Die Gesandten berichteten ihren Fürsten, daß seine täglichen Ausgaben sich nicht weniger als auf tausend achthundert Dukaten beliefen. Wenn Cesare durch die Straßen ritt, lief ihm die Menge nach, denn man wußte, daß er seine Pferde mit besonderen, leicht abfallenden silbernen Hufeisen beschlagen ließ, um diese absichtlich zu verlieren und dem Volke zum Geschenk zu machen.

Auch seine körperliche Stärke soll ungeheuer gewesen sein; es hieß, daß er einst in Rom bei einem Stierkampfe, als er noch Kardinal von Valencia war, einem Stier mit einem Hiebe seines Schwertes den Schädel gespalten hätte. Die französische Krankheit, an der er in den letzten Jahren litt, hatte seine Gesundheit nur etwas geschwächt, aber nicht untergraben. Mit den Fingern seiner schönen, feinen, gleichsam weiblichen Hände bog er Hufeisen, drehte Eisenstangen zusammen und zerriß Schiffstaue. Er, der für seine eigenen Würdenträger und die Gesandten der Großmächte unzugänglich war, wohnte oft auf den Hügeln um Cesena den Faustkämpfen von romagnolischen Berghirten bei. Zuweilen beteiligte er sich auch selbst an solchen Spielen.

Zugleich war er ein vollkommener Kavalier und Gesetzgeber auf dem Gebiete der Mode. In der Hochzeitsnacht seiner Schwester, Madonna Lucrezia, verließ er plötzlich sein Heer bei der Festung, die er gerade belagerte, und kam direkt aus dem Lager ins Schloß des Bräutigams, Alfonso d'Este, des Herzogs von Ferrara. Von niemand erkannt, ganz in schwarzen Samt gekleidet und mit einer schwarzen Larve vor dem Gesicht, bahnte er sich einen Weg durch die Menge der Gäste, verbeugte sich und begann ganz allein zu den Klängen der Musik zu tanzen. Kaum hatte er einige Touren getanzt, als ihn alle an seiner unnachahmlichen Eleganz erkannten. Durch die Menge ging ein Flüstern des Entzückens: »Cesare! Cesare! Der einzige Cesare!« Ohne auf die Gäste und den Bräutigam zu achten, führte er die Braut etwas zur Seite, beugte sich zu ihr und begann ihr etwas zuzuflüstern. Lucrezia schlug die Augen nieder, und wurde erst rot, dann kreideweiß. Zart und bleich wie eine Perle, vielleicht noch unschuldig, aber willenloses Werkzeug in den schrecklichen Händen des Bruders, schien sie jetzt noch viel schöner. Sie war ihm, wie man behauptete, bis zur Blutschande ergeben.

Er war nur um eines besorgt: keine offenkundigen Beweise zu liefern. Vielleicht übertrieb das Gerücht die Schandtaten des Herzogs, vielleicht war die Wirklichkeit noch schrecklicher als das Gerücht. Jedenfalls verstand er es, alle Spuren zu verwischen.

X.

Seine Hoheit bewohnte das alte gotische Rathaus von Fano.

Leonardo und Machiavelli durchschritten einen großen, kalten, düsteren Saal, in dem die gemeinsamen Audienzen der minder vornehmen Besucher stattfanden, und gelangten in ein kleines Gemach, das einst eine Kapelle gewesen war. Es hatte Spitzbogenfenster mit farbigen Gläsern und ein Chorgestühl aus Eichenholz, dessen feine Schnitzereien die zwölf Apostel und die ältesten Kirchenväter darstellten. Auf einer verblaßten Freske auf der Decke schwebte zwischen Engeln und Wolken die Taube des heiligen Geistes. Hier war die nächste Umgebung des Herzogs versammelt. Man sprach nur im Flüsterton, denn die Nähe des Fürsten war auch durch die Wände hindurch wahrnehmbar.

Ein kahlköpfiger Greis, der unglückliche Gesandte von Rimini, der sich schon seit drei Monaten um eine Audienz beim Herzog bemühte und offenbar von den vielen durchwachten Nächten erschöpft war, schlummerte in der Ecke auf einem der Kirchenstühle.

Zuweilen ging eine Türe auf: der Sekretär Agapito, die Brille auf der Nase, eine Feder hinter dem Ohr, steckte seinen Kopf mit besorgtem Gesichtsausdruck herein und rief einen der Wartenden zum Herzog.

Bei jedem Erscheinen des Sekretärs fuhr der Gesandte von Rimini zusammen und erhob sich von seinem Sitz; als er aber sah, daß die Reihe noch immer nicht an ihm war, seufzte er schwer auf und nickte wieder ein.

Da es im kleinen Rathaus an Räumlichkeiten mangelte, wurde die Kapelle in eine Feldapotheke verwandelt. Vor dem Fenster, wo sonst der Altar stand, bereitete auf einem mit Flaschen, Phiolen und Büchsen des medizinischen Laboratoriums besetzten Tische der Bischof von Santa-Giusta, Gaspare Torella, der »Archijartos,« und erste Leibarzt seiner Heiligkeit und Cesares, das eben in Mode gekommene Heilmittel gegen die französische Krankheit – die Syphilis. Es bestand aus einer Abkochung des »heiligen Holzes« – Guajaco, das von den kürzlich von Kolumbus entdeckten südlichen Inseln eingeführt wurde. Der Bischof-Arzt zerrieb mit seinen schönen Händen das scharfriechende safrangelbe Mark des Guajaco, das fette Klümpchen bildete, und erklärte dabei mit verbindlichem Lächeln Natur und Eigenschaften des wunderbaren Holzes.

Alle hörten mit Interesse zu. Viele der Anwesenden kannten die schreckliche Krankheit aus eigener Erfahrung.

»Wo mag sie nur hergekommen sein?« fragte der Kardinal Santa-Balbina mit traurigem Kopfschütteln.

»Die spanischen Juden und Mohren sollen sie eingeschleppt haben,« erwiderte Bischof Elna. »Jetzt, da man neue Gesetze gegen die Gottlosen erlassen hat, hat die Krankheit, Gott sei Dank, etwas nachgelassen; aber noch vor vier oder fünf Jahren wütete sie nicht nur unter Menschen, sondern auch unter Tieren, Pferden, Schweinen und Hunden; das Getreide auf den Feldern und selbst Bäume wurden krank.«

Der Arzt äußerte seinen Zweifel, ob Weizen und Hafer die französische Krankheit bekommen könnten.

»Es ist eine Strafe Gottes,« seufzte der Bischof Trani ganz zerknirscht. »Der Herr hat uns für unsere Sünden die Geißel seines Zorns gesandt!«

Das Gespräch verstummte. Man hörte nur noch das Geräusch des Stößers im Mörser; die im Chorgestühl dargestellten Kirchenväter schienen ganz erstaunt diesem Gespräch der neuen Hirten der Kirche des Herrn zu lauschen.

In der Kapelle, die vom flackernden Apothekerlämpchen erleuchtet war, wo sich der erstickende kampferähnliche Geruch des Guajacoholzes mit dem kaum wahrnehmbaren Dufte des alten Weihrauches vermengte, schienen die römischen Prälaten zu irgendeiner geheimen religiösen Handlung versammelt zu sein.

»Monsignore,« wandte sich an den Arzt der herzogliche Astrolog Valgulio, »ist es wahr, daß diese Krankheit durch die Luft übertragen wird?«

Der Arzt zuckte zweifelnd mit den Schultern.

»Selbstredend wird sie durch die Luft übertragen!« versicherte Machiavelli mit schlauem Lächeln, »wie könnte man es anders erklären, daß sie sich in Mönchs- und in Nonnenklöstern gleichzeitig verbreitet?«

Alle lächelten.

Ein Hofpoet – Battisto Orfino – rezitierte feierlich wie ein Gebet die an den Herzog gerichtete Widmung einer neuen Abhandlung des Bischofs Torella über die französische Krankheit; er behauptete darin u. a., der Herzog habe mit seinen Tugenden alle großen Männer des Altertums in den Schatten gestellt: Brutus durch seine Gerechtigkeit, Decius durch Standhaftigkeit, Scipio durch Mäßigkeit, Marcus Regulus durch Treue und Paulus Emilius durch Großmut; zugleich verherrlichte er den Bannerträger der Römischen Kirche als den Begründer der Quecksilberkur.

Während dieses Gesprächs nahm der Sekretär der Florentiner Republik bald den, bald jenen von den Anwesenden zur Seite und fragte alle höchst geschickt und mit dem Spürsinn eines Jagdhundes nach der künftigen Politik Cesares aus. Er trat auch an Leonardo heran, senkte den Kopf, legte den Zeigefinger an den Mund und sprach nachdenklich, auf Leonardo schielend, vor sich hin: »Ich werde eine Artischocke essen ... Ich werde eine Artischocke essen ...«

»Was für eine Artischocke?« wunderte sich der Künstler.

»Das ist es eben – was für eine Artischocke? Neulich gab der Herzog dem Gesandten von Ferrara Pandolfo Colenuccio ein Rätsel zu raten: ›Ich werde eine Artischocke Blatt für Blatt verzehren.‹ Vielleicht meinte er damit das Bündnis seiner Feinde, das er spalten und vernichten will; vielleicht auch etwas anderes. Seit einer Stunde schon zerbreche ich mir den Kopf darüber!«

Er beugte sich zum Ohre Leonardos und flüsterte:

»Hier sind lauter Rätsel und Fallen! Über jeden Unsinn reden sie, sobald man aber von Geschäften spricht, sind sie alle stumm wie Fische oder wie Mönche beim Essen. Mich kann man aber nicht so leicht betrügen. Ich fühle, daß hier etwas im Anzuge ist. Aber was? Glaubt mir, Messere, ich würde meine Seele dem Teufel verschreiben, um es zu erfahren.«

Seine Augen leuchteten wie bei einem verzweifelten Spieler.

Die Türe ging wieder auf und Agapito winkte dem Künstler.

Leonardo gelangte durch einen langen halbfinstern Gang, der von den Leibtrabanten, den albanischen Stradioten, besetzt war, in das Schlafzimmer des Herzogs. Es war ein behagliches Gemach mit seidenen Teppichen an den Wänden, bestickt mit einer Einhornjagd; die Stuckdecke zeigte die Fabel von der Liebe der Königin Pasiphae zum Stiere. Dieser Stier, das purpurne und goldene Kalb, das heraldische Tier der römischen Kirche, wiederholte sich in der ganzen Ausschmückung des Raumes neben der päpstlichen dreimal gekrönten Tiara und den Schlüsseln des heiligen Petrus.

Das Zimmer war überheizt, denn die Ärzte rieten den Kranken, nach der Quecksilbereinreibung sich vor Zugluft zu hüten und sich an der Sonne oder am Ofen zu wärmen. Im Marmorkamin brannte wohlriechender Wacholder; dem Brennöl in den Lampen war Veilchenessenz zugesetzt, denn Cesare liebte Wohlgerüche.

Er lag, wie es seine Gewohnheit war, angekleidet auf einem niederen Lager ohne Vorhänge, das in der Mitte des Zimmers stand. Nur zwei Körperstellungen waren ihm eigen: entweder lag er im Bette, oder er saß auf seinem Pferde. Unbeweglich und leidenschaftslos verfolgte er, sich auf einen Ellenbogen stützend, eine Partie Schach, die zwei Höflinge neben seinem Bett auf einem Jaspistischchen spielten, und nahm zugleich den Vortrag des Sekretärs entgegen: Cesare besaß die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit zugleich auf mehrere verschiedene Dinge zu richten. Nachdenklich rollte er mit langsamen gleichförmigen Bewegungen aus einer Hand in die andere eine goldene mit Wohlgerüchen gefüllte Kugel, von der er sich wie von seinem Damaszenerdolch nie trennte.

XI.

Er empfing Leonardo mit der ihm eigenen bestrickenden Liebenswürdigkeit. Er erlaubte, ihm nicht, das Knie zu beugen, reichte ihm die Hand und nötigte ihn in einen Sessel.

Er hatte ihn zu sich berufen, um sich mit ihm über Bramantes Pläne zu einem neuen Kloster, der sogenannten »Valentina«, für die Stadt Imola zu beraten. An das Kloster sollte eine reiche Kapelle, ein Spital und eine Herberge für Wanderer angegliedert werden; diese Wohltätigkeitsanstalten sollten ein Denkmal seiner christlichen Nächstenliebe bilden.

Als die Pläne erledigt waren, zeigte er dem Künstler die neuen erst eben fertiggestellten Lettern für die Buchdruckerei Hieronimos Sonciono in Fano, den er in seiner Sorge um das Aufblühen der Künste und Wissenschaften in der Romagna unterstützte.

Agapito überreichte dem Fürsten eine Sammlung von Lobhymnen des Hofpoeten Francesco Uberti. Seine Hoheit nahm sie gnädig entgegen und befahl, den Dichter fürstlich zu belohnen.

Darauf verlangte er nicht nur die Lobhymnen, sondern auch die gegen ihn gerichteten Satiren zu sehen, und der Sekretär überreichte ihm ein Epigramm des neapolitanischen Dichters Mancioni, den man kürzlich in Rom verhaftet und in die Engelsburg gesperrt hatte. In diesem Sonett, das von Schimpfwörtern strotzte, wurde Cesare ein Maulesel, der Bastard einer Hure und des Papstes, der auf dem Throne sitze, der früher der Thron Christi gewesen und nun der des Satans sei, genannt, ferner ein Türke, ein Beschnittener, ein entweihter Kardinal, ein Blutschänder, ein Brudermörder und ein Gottloser.

»Worauf wartest du noch in deiner Langmut, o Herr,« rief der Dichter aus, »siehst du denn nicht, daß er die heilige Kirche in einen Maultierstall und in ein öffentliches Haus verwandelt hat?« Was befehlen Hoheit, mit diesem Schurken zu machen?« fragte Agapito.

»Man soll bis zu meiner Rückkehr warten,« erwiderte der Herzog leise, »ich werde mit ihm schon selbst fertig werden.«

Noch leiser fügte er hinzu:

»Ich werde den Dichtern Manieren beibringen.«

Man kannte ja die Art, wie Cesare den Dichtern »Manieren beibrachte«: für minder schwere Beleidigungen ließ er ihnen die Hände abhacken und die Zunge mit glühendem Eisen durchstechen.

Der Sekretär schloß seinen Vortrag und zog sich zurück.

Der erste Hofastrolog Valgulio kam mit einem neuen Horoskop. Der Herzog lauschte seinen Ausführungen aufmerksam, beinahe andächtig, denn er glaubte an die Unvermeidlichkeit des Fatums und an die Allmacht der Gestirne. Der Astrolog erklärte u. a., daß der letzte Anfall der französischen Krankheit beim Herzog dem schädlichen Einflusse des trockenen Mars, der ins Zeichen des feuchten Skorpions getreten war, zuzuschreiben sei; sobald aber der Mars in Konjunktur mit der Venus beim aufgehenden Stiere träte, würde seine Krankheit von selbst und gänzlich verschwinden. Dann riet er dem Herzog, falls er irgendein wichtiges Unternehmen vorhabe, es am 31. Dezember nachmittags in Angriff zu nehmen, denn die Stellung der Gestirne an diesem Tage und zu dieser Stunde sei für ihn günstig. Er hob den Zeigefinger, neigte sich zum Ohre des Herzogs und flüsterte ihm dreimal bedeutungsvoll zu:

»Mach es so! Mach es so! Mach es so!«

Cesare schlug die Augen nieder und erwiderte nichts. Der Künstler aber sah, wie ein Schatten über sein Gesicht huschte.

Der Herzog verabschiedete den Astrologen mit einer Handbewegung und wandte sich wieder an seinen Hofbaumeister.

Leonardo breitete vor ihm die neuen Pläne und Kriegskarten aus. Es waren nicht nur Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung über die Gestaltung des Bodens, Wasserläufe, Bergketten und Flußtäler, sondern zugleich auch Werke eines großen Künstlers, von der Vogelperspektive aus gesehene Landschaftsbilder. Das Meer war mit blauer Farbe bezeichnet, die Berge waren braun, die Flüsse hellblau, die Städte dunkelrot und die Wiesen hellgrün. Alle Einzelheiten, die Plätze, Straßen und Türme der Städte waren mit höchster Vollkommenheit dargestellt, so daß man sie sofort, ohne erst die erklärenden Inschriften zu lesen, erkennen konnte. Beim Betrachten dieser Karten hatte man das Gefühl, in schwindelnder Höhe über die Erde hinzufliegen, zu Füßen die unübersehbaren Fernen. Mit besonderem Interesse betrachtete Cesare auf der Karte die Gegend, die im Norden vom Val d'Emo – dem Tale eines in den Arno mündenden Flüßchens, im Süden vom Bolsena-See, im Westen von Arezzo und Perugia und im Osten von Siena und dem Küstenland begrenzt war. Hier lag das Herz Italiens, die Heimat Leonardos, das Land von Florenz, das den Herzog schon längst als eine leckere Beute interessierte.

Cesare studierte die Karte und schwelgte im Gefühl des Fluges. Er war wohl kaum imstande, seine Empfindungen in Worte zu kleiden; aber er fühlte wohl, daß er und Leonardo einander verstünden, daß sie gleichsam Komplizen seien. Er erriet, wenn auch dunkel, die ungeheuere Macht, welche ihm die Wissenschaft verleihen könnte, und strebte nach dieser Macht, nach diesen Flügeln zu einem sieghaften Fluge, schließlich hob er seine Augen zum Künstler und drückte ihm mit bestrickendem Lächeln die Hand.

»Ich danke dir, mein Leonardo! Diene mir auch weiter so, wie du mir bisher gedient hast; ich werde dich zu belohnen wissen.«

»Fühlst du dich auch wohl?« fügte er besorgt hinzu. »Bist du mit deinem Gehalt zufrieden? Hast du vielleicht irgendwelche Wünsche? Du weißt doch, daß ich dir jeden Wunsch mit Freuden erfüllen werde.«

Leonardo benützte die Gelegenheit, um für Messer Niccolo ein Wort einzulegen, und bat den Herzog, er möchte diesem eine Audienz gewähren.

Cesare zuckte mit den Schultern und sagte mit gutmütigem Lächeln:

»Ein merkwürdiger Mensch ist dieser Messer Niccolo! Er bewirbt sich immer um Audienzen, und so oft ich ihm wirklich eine gewähre, haben wir nichts zu besprechen. Warum haben sie mir einen solchen Kauz geschickt?«

Er schwieg eine Weile und fragte dann Leonardo, was er von Machiavelli halte.

»Ich glaube, Hoheit, daß er der klügste Mensch ist, den ich je gesehen habe.«

»Ja, klug ist er,« bestätigte der Herzog, »vielleicht auch recht tüchtig in Geschäften. Und trotzdem ... ist auf ihn kein Verlaß. Er ist ein Phantast und Windbeutel, in keiner Sache hält er Maß. Ich war ihm übrigens immer gewogen und bin es ihm jetzt erst recht, da ich weiß, daß er dein Freund ist. Er ist ja höchst gutmütig! Er ist durchaus nicht hinterlistig, obwohl er sich für den tückischsten Menschen hält und mich immer zu hintergehen sucht, als ob ich ein Feind eurer Republik wäre. Ich bin ihm dafür nicht böse, denn ich weiß, daß er sein Vaterland mehr als sein Leben liebt. – Nun, mag er zu mir kommen, wenn er so große Lust hat ... Sag ihm, daß es mich freuen wird, ihn zu empfangen. – Ich habe übrigens neulich gehört, daß Messer Niccolo ein Werk über Politik und Kriegswissenschaft schreiben will, wie steht es damit?«

Cesare lächelte wieder still vor sich hin, als ob ihm etwas Lustiges eingefallen wäre.

»Hat er mit dir schon über seine mazedonische Phalanx gesprochen? Noch nicht? So höre zu. Niccolo hatte einmal meinem Maestro di Campo, Bartolomeo Capranica, und anderen Hauptleuten aus seinem Buche über Kriegswissenschaft ein Kapitel über die Regeln einer neuen Schlachtordnung, die der altmazedonischen Phalanx gleicht, mit solcher Überzeugungskraft vorgetragen, daß allen der Wunsch kam, sie in der Praxis zu sehen. Man trat ins Feld vor dem Lager und Niccolo übernahm das Kommando. Drei Stunden lang mußten die zweitausend Soldaten in Kälte, Wind und Regen stehen, Niccolo quälte sich entsetzlich ab, aber die mazedonische Phalanx brachte er nicht fertig. Endlich riß meinem Bartolomeo die Geduld; er trat vor das Heer und stellte es beinahe augenblicklich unter den Klängen eines Tamburins zur herrlichsten Schlachtordnung auf, obwohl er noch nie ein kriegswissenschaftliches Werk in der Hand gehabt hatte. Da erst sahen alle, welch großer Unterschied zwischen Worten und Taten besteht. – Aber ich bitte dich, Leonardo, erzähle ihm davon kein Wort, denn Messer Niccolo schätzt es nicht, an die mazedonische Phalanx erinnert zu werden!«

Es war spät geworden, gegen drei Uhr nachts. Dem Herzog wurde ein leichtes Abendbrot gereicht, das aus einer Gemüseplatte, einer Forelle und etwas weißem Wein bestand: als echter Spanier zeichnete er sich durch Mäßigkeit im Essen aus.

Der Künstler verabschiedete sich. Cesare dankte ihm noch einmal mit berückender Freundlichkeit für die Kriegskarten und ließ ihn durch drei fackeltragende Pagen nach Hause begleiten, was eine besondere Ehre bedeutete.

Leonardo erzählte Machiavelli von seinem Empfang beim Herzog.

Als Niccolo von den Karten hörte, die Leonardo im Auftrage Cesares in der Umgebung von Florenz aufgenommen hatte, erschrak er.

»Wie? Ihr, ein Bürger der Republik, habt es für den schlimmsten Feind des Vaterlandes getan?«

»Ich denke doch, daß Cesare als unser Verbündeter gilt ...« entgegnete der Künstler.

»Gilt!« rief der Sekretär von Florenz und in seinen Augen flammte Entrüstung. »Wißt Ihr auch, Messere, daß man gegen Euch eine Anklage wegen Hochverrat erheben wird, wenn die herrlichen Signori davon erfahren?«

»Wirklich?« fragte Leonardo mit naivem Erstaunen. – »Ihr sollt aber nicht so von mir denken, Messer Niccolo, denn ich verstehe wirklich nichts von Politik; auf diesem Gebiete bin ich wie ein Blinder ...«

Sie blickten einander schweigend an und begriffen mit einem Male beide, daß sie in diesem Punkte bis zum tiefsten Grunde der Seele voneinander verschieden seien, daß sie sich darin ewig fremd bleiben und einander nie verstehen würden: für den einen gab es kein Vaterland, der andere liebte es, wie sich Cesare ausgedrückt hatte, »mehr als sein Leben«.

XII.

In der gleichen Nacht reiste Niccolo ab. Niemand wußte, wohin und wozu.

Am nächsten Tag gegen Mittag kam er müde und halb erfroren zurück. Er suchte Leonardo in seinem Zimmer auf, schloß sorgfältig die Türe und erklärte, daß er ihm schon seit längerer Zeit eine Sache anvertrauen wolle, die größte Diskretion erfordere. Er begann weit ausholend.

Vor drei Jahren hätte sich einmal in der Abenddämmerung in einer einsamen Gegend der Romagna zwischen den Städten Cervia und Porto-Cesenatico folgendes zugetragen. Bewaffnete, vermummte Reiter hätten die Gattin des Kapitäns der Infanterie der Durchlauchtigsten Republik, Batisto Caracciolo, Madonna Dorotea, die unter der Eskorte einer Abteilung Berittener von Urbino nach Venedig reiste, überfallen, die Dame, sowie ihre fünfzehnjährige Base Maria, eine Novize des Nonnenklosters von Urbino, geraubt und auf ihren Pferden entführt. Von jenem Tage an waren Dorotea und Maria verschollen.

Der Rat und der Senat von Venedig sahen die Republik in der Person ihres Kapitäns beleidigt und erhoben bei Ludwig XII., dem König von Spanien und dem Papst Klage gegen den Herzog von Romagna, den sie des Raubes beschuldigten. Sie hatten jedoch keine überführenden Beweise in Händen, und Cesare beantwortete die Anklage mit der spöttischen Bemerkung, er leide keinen Mangel an Frauen und habe es daher nicht notwendig, sich solche von den Landstraßen zu holen.

Es gingen Gerüchte, Madonna Dorotea begleite den Herzog auf allen seinen Reisen, sie habe sich bald getröstet und sehne sich gar nicht nach ihrem Mann zurück.

Maria hatte einen jungen Bruder, Messer Dionigio, der als Kapitän in den Diensten von Florenz stand und dem Lager von Pisa zugeteilt war. Da alle Bemühungen der Florentiner Signori ebenso fruchtlos waren, wie die Klagen der Durchlauchtigsten Republik, beschloß Dionigio, sein Glück selbst zu versuchen. Er kam in die Romagna, verschaffte sich unter einem angenommenen Namen Zutritt zum Herzog, erschlich sich sein Vertrauen, drang in den Festungsturm von Cesena ein und floh mit der als Knabe verkleideten Maria. Doch an der Grenze von Perugia wurden sie eingeholt. Der Bruder wurde getötet, die Schwester wieder in die Festung gesperrt.

Machiavelli hatte sich als Sekretär der Florentiner Republik dieser Sache angenommen. Messer Dionigio hatte sich mit ihm befreundet, ihn in das Geheimnis seines Vorhabens eingeweiht und ihm alles erzählt, was er von den Gefängniswärtern über seine Schwester erfahren konnte. Die Wärter hielten sie für eine Heilige, behaupteten, sie heile Kranke, weissage, und ihre Hände und Füße wiesen blutige Wunden auf, die den Stigmaten der heiligen Katharina von Siena glichen.

Als Cesare Doroteas überdrüssig war, richtete er seine Blicke auf Maria. Der berühmte Verführer der Frauen war sich des Zaubers, der von ihm ausging und dem selbst die reinsten nicht widerstehen konnten, bewußt. Er war überzeugt, daß Maria sich ihm früher oder später ergeben werde. Aber er hatte sich geirrt. Sein Wille stieß auf einen unüberwindlichen Widerstand im Herzen dieses Kindes. Man erzählte sich, daß der Herzog sie oft in ihrer Gefängniszelle besuche und viele Stunden mit ihr unter vier Augen verbringe; was sich aber bei diesen Zusammenkünften abspiele, wußte niemand.

Schließlich erzählte Niccolo, daß er die Absicht habe, Maria zu befreien.

»Wenn Ihr, Messer Leonardo, mir dabei helfen wolltet, so würde ich die Sache so leiten, daß niemand etwas von Eurer Beihilfe erfährt. Ich wollte Euch übrigens nur um Auskünfte über gewisse Einzelheiten der Lage und Einrichtung der Festung San-Michele, wo sich Maria befindet, bitten. Als Hofbaumeister könnt Ihr Euch leicht Eingang verschaffen und alles auskundschaften.«

Leonardo betrachtete ihn schweigend und erstaunt. Unter diesen prüfenden Blicken lachte Niccolo plötzlich unnatürlich laut, beinahe boshaft auf.

»Ich will hoffen,« rief er aus, »daß Ihr mich nicht einer übertriebenen Gefühlsduselei und ritterlichen Großmut verdächtigt! Mir ist es selbstverständlich ganz gleich, ob der Herzog das Mädchen verführen wird oder nicht. Ihr wollt natürlich wissen, warum ich mich um die Sache bemühe? Nun, vielleicht nur, um den herrlichen Signori zu beweisen, daß ich auch zu anderen Dingen als zu Narrenpossen tauge. Die Hauptsache aber ist, daß der Mensch irgendeine Zerstreuung habe. Das menschliche Leben ist schon einmal so eingerichtet, daß man sich ab und zu irgendeine Dummheit erlauben muß, um nicht vor Langeweile zu sterben. Ich habe es satt, zu schwatzen, Würfel zu spielen, öffentliche Häuser zu besuchen und unnötige Berichte an die Wollhändler von Florenz zu schreiben. Nun habe ich mir diese Sache ausgeheckt, denn hier sind wenigstens keine Worte, sondern Taten! ... Es wäre unverzeihlich, eine solche Gelegenheit zu verpassen. Ich habe bereits den ganzen Plan mit den wunderbarsten Feinheiten fertig! ...«

Er sprach dies so rasch, als wolle er sich rechtfertigen. Leonardo hatte aber schon früher bemerkt, daß Niccolo sich seiner Güte schämte und sie wie immer unter der Maske eines Zynikers verbarg.

»Messere,« unterbrach ihn der Künstler, »ich bitte Euch, auf mich ebenso zu rechnen, wie auf Euch selbst. Doch stelle ich die Bedingung, daß im Falle eines Mißerfolgs ich dieselbe Verantwortung trage, wie Ihr.«

Niccolo war sichtbar gerührt. Er erwiderte den Händedruck des Künstlers und entwickelte vor ihm sofort seinen Plan.

Leonardo hörte ihm ohne Widerspruch zu, obwohl er in der Tiefe seiner Seele zweifelte, ob dieser Plan, der zu fein und schlau und zu unwahrscheinlich klang, sich in der Tat ebenso leicht verwirklichen ließe, wie in Worten.

Zur Befreiung Marias setzten sie den 30. Dezember an: an diesem Tage sollte der Herzog Fano verlassen.

Zwei Tage vorher kam zur späten Abendstunde einer der bestochenen Gefängniswärter gelaufen, um sie vor drohendem Verrat zu warnen. Niccolo war nicht zu Hause und Leonardo ging in die Stadt, um ihn zu suchen.

Endlich fand er den Sekretär von Florenz in einer Spielhölle, wo eine Bande von Bauernfängern, – es waren zum größten Teil Spanier aus dem Heere Cesares, – unerfahrene Spieler rupfte.

Machiavelli erläuterte vor einem Auditorium junger Wollüstlinge und Zechbrüder das berühmte Sonett Petrarcas:

Ferito in mezzo di core di Laura
Von Laura mitten in das Herz getroffen. –

In jedem Worte entdeckte er einen unanständigen Sinn und bewies, daß Laura ihren Petrarca mit der französischen Krankheit angesteckt hätte. Die Zuhörer kugelten sich vor Lachen.

Im Nebenzimmer erklang Männergeschrei, Weibergewinsel, der Lärm umgeworfener Tische und das Klirren von Degen, zerschlagenen Flaschen und rollenden Münzen: man hatte einen Falschspieler ertappt. Niccolos Zuhörer eilten hin. Leonardo flüsterte ihm zu, er komme mit einer wichtigen Neuigkeit in der Angelegenheit Marias. Sie traten auf die Straße.

Die Nacht war still und sternenklar. Unter den Schritten knisterte reiner, neugefallener Schnee. Nach der erstickenden Schwüle der Spielhölle atmete Leonardo gierig die frostige Luft ein, die fast aromatisch schien.

Als Niccolo vom Verrat erfuhr, äußerte er mit unerwarteter Sorglosigkeit, daß vorläufig nichts zu befürchten sei.

»Ihr wart wohl erstaunt, mich in einer solchen Spelunke zu finden?« fragte er seinen Gefährten. – »Den Sekretär der Florentiner Republik – in der Rolle eines Hanswursts vor diesem Gesindel zu sehen? Was soll man tun? Not lehrt auch den Bären tanzen! Sie sind zwar Gauner und Schwindler, doch immerhin freigebiger als unsere Signori! ...«

In diesen Worten lag eine solche Grausamkeit gegen sich selbst, daß Leonardo ihn unterbrechen mußte:

»Es ist ja nicht wahr! Warum sprecht Ihr so über Euch selbst, Messer Niccolo? Wißt Ihr denn nicht, daß ich Euer Freund bin und Euch anders beurteile als die anderen?«

Machiavelli wandte sich ab und fuhr nach einer Pause leise und mit veränderter Stimme fort:

»Ich weiß es ... seid mir nicht böse, Leonardo! Zuweilen, wenn es mir schwer wird, scherze und lache ich, statt zu weinen ...«

Seine Stimme zitterte, er senkte den Kopf und sagte noch leiser:

»So ist einmal mein Schicksal! Ich bin unter einem unglückseligen Stern geboren, während meine Altersgenossen, ganz unbedeutende Männer, in allen Dingen Erfolg haben, in Herrlichkeit und Freuden leben, Ehren, Geld und Macht gewinnen, – bleibe ich allein hinter allen zurück und werde von den Dümmsten zurückgedrängt. Sie halten mich für leichtsinnig, vielleicht haben sie auch recht. Großen Entbehrungen, Gefahren und Mühen gehe ich nie aus dem Wege. Aber mein ganzes Leben lang kleine und gemeine Beleidigungen erdulden, ewig Not leiden und jeden Heller zehnmal wenden müssen – das kann ich wirklich nicht! Was soll ich da überhaupt noch viel reden!« er machte eine verzweifelte Handbewegung und seine Stimme wurde von Tränen erstickt.

»Ein verfluchtes Leben! Wenn Gott mit mir kein Einsehen hat, werde ich bald alles liegen und stehen lassen, mich von den Geschäften zurückziehen und Monna Marietta und meinen Sohn in Stich lassen, denn ich falle ihnen nur zur Last; es wäre besser, wenn sie mich tot glaubten. – Ich werde ans Ende der Welt fliehen, mich in irgendein Loch, wo mich niemand kennt, verkriechen, zu einem Podesta als Schreiber eintreten, oder Kinder in irgendeiner Dorfschule unterrichten, nur um nicht vor Hunger zu krepieren; und so werde ich leben, bis ich ganz stumpf werde und jedes Bewußtsein verliere; denn das Schrecklichste, mein Freund, ist die Erkenntnis, Kräfte zu haben und sie zu nichts verwenden zu können, daß man nie etwas erreichen wird und sang- und klanglos untergehen muß! ...«

XIII.

Die Zeit verstrich und Leonardo bemerkte, wie Niccolo, je näher der zur Befreiung Marias festgesetzte Tag heranrückte, bei all seinem Selbstvertrauen, immer schwächer wurde, die Geistesgegenwart verlor, bald unvorsichtig zögerte, bald sich sinnlos übereilte. Der Künstler wußte aus eigener Erfahrung, was in der Seele Niccolos vorging: es war keine Feigheit, sondern die auch Leonardo wohlbekannte unerklärliche Schwäche und Unentschlossenheit jener Menschen, die nicht zu Taten geboren sind, das plötzliche Versagen des Willens im letzten, entscheidenden Augenblick, wenn es gilt, ohne Zweifeln und Schwanken zu handeln.

Am Vorabend des verhängnisvollen Tages begab sich Niccolo in ein in der Nähe der San Michele-Festung gelegenes Dorf, um die Vorbereitungen zur Flucht Marias endgültig abzuschließen. Auch Leonardo sollte am gleichen Morgen dort eintreffen.

Der Künstler zweifelte nicht mehr daran, daß das Unternehmen wie ein dummer Schuljungenstreich kläglich mißlingen würde; als er allein geblieben, erwartete er von Stunde zu Stunde die Hiobspost.

Draußen dämmerte ein trüber Wintermorgen. An die Türe wurde geklopft und Leonardo machte auf. Niccolo trat blaß und bestürzt ins Zimmer.

»Verloren!« sagte er, sich erschöpft in einen Sessel niederlassend.

»Ich hatte es gewußt,« sagte Leonardo ruhig. »Ich warnte Euch ja, Niccolo, wir mußten hereinfallen.«

Machiavelli sah ihn zerstreut an.

»Nein, die Sache ist nicht so,« fuhr er fort, »wir sind gar nicht hereingefallen, aber der Vogel ist aus dem Bauer entschlüpft, wir kamen zu spät ...«

»Wieso ist sie entschlüpft?«

»Ja, heute vor dem Sonnenaufgang fand man Maria mit durchschnittener Kehle auf dem Boden ihrer Gefängniszelle liegen.«

»Wer ist der Mörder?« fragte der Künstler.

»Er ist unbekannt, aber nach der Art der Wunde zu schließen, wird es kaum der Herzog gewesen sein. Denn Cesare und seine Henker sind doch in solchen Dingen Meister und hätten es verstanden, dem Kinde die Kehle ordentlich zu durchschneiden. Man sagt, sie sei als Jungfrau gestorben. Ich glaube, sie selbst ...«

»Es kann nicht sein! Maria, die als Heilige galt ...«

»Alles ist möglich,« fuhr Niccolo fort. »Ihr kennt die Leute schlecht. Dieses Scheusal ...«

Er hielt inne, erblich und schloß mit heftiger Bewegung:

»Dieses Scheusal ist zu allem fähig! Er konnte auch eine Heilige so weit bringen, daß sie selbst Hand an sich legte ...«

»Früher,« fügte er hinzu, »als sie noch nicht so streng bewacht wurde, habe ich sie zweimal gesehen. Sie war schlank und fein wie ein Schilfrohr. Ein Kindergesicht. Ihr Haar war dünn und flachsblond, wie das der Madonna Filippino Lippis in der Florentiner Badia, die dem heiligen Bernardo erscheint. Sie war auch nicht sonderlich schön, was nur dem Herzog an ihr so gefallen hat? O Messer Leonardo, wenn Ihr wüßtet, was für ein armes, liebes Kind sie war! ...«

Niccolo wandte sich ab, und der Künstler glaubte in seinen Augen Tränen zu sehen.

Doch faßte er sich wieder und fuhr beinahe schreiend fort:

»Ich habe immer gesagt: ein ehrlicher Mensch am Hofe ist wie ein Fisch auf einer Bratpfanne. Ich habe genug! Ich bin nicht geboren, Tyrannenknecht zu sein. Ich werde es doch noch durchsetzen, daß die Signorie mir einen Posten bei einer anderen Gesandtschaft gibt; ganz gleich, wo, nur möglichst weit von hier!«

Maria tat dem Künstler leid, vor keinem Opfer wäre er zurückgescheut, um sie zu retten; zugleich spürte er beim Gedanken, daß die Sache nun erledigt sei, in der geheimsten Tiefe seiner Seele ein Gefühl von Erleichterung. Dasselbe Gefühl las er auch in Niccolos Herzen.

XIV.

Am 30. Dezember verließ die Hauptstreitmacht des Herzogs von Valentino, etwa zehntausend Mann Infanterie und zweitausend Mann Kavallerie, am frühen Morgen die Stadt Fano und bezog ein Lager auf der Straße nach Senigaglia, am Ufer des Flüßchens Metauro, in Erwartung des Herzogs, der am nächsten Tage, dem vom Astrologen Valgulio bestimmten 31. Dezember, abreisen sollte.

Die Verschwörer von Maggioni, die nun mit Cesare Frieden geschlossen hatten, unternahmen im Einverständnis mit ihm einen gemeinsamen Feldzug gegen Senigaglia. Die Stadt hatte sich ergeben, doch der Kastellan erklärte, die Tore nur dem Herzog selbst öffnen zu wollen. Seinen früheren Feinden und jetzigen Verbündeten stiegen im letzten Augenblick böse Ahnungen auf. Sie wichen einer Begegnung mit ihm aus. Doch Cesare überlistete und beruhigte sie wieder; wie Machiavelli sich später ausdrückte: »betörte er sie wie der Basiliskus, der sein Opfer mit süßem Gesang lockt und verführt«.

Niccolo verging vor Neugierde und folgte dem Herzog, ohne auf Leonardo zu warten.

Einige Tage später reiste der Künstler allein ab.

Die Straße führte nach Süden und folgte wie der Weg aus Pesaro dem Meeresstrande. Rechts waren Berge. Ihr Fuß kam stellenweise dem Meere so nahe, daß kaum ein schmaler Streifen für die Straße frei blieb.

Es war ein grauer, stiller Tag. Das Meer war ebenso gleichmäßig grau wie der Himmel. Die reglose Luft schien zu schlummern. Das Krächzen der Raben verkündete baldiges Tauwetter. Zugleich mit den Tropfen eines feinen Regens und nassen Schnees senkte sich die frühe Dämmerung.

Die schwarzroten Ziegeldächer der Festung von Senigaglia wurden sichtbar.

Die Stadt war zwischen zwei natürlichen Mauern eingeklemmt – dem Meere und dem Gebirge – und glich so recht einer Falle. Sie lag eine Meile vom Meeresstrand und etwa einen Armbrustschuß weit vom Fuße der Apenninen entfernt. Beim Bache Misa machte die Straße eine scharfe Biegung nach links. Von hier aus führte eine schiefe Brücke zum Stadttore. Vor dem Tore war ein kleiner, von niederen Vorstadthäusern eingeschlossener Platz. Es waren zum größten Teil Warenlager venetianischer Kaufherren.

Zu jener Zeit war Senigaglia ein bedeutender halbasiatischer Handelsplatz, wo die italienischen Kaufleute mit Türken, Armeniern, Griechen, Persern und Slaven aus Montenegro und Albanien Tauschhandel trieben. Jetzt waren die sonst belebtesten Straßen, die von Cypern, Zante, Kandien und Kephalonien, leer. Leonardo begegnete auf den Straßen fast nur Soldaten. An einzelnen der sich in unendlichen Reihen an beiden Seiten der Straßen hinziehenden gedeckten Verkaufsständen und Fondachi bemerkte er Spuren von Plünderung: eingeschlagene Fensterscheiben, erbrochene Schlösser und Riegel, zertrümmerte Türen und in Unordnung herumliegende Warenballen. Es roch nach Brand. Halbverbrannte Trümmer rauchten noch; an den dicken Ringen der gußeisernen Fackelhalter, die in die Mauern alter Backsteinpaläste eingelassen waren, baumelten Gehenkte.

Es dämmerte bereits, als Leonardo auf dem Hauptplatze der Stadt zwischen dem Palazzo Ducale und der runden, niederen, mit drohenden Zinnen versehenen und von einem tiefen Graben umgebenen Festung von Senigaglia inmitten des Heeres beim Fackelscheine Cesare gewahrte.

Er leitete die Hinrichtung der Soldaten, die beim Plündern ertappt worden waren. Messer Agapito las die Todesurteile vor.

Cesare winkte, und die Verurteilten wurden zum Galgen geführt.

Der Künstler suchte mit den Blicken in der Schar der Höflinge, um jemand zu finden, den er ausfragen könnte, was hier vor sich gehe. Da entdeckte er den Sekretär von Florenz.

»Wißt Ihr es? Habt Ihr es schon gehört?« fragte ihn Niccolo.

»Nein, ich weiß noch nichts. Ich freue mich, daß ich Euch hier treffe. Erzählt mir alles.«

Machiavelli führte ihn in eine Nebenstraße. Durch einige enge, finstere Gäßchen, die mit Schnee verweht waren, gelangten sie in eine öde Vorstadt am Meerufer neben der Werft, wo Niccolo nach langem Suchen in einem einsamen, schiefen Häuschen, das der Witwe eines Schiffsbauers gehörte, die einzigen zwei Zimmer, die in der Stadt noch aufzutreiben waren, für sich und Leonardo gemietet hatte.

Niccolo zündete schweigend und eilig eine Kerze an, holte aus seinem Gepäck eine Flasche Wein hervor, fachte die Kohlenglut auf dem Herde an, nahm Leonardo gegenüber Platz und richtete auf ihn seinen flammenden Blick.

»Ihr wißt es noch nicht?« sagte er feierlich. »Also hört. Es ist ein ungewöhnliches und denkwürdiges Ereignis! Cesare hat an seinen Feinden Rache genommen. Die Verschwörer sind verhaftet worden, Oliverotto, Orsini und Vitelli harren der Hinrichtung.«

Er lehnte sich zurück und musterte schweigend Leonardo, um sich an seinem Erstaunen zu weiden. Er zwang sich, ruhig und leidenschaftslos zu scheinen, wie ein Chronist, der über Ereignisse vergangener Zeiten spricht, oder wie ein Gelehrter, der eine Naturerscheinung beschreibt, und begann seinen Bericht über die berühmte »Falle von Senigaglia«.

Cesare war am frühen Morgen ins Lager am Metauro-Fluß gekommen. Er hatte zweihundert Reiter vorausgeschickt, die Infanterie folgen lassen, und war schließlich selbst mit dem Rest der Reiterei nachgekommen. Er wußte, daß die Verbündeten ihm entgegenreiten und der größte Teil ihrer Truppen Senigaglia geräumt haben würde, um sich in einige benachbarte Festungen zurückzuziehen und für die neu eintreffenden Truppen Platz zu schaffen.

Als er sich den Toren von Senigaglia näherte, ließ er die Reiterei an jener Stelle, wo die Straße nach links abbiegt und dem Misa-Flusse folgt, halten. Hier stellte er sie in zwei Reihen auf: die eine mit dem Rücken zum Fluß, die andere mit dem Rücken zum Feld; die Infanterie ließ er zwischen diesen beiden Reihen, ohne zu halten, hindurchziehen, die Brücke passieren und Senigaglia besetzen.

Die Verbündeten – Vitellozzo Vitelli, Gravina und Pagolo Orsini – waren ihm mit einem zahlreichen Gefolge auf Maultieren entgegengeritten.

Vitellozzo mochte eine trübe Vorahnung gehabt haben, denn er war so traurig, daß alle, die sein früheres Glück und seinen Mut kannten, über ihn staunten. Später wurde erzählt, daß er vor seiner Abreise nach Senigaglia von seinen Hausgenossen Abschied genommen, als ob er den ihm drohenden Tod vorgeahnt hätte.

Die Verbündeten saßen ab, entblößten die Köpfe und begrüßten den Herzog. Auch er saß ab, reichte zuerst jedem einzelnen die Hand und küßte sie, indem er sie seine »lieben Brüder« nannte.

Cesares Offiziere hatten sich indessen, wie früher verabredet, so aufgestellt, daß Vitelli und die beiden Orsini zwischen je zwei Offiziere des Herzogs zu stehen kamen. Als er merkte, daß Oliverotto fehlte, gab er seinem Kapitän Don Michele Corella ein Zeichen. Dieser ritt voraus und traf den Vermißten in Borgo an. Oliverotto schloß sich dem glänzenden Reiterzug an und nun ritten alle, sich freundschaftlich über Kriegsangelegenheiten unterhaltend, zum Schlosse vor der Festung.

Im Vorhofe des Schlosses wollten sich die Verbündeten verabschieden, doch der Herzog hielt sie mit seiner bekannten bestrickenden Liebenswürdigkeit zurück und nötigte sie, mit ins Schloß einzutreten.

Kaum hatten sie aber das Empfangszimmer betreten, als die Türen sofort geschlossen wurden und acht bewaffnete Männer sich auf die vier stürzten. Immer zwei gegen einen ergriffen, entwaffneten und fesselten sie die Verbündeten. Die Unglücklichen waren so überrascht, daß sie fast keinen Widerstand leisteten.

Man erzählte sich, der Herzog wolle seine Feinde noch im Laufe dieser Nacht in den Geheimverließen des Schlosses umbringen.

»O Messer Leonardo,« schloß Machiavelli seinen Bericht, »wenn Ihr nur gesehen hättet, wie er sie umarmte und küßte! Ein einziger unsicherer Blick, nur eine Bewegung – und alles wäre verloren gewesen. Sein Gesicht und seine Augen schienen so aufrichtig, daß ich selbst, Ihr könnt es mir glauben, bis zum letzten Augenblick nichts ahnte und mir meine Hand darauf hätte abhauen lassen, daß er sich nicht verstelle. Ich halte diesen Betrug für den schönsten von allen, die, seit es eine Politik gibt, verübt worden sind.«

Leonardo lächelte.

»Selbstredend,« sagte er, »werde ich zugeben, daß der Herzog Mut und Verstand gezeigt hat, aber dennoch muß ich gestehen, daß ich zu wenig von Politik verstehe und nicht begreifen kann, warum Euch, Messer Niccolo, dieser Verrat so sehr entzückt?«

»Verrat?« unterbrach ihn Machiavelli. »Messere, wenn es sich um die Rettung des Vaterlandes handelt, kann weder von Verrat, noch von Treue, weder von Gut, noch von Böse, weder von Grausamkeit, noch von Barmherzigkeit die Rede sein. Alle Mittel sind erlaubt, wenn sie nur zum Ziele führen.«

»Was hat das mit der Rettung des Vaterlandes zu tun, Niccolo? Ich glaube doch, daß der Herzog nur seine eigenen Vorteile im Auge hatte ...«

»Wie? Gehört Ihr denn auch zu denjenigen, die das nicht begreifen können? Es ist ja klar wie der Tag! Cesare ist der künftige Einiger und Selbstherrscher Italiens. Jetzt ist ja der günstigste Moment zum Auftreten eines Helden. Das Volk Israel mußte unter der ägyptischen Herrschaft leiden, damit ein Moses auferstünde, die Perser unter dem Joche der Meder, damit Kyros groß wurde, die Athener mußten sich in Bürgerkriegen aufreiben, damit ein Theseus auftreten konnte; so mußte auch unser Italien tief erniedrigt werden, eine schwerere Knechtung als die Juden, ein schlimmeres Joch als die Perser, einen verderblicheren Bruderzwist als die Athener erfahren, ohne Oberhaupt und Führer, ohne Regierung hinsterben, von Barbaren geplündert und zertreten werden und alle Leiden, die einem voll beschieden sein können, erdulden, damit ein neuer Held, ein Retter des Vaterlandes erscheine! Zu verschiedenen Zeiten traten wohl einzelne Männer auf, die uns einen Schimmer von Hoffnung brachten und als Auserwählte Gottes erschienen, aber das Schicksal ließ sie fallen, so oft sie den Gipfel ihrer Macht erreicht hatten und vor der Vollbringung ihrer großen Tat standen. Das halbtote Land harrt noch immer des Mannes, der den Gewalttätigkeiten in der Lombardei ein Ziel setzen, mit den Räubereien und den Mißbräuchen in Toskana und Neapel aufräumen und alle diese stinkenden, von der Zeit eiternden Wunden heilen soll. Es ruft Tag und Nacht Gott an und bittet ihn um einen Erlöser ...«

Seine Stimme klang wie eine überspannte Saite und brach plötzlich ab. Er war blaß und zitterte am ganzen Leibe, seine Gebärden verrieten nicht nur Erregung, sondern auch große Schwäche, seine Leidenschaft glich einem Krampfanfalle.

Leonardo erinnerte sich, wie Niccolo noch vor einigen Tagen, bei seinem Bericht über den Tod Marias, Cesare ein Scheusal genannt hatte. Aber der Künstler wollte nicht von diesem Widerspruch reden, denn er wußte, daß Niccolo sich jetzt von seinem Mitleid mit Maria wie von einer unverzeihlichen Schwäche lossagen würde.

»Wir werden es ja sehen, Niccolo!« sagte Leonardo. »Nur noch eine Frage: warum gewannt Ihr gerade heute die Überzeugung von der göttlichen Mission Cesares? Hat er denn mit der Falle von Senigaglia deutlicher als mit allen seinen anderen Handlungen gezeigt, daß er ein Held ist?«

»Ja,« erwiderte Niccolo, der seine Selbstbeherrschung wieder erlangt hatte und den Leidenschaftslosen spielte. – »Die Vollkommenheit dieses Betrugs zeigt deutlicher als alle anderen Taten des Herzogs, daß in ihm die größten und sich widersprechendsten Eigenschaften vereinigt sind, deren gleichzeitiges Vorhandensein beim Menschen äußerst selten ist. Ich bitte Euch, zu beachten, daß ich hier weder lobe, noch verurteile, sondern nur die Tatsachen feststelle, hier ist mein leitender Gedanke: zu jedem Ziele kann man auf zwei verschiedenen Wegen gelangen – auf dem der Gesetzlichkeit und dem der Gewalttätigkeit. Der erstere ist der menschliche, der andere – der tierische. Ein Mensch, der herrschen will, muß sich auf beiden Wegen auskennen und es verstehen, nach seinem Gutdünken, bald Mensch, bald Tier zu sein. Dies ist auch der tiefste Sinn der alten Sage, die erzählt, daß König Achill und andere Helden vom Zentauren Cheiron, der Halbgott und Halbtier war, großgezogen worden sind. Die vom Zentauren erzogenen Fürsten vereinigen in sich die Tiernatur mit der Menschennatur. Gewöhnliche Menschen können keine Freiheit ertragen und fürchten sie mehr als den Tod; wenn sie aber ein Verbrechen begehen, so stürzen sie augenblicklich unter der Last der Gewissensbisse zusammen. Nur der vom Schicksal erwählte Held hat die Kraft, die Freiheit zu ertragen. Nur er allein kann das Gesetz ohne Furcht und Gewissensbisse verletzen und selbst im Bösen unschuldig sein, wie ein Tier und wie ein Gott! Heute habe ich zum erstenmal in Cesare diese Freiheit – das Siegel des Auserwählten – bemerkt!«

»Ja, jetzt verstehe ich Euch, Niccolo,« sagte der Künstler nachdenklich. »Doch glaube ich, daß nicht der frei ist, der gleich Cesare alles wagt, weil er nichts weiß und nichts liebt, sondern der, der alles wagt, weil er alles weiß und alles liebt. Nur durch diese Freiheit können Menschen das Gut und Böse, das Oben und Unten, alle irdischen Hindernisse und Grenzen und die Schwere überwinden, wie die Götter sein und fliegen lernen ...«

»Fliegen?« fragte Niccolo erstaunt.

»Wenn sie das vollkommene Wissen besitzen werden,« erklärte Leonardo, »so werden sie auch Flügel schaffen, eine Flugmaschine erfinden. Ich habe schon viel darüber nachgedacht. Vielleicht gelingt es mir auch nicht, aber es ist ganz gleich: menschliche Flügel werden einmal erfunden werden, wenn nicht von mir, so von jemand anderem.«

»Nun, ich gratuliere!« lächelte Niccolo. »Jetzt sind wir gar bei geflügelten Menschen angelangt. Bei meinem Fürsten, dem Halbgott und Halbtier, werden sich die Vogelflügel nicht schlecht ausnehmen! Das nenne ich eine wirkliche Chimäre!«

Auf einem nahen Turme schlug die Uhr. Niccolo sprang hastig auf und eilte ins Schloß, um etwas über die bevorstehende Hinrichtung der Verschwörer zu erfahren.

XV.

Die Fürsten Italiens gratulierten Cesare zu dem »schönsten Betrug«. Ludwig XII. nannte die Falle von Senigaglia »eine Tat, die eines alten Römers würdig ist«. Die Markgräfin von Mantua, Isabella Gonzaga, schickte dem Herzog zum Geschenk hundert bunte seidene Larven zum bevorstehenden Karneval.

»Glorreichste Signora, verehrungswürdige Frau Gevatterin und geliebteste Schwester!« lautete der Antwortbrief des Herzogs: »Wir haben die hundert von Ew. Durchlaucht Uns zum Geschenk gemachten Larven erhalten. Sie waren Uns sehr angenehm wegen ihrer ungewöhnlichen Eleganz und Verschiedenheit, insbesondere aber, weil das Geschenk zu der passendsten Zeit und am passendsten Ort eingetroffen ist, als ob Ew. Herrlichkeit die Bedeutung und die Reihenfolge Unserer Handlungen vorausgeahnt hätten. Mit Gottes Hilfe haben wir an einem Tage die Stadt und das Land Senigaglia mit allen Festungen erobert, die bösen Verräter und Feinde, wie sie es verdient hatten, hingerichtet, Castello, Fermo, Cisterna, Montone und Perugia vom Joche der Tyrannen befreit und dem heiligsten Vater, dem Statthalter Christi unterworfen. Die gesandten Larven sind Unserm Herzen auch als aufrichtiger Beweis der schwesterlichen Gewogenheit Ew. Durchlaucht doppelt angenehm.«

Niccolo behauptete lachend, daß die Füchsin Gonzaga dem Fuchse Borgia, dem Meister in aller Verstellungskunst, kein passenderes Geschenk hätte schicken können, als diese hundert Larven.

XVI.

Anfang März 1503 war Cesare nach Rom zurückgekehrt.

Der Papst schlug den Kardinälen vor, dem Helden die höchste Auszeichnung, die die Kirche an ihre Verteidiger zu vergeben hatte, die Goldene Rose, zu verleihen. Die Kardinäle stimmten zu und die Zeremonie der Verleihung fand schon nach zwei Tagen statt.

Im ersten Stock des Vatikans, im Saale der Hohenpriester, dessen Fenster auf den Hof des Belvedere gingen, versammelten sich die römische Kurie und die Gesandten der Großmächte.

In einem von Edelsteinen strahlenden Pluviale, mit einer dreimal gekrönten, von Pfauenfederwedeln umfächelten Tiara auf dem Kopfe, stieg ein wohlbeleibter, rüstiger siebzigjähriger Greis mit gutmütig-majestätischem, wohlgestaltetem Gesicht die Thronstufen empor. Es war Papst Alexander VI.

Die Trompeten der Herolde begannen zu schmettern. Der erste Ceremoniere, der Deutsche Johannes Burchard, gab ein Zeichen, und in den Saal traten die Waffenträger, Pagen, Läufer und Leibtrabanten des Herzogs, und der Oberbefehlshaber seines Lagers, Messer Bartolomeo Capranica mit dem entblößten, aufrecht getragenen Schwert des Bannertägers der Römischen Kirche in der Hand.

Das untere Drittel des Schwertes war vergoldet und mit fein gravierten Darstellungen verziert: da war eine thronende Göttin der Treue mit der Inschrift: »Treue ist stärker denn Waffen«; Julius Cäsar im Triumphwagen mit der Inschrift: » Aut Caesar, aut nihil«; der Übergang über den Rubicon mit der Inschrift: »Der Würfel ist gefallen«; und schließlich nackte, junge Priesterinnen, die dem Stiere oder Apis des Hauses Borgia opferten und über einem eben abgeschlachteten Menschenopfer Weihrauch verbrannten; die Inschrift auf dem Altar lautete: » Deo Optimo Maximo hostia – ein Opfer dem allgütigen, allmächtigen Gott.« Darunter: » In nomine Caesaris omen.« Das dem göttlichen Tier dargebrachte Menschenopfer hatte einen schrecklichen Sinn, denn diese Zeichnungen waren zu jener Zeit bestellt worden, als Cesare den Entschluß bereits gefaßt hatte, seinen Bruder Giovanni Borgia zu ermorden, um sich das Schwert des Kapitäns und des Bannerträgers der Römischen Kirche anzueignen.

Dem Schwerte folgte der Held. Er trug einen hohen Herzogshut, von der Taube des Heiligen Geistes, die aus Perlen zusammengesetzt war, überschattet. Er näherte sich dem Papste, nahm sein Barett ab, kniete und küßte das mit Rubinen gestickte Kreuz auf dem Schuh des Heiligen Vaters.

Kardinal Monreale reichte seiner Heiligkeit die Goldene Rose – ein Wunder der Goldschmiedekunst. Zwischen den goldenen Blättern der Mittelblüte war ein kleines Gefäß verborgen, angefüllt mit wohlriechendem Öl, das den Duft zahlloser Rosen verbreitete.

Der Papst erhob sich und sprach mit vor Rührung bebender Stimme:

»Empfange, mein vielgeliebtes Kind, diese Rose, ein Symbol der Freude der beiden Jerusalem, des himmlischen und des irdischen, der streitbaren und sieghaften Kirche, der unaussprechlichen Blüte, der Seligkeit der Gerechten, der Schönheit der unvergänglichen Kronen, auf daß auch deine Tugend in Christo erblühe, wie die Rose, die am Ufer vieler Gewässer blüht. Amen.«

Cesare empfing aus den Händen seines Vaters die geheimnisvolle Rose. Der Papst konnte sich nicht länger beherrschen, wie sich ein Augenzeuge ausdrückte »ließ er sich von der Stimme des Blutes leiten«. Zur großen Entrüstung des steifen Burchards verletzte er das Zeremoniell, indem er sich bückte und die zitternden Hände seinem Sohne entgegenstreckte; sein Gesicht verzog sich, sein dicker Körper zitterte. Er spitzte seine fleischigen Lippen und lallte, sich nach Greisenart verschluckend:

»Mein Kind! ... Cesare ... Cesare! ...«

Der Herzog mußte seine Rose dem neben ihm stehenden Kardinal Climenta übergeben. Der Papst umarmte stürmisch seinen Sohn, drückte ihn an sein Herz, lachte und weinte.

Wieder schmetterten die Trompeten der Herolde, die Glocke von St. Peter erdröhnte und die Glocken sämtlicher Kirchen Roms und die Kanonen der Engelsburg fielen mit ihrem Donner ein.

»Es lebe Cesare!« schrie die im Belvederehof aufgestellte romagnolische Garde.

Der Herzog trat auf den Balkon, um sich dem Heere zu zeigen.

Wie er in seinen purpurnen und goldenen Gewändern, mit der aus Perlen zusammengesetzten Taube des heiligen Geistes über dem Haupte, mit der geheimnisvollen Rose, der Freude der beiden Jerusalem, in der Hand, unter dem blauen Himmel in den Strahlen der Morgensonne stand, da erschien er der Menge nicht als Mensch, sondern als Gott.

XVII.

Nachts wurde ein prunkvoller Maskenzug nach dem auf dem Schwerte Valentinos dargestellten »Triumph des Julius Cäsar« veranstaltet.

Auf einem Wagen, der die Inschrift »Göttlicher Cäsar« trug, thronte der Herzog der Romagna mit einem Palmenzweige in der Hand, mit einem Lorbeerkranz auf dem Kopf. Der Wagen war von Soldaten begleitet, die als römische Legionäre verkleidet waren und eiserne Adler und Bündel von Spießen trugen. Alles war mit großer Genauigkeit den Darstellungen in den Büchern, auf Denkmälern, Basreliefs und Medaillen nachgebildet.

Vor dem Wagen trug ein mit dem langen weißen Gewand eines ägyptischen Hierophanten bekleideter Mann ein Banner, auf dem der heraldische rote Stier des Hauses Borgia, der Apis und Beschützer des Papstes Alexander VI., mit Purpur und Gold gemalt war. Mit silbernen Tuniken bekleidete Jünglinge sangen:

Vive diu Bos! Vive diu Bos! Borgia vive!
Es lebe der Stier! Es lebe der Stier! Borgia lebe!

Hoch über den Köpfen der Menge ragte in den gestirnten Himmel das von flackernden Fackeln beleuchtete Götzenbild des Tieres, blutrot wie die aufgehende Sonne.

Unter den Zuschauern befand sich auch Leonardos Schüler Giovanni Beltraffio, der soeben aus Florenz nach Rom zu seinem Meister gekommen war. Als er das scharlachfarbene Tier sah, mußte er an die Worte der Apokalypse denken:

»Und beteten das Tier an und sprachen: wer ist dem Tiere gleich? Und wer kann mit ihm kriegen?

»Und ich sah ein Weib sitzen auf einem scharlachfarbenen Tier, das war voll Namen der Lästerung und hatte sieben Häupter und zehn Hörner.

»Und an ihrer Stirn geschrieben einen Namen, ein Geheimnis: Die große Babylon, die Mutter der Hurerei und aller Greuel auf Erden.«

Und wie der, der einst diese Worte schrieb, so verwunderte sich auch Giovanni sehr, da er das Tier sah.


 << zurück weiter >>