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Achtes Kapitel

Herr Camwell war in der Antichambre, als Chloe hinter den beiden empörten Partisanen die Herzogin verließ.

»Ich bin heute abend bei den Fichten auf dem Hügel, um acht Uhr,« sagte sie.

»Ich werde da sein.«

»Bringen Sie Herrn Beamish aufs Land, damit die Herren hier Zelt finden, sich zu beruhigen.«

Er versprach es ihr.

Um die versprochene Zeit war er unter den Fichten, schaute in die letzte Sonne, die hinter den westlichen Hügeln hinabging. Chloe kam. Er sprach von der schönen Landschaft und dann mit nachlassender Stimme:

»Und doch scheint es, als ob nichts beredter Adieu sagte.«

»Wir können uns Adieu sagen und doch Freunde bleiben.«

»Sie wollen sagen, Chloe, warten wir länger, so könnten Sie mir vielleicht nicht verzeihen?«

»Aufrichtig, Sie machen mir das Verzeihen schwer, Camwell.«

»Ich bin nicht zu meinem Vergnügen hier geblieben. Sondern um zu wachen.«

»Herr Beamish schützt und bewacht die Herzogin vortrefflich.«

»Vortrefflich. Und man hat ihm geschickt beigebracht, was für große Angst sie vor ihm habe. Beleidigt sie ihn, so zeigt er ihr die furchtbaren Reserven seines Olympiertums. Die damit auf eine Frau von Charakter erzielte Wirkung haben Sie gesehen, und andere haben sie vorausgesehen, – sie ist zum Äußersten getrieben und wagt alles. Machen Sie einen Knoten in Ihre Seidensträhne, Chloe.«

Sie wandte den Blick in die Landschaft, als sie darauf sagte:

»Sind nicht Sie der Schuldige? Es gab eine Kollision zwischen Ihnen und dem Wahrsager, der ihr diesen Morgen das gute Abenteuer prophezeit hat. Ich sehe das von weitem, in der Finsternis wie am hellen Tage.«

»Aber Sie sehen nicht durch einen Vorhang. Ich war selber bei jenem Wahrsager.«

»Das ist eine widerliche Spionage, Herr Camwell. Wie können Sie es über Ihr Gewissen bringen, eine so gemeine Rolle zu spielen?«

»Ich habe nichts getan als meine Pflicht erfüllt, Madame.«

»Sie behaupten aus Ergebenheit gegen mich so zu handeln? Ich könnte davon geschmeichelt sein, sähe ich nicht eine verächtliche Personnage zu meinen Diensten. Es bleiben mir nur mehr vier Tage von meinem glücklichen Monat, und ich habe eine inständige Bitte an Sie: lassen Sie mich diese vier Tage mein Vergnügen genießen. Ich beschwöre Sie, reisen Sie ab. Ganz ernsthaft und inständig bitte ich Sie, zu gehen. Gönnen Sie mir das und bleiben Sie nicht hier, mir die Lust dieser letzten Tage zu vergiften. Verlassen Sie uns morgen früh. Ich will gern zugeben, Ihre Absichten waren gut. Ich reiche Ihnen die Hand in einem Gefühl der Dankbarkeit. Adieu, Herr Camwell.«

Er nahm ihre Hand.

»Adieu. Die Trennung steht nah bevor, diese liebe Hand gehört mir, solange ich sie in der meinen halte. Adieu. Man wiederholt und wiederholt das Wort immer wieder, wenn man sich so trennt. Man kann das Licht dieses Wortes nicht mit einem Hauch auslöschen, man läßt es nach und nach verglimmen, wie die Farben da drunten.«

»Wenn Sie so sprechen... Ich höre Sie gern so sprechen.«

»Ach, Chloe! Sein Leben hingeben ... sein Leben! Und Ihr Glück habe ich gesucht, mehr Ihr Glück als Ihre Gunst.«

»Ich glaube es. Aber Sie gebrauchen Mittel, die mir nicht gefallen. Sie verlassen uns morgen?«

»Es ist mir, als ob dies der fixierte Tag wäre.«

Chloes Gesicht dunkelte.

»Das ist ein recht beiläufiges Versprechen.«

»Sie denken, einen Monat Glückes vor sich zu haben und meinen darunter einen Monat der Illusion. Sie ist heute abend zu Ende. Morgen früh wachen Sie auf, um dieses Ende zu sehen. Sie haben nie über diesen Monat hinaus gesehen, seit dem Tage seiner Ankunft.«

»Bitte sprechen Sie nicht den Namen aus, ich bitte Sie darum.«

»Also sind Sie damit einverstanden, daß eine andere geopfert werde, nur damit Sie noch eine Stunde länger die betrügerische Illusion genießen können, in der Sie leben?«

»Ich mache mir keine Illusion, Herr Camwell. Ich will Frieden, Ruhe, fordere sie mit Inbrunst und will nichts anderes, nichts.«

»Und Sie opfern zu solchem Ende zur Sühne jene, die zu schützen Sie versprochen haben. Ihre Augen haben doch sicher genau so gut gesehen wie die meinen. Knoten um Knoten habe ich Sie beobachtet. Sie haben sie ja in dieser Seidensträhne markiert, – was haben Sie übrigens damit gemacht? Ja, jeden dieser Momente haben Sie einen Knoten geschlungen, wo Ihre gerechtfertigten Verdachte auf entmutigende Weise bestätigt wurden.«

»Ja, das hab ich getan und bin trotzdem fröhlich dabei geblieben.«

Ihr verächtlicher Tonfall wurde weicher, und unwillentlich tat sie einen Ausruf, als ob Grauen sie überliefe.

»Sie haben die Rolle des leichten unbekümmerten Herzens gespielt, Madame, und zu gut, um mich zu hindern, hier klar zu sehen. Und während all der Zeit lassen Sie alles Böse sich vollenden, nur um nach Ihrem Belieben einen sinnlosen Traum zu wiegen.«

»Sie sind sehr kühn, Herr Camwell.«

»Ich bin entschuldigt, denn ich tue recht, – ich weiß, was die kommende Stunde bringt. Sie und ich, meine teuerste und einzige Liebe auf dieser Erde, wir stehen zwischen dem Leben und dem Tode.«

»Das tun wir immer, zu jeder Stunde.«

»Hören Sie noch den Prediger an: der Tod und das Leben liegen da vor uns, ganz nah vor uns: wem von ihnen beiden werden wir morgen gehören? Das ist die Frage, die aufsteht. Sie sind der Meinung, ruhig zu schlafen. Nein, nein, sage ich Ihnen, dieses schwere Unrecht, dieser zwiefache Verrat soll sich nicht unter dem Vorwand vollziehen, daß Sie schlummern wollen gewiegt wie ein Kind. Hören Sie mich an bis zum Ende. Die Drogue, die Sie geschluckt haben, um sich selber zu täuschen, sie wird nichts vermögen gegen den Schlag, der Sie morgen früh treffen wird, bei Sonnenaufgang. Hören Sie die Vögel singen. Wenn ihr Gesang wieder tönt, dann werden Sie erwacht sein. Die Anbetung und die Verehrung, die ich Ihnen ... Das ist der phantastische Sonnenuntergang eines Tages, der nie mehr wieder sich erheben soll ... Sie werden erwachen, und was werden Sie schauen? Sie werden sich von einer ungeheuerlichen Infamie wegwenden, um eine arme Verlassene zu erblicken, die sich die Augen verbunden hat, indem sie Knoten in ein kleines Seil schlug. Zählen Sie dann Ihre Knoten, und was antworten Sie dem Himmel? Ich verlange es von Ihnen, dieses Seil, um Ihnen die Gewissensbisse zu ersparen, die schrecklich sein werden.«

»Ach nein ...«

»Schrecklich, sage ich Ihnen.«

»Ich bitte Sie um Entschuldigung, aber das Seil tröstet mich. Es ist mein Rosenkranz.«

»Seltsam, wie ein zu langer Aufenthalt an diesem Orte, in dieser Gegend hier die reinste unserer Seelen heidnisch machen konnte. Wenn nur ... aber dieser Tag dürfte mir nicht neues Licht bringen. Anbetungswürdiger noch Im Irrtum als andere in der Tugend haben Sie durch ein Übermaß jener Vorzüge gesündigt, welchen die Menschen ihr Lob geben. Sie sind von einer Generosität ohne Maß und leider von gleich großem Stolz. Das ist Ihr Fehler, das ist die Ursache Ihres Unglückes. Zu generös! Zu stolz! Sie haben Ihr Vertrauen geschenkt, Sie nehmen es nicht zurück. Sie haben sich selber gegenüber die Verbindlichkeit zu lieben auf sich genommen, niemals einen Vorwurf Wort zu geben, niemals den Eindruck des Zweifels zu machen, und dieses Gelübde ist Religion für Sie, ist es zu sehr. Gewiß, der Fall ist wahrhaft selten. Aber denken Sie gar nicht an dieses gute unerfahrene und völlig dumme Geschöpf, die in ihren Verlust hineinläuft als ob ein Sturm sie triebe? Ist sie nicht ihr Opfer? Morgen werden sie das laut aussprechen. Heute, jetzt hören Sie es, dieses Wort Opfer, in der Tiefe Ihres Innern.«

»Mein lieber, mein wirklicher Freund.« sagte Chloe und in ihrer Stimme tönten die tiefen melodischen Töne der seinen wider, »seien Sie ohne Unruhe über die Herzogin und das Morgen. Sie ist in Sicherheit, dafür steh ich mit meinem Leben. Sie wird niemandes Opfer sein. Erlebt sie ein Schlimmstes, so ist dies höchstens eine nützliche Erfahrung, mehr nicht als das ist das schlimmste, das ihr passieren kann, seien Sie beruhigt. Und nun adieu. Der westliche Himmel neigt sich wie ein Blumengewinde, dem das Wasser fehlt, von der Herrin vergessen, die es geschmückt hat. Erinnern Sie sich an das, erinnern Sie sich, daß wir uns hier trennen, und daß Chloe Ihnen das Glück wünscht, daß sie Ihnen nicht geben konnte, weil sie einer andern Welt angehörte und weil sie ihre Geschichte geschrieben besaß bis zum letzten Satze lange bevor Sie sie kannten. Adieu, und diesmal aus gutem Herzen adieu.«

Camwell trat ihr in den Weg.

»Gut, seien Sie blind. Aber Sie sollen nicht taub für die Worte sein, die Ich Ihnen noch sagen muß. Ich verzichte auf die geringe Beachtung, die Sie mir schenken und die ich wie einen Schatz bewahrt habe. Hassen Sie mich. Besser von Ihnen gehaßt werden als mich von meiner Pflicht abbringen! Morgen früh ist Ihre Herzogin weit weg. Ich weiß genau was ich behaupte, weiß genau, es ist wie ich sage. Sie können Sie zudem selber fragen.«

Allen Widerwillen, den das heftige Schlagen ihres Herzens zu bezeugen ihr erlaubte, legte Chloe in ihre unsichere Stimme, als sie sagte:

»Sagen Sie mir bitte, wie Sie diese Gewißheit bekamen, auf deren Besitz Sie sich soviel einbilden.«

»Ich habe sie, und das möge Ihnen genügen. Ich will Ihnen sogar Einzelnes geben. Der Wagen der Herzogin ist zu der Stunde befohlen, die ich Ihnen sagte. Die Zofe der Herzogin ist bereits fort und erwartet sie an einem Ort, den sie auf ihrer Flucht passieren wird.«

»Also die Domestiken in Ihrem Sold?«

»Mittel, einen Anschlag auszuspüren. Eine Lunte zu löschen. Man muß durch Dreck waten, um Betrügern zuvorzukommen. Sie, Madame, haben es vorgezogen, sich einer exzessiven Delikatesse zu bedienen, und haben mich damit gezwungen, vulgäre Mittel zu brauchen, odiose, wenn Sie wollen, – um Ihr gutes Recht zu verteidigen. Es ist noch nicht zu spät, noch können Sie die Herzogin retten und sie an das Ehrgefühl erinnern.«

»Ich kann schwer glauben, daß es Oberst Poltermore hinsichtlich der Ehre an etwas fehlen lassen könnte.«

»Der arme Oberst! Seine Rolle ist ausgespielt. Schämen Sie sich nicht, Chloe?«

»Ich habe nur allzulange zugehört,« sagte sie als Antwort.

»So gehen Sie doch, wenn das Ihnen Vergnügen macht.«

Er trat zur Seite: sie ging an ihm vorbei, machte ein paar rasche Schritte in die dämmrige Halbnacht. Dann blieb sie stehen, preßte die Hände an ihr schlagendes Herz und wandte sich um, ganz in Schmerz gebrochen. Streckte die Arme nach ihm, ließ sich umarmen und küssen.

Als er mitten in seiner Hingerissenheit, während der Küsse um Verzeihung bat aus langer Übung eines nie versagenden Respektes vor ihr, sagte Chloe:

»Sie bestehlen niemand.«

»Wird treue Liebe doch belohnt? Bin ich noch derselbe Mensch wie vorhin? Sie sind da, ich halte Sie in meinen Armen, und ich zweifle, ob ich es bin. Oder sind Sie Chloes Geist?«

»Sie ist gestorben und kommt Sie besuchen.«

»Wird sie wiederkommen?«

Ganz zu Boden gedrückt von schmachtender Ermattung vermochte Chloe kein Wort.

Die Stärke des Glücksgefühles, das sie gab und dabei doch blieb wie sie stand und ohne zu sprechen sogar, entzückte ihre Sinne. Raufrost war lang auf ihnen gelegen, nun wachten sie auf in der Erwärmung und sie verträumte sich ... Der süße Geschmack dieser der Treue erwiesenen Belohnung und der seltsame Geschmack aus der Untreue gegen ihre innersten Gefühle, sie spürte dieses beide gleichzeitig und es trat in ihr Denken. Daß sie sich sagte, wie kalt sie sein müsse, um in solchem Augenblicke, da ein starker Arm sie hielt und ein heißer Mund sie küßte, darüber zu reflektieren. Und sagte sich, daß ihre Sinne vielleicht wirklich erstorben seien und sie ein abgeschiedener Geist, der den guten jungen Mann besuche, um ihn zu trösten. Das sind ja wohl die Gefühle der Geister, dachte sie. Und was wir das Glück der Liebe nennen ist Vereinigung von Extase und Gefälligkeit. Ein anderer Gedanke schnitt ihr tödlich durch das Herz: für mich und jenen, für uns beide ist es nicht so. Für uns beide wäre es Extase vereint mit Extase. Jeder gäbe und empfänge das Glück in gleichen, gleichartigen Teilen. Ein Schauder von Eifersucht ging ihr durch den Leib. Sie nützte die scharfe Heftigkeit dieses Gefühles dazu, den jungen Mann noch einmal mit Leidenschaft an ihre Brust zu drücken. Als sie sich dann zart und zärtlich von ihm löste, sagte sie: »Sie nehmen keinem Menschen sein Gut weg. Und jetzt, lieber Freund, versprechen Sie mir, ihn nicht bei Herrn Beamish zu verraten.«

»Wollten Sie mich kaufen, Chloe?«

»Ich verlange nur, daß man ihm damit keine Ungelegenheiten mache.«

»Ich sagte Ihnen doch, die Herzogin ...«

»Ich weiß, aber Chloe gibt Ihnen ihr Wort, über die Herzogin zu wachen und für sie zu sterben, um sie zu retten. Es ist das ein Eid. Sie haben von gewissen Vorbereitungen gehört, die jene getroffen haben. Ich sage Ihnen, diese Dispositionen werden zu nichts führen, – das wird nicht eintreten. Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ich aufgewacht bin, lieber Freund, und so klar sehe wie Sie. Betreffs dieser ... Schließlich, nach dem, was mir geschehen ist, können Sie glauben, daß ich ein Bedauern spüre? Mitleid? Aber ich mag sie gern und bin verantwortlich für sie: läuft sie eine Gefahr, so gibts doch keine Katastrophe, verlassen Sie sich auf mich. Ich schwöre es, und jetzt leben Sie wohl. Es ist ein Souper heut abend. Man wird Chloe zu singen bitten, und ich muß ein paar Minuten erst für mich selber singen, um die Inspiration zu heben. Trennen wir uns also, und vermeiden Sie sie, ihretwegen. Kommen Sie nicht zum Souper, auch nicht in die Salons, nirgendhin, wo Sie sie treffen könnten. Nein, Sie bestehlen keinen Menschen,« sagte sie noch einmal und das leichte Zittern ihrer Stimme gab ihren Sinnen ein köstliches Gefühl. »Dann denk ich auch, daß mich Erinnerung erröten läßt, und es ist mir lieber, Sie bleiben fort. Adieu. Daß Sie mir über diesen Abend hinaus gehorchen, das verlange ich nicht. Ihr Wort?«

Hingerissen gab er es und sie eilte fort.


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