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Sechstes Kapitel

An diesem Abend verlor die Herzogin Susanne im Pharao achthundert Pfund aus Verzweiflung darüber, daß sie zwanzig verloren hatte. Erst veranlaßte Caseldy sie, weiter zu spielen: bei achthundert hieß er sie Schluß machen. Er begleitete sie, als sie an der Tür des Spielsaales von zwei jungen Leuten der Art Shipsters angesprochen wurde. Sie hatten getrunken und waren unternehmend. Drückten über ihren Spielverlust ihr Beileid aus mit starken Gesten und Redensarten, womit sie in grotesker Karikatur höfliche vom Kontinent importierte Manieren nachahmten. Gefielen sich darin, immer wieder und in süßesten Tönen ihren Taufnamen und all dessen populäre Varianten auszusprechen, ohne den Übernamen zu vergessen.

»Meine reizende Ochsenschlepp, meine scharmante, entzückende Ochsenschlepp!« Die soeben gemachte Erfahrung über die Zirkulation des Geldes machte sie gleichweise blöde und aufgeregt.

»Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen,« sagte sie.

»Aber ja!« riefen die zweie und schlugen sich aus die Brust, als ob die eine Laute wäre, auf der sie spielten, »aber natürlich weiß sie es l Und wie gut sie es weiß! Die schöne Susi weiß was wir wollen!«

Und begleiteten das mit süß affektierten Ohs! und Ahs! Offenkundige Verhöhnung der fremden Bräuche, die zu imitieren ihnen Spaß machte. Lümmel bedienen sich gern solcher Verfahren, um sich damit zu trösten.

Caseldy war etwas zurückgeblieben. Nun trat er hinzu und mit einer kleinen Verbeugung:

»Wollen die Herren mir sagen, was sie wünschen?«

Er sprach mit einem Ton, in dem der Degen klang. Die beiden Herren kühlten ab. Caseldy führte die Herzogin zu Beamish, der in diesem Augenblick mit Chloe eintrat. Daraufhin zogen sich die beiden gefälschten Elegants zurück, wohl um ihrem tapferen Blute neue Kräfte zuzuführen.

Der Beau ersah, daß sich Caseldy einiges Recht auf seine Erkenntlichkeit erworben hatte.

»Sie hat verloren?« fragte er. Und schien zufrieden, als er die Höhe der verlorenen Summe erfuhr. Er beauftragte Caseldy, die beiden Damen bis zu ihrem Hause zu bringen. »Adieu, Graf,« sagte er, als er sich verabschiedete.

»Wenn Sie einmal zwei drei Scharmützel gehabt haben werden, werden Sie darauf kommen, daß mein seltsamer Grafentitel seine Vorteile hat,« bekam der Beau zur Antwort.

»Vermeiden Sie die Scharmützel, wenn auch ich wohl begreife, daß das Prestige Ihres Titels unsere Krautjunker mit einer heilsamen Unruhe erfüllen kann. Sie sind sicher alle bereit, Sie mit Faustschlägen zu traktieren, aber an der kalten und perfiden Waffe finden sie keinen Geschmack.«

Der Beau verabschiedete die Herzogin mit einem hoheitsvollen Gruß. Sie nahm die Hand Caseldys, um in die Sänfte zu steigen. Er packte die Gelegenheit und sagte:

»Wir wollen die Wahrsagerin fragen, wann wir einen guten Tag haben, und Revanche nehmen.«

»Sprechen Sie mir nicht mehr vom Spiel! Meine Börse ist fast leer. Ich war nie an einem Ort, wo man so schlecht ist wie hier. Ich fühle, daß ich in einen Abgrund gestürzt bin. Und dieser Herr Beamish, der mich von oben herunter grüßt I Sie lassen Chloe warten, Graf.«

»Wo war sie, während wir spielten?«

»Mit Herrn Beamish natürlich.«

Er tat einen schmerzlichen Seufzer.

»Unsere arme Freundin ist untröstlich über ihren Geldverlust«, sagte er zu Chloe, als er sich zu ihr wandte. »Soll sie ein Stück weinen. Und dann servieren Sie ihr einige moralische Maximen.« »Das soll geschehn. – Lieben Sie mich, Caseldy?«

»Ob ich Sie liebe? Zweifeln Sie an mir, der ich ganz Ihnen gehöre? Was wünschen Sie für einen Beweis?«

»Keinen, lieber Freund.«

Das ist eine Frau, die sich leicht imponieren läßt, nicht wahr?

Ein leichter Erfolg beruhigt gewissen Herzen die Gewissensbisse einer perfiden Handlung. Sieht der Verräter das süße Vertrauen, das er einflößt, so beginnt er wieder, wenigstens für ephemere Rückkehr, die Reize der schönen Seele zu betrachten, die zu verlassen er im Begriffe ist. Aber es gibt auch wohlgepanzerte Kavaliere, die gegenteilig mit jetzt um so lebhafterem Eifer die Vorteile des Verrates berechnen. Man bemerke auch noch, daß ihre Gefühle hinsichtlich ihrer Beute voll Wärme sind, und das Urteil, das sie über ihr Opfer fällen, verspürt diese Wärme. Sind sie nicht Gegenstand irgendeines Verdachtes? Es ist eine Probe auf ihre Kaltblütigkeit, von der beleidigt, skandalisiert zu sein ihnen gefiele. Die Eifersucht vermag sie zurückzuhalten, und es passiert, daß Kniffe und Neckereien sie reizen, neue Gelöbnisse auszusprechen. Aber auch die Gleichgültigkeit hat mehr Macht über sie, als irgend dummes blindes Vertrauen. Deren auferlegte Last verachten sie. Der Anblick des von Blindheit geschlagenen Geschöpfes ist geradesoviel rührend, daß sie die Last spüren. Sie verachten die Frau deswegen und verzeihen ihr nicht die ungeheure Anmaßung, in der sie sich befindet, indem sie sie ewig an ein so schwaches Wesen wie das ihre gebunden glauben. Sie schreitet vorwärts geschlossenen Auges, ohne darauf gefaßt zu sein, zu straucheln. Ist es meine Schuld, wenn sie strauchelt? Dies ist die Frage, welche der beleidigte Mann sich im Laufe seines Räsonnements stellt.

Die Vorzüge seines Opfers kommen wieder in seine Erinnerung, aber erregen höchstens sein Mitgefühl. Und sein Mitgefühl erstarrt bei dem Gedanken, dieses selbe Opfer könne sich vielleicht über seinen Weg legen und ihn verstellen.

Sein Gedanke wendet sich dann auf den Gegenstand seines Verlangens, in der Angst ihn zu verlieren. Und sobald eine Frau ein Hindernis ist, erscheint die andere ebenso begehrenswert wie das Leben nach dem Tode. Er muß sie haben. Er sieht diese in den Farben seines Begehrens, jene in den Farben seines Widerwillens. Die Grausamkeit ist nichts als die Anstrengung des Menschen, einen begehrten Gegenstand zu erringen.

Die verblendete Frau täte besser, sich nicht als eine vermuten zu lassen, die aufsteht und den Weg verstellt. Besser wäre es und in ihrem eigenen Interesse, sie ginge aus dem Wege oder erklärte ihm, den Kampf um ihn aufzunehmen. Aber eine stolze und durch eine lange Treue erhärtete Liebe kann sich nicht immer klug bei der Probe zeigen.

Caseldy schritt langsam hinter den beiden Sänften her. Er sah von weitem, was kommen würde. Die beiden jungen Leute hatten sich am Haustor der Herzogin aufgepflanzt, und er bekam einen Schlag, als er der Herzogin die Passage frei machen wollte.

Sie griff lebhaft seine Hand.

»Sind Sie verwundet?«

»Wenn Sie an diesem Abend an mich denken, sagen Sie sich, daß ich Ihnen danke. Ihnen und dem Himmel, für den Schlag, den ich bekommen habe.« Und mit einem Druck der Hand beleuchtete er den flüchtigen Augenblick und umarmte er die kommenden Stunden.

Chloe war gestützt von einem der Träger aus ihrer Sänfte gesprungen. Ihr gestreckter Finger wies auf einen der störenden Eindringlinge und sie rief: .Es ist Blut an Ihnen, kommen Sie mir nicht zu nah!« Das sublimste Zureden wäre nicht so geschickt gewesen in seiner Wirkung auf den Verstand der beiden, die im blassen Mondlicht nun einer den andern anschauten. Auf welchem war Blut? Begegnungen mit blutigem Anhang, das war nicht ihre Absicht gewesen, bloß so einen Spaß wie sie ihn verstanden und um sich andern Tags darüber erzählend klatschend auf den Schenkel zu schlagen. Sie gefielen sich darin, zu gestikulieren wie man es in der ersten Tanzstunde lernt, um die galanten Kavaliere zu markieren, und waren aus ihrem Weg geschleudert worden, als sich Caseldy seiner Herrin zur Verfügung stellte.

»Tun Sie, als sähen Sie sie nicht, Lieber.« sagte Chloe.

»Was denn?«

Er hatte die Stimme ganz rauh und packte ihren Arm mit einer brüsken Lebhaftigkeit. Sie fühlte sich schwach werden wie beim Nahen des Todes.

Oben umarmte und küßte die Herzogin Chloe mit starker Geste. Beide zitterten sie, was die Herzogin auf die Rechnung dieser beiden schlimmen Männer stellte.

»Warum hatten sie es nur auf mich abgesehen?«

Und Chloe antwortete:

»Weil Sie schön sind.«

»Bin ich?«

»Ja, Sie sind schön.« »Ich bin schön!«

»Sie sind sehr schön. Sie sind jung und schön. Ihre Schönheit ist im Erblühen. Sie werden es lernen, so zwei Männer zu entschuldigen. Madame.«

»Trotzdem. Chloe ...«

Die Herzogin unterbrach sich mit schwärmerischer Träumerei und seufzte. Dann:

»Ich denke schon, daß ich schön sein muß. Mein Herzog, – aber sprechen wir nicht von ihm. Der liebe Mensch! Er ist zu Bett, schläft schon lang. Ich frage mich, wie er mich hat hierher lassen können. Ich ahne ja, daß ich ihn gequält und gelangweilt habe. Bin ich sehr schön, Chloe, so schön, daß die Männer meiner Schönheit nicht widerstehen können?«

»Sie sind sehr schön, Madame.«

»Also gute Nacht dann. Ich sehne mich nach dem Bett, und ich kann Ihnen keinen Kuß geben, weil Sie dabei bleiben, Madame zu mir zu sagen. Das friert mich wie ein Eiszapfen. Aber ich hab Sie lieb, Chloe.«

»Ich bin überzeugt.«

»Ich weiß ganz genau, ich hab Sie lieb. Ich weiß, ich hab nie die Absicht, schlecht zu handeln. Aber dann, was tun? Wie sollen wir uns denn benehmen, wir andern Frauen? O, ich bin unglücklich! Nein, wie bin ich unglücklich!«

»Sie müßten dem Spiel entsagen.«

»Ja, das ist es! Ich habe mein Geld verloren, ganz vergessen hab ich das. Und ich muß es meinem Herzog beichten, wo er mich doch gewarnt hat. Die alten Herren heben so ihren Finger in die Höh, einen einzigen Finger, und nie vergißt man den oben eingebogenen Finger, sieht aus wie der Henkel von einem Krug, und er kann sich nicht auf einen richten, während man die Lektion gelesen bekommt. Und die Haut am Finger sieht aus wie ein zu weiter Mantel, den man einem guten Alten über die Schultern gelegt hat; oder wenn man in den Fingerwinkel schaut wie eine zerknitterte Decke über einem Toten, die nur das Gesicht sehen läßt. Ja, Chloe, ganz genau so sieht es aus. Heut abend hab ich nicht die geringste Abneigung, von Toten zu sprechen. Ich habe mein Geld verloren, und liegt mir wenig genug daran. Ich bin wieder ein ungebildetes junges Mädchen, schöner noch als damals, wo dieser ... er ist ein alter Edelmann, gut und freundlich. Ich mag ihn sehr mit seinem komischen alten Finger und seinem Susann! Susann! Ich bin nicht schlechter als die andern. Alle Welt spielt hier, alle Welt. Sie haben auch gespielt, Chloe.«

»Niemals.«

»Ich hab Sie sagen hören, daß Sie nur einmal, nur ein einziges Mal gespielt hätten und mit dem allergrößten Einsatz, der je gemacht wurde.«

»Das war nicht Geld.«

»Was denn?«

»Mein Leben.«

»Himmlische Güte! Ja, ich verstehe. Ich verstehe alles, diesen Abend, auch die zwei Männer. Das also haben Sie getan, Chloe? Schließlich sind sie nicht so abscheulich schlecht, alles in allem. Ich kann nicht sehen, was es Schlechtes in der menschlichen Natur geben soll, ich meine natürlich, wenn wir mit Maß ... Sich von Zeit zu Zeit einen Bal champêtre erlauben, ein bißchen Jeux – und dann schön heimgehen, ins Bett liegen, träumen: ich muß zugeben, daß ich darin nichts Schlimmes sehe ... Und deshalb ists wohl auch, daß Sie hier geblieben sind, Chloe, in den Wells. Gefällt es Ihnen da?«

»Ich bin schon daran gewöhnt.«

»Aber wenn Sie den Grafen Caseldy geheiratet haben, dann gehen Sie doch wo anders hin?«

»Dann ja.«

Sie sprach diese Worte ohne irgend Freude aus. Die Herzogin Susanne darauf mit einem Akzent stärkster Zuneigung:

»Sie sind nicht gezwungen, ihn zu heiraten, liebste Chloe.«

»Und auch er ist nicht gezwungen, mich zu heiraten, Madame.«

Ganz impulsiv eilte die Herzogin auf sie zu, um sie zu küssen: daß sie sich ohne Hilfe deshabilieren wolle, sagte sie, da sie allein sein wollte.

Von diesem Abend ab stand die Herzogin Susanne in Flammen.


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