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Drittes Kapitel

Eine glänzende Karosse mit sechs Pferden und Livree in Scharlach und Grün fuhr an einem sonnigen Tag Herrn Beamish fünf Meilen die Chaussee lang, da er die junge Herzogin an der Grenze seines Reiches treffen und feierlich nach den Wells bringen sollte. Chloe saß neben ihm und empfing Ratschläge hinsichtlich ihrer bevorstehenden Pflichten.

Er war an diesem Tage der vollendete Beau, leutselig, aber königlich, und seine Art zu sprechen war majestätisch wie seine Haltung.

»Spähen Sie den Horizont ab und setzen Sie mich in Kenntnis, falls Sie irgendwo einen Wagen wahrnehmen,« sagte er, als sie auf die Höhe eines langhin abfallenden Hügels gekommen waren, wo die staubige Landstraße mit den braunen Hecken zur Seite sich in Kornäcker senkte, in Kleefeldern verschwand, um in der Entfernung einer Meile etwa wieder ansteigend sichtbar zu werden. Chloe schaute aus, während der Beau, sich abzukühlen, den Hut lüftete, und mit einem Blick auf das schwüle Land, über dem die Sonne kochte, bemerkte: »Die Augen schwitzen einem.«

Da sagte Chloe: »Ein Wölkchen Staub. Es kommt dort was ... Jetzt erkenn ich Pferde – ein Fuhrwerk – eine Kutsche.«

Man hieß die Spitzenreiter die Hörner blasen.

Aber beide, Chloe und der Beau, schnitten ein Gesicht bei dem höchst ordnungslosen Getön der dreifachen Hörner, deren Geschmetter Säure in die Luft spritzte statt Süßigkeit.

»Man möchte sagen Hofhunde, die den Mond anbellen,« erklärte der Beau, sich windend. »Und da habe ich, wie Sie wissen, selber die Kerle einexerziert! Vier Stunden hatte ich sie auf einer Wiese draußen, hab sie gebraten und eingeweicht in Sonne und Regen, damit sie ihre angeborene Kakophonie los werden. Aber sie lieben sie, wie sie Schinken mit Bohnen lieben. Der musikalische Stand des Volkes bei uns ist noch in der Phase des primitiven Appetites für Lärm, und davon kann es auch nie genug bekommen.«

»Vielleicht klingt es von fern ganz angenehm,« meinte Chloe.

»Nja, und ist entfernter desto angenehmer. Kommt man näher?«

»Man hält. Am linken Wagenfenster ist ein Reiter. Nun zieht er den Hut.«

»Mit großer grüßender Geste?«

Chloe beschrieb den Halbkreis eines großen Grußes in der Luft.

Der Beau zog die Augenbrauen in die Höhe. »Himmlische Mächte! Kaum ist sie von einer Hand der andern übergeben, kommt mittenwegs ein Kavalier dazwischen. Wir haben nicht auf die Habichte gerechnet. Also wir habens mit einem Kavalier zu tun! Dies bedeutet, meine liebe Chloe, daß ich sofort die Leidenschaft des Nebenbuhlers affektieren muß, wenn ich mit dem Menschen fertig werden will. Nichts weniger.«

»Er ist im Galopp fortgeritten,« sagte Chloe.

»Wem sie nach mir begegnet, das geht mich nichts an,« erklärte der Beau mit einer verachtenden Geste. »Aber es hat ein Intervall gegeben, das gefährlich war für eine unschuldige Dame wie Eva. Kommt sie näher?«

»Die Kalesche kommt den Hügel im Trab herunter. Der Reiter ist den Weg zurückgeritten. Sie hat keine Diener zu Pferd bei sich.«

»Die sind auf meinen Befehl zehn Meilen von hier fortgeschickt worden: zum großen Vorteil für die Herren Ritter möchte es scheinen. Frauen gegenüber, Chloe, ist das Blinken des Augenlids eine Versäumnis gegen die Wachsamkeit.«

»Ein Axiom, das man im Harem des Großtürken aufschreiben sollte.«

»Der Großtürke könnte uns nützliche Unterweisungen geben für unsern Handel mit dem Frauenzimmer.«

»Mißtraut uns, und der Krieg ist erklärt.«

»Euch trauen, und der Stöpsel ist dem Riechfläschchen verlorengegangen.«

»Wir sind Frauen, Herr Beamish, aber wir haben Seelen.«

»Ein schöner Schutz! Der Butz im Apfel, schützt er seine roten Backen davor, daß der von ihnen verlockte kleine Tommy den Garten plündert?«

»Sie gehen davon aus, daß die Männer unsere Feinde sind.«

»Ich behaupte nur, daß sie es sind, die das Banner der Tugend schwingen.«

»Oh, Beamish, ich gebe mich auf!«

»Ich verbiete Ihnen das für meine Lebenszeit, Chloe, denn ich wünsche im Glauben an eine Frau zu sterben.«

»Bitte keine Schmeichelei für mich auf Kosten meiner Schwestern.«

»Dann gehen Sie in ein Kloster, Chloe. Denn jede Schmeichelei ist auf jemandes Kosten, Kind. Die Schmeichelei ist eine Essenz, ein Extrakt der Menschlichkeit. Nach ihr zu leben, wie es manche Leute tun, ist schlecht, ja, es ist geradezu kannibalisch, aber es ist gestattet, unser Taschentuch mit ihr zu besprengen und wir sollen, wenn wir Lust haben, unsern Nasen mit einem Geruche wohltun. Gesellschaft, Chloe, das ist Wildheit auf einer höhern Stufe, und wir müssen unsere Opfer haben. Was sagen Sie zum Beispiel von mir neben unsern gestiefelten und gespornten Bauerntölpeln, die da reiten und tuten?«

»Hundert davon sind Sie wert, Beamish.«

»Das nenn ich ein Holokaust von Ehrenmännern, kondensiert um des Extraktes meines Leibes willen, und dazu haben Sie die Halunken nicht einmal zwischen die gigantischen Urweltsknochen gepreßt nach druidischem Brauche. Seien Sie philosophisch und nehmen Sie Ihr Ihnen Zukommendes hin. Und lassen Sie uns das unsere. Ich bin fest entschlossen, diese junge Herzogin zu bewahren, und ich weiß voraus, mein Unterfangen ist schwierig. Ich trage die erwähnte Standarte, das versichere ich Ihnen, und in aller Demut. Es ist ein Irrtum des Pöbels, daß alles Drache sei in den Kinnbacken des Drachen.«

»Die Männer sind seine Klauen und seine Fangzähne.«

»Gewiß, aber die Leidenschaft für seinen brennenden Atem ist bei der Frau. Sie nimmt sich ihren Elan und springt. So ist es, war es und wird es immer sein. Und in dem Augenblick, wo sie versucht und verängstigt vorgeht und zurückweicht gleichzeitig, da sperrt der Drache sein Maul auf und zieht die Luft ein: die Sonne ist verschlungen. Unsere Rolle ist, zu verhindern, daß es bei der Herzogin Goldknospe zu dem kritischen Augenblick komme. Kommt sie übrigens?«

»Ich seh sie,« sagte Chloe.

Beau Beamish verlangte eine Beschreibung und Chloe begann:

»Sie ist bezaubernd.«

Er gab diesen Kommentar:

»Jede Frau ist bezaubernd in vierzig Schritten Entfernung, bezaubernder noch, wenn in der Phantasie gesehen.«

»Schönes Haar, Kastanienfarbe, herrlichen Teint, weiß und rosa, ein blauer Hut.«

»Die Augen?«

»Von zartem Blau.«

»Die richtige englische Hexe!« rief der Beau und der abwesende Herr und Meister dieser Hexe flößte ihm einen mitleidvollen Gedanken ein.

Chloes Sehkräfte waren nicht länger mehr in Anspruch genommen, in der schönen Herzogin Linienspiel einzudringen, denn schon lagen die Seiten der beiden Wagen nebeneinander. Der des Beau war offen. Beamish erhob sich, und seine besonderen Rechte nützend fixierte er die Herzogin Susanne, bis sie errötete. Da sagte er:

»Ah, Madame, ich bin nicht der erste.«

»Aber wer sind Sie denn, mein Herr?«

Der Beau zog langsam den Hut und verbeugte sich.

»Der, Madame, von dessen Annäherung Sie jener Herr informierte, der da drüben auf der Höhe sich von Ihnen verabschiedete.«

Sie blickte ganz arglos über ihre Schulter und auf den Beau, der aus seinem Wagen gestiegen war.

»Ein Herr?«

»Zu Pferde.«

Die Herzogin fuhr mit dem Kopf zum Wagenfenster heraus: sie mußte die Entfernung zwischen den beiden Anhöhen messen.

»Niemals!« rief sie.

»Wie, Madame? Brachte er keine Botschaft, die mich ankündigte?« log der Beau.

»Himmlische Güte! Da müssen Sie Sir Beamish sein.« rief sie.

Indem er seinen Hut an sein Herz drückte, lud er sie ein, ihren Wagen zu verlassen und in dem seinen Platz zu nehmen. Sie stellte eine Bedingung:

»Nur wenn Sie mich überzeugen, daß Sie Herr Beamish sind.«

Er zog die Stirne in Falten und warf den Kopf zurück, um sie zu überzeugen, aber sie ließ sich davon nicht beeindrucken. Da rief er Chloe, daß sie seine Identität feststelle. Wie die Herzogin den Namen Chloe hörte, rief sie:

»Ja, jetzt glaub ichs. Chloe ist hier meine Jungfer, und ich weiß, sie ist eine Dame, richtige Dame ... wir werden Freundinnen werden. Lassen Sie mich zu Chloe. Also Sie sind Chloe?« sagte sie und machte einen beherzten Schritt vom Trittbrett ihres Wagens auf das des andern. »Und machen sich nichts daraus, meine Jungfer zu sein? Sie sehen gut und lieb aus. Und ich sehe, Sie sind eine Wohlgeborene, Ich sehe so was immer sofort. Sie sind schwarz, ich blond, wir werden uns gut verstehen. Und sagen Sie mir ... Gott, was für schreckliche Augen der hat und weit damit schaut! Ich muß Sie gleich fragen, was Sie von mir denken. Ich war nie zuvor auf den Wells. Herrgott! Die Kalesche ist weg! Sie müssen mir sagen, an welcher Wegstelle man die Glocken hört, die mich einläuten. Ich weiß, daß ich Glockengeläute bekomme. Herr Beamish, Herr Beamish, ich muß meinen Plausch mit einer Frau haben, und Sie machen mir angst, Sie erschrecken mich mit Ihren Augen. Ich brauche im Palais meines Herzogs nur den kleinen Finger zu heben, um Männer zu sehen, dutzendweise. Es ist ja wahr, es sind lauter alte Männer. Aber eine Frau, die eine Dame ist und so liebenswürdig, meine Jungfer zu sein, das begegnet mir zum erstenmal, seit ich eine Krone trage. Ich will also Chloe bei der Hand halten. Da! Und Sie müssen mir immer gleich sagen, Chloe, wenn ich nicht nach Ihrem Geschmack angezogen bin, nicht wahr? Und was mein vieles Reden betrifft, bei mir ist das ein Beweis, daß ich die Leute gern hab. Ich weiß oft nicht, was reden mit meinem Herzog. Ich denk oft nach und finde es so komisch, einen Herzog statt einen Gatten zu haben. Na, jetzt staunen Sie!«

Und die Herzogin lachte, als sie Chloe lachen sah. Die sich dafür entschuldigte, aber von ihrer Herrin die Belehrung bekam, das sei es gerade, was sie liebe.

»In den ersten zwei Jahren konnte ich kaum ein Wort reden. Ich stotterte, wurde rot, blieb auf meinem Zimmer, kämmte und bürstete mein Haar und war immer daran, vor jedem einen tiefen Knix zu machen. Jetzt fühl ich mich ja schon ganz sicher, denn ich habe mächtig Courage – außer vor dem Tod. Ich komme schlechter mit dem Gedanken des Sterbens aus als damals, wo ich noch ein armes Mädchen war, mit dem Herrjeses einer dummen Trine in den runden Augen und einem Mund grad nur gut zum Vollstopfen. Ich möchte wissen, warum das so ist. Ist das Sterben nicht eine schreckliche Sache? Und die Skelette!« Die Herzogin schüttelte es.

»Das kommt auf das Skelett an,« meinte Beau Beamish. »Dem Ihren, Madame, möchte ich nicht begegnen, denn es würde mich zu klagevollem Bedauern über den Verlust des Fleisches veranlassen ... Aber ich bin einmal meinem eigenen Skelett begegnet und kann sagen, ich bin ganz zufrieden mit der Entrevue.«

»Ihrem eigenen Skelett?« fragte zweifelnd die Herzogin und wurde blaß.

»Dem meinen, ganz unirrtümlich. Und ich will Sie zu Zeugen aufrufen, indem ich es beschreibe.«

Die Herzogin machte große Augen und rief erst: .Nein, nein!« Aber sagte dann: »Es ist ja heller Tag und ich hab jemanden bei mir schlafen, wenns Nacht wird,« und sie lächelte zu Chloe. Diese gab die Versicherung, daß zu Angst gar kein Anlaß sei.

»Ich begegnete dem Herrn, als ich mich in mein Schlafgemach begab. Durch einen engen Korridor, wo einer dem andern ausweichen mußte. Ich muß bekennen, nur die Knochen in Betracht gezogen, ähnelten wir uns auf so erstaunliche Weise, daß ich ihn bat mich vorbeizulassen. Denn dieses Individuum war durchaus ein Hindernis auf meinem Weg, und war mir beim ersten Anblick widerwärtig. Ich hielt es für das Skelett irgendeines, für das übliche Emblem des Todes mit Schädelgrimasse, zählbaren Rippen und den fächerartig verbreiteten Fußzehen, kurz für den wenig erfreulichen und anmutigen Polischinell, über den der Mensch gebaut ist, und den er heimsucht in den schwachen Stunden. Offen gesagt, kam ich von einem Souper, dem ein Ball gefolgt war mit schönen Frauen und witzigen Herrn. Hatte also ein gutes Rezept, Geister zu beschwören. Nun, mein Junge, sieh zu, daß du weiterkommst, und ohne zu grüßen ging ich weiter. Ich gebe Ihnen mein Wort, Madame, er betrug sich genau so, wie ich mich unter gleichen Umständen betragen hätte. Er weicht mit eingezogenen Gliedern einen Schritt zurück, verbeugt sich und beehrt mich mit einem Gruße, der bedeutete Gehorsamer Diener! Was auch gleichzeitig würdiges Selbstgefühl ausdrückte. Ich gehe weiter, er macht wieder einen Schritt zurück, grüßt wieder, und das alles auf die natürlichste und vornehmste Weise, gar nicht leichenbitterhaft. Das sind, dachte ich, in der Tat gar königliche Manieren. Ich war geneigt, ihn für den Monarchen der Unterwelt zu nehmen, ohne seinen Mantel. Ich gestehe, ich wurde vor Verlegenheit rot.«

»Und das ist alles?« fragte die Herzogin und tat einen erleichterten Seufzer.

»Aber merken Sie nicht, Madame, daß bloß mein eigenes Skelett sich so vornehm und mit solcher Grazie gegenüber der Insulte seines allernächsten Verwandten benehmen konnte? Als es mir vorausgehend die Türe öffnete, was ich diesmal durchaus billigte, da erkannte ich es, und ich verstand den Vorwurf, den es mir mit seiner Absicht machte. Vielleicht hätte ich mich mit dem Souper, den Weinen und dem Ball entschuldigen sollen. Ich muß gestehen, daß dieses letzte sichtbare Zeugnis einer feinen Erziehung, dieses Türöffnen und Vorangehen, für mich die schönste Eloge war, die je ein Mann bekommen hat. Es war mir die Sicherheit, daß ich einst, wenn dieses sterbliche Fleisch von mir gegangen, nicht weniger bemerklich sein würde durch meine Urbanität und meine Eleganz; und ich werde es in der Ewigkeit noch weit mehr sein als hier unten, da ich dort nicht solche Ekarts begehen werde, deren ich mich schuldig machte, als ich noch ein Weinschlauch war.«

Die Herzogin schlug den Fächer, um sich die Verdauung der Anekdote zu erleichtern.

»Alles in allem ist Ihre Anekdote nicht so böse wie Ihre Augen vorhin, und ich sehe, Sie sind der Beau Beamish.«

Er fragte sie, ob ihr seine Ankunft von dem Herrn zu Pferd signalisiert worden sei, da drüben auf dem Hügel.

»Was will er nur mit seinem Herrn zu Pferd?« und sie wandte sich zu Chloe.

»Mein Herzog hat mir gesagt, daß Sie mir entgegenkämen, Herr Beamish. Und daß Sie für meinen Schutz zu sorgen hätten. Wenn mir etwas passiert, sind Sie verantwortlich.«

»Ich allein,« sagte der Beau. »Aber ich will mir doch auch eine Wachgarde schaffen.«

»Die mir aber nicht die Freiheit nehmen darf. Gott! Ich war doch so lang eingesperrt! Sehen Sie, Chloe, ich komme mir vor wie ein Sonntagskleid, das man ausführt und das ein bißchen Angst hat, sich zu beschmutzen. Ich bin ein richtiges Kind, mehr noch als damals, als der Herzog mich geheiratet hat. Als man mich zu dem Rang erzog, den ich nun einnehme, da kam es mir vor, als würde ich wieder ganz klein und sei im Wachsen. Ich hab keinen Menschen, dem ich davon erzählen könnte. Ist das nicht traurig? Man kann zu alten Herrn doch nichts von dem erzählen, was einem im Herzen vorgeht.«

»Und den jungen Herrn?« fragte der Beau.

»Die erraten es.«

»Nicht ohne daß man sie dabei führt.«

Die Herzogin Susanne ließ leicht ihre Wimpern und ihre Unterlippe hängen. In ihrem gleichzeitig schalkhaften und unschuldigen Blick lag ein Gedanke eines Naturkindes, ein Gedanke, der sich in ihr zum Licht gebracht hatte und sich nun heimlich vor die weite Welt aufrichtete.

»Wer weiß, ob Sie recht haben?«

Und es war in ihrem Ton die gleiche Malice wie in ihrem Blick.

»Hüten Sie sich«, sagte er, »vor den Männern in mittleren Jahren.«

Sie wandte sich an Chloe:

»Sind sie nicht die angenehmsten?«

Chloe gab es zu.

Die Herzogin, ein Wesen, rasch alles zu packen bereit, wonach sie lüstern, umfaßte ihre beiden Fahrtgenossen mit einem Blick. Sie hätte das liebenswürdige Thema der Unterhaltung weiter verfolgt, wären nicht die Türme und Dächer von Wells in ihr Gesicht gekommen. Glänzend in der Sonne, verschlummert in der Atmosphäre eines Sommertages zur Stunde der Siesta.

Sie strich über ihr Seidenkleid, rührte mit der Hand an das Kunstgebilde ihrer Coiffüre und sagte halblaut zu Chloe:

»Ich vertrage den Staub gar nicht ... Sie werden mich durch einen Reifen hüpfen sehen. Ich kann das sehr sein. Ich machte das immer zu einer langsamen Musik, mein Herzog klatschte in die Hände. Wissen Sie, ich bin nichts, wenn ich sitze, verglichen damit, wenn ich in Bewegung bin. Das ist, weil ich noch nicht das seine Parlieren gelernt habe. Aber das kommt schon noch, scheint erst zum Schluß. Also das da ist Wells. Wo ist der Ort, wo man sich trifft, die Promenade der großen Welt?«

»Dort, Madame, wo die großen Bäume stehen,« sagte Chloe.

»Und wo nehmen die Damen Kuchen mit Konfitüre und geschlagener Sahne darauf, während die vor ihnen stehenden Herrn ihre Nettigkeiten sagen?«

Chloe erklärte, daß dieses sich in einer Konfiserie vollzöge, die neben dem Quellensaal läge.

Der Blick der Herzogin ging über die Dächer hin und fuhr zurück vor den staubigen Hecken und Wiesen.

»Gott! Dieser Staub!« rief sie. »Ich kanns nicht ausstehen, außer der Mode zu sein und komisch auszusehen. Aber ich liebe meine Haare. Ich hab eine ganze Menge. Ich hab ihre Farbe so gern, und mein Herzog auch. Erlauben Sie nur nicht, daß man sich mich mit dem Finger zeigt! Fange ich einmal an, vor den Leuten rot zu werden, so verläßt mich all mein Mut, das Lied in mir hört auf und erstickt. Denn ich hab wirklich eine Lerche in mir, die in mir den ganzen Tag steigt, ob schön, ob Regen ... und singt immer von Lust und Liebe.«

Chloe lächelte. Die Herzogin plauderte weiter.

»Es muß ein Vogel sein, denn was mich betrifft, ich weiß nicht, was das ist, Lust und Liebe.«

Sie sah auf Chloe, als ob sie von ihr eine Erklärung erwartete.

In diesem Augenblicke tauchte ein Trupp Berittener am Wagen auf, der haltmachte. Beamish erhob sich und gab Befehl, daß die Glocken geläutet würden und daß sich die Fanfare an die Spitze des Zuges begeben möge, man würde durch die Hauptstraße fahren »zu Ehren der Ankunft Ihrer Durchlaucht der Herzogin von Ochsenschlepp«.

Seine Stimme war lauter Befehl. Und er schoß dabei einen so glänzenden Blick auf die Herzogin, daß diese für einen Moment ganz betäubt war und ihre Gedanken gar nicht auf die Worte richtete, die sie vernahm. Aber bald zeigte sie einige Unruhe, und war schließlich völlig verwirrt, biß sich in die Unterlippe und ein bißchen ohne Atem:

»Bin es ich, von der Sie sprechen, Herr Beamish?«

»Von Ihnen, Madame. Sie sind es, die zu ehren wir entzückt sind.«

»Herzogin von was?« Und ihre Züge verkrampften sich ein wenig in Erwartung der Antwort.

»Herzogin von Ochsenschlepp.«

»Aber das ist doch gar nicht mein Titel, mein Herr!«

»Es ist Ihr Titel auf diesem Boden, Madame.«

Sie machte das hübsche Naschen und die Oberlippe völlig häßlich mit der verächtlichen Grimasse, die sie schnitt.

»Ochsen ... in diese Stadt einziehen und vor allen den Leuten unter dem Namen Herzogin von ...? O nein! Ich mag nicht. Ich mag ganz einfach nicht. Rufen Sie diese Dorreiter zurück, Herr Beamish! Sie beleidigen mich, mein Herr! Ich denke nicht daran, ein Gegenstand des Lächelns zu werden! Und Sie beleidigen den Herzog! Er würde lieber sterben, als wissen, daß man mich in meinen Gefühlen verletzt. Da ist mir nun meine ganze Freude verdorben. Ich will nicht in diese Stadt, ich werde nicht in diese Stadt treten mit dem stupiden Namen! Also rufen Sie schon die Leute zurück, sofort rufen Sie die Leute zurück. Ich weiß, wer ich bin und was man mir schuldet. Ich weiß es sehr gut.«

»Genau wie ich,« sagte Beau Beamish. »Chloe ist hier, die Ihnen sagen wird, daß ich hier der Herr bin.«

»Dann will ich zurück nach Hause, verstehen Sie? Ich will hier nicht lächerlich gemacht werden als eine komische Grande Dame. Ich bin eine wirkliche Dame von Rang, und unter diesem Titel will ich in die Stadt. Was ist das, eine Herzogin von Ochsenschlepp? Sagen Sie doch gleich Herzogin von Kuhschwanz oder von Mopsschweiferl! Ich will nicht! Ich will nicht, daß man sich über mich lustig macht! Was die Leute sagen werden und was für Gesichter schneiden! Rufen Sie Ihre Reiter zurück, ich will nach Hause.«

»Die Kalesche Ihrer Durchlaucht ist hinter uns,« sagte der Beau.

Sein kaltes Blut und seine despotische Sicherheit riefen eine Tränenkrise hervor, wobei sie immer wieder zwischen Schluchzen »Ochsenschleppl Ochsenschlepp!« rief, ihr Gesicht in den Händen vergrub und es sie schüttelte.

»Sie sind so stolz auf Ihren Namen, Madame?«

»Ja, das bin ich, natürlich!«

Und sie tat die Hände vom Gesicht, um ihm das mit allem Stolz zu sagen.

»Ja, das bin ich weiß Gott,« und tat alles, in diese Worte den energischsten Nachdruck zu legen.

»Dann bitte ich, mich anzuhören,« sagte er mit Autorität. »Ihr Herzog, Madame, ist mein Freund und Sie sind hier unter meinem wachsamen Schutz. Ja, ich bin Ihr Beschützer, Sie sind meine Schutzbefohlene. Ohne sich mir zu unterwerfen, kommen und können Sie nicht in diese gute Stadt Wells. Hören Sie mich also an, Madame. Kein Mensch kann Ihnen Ihren wahren Namen und Titel nehmen, kein Mensch außer Sie selber. Aber Sie stehen auf dem Punkte, einen Ort zu betreten, wo sich Ihnen tausend Versuchungen bieten, Ihren Namen zu trüben oder vielleicht sogar die Rechte zu verlieren, ihn zu tragen. Sie sind gewarnt: handeln Sie danach.«

»Also werde ich meinen wahren Namen führen?«

»Während Ihres Aufenthaltes hier sind Sie die Herzogin von Ochsenschlepp.«

»Das werde ich ganz bestimmt nicht sein.«

»Sie werden es sein.«

»Niemals!«

»Ich befehle es.«

Sie warf sich mit einem Aufseufzen Chloe an die Brust.

»Können Sie denn nicht zu meinen Gunsten was tun?« sagte sie, Tränen in der Stimme.

»Es ist unmöglich, Herrn Beamish zu erschüttern,« gab Chloe Antwort.

Es entstand eine Pause, da war nur Stöhnen und Seufzen, und dann kam es aus einer zerbrochenen Stimme:

» Also... also... ich war sicher lieber seinem Skelett begegnet. –

Das offenherzige Wort war soviel wie Esprit. Und Beau Beamish brach in lautes Lachen aus. In einem Elan von Gewogenheit, hervorgerufen von unwiderstehbarer Bewunderung, zwang er sich die Freiheit auf, die Fingerspitzen der Herzogin zu fassen und zu küssen. Sie sah darin eine gute Gelegenheit, ihren Fall zu gewinnen, aber beim ersten Wort, das sie sprach, hatte er schon wieder seine strenge Art.

Inzwischen durchlöcherten die lustigen Klänge der Fanfare die Luft, und die Glocken brummten festlich. Eine Mahnung, daß es notwendig sei, seinen Kummer zu verbergen, seinen Rang zu halten und vor der Menge zu repräsentieren. Die Aufregung durch das umgebende Neue, die Musik und das Glockenläuten taten auf Herzogin Susanne ihre Wirkung. Die bittere Empfindung über ihre Neubenamung verwich vor ihrem Geiste. Sie hielt sich aufrecht und ihr Gesicht drückte nichts sonst aus als die Erwartung ungewöhnlicher zauberhafter Dinge. Fähig, die geringsten Eindrücke zu reflektieren, glich dieses Gesicht der Oberfläche eines schönblauen Sees, welche launische Lüftchen streicheln und kräuseln, da und dort, der Sonne zum Trotz, die sich über den Spiegel gießt.


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