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Achter Brief.

W Wir haben jetzt 6 Haupt-Ursachen betrachtet, verehrte Freundin, aus welchen die schnelle Verbreitung der Reformation hervorging, und werden Sie mir beistimmen, daß außer der letzteren, nämlich der großen und gewinnenden Persönlichkeit Luthers, alle übrigen in der geschmeichelten Selbstsucht des natürlichen Menschen und seinem willkommenen Losketten von den heiligenden Banden der Kirche ihre psychologisch unzweifelhafte Erklärung finden.

Denn der Selbstsucht, dieser tiefen und verderblichen Wurzel unserer menschlichen Natur, ward unter dem Vorwande der evangelischen Freiheit (unter einem andern wär es in der religiösen deutschen Nation unmöglich gewesen, die bestehende Kirche zu erschüttern) in den Herzen aller Stände das üppigste Fortwuchern gestattet, weshalb es denn auch nicht fehlen konnte, daß alsbald die Früchte des göttlichen Geistes, welche der Apostel Gal. 5, 22. aufzählt, ausblieben, und im Gegentheil die Früchte des Fleisches, deren er in den vorhergegangenen Versen gedenkt, in unmäßigem Grade hervorbrachen, wie wir theils schon gesehen haben, theils noch ferner sehen werden.

Luther, wie sämmtliche Reformatoren sahen diese verderblichen Wirkungen mit Entsetzen, und beklageten sie an hundert Orten ihrer Schriften; aber sie suchten, in den Consequenzen ihres unglücklichen Systems befangen, die Ursache nicht da, wo sie allein zu suchen ist, sondern in den Nachstellungen des Teufels und den drohenden Vorzeichen des Weltendes.

Sie alle waren größtentheils und insonderheit Luther, tief-religiöse Menschen; aber indem sie ursprünglich in einem einzigen Punkte und zwar in der Lehre von der menschlichen Freiheit von der allgemeinen Kirche abwichen, und ihr Wahnbild consequent zu verfolgen suchten, brachten sie über sich selbst und die Welt diesen unaussprechlichen, nun schon dreihundertjährigen Jammer.

Das wird Sie wunderbar bedünken und Sie werden bezweifeln, meine gnädige Freundin, daß eine einzige Irrlehre so verderblich wirken könne, und dennoch ist es so.

Hören Sie und erstaunen Sie; ich werde mich so kurz zu fassen suchen, als müglich.

Die katholische Kirche lehrt: der Mensch hat auch nach dem Sündenfalle seine Freiheit nicht gänzlich verloren, obwohl sie geschwächt ist. Zum Werke der Wiedergeburt kann er aber aus eigener Kraft nichts thun, wenn nicht die göttliche Gnade ihm anregend voraufgeht, ( conc. Trid. sess. VI. c. V.) und hängt es nun von dem Menschen ab, mit Freiheit dieser anregenden Gnade zu folgen oder ihr zu widerstreben.

Luther dagegen lehrte, damit ich seine eigenen Worte nach unsern symbolischen Büchern anführe solida declaratio p 661 edd. Rechenberg cf. p. 656. und Luther in Genes cap. XIX.: »in den geistlichen und göttlichen Dingen (denn in den bürgerlichen und äußeren wie man sie nennt, wird dem Menschen eine gewisse Freiheit zugesprochen) die sich auf die Seele beziehen, ist der Mensch wie eine Salzsäule, in welche das Weib des Patriarchen Loth verwandelt wurde, ja, er ist gleich einem Klotz und Stein, einer leblosen Statue, die weder den Gebrauch der Augen, des Mundes noch irgend eines Sinnes oder des Herzens hat, läßt sich auch von seinem Lauf zur Hölle weder durch Bitten noch Ermahnungen, Beschwörungen, Drohungen, Verweisungen ablenken, bevor er durch den heiligen Geist erleuchtet, bekehrt und wiedergeboren ist. Denn bis dahin ist er ein Knecht der Sünde und ein Eigenthum ( mancipium) des Satan, von dem er getrieben wird.«

Fragen wir nun, wie diese Belebung des willenlosen Klotzes durch den heiligen Geist geschieht, so war die ursprüngliche Ansicht Später rechnete die Augsburgische Confession Art. V. auch noch die Sacramente hinzu. Luthers »blos durch die Predigt des Evangeliums, als wodurch der wahre Glaube hervorgebracht werde.«

Soweit das verderbliche System, und nun lassen Sie uns so kurz als möglich die Consequenzen ziehen, welche daraus hervorgehen:

Ist der Mensch ein willenloser Klotz, den erst der heilige Geist durch die Predigt des Evangeliums umgestaltet, wie der Bildhauer die Statue, so bedarf er dazu vermöge seiner Allmacht keiner bisherigen Mittelpersonen, keines Pabstes, keiner Bischöfe, keiner Priester, keiner Sacramente Darum ward auch auf den Grund der eben bereits angeführten Aeußerungen Luthers, sogar das Abendmahl, als eine unnöthige Ceremonie vom Magistrat zu Memmingen abgeschafft. Bei de Wette III. 453. und muß ich überhaupt bei dieser Deduction bitten, sich an das bereits Vorausgegangene zu erinnern., keiner Kirche, keiner Wissenschaften, keiner Künste, keiner weltlichen Obrigkeit: sondern nur seiner Gläubigen, sie mögen angehören welchem Stande, Alter Hieraus erklären sich denn zugleich auch manche an sich wahnsinnig scheinende Aeußerungen des großen Reformators; z. B. »du wisse, daß der Pabst, Concilia und alle Welt unterworfen sind mit ihrer Lehre auch dem geringsten Christen, ob es gleich ein Kind wäre von sieben Jahren, das den Glauben hat, und sollen dasselbige annehmen über ihre Lehre und Gesetze. Kirchenpostille bei Walch XII., 452. und Geschlechte Der Glaube ist das rechte priesterliche Amt, der uns Alle zu Pfaffen und Pfäffinen macht. Altenb. Ausg. I. 523. sie wollen. Denn wer könnte wohl besser predigen, bilden, lehren und regieren, als der durch das Evangelium in jedem Gläubigen wieder freigewordene göttliche Geist?

Dieser heilige Geist bringt denn auch in dem Menschen die guten Werke von selbst hervor, wie der Baum die Früchte, und wenn ers nicht thut, ist es natürlich nicht des unfreien Menschen, sondern des heiligen Geistes Schuld Diese Konsequenz wurde freilich nicht öffentlich ausgesprochen, obgleich sie nahe liegt, und die folgenden Worte im Grunde auch nicht anders sagen:
»Der Mensch thut soviel Gutes und so lange Gutes, wie viel und wie lange er von dem Geist Gottes angetrieben wird, solid declar. II. de liber, arbitr. §. 44.
, und wie ihn kraft seines Glaubens die guten Werke (welche ja keineswegs sein Eigenthum sind) nicht seeligen, d. i. in den Himmel bringen, so stürzen ihn kraft desselben Glaubens die bösen nicht in die Hölle.

Summa, Summarum: Moses ist toll, und Laster und Tugend sind für die Seligkeit ganz indifferente Begriffe!

Alle diese und andern Consequenzen folgten aus dem unglücklichen System von der gänzlichen Unfreiheit des menschlichen Willens, und erst, wenn der große Reformator durch die bitteren Folgen seiner Lehren gewitziget wurde, wenn z. B. ein Orlamünder Schuster ihm durch schamlose Bilder den Sinn der Bibel erklären oder die ganze, von dem neuen heiligen Geist ergriffene Bürgerschaft der Stadt ihn mit Steinen und Koth aus dem Thor treiben wollten Altenb. Ausg. II. fol. 802. Vergl. 864 b., oder ein Carlstadt, Münzer ff. die Consequenzen seiner ursprünglichen Lehren verfolgten, spannte er plötzlich andere Saiten auf, ward Gift und Galle, lobte wohl gar die katholische Kirche wie wir gesehen haben, und eignete sich später dies und jenes von ihr an, z. B. die Ordination der Geistlichen, ward aber in der Hitze der Polemik und bei dem unbeugsamen Trotz seines Charakters, immer wieder in die Consequenzen seines Systems hineingezogen, und verfiel von einem Widerspruch in den andern.

Forschen wir nun, wie er überall auf dies unglückliche, aller menschlichen Vernunft, wie allem menschlichen Gefühl gleich widerstrebende System gekommen sei, so gibt nach meinem Dafürhalten seine Vorrede auf »die deutsche Theologie Der Verfasser dieses pantheistisch-mystischen Werkes aus dem 14. Jahrhundert, ist unbekannt.,« welche er im Jahre 1516 herausgab, die allein befriedigende psychologische Erklärung. Er sagt darin wörtlich: »Und daß ich nach meinem alten Narren rühme, ist mir nebst der Biblien und St. Augustin nicht fürkommen ein Buch, daraus ich mehr erlernt hab und will, was Gott, Christus, Mensch und alle Ding sein

In diesem Buch wird nämlich philosophisch durchgeführt, daß es nur einen Willen gebe, den göttlichen, und nur dieser allein in der Creatur wirke, mithin von keiner Freiheit des menschlichen Willens die Rede sein könne. Dies sagte dem jungen, schwärmerischen, jeder Menschenkenntniß baaren Mönche zu; er schlug in seinem zweiten Lieblingsschriftsteller und hochverehrten Ordenspatron, im heiligen Augustin nach, und siehe, zu seinem Erstaunen fand er, daß dieser große Kirchenlehrer († 28. August 430) in seinem Streit mit dem brittischen Mönch Pelagius, (welcher im Gegentheil die unbedingte Freiheit des menschlichen Willens behauptete) sich hin und wieder zu ähnlichen, von der katholischen Kirche freilich von jeher beklagten Aeußerungen über die Unfreiheit des menschlichen Willens hatte hinreißen lassen. Zu seinem noch größeren Erstaunen fand er nun sogar auch in seinem dritten Lieblingsbuch, in der Bibel hin und wieder ähnlich scheinende Aeußerungen. Mithin war sein System fertig: die ganze Welt lag in Blindheit, hatte 1500 Jahre in Blindheit gelegen, und nur er allein, der 33 jährige junge Mönch sah das Licht und die Wahrheit.

Der große Humanist Desiderius Erasmus, einst sein Freund und Bewunderer, sah bald die ungeheuren Folgen dieses furchtbaren Systems ein, das, wenn es consequent durchgeführt wäre, wie es die Bauern und die Wiedertäufer versuchten, die ganze bürgerliche, sittliche und religiöse Welt aus ihren Fugen gerissen, und die Christenheit zur Barbarei der Menschenfresser zurückgeführt haben würde, und schrieb deshalb schon im Jahre 1524 seine berühmte Diatribe »vom freien Willen«, welche Luther aber mit der Gegenschrift: »daß es mit dem freien Willen nichts sei« beantwortete, und darin so horrende Aeußerungen that, z. B. über die absolute Vorherbestimmung der Menschen zur Seligkeit oder Verdammniß, indem Gott einige Menschen zur Verdammniß bestimme, ehe sie geboren würden, ja sie zur Sünde antreibe und alle Laster in ihnen wirke, daß nur die Calvinisten, wegen ihres gleichen Systems darüber frohlockten, aber selbst seine blindesten Anhänger mit dergleichen Stellen nicht überall zusammenstimmten. Man sehe die Streitigkeiten bei Walch Tom. XVIII. S. 1944-2486 und die historische Einleitung dazu S. 106-154. Uebrigens hat nach meinem Dafürhalten die dialektische Gewandtheit Luthers nie einen größeren Sieg errungen, als in dieser Schrift gegen Erasmus.

Lehrt uns nun die Erfahrung, daß auch die ausgezeichnetsten Männer, diejenigen Ideen, für welche sie sich in der Jugend begeisterten, Zeit ihres Lebens festzuhalten pflegen, ja, daß es gewissermaßen bei uns Allen stereotype Gedankenreihen giebt wie stereotype Sünden, und es oft schwerer hält die ersteren als die letzteren zu vertilgen; so werden wir als selbstfehlende Menschen Luther, wenn auch nicht rechtfertigen, so doch auch gerade nicht mit liebloser Härte verdammen können. Im Gegentheil, wir werden ihn herzlich und innig bedauern müssen, wenn wir bedenken, welche Kämpfe dazu gehören mußten, um diesen von Natur und Herzen so gesunden Menschen zu dem Opfer seiner vorgefaßten Ideen zu machen, und allmählig so zu verwildern, daß er von sich selbst bekennen mußte: er sei weit besser unter dem Pabstthum gewesen; Auslegung des I. Briefes Johannis bei Walch IX. S. 1310. welche Kämpfe, um ihn, ächt manichäisch, der Macht Gottes die Macht des Teufels entgegensetzen zu lassen, von dem er sich bei jedem Tritte und Schritte, bei Tag wie bei Nacht umgeben wähnte; Kämpfe, bei welchen er einst Tage lang lag, ohne einen Bissen zu genießen und fast einem Todten gleich gefunden wurde; Kämpfe, schreckliche Kämpfe des Gewissens, wenn sich ihm die Augen öffneten über das Elend, welches er angerichtet, und er dann wohl vor Verzweiflung ausrief: Es möchte Einer schier mit Hiob sagen: ich wollt daß ich nie geboren wär, so möcht ich auch schier sagen: ich wollt, daß ich mit meinen Büchern nit kommen wäre An Caspar Gürtel bei de Wette Thl. V. im Januar 1539. und ein anderes Mal: Ich lasse die Gedanken nimmer fahren, daß ich wünsche und wollte, daß ich diese Sache nie angefangen hätte. Ich wollte lieber todt sein, denn daß ich die Verachtung Gottes Werks und seiner treuen Diener sehen soll. Tischreden, Eislebensche Ausg. fol. 185 b. Und ein drittes Mal: Wenn mir nur Gott die Augen nicht zugeschlossen hätte und ich hätte diese Aergernisse vorhergesehen; so hätte ich nimmer angefangen das Evangelium zu lehren. Auslegung der Propheten bei Walch VI. 920.

Armer, armer, gefallener Luther, welcher aufrichtige Christ sollte dich nicht bedauern! Aber auch du warst sicher ein nothwendiges Glied in der freien und herrlichen Entwickelung der Kirche unsers Gottes und Erlösers. Denn wärest du es nicht gewesen, so würde dein Werk wie eine Schaumblase vergangen sein; aber der drohende Einfall der Türken und der Verrath des Moritz von Sachsen haben es kümmerlich gefristet bis diesen Tag. Das ist Gottes Sprache, denn das Sprechen Gottes ist Handeln, und wiederum: das Handeln Gottes ist Sprechen. – Ob er jetzt abermals sprechen wird, da voll mystischer Unbegreiflichkeit keine Irrlehre länger als 300 Jahre bestanden? wir wollen demüthig hoffen, wie wir wünschen. –

Und jetzt zurück zu unsern Gästen:

Der Besuch bei Luther.

Als wir nu mit klopfendem Herzen die Treppe ufgestiegen, stund oben Lutheri alter Diener Wolfgang, sprach: die Herren wären schon drinnen, und thät uns die Thür auf. Alsbald traten wir in eine große Stub, allwo Dr. Martinus, M. Philippus, Dr. Justus Jonas und Dr. Pommeranus allbereits an eim Tisch saßen, auf welchem ein groß Faß Eimbecker Biers lag, wovon sich ein Jeglicher einzapfete, als viel oder wenig er wollte. Stunden alle vier uf und gaben uns niedlich lächelnde die Faust, und freueten sich, daß das reine, lautere Wort auch bei uns zu rumoren begunnen. Mußten uns gleich aus der Tonnen zapfen, und erhielt ein Jeglicher ein silbernen Becher. Item hatten die anderen auch ein Jeglicher ein silbernen Becher, aber alle Bechere waren von unterschiedlicher Arbeit und Gestalt. Dr. Lutherus hatt eine silberne Nonn, und war der Kopf der Deckel, Mag. Philippus einen Meßpfaffen, Dr. Justus Jonas ein Affen, Dr. Pommeranus ein Sackpfeifen, und vor die Löcher sahe man allerlei edle Steine daran. Ebenmäßig gewann Herr Franciscus einen Ritter, Er Johannes ein Paradiesapfel, und ich selbsten einen Elendsfuß. Laut seinem Testamente hatte Luther diese, im Geschmack seiner Zeit gearbeiteten Kleinodien von verschiedenen Fürsten zum Geschenk erhalten

So habe nu gleich Er Johannes an von der gräulichen Beschwörunge und Gotteslästerunge des rothen Kerls im Kruge bei Artera zu erzählende, und entsatzten sich Alle, als er das magische Wachsbilde aus seinem Wammes herfürzog, insonderheit aber Lutherus, welcher alsbald schriee: Wolfgang, die Hausfrau soll kommen, und zwar also gleich, wie sie gehet und stehet!

Währete auch nit lange, als Frau Käthe in eim gar unsauberen Aufzug hergewischet kam. Truge ein alten rothen Unterrock, an welchem hin und wieder schwarze Flecken zu sehen, als hätte ihr Eheliebster, wie weiland auf der Wartburg mit dem Dintenfaß den Teufel von ihr treiben wollen; item an den Füßen alte Pantöfflen, und um den Kopf hingen ihr die Haare wie ein Knocken wirren Flachses.

Was sie so eilends sölle? sie wäre heute noch nit verkleidet, und müsse sich ja für den fremden Herren schämen!

Aber Lutherus sprach: ei Schaam hin, Schaam her! komm her Käthe und schaue, wie mich abermalen der barmherzige Gott durch diese guten Herrn von der Hand eines thürstiglichen Zäuberers errettet, umb deinen schwachen Glauben zu stärken. Schau, allhie hat die Bestia mich schon gepiket; ists nicht just der Ort, wo ich auf der linken Hüft die Fontanellam hab?

Als sich nu Frau Käthe verwunderte und die Hände zusammenschlug, auch gegen uns knickbeinete, daß wir ihren lieben Eheherrn aus der Hand des lebendigen Satans errettet, wollt Lutherus wissen, in welcher Nacht das Teufelswerk fürgenommen sei, und als wir zur Antwort gaben: in der Weihnachtsnacht: hube er die Hände gen Himmel und sprach: gerade in dieser Nacht wären seine Schmerzen in der Hüften am größesten gewest, hätten aber plötziglichen nachgelassen. Es bedarf hier nach dem Vorausgegangenen wohl kaum bemerkt zu werden, daß Luther dem Zauberglauben auf eine fast kindische Weise ergeben war. Siehe Tischreden im Titel: »von der Zauberei.« Eisleb. Ausg. 307. b.

Solches wollte aber Frau Käthe verreden, und daß er den größten Schmerz in seim Fuß die zweete Nacht für Weihnachten gehabt; aber Dr. Jonas sprach: mit Vergunst edle Frau, in allen geistlichen Dingen traue ich unserm ehrwürdigen Vater in jeglichem Wort, so aus seinem gesalbten Munde gehet.

Nein, nein! schriee Frau Käthe dawider, mein lieber Ehewirth irret sich! Es war dieselbige Nacht, wo die Studiosen in den Rathskeller gebrochen waren und die Kellerwirthin noch bei uns nach Tropfen sendete, dieweil sie für Schreck die Ohnmacht überkommen; ich weiß es ganz genau. – In Summa: also stritten sie sich, bis mein Lutherus am End das letzte Wort behielt, und Frau Käthe wieder abschlarpete, von wannen sie gekommen.

Hierauf betrachteten alle Herren abermalen das Bilde, und dieweilen es Luthero also gleich, daß auch die Lineamenta in seinem Antlitz, ja eine jegliche Runzel auf der Stirn und den Wangen daran zu schauen, überlief uns Alle ein Grausen, und erachteten wir leichtlich, daß dies in Wahrheit ein Werk des bösen Feindes selbsten sein müsse, anerwogen ja auch der beste Künstler nicht um Lutheri Runzeln und Lineamenta hätte wissen können, wenn ers in seim Abwesen gefertiget.

Als wir aber nunmehro auf Dr. Amsdorf kamen, und wie er die böse Lahr dem rothen Kerl und seinen Gesellen gegeben: daß die guten Werk zur Seeligkeit schädlich wären, lacheten alle Theologi darüber laut in die Höh, bis auf Justus Jonas, der ihne nit leiden kunnte Tom. II. epist. Lutheri p. 271. a., eine gar obscöne Stelle., anerwogen er selbsten gerne Bischof gewest, worauf alsbald Dr. Lutherus sprach: Da sehet Ihr Herren die List und die Verspottung des leidigen Satans! Er will auch mich mit meim besten Freund überwerfen, darumb hat der Bösewicht diesen Handel angezeddelt; aber das soll ihme nicht ehe gelingen, bis der Himmel schwarz und die Erde blau wird. Nein Ihr Herrn, Dr. Amsdorf gläubet wie wir Alle: daß uns keine Werke seligen, besondern der Glaub allein, wies denn auch klar in der Schrift begründet ist. Dabei verachten wir aber keinesweges die Werk, wie unsere Feinde, die Papisten fürgeben; denn ist der Glaube rechter Art, folgen die Werke von selbsten, wie die Frucht von selbst der Blüthe und die Sonne von selbst der Morgenröthe folget.

Spricht hierauf Er Johannes: das hab ich auch gegläubet, aber mein Bischof spricht: wenn die guten Werk von selbst dem Glauben folgen, wie Lutherus will; warum vermahnet denn Christus seine Jünger, daß sie wachen und beten söllten, um nit einzugehen in die Versuchunge; ob denn der Baum auch wache und bete? item hätt sein Bischof gesprochen: wenn die guten Werke von selbst dem Glauben folgen, warumb denn St. Paulus klage: daß er einen Pfahl im Fleisch habe (2. Cor. 12, 7.) d. i. nach St. Augustini Deutung eine böse Fleischeslust St. Augustinus Homil. II. in Ps. 58. Opp. IV. 428. , und darumb von sich selbsten gesprochen: Ich schlage meinen Leib blau und halte ihn als einen Knecht, daß ich nicht den Anderen predige und selbst verwerflich werd. (1. Cor. 9, 27.)

Solche Disciplin gegen ihren Leib hätten ja weder St. Paulus, noch St. Augustinus, noch St. Hieronymus und andere Heilige nöthig gehabt, wenn es wahr wär, daß die guten Werke von selbsten aus dem wahren Glauben herfürgingen, oder ob man sagen sölle: St. Paulus etc. etc. hätten nicht den wahren Glauben gehabt?

Als er solches gesprochen, wurden wir entwahr, wie mein Lutherus schon die linke Augenbrame ufzog und roth im Antlitz ward; aber er bezwang sich noch, und gab zur Antwort:

Euer Bischof, Herr Pfarrer, verstehet die Schrift nicht. Denn wenn St. Paulus von dem Pfahl in seinem Fleische redet; so will es sagen: daß er seine eigene Lahr von der Gerechtigkeit nicht habe glauben können; wörtlich in den Tischreden von Förstemann III, 125. denn was geht der Vernunft wohl saurer ein, denn daß die grundlose Barmherzigkeit Gottes uns elende Sünder ohne unsere Werke und bloß um unsers Glaubens willen, dem Satan, und seinen Engeln entrücken, und den Himmel bescheeren will?

Ille: Ja, dieses habe ich ihm auch zur Antwort geben, dieweil es mir aus Euren praelectionibus gar wohl erinnerlich. Er aber lachete und sprach: Gläubet ja doch der Lutherus selbsten sein eigene Lahr nicht, wie er einstmals dem Mag. Antonius Musa, Pfarrer zu Rochlitz, geklaget. Denn als dieser gesprochen: er künne selbsten nicht gläuben, was er Anderen predige, habe Lutherus geantwortet: Gott sei Lob und Dank, daß anderen Leuten es auch so gehet. Ich meinete, mir wäre allein also. Joh. Matthesius in der 12. Predigt von den Historien des Herrn Dr. Martin Lutheri p. 139. a.

Jetzunder wars aus mit Lutheri Geduld; ward braun und blau für Zorn, schlug mit der Faust auf den Tisch, daß sich das Faß bewegete, und schriee: Euer Bischof ist ein Esel! Ich weiß nit, woher die vermaledeieten Papisten ein jeglich Wort wissen, so ich spreche. Ich will doch nit glauben Herr Juste, daß Ihr aus der Schulen schwätzet, denn ich erinnere mich, daß wir einmal ein gleich Gespräche hatten, als Satan uns sichtete wie den Weizen Luthers latein. Tischreden Tom. I. p. 34. a. Die deutschen Ausgaben haben den Sinn größtentheils unredlich wiedergegeben. Er saget dort wirklich: Dr. Justus Jonas in coena dixit ad Mart. Lutherum: se eo die tractasse locum Pauli 2. Thimoth. IV. »reposita est mihi corona justitiae« dixitque: se hoc non posse credere. Respondit Mart. Lutherus: neque Paulum firmiter credidisse, quia esset res valde gravis. Ego ita credere non possum, sicuti doceo; attamen homines alii fidem me habere firmissimam judicant.; daß ichs aber zu Musa gesaget, erinnere ich mich nicht mehr.

Als das mein Justus Jonas hörete, stund er auf und verschwur sich, als hart er konnte, daß wenn es müglich wäre, seinen werdigen Freund zu verrathen, er ihne lieber an den lebendigen Satan, denn an die Papisten verrathen wölle. Kriegte für Eifer wieder den dürren oder den Schaafshusten, und thät ebenmäßig als ob er weinete.

Darumb winkele Lutherus mit der Hand und sprach: gebet Euch nur zufrieden, lieber Doktor, ich habs in der Uebereilung gesprochen. Wir kennen ja Satanam und seine List; wie würde der Bösewicht frohlocken, wenn er uns auch entzweiete. Nein kommet, zapfet Euch, ich will Euch ein Reim ausbringen.

So stund nu auch mein Justus Jonas gleich von der Banke auf, zapfete sich und stieß mit seim Affen an Lutheri Nonn, welcher sich ein Weil besann, und alsdann sprach:

Dem alten Doctor Ionas
Bringt Doctor Luther ein Glas;
Das lehret sie alle Beide fein,
Daß sie gebrechliche Gläser sein Ein historischer Trinkspruch Luthers..

Hierauf nahm Franciscus v. Dietrichstein das Wort und sprach: aber, ehrwürdiger Vater, wir sind ganz vom Glauben abgekommen. Und muß ich Euch in Wahrheit sagen, daß ich ein gar großer Freund von Eurem Glauben gewest, und ihne noch letzlich uf der Hochzeit dieses Junkers (wobei er auf mich wiese) gar mächtiglichen gegen Männiglich verfochten. Aber was ich unterwegs von meim alten Waffenbruder, dem Junker Lörmer, in Erfahrung gezogen, hat mich wiederum fast hinterdenklich gemacht.

Hierauf erzählete er: waserlei Christ dieser biderbe Ritter ehender gewest und waserlei Christ er durch den neuen Glauben worden; item in welchem Jammer wir sein einig Töchterlein an der Ketten angetroffen, daß die Steine in der Erden sich hätten für diesem Jammer umbkehren mügen.

Als das Mag. Philippus hörete, und daß das Mägdlein tobsüchtig worden, fiel er wie ein alt, niedlahm Messer auf der Bank zusammen, also daß ihm der Kopf zwischen die Beine zu hängende kam, und er mit gebrochener Stimmen ausrief: ach, was wird mein armer Johannes sagen!

Solches erbarmte Lutherum gar mächtig, schauete ihn wehmüthig an, und sprach: ja mein lieber Bruder Philippe, wer auf Erden kann wider die List des leidigen Teufels? Höret Ihr Herren und fraget bei Männiglich in der ganzen Stadt: ob die Unzucht allhie länger auszuhalten? Insonderheit vermeinete das junge Volk: wenn es sich nur die Eh versprochen, müßten nachgehends die Alten schon ja sagen. Darum macheten allhie die Maide auf die Studiosen Jagd und die Studiosen uf die Maide. Und was erschröcklich anzuhören, die Teufelsbrut unsers eigenen Consistorii hieselbsten bestätigte solch heimlich Gelöbniß. Darum mußt ich gegen diesen Mißbrauch mich aufmachen, und wenn es das Leben gekostet. Davor verlacheten mich diese sophistischen Schälke die Juristen; etzliche junge Löffeljuristen vermeineten sogar: sie wöllten noch wohl 3 mal Ostereier essen, ehe Lutherus mit seinem Handel durchdränge, und die heimlichen Gelöbnisse abgestellet würden, ja etliche große Hansen hatten sich auf meinem Kindelbier sogar verrühmet: das junge Schnautzteufelchen, sölle ehender ein Bart gewinnen, als Lutherus seine Sach. Ursach: weil sie ihre garstigen Töchter denen Studiosis aufs Zimmer schicketen, um sich Männer anzukirrende. Darum mußt ich zu Ehren Gottes diesen schelmischen Juristen das böse Handwerk legen. Spotten über meine Schriften die groben Esel, sprechen, nach meinem Katönchen könne kein Recht gesprochen werden!

Solche Schelme! wollen mir in meiner Kirchen regieren; daß sie Gottes Element schände! Omnis Jurista est aut nequista aut ignorista, ja ein jeglicher Juriste ist entweder ein Schalk oder ein Esel, der nichts kann in göttlichen Sachen. Elende Suppenfresser und grob Tölpel seind sie, und sehen nit ein, daß sie nit mehr sind, denn ein Schuster und Schneider Alle diese Ehrentitel auf die Juristen, denen noch viele andere folgen, die hier gar nicht wegen ihrer pöbelhaften Gemeinheit wiederzugeben sind, stehen: Tischreden Eisleb. Ausg. fol. 557. 559. 561. 562. 566. 571. Ueber die jungen Löffel-Juristen und ihre Prahlereien vergl. den Brief Luthers an den Churfürsten Joh. Friedrich vom 18. Januar 1545 bei de Wette V. S. 715..

Hierauf hob Dr. Jonas an zu külstern und zu bülstern sich stark zu räuspern. Luther sagt irgendwo, daß er deßhalb häufig aufgezogen wurde., bis er endlich mit schnarrender Stimmen sprach: ja wohl ehrwürdiger Vater ist diese Teufelsbrut von Juristen ein Säustall, der den edlen Weinberg Eurer Kirchen zu verwüsten drohet. Denket Euch, bei mir in Hall sprachen sie schon davon: daß unsere Kinder, dieweilen sie H…kinder wären, uns nicht beerben söllten, dafür würden sie schon sorgen, sondern unsere Brüder, Schwestern ff. söllten uns beerben. O des hoffärtigen Teufelsgeschmeisses!

Als das Lutherus hörete, ward er abermals braun und blau für Zorn und schriee: das sagen die Juristen dorten auch schon? ich gläubete die Bestien hier in Wittenberg sprächen es nur! Man vergl. die obigen Briefe Luthers an den Churfürsten Joh. Friedrich bei de Wette Thl. V. gegen das Ende. Warumb habe ich Thor ihnen den Eingang zu meinem Weinberg geöffnet! Mord und Marter, das sagen die juristischen Säu? Aber harret ihr Herrn, ich will sie schon wieder herauskehren. Der Dr. Luther ist ein guter Schweinhund, das sollt Ihr sehen! Erst lasset mich nur aus Mannsfeld heimkehren, dann sollen die Juristen aus dem Lande oder wir. Wozu brauchen wir das gottlose Geschmeiß? Was sie thun, können hiefüro unsere Küster thun, wegk mit den sophistischen Schälken!

Und mit diesen Worten schlug er wieder mit der Faust uf den Tisch, daß sich abermalen die Tonne zu regen und bewegen begunnte, und ich flugs hinzuspringen mußte, um sie zu halten.

Hierzwischen thät sich aber die Thüre auf und Lutheri klein Mägdelein Grete, ein Kind bei 10 Jahren sprung heulende und schluckende auf den Vater zu, item folgete ihr ein truckener Kerl in eim alten schwarzen Rock, auf dem Fuß, der ein blaß Knäblein, so etwan gleiches Alters war, an der Hand hielte, aber in Mitten der Stube stehen blieb, und dort erstlich mit eim Nasentüchlein seinem Vöglein den Schnabel putzete. In währendem war das Mägdlein zum Vater gelanget und schriee: Herzer Vater, Paul der jüngste Sohn Luthers. hat mir meinen heiligen Christ wegkgenommen!

Da war mein Lutherus beschwichtiget, satzte sich auf die Bank, hob das Kindlein auf seinen Schooß, küßete es und sprach: biß nur stille, mein liebes Kind, er soll dir deinen heiligen Christ schon wieder geben. Lauf hin und sag Paul, wenn ers nicht thät, käme Vater und wölle ihn wammsen. So hob das Mägdlein gleich an ihm wieder von der Schooß zu springen, lachete, schriee vor Freuden: Vater will ihn wammsen! und lief alsbald seiner Straßen, in währendem Lutherus sprach: Ihr sprechet vom Glauben Ihr Herren; da sehet an diesem Kindlein, was der Glauben thut! O welch ein theuer, werthes, großes Wort hat doch der Heiland gesprochen: es sei denn, daß Ihr Euch umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Matth. 18, 3, 4. Sehet, wie steif es auf die Verheißunge des Vaters bauet, daß sich flugs seine Kummerthränen in Freudenthränen verwandeln, und es frohlockende davon läuft, ehe es noch gewonnen, um was es gebeten; denn es weiß, der Vater kann ihme nimmer lügen. Darumb meine Freunde, gebet mir 20, 10, ja 3 Menschen, so diesen Glauben haben, und Pabest und Teufel sollen uns den heiligen Christ, den sie uns gestohlen, schon widder geben. Wir wollten dem himmlischen Vater schon so lange mit unserem Gebet die Ohren waschen, bis er uns erhörete, Berge wollen wir versetzen, die Erde wieder zum Garten Eden machen, und die Pforten der Höllen also erschüttern, daß man das Brüllen und Angstgeschrei des Satans in jeder Hütte über der Erden und in jedem Sarge unter der Erden vernehmen sollte.

Spricht hierauf der truckene Kerl, welcher hierzwischen zur Seiten getreten: ach Gott, welcher Glaube, stärke meinen Glauben, lieber Herre Gott!

So wurd Luther sein erstlich gewahr und sprach: wer seid Ihr und wo kommet Ihr her?

Da wurf sich mein Kerl auf die Kniee, wie für einem Bischof, küssete Lutheri Hand und sprach: erbarmet Euch mein, ehrwürdiger Vater, ich bin ein vertriebener Prediger aus Pommern!

Hierauf seufzete Lutherus mächtiglichen, und nachdem er den Kerl geheißen widder aufzustehen, gab er zur Antwort: ach wehe Ihr Herren, von wie vielen vertriebenen Predigern werd ich täglich angegangen! Es scheinet schier aus zu sein mit dem theuren Wort, wenn wir nicht zu dem Glauben der lieben Kindlein zurückekehren. Und nicht genug, daß Prediger, Münche und Nonnen mich alle Tage überloffen; wo nur etwan im ganzen Teutschland ein Armer ist, den schicket man nach Wittenberg. Alle Gemeinen denken so, Niemand will mehr Gutes thun und den Armen helfen, und suchet ein Jeglicher bis zur Wuth nur das Seine. Wörtlich in dem Briefe an Spalatin, bei de Wette vom 24. Spt 1536. Also aus Pommern seid Ihr? da müget Ihr plattdeutsch sprechen allhie mit Dr. Pommerano. Das ist der einzig gelehrte Mann, ihr Herren, den Pommerland, so lange es bestehet, erboren hat. Es ist ein tumm, eigenwillig und gefräßig Volk, allen schönen Künsten abhold, und verwundere ich mich mit nichten, wenn die Stettiner sogar ihren Superintendenten M. Paul Rhoda wollten todt hungern lassen Man sehe den Brief Luthers und Bugenhagens dieserhalb an den Herzog Barnim von Pommern Freitags nach Ostern 1537 in Cramers großem Pommerischen Kirchenchronikon. B. III. fol. 100 etc., daß sie mit Euch ebenmäßig verfahren sind. Aber wie heißt Ihr denn und wo seid Ihr her mein Bruder? habet Ihr gestudiret, oder ehender ein Handwerk erlernet, von deme Ihr Euch etwan, wie weiland die heiligen Apostel in Zukunft nähren möget?

Hätte leider kein Handwerk gelernet, besondern zum Grypswolde gestudiret. Sein Nam wär Kiefer, und er ein Pfarrherr in eim Dorf Namens Benz gewest. Allhie hätten die Pfarrer vor Alters zween Hufen Landes gehabt. Doch als die Bauern ihren katholischen Priester verjaget, hätten sie sich die beste Hufe eingetheilet und vor sich behalten. Alldieweilen er aber mit einer Hufe nimmer hätte zureichen mügen, und seine Bauern in Güte ihme das gestohlene Gut nit widder geben wöllen, hätt er letzlich bei der Obrigkeit geklaget, was diese böse Buben also verdroßen, daß sie ihme in diesem Herbest alles Korn auf dem Felde mit dem Viehe und sonsten muthwillig geruiniret, also daß er es vors Beste erachtet, die ganze Pfarr mit seiner Frau und drei kleinen Kindern zu verlaufen, anerwogen der Ort, wo er bis dato gewest, so klein wär, daß es dorten das ganze Jahr über kaum 6 Taufen, und alle 3 Jahre etwan eine Hochzeit hätt. Das Wenige, so er noch bei sich gehabt, hätten ihm Räuber in der Uekermündischen Haiden abgenommen, so daß er den ehrwürdigen Vatern umb Gottes Barmherzigkeit willen bäte, ihme einen andern Dienst allhie zu verschaffen; denn er hätte gemeinet, daß das reine, lautere Wort allhie in absonderlichem Flor stünd.

Ja, gab mein Lutherus bitter lachende zur Antwort: wie der Waizen unter dem hohen Unkraut stehts in Flor. O ihr Herren, es scheinet, als ob die Welt eins worden, daß sie die Diener des Evangeliums durch Hunger töteten wolle, so groß ist hin und wieder die Bosheit der Bauern, Bürger und Edelleute, Wörtlich: Auslegung der Propheten bei Walch XI 967. ja Ihr möget es gläuben oder nicht: hier in dem ganzen Sprengel von Wittenberg kenne ich auf allen Dörfern nur einen einzigen Bauern, und nicht mehr, der sein Gesinde zum Wort Gottes und zum Katechismus vermahnet; alle übrigen laufen gerades Weges zum Teufel. Wörtlich in: Lutheri colloquia, meditationes ff. ed. Rebenstock Tom. I. fol. 94 a. Der Wittenbergische Sprengel umfaßte 2 Städte und 15 Pfarrdörfer. Zedler Universallexicon LVII S. 1723.

Anjetzo hube das bleiche Knäblein an, seim Vater einzublasen, doch also daß wir es höreten: ach herzer Vater, mich hungert auch gar zu sehr!

Solches erbarmete Lutherum, sah den Vater an, der gegen das Fenster stunde und deme in Wahrheit das Tageslicht durch beede Backen schien, so verhungert sah er auch aus; hatte eine spitze Nas, eine erdfarbene Haut und konnte kaum sein Haupt tragen, daß es in Wahrheit ein Jammer anzusehen war.

Darum sprach er: ach mein Bruder, ich gläube Euch hungert nicht minder, denn Euer arm, bleich Kindlein. Könnt ich doch Allen helfen! Ach, meine Herren, wie viele hungernde Brüder hab ich je und je gesehen, seit die undankbare Welt das liebe Evangelium verworfen, An den Churfürsten Johannes vom 3. Februar 1527 bei de Wette III. 160.
Wo dem so ist; so ists aus mit Pfarrern, Schulen und Evangelium in diesem Land; sie müssen entlaufen; denn sie haben Nichts und sehen wie die dürren Geister, und an denselben S. 135 vom 22. Nov 26: Es ist des Klagens über alle Maaße viel der Pfarrherrn fast aller Orten; da wollen die Bauern nichts mehr geben, und ist solcher Undank unter den Leuten für das heilige Gotteswort, daß ohne Zweifel eine große Plage fürhanden. – –
Sie leben wie die Säue, da ist kein Furcht Gottes noch Zucht mehr, weil des Pabst Bann ist abgangen. Aehnlich sind die Klagen an unzähligen Orten seiner Schriften über Adel, Bürger und Bauern, und sei es nur noch erlaubt folgende Stelle aus der Auslegung des 1. B. Moses bei Walch II. 1811 anzuführen: Siehe doch die Pfarrherrn auf den Dörfern hin und wieder an, wie ihrer so viel erbärmlicher Weis von Hungers und Dursts halber schier verschmachten müssen; haben oft nicht, daß sie ihrem Kindlein ein Hemd kaufen. Der Adel reißet die Kirchengüter hin, nicht allein derer Klöster, sondern auch derer Pfarren. – Darum wird es bald dazu kommen, daß die Pfarrherrn werden müssen Hungers sterben
aber einen verhungerteren Bruder als diesen erinnere ich mich nicht gesehen zu haben. Rufet: Wolfgang! geh hin und sage Frau Käthen sie müge noch einmal kommen!

Hierzwischen aber sprach Dr. Pommeranus zu dem fremden Priester uf sein Plattdeutsch: Ick hedde de Paar nicht verlopen. Ehn Witten mit Noth, iß beter als kehn Witten und de bittere Tod. Ich hätte die Pfarrei nicht verlaufen; ein Witten mit Noth ist besser als kein Witten und der bittere Tod.

Aber mein Priester entschüldigte sich, und brachte noch allerlei für, wies die Bauern mit ihm getrieben, so gräulich anzuhören war; item erzählete er: daß ein großer Häuf von selbigen Bauern zu den Wiedertäufern übergangen, so jetzunder an vielen Orten, insonderheit aber zum Sunde Stralsund. widder zu rumoren begunnten.

Als das Lutherus hörete, schimpfirete er auf die Wiedertäufer, worauf aber Er Johannes abermalen anhob: ehrwürdiger Vater, ich hab auch von wegen der Wiedertäufer ein großen Hader mit meim Bischof gehabt. Selbiger unterstunde sich zu sagende: die Wiedertäufer thun ja just, was Lutherus will: denn selbiger hat, wie Männiglich weiß, Alles in der Kirchen verredet und verworfen, was nicht in der Bibel stehet. Nu stehet nit in der Bibel, daß man die Kinder täufen soll, item stehet nit drinnen, daß man den Sonntag, Weihnachten, Ostern etc. feiern, item das Abendmahl auch den Weibern geben, item die Brautleute trauen, noch die Todten mit Sang und Klang an ihr Grab begleiten soll. Warum hat Luther denn dieses beibehalten und das Andere nit?

Giebt Lutherns zur Antwort, saget Eurem Bischöfen: das ist darumb von mir beibehalten, weil es eine gute menschliche Ordnung ist.

Ille: Das hab ich ihm schon gesaget, aber er spricht: wenns nur eine menschliche und keine göttliche Ordnung ist, die wir ex traditione überkommen, so mag sie gar leichtlich auch von Menschen wieder abgethan werden. Wenn darumb morgen ein Dorf, eine Stadt, ein Land sprach: wir wollen hinfüro kein Kind taufen, keinen Festtag halten als den Samstag, keinem Weibe das Sacrament geben, keinerlei Brautleute vertrauen, keinen Todten mit Sang und Klang zu Grabe geleiten, denn es ist Alles papistisch Affenwerk und stehet nicht in der Bibel, was würde Lutherus dazu sagen?

Hierauf gab selbiger zu unserer Verwunderung mit lautem Lachen zur Antwort: sehet Ihr Herren, wie die papistischen Esel sich immerdar nit blos um das Mügliche, sondern auch umb das Unmügliche den Kopf zerbrechen. Denn wann sollt es möglich sein, daß die Menschen wie die Säue, und ohne Gottes Wort zusammenliefen, oder sich wie ein Aas auf dem Schindanger ohne Sang und Klang einscharren ließen, so lange es noch ein christlich Gewissen und eine christliche Oberkeit giebet? Mir kommts für, als ob sich ein Mensche den Kopf darüber zerbrechen wöllte: wies werden würde, wenn die Bäume anhüben, spazieren zu gehen, und die Fische im Wasser das Kyrie eleison zu singen.

Nunmehro kam aber Frau Käthe zur Thüre herein gewischet, hatte ein schwarz Kleid an mit einem weißen Schurzfleck, item Schuhe und weiße Strümpfe; aber die Haare waren noch in der Rappuse, also daß sie sich im Gehen kämmete, und immer rechtes und linkes mit dem Arm über ihre breite Nase ausfuhr, wie ein Schneider.

Was sie schon widder sölle, hätte ja heute nicht so viel Zeit, umb sich in Ruhe anzukleiden.

Sprach Lutherus: liebe Käthe, allhie ist ein vertriebener Bruder mit seim Kindlein aus Pommern. Hol ein paar Würste her und einen guten Wecken, und laß auch Wulfgang noch ein andern Becher bringen. Das arme Büblein hungert wie sein Vatern.

Als das Frau Käthe hörete, gerieth sie in ein grossen Kyff. Was? schon wieder ein verloffener Pfaff? Es wäre nit mehr auszuhalten. Alle Tage käm ja solch Geschwürm von Pfaffen, Nonnen und München. Der Herr Dr. würde noch Alles mit ihnen verfüttern was er hätt, und sie als ein arme Wittib mit ihren unmündigen Kindern in dem größten Armuth zurückelassen.

Spricht Lutherus ganz sänftiglich: nu liebe Käthe, geh nur noch einmal hin und gedenke des Wortes: ich bin hungrig gewesen und ihr habt mich gespeiset, hohl nur ein paar Würstel her; es wird dir nicht darauf ankommen.

Illa: Ja, es käme wohl darauf an; was er denke? sie hätte Ratzenbergers Wurst schicken müssen, item Dr. Crucigers, item hätt Herr Philippus allhie auch ein Bratwurst gewonnen. Wo's herkommen sölle? Ein Schwein wärs ja nur gewesen; sie hätte keine Wurst mehr!

Als sie solches gesprochen trabte sie aus der Stuben und schlug die Thüre zu, daß der Kalk von der Wand rasselte, worauf Dr. Lutherus einen langen Schlurf aus der silbernen Nonnen that, und alsdann lachende uf lateinisch sprach: » dominus meus Ketha, habet hodie non bonam mutzam, sive potius nullam.« Mein Herr, die Käthe (so pflegte er sie scherzweise immer in seinen Briefen zu nennen) hat heute nicht eine gute Mütze auf, oder vielmehr sie hat gar keine auf.

Hierauf zapfete er den Becher abermalen voll und reichete ihn dem fremden Priester mit den Worten:

Sit te non refecerit nonna carnalis, te reficiat nonna argentea, Wenn dich die fleischerne Nonne nicht erquickt hat, so erquicke dich die silberne.

was der Mann auch verstund, und zur Antwort gab:

Et te reficiat dominus noster Jesus Christus in sempiternum Amen, Und dich erquicke unser Herr Jesus Christus in Ewigkeit. Amen.

worauf er selbsten trunk und auch seinem Knäblein reichete.

Hierauf schauete ihn Lutherus mitleidig an und sprach: wenn ich nur wüßte mein Bruder wie Euch zu helfen; denn ich habe auch den bitteren Hunger geschmecket. Ja, ihr Herren, wenn mein gnädiger Herr Johann Friedrich nit ans Regiment gekommen wär, hätt ich ebenmäßig für Hunger Wittenberg verlaufen müssen; Die große Noth, in welcher Friedrich der Weise Luther fast verkommen ließ, wirft ein trauriges Licht auf seinen sittlichen Charakter. Ich gebe hier auszugsweise aus Luthers Briefen von de Wette Thl. II. S. 439 einen kurzen Ueberblick der Noth.
Im Nov. 1523 schreibt er an Spalatin, den churfürstlichen Hofprediger und Geheimschreiber: er müsse Schulden über Schulden machen; der Quästor bekümmere sich um Nichts. Noth und Sorgen würden ihn aus Wittenberg treiben und er gerne die Gelegenheit ergreifen, da er der Härte ( duritiae) und Undankbarkeit dieser Stadt überdrüssig sei. Febr. 24. Noch kein Geld! Luther meldet, daß die Mönche des Augustinerklosters seit zwei Jahren kein Gehalt und keine Abgaben mehr bekommen hätten, und der Quästor (Renntmeister) sich gar herrisch betrüge ( satis imperiosus.) 24. Dec. 24. Immer noch kein Geld. Luther klagt laut über den Churfürsten, welcher nichts darum geben würde, wenn er und die übrigen Reformatoren ihre Einkünfte im Stich ließen und jeder seiner Straße ginge. Und in der That würde er sich auch längst anders wohin begeben haben, wenn ihn nicht die Schmach ( contumelia) des Evangeliums und also auch die des Fürsten selbst zurückgehalten, indem er sonst für vertrieben ausgeschrieen werden, und die Feinde des Glaubens frohlocken würden.
Geschah das also am grünen Holz, was hätte nicht am dürren geschehen sollen!
aber jetzo gehet es besser. Und dennoch habe ich jetzunder Nichtes, und heute Morgen meinen letzten Batzen wegkgegeben. Aber was sprich ich? Ich bin ja noch ein reicher Mann. Harret mein Bruder, Ihr sollet die güldenen Päthenschillinge meiner kleinen Greten haben, so Euch die Thüre ufgethan, da müget ihr Euch mit Weib und Kindern ein Weil erquicken, bis der reiche Gott widder Rath giebet.

Aber lieber Bruder Philippe, erzähls nit deiner Frauen, damit es Käthe nicht wiedererfähret.

Als er das gesaget und Mag. Philippus reinen Mund angelobet, kniete er vor einer Truhen, so am Ofen stund, (und war selbiger Ofen wie ein Kirche mit eim Thurm geformiret) hohlte zween güldene Münzen herfür, hob sie knieende gen Himmel und sprach dieses herrliche Gebet:

Ich danke dir Herr Gott, allerliebster Vater, daß ich mit meinem letzten Pfennig meinen armen, hungrigen Bruder erquicken kann. Nu habe ich Nichtes mehr denn meine Armuth. Aber auch davor sei Dir Lob und Dank gebracht. Ja ich danke dir von Herzen, daß ich aus Erden soll arm und ein Bettler sein, denn also ist es wohlgefällig gewesen vor dir. Erquicke du nu wieder, du reicher Gott, mein Weib und meine Kinder, wenn ich heut vielleicht noch dahin fahre. Arm und nacket wie du sie mir gegeben hast, so bescheide ich sie dir wieder, du großer und reicher Gott, du Vater der Waisen und Retter der Wittwen. Amen. Fast wörtlich nach dem Testamente Luthers von 1527. Aus Luthers Leben und Schriften von Bernhardt S. 61.

Und hierauf stund er auf und drückte dem schluckenden Priester die güldenen Münzen in seine Hand, Ebendaselbst V. 138. Ein anderes Mal, als ein Student ihn mit Thränen um ein Reisegeld in die Heimath bat, und er auch kein Geld hatte, ergriff er einen silbernen Becher, und da Frau Käthe es wehren wollte, drückte er ihn mit der Hand zusammen, und gab ihn dem Jüngling mit den Worten: »trag ihn flugs zum Goldschmidt und verkauf ihn.« a. a. O. wandte sich darauf an uns Alle und sprach mit also großer Salbung und herzzerreißender Kraft, daß fast ein gemein Schlucken entstunde, und insonderheit Dr. Jonas nit aufhörete zu seufzende und zu köcken.

Da komme ich widder auf den Glauben. O meine Brüder, was können wir abereins von den lieben Kindlein lernen! Meinet Ihr, daß es Greten betrüben würd, wenn sie hörete: ihr Päthenpfennig wär ihr wegkgenommen? Ei nimmer, aber daß ihr heiliger Christ ihr wegkgenommen, das betrübet sie. Doch wir alten geitzigen, halsstarrigen Sünder machens umgekehrt. Wenn Pabst, Tod und Teufel uns den heiligen Christ nehmen, machen wir kein saur Gesicht, aber wenn uns der Mammon dieser Erden genommen wird, schreien wir wie die unvernünftigen Narren, wenn ihnen die papierene Krone genommen wird. Und darum ist und kömmet Alles Unglück mit Recht über die ungläubige Welt. Ach mein Bruder, welchen allerliebsten Gott und treuen Ernährer würden wir haben, wenn wir uns umbkehren und wie die Kinder werden wollten; denn wer ist besser, wer ist frommer, wer ist weiser, denn unser herzallerliebster Gott?! –

Er verthut einen Tag mehr, denn alle Kaiser, so je in teutschen Landen gewest sind. Ich weiß, daß die Welt ihme alle Tage mehr denn ein Königreich verzehret. Wie viel sind nu Tage von der Welt her? und wieviel Königreiche sind sider verzehret? Schämet Euch, und wir wollten ihme nicht vertrauen, der uns doch alles reichlich giebet und schenket: Laub, Gras, Blumen, Früchte, Steine Gold, Silber, Land, Leute und Güter, den Päthenpfennig der kleinen Greten und das Allerköstlichste, Christum seinen lieben Sohn zu eigen? Sehet mein Bruder, da draußen picket ein Vöglein am Fenster, weil die Nacht einbricht. Das Vöglein hat sein Nachtmahl gehalten, und will hie fein in einer Ritzen schlafen, bekümmert sich gar nicht, noch sorget für den morgenden Tag oder Heerberge, wie David spricht Ps. 91: »Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibet, der spricht zu dem Herrn: meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott auf den ich hoffe! Fast sämmtlich Worte Luthers. Bernhardt a. a. O. S. 133.

Und jetzo diesem reichen Gott besohlen mein Bruder, gehet hin und thuet desgleichen!

Da walleten unser Aller Herzen in die Höhe und gab ein Jeglicher dem elendigen Menschen nach Vermügen. Nur Dr. Pommeranus entschüldigte sich, daß er Nichtes habe.

Spricht Lutherus: wie Herr Dr., Ihr wollet Eurem Landsmann Nichtes abtheilen? Ich weiß, Ihr habt mehr, denn wir Alle zusammen. Greifet nur ein nummulum Daniae Als Bugenhagen in Dänemark die Reformation eingeführet hatte, sprach er zum Abschiede: tu meum babeas Dania Evangelion, ego nummos tuos, vale! Lebe wohl o Dänemark, du hast mein Evangelium und ich habe deine Thaler! Surius in comment. ad Ann. 1532 p. 289. an, ehe sie im Schimmelpott vorkommen, allhie ist es Noth.

Aber mein Pomeranus schwur, er habe Nichtes; hätte heute zwo Kirchgängerinnen gehabt und gegläubet etzliche Batzen einzuheben. Allein, weil es ihm uf der Kanzel fürgekommen, als ob den würdigen Vater wieder der Schwindel anwandele, und er flugs Amen gesaget, ehender er vor die Weiber gebeten, hätte das unflätige Volk nichtes geben wollen, obschon er versprochen, am nächsten Sonntag die Danksagunge nachzuholen.

Süß, sprach er auf sein Pommersch, »füll et uck mi up ehn Witten nich ankamen syn, da könet Ji van mi glöwen.« Sonst sollte es auch mir nicht auf einen Witten ankommen, das könnt Ihr mir glauben.

Als nu mein Priester mit seim Büblein unter großen Danksagungen und vielen Thränen abgegangen und mein Geblüte noch für Lutherum wallete, sprach ich gar unfürsichtiglich: Aber ehrwürdiger Vater, wie ist es müglich, da Ihr ein also treffliches Herze und frommen Glauben habet, daß Ihr das Sacrament des Altars bloß dem Pabst zum Trotz, wie Ihr selbsten saget, umgeändert habet?

Da stieß mich Er Johannes mit dem Fuß an, und sahe ich auch wie Lutherus allbereits die linke Augenbrame in die Höhe zog und alsbald mich also anschnarchete: was schwätzet der einfältige Junker?

So wollts mein Johannes widder gut machen und sprach: der Junker meint die Wandelung, ehrwürdiger Vater, und ist dieses sein größter Scrupel, worüber ich schon oftermalen mit ihme strittig worden. Er schleußt nämlich also:

Die ganze Kirche lehret mit Luthero: Christus ist mit seim menschlichen Körper gen Himmel gefahren. Nu ist aber kein menschlicher Körper allgegenwärtig, also kann auch Christi menschlicher Körper nit beim Sacrament allgegenwärtig sein, wie Lutherus will. Ist und kann aber Christi menschlicher Körper beim Sacrament nicht allgegenwärtig sein, so muß entweder durch die göttliche Natur Christi, Brod und Wein in seinen Leib und Blut gewandelt werden, wie die alte Kirche je und je gelehret, oder es ist blos ein geistlich Essen und Trinken im Sacrament fürhanden, wie Calvinus will, und die Wort: »das ist mein Leib« wollen in Wahrheit nichts anders sagen, als: » das bedeutet meinen Leib

Das ist mit der Vernunft gesprochen, gab Lutherus zur Antwort; aber mein Junker, sprach er weiters und schauete mich gar grimmig an: Willtu Christi Wort hören, welches lautet: »das ist mein Leib,« so mußtu den Esel Vernunft in den Stall ziehen. Denn ihr Herren, dahin gehet der Teufel allein um, daß die römischen Pfaffen Gottes Willen und Werk messen mit der Vernunft. Alles in der Schrift nach der Vernunft ist erlogen. Wörtlich Tischreden bei Walch IX. 2308.

Als ich diese tumme Red hörete, und daß er mich einfältig nennete und eim Esel vergliche, lief mir das Läuslein über die Leber, und ich sprach: es handelt sich allhie nicht um die Vernunft, sondern um Euren bösen Trotz; denn ich hab mir gar wohl gemerket, daß Ihr in Eurem Sermon vom Anbeten des Sakramentes sprecht: Dieweil die Papisten so hart darauf dringen, aus eigenem Frevel ohne Schrift, wollen wir ihnen nur zuwider und zu Trotz halten, daß wahrhaftig Brod und Wein dableibt, Altenburger Ausgabe II. S. 303 b. ergo keine Wandlung für sich gehet, sondern der Körper Christi allgegenwärtig sein muß; item sprecht Ihr an eim andern Ort: wenn ein Concilium erläubete beede Gestalten im Sacrament zu nehmen, wöllet Ihr ihme zum Trotz nur eine oder gar keine nehmen, und alle diejenigen für Abtrünnige halten, die aus Gewalt eines solchen Concilii beider Gestalt gebrauchen. Wittenberger deutsche Ausgabe Thl. VII. fol. 367. b.

Item sprechet Ihr: wenn 1, 2, 100, 1000 und mehr Concilia beschlössen, daß Priester söllten ehelich werden; wöllet Ihr Euren Priestern lieber 1, 2, 3 H.-ren gestatten, denn, daß sie ein ehelich Weib nähmen nach solcher Concilien Beschluß. Wittenberger deutsche Ausg. VI. fol. 244. a. in der Schrift: an die Herren des deutschen Ordens. Daß der Verf. hier und anderswo so verschiedene Ausgaben citirt, kommt daher, weil er seine Excerpte an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten hat machen müssen.

Item sprechet Ihr: von dem allerheiligsten Sacrament der Buße: darumb will ich nicht beichten, daß es der Pabst geboten hat und haben will, obgleich ich weiß, was Stärke und Trost mir die heimliche Beicht geben hat. Altenb. Ausg. II. 115. a.

Wie kommt nu ein Mann zu solchem Trotz, der ein also gutes Herze geoffenbaret?

Aber ich hatte die letzten Wort noch nit gesprochen, als mein Lutherus braun und blau für Zorn mit der Nonnen nach mir wurf (doch thät er mich nit treffen) und schrie, als laut er kunte: ich glaube, diese papistischen Säue seind gekommen mich zu närren, aber der Teufel soll euch die Haut besehen!

Ach, gab hierauf Dr. Jonas zur Antwort, merket Ihr das erstlich jetzo, ehrwürdiger Vater? Es seind sicherlich abermalen papistische oder calvinische Meuchelmörder, umb Euch aus dem Wege zu räumen. Luther glaubte, daß man katholischer Seits mehrmals Versuche gemacht, ihn aus dem Wege zu räumen. Ratzenberger a. a. O. S. 69. Ja einmal glaubte er sogar, seine Feinde hätten ihm einen Doctor geschickt, der sich unsichtbar machen könne, de Wette I. 441. Ich habe ihnen gleich nit getrauet, denn sie sprechen ja: entweder das papistische oder das calvinische Nachtmahl wäre das rechte.

Soll ich draußen auf das Augustiner Thürmlein steigen und Sturm läuten, auf daß die Bürger herzu kommen?

Und hiemit wollte er abe, aber Melanchthon begriff ihn am Rockzipfel und sprach: umb Gottes willen Herr Doctor, machet kein Aergerniß; lieber Bruder Luthere mäßige dich, die Leute haben ja recht.

Was, wie, worin? schriee hierauf Lutherus, und schlug abereins mit der Faust auf den Tisch, daß die Tonne rechtes und linkes sich regete.

Daß entweder das papistische oder calvinische Nachtmahl das rechte ist, gab Melanchthon zur Antwort.

Als das Lutherus hörete, gerieth er flugs in einen also großen Zorn, daß er Melanchthon eine Maulschelle stach und rief: ja du fascher Verräther, kömmt es jetzt mit eim Mal an den Tag, daß du ein heimlicher Calviniste bist, wie ich und alle Welt längstens gegläubet? Melanchthon epist ad Theodorum: cum colaphos ab eo acceperim. Eine gleiche Behandlung will er auch wohl in dem berühmten Briefe an Carlowitz andeuten, wenn er sagt: er habe von Luther eine fast mißförmige Knechtschaft ( servitutem paene deformem) erdulden müssen ( Corp. Reform. VI. p. 880.) oder, wenn er ihn an einer andern Stelle einen rasenden Hercules und Philoctet nennt ( L c T. V p. 310), denn Luther hatte ihn wegen seiner, späterhin auch offen ausbrechenden calvinistischen Gesinnung schon lange in Verdacht. Den ganzen erbärmlichen Charakter dieses Mannes werden wir erst später, nach Publication des »Interim« kennen lernen.

Vor dieser That entsatzten wir uns Alle; denn Melanchton fiel alsbald widder auf die Bank zusammen, wie ein lahm Messer, hergegen Lutherus, den wohl die Sünden gereueten, ein Weil stille stund, und darauf anhube seinen Stecken anzusetzen und nach der Thüre zugehende, in währendem er sein Liedel anstimmete:

Erhalt uns Herr bei deinem Wort
Und steur des Pabsts und Türken Mord,
Die Jesum Christum deinen Sohn
Stürzen wollen von seinem Thron. Das bekannte lutherische Kirchenlied, welches in jedem unserer Gesangbücher mit convenabler Abänderung von Pabst und Türke steht, und wovon das Metrum der letzten Strophe drolliger Weise eben so falsch ist, als der Inhalt.

Worauf ihme gleich Dr. Jonas mit seinem Stecken rechtes zur Seiten trat, und Dr. Pommeranus zur linken. Und mußte ich lachen, obschon mir nicht darnach ums Herze war, wie besagter Jonas just den Schenkel so zog wie Lutherus; item, wie sein Stecken ebenmäßig so lang und an einer Seiten just so abgeschälet war, wie Lutheri, item, wie er mit seiner heiseren Kälberstimmen auch anhube, gleich Dr. Pommerano, in das Liedel einzustimmen, und dabei den Küster spielete, auch etzliche Male, ehender sie in der langen Stuben an die große Thür gelangeten, noch widder zwischendurch den dürren Husten gewann, und külsterte und bülsterte, daß es ein fast gräulich Affenwerk ware.

Als sie letzlich heraußer, sah Er Johannes M. Philippum gar betrübt an, anerwogen er den Kopf abermalen zwischen die Beine gesenket und ihm die hellen Thränen über die truckenen Hände liefen, so er umb seine beeden Kniee gefaltet, und sich stumm hin und herwiegete in seinem Schmerz.

Sprach darum: lieber Herr Magister, es ist fast zu viel, macht Ers öfter also mit Euch?

Aber mein Philippus gab nit Antwort, obs Lutherus öfter so gemachet, sondern schluckete laut und sprach:

Ach meine Herren, wenn ich auch so viele Thränen vergießen könnte, als die angeschwollene Elbe Wassers vorbeiführt, würde ich doch meinen Schmerz nicht ausweinen können. Wörtliche Aeußerung des unglücklichen Mannes cons. latina ed. Pezelius II. 257. Ueber seine von Jahr zu Jahr wachsende Verzweiflung über das Reformationswerk sehe man die aus seinen Schriften von Döllinger gesammelten Stellen, die Reformation u. s. w Thl. I. S. 349-408.

Ach, daß ich auch just heute zu ihm kommen mußte! Ich sitze sonst zu Hause, wie ein lahmer Schuster, Corpus Ref. I. 683. und muß just heute wieder kommen und mir noch in Aller Gegenwärtigkeit von der geizigen Käthen die Bratwurst ufrücken lassen, so sie mir gesendet, und nu gar dieser Schimpf von ihm selbsten; ach, ach, es ist zuviel! –

Hierzwischen war wohl Luthero bange worden, daß er aus der Schulen schwätzen würd, steckete derohalben nach ein Weil den Kopf widder durch die Thür (so noch ganz braun und blau war) und schriee in die Stube: Magister Philippe!

Als das Melanchton hörete, sprang mein praeceptor Germaniae gleich auf wie ein Schuljunge, und gab zur Antwort: ja Bruder Martine, ich kumme, und was Männiglich schier unglaublich fürkommen wird, hube darauf auch an mit lauter Stimmen zu singen:

Erhalt uns Herr bei deinem Wort etc., und ging ihme nach aus der Thüren.

Da sahen wir uns Alle verwundert an, schlugen ein Kreuze und gingen alsbald auch unserer Straßen. Aber als wir draußen auf das Ern Flur. kamen, sollten wir annoch ein gar gräulicheren Handel erleben; denn siehe, ein Weib wie ich sie nimmer boshafter und wüthender gesehen, hatte ihren Kerl bei den Haaren gepacket, zog ihne die Stiege hinauf und schriee wie besessen: Komm Hund zum Doctor, komm du Galgenstrick zum Doctor!

Und dieweilen wir an ihr fürüber müßten, stunden wir stille und frageten: was ihr wär, daß sie also wie eine Besessene brülle?

Ja, was sie nicht brüllen sölle! hätte hier ihren unflätigen Kerl mit der Magd getroffen, und der Bösewicht entschüldige sich noch, daß Lutherus es frei geben, die Ehe zu brechen, »das will ich wissen, das will ich nur erst wissen!« – Kreischete und brüllete, daß das ganze Kloster schallete.

So wollte sich nu ihr Kerl entschüldigen, hohlete ein Predigt Lutheri aus dem Busen und sprach: Da ständs, aber sie wölle es nicht gläuben; wir sölltens ihr doch fürlesen, sie könne nicht lesen, und ihne für diesen Lärm bewahren helfen. Mein Gotte doch, seit die Werkgerechtigkeit abgeschaffet, mache es ja die ganze Stadt also!

Hierauf schriee das Weib: und wenns die ganze Stadt so machet, solltu es nit also machen, du liederlicher Lotterbube! und griff ihme wieder in die Haare.

Hierzwischen hatte Er Johannes das Büchlein genommen, und lasen wir bei eim Eselsohr, so er drinnen gemacht, in Wahrheit also:

So ein halsstarrig Weib seinen Kopf aufsetzete, ist Zeit, daß der Mann sage: willtu nicht, so will eine andere. Will die Frau nicht, so komme die Magd. So doch, daß der Mann zuvor zwei oder dreimal sage und warne sie, und laß es für andere Leute kommen, daß man öffentlich ihre Halsstarrigkeit wisse und für der Gemeine strafe. Will sie dann nicht, so laß sie von dir, und lasse dir eine Esther geben und die Vasthi fahren, wie der König Ahasverus thäte. Jenaer deutsche Ausgabe Tom. II. fol. 152 vergl. fol. 147, 148. Diese Predigt machte gleich solche Sensation, daß der Herzog Georg von Sachsen in seinem Briefe an Luther Donnerstags nach Innocentium 1526 sich sehr bitter darüber ausläßt, und ich mir nicht versagen kann, als einen abermaligen Beleg zu allem von mir über Luther Gesagtem, hier folgende Stelle seines Schreibens hervorzuheben:
Wenn sind mehr Sacrilegia geschehen begebener Person, denn seit deinem hervorgebrachten Evangelio? Wenn sind mehr Empörungen wider die Oberteil geschehen, denn aus deinem Evangelio! Wenn sind mehr Beraubungen armer, geistlicher Häuser geschehen? Wenn sind mehr Dieberei und Räuberei geschehen? Wenn sind mehr verlaufene Mönche und Nonnen zu Wittenberg, denn jetzt gewest? Wenn hat man dem Ehemann die Weiber genommen und andere gegeben? denn jetzt findet man es in deinem Evangelio? Wenn sind mehr Ehebruch geschehen, denn seit du geschrieben: wo eine Frau von ihrem Mann nicht kann fruchtbar werden, so soll sie zu einem andern gehen und Früchte zeugen, die der Mann ernähren müßte: also thut der Mann hinwieder.
Dies hat dein Evangelium bracht, das du unter der Bank hervorgezogen. Bei Walch Thl. XIX. S. 616.

Als wir solches gelesen, hatten wir genug für immer; gaben dem Kerl das Büchlein zurücke und sprachen: wir kümmerten uns nicht um seinen Handel, worauf das Weib wieder ihme in die Haare griff und schriee: siehestu wohl, du leugst; denn stund es drinnen, würdens die Herrn schon gesaget haben. Kumm mit hinuf; Herr Doctor, Herr Doctor!

Da sprach Dietrichstein, als wir unten auf dem Hofe angeländet, und Er Johannes sich stumm an einen Pfahl stellete und bitterlich weinete: mein Hager, lasset uns auch ein Weil verziehen, um zu sehen, welch End es mit dieser Megären gewinnen wird.

Und hatten wir noch nicht lange gestanden, als wir droben Lutheri wie Käthens Stimm vernahmen, und alsbald auch das Weib widder die Trepp herunter gepurzelt kam, und der Kerl ihr nach.

War diese Bestie aber noch nit in Wuth gewest, so war sie jetzt in Wuth; schimpfete auf den verdammten Mönch und die liederliche Nonn, ohrfeigete ihren Kerl, der sie sänftigen wollte, rechtes und linkes, schriee: ich bring erstlich meinen Jungen und nachhero mich selbsten um, du schandbarer Ehebrecher! und wollte mit fliegenden Haaren davon. Aber der Kerl griff sie am Schurzfleck, bat sie bei den Wunden Jesu, doch nit eine so große Sünde zu begehen, und an ihre arme Seel zu gedenken, er wölle sich auch gerne bessern.

Ja, sie dächte auch an ihre Seel; den wahren Glauben hätt sie, und um die Sünde gäb sie keinen Batzen, sie wölle mit ihrem Jungen ins Wasser, er sölle sie loslassen, oder ihn sölle der Teufel regieren.

Als mein Kerl nu abermalen gut Wetter versprach und sie mit nichten wollte fahren lassen, hob sie einen Stein auf, schlug ihme die Nase breit, daß ihme gleich das rothe Blut ins Maul lief und er sie fahren ließ, woraus sie brüllende und mit fliegenden Haaren vom Klosterhof lief, und er hintennach.

Mit waserlei Gedanken wir gefolget sein, mag man für sich selbst abnehmen. –

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