Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Brief.

U Unter die hauptsächlichsten Ursachen der schnellen Verbreitung der Reformation gehört insonderheit die absichtliche Verfälschung des biblischen Textes, die sich Luther erlaubte, um das Papstthum und alles ihm Angehörige, in wie fern es in der Bibel begründet ist, desto sicherer und gewisser stürzen zu können. Da die meisten Protestanten und selbst Prediger noch fortwährend der seltsamen Meinung sind: Die Bibel habe bis Luther »unter der Bank gelegen« und er sei wohl gar der erste Uebersetzer derselben gewesen; so wird hier die Anmerkung am rechten Orte stehen, daß es bereits 21, sage ein und zwanzig verschiedene deutsche Bibelübersetzungen vor Luther gab, und er selbst sich der plattdeutschen von Nikolaus de Lyra, welche zuerst 1473-75 und später noch in zwei wiederholten Ausgaben erschien, mit solchem Geschick bediente, daß das Sprüchwort entstand: si Lyra non lyrasset, Lutherus non saltasset. Von diesen 21 Uebersetzungen waren 15 in oberdeutschem und 6 in niedersächsischem Dialekt. Göze, Versuch einer Historie der gedruckten niedersächsischen Bibeln, Halle 1775. S. 5 u. 52.

Es kann hier natürlich nicht der Ort sein, diese unzweifelhafte Thatsache in wissenschaftlicher Ausführlichkeit zu begründen; aber drei der hauptsächlichsten und erfolgreichsten dieser Verfälschungsversuche muß ich nothwendig hervorheben, ohne, wie ich glaube, weder Sie, verehrte Freundin! noch unsere gebildeten Leser, welcher Confession sie auch sein möchten, dadurch zu langweilen.

So ist es denn zuvörderst das griechische Wort » Ekklaesia« welches Luther im ganzen neuen Testament auch nicht ein einziges Mal »Kirche«, sondern immer »Gemeine« übersetzt. Schon die Folgen dieser einzigen Verfälschung waren ungeheuer. Denn die Gemeinen maßten sich nicht blos die Einrichtung, Leitung und Beaufsichtigung des Gottesdienstes und ihrer neuen Geistlichen selbst an, sondern wurden in dieser Anmaßung sogar noch von Luthers Schriften unterstützt, wie wir späterhin an haarsträubenden Beispielen sehen werden. – Eben so machte er es 2) mit dem griechischen Wort » Paradosis«, welches er absichtlich nicht ein einziges Mal »Ueberlieferung oder Tradition« übersetzt. Denn Sie wissen, meine gnädige Gräfin, daß Ihre Kirche der Schrift die Tradition an die Seite stellt. Und von dieser Tradition ist in der That im Grundtext an vielen Orten die Rede, insonderheit aber wird 2. Thessalonicher, II, 14. geradhin katholisch, der schriftlichen Tradition die mündliche entgegengesetzt. Es heißt nämlich:

»Demnach nun meine Brüder stehet und behaltet die Ueberlieferungen, worin ihr von mir unterwiesen seid, es sei mündlich oder brieflich.«

Wie übersetzt nun Luther, um die Tradition aus dem Wege zu schaffen? Man höre und erstaune: »So stehet nun, liebe Brüder, und haltet an den Satzungen, die ihr gelehret seid, es sei durch unser Wort oder Epistel.«

Noch schlimmer ist seine Verdrehung von 1. Cor. 11, 2., wo es wörtlich heißt: »Ich lobe euch, meine Brüder, daß ihr euch in Allem mein erinnert und die Traditionen haltet, die ich euch überliefert habe;« denn er übersetzt: »Ich lobe euch, meine Brüder, daß ihr an mich gedenket in allen Stücken und haltet die Weise gleichwie ich euch gegeben habe.« Welche Perfidie! –

Wenn es für Luther nun aber von großer Wichtigkeit war, Kirche und Tradition aus der Bibel fortzuschaffen, so lag ihm nicht minder daran, seine seltsame Lehre von der »Gerechtigkeit aus dem Glauben« darin noch fester zu begründen, und auch exegetisch die unerhörte Behauptung durchzuführen: Zur Erlangung der Seligkeit wären die guten Werke nicht nothwendig, sondern einzig der Glaube.

Zu dem Ende unterstand er sich Röm. 3, 28. das Wörtchen »allein« in den Text zu schieben und zu übersetzen: »So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.« Cochlaeus wollte Luther an 1000 verfälschte Stellen allein im N. Testament nachweisen; Florimundus Rämundus sogar über 1040. Es bedarf kaum der Bemerkung, daß dies lächerliche Uebertreibung ist.

Auf diese Weise, abgesehen von allen andern im Verfolge unserer Erzählung noch in betrübender Fülle vorkommenden Gründen, ward es ihm denn leicht mit Hilfe seines außerordentlichen, beispiellosen und apostolischen Ansehns im Volke, bei seinen Bibellesern den Wahn zu begründen: Der kirchliche Katholicismus seiner Zeit bestände aus reinen willkührlichen Menschensatzungen, und es wäre in der ganzen Schrift auch nicht die geringste Andeutung davon vorhanden. Gleich übel und vielleicht noch übler war es, daß er das Schriftverständniß dem subjektiven Sondermeinen jedes Lesers Preis gab, indem er in seiner inconsequenten Weise bald behauptete: die heilige Schrift sei das leichteste, bald aber wieder, sie sei das schwerste aller Bücher (wie sie das letztere denn auch in Wahrheit ist). Daher kam es denn, daß nicht blos Geistliche wie Thomas Münzer, Carlstadt, Schwenkfeld u. a. m. bald einen andern Sinn in der Schrift zu entdecken meinten, als er, sondern zuletzt sogar jeder Schuster und Schneider, der lesen konnte.

Dies gesteht der unglückliche Mann am Abende seines Lebens selbst. »Es sind fast so viel Meinungen; – ruft er aus – als Prediger-Köpfe,« Epist. ed. Buddeus p. 288. Tot enim sunt opinionibus fere regnantibus, quot sunt ministrorum capita. und an einer andern Stelle: »Adel, Bürger, Bauern verstehen das Evangelium besser als ich, oder St. Paulus, sind nun weiser und halten sich gelehrter als alle Pfarrer.« Luther's Werke von Walch V, 1652; vergleiche die gleichen Klagen. V. 472. XIV, 1660.

Dies war seine und unsere Strafe, daß wir abgewichen sind von dem Boden der verachteten Tradition, von dem aus allein die heilige Schrift erklärt werden kann, wie jetzt auch schon wieder, wo es zu spät ist, evangelische Theologen, z. B. Hengstenberg, erkennen. Denn daß es bei uns trotz aller Einigungsversuche und aller hebräischen und griechischen Vokabelgelehrsamkeit nicht besser geworden, und heut zu Tage nicht blos fast so viele Meinungen als Predigerköpfe vorhanden sind, sondern gerade eben so viele und möglichst noch mehrere, ist zum Skandal der protestantischen Kirche so weltbekannt, daß es hoffentlich hier nur angedeutet werden darf.

Und nichts destoweniger und obgleich alle unsere Theologen sich fast wahnsinnig an der Bibel studirt haben, verbreiten wir diese fehlerhafte, nur in den historischen Theilen ausgezeichnete Uebersetzung Luthers fortwährend in Millionen und abermals Millionen Exemplaren unter das Volk, um dadurch religiöse Erkenntniß und religiöses Bewußtsein zu fördern, wie wir wähnen, ein eben so verzweifelter Geniestreich, als wenn der Staat das allgemeine Landrecht (was denn doch gegen die Bibel gehalten ein wahrer Roman an Begreiflichkeit des Inhalts ist) in unzähligen Exemplaren vertheilen wollte, um dadurch die Rechtskenntniß und das Rechtsbewußtsein des Volkes zu fördern.

»Ja,« sprechen hier die süßlichen Herren, »das Meiste versteht das liebe Volk doch,« und bedenken nicht, daß Tausende ihre aufgedrungene Waare gar nicht einmal lesen, andere Tausende sie wieder verschenken, oder für einen willkommenen Schnapsschilling an den ersten besten losschlagen, und wiederum Tausende, die sie wirklich lesen, aber nach der allgemeinen Unart der menschlichen Natur sich nicht an das halten, was sie verstehen, sondern gerade eben an das, was sie nicht verstehen, und so von unseren Bibelverbreitern selbst, das Sektenelend und das religiöse Siechthum des Protestantismus, anstatt gehoben zu werden, fortwährend genährt und gefördert wird.

Hiezu kömmt, daß die antiken Nacktheiten des Alten Testaments durchaus nicht geeignet sind dem Volke oder gar den Kindern in die Hände gegeben zu werden, wenn sie nicht Hohn und Spott oder gar noch Aergeres erwecken sollen, wie mir denn ein Fall bekannt ist, wo ein heimlicher Bibelspötter mit den ehrbarsten Mienen einem Zimmer voll junger Damen das Hohe Lied Salomonis in der krassen lutherischen Uebersetzung vorzulesen anfing, bis sie bald alle erröthend von dannen liefen, von seinem schallenden Gelächter verfolgt. Die Radikalen sollen daher schon anfangen die Bibelverbreitung für ihre Zwecke zu benutzen, und es ist in der That ein wahres Wort, welches ein sächsischer Superintendent dieser Richtung schon vor mehreren Jahren öffentlich aussprach: daß nämlich mit jeder verbreiteten Bibel ein Stein aus dem morschen Gebäude des Christenthums bräche, dafern wir nur für das letztere Wort »Protestantismus« setzen.

Wie weise handelt daher die katholische Kirche, indem sie alle Bibelübersetzungen, welche nicht mit Anmerkungen auf den Grund der Tradition und der Autorität der Väter versehen sind, schlechterdings den Laien untersagt, und darum heut zu Tage unter allen vorhandenen nur einzig die von Allioli ihnen gestattet, Diese deutsche Übersetzung ist bisher die einzige, welche die ausdrückliche Gutheißung des Papstes erhielt. weil sie diese Vorzüge in besonderem Grade in sich vereinigt.« Und jetzt lassen wir unsern Freund wieder in Erzählung seiner Jugendschicksale fortfahren.

Das Vaterhaus.

Nu sollt ich meinen, daß ich im Rennen nicht gefeiert, umb zu meiner lieben Sippschaft zu gelangen. Eia, wie freute sich mein Herze, als ich letzlich der Burg Altensteig entwahr wurde, wie sie auf hohem Berge in der Abendsonnen glänzete mit ihren gehlen, rothen, weißen und grünen etc. Ziegeln und glitzernden Kacheln, womit die Ahnen alle Thürme, Dächer und Zinnen in gar lieblichen Figuren ausstaffiret.

Aber au wehe! als ich näher kame, weheten aus dem Burgfriet Ein, in jeder Burg vorhandener, hoher und durch eine Leiter von außen ersteigbarer Thurm, welcher bei Belagerungen die letzte Zuflucht war. S. Leo in v. Raumers historischem Taschenbuch, 8ter Jahrgang. S. 197. wie denen anderen Thürmen eitel schwarze Fahnen, sahe auch etliche schwarze Rittere die Burgstraße hinaufziehen, so daß meine Freude in Traurigkeit verkehret wurde.

Kame in solcher Angst über das Schlaggatter in den Zwinger, allwo es ringsum in den Viehställen viel fremdes Volk hatte, so alle schwarz gingen, und mir zuerst verkündeten: daß meine liebe Mutter todt und heute begraben würd. Ging also schluckende auf den Burghof, allwo es ebenmäßig viele Ritter und vom Adel hatte, so einstheils umherwandelten, einstheils unter den beeden Linden am Brunnen saßen und mein Brüderlein, Sebastian geheißen, trösteten.

Aber er kennete mich nicht mehr, und da mir gesaget ward, daß mein alter Vater im Pallas Pallas, großer von hölzernen oder steinernen Säulen getragener Saal in Mitten der Burg; Spannbette: Sopha. an seinem Zipperlein auf eim Spannbett gar elendiglich niederläg, und dorten auch das Sark meiner Muttern befindlich wär, ging ich in den Pallas, allwo es von Rittern wimmelte, und kniete vor meinem Vatern und sprach: Ich bin euer verlorner Sohn Siegmund, und komme anjetzo widder, reuig und demüthig wie der Sohn im Evangelio; hätte nur gewünschet, ich könnte euch Mütterlein auch widder zubringen!

Solches erbarmete ihne also, daß er in Thränen ausbrach und letzlich fragete, wo ich herkäme? So übergab ich ihm den Zeddul des guten Klausners, worauf er sprach: es wäre ihm angenehme, daß ich ein anderer Mensch worden, und sölle ich in seine Kemenate gehen, Kemenaten, Kammern oder Stuben, welche an den Pallas gebaut waren. allwo er ein Trauerkleid vor seinen Knecht Claus anfertigen lassen, so mir etwan gerecht sein möchte; denn er säh, ich wär gewachsen. Sölle mich aber beeilen, inmaaßen inner einer halben Stunden das Laich in die Kapellen getragen und beigesetzet würde. So sprich ich: ja Vater, aber erstlich muß ich doch vor die Seele unsrer armen Muttern beten, worauf ich mich vor den Sarg auf die Knien wurf, ihn küssete und 3 Vater unser und 3 Ave Marias sprach, was meinen Vater verwunderte, daß ich also fromm geworden, und würd ich denen Pferden in Zukunft wohl nit mehr die Schwänze abschneiden etc. Als ich mich darauf verkleidet, und es noch ein Endeken währete, ehe die Träger kamen, sah ich, wie die Ritter Alles betrachteten in dem herrlichen Pallas meiner Ahnen, so mir auch selbsten widder neu worden, dieweil ich so lange Zeit in der engen Klausen gelebet. Und war das Estrich ringum mit Teppichen sauber beleget, und mit Rosmarin verstreuet; item hingen zwischen denen steinernen Pfeilern, die sauberen Rückenlachen eine Art Gobelins., in welche die Historie gewürket war: wie unser Ahnherr Eberhard den Herzogen Otto von Meranien im Bade erstochen, und welche ich noch nimmer im Gebrauch gesehen.

So kam nu letzlich die Zeit, wo das arme Laich quer über den Burghof in die Kapell getragen wurd, und mein Vater mit seim Krückstock nachhumpelte, mich an der linken Hand leitende, in währendem mein Brüderlein den Zipfl an seim Mantel angefasset. Hierauf meine beeden Schwestern Maria und Martha mit dichten schwarzen Schleiern, und nachgehends der ganze Adel uns folgete. Aber männiglich ward verwundert, als unser neue Pfaff, Michael Possow, nicht das Todtenamt abhielte, wie gebräuchlich, sondern auf den Predigtstuhl stiege und auf das Fegefeuer schimpfirete, so der Pabest in Rom und seine Pfaffen erfunden, umb Geld von dem armen Volk zu schmieden, angesehen in der Schrift kein Wörtlein vom Fegefeuer stünde. Darumb wöllten sie auch heute die papistische Todtenmeß unterlassen, und verhoffeten, die arme Seel würde wohl ohne dieselbige ruhen, angesehen Christus nit gesaget: wer sich Messe lesen laßet und denen Pfaffen den Meßpfennig opfert, habe das ewige Leben, sondern wer an ihn gläube, der habs. Die Hausehre seines gestrengen Rittern habe aber gegläubet: ergo pp.

Als mein Klug-Michel nun widder von der Kanzel stieg, wollt er gleich das Laich der armen Muttern in die Gruft der Ahnen versenken lassen, worauf sich aber ein laut Gemürmel unter dem Adel erhube und Einer, Namens Franciscus Dietrichstein, zu meinem Vatern trat und sprach: Was hör ich Ritter, ist möglich, seid ihr luthrisch worden? Wollet Ihr Eure liebe Hausfrau wie eine Sau ohne Todtenamt einsenken lassen?

Aber mein Vater, gab zu meiner annoch größeren Verwunderung zur Antwort: ich bin zu betrübt Junker, und überlaß dieses meinem Priester; der muß es besser verstehen, denn ich.

Summa: die arme Mutter wurd ohne Todtenamt in die Grube versenket.

Aber als wir wieder zum Mahl in den Pallas zurückegekommen und uns zu Tische satzeten, brach unter dem Adel aufs Neu das Gemürmel aus, und kriegts der Priester fast dicke. Er entschuldigte sich aber mit der Schrift, und müge man seinen Patronen fragen: ob vom Fegefeuer und Seelenmessen in Wahrheit ein Wort in der Schrift fürhanden? Denn der fromme Ritter hätte die Schrift nunmehro dreimal vom Anfang bis zum Ende durchgestudieret.

Darum sahe nu Alles meinen Vatern an, welcher alsbald zur Antwort gab: fürwahr also wär es, und glaube er nunmehro auch schon halb und halb: daß der Pabst und seine Pfaffen, wie Dr. Luther fürbringe, solch Getichte und Menschensatzungen aus Nichtes, denn aus schnödem und unmäßigen Geiz dem dummen Volk eingeschwätzet.

So stund ich auf, da Alles schwiege und sprach: aber lieber Vater, mein Klausner spricht, waß wir nit aus der Geschrift wüßten, das wüßten wir aus der Tradition, und wäre selbige eben so gut.

Das freuete den v. Dietrichstein und belobete mich; sagte: recht mein Kerl, so ist es; der Wittenbergische Schalk hat nur die Wort in der Schrift, so von der Tradition handeln, fälschlich verdollmetschet, als ich sicher in Erfahrung gezogen.

Solches aber verredete unser Klug-Michel gar heftiglich, und ward alsbald der ganze Tisch strittig. Dieweil aber Niemand die Wort der Schrift über die Tradition, noch die Canones der Väter und Concilien kannte, kam mein Pfaff widder uf das Fegefeuer zurücke, und hatte sein Gespötte darüber, bis der von Dietrichstein so sich hierzwischen besunnen, also zur Antwort gabe:

Wisset ihr Herren, daß mir der ehrwerdige Bischof von St. Pölten letzlich gesaget: daß in Wahrheit auch schon des Fegefeuers in der ersten Epistel St. Pauli an die Korinther gedacht werde; item, daß wir vor die Todten beten söllten, stünde schon im alten Testament, und mein ich im zweten Buch der Makkabäer, Die bezüglichen Stellen stehen II. Makkab. XII. 43-46 und 1. Cor. III. 13. Die letztere ist allerdings sehr dunkel; aber die Tradition und die Autorität der Väter, welche Luther leider so wenig kannte, daß er z. B. irgendwo den Tertullian den »allerersten Lehrer seit der Apostel Zeiten« nennt, sprechen nicht minder für das Dogma vom Läuterungszustande, als die gesunde Vernunft. Denn giebt es nach lutherischem Lehrbegriffe nur einen Himmel und eine Hölle, und kann in den ersteren nichts hineingehn, was »Gräuel thut und Lügen«, Offenbarung 21, 27., und zwar kein Hurer, noch Abgöttischer, noch Ehebrecher, noch unnatürlicher Wollüstling, noch Dieb, noch Geiziger, noch Lästerer, noch Räuber, 1. Cor. VI. 9, 10., so würde der größte Theil aller Menschen unrettbar zur Hölle fahren, wodurch die göttlichen Eigenschaften der Liebe, Gerechtigkeit und Weisheit gänzlich fortfielen. Im Gegentheil, würden alle diese Sünder nach lutherischem Lehrbegriff, wenn sie nur den Glauben haben, spornstreichs in den Himmel versetzt; so würde ein Pöbelhimmel entstehen, in dem die wenigsten unter uns sein möchten, und auch hier fiele außer der Gerechtigkeit und Weisheit zugleich noch die Heiligkeit Gottes fort. Diese naheliegenden Widersprüche mit Schrift, Vernunft und Tradition haben denn auch bei uns Protestanten die Lehre »von den letzten Dingen« im Dunkel liegen lassen bis auf diesen Tag, und die meisten, Theologen wie Nicht-Theologen, bauen sich ihren eigenen Altenweiberhimmel, so gut sie können, oder berufen sich da, wo sie noch auf positivem Grunde stehen, auf die Worte Christi zum Schächer: Wahrlich ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein (Luk. 23, 43.), um den lutherischen Pöbelhimmel zu rechtfertigen und jenen Zwischenzustand zu läugnen.
Aber eben das »Paradies« bedeutet hier nicht den Himmel, sondern die schmerzenlose Vorhölle, den limbus patrum, worin auch Abraham sich befand, (Luk. 16, 26.), und zu der Christus selbst niederfuhr. (1. Petri 3, 18-22, Kap. 4, 6.)
Dies ist neuerdings auch von unsern gewissenhaftesten Theologen anerkannt, und nur wenn wir das Wort »Paradies« in diesem Sinne fassen, wird es uns klar, wie Christus ohne wunderbaren Widerspruch zu Maria nach der Auferstehung sagen konnte: »Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. (Joh. 20, 17.) (Sehr schön ist übrigens dieses apostolische Dogma in dem uralten apokryphischen Evangelium des Nikodemus ausgedrückt, wovon ich die anziehendsten Stellen in meinen Gedichten Thl. I, S. 209 ff., 3. Auflage, übersetzt habe.)
Zu Luthers Zeiten schien sich indeß am meisten die anabaptistische Meinung im Volk verbreitet zu haben: Die Seele schliefe zugleich mit dem Leibe bis zum Tage der Auferstehung, S. Leben des Ritters v. Schweinichen Thl. III. gegen das Ende.
allwo Judas Makkabäus ein groß Stück Geldes gen Jerusalem gesendet, davor ein Sündopfer anzurichten, daß vor die Todten gebetet würde so im Streit gefallen, zur Lossprechung von ihren Sünden. Auch hätten die allerältesten Väter von dem Fegefeuer und dem Gebet vor die Todten Meldung gethan, als Tertullianus, Cyprianus, Clemens Alexandrinus und andere mehr.

Aber auch dieses wollte mein Klug-Michel mit nichten gelten lassen, dieweil wir nit mehr im alten sondern im neuen Bunde lebeten, auch das Buch der Makkabäer ein apokryphisches Buch wär, so nicht sonderlich zu achten, und die Stelle bei St. Paulo anlangende: müsse sie anders erkläret werden, als denn der Mann Gottes (verstehe sein Lutherus) auch thät.

Hierauf gab Franciscus von Dietrichstein, deme schon der Pfeffer in die Nase stieg, also zur Antwort: sehet Ritter, so machens diese Schälke alle, daß sie das Wort Gottes drehen und wenden, wie sie wöllen, etwan wie der Müller sein Mühl, je nachdeme der Wind bläset. Doch wissend: daß es kein Sprüchlein auf Erden gab und gibet, so nit die Bosheit oder die Dummheit verkehren, und anders auslegen könnte. Denn wenn ich etwan sprich: der Ritter lieget auf seiner Burg und ist des Feindes gewärtig, so verstehet Jedermann, daß der Ritter Wache in seiner Burg hält. Da kommt nu mein Klug-Michel und spricht: mit nichten! der Ritter soll ja liegen; darumb acht ich, er hat sich auf seinen Bauch geleget, oder etwan auf den Rücken, wie mans fassen will. Kömmt alsbalde ein anderer Klugmichel, verlachet den ersteren und spricht: ei Lieber, lieget er auf dem Bauch oder auf dem Rücken, so würd er ja in der Burg des Feindes nicht gewahr werden, darum acht ich: er ist auf das Dach der Burg gekrochen und hat sich dorten auf den Bauch geleget, denn das deuten die Wörtlein »liegt« und »auf« gar klärlich uns an.

So macht ihr Lutherschen es auch mit der Geschrift. Wie alle Verständigen, ja wie die heiligen Väter selbsten die Schrift und ihre Sprüchlein verstanden, achtet ihr nicht; folget dem Klug-Michel, der den Ritter auf sein Burgdach klettern lässet, umb auszulugende.

Hierauf gab der Priester höhnisch zur Antwort: der Väter achten wir mit Recht nicht, denn es seind Pfützen, aus denen die Christen vor Luther faules und stinkendes Wasser gesoffen haben. Eigene Worte Luthers. Man sehe Walch'sche Ausgabe, Theil XXII. 69.

Als das der Ritter hörete, ward er braun und blau für Zorn, sprung in die Höhe, schlug mit der Faust auf den Tisch, und sprach zu meinem Vatern:

Höret Ritter, wenn Ihr diesem Pfaffen nicht den Abschied gebet, komm ich nimmer widder uf Eure Burg, und will Euer Feind sein auf Tod und Leben! – Hierauf ging er mit großen Schritten und lautem Sporenklingen aus dem Pallas, und der ganze österreichische und baiersche Adel, so fürhanden, folgete ihm alsbald mit lautem Mürmeln, und schritt auf den Zwinger zu, nach seinen Rossen.

Solches machte meinen Vater hinterdenklich. Dieweil aber mein Pfaff alle Tage ihm mit der Biblia und den Schriften Lutheri für Augen ging, item auch mich fleißig daraus informirete, und wo ich ging und stunde mich vermahnete, an meine Seligkeit zu denken und denen papistischen Gräueln einen Abschied zu geben, wurden wir Beede wieder zweifelmuthig, und vermeineten letzlich: mein Pfaff möge doch wohl mit seinem Luthero witziger sein, denn die ganze, heilige Kirche.

Solcher Zweifelmuth währete wohl ein halb Jahr lang und drüber, in währendem ich ein Weil an meinen zweten Vatern, den alten Klausner dachte und gläubig war, ein Weil aber widder des Pfaffen und seines bösen Geschwätzes achtete und ungläubig wurd, als das Geschwür mit eim Mal offen sprung. Denn einer meiner Ahnen hatte, ich sprich nit von welchem Papst, einen Finger der heiligen Genovefa empfangen, den er in ein vergüldetes Kästlein gethan, und wurd selbiger Finger am Jahrestag besagter Heiligen immer dem Volke gezeiget, auch das Kästlein zu küssen gestattet, wo denn viel Volks herbeikam, insonderheit Weiber, so in böser Ehe lebeten, umb sich an der Liebe, Geduld und Gottesfurcht zu erbauen, so die heilige Genovefa ausgeübet. So kam nu auch der Jahrestag widder. Aber was thät mein Pfaff? Er vermahnet das Volk, von solchem Götzendienst zu lassen; item: Niemand könne wissen, obs der Finger einer Menschin oder einer Affin sei, denn also wär er eingetruckent, und schreiet letzlich, in währendem er das Heiligthum mitten in die Kirche wirft: da wäre der Aasknochen; könnten damit seins Gefallens machen, was sie wöllten.

Als er dieses gesprochen, stürzet also gleich ein groß Haufen Volks und insonderheit die Weiber schreiende aus der Kapellen, und rennen querüber in den Pallas, allwo mein Vater Widder an seinem Zipperlein auf dem Spannbett lage.

Ei lieber, zornmüthiger denn dieses Mal, hatte den Vatern nimmer gesehen, auch dazumalen nit, als ich ihm die Pferdeschwänz abgeschnitten. Ließ alsogleich den Priester rufen, und als sich dieser entschüldigen wollte, und wiederumb anhub, was der theure Gottesmann Dr. Martinus von solchem papistischen Affenwerk urtheile, verbot er ihme das Maul und rief: ei ihr bösen Schälke, welcher Sohn hat die Knochen seiner guten Muttern, so ihme und aller Welt Gutes gethan, zur Erden geworfen und sie Aasknochen schimpfiret? Machet, daß Ihr aus meiner Burg kommet, oder das Volk allhie soll Euch den Weg weisen, daß Euch der Kopf knacket!

Als das der Priester hörete, ward er kleinmüthig, bat: der gestrenge Ritter müge ihn doch behalten; er wölle in Zukunft auch Alles thun, so ihm geboten würd, und seinshalben auch der Muttern noch nachgehends ein Todtenamt halten. Wohin er sölle? er hätte ein Braut'!

Aber war meim Vater nicht der Pfeffer in die Nasen gestiegen, so stieg er ihm jetzo in die Nasen, und mußte mein Pfaff in Wahrheit alsogleich die Burg räumen, was er mit großem Rumoren und Vermaledeien thät, und daß er wie die heiligen Apostel den Staub über uns von seinen Füssen schütteln wölle etc. Dies willkürliche Verjagen der Geistlichen, wovon wir noch mehrere Proben sehen werden, war in der ersten Reformationszeit ganz gewöhnlich. Viele Edelleute, insonderheit in Dänemark, ließen sie sogar (nach Bartholds Peter Wullenweber) auch willkührlich hinrichten. Was übrigens die Verehrung der Reliquien anbelangt, deren Alter in der That die apostolische Zeit berührt ( Eusebius hist. eccl. IV. 15.), so ist es seltsam, daß die Protestanten trotz ihrem Schimpfen auf diese »papistischen Greuel« dennoch nach allen Reliquien Luthers gabelten, als wären solche wundersame Partikel vom Kreuze Christi gewesen. Hiebei kam manches Drollige vor, und wird es unter Anderem als ein Mirakel verschrieen, daß bei der Einäscherung Magdeburgs im 30jähr. Kriege die Zelle des Augustinerklosters, in der Luther als Schüler wohnte, nebst der Bettstelle, in der er geschlafen, verschont geblieben seien. Man setzte daher über die Zelle folgende geistreiche Inschrift:
Hier ist Lutheri Kämmerlein
Wenn er ins Kloster kam herein.
Gedächtniß halbe' wird noch jetzund
Hierin gesehen sein Bettespund.
Walch'sche Ausgabe Thl. XXIV. S. 284.

So hätten wir nu ein Weil gar keinen Priester; denn mein Vater suchete einen feinen, ruhigen Mann, so eins Theils dem alten Glauben anhinge, anders Theil aber auch Lutherum nicht ganz verredete; und gewannen wir auch einen solchen, Er »Er«, eine auch von Luther gebrauchte Anrede an die Geistlichen, welche geringer als Herr geachtet wurde, weshalb ein ehrgeiziger Priester der damaligen Zeit zu sagen pflegte: Der Teufel hätte den Geistlichen das H gestohlen. Die spätere Anrede war »Ehre.« Johannes Forst geheißen, so ehender ein Famulus bei Luthero gewest. Aber dadurch ward Uebel ärger; denn nu blieben wir immer zweifelmuthig, ob die luthersche oder die papistische Lahr die rechte sei.

So verlief manches Jahr, und ward ich ein großer, gewachsener Kerl, stunde meinem Vatern die Wirthschaft für, und übete mich weidlich im Reiten, Laufen, Jagen, Schwimmen etc., item übete mich in allerlei Sprachen, nur mit dem Schreiben wollts nit besser werden, anerwogen mir das Ding zu langweilig fürkam. Und wiewohl ich in meim Zweifelmuth einen Tag lutherisch und einen andern widder papistisch betete, behielte doch der barmherzige Gott meinen Leib wie meine Seele rein, und gedachte immerdar an das Gelübde, so ich meinem zweiten Vatern, dem alten Klausner gethan.

Hiezwischen aber begab es sich, daß das reine, lautere Wort, wie man Lutheri Lahr benamsete, auch sonsten unter dem österreichischen Adel zu rumoren begunnte.

Selbiger Adel nu trat bei 24 Herrn mit etzlichen Städten zusammen und supplizirten bei König Ferdinando: daß er wölle das liebe Evangelium predigen lassen, insonderheit aber den Artikul von der Gerechtwerdunge durch den Glauben, angesehen viel Kirche in dieser Zeit gar öd und übel versehen wären. Aber Seine königliche Gnade verredete das Ding, und söllten sie sich zufrieden geben, bis auf ein frei christlich Concilium Die merkwürdige Petition steht bei Sleidanus, comment. de statu relig. et reip. Carole V. Caes. lib. XIV. p. 392.. Solche Antwort freuete den meisten Adel, insonderheit aber Franciscum v. Dietrichstein, und als umb diese Zeit es verlautbarte, daß der katholische Herzog Henricus von Braunschweig, so von den Schmalkaldischen verjaget worden, mit großer Heeresmacht sich rüste, umb sein Land widder zu erobern, kam selbiger Ritter wiederumb auf die Burg meines Vatern, belobete ihne, daß er den großmäuligen Pfaffen verjaget, und möge er nun auch was Rechtes beisteueren vor den guten Herzog. Denn er (verstehe meinen Ritter) wölle mit 20 vom Adel ihme zur Hilfe eilen, auch am Rhein und anderswo ein Fähnlein Landsknechte anwerben, angesehen sein Ohm, der Bischof Franciscus von Münster, wie er achte', solch frommes Werk nicht weigern, sondern auch etwan einen rechtschaffenen Groschen beisteuern würd.

Aber mein Vater wollte Nichtes beisteuern und sprach: er hätte in Erfahrung gezogen, daß der König von Frankreich ja Gelds genug dem Herzogen gegeben, was er denn noch in dieser bösen Zeit beisteuern sölle? und wiewohl der von Dietrichstein ihm fürstellete: daß Henricus annoch der einzige Fürst wäre, der im Norden von Deutschland katholisch gesonnen, und wenn er eine Victorie über die schmalkaldischen Ketzer Die verbündeten protestantischen Fürsten. davon trüge, gar leichtlich wieder mit Hilfe des großen Gottes die alte gute Zeit herbeigeführet werden könne; war doch Allens bei meinem Vatern vergeblich. Verblieb dabei: der König von Frankreich hätte dem Herzogen ja genug des Geldes gegeben, (ja, Prost Mahlzeit! mein Vater wußt es nur nit besser; der Herzog hatts ihme, so zu sagen, gestohlen, wie man weiters hören wird. War ein großer Schalk, deme die katholische Frommheit auch nur wie vielen seines Gleichen, bis an die Leber und die Galle, aber nicht bis ans Herze gestiegen war). Summa: als Allens vergeblich, bate der Ritter: so wölle mein Vater mich, seinen Sohn doch mit reuten lassen, was er anfänglich auch entschüldigte, und daß er kein Pferd vor mich hätte; nachgehends aber auf mein vieles Bitten ward es mir letzlich doch von ihm verwilliget, denn nunmehro vermeinte ich, mußte Gott selbsten den Ausschlag geben, ob die lutherische oder die papistische Lahr die rechte sei. So zog ich denn einen rechtschaffenen braunen Wallach aus dem Stall, wappnete mich, und nachdeme ich meinem Vater valecidiret und vor seine Gutheit gedanket, ritt ich am bestimmten Tage gen Weixelstätt, allwo Franciscus von Dietrichstein gesessen war. Und ließen auch die anderen Rittern und Junkern nicht lange auf sich warten, was unsern Obristen freuete und alsbald eine große Allocution hielte, worinnen er uns vermahnete: dem katholischen Namen aller Orten Ehre zu machen, nicht die Weiber zu überwältigen, der Wittwen und Waisen zu schonen, auch mit den Ketzern ein christlich Erbarmen zu tragen, anerwogen sie noch vor Kurzem unsere Brüder gewesen, auch mit Hülfe des barmherzigen Gottes und der römisch-kaiserlichen Majestät, etwane bald wieder unsere Brüder werden, und von ihrem Irrthum zurückegeführet werden könnten. Für allen Dingen aber söllten wir das schnöde Gesäufte meiden, so die Lutherischen ein evangelisch Zechen nenneten Ludwig Hetzer (Protestant) von den evangelischen Zechen 1525. Im zweiten Theile dieser Schrift werden wir hören, wie es dabei zugegangen. und woraus der Teufel eine so große Unordnunge herfürschießen ließe, wie die Pilze aus dem Säumist. Söllten gedenken, wie sein fürtrefflicher Ohm Sigismundus schon anno 17 den St. Christoph Orden wider die versoffenen Säue gestiftet, und fast der ganze österreichische Adel, bis zu dieser Stunden sich aufnehmen lassen und seinem Eide getreu verbleiben. Davor habe sein Ohm große Ehre gehabt, und wäre auf Kaiser Maximiliani primi Geheiß und Befehlig anno 38 zu seinen Füßen begraben worden. Solche Ehren würden wir auch haben für Gott und Menschen, und so etwan Einer hier wäre, der annoch nicht zu diesem hochlöblichen Orden gehörete, wölle er ihne sogleich aufnehmen.

So war ich der Einige, welcher noch nicht aufgenommen war, was alsofort mit großen Ceremonien geschahe, worauf ich die Faust ihm geben mußte, zeitlebens als ein nüchterner, katholischer Edelmann erfunden zu werden.

Hierauf replicirete er weiters: wie wir aber nicht gläuben söllten, daß etwan nur der hochlöbliche Oesterreichische Adel zu solchem Tugendwerk sich verpflichtet, sondern daß auch anno 24 am Sonntage nach Erasmi, 16 katholische Fürsten geistlichen und weltlichen Standes zu Heidelberg auf einem Armbrust-Schießen das gleiche Gelöbniß vor sich und alle ihre Hof-Junkern und Diener gethan. Nur wann sie in die Niederland, in Sachsen die Mark, Mecklenburg und Pommern kämen, wo überflüßig Weigerung nicht geübrigt sein möchte, söllten dieselbigen solche Zeit nicht mit dieser Ordnung gebunden sein. Der erste Mäßigkeitsverein, wie wenige unserer Leser wissen dürften, ist also schon 1517 im Oesterreichischen gestiftet, und ist es eine bittere Beschämung für uns Protestanten, daß der Heidelbergsche Fürstenbund nur in den Ländern unserer Confession das »Zutrinken« gestattete. Und in der That wäre es unmöglich gewesen, diejenigen durch Gelübde zu binden, welche jedes Gelübde von Luther als Menschensatzung und papistischen Gräuel zu verachten belehrt waren, und nicht durch die Werke, sondern durch den Glauben allein sich das Himmelreich zu erwerben wähnten. Daher riß unter andern Lastern auch das Saufen in einem so entsetzlichen Grade bei den Protestanten ein, daß ganze Fürstengeschlechter z. B. die von Liegnitz und Pommern darüber ausstarben, und es in dem Leben des Ritters v. Schweinichen, wie ich wetten möchte, nicht zwei Blätter gibt, auf welchen nicht von »guten Räuschen« die Rede wäre, die sein Herzog oder dessen Umgebung sich »gewonnen.« Erst ums Jahr 1605 stiftete der protestantische Moritz von Hessen, als er den reformirten Churfürsten Friedrich den Vierten von der Pfalz in einem sehr unfürstlichen Zustande beim Becher gesehen hatte, einen ähnlichen Bund, den er den »Orden der Mäßigkeit« nannte. Auch in Würtemberg kam eine solche Verbindung zu Stande. Später beschränkte man sich protestantischer Seits auf Edicte, und ist eins der härtesten das von Friedrich Wilhelm I. von Preußen unterm 31. März 1718 erlassene, wonach sogar das Gesundheittrinken bei harter Strafe verboten und allen Verbrechen, die im trunkenen Zustande begangen würden, die doppelte Strafe angedroht wird.
Man sehe über diesen, für die deutsche Sittengeschichte so wichtigen Gegenstand, außer der schon mehrfach angezogenen Schrift des Ritters v. Schweinichen, das große Zedlersche Universal-Lexicon Band 64 Seite 890 u. s. w. unter dem Artikel »Zutrinken.«

Als der gute Ritter uns dieses Alles aus sonderbarer Frommheit ans Herze geleget und wir die heilige Messe gehöret, ritten wir auf Salzburg von dannen.

.


 << zurück weiter >>