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Siebenter Brief.

E Eine sechste Ursache der schnellen Verbreitung der Reformation, verehrte Gräfin! war die außerordentliche, ja die große Persönlichkeit Luthers. Wie ein ungeheurer, seit Jahrhunderten verschütteter Titan stieg er aus der Grubentiefe der kleinen Stadt Eisleben hervor, um abermals die Säulen des Himmels zu erschüttern, bis er endlich nach vergeblicher Arbeit, lebenssatt und lebensmüde in dieselbe Grube, aus der er gekrochen, wieder hinabstürzte, Luther wurde bekanntlich in Eisleben geboren und starb auch wieder in Eisleben. da er keinesweges das warme und lachende Leben des Lenzes, wie er verheißen, sondern im Gegentheil nur das starre und eisige Leben des Winters über die getäuschte Welt verbreitet hatte. Ja wahrlich, kein bezeichnenderes und ominöseres Wort für das Leben seiner neuen Kirche bis diesen Tag, als das ominöse Wort »Eisleben!«

An theologischen und humanistischen Kenntnissen den Meisten seiner Zeit überlegen, ein begeisterter Freund der Poesie und der Musik, mit einer natürlichen Beredsamkeit ausgerüstet, wie sie Wenigen zu Theil geworden, Obgleich auf der anderen Seite auch wieder wahr ist, was sein Zeitgenosse Wizel von ihm sagt: Was hat die Natur je Geschwätzigeres hervorgebracht, als Luther? tödtet er nicht seine Leser mit endlosen gehäßigen Wiederholungen? de moribus haeret. H. 7. a. Darum ist eine durchgehende Lectüre seiner Schriften fast eine Unmöglichkeit, und obgleich fast jedes Pfarrarchiv sie besitzt, sind sie doch von den wenigsten Pfarrern gelesen. mit einer Gewalt über die deutsche Sprache, wie sie nun vollends Niemand hatte, mit einer Popularität des Ausdrucks, die zum Erstaunen führt, mit einem eisernen Fleiß und einer aufopfernden Ausdauer, die fast unbegreiflich sind, mit einem unerschütterlichen Muthe, der an die edelsten Märtyrer glaubensvoller, längstgeschwundener Jahrhunderte erinnerte, mit einer Uneigennützigkeit, die eine Königskrone verschmäht haben würde, wie sie den Kardinalshut verschmäht haben soll, und einer Dienstfertigkeit gegen seine Gleichgesinnten, die mit derselben Bereitwilligkeit gegen Fürst und Adel, gegen Rath und Bürgerschaft, gegen Mönch und Nonne, gegen Gärtner und Fischer, gegen Hüttner und Bettler sich liebevoll äußert, Hiervon zeigen besonders seine in 5 starken Octavbänden von de Wette (Protestant) herausgegebenen und öfters von uns angezogenen Briefe. mit einer Großmuth gegen seine leidenden Glaubensgenossen, die auch freudig das letzte Hemde dahingab; – so waren die guten Eigenschaften des großen und bewunderungswürdigen Mannes beschaffen, zu dem jetzt unsere Freunde eilen.

Denken Sie sich eine solche Persönlichkeit, und nun vollends an der Seite Melanchthons, den ich in Allem übertreffe, sprach unser Mann, nur nicht in der Rechtschaffenheit und Gelehrsamkeit, Das Letztere ist wahr, aber nicht das Erstere. Luther war der ehrenwertheste unter allen Reformatoren, wie auch die meisten seiner Zeitgenossen urtheilten. und ermessen Sie, welche magische Wirkung Luther, auf Alle die ihn kannten, oder mit denen er in Berührung trat, insonderheit aber auf die von jeher so leicht erregbare und so leicht erregte Jugend haben mußte, welche Anfangs von allen Seiten in die Metropole der deutschen Wissenschaft, in Wittenberg zusammenströmte, und wenn sie nach Jahr und Tag wieder zurückflutete, sein begeistertes Lob in jeden Winkel der europäischen Erde trug.

Weiß ich doch, wie mir selbst zu Muthe war, als 1817 am Reformationsfest alle Tugenden des großen Mannes, ohne seiner überwiegenden Schatten zu gedenken, von allen Seiten hervorgehoben und gepriesen wurden, und ich, damals ein 20-jähriger Jüngling am Frühmorgen des Tages eine Ode dichtete, aus der ich mir nicht versagen kann, hier einige Strophen herzusetzen, um Ihnen und allen unsern Lesern, insonderheit aber unsern jugendlichen Lesern zu zeigen, wie thöricht es ist, von der Begeisterung, die wir für einen sittlichen Gegenstand empfinden, auf dessen Trefflichkeit an sich zu schließen, wie gleich wohl die Jugend es zu Luthers Zeiten that, es zu meinen Zeiten that, und bei allen religiösen und politischen Neuerungen es noch heute thut.

* * *

Herzen, hundertmal tausend Herzen,
Werdet ein Herz, eine Empfindung Herzen,
Dennoch, dennoch könnt ihr nicht preisen Gottes
Vatererbarmung.

Und, du kannst es wagen, du kleiner Muskel?
Herr vergieb! du gönnest dem Sommerwürmchen,
Ja sein Schwirren, und dir entgeht es nimmer;
Unter den tausend –

Myriaden Stimmen, die Erd' und Himmel
Und die unermeßlichen Sonnen senden;
Vater, allerbarmender Wesenvater,
Hörst du das Würmchen!

Preis darum auch dir von dem kleinen Herzen,
Für die Freiheit Preis, für die Jesuslehre,
Für den Stolz der Menschheit, den theuren Bruder,
Luther den edlen! Vermischte Gedichte, erste Auflage. Greifswald 1824.

* * *

Wenn wir nun die guten Eigenschaften Luthers gerne und freudig eingestanden, so wollen wir uns aber auch seine bösen nicht verhehlen.

Unter ihnen stand ein grenzenloser, kaum jemals vorgekommener geistlicher Hochmuth oben an, und war fast die einzige Quelle aller seiner Sünden.

»Von meiner Sach aber« schreibt er an den Churfürsten Friedrich unterm 5. März 1522 Bei de Wette II, 138.: »gnädigster Herr, antwort ich also: E. K. F. G. weiß, oder weiß sie es nicht, so laß ich es hiermit kund sein: daß ich das Evangelium nicht von Menschen, sondern allein vom Himmel durch unsern Herrn Jesum Christum habe, daß ich auch wohl hätte mügen (wie ich denn hinfort thun will) einen Knecht und Evangelisten schreiben,« und ganz ähnlich in dem Sermon wider den falschgenannten geistlichen Stand. Alt. Ausg. II. fol. 162.

»Bin deß gewiß, daß mich Christus selbst also nennet (einen Evangelisten von Gottes Gnaden) und dafür hält, der meiner Lehre Meister ist und auch Zeuge sein wird am jüngsten Tage, daß sie nicht mein, sondern sein lauter Evangelium ist.« Ferner:

»ich bin gewiß, daß mein Wort nicht mein, sondern Christus Wort sei; so muß mein Mund auch deß sein, deß Wort er redet.« Alt. Ausg. Tom. II. fol. 82. b.

Aehnliche Beispiele dieser Art sind theils schon vorgekommen, theils werden sie es noch.

Bei einem solchen Hochmuth war denn die Schmähsucht, welcher er sich in rein maßloser und wirklich pöbelhafter Weise hingab, und die oft mit einer absichtlichen und gewissenlosen Verzerrung der katholischen Dogmen Hand in Hand ging, nicht zu verwundern.

Ich habe bereits im Allgemeinen bemerkt: daß man ihn protestantischer Seits immer mit der unhistorischen Bemerkung zu entschuldigen sucht, jene anstößige und gemeine Ausdrucksweise habe in seiner Zeit gelegen. Wie falsch dies aber sei, geht nicht bloß daraus hervor: daß ihm der Kurfürst öfter diesen pöbelhaften Ton verwies, wogegen er sich dann auf seine Weise zu entschuldigen sucht oder ihn auch geradehin einräumt und Besserung verspricht, z. B. Alt. Ausg. II. fol. 843. sondern daß auch sogar viele seiner anfänglichen Freunde ihm wiederholt diesen Vorwurf machen, z. B. Erasmus, Capito u. a. m. bei de Wette II S. 49. vergl. IV. 276. und S. 211. Der Brief an den Bürgermeister in Magdeburg, welcher ihm dieselben Vorwürfe gemacht hatte, und an Hans von der Planitz S. 305 u. s. w.

Noch sträflicher jedoch war der unbeugsame Stolz, mit welchem Luther auf seiner Meinung beharrte, er mochte sie als falsch erkennen oder nicht. Mag der Grund dieses Trotzes auch ursprünglich in seiner verwahrlosten Erziehung zu suchen sein, indem er irgendwo erzählt, daß er in der Schule zu Mansfeld einmal an einem Vormittag 15-mal hintereinander mit Ruthen gestrichen sei, und die Geschichte der Pädagogik zeigt, daß nichts mehr im Stande ist diesen Makel des Charakters hervorzubringen und zu begründen, als eine übertrieben strenge Behandlung in der Jugend; – so trat sein Trotz doch nicht selten auf so horrende Weise hervor, z. B. in den Streitigkeiten über die Lehre vom Abendmahl und der Buße, daß ich ihn mit gar nichts zu entschuldigen weiß. Denn wurde er von seinen Gegnern durch die Bibel, worauf er doch sonst immer provocirte, z. B. in der Lehre von der Rechtfertigung, mit den augenscheinlichsten Stellen von seinem Irrthum überzeugt, so gab er dennoch nicht nach, verwarf in diesem Fall das eine oder andere kanonische Buch, z. B. den Brief des heiligen Jakobus, den er eine stroherne Epistel nannte, oder wohl gar die ganze Bibel, indem er sprach: »Du Papist pochest fast (sehr) mit der Schrift, welche doch unter Christo als ein Knecht ist, daran kehre ich mich gar nichts. Ich aber trotze auf Christum, der der rechte Herr und Kaiser ist über die Schrift. Ich frage gar nichts nach allen Sprüchen der Schrift, wann du ihrer noch mehr wider mich aufbrächtest, denn ich habe auf meiner Seiten den Meister und Herrn der Schrift, mit dem will ichs halten, er wird mir nit lügen noch mich verführen, ihm will ich lieber die Ehr geben und glauben, denn daß ich mich mit allen Sprüchen um ein Haar breit bewegen lassen wollte.« Wittenberger Ausg. Tom. I. fol. 147.

In Folge dieses Trotzes erzeugte sich denn bei ihm ein unversöhnlicher und fast dämonischer Haß gegen seine Feinde, und wenn sie ihm früher noch so nahe gestanden und so werth gewesen waren, z. B. Agricola und Carlstadt. Sein unversöhnlichster Feind war und blieb jedoch der Pabst, und ich möchte eine Wette eingehen, daß auf den circa 8-9 tausend Folioseiten der Altenburger Ausgabe seiner Werke auch durchschnittlich nicht zwei sind, auf welchen nicht die Wörter »Pabst und Teufel« vorkommen. Selbst in der schmerzhaftesten Krankheit, die doch fast Jedermann sanft zu stimmen pflegt, in Erwartung des nahen Todes, von den fürchterlichsten Steinschmerzen gefoltert, rief er zum Abschiede den in Schmalkalden versammelten Predigern noch nach: deus vos impleat odio Papae! (Gott erfülle euch mit Haß gegen den Pabst) Matthesius in seiner 12. Predigt von Luthero p. 138 vergl. Ratzenberger a. a. O. S. 105. Dem Herausgeber der Alt. Ausgabe der luther. Schriften, Sagittarius, ist dieser Spruch so christlich vorgekommen, daß er ihn auf dem Titelblatt des ersten Theils illustrirt hat darstellen lassen., und wenn auch in seinen früheren Briefen und Schriften Züge vorkommen, wo ihm der Tadel oder der Abfall eines angesehenen Mannes einen menschlichen Schmerz erweckte, z. B. der Abfall eines Erasmus, so schien er doch in den letzten Jahren seines Lebens völlig einem wilden, gereizten Thiere zu gleichen, das bei jeder Bewegung, die ihm gelten könnte, blindlings mit furchtbarem Brüllen emporspringt, so daß er kurz vor seinem Tode von sich selbst sagen konnte: »ich bin frei von Geiz, und vor der Begierde schützt mich mein niedergebeugter Körper, nur der Zorn allein ist noch übrig. Seckendorf in histor. Lutheran. lib. III. § CXXXIV.

Was nun seine Trunkfälligkeit noch anbelangt, so dürfte sie außer dem bereits Gesagten, und den Zeugnissen mehrerer protestantischen Zeitgenossen, die ich jedoch der Kürze halber übergehe, aus folgendem Selbstgeständniß hervorgehen, das sich in einem schauderhaften Briefe an den schwermüthigen Hieronymus Weller befindet. Nachdem er nämlich ihn geradehin aufgefordert, reichlicher ( largius) zu zechen, zu spielen und zu scherzen (kurz vorher hat er ihm Damengesellschaft vorgeschlagen) und also ( adeo) irgend eine Sünde zu thun, um seinen Haß und seine Verachtung gegen den Satan an den Tag zu legen, fährt er von sich selbst also fort:

»Aus welcher Ursache meinst du sonst, daß ich den ungewässerten ( meracius) Wein Die lateinischen Comparative sagen aber noch mehr, und sind hier kaum in gutem Deutsch wiederzugeben. trinke, allzu ungebunden ( liberius) schwatze ( confabuler) und öfter mich voll fresse, ( commesser) als um den Satan zu verspotten und zu plagen, welcher sich gerüstet hatte, mich zu plagen und zu verspotten. O daß ich könnte irgend eine ausgezeichnete ( insigne) Sünde begehen ( designare) In diesem Sinne bei Terenz und Horaz, z. B. quid non ebrietas designat d. i. was begeht nicht die Trunkenheit? ja wohl, was begeht sie nicht! – blos, um den Teufel zu verspotten, damit er einsähe, daß ich keine Sünde anerkenne, und mir keiner Sünde bewußt binde Wette a. a. O. IV. S. 188 ff. Ist hiernach noch die Theologie des rothen Vagabonden im vorigen Briefe verwunderungswürdig?

Aus dieser Trunkfälligkeit ist es denn auch einzig zu erklären, daß er über die wichtigsten dogmatischen Fragen der Zeit, den einen Tag so und den nächsten wieder anders entscheidet. Eine solche war unbedenklich, den damals überall auftauchenden Wiedertäufern gegenüber die Frage über » die bedingte Taufe,« indem vorkommenden Falle nämlich, wenn man nicht weiß, ob Jemand schon getauft sei oder nicht.

Am 12. May 1531 verwirft er nach einer Berathung mit Melanchthon, wie er sagt, die bedingte Taufe in einem Schreiben an Wenc. Link, und bedankt sich zum Schluß für die Pomeranzen, die der Fragesteller ihm zum Geschenk gemacht; am 13. dagegen, also einen Tag darauf, in einem Schreiben an Andr. Osiander billigt er im Gegentheil die bedingte Taufe. Darum müssen die Pomeranzen schon in der Gestalt eines eben nicht hochwürdigen Bischofs ihre Wirkung gethan haben, zumal er am Schluß des Briefes bemerkt, daß er Kopfschmerz und Zittern in den Händen habe Da die Sache zur richtigen Beurtheilung Luthers so ungemein wichtig ist, setze ich hier seine eigenen Worte her. In dem Briefe am 12. heißt es: definimus, baptismum conditionalem simpliciter tollendum esse de ecclesia; dagegen in dem Briefe vom 13.: conditionalem baptismum non possum damnare.
de Wette a. a. O. Bd. IV. S. 254 und 256.
Interessant ist in der gedachten Beziehung auch der folgende Brief an seine Käthe vom 29. Juli 34, bei de Wette IV. 553: »Gestern hatt ich ein bösen Trunk gefasset: da mußt ich singen: Trink ich nicht wohl, das ist mir leid, und thäts so recht gerne und gedacht wie gut Wein und Bier hab ich daheime, dazu eine schöne Frauen, oder (sollt ich sagen) Herrin. Und du thätest wohl, daß du mir herüber schicktest den ganzen Keller voll meins Weins und ein Fläschen deines Biers, so oft du kannst.«
; denn sonst wäre eine solche Vergeßlichkeit doch rein unbegreiflich.

Und dies ist der Mann Gottes, der heilige, göttliche Luther, Gottes herzliebster Engel, der von der heiligen Dreieinigkeit bestallte Apostel, wie man ihn zum ehrenden Unterschied von den simplen Aposteln Christi nannte, da letztere ja nur von der zweiten Person in der Gottheit bestellt gewesen wären Arnold Kirchen- und Ketzergeschichte 2. B 16. 11. 5.; dies der Mann, auf dessen Wort ich und so viele Millionen den Grund ihrer Seligkeit bauen und gebauet haben!

Aber noch einmal bitte ich, schreiben Sie nicht der Verworfenheit des Herzens zu, was nur allein der Konsequenz seines tugendmörderischen Systems zuzuschreiben ist, wie wir im nächsten Briefe sehen werden. Jetzt lassen Sie uns weiter hören, wies unsern lieben Reisenden ergangen, und was unser Siegmund von Wittenberg zu berichten weiß:

Ankunft in Wittenberg.

Dieweil wir in eim Dorf vor Wittenberg von wegen dem bösen Wetter genächtiget, kamen wir zu guter Zeit am andern Morgen, so der Sonntag nach Weihnachten war, vor die Stadt. Doch war das Wetter also still und milde worden, daß die Lerchen sungen, und wir die Handschuhe am Sattelknopf hängen hätten.

So ist alldort ein klein Wäldlin belegen, der Speckt benamset, und trauten wir unsern Augen nit, als an sechs oder sieben feine, gewachsene Maide gar säuberlich in güldene und silberne Stücke gekleidet und alle ein Kränzel in den Haaren, daraus herfürsprangen, uns niedlich winketen, darauf anhuben auf dem weißen Schnee zu tanzen und ein Liedel zu singen, daß wir nur halb verstunden, aber nachgehends vom Wirth lerneten. Und will ich hier gleich den ersten Versch, so mein Pfarrherr Er Johannes sich aufschriebe, notiren, dieweil er aus der Bibel Lutheri war hierüber bald der nähere historische Nachweis., die anderen hergegen hatten die Studiosi gemachet, und da sie gar unflätig und garstig waren, schrieb er sie nicht auf. Gedachter Versch aber lautete also:

O Gott durch deine Güte
Bescheer uns Kleider und Hüte,
Auch Mäntel und Röcke,
Fette Kälber und Böcke,
Viel Weiber, wenig Kinder;
Denn kein lieber Ding uf Erden
Als Frauenlieb, wem sie mag werden.

Und kehrete bei jeglichem Versch oder Gesäß, sothaner Abgesang: »denn kein lieber Ding etc. etc.« wieder, wobei sich die Metzlein dann immer die Hände reicheten und mit geschwungenen Armen niedlich gegen uns wincketen, daß wir näher kommen söllten.

Da hielten wir Alle vor Verwunderung die Klepper an, und riefen aus eim Halse: sehet »was ist das!« – Spricht der alte Franciscus: ich achte es sind daemones succubi weibliche Dämonen., so hier etwan ihre Hexenküche oder gar den Kochheerd der Hölle haben, anerwogen der Rauch an vielen Orten wie ein Wesebaum hoch und gerade über dem Busch gegen Himmel stieg. Aber Er Johannes sprach: es werden wohl unzüchtige Metzen sein, wie ich befahre. Solches verredete aber mein Franciscus: und woher ein Metzlein so stattliche Kleider gewinnen sölle, wie ein fürstlich Fräulein? Wir söllten doch nur sehen, wie sie in güldenen und silbernen Leibchen und seidinen Röckleins blitzeten und glitzerten von allerlei Farb, so daß kein Meßgewand schöner und säuberlicher anzuschauen wär. Solches war wahr, und darumb sprach ich zu meim Knecht Claus: reut einmal über den Graben, und frag das Weibervolk, wer sie wären und was sie wöllten?

Aber mein Claus saß so blaß auf seim Gaul, wie ein weißes Huhn, und gab zitternde zur Antwort: Nein, um Alles in der Welt, das thät er nicht, wölle gerne vor mich durchs Feuer reuten, aber dem lebendigen Teufel ritt er nicht in den Rachen; denn es wären ohne Zweifel junge Feldteufel, wie sie sein Gevatter Pelpow in Altensteig eins Tags auch gesehen, und darob sich also entsatzet, daß er eines jählichen Todes gestorben.

Da lacht ich und wollt selbsten hinreuten, als uns etliche Studiosi, so aus dem Busch traten, aus unserm Traum verhalfen. Hatten volle Gläser in den Händen und riefen: so kommet doch her Gesellen, lasset uns ein evangelisch Zechen halten:

kommt, der Kessel dampft
Und die Mädel sind sanft!

Aber wir gaben ihnen keine Antwort, sondern ritten flugs unserer Straßen in die nahe Stadt, allwo ein Jeglicher so uns begegnete, Männer, Weiber, Kinder, die Wort: verbum dei manet in aeternum (das Wort Gottes bleibet in Ewigkeit Diese Narrheit fing zuerst der Churfürst Johannes auf dem Reichstag zu Augsburg im Jahre 1530 an, wo seine zahlreiche Dienerschaft mit den Anfangsbuchstaben des obigen Spruches, nämlich V. D. M. I AE auf dem Aermel erschien, weshalb die Katholiken sehr witzig übersetzten: »das Wort Gottes bleibet im AermelCoeleslinus hist. aug. conf. pag. 122. auf den rechten Aermel genähet hatte, etliche mit güldenen oder silbernen, etliche nur mit seidinen oder linnenen Borten, je nach ihrem Vermögen. Und ging mir jetzo erst der Sinn bei von eim alten Spottliede auf die Evangelischen, darinnen es heißt:

Des Luthers Wort leuchtet so sein,
Gleich als ein milder Wetzestein;

denn ich werd gewahr wie die Buben ihren gelben Schnabel hin und wieder auf dem Aermel wetzeten, und bei etzlichen das verbum dei schon ganz überzuckert war. Doch obschon alle das Wort Gottes so nahe hätten, sahen wir wenig Andacht, anerwegen sich die Buben hie und dorten balgeten, die Alten hergegen stunden und schwätzeten, oder Kaufmannschaft trieben. Item wie die Aermel hatten viele Häuser dieselbe Inschrift, viele aber auch Streuens hin und her eine andere. Und dieweilen Er Johannes sich nachgehends etliche ebenmäßig abgeschrieben, will ich sie allhie notiren. Bei eim Schuster stund:

Ein Calvinist, ein böser Christ;
Und wer da ist ein Calvinist
Viel ärger ist, denn ein Papist.

Item bei eim Kramer gar groß:

Der Pabst, der ist der Antichrist!
Sein Lahr und jus canonicum
Ist des Teufels Lahr in einer Summ;
Drum willtu nit des Teufels werden,
So flieh ihn hie auf dieser Erden.

Item bei eim Zimmermann, der sich ein neu Haus gebauet:

Dies Haus aufs Neu gebauet ist
Zu Lob dem Herren Jesu Christ,
Desgleichen nicht gewest bisher,
Das unbeschmeißt gefunden wär
Vom Pabst und seiner Gräuel Gift,
Die er in allem hat gestifft.

Item bei eim Schulmeister:

asseruit Christum divina voce Lutherus
cultibus oppressam restituitque fidem.
Göttlicher Stimme voll hat Luther Christum verkündigt, Bringend den Glauben zurück, welchen der Cultus verhüllt.

Item bei eim Maler, war der Papst über der Thüre abgebildet, saß uf seim Stuhl, hatt einen Weihrauchhaufen in der Hand, pfui! ich sprech nit welchen, und drunten stunden die Wort:

In aller Teufel Namen sitzt
Allhie der Pabst, offenbaret itzt,
Daß er sei der recht Widerchrist,
Der in der Schrift verkündigt ist. Diese Verse sind von Luther selbst.
Spangenberg wider die böse Sieben aus Teufels Karnöpfelspiel (ohne Seitenzahl). Bogen A. a. i. j.

Als wir nu bei unserm Wirth Leonhard Köppen »zur güldenen Bibel« fürsprachen, verwunderten wir uns, daß die Bieramseln uns aus der Gaststuben hell entgegenschlugen, da es doch Sonntag war und der Gottesdienst für der Thür. Aber mein Köppen gab hierauf Nichtes zur Antwort, sondern zuckete nur mit Achseln. Doch als er hörete, wie Er Johannes hieß, und daß er ein Sohn sei von dem alten Förster Forst, den er wohl gekennet, item, daß er ein Priester vom alten Glauben wär, item wir andern ebenmäßig auch katholisch gesonnen, freuete er sich, und ward widder weich wie ein alter Stockfisch. Als wir dieses verspüreten und uns erkundigten wie das Ding mit den Metzleins gewachsen, gab er zur Antwort: daß dies böse Maide wären, so fast alle Nonnen gewest. Denn was eine ausgesprungene Nonne wär, käme gen Wittenberg, daß der Lutherus ihnen Männer schaffen sölle. Hätte auch gar viele verfreiet, ja selbsten eine Nonn genommen, wie Männiglich wisse; dieweil es aber unmöglich sei, alle unter die Haube zu bringen, ergriffen sie ein ander Handwerk.

Ob denn Lutherus so großen Gräueln nicht steure?

Vermöge es nicht. Hätte noch letzlich einen Anschlag an das schwarze Brett erlassen, Der Anschlag steht Alt. Ausg. VIII. fol. 343. Aehnliche des gejammten akademischen Senats in Wittenberg, welche über die dortige studirende Jugend, ihre obscönen Kleidertrachten und Tänze, ihre Pasquille und ihre Verachtung der Geistlichkeit Zeter schreien, findet man in » Miscellanea Stephani Riccii« (ohne pagina), hinter dessen Ausgabe von » Melanchthonis argum. et dispos. rethor. in eclogas Virgilii.« Das Drolligste ist, daß die Studenten in 3 oder 4 dieser Anschläge aufgefordert werden, zum Zeichen ihrer Ehrfurcht gegen die Geistlichen in die Kirche zu kommen, und für dieselben an einem bestimmten Tage Mann für Mann Geld zu opfern, ( singuli sua munera hodie declarandae reverentiae causa ad aram afferant.) So war die allgemeine Verachtung der Geistlichkeit sogar bis an die Häupter der Reformation gedrungen! daß die Studiosi nicht mit denen Specktjungfern verkehren söllten, aber sie hätten sich zu Nacht uf den Augustinerhof zusammengerottet und ihme höhnisch sein eigen Liedel fürgesungen, so er in seine Bibel geschrieben, und wozu sie noch mehr Versche gedichtet, so jetzunder schon die Gassenjungen in der zückenden Leberweis d. h. nach der Melodie. So drückte man sich mit den Meistersängern aus, z. B. in der krummen Zuckerweise, in der gelben Löwenhaut-Weise, in der Schreibpapier-Weis u. s. w., womit auch zugleich das Metrum bezeichnet ward. süngen.

Hierauf recitirete er uns das ganze Liedel zu gemeinem Abscheu, und als wir frageten: woher er wisse, daß Luther den ersten Versch gedichtet und sogar in seine Bibel geschrieben? gab er zur Antwort:

Durch Mag. Agricola. Denn als Lutherus ihme bei seiner Reis nach Schmalkalden Haus und Hof, Weib und Kind übergeben, verehrete er ihm bei seiner Heimkehr zum Dank seine Bibel, in welche diese Wort mit Lutheri eigener Hand zu proverbia 31, 10. geschrieben waren. Nachgehends, als sich Beede von wegen der »guten Werk« erzürneten, zeigte mein Magister aus Rach diese Wort gar Vielen, und verehrete die Bibel selbst dem Bischofen von Augsburg, der sie nach Rom gesendet haben soll Wo sie sich gegenwärtig noch auf der Vaticanischen Bibliothek befindet. Das Letztere erzählt der lutherische Geistliche Christian Juncker in vita Lutheri p. 225. und kann trotz seiner Bewunderung für den großen Reformator doch nicht umhin, jene Zeilen » ineptias Lutheri ingenio plane indignas« zu nennen..

Aber woher denn die Metzlein das Geld überkämen, daß sie in also kostbaren Kleidern, wie geborene Fräulein einherstolziren könnten?

Diese Kleider hätten sie sich aus denen alten Meßgewändern genähet, so ihnen ihre Buhlen aus allen Theilen im teutschen Reich herbeischleppeten. Auch aus der hiesigen Pfarrkirchen, obschon Lutherus den Befelch geben, daß sie söllten aufbewahret werden, wären die besten abhanden gekommen und gestohlen, und wie man meine, von den Fürstehern selbsten, anerwogen die Specktjungfern allhie ganz ander Zusprache hätten, denn allein von armen Studenten. Wie entsetzlich schnell das Sittenverderben gleich nach der Reformation in Wittenberg einriß, bezeugen viele Briefe Luthers aus seiner ersten Periode. Man sehe insonderheit an Spalatin vom 26. December 1522 bei de Wette II 271. In diesem Briefe legt er aber merkwürdiger Weise nicht dem Teufel, wie sonst immer, die Schuld bei, sondern dem Churfürsten: quod suo sumptu (peccata) et instituta sunt et foventur maxime.

Und als wir nu die Hände zusammenschlugen, sprach er weiters: das wäre noch Nichtes; das Allerärgste wär, daß allhie in Wittenberg kein mannbar Mädel aufzufinden, beides fürnehm und geringe, so das Kränzlein ihrer Jungfernschaft noch wahrnähme. Läsen sich frei Lutheri »Verachtung der Jungfernschaft« für, die bekanntlich an vielen Orten seiner Schriften vorkommen. Insonderheit sehe man Altenb. Ausg. II. 182. u. 218., und liefen erstlich nur heimlich und des Nachtes, jetzunder schon frei und am hellen Tag bei den Studenten auf die Bude, und trügen selbigen ihre Liebe an, daß es eine Schande sei, und etzliche Väter ihre Töchter schon in ein düster Kämmerlein gesperret, wie man sage, dieweilen sie nicht mehr zu halten, und sprächen: die Werke wären nu abgethan, wie Jedermann wisse, und hätten sie den wahren Glauben, würden sie doch selig. Auch diese Stelle enthält leider die reine Wahrheit. Man höre, was Luther am 22. Januar 44 an den Churfürsten Johann Friedrich schreibt:
»So ist das Maidevolk kühne worden, laufen den Gesellen nach in ihre Stüblin, Kammern und wo sie können, bieten ihnen frei ihre Liebe an, und ich höre, daß viel Eltern selber ihre Kinder heimgefordert und noch fordern und sagen: wenn sie ihre Kinder zu uns schicken ins Studium, so hängen wir ihnen Weiber an den Hals – daß diese feine Schule einen bösen Namen bekommet. de Wette V. 615.

Aber solches wäre nit zu verwundern, anerwogen es in Luthers Haus nicht gerechter stünd. Kämen alle Wochen Metzlein aller Art und gäben sich für Nonnen aus, wenn sie auch in eim gar andern Kloster gewest wären, denn in eim Jungfernkloster. Solche Metzlein hätten ihme einen gar bösen Namen gemacht, insonderheit eine, so sich Rosina v. Truchses genennet, aber ein gemeine Bürgerstochter gewest wär. Selbige Rosina hätt er vor etzlicher Zeit in seine Wirthschaft genommen, wär aber allda schweres Leibes worden, und dieweilen sie ihne heimblich bestohlen, auch in der Stadt und sonsten bei den Priestern uf dem Lande in bösen Leumund gebracht, item ihre Frucht auf unmenschliche Weis hätte ertödten wöllen, wäre mein Lutherus in also steife Wuth gerathen, daß er sie hätte mit seim Hausknecht und altem Bedienten säcken und lebendig in die Elbe stürzen wöllen, aber durch die Vorbitte seiner Hausfrauen und daß er doch bedenken sölle, er wär ein Priester, wär er anders Sinnes worden, hätte den Sack widder ufgemacht, und sich begnüget, das böse Metzlein nur aus dem Hause zu jagende. Man sehe über diese Rosine den Brief Luthers vom 29. Januar 1544 an den Richter Göritz in Leipzig, zu dem sich das unglückliche Geschöpf geflüchtet hatte. de Wette V. 624. Einige Blätter darauf wird ihrer noch einmal erwähnt, was Alles ich hier kurz zusammengezogen habe. Ueber das Ersäufen schreibt er wörtlich: nisi essem verbi minister dudum curassem ei caleum. Nec scio, an adhuc facturus sim, ita urit me ista irrisio Satanae.

Auch söllten wir nicht vermeinen, sprach unser Wirth weiters, daß die Eheweiber es allhie besser macheten. Folgeten der jungen Maidewelt nach, und wo ein schöner Studente wär, suchten sie ihn zu fahen, stolzireten auch also schaamlos in ihren Kleidern einher, daß wie Männiglich wisse, Lutherus es nit länger hätte ertragen können, sondern aus Wittenberg geloffen wär, und es wenig gefehlet, daß er jemalen widder umbgekehret. Denn ihme hätte das Frauenzimmer uf seine Strafpredigten, so er alle Sonntage gethan, und drinnen er die ärgsten mit Namen genennet, letzlich verhöhnet, ja etzliche, wie es hieß, ihme unter die Augen gesaget: er mache es ja selbsten nit besser, und hätte ja auch eine Nunn gefreiet; darumb: hätte er sich und seine Käthe ohne Pabst und Bischof absolviren können, könnten sie sich auch absolviren ohne Luther und Melanchthon.

Summa: am andern Morgen war mein Lutherus wegk, und die ganze Stadt in Aufruhr. Niemand wußte, wo er gestoben, bis er nach etzlichen Tagen an sein Käthe schriebe, und dieweil ich Narre sie aus dem Kloster zu Nimptsch einst erlöset, item den Frauenswerber bei ihr gespielet, und sie darumb noch immer ein steif Vertrauen zu mir hat, kommet sie mit dem Zeddul zu mir geloffen, worin ihr Eheherr ihr vermeldete: daß er nimmer widder in dies Sodom und Gomorrha zurückkehren werde. Er wölle umherstreifen, und ehe das Bettelbrod essen, ehe er seine armen, alten, letzten Tage mit dem unwerdigen Wesen zu Wittenberg martern und verunreinigen wölle, mit Verlust seiner sauren, theuren Arbeit Wörtlich de Wette V. S. 753. Der Brief ist Ende Juni 1545 geschrieben. Armer Luther!. Hierauf geb ich ihr den Rath zum Kurfürsten zu fahren, daß er den bösen Handel schlichten müge, als sie denn auch gethan, und dieser nachgehends durch seine Gesandten den Lutherum bereden lassen, daß er widder heimkehre, denn: wie die Katholischen jubiliren würden, wann er auf seinem Kopf bestünde!

Als mein Leonhard solches gesprochen, so verwunderten wir uns allzumalen, daß er Luthers Käthen aus dem Kloster verholfen, ja ihren Freienswerber gespielet, worauf er zur Antwort gab:

Nicht alleine sie, sondern noch 8 Nonnen dazu hab ich entlediget, und die alte werdige Abbatisse genug mit dem blanken Schwert geängstiget. Aber ich war ein junger Geselle ihr Herren, und gläubete Gott und meinem Nächsten einen Dienst daran zu thun, wie mir Lutherus eingeredet; war auch ein so einfältiger Tropfen, daß ich meine gute Wirthschaft in Torgau verkäufte, und dem Luthero anhero in dieses Sodom gefolget bin.

Hiemit ginge unser Wirth an ein Schränklein und langete zween Briefe von Lutheri eigener Hand herfür. Und priese selbiger in dem ersten den Nonnenraub, als ein Gott wohlgefällig Werk »so alle, die es mit Gott hielten, für großen Frummen preisen würden« nannte ihne darin einen »seeligen Räuber,« gleich wie Christus auch ein Räuber in der Welt gewesen, da er durch seinen Tod dem Fürsten der Welt seinen Harnisch genommen.

In dem anderen Brief Der erste Brief steht bei de Wette II. S. 320 ff. Der zweite jedoch ist in allen früheren Ausgaben der lutherischen Schriften wohl aus Schaam übergangen, kommt aber dennoch schon in der Eislebenschen von 1564 Thl. II. fol. 217. a. vor, von wo er in die Altenburgische Thl. II. fol. 903. b. übergegangen ist. Er ist datirt vom Sonnabend nach Trinitatis (17. Juni) 1523. Bei de Wette III. S. 9. hergegen nennt er ihn spöttisch seinen Prior, spricht: er sei seiner Metzen (verstehe die Catharina v. Bora) in die Zöpfe geflochten, und möge mein Köppen, wann Lutherus das prandium gebe, seiner Braut doch gut Zeugniß helfen geben, daß er ein Mann sei.

Darüber schmunzelte Er Johannes und sprach: was Lutherus mit dem Zeugniß geben sagen wölle? worauf mein Leonhard aber ebenmäßig schmunzelte und zur Antwort gab: das wölle er nu geradezu nicht ausschwätzen.

Aber um Gotteswillen, ob denn keine rechtschaffene Leute mehr in Wittenberg vorhanden wären?

Wären alle Wege noch fürhanden, aber fürchteten sich, für Papisten gehalten zu werden, wenn sie dem Uebel zu wehren versuchten. Und ein Papist wär allhie ärger, denn ein Vatermörder. Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, Geiz, Wucher Luther an Justus Jonas unterm 18. Juni 43. bei de Wette V. 43. si dimidia civitas adulteriis, usura, furtis, dolis, fraudibus perdita sit, nemo judicat. Omnes paene rident, vel ipsi potius consentiunt et faciunt., Summa: alle Laster würden verziehen und gingen offen im Schwange, also daß ein Jeglicher, wenn ihne nur selbst der Schaden nicht betroffen, darüber sein Gespötte triebe, umb seinen Haß gegen die Werkgerechtigkeit zu offenbaren: wer sich aber als Papist verspüren ließe, der müße sicherlich, wenn er nicht zu Tode geschlagen würde, Haus und Hof verlassen. Darumb überwachten die Pfaffen einen solchen wie der Henker den Gefangenen, insonderheit ob er das Nachtmahl unter beiderlei Gestalt genöß. Item kämen sie Freitags um die Mittagszeit unversehends in das Haus, und bäten sich zu Gaste. Wäre nu Fleisch fürhanden, so wärs gut, wäre kein Fleisch fürhanden, so wärs ein sicher Zeichen, daß der Mann noch ein heimlicher Papist sei und die Fasten hielte. Also wärs ihm selbsten ergangen, daß ein Pfaff des Freitags kein Fleisch bei ihm vorgefunden, und wann er von jehero nicht mit Luthero so gut verkehret, würd es ihme gar übel ergangen sein. Seit der Zeit sei er fürsichtig geworden, und lasse 5 gerade gehn, denn es hülfe doch nicht gegen den Strom zu schwimmende. Denn also groß wär die Lästerung, daß wenn die Priester bei eim Hausvater auch in Wahrheit Fleisch fänden, und er etwan nur hie und dorten merken ließe, daß ihn das wüste Leben in der Stadt verdröß und selbsten ein stilles Leben führete, das Volk alsbald schriee: er wär ein werkgerechter Wiedertäufer, und ihme nit zu trauen, er möge Freitags Fleisch fressen oder nicht. Wizel (Protestant) epist. ad M. B. F. M. 3 a. N. a. Uebrigens sagte Luther selbst, daß die Wiedertäufer ihr Hauptargument gegen die luther. Lehre von der Sittenlosigkeit der Wittenberger hernähmen. Colloquia, meditationes etc. ed. Rebenstock II. 35. Darumb wär auch die stille Wuth unter den alten heimlichen Papisten so groß, daß sie dem Luthero zum Schabernack thäten, was sie könnten, wie denn ein solcher vor etzlicher Zeit einen Raben abgerichtet, welcher Luthero auf der Straßen nachgeflogen und immer »Saumärtel, Saumärtel« geschrieen, ja vor etzlichen Sonntägen sich in die Linde von der Pfarrkirchen gesetzet, und vor den Augen und Ohren der ganzen Gemein sein Liedel wiederhohlet als Lutherus ankommen, woruf selbiger in einen also steifen Zorn gerathen, daß er 10 Gülden ausgeboten, welcher ihme diesen Satansvogel todt oder lebendig brächt. Wüßte nicht, ob es geschehen, gläube es aber nicht, denn sonst würd er es sicher in Erfahrung gezogen haben.

Als wir nu alle vor Verwunderung uns ansahen und nicht wußten, was wir zur Antwort geben sollten, fragte Er Johannes: wie es denn allhie mit der hohen Schulen stünd, so zu seiner Zeit in so großem Flor gewest?

Das ist eben mein meist sorgen, sprach unser Wirth; denn dieweilen in jedem semestrio weniger studiosi Siehe ebenso Luthers Brief an den Churfürsten Johann Friedrich. kummen, anerwegen es nicht feihlen kann, daß die Aeltern nicht erfahren, wie es hie stehe, werde ich letzlich ein armer Mann werden, nachdeme ich Narr meine gute Wirthschaft in Torgau ufgegeben und dem Luthero gefolget bin. Und ebenmäßig sprach er weiters, stünd es allhie auch mit den anderen Schulen. Das Schulhaus selbsten wär zu eim Brodladen eingerichtet und darum schon vor etzlichen 20 Jahren der Fall fürgekommen, und auch jetzo noch, daß der Diaconus mit dem Küster alleine den Introitus sammt dem Kyrie in der Kirche singen mußten, dieweil kein Schüler fürhanden. Auch scheue sich Männiglich sein Kind studiren und an Leib und Seelen verderben zu lassen, wozu noch kam, daß etzliche Prädicanten, als Gabriel Didymus und andere öffentlich allhie geprediget: daß alle Studia gefährlich und verderblich wären, und man Schulen und Akademien abschaffen müsse, was denn dem Bürger gar wohl beiginge Epist. de Torgaviens. antist. Witembergae 1744, pag, 16.
Ebenso wurden in Rostock aus 4 Parochialschulen und in Stralsund aus 3 eine gemacht, ja in Wittenberg förmlich alle deutschen Schulen in den kleinen Städten aufgehoben. Grapes evangelisches Rostock S. 217. Zobers Geschichte des Stralsunder Gymnasiums S. 2. Ruhkopf Geschichte des deutschen Schulwesens I. 349. Erst später änderte sich der klägliche Zustand, und wurden aus den eingezogenen geistlichen Gütern, wie aus Legaten wohlmeinender Privatpersonen manche neue Schulen errichtet.
. Solches predigten auch alle Pfaffen auf den Dörfern, so Schuster und Schneider wären, anerwogen sie die gestudirten Prädicanten beneideten und haßeten, dieweil sie von ihnen verächtlich gehalten würden. Ursach wär aber widder Lutherus selbsten, anerwogen er vielmals gesprochen: die hohen Schulen wären werth, daß man sie alle zu Pulver machete. Nichts Höllischeres und Teuflischeres sei auf Erden kommen seit Anbeginn der Welt. Wörtlich in der Walchschen Ausg. XII. 45. vergl. IX. 862, VI, 2553 und an andern Orten. Daher auch Erasmus voll Entrüstung ausruft: »Nennt Luther nicht die ganze aristotelische Philosophie teuflisch? schreibt er nicht, daß alle Gelehrsamkeit, ( disciplinam) sowohl die praktische als die speculative verdammt sei? Und predigte auch nicht Pharellus hin und wieder öffentlich, daß alle menschlichen Wissenschaften ( disciplinas) Erfindungen des Teufels wären?« Epistel, ad fratres Germaniae inferioris p 4 a.
Darum fährt er an einer anderen Stelle fort: wo das Lutherthum herrscht, da ist der Untergang der Wissenschaft. Zweierlei sucht es nur, Einkünfte und Weiber ( centum, et uxorem), epist. select. ed. Freitagius pag. 34. Und er hat Recht: daß die Wissenschaften fortbestanden, verdanken wir nur den Fürsten.
Nachgehends, wann ihm das Ding leid würde, lehre er das Widerspiel, wie er denn immer pflege; aber dann wärs bei den Meisten zu spat. Item wär Melanchthon außer sich über diese tumme Lahr und spräch: solchen Pfaffen, die jetzunder aller Orten die Aeltern und die liebe Jugend von dem Studium abmahnen, müsse man die Zunge ausschneiden Corpus Reformat. I. 666. a. .

Ei, gaben wir hierauf zur Antwort: stehet das Ding durchgehends also liederlich, so wundert's uns, daß das Volk überall noch zur Kirchen und zum Nachtmahl gehet, dieweil ja Jeglicher, so den Glauben hat, auch den heiligen Geist in Pacht genommen: was gebraucht er des Nachtmahles, des Priesters und der Kirchen?

Spricht mein Leonhard: allhie in Wittenberg kommen sie noch, aber in andern Städten hör ich, seit man sie nit mehr aus dem Kelch saufen lässet, als viel sie wöllen, wird oft in 4, oder 6 Wochen kein Sakrament gehalten Wizel des Evangel. Luthers fol. 46. vergl. Luther selbst bei Walch V. 1576. X. 2666. XIX. 164 und a. a. O., und auf dem Lande ists noch ärger. Denn das Landvolk, das ehender so gut und gehorsam war, ist also verderbet und in allen Lastern versoffen, daß Lutherus mir selbst geklaget: es käme oft kein Bauer in die Kirch und der Pfarrer müsse ungepredigt lassen und heimbgehen, worüber die Junker sich ins Fäustchen lachten. eigene Worte Luthers bei Walch IX 2718. Ueber die gräßliche Verderbtheit des Landvolks konnte Melanchthon nach der Visitation von 1527 u. 29 nicht genug sich beklagen. Er nennt sie unter Anderem in einem Briefe an Myconius vom 5. Juni 1528 ( summam et intolerabilem maliliam Corpus Reform. I 982.) Und ebenso sagt der Protestant Rivius ( de stultitia mortalium I. pag. 32.), nachdem er die früheren Bauern gelobt: daß kein Laster so arg, keine Schandthat so groß sei, daß die jetzigen (1547) noch Scheu davor hätten.

Inmaßen es nu aber auf der Pfarrkirchen zum Hochamt So nannte man in protest. Städten auch wohl noch den zweiten vormittäglichen Gottesdienst, weil darunter das Abendmahl verreicht zu werden pflegte. zu lauten begunnte, sprach unser Wirth: nu kommet selbsten in die Gaststube, so ganz voller Bauern, Bürgern und Studiosen ist, damit meine Junker sehen, wieviel zur Kirche gehen werden.

Solches thaten wir, und brüllte uns gleich ein langer Studiox, wie ihn unser Wirth benamsete, mit geschwenketem Glase entgegen:

Wer greinen oder murren will
ut canes decet rabidos (so wie die tollen Hunde thun,)
Der mag wohl bleiben aus dem Spiel
ad porcus eat sordidos, (und bei den garstgen Schweinen ruhn!)
Hat nicht Lutherus selbst gelahrt:
qui non puellam amaverit, (Wer nie ein Mägdlein liebgewann),
Der bleibt ein Narr auf dieser Erd'
ut quisquis non potaverit. (Wie, welchem nie der Becher rann.)

Und thät hierauf dieser lange Bengel, der so grau wie ein alter Sack aussahe, etzliche fürwitzige Fragen an mich, als woher wir kämen, und so ich ihme auch beantwortete.

Hierzwischen waren die Anderen an den Tisch getreten, wo meine Bauern alle mit den Pudeln auf dem Kopf saßen und mit den Bürgern Biers soffen, etzliche auch in Würfeln spieleten.

Spricht Franciscus von Dietrichstein: höret, es läutet allbereits zum Hochamt, wollet Ihr nicht mit in die Kirche? ich höre, Dr. Pomeranus prediget.

Da schwiegen meine Bauern alle stille, bis letzlich einer spricht: sie wären nur zu Weihnachten in der Kirchen gewest: allzuviel wär ungesund, wollten lieber hier bleiben und den Fuchs schleppen War bei dem gemeinen Mann der damaligen Zeit ein beliebter Witz, welcher darin bestand, daß drei Personen aus einer Kanne Bier oder Wein dreimal ein Jeder einen Zug thaten, worauf der vierte den ganzen Rest ausschaffen mußte.
Das Zech- und Saufrecht im Schaltjahr vom Scheible Band IV. 632
.

Ob sie denn nicht mehr fleißig und gerne beten?

Auf diese Frag heben meine Bauern alle an zu schmunzeln, bis einer wiederum vor die übrigen spricht: was beten, was beten? es ist ein münchisch Werk! Mit Beten werdet Ihr wenig vor Gott schaffen.

Und dazu müßt ihm helfen Matth. 6. da der Herr der Phärisäer Gebet straft, item Joh. 4. da der Samariter Gebet getadelt wird. Auch stünde im Psalm: ihr Gebet wird zur Sünde. Das Beten stamme aus der Pfaffen Zeiten, in welchen es Gott angenehmer gewest, wie Lutherus sage, wenn ein Esel geschrieen, oder ein Kindlein geweinet hätt Wörtliche Entschuldigung in damaliger Zeit wegen des unterlassenen Betens. Wizel vom Beten, Fasten und Allmosen Eisleben 1535 B. 6. B 2. a. Er sagt sogar, daß in öffentlichen Predigten mit diesen Worten wider das Gebet gestritten sei. Ein wie tiefer Mann dieser Wizel übrigens war (anfangs ein Freund Luthers und von diesem zum Pastor in Nimegkh ordinirt, trat er wie Viele zum Katholicismus zurück und starb 1573 zu Mainz), geht aus folgender prophetischen Aeußerung von ihm hervor, die ich deutsch hersetze: Sollte das Lutherthum lange bestehen, so führt es seine Anhänger ins Heidenthum (?) und allmälig zur Lehre des Pythagoras, welcher an Gottes Dasein zweifelte, bald darauf aber zu der des Diagoras, welcher Gottes Dasein läugnete. Epislola ad M. B. F. M. 3. a. N. a.
O Strauß, Feuerbach, Bauer und Konsorten!
. Hierauf schlugen die Studiosi, welche mit dem langen Schalk 12 an der Zahl sein mochten, ein laut Hohngelächter auf, und einer sprach: ja, ja, ihr Herrn, die Bauern werden hier auch schon klug; wir schreiben nicht mehr anno 16, wo Alles uf die Knie fiel, wenn die Glocken lauteten, und ein Pfaff anhub zu plärren.

Als er solches gesaget, kam der lange Schelm widder auf mich zu mit eim vollen Glas, und sprach uf lateinisch:

Frater, bibit Adam, bibit Noah, bibit Abraham, biberunt prophetae, bibit Christus in nuptiis Canae Galilaeae, biberunt apostoli, bibit Doctor Martinus Lutherus Es tranken Adam, Noah, Abraham, die Propheten, Christus auf der Hochzeit zu Cana in Galliläa, die Apostel, es trinkt Dr. Martin Luther.; sauf aus Bruder; Alleluja! worauf die Anderen sungen:

Sauf oder lauf!
Wer nit will mitsaufen,
Mag zum Teufel laufen!

Ein solches war mir annoch nicht fürgekommen; ich wehrete darumb das Glas mit der Hand abe und sprach: mein Geselle, ich mache nicht in der ersten Viertelstunden Dutzbruderschaft; welches den Burschen also verdroß, daß er schriee: seht, der verfluchte Pix »Pech,« damaliger Spitzname (später Philister) für jeden Nicht-Studenten, insonderheit aus dem Kaufmanns- und Handwerker-Stande. Scheible a. a. O. 481. will nit einmal mit einem wittenbergischen Studio dutzbrudern. Wachte, dir will ich das katholische Fell besehen! worauf er das Glas uf den Tisch setzete, und alsogleich sein Stoßdegen zog. Und hatten die Andern kaum das Wort »katholisch« gehöret, als die ganze Stube auf die Beine sprang.

Nu war zum Unglück mein Claus, welcher saß und sein Frühstück käuete, auch herfürgesprungen, und ehe ichs verhindern mochte, hatt er den langen Bengel bei den Flügeln und schmiß ihn gegen den Tisch, daß es krachte.

Da zog die ganze Studentenschaft die Wehr, und stürzete uf meinen Claus ein, worauf ich auch das Schwert aus der Scheiden riß und mich vor ihn stellete, schreiend: stehe still! Aber er wollte nicht, schrie: mit den jungen Feldteufeln wärs was anders gewest; aber diesen Kerl, der also seinen Herrn verhöhnet, sölle der lebendige Teufel regieren. Was war zu thun? Wirth und alle Gäste, wehreten den Studioxen, worauf ich den Claus nahm, welcher bereits an den Händen blutete, ihn flugs aus der Thüren in eine Kammer schmiß, und den Riegel fürschob.

Aber jetzo kamen auch schon die Aeltesten der Studentenschaft, und forderten Satisfaction für alle zwölf. Ich sölle zum Speckt kommen; alldort wöllten sie uns zeigen, was ein Wittenbergischer Student wär. Item als sie sich noch also verrühmeten und mit den Degen umb meinen Kopf klirreten, ging die Stubenthür auf, und ein anderer Hauf kam brüllend herein und schrie: ob sie nu auch nicht mit in den Speckt kommen wöllten, die andern wären schon da; worauf selbiger Hauf ebenmäßig ein groß Geschrei erhube, als er hörete, was fürgefallen, und mich gleich den andern uf die Klinge fodderte.

Hiezwischen hatte schon Franciscus Dietrichstein mit dem Wirth gesprochen, welcher gesaget: Gebet den Gesellen eine Tonne Weins, so kommet ihr am besten aus dem Handel; darum erhob er seine Stimm und sprach:

Werthe Freunde, das Ding ist ja nit der Rede werth! Mein Waffenbruder allhie, der Junker Hager hat ja die Dutzbruderschaft mit nichten verschmähet, besondern nur gesaget, er trinke sie nicht in der ersten Viertelstunden. Aber was sein einfältiger Knecht verbrochen, muß er allerwegen büßen. Ich achte also, der Junker büßet den Feihl seines Knechtes mit eim Faß Weins, und meine Herren leben heute lustig. Denn wir seind hierher kommen in gutem Frieden, umb uns bei Luthero seins Glaubens zu erkundigen. Als sie Solches höreten, und insonderheit daß wir von wegen dem Glauben kommen wären, ließen sie sich Alles gefallen, nur der lange Bengel nicht. Kam darumb mit dem blanken Stoßdegen auf mich zu, und daß ich ihm stehen müge; wir wöllten den Handel hier gleich abmachen. Hierauf, und da alle Vermahnungen seiner Kommilitonen wie des Wirthes und derer Gäste vergeblich waren, rief ich: so macht Platz! Ihr sehet, daß ich gezwungen werd unter dem Hochamt mich meiner Haut zu wehren, und als nu alle wichen und mein Bengel sich auslegete, hauete ich dem mausigen, mürben Männlein also mit dem ersten Hieb die Parade durch, daß er gleich wie ein Schlachtochs zu Boden stürzete und wohl den Tod genommen, wenn ihn sein breiter Hut nicht geschützet, worauf ich mein Schwert stumm in die Scheide stieß, und aus der Thüren ging.

Das gab mir ein groß Ansehn für den Andern, also daß mir gleich etzliche gebücket in unser Stüblin folgeten: und ob ich ihnen nit gleich das Faß Weins durch den Wirth wöllte ins Spelt fahren lassen, auch etwan mitkommen und es verzehren helfen; denn Vater Vulkanus wär nit blos allda, sondern auch sein Weib Venus, darumb hätten sie je eher je lieber, auch den Freund Bacchus in der lustigen Gesellschaft.

Aber ich zog ihnen ein essigsaur Gesichte und gab zur Antwort: ich bin kein Specktgänger, und was das Faß Weins anbelanget, so sollet ihrs zum Nachmittag sicherlich haben, aber nicht anjetzo unterm Hochamt; Ihr thätet überall besser in die Kirchen zu gehen, denn in den Speckt.

Darüber lacheten sie, und huben an abermalen zu geilen von wegen dem Faß, und daß ich es doch alsogleich möge niederfahren lassen. Aber ich blieb bei meiner Sag, worauf sie letzlich auch ihrer Straßen gingen, ohne mich abermalen herauszufordern. Die Verwilderung der Wittenberger Studenten war im Jahre 1543 so groß, daß Luther sich gegen Spangenberg äußerte, wenn von den zweitausend jungen Leuten, die dort sich – aufhielten, nicht 100 oder 200, sondern nur zwei oder drei rechtschaffene Theologen würden, schon Gott dafür zu danken sei.
Nach einer Aufzeichnung Spangenbergs in Brönnebergs vaterländischem Archiv des historischen Vereins für Niedersachsen 1840 S. 413, 14.
Außerdem kommen unzählige Klagen über die Unsittlichkeit der damaligen Jugend in seinen Schriften vor, z B. bei Walch XI 3096, XII. 895, 789, 1227, in seinen Briefen bei de Wette und seinen ungedruckten Predigten, herausgegeben von Bruns, insonderheit S. 44 ff.

Und waren sie kaum aus der Stuben, kommt der Wirth mit unsern andern Gesellen eilends angelaufen: Und ob ich Lutherum sehen wölle, er müsse gleich uf seinem kleinen Rollwagen unter dem Fenster fürüber kommen. Denn da er ein Fontanellam am linken Schenkel hätt und der Licenciat Zendius ihne verdoktert, würd ihme das Gehen fast schwer, und müßten die Studiosi ihn darumb zur Kirchen schieben. Ratzenberger a. a. O. S. 88.

Und siehe, alsbald kam auch der fürchterliche Münch unterm Fenster in seinem Rollwägel fürüber; hätte einen schwarzen Chorrock an und ein schwarz Birett auf dem Kopf. Sah fast sauer aus: sein Nas war kupfericht, mit blauen Adern hin und wieder, das Haupt gar dicke, und zwischen den Beinen hielt er ein Stecken, über welchem er die Hände gefaltet, und stier vor sich niedersahe. Drei Studiosi zogen den Wagen vorne, und drei schoben hinten nach.

Darumb beschlossen wir ihme gleich in die Kirche zu folgen, ob wir etwan wieder den Raben auf dem Kirchhof fänden. Aber der Rab war nicht fürhanden; wohl aber hatten die Zimmerleute Holz ufgefahren, und bicketen dran mit dem Blattbeil, lacheten und schwätzeten, hergegen andere mit den beschlagenen Balken polterten und selbige uf die frischen Gräber wurfen.

Als das mein Lutherus sähe, gerieth er in einen steifen Zorn, ließ anhalten und schalt gar heftiglich. Doch verstunden wir ihn nicht bei seiner weichen Stimm, da wir noch allzu fern waren, auch der Schnee unter unsern Tritten gar heftig knarrete, anerwogen es wieder Frostwetter worden. Höreten aber, daß der Meister anhub zu widerbellen: er wär nur mit allen Gesellen zu Weihnachten in der Kirchen gewesen, und alle Tage könne er nicht hineingehen.

So kamen wir nu näher und verstunden, daß Lutherus zur Antwort gab: so wölle er ihme was brauchen, daß sie dran gedenken söllten. Wer ihnen Macht geben, allhie unter der Predigt auf dem lieben Kirchhof, wo ihre Aeltern lägen, also zu poltern und zu handthierende, als wär's auf eim Schindanger und der Galgen nit ferne? Schelme wären sie, ungläubige Teufelsgesellen, so nit werth wären, daß ihnen das reine, lautere Wort gepredigt würd, und wenn sie nicht alsogleich die Axt ruhen ließen und nach der Predigt das Holz allhie fortschaffeten, wöll ers der Oberkeit klagen. Wer sollte abermals nicht glauben, daß diese Entheiligung des Sonntags und des Kirchhofs schon in so früher Zeit und unter den Augen des großen Reformators selbst, wieder eine Uebertreibung von meiner Seite wäre. Doch ist auch sie leider die lautere Wahrheit. Man sehe den Brief Luthers dieserhalb an den Bürgermeister in Wittenberg (ohne Datum) bei de Wette V. 250.

Aber Meister und Gesellen kehreten sich an Nichtes, lacheten hinter seim Rücken wie die Schelme, und feierten auch mit nichten unter der Predigt, wie wir alsbald drinnen an dem Bicken, Klopfen und Poltern genugsam verspürten.

Stelleten uns an einen Pfeiler dicht bei Lutheri Stuhl, der Kanzel gegenüber, und war ein Ziemliches an Volk in der Kirchen fürhanden.

Aber mein Doctor Pommeranus macht es fast lang, wozu noch kam, daß er Plattdeutsch predigte, wovon wir wenig verstunden. Doch vernahmen wir so viel, daß er auf den Kirchenschlaf, als eine gar schwere Sünde wider den heiligen Geist gar heftiglich donnerte. Und hätten sie selbst am heiligen Weihnachtsfest zu ihrer größeren Verdammniß solch satanisch Werk getrieben, anerwogen er nach dem Introitus selbst an die 15 verlorene Seelen, Männer wie Weiber von der Kanzel gezählet, so geschlafen, und eines Theils geschnarchet, daß es eine Schande gewest. Bei der papistischen Meß, obgleich sie kein Wort davon verstanden, hätte Niemand ein geschlafen, aber jetzo beim lieben, theuren Evangelium, so ihnen doch in ihrer eigenen Sprach verkündigt würd, schnarcheten sie wie die Kirchenratzen.

Als er nu widder auf seinen Text zurückekam, und allbereits an die sieben Viertelstunden geprediget, waren wieder Streuens her und hin in den Bänken viele entschlafen, was meinen Pommeranus also verdroß, daß er dem Küster zuriefe:

Meister Tehlke, nehmt eiß den Klindbüdelstähl un tippt dat Volk up de Näs; kiekt, wo de Höllenbessen all wedder schnorken! Meister Thelke, nehmt einmal den Klingebeutelstiel und tippt das Volk auf die Nase; sehet wie die Höllenbesen schon wieder schnarchen.

Aber Luthero war des Dinges auch überdrüssig. Hatte schon lange mit dem Hintern hin und hergerutschet, auch mit gerecktem Haupt draußen nach dem Stundenschlag gehorchet. Darumb, und als mein Pommeranus nach solchem Befelch sprach: »paßt upp, nu will ick't Ju noch ehes repetiren, wenn Ju schlapen hewwt,« Passet auf, nun will ichs Euch noch einmal repetiren, weil Ihr geschlafen habt. stunde Lutherus mit saurem Gesicht plötzlich auf, was meinen Priester also erschreckete: daß er des Repitirens vergaß, plötzlich »Amen« sagete und als er kaum von der Kanzel war, aus Lutheri Stuhl zuging, und demüthiglich fragete: ob den ehrwerdigen Vatern etwan wieder sein böser Schwindel angewandelt, daß er mitten in der Predigt ufgestanden, worauf Lutherus zur Antwort gab: also waret ihr erstlich in der Mitten? Herr Doctor, ich muß Euch auch die drei Reguln beim Predigen geben, so ich meinen Studiosis gebe, nehmts nicht für übel; es ist gut gemeint, und diese drei Reguln lauten:

1. tritt dreist auf,

2. sperrs Maul auf,

3. hör bald auf.

Als sich nu mein Pommer rechtfertigen wollte, sprach aber Lutherus weiters: gedenket, daß Ihrs in Hamburg so lange gemacht und nit das Ende habet finden können, bis eine werdige Matron, so immer vergeblich uf das Amen gehoffet, in der Kirchen entbunden ist. Ratzenberger a. a. O. S. 89 de concionibus Dr. Pommerani. Aber wer seind denn diese hier? sprach er auf uns zeigende.

So trat nu Er Johannes alsobald herfür: und ob der werdige Vater ihne nicht mehr kenne, anerwogen er anno 20 sein Famulus gewest? Er käme mit diesen beeden adelichen Herren, von welchen der Eine sein Patronus wär, um etzliche Fragen, die Religion betreffende, an den ehrwürdigen Vater zu richten.

Solches war ihm angenehme, lächelte niedlich, gab uns allen die Faust und sprach: er freue sich gar sehr, daß wir ebenmäßig trachteten aus der papistischen Finsterniß an das helle Licht des Evangeliums zu gelangen. Und möchten wir heute Nachmittag bei drei Schlägen zu ihme kommen. Er hätt ein gut Glas Eimbecker Bier, damals das berühmteste. Luther erhielt es seinen Briefen zufolge öfter von den Magistraten der reformirten Städte zum Geschenk. so daß er gläube, kein Fürst hätts besser; das sölle uns munden. Dr. Jonas käme auch von Hall herüber, item würden wir Mag. Philippum sehen, und Ihr Herr Doctor, sprach er zu meim Pommer, werdet Euch auch einstellen, wie ich verhoff.

Als er das gesaget, und Dr. Pommeranus mit uns Andern sich verneiget, winkete er den Studiosis, so ihn alsbald unter die Achsel griffen und widder an den Rollwagen geleiteten, in währendem wir uns noch die Kirche besahen, aus welcher die Nebenaltäre gebrochen, item die Bilder der lieben Heiligen gerissen, hergegen aber die Bilde von Luthero und Dr Pommerano nebst etzlichen anderen, so die Verbreitunge des Evangelii fürstellen sollten, ufgehänget waren. Meister Tehlke lief dabei immer mit uns, und schimpfirete auf die bösen Kirchenschläfer. Nein, er ginge doch alle Sonntag in die Kirche, aber diese schwere Sünde sölle ihme der Teufel nicht am jüngsten Gericht aufrücken! Es wäre ein fast gottlos Volk allhie in Wittenberg, aber Dr. Pommer söllte nur nicht sobald Amen gesaget haben, er hätte ihnen mit dem Klingelbeutelstiel schon also die Nase putzen wöllen, daß sie gegläubt hätten, der Teufel säße ihnen schon mit seiner Krallen darauf et caet.

Aber als wir zu Hause angelangeten, wollt es unserm Wirth nicht beigehen, daß wir von wegen des Glaubens mit Luthero sprechen wöllten. Denn wenn wir ihme nicht in allen Dingen beipflichteten, befahre er, wir kämen auch die große Stiege niedergefahren, wie sie schon viele vom Adel niddergefahren wären. Denn er werde von Tage zu Tage zorniger, und ein jeder Widerspruch reize ihne, daß er braun und blau würd, er käme von Fürnehm oder Geringe. So hätte Dr. Justus Jonas ihme vor einer Zeit einen Boten geschicket, und da er selbigen über die Gebühr ufgehalten, habe der Bote vorgeschützet: daß es Abend würd, und müsse er bald abgefertiget werden; davor habe er ihn mit eim Fuß von der Ofenbank also abgefertiget, daß der Kerl zu ihme (verstehe unsern Wirth) hinkend und heulend heimgekehret, auch noch den andern Tag stille gelegen, weil er seiner Glieder nit mächtig gewest. Man sehe Luthers Brief an Justus Jonas wegen dieses Boten, der bei ihm räsonnirt oder commandirt habe (denn so kann das Wort imperare hier doch wohl nur gegeben werden) und dem er dafür gedroht: er wolle ihm die Zunge aus dem Halse hinten hinaus reißen lassen, bei de Wette V. 450.

Uf all die anderen Gast dürften wir nicht rechnen, daß sie uns beipflichten söllten. Wären allzumal feige Sclaven, so schon ja! sageten, ehe Lutherus noch ein Wort gesprochen, wie wirs denn auch schon in der Kirchen vernommen. Der größte Knecht wär aber Justus Jonas, welcher Luthero in Allem nachäffe, immer den dürren oder den Schaafshusten hätt, und ein also großer Narre wär, daß er ums auch einen bösen Schenkel wie Lutherus zu überkommen, muthwillig sich an einen Kramladen gestoßen, was ihme denn auch geglücket. Man sehe den Brief Luthers an seine Hausfrau vom 10 Febr. 1546 bei de Wette V, gegen das Ende, worin Luther diesen Geniestreich selbst erzählt und hinzufügt: »so groß ist der Neid in Leuten, daß er mir nicht wollte gönnen allein einen bösen Schenkel zu haben!« Uebrigens war Justus Jonas nach dem Zeugniß des Erasmus, Luthers und Melanchthons ein außerordentlich beredter Mann, aber ein eben so großer Haase als Affe, wie wir später sehen werden.

Wir schlugen diese guten Vermahnungen aber in den Wind, und als das Uhr auf der Pfarrkirchen drei Schläge thät, machten wir uns auf den Weg, und waren auch schon in der Porten zum Augustinerhof, als Herr Franciscus stille stund und mit eim Seufzer sprach: ich weiß nicht Gesellen, ich bin wohl in 15 Schlachten und darüber gewest; aber nie hab ich Furcht verspüret, doch jetzo verspür ich Furcht wie ein alt Weib!

Und als ich zur Antwort gab: so ergehet es mir auch, Ritter, sprach Er Johannes: ich verhoffe es wird Alles gut gehen, wenn wir ihme nit widdersprechen. Ich werde mich immer hinter meinen Bischof verkriechen und was ich sprech, so fürstellen, als hätt er mirs aufgetragen, und als dann forschen, was der würdige Vater dazu sage. Sollte sich Einer von Euch Herren übereilen, werd ich ihme ein nota bene mit dem Fuß geben, wann ichs kann; kann ichs aber nicht, so merket auf sein Antlitz, denn wann er anhebet die rechte Augenbram in die Höhe zu ziehen, ists ein Zeichen von jeher gewest, daß er zornig werden will.

Und als er Solches gesaget, stunden wir alle drei schon vor der großen Treppen im Augustinerkloster, so zu seiner Wohnung hinaufführt.

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